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Menschen am Ort des Übergangs.Das Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde Ende der siebziger Jahre - Nadelöhr zwischen den beiden deutschen Staaten und zwischen den Blöcken des Kalten Krieges.Die Lebenswege von vier Menschen kreuzen sich hier: Nelly, die mit ihren Kindern aus der DDR ausreist, Krystyna aus Polen und der aus dem Ost-Gefängnis freigekaufte Schauspieler Hans.Ihnen gegenüber steht John Bird, der als amerikanischer Geheimdienstler die Verhöre mit den Flüchtlingen führt. Er interessiert sich nicht für ihre ungewisse Zukunft, sondern für die verborgenen Geschichten ihrer Vergan...
Menschen am Ort des Übergangs.
Das Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde Ende der siebziger Jahre - Nadelöhr zwischen den beiden deutschen Staaten und zwischen den Blöcken des Kalten Krieges.
Die Lebenswege von vier Menschen kreuzen sich hier: Nelly, die mit ihren Kindern aus der DDR ausreist, Krystyna aus Polen und der aus dem Ost-Gefängnis freigekaufte Schauspieler Hans.
Ihnen gegenüber steht John Bird, der als amerikanischer Geheimdienstler die Verhöre mit den Flüchtlingen führt. Er interessiert sich nicht für ihre ungewisse Zukunft, sondern für die verborgenen Geschichten ihrer Vergangenheit. Bis er an Nelly gerät, die selbstbewusst sein Spiel durchschaut.
Lagerfeuer verknüpft vier Schicksale in einer hochaufgeladenen Situation. Julia Franck gelingt es meisterlich, die Figuren ihres Romans in ihrer Ausweglosigkeit darzustellen, mit höchster Einfühlung und verzweifeltem Witz. In der Enge des Lagerlebens spitzen sich die Beziehungen der Menschen dramatisch zu.
Julia Franck kennt Marienfelde aus eigener Erfahrung. Als Achtjährige lebte sie nach der Ausreise aus der DDR ein Dreivierteljahr lang dort.
In ihrem neuen Roman führt sie Menschen an einen Ort, an dem sich Lebensgeschichten entschieden.
Das Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde Ende der siebziger Jahre - Nadelöhr zwischen den beiden deutschen Staaten und zwischen den Blöcken des Kalten Krieges.
Die Lebenswege von vier Menschen kreuzen sich hier: Nelly, die mit ihren Kindern aus der DDR ausreist, Krystyna aus Polen und der aus dem Ost-Gefängnis freigekaufte Schauspieler Hans.
Ihnen gegenüber steht John Bird, der als amerikanischer Geheimdienstler die Verhöre mit den Flüchtlingen führt. Er interessiert sich nicht für ihre ungewisse Zukunft, sondern für die verborgenen Geschichten ihrer Vergangenheit. Bis er an Nelly gerät, die selbstbewusst sein Spiel durchschaut.
Lagerfeuer verknüpft vier Schicksale in einer hochaufgeladenen Situation. Julia Franck gelingt es meisterlich, die Figuren ihres Romans in ihrer Ausweglosigkeit darzustellen, mit höchster Einfühlung und verzweifeltem Witz. In der Enge des Lagerlebens spitzen sich die Beziehungen der Menschen dramatisch zu.
Julia Franck kennt Marienfelde aus eigener Erfahrung. Als Achtjährige lebte sie nach der Ausreise aus der DDR ein Dreivierteljahr lang dort.
In ihrem neuen Roman führt sie Menschen an einen Ort, an dem sich Lebensgeschichten entschieden.
Julia Franck wurde 1970 in Berlin (Ost) geboren. 1978 reiste die Familie aus. Sie wurde u. a. mit dem 3sat-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs 2000 ausgezeichnet und mit dem Marie-Luise Kaschnitz-Preis 2004. Julia Franck lebt mit ihren zwei Kindern in Berlin.

© Mathias Bothor / photoselection
Produktdetails
- Verlag: DUMONT LITERATUR UND KUNST VER
- Seitenzahl: 301
- Deutsch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 458g
- ISBN-13: 9783832178512
- ISBN-10: 3832178511
- Artikelnr.: 11863475
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"So einen Roman hatten wir noch nicht", feiert Rezensent Edo Reents Julia Francks Roman "über sogenannte Republikflüchtlinge". Seinen Informationen zufolge spielt die Geschichte in den späten siebziger Jahren und wird aus vier Perspektiven erzählt, und jeder, der gerade spreche, habe Recht. "Niemand wird bloßgestellt, aber auch niemand entschuldigt", schreibt Reents voller Hochachtung für den geglückten Balanceakt dieses in seinen Augen ambivalenten und hochsubversiven Buches. Mit einem Kunstverstand, den der Rezensent erstaunlich für eine Generation findet, die er unter "Oberflächenverdacht" stehen sieht, habe Franck eine Logik entwickelt, bei der die Frage, auf welcher Seite man steht, keine Rolle spiele. Es gehe ihr nicht um eine Abrechnung mit der DDR. Reents bescheinigt der Autorin ein Gespür für das Demütigende von Zuwendungen, die der Westen nicht anders als materiell verstehen könne. Auch in der Erkenntnis, dass Sicherheit und Wohlstand, "ja selbst Freiheit" relative Größen sind, findet er den Roman subversiv.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Julia Francks Erzählkunst rührt an den geheimnisvollen Untergrund menschlicher Triebe, Gefühle und Affektlagen." (SDZ
"Man ist immer wieder verblüfft, mit welchem Understatement Julia Franck ihre Meisterschaft zum Einsatz bringt." (BZ)
"Man ist immer wieder verblüfft, mit welchem Understatement Julia Franck ihre Meisterschaft zum Einsatz bringt." (BZ)
Im Westen viel Neues
Deutsch-deutsche Kaltfronten: Julia Francks subversiver Roman über eine Flucht in die Bundesrepublik / Von Edo Reents
In Martin Ritts Le-Carré-Verfilmung "Der Spion, der aus der Kälte kam" spielt Richard Burton den Agenten, der nur in menschlicher Isolierung in seinem Element ist. Er lernt eine Bibliothekarin kennen und fängt an zu lachen, als sich herausstellt, daß sie das Gegenteil der westlichen Ideologie vertritt: "Nancy, jetzt sagen Sie bloß, Sie sind eine verdammte Kommunistin?!" Dieses Lachen läßt ihm für selbstkritische Erkenntnisse genügend Raum. Daß auch der Kapitalismus Opfer fordert, war in den sechziger Jahren so richtig wie heute. Aber auch nach dem Ende der DDR wird dergleichen
Deutsch-deutsche Kaltfronten: Julia Francks subversiver Roman über eine Flucht in die Bundesrepublik / Von Edo Reents
In Martin Ritts Le-Carré-Verfilmung "Der Spion, der aus der Kälte kam" spielt Richard Burton den Agenten, der nur in menschlicher Isolierung in seinem Element ist. Er lernt eine Bibliothekarin kennen und fängt an zu lachen, als sich herausstellt, daß sie das Gegenteil der westlichen Ideologie vertritt: "Nancy, jetzt sagen Sie bloß, Sie sind eine verdammte Kommunistin?!" Dieses Lachen läßt ihm für selbstkritische Erkenntnisse genügend Raum. Daß auch der Kapitalismus Opfer fordert, war in den sechziger Jahren so richtig wie heute. Aber auch nach dem Ende der DDR wird dergleichen
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reflexhaft mit den Mauertoten pariert, als dürfte man das eine ohne das andere nicht denken. Die eisige Atmosphäre des Films und auch des Romans, die das Verhalten aller Protagonisten als notwendig erscheinen läßt, verdankt sich einer epischen Gerechtigkeit, die etwas vermittelt, das über seinen ideologischen Gehalt hinaus von Interesse ist.
In einer Öffentlichkeit, die für ihre Befassung mit der deutsch-deutschen Vergangenheit entweder die verbissene Verdächtigung oder die ulkhafte Nostalgie kennt, ist es kein leichtes Unterfangen, einen Roman über sogenannte Republikflüchtlinge zu schreiben, der den Geist dieser epischen Gerechtigkeit atmet. Julia Franck ist das gelungen: "Lagerfeuer" ist von beiden Extremen gleich weit entfernt und läßt den, der gerade spricht, recht haben. Niemand wird hier bloßgestellt, aber auch niemand entschuldigt. Mit einem Kunstverstand, der erstaunlich ist für eine Angehörige einer Generation, die unter Oberflächenverdacht gestellt wird, hat sie ein Buch geschrieben, das gerade recht zu kommen scheint. Aber Julia Franck konnte nicht wissen, daß in diesem heißen Sommer Wallraff-Verdächtigungen und Ostalgie-Fernsehen gleichermaßen Konjunktur haben würden.
Die Geschichte spielt in den späten siebziger Jahren und wird aus vier Perspektiven erzählt. Nelly Senff, eine junge Chemikerin, reist mit ihrer zehnjährigen Tochter Katja und ihrem achtjährigen Sohn Aleksej unter dem Vorwand aus, einen Mann aus dem Westen heiraten zu wollen. Im West-Berliner Notaufnahmelager Marienfelde trifft sie auf die Polin Krystyna Jablonowska, die hier ihren schwerkranken Bruder behandeln lassen will und ihren alten, verwirrten Vater gleich mitgeschleppt hat. Außerdem ist dort Hans Pischke untergebracht, ein halt- und illusionsloser ehemaliger Schauspieler, der vom Westen freigekauft wurde und schnell unter Verdacht gerät, für die Staatssicherheit zu arbeiten. Zur Spitzelabwehr ist der Amerikaner John Bird da, dessen alliierte Behörde gleichzeitig den Flüchlingsstatus der Lagerbewohner überprüft. Daß es bei beidem nicht zimperlich zugeht, verdankt sich einer Logik, bei der die Frage, auf welcher Seite man steht, im Grunde keine Rolle spielt.
Julia Franck geht es nicht um eine Abrechnung mit der DDR. In dieser Hinsicht wird sie es Lesern, die nur auf Signalwörter wie "Stasi" oder "Spreewaldgurken" aus sind, nicht recht machen. Dafür ist sie eine zu gute Erzählerin. Daß auch sie als solche nicht geboren wurde, macht, nach den zum Teil drastischen Liebesgeschichten, mit denen sie bekannt wurde, das eigentlich Staunenswerte dieses Romans aus. Hier ist eine Autorin, deren Erzählstoff sich nicht in generationsspezifischen Lifestyle-Angelegenheiten erschöpft; die weiß, daß auch Melancholie etwas ist, das man sich leisten können muß. Deshalb zieht sie die Strenge einer diffusen Stimmung vor. Sie hat etwas zu erzählen und ist dabei von keiner Mission beseelt.
Das läßt sich schon an Kleinigkeiten erkennen. Zu Anfang, als Nelly Senff die Aufforderung der DDR-Beamten zum Aussteigen mißversteht, sagt ein Uniformierter: "Nein, nicht Sie, nur die Kinder." Es wäre ein leichtes gewesen, aus einer solchen Szene gefühliges Kapital zu schlagen. Nelly Senff aber sagt zu ihren Kindern nur: "Ihr sollt aussteigen." Es ist dieser lakonische und zuweilen unerbittliche Ton, mit dem selbst schwierige Passagen gemeistert werden, die scheinbare Enttarnung Hans Pischkes beispielsweise oder die Drangsalierung der Senffschen Lagerkinder durch westliche Mitschüler. Daß auch diese Franck-Geschichte nicht ohne einen scharfen Geruchssinn auskommt, ist gewissermaßen milieubedingt. Denn in Marienfelde weiß nicht jeder, wozu ein Deodorant gut ist; hier riecht es, weil in wenig gepflegter Umgebung viele Menschen auf einem Haufen leben.
Es ist bei Unterpriviligierten schnell von der Würde die Rede, die sie sich bewahren. Julia Franck läßt sie ihnen in einer Weise, die vollständig frei ist von den Klischees, die gerade die gute Absicht produziert. Sie hat ein Gespür für die Demütigungen von Wohltaten, die der Westen nicht anders als materiell verstehen kann, weil er keine Ahnung hat von seelischen Entbehrungen: "Ich fass' es nicht, da kommt ihr hierher, ja, ohne alles, ja, ohne Winterschuhe und ohne Waschmaschine, ja, nicht mal die Wäsche für 'ne Waschmaschine reicht, ja, ohne Dach überm Kopf und ohne jede Mark, ja, und haltet die Hände auf und nehmt und lehnt ab, stellt Ansprüche, ja." Diese Worte eines Arbeitsvermittlers sind so wahr, weil sie dem Alltag abgelauscht sind, der auch als deutsch-deutscher so grau ist wie der Spätherbst in Marienfelde. Julia Franck durchschaut den Egoismus und die Kleinherzigkeit, die hinter jeder mit falschem Lächeln vorgebrachten Zuwendung stecken.
Deshalb ist das Flüchtlingspersonal so mißtrauisch und nüchtern, wie man es eben wird, wenn man ein altes Leben hinter sich läßt und merkt, daß das neue auch nicht besser anfängt, ohne daran jemand anderem die Schuld zu geben als der eigenen Entscheidung. Der Schauspieler Pischke hat seinen Hegel gelesen und weiß, daß man ein System nur von innen verändern kann. Das Bedauern, nicht drüben geblieben zu sein, ermöglicht zumindest den Gedanken an eine innere Emigration, von der immer im Einzelfall zu fragen wäre, wie unerträglich sie gewesen wäre oder in Wirklichkeit war. Für Nelly Senff, die nach dem wahrscheinlichen Tod des Vaters ihrer Kinder das Land so verläßt, wie man auch die Bundesrepublik in Richtung Schweiz oder Großbritannien verlassen könnte - aus rein privaten Gründen nämlich -, sind Sicherheit und Wohlstand, ja selbst Freiheit relative Größen, auf deren Anpreisung sie nicht hereinfällt. Darin liegt das eigentümlich Subversive dieser stark autobiographischen, ambivalenten Geschichte. Der Arbeitsvermittler ruft dem undankbaren Flüchtling borniert und doch wahrhaftig hinterher: "Wer nicht will, der hat schon." So einen Roman hatten wir noch nicht.
Julia Franck: "Lagerfeuer". Roman. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003. 300 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In einer Öffentlichkeit, die für ihre Befassung mit der deutsch-deutschen Vergangenheit entweder die verbissene Verdächtigung oder die ulkhafte Nostalgie kennt, ist es kein leichtes Unterfangen, einen Roman über sogenannte Republikflüchtlinge zu schreiben, der den Geist dieser epischen Gerechtigkeit atmet. Julia Franck ist das gelungen: "Lagerfeuer" ist von beiden Extremen gleich weit entfernt und läßt den, der gerade spricht, recht haben. Niemand wird hier bloßgestellt, aber auch niemand entschuldigt. Mit einem Kunstverstand, der erstaunlich ist für eine Angehörige einer Generation, die unter Oberflächenverdacht gestellt wird, hat sie ein Buch geschrieben, das gerade recht zu kommen scheint. Aber Julia Franck konnte nicht wissen, daß in diesem heißen Sommer Wallraff-Verdächtigungen und Ostalgie-Fernsehen gleichermaßen Konjunktur haben würden.
Die Geschichte spielt in den späten siebziger Jahren und wird aus vier Perspektiven erzählt. Nelly Senff, eine junge Chemikerin, reist mit ihrer zehnjährigen Tochter Katja und ihrem achtjährigen Sohn Aleksej unter dem Vorwand aus, einen Mann aus dem Westen heiraten zu wollen. Im West-Berliner Notaufnahmelager Marienfelde trifft sie auf die Polin Krystyna Jablonowska, die hier ihren schwerkranken Bruder behandeln lassen will und ihren alten, verwirrten Vater gleich mitgeschleppt hat. Außerdem ist dort Hans Pischke untergebracht, ein halt- und illusionsloser ehemaliger Schauspieler, der vom Westen freigekauft wurde und schnell unter Verdacht gerät, für die Staatssicherheit zu arbeiten. Zur Spitzelabwehr ist der Amerikaner John Bird da, dessen alliierte Behörde gleichzeitig den Flüchlingsstatus der Lagerbewohner überprüft. Daß es bei beidem nicht zimperlich zugeht, verdankt sich einer Logik, bei der die Frage, auf welcher Seite man steht, im Grunde keine Rolle spielt.
Julia Franck geht es nicht um eine Abrechnung mit der DDR. In dieser Hinsicht wird sie es Lesern, die nur auf Signalwörter wie "Stasi" oder "Spreewaldgurken" aus sind, nicht recht machen. Dafür ist sie eine zu gute Erzählerin. Daß auch sie als solche nicht geboren wurde, macht, nach den zum Teil drastischen Liebesgeschichten, mit denen sie bekannt wurde, das eigentlich Staunenswerte dieses Romans aus. Hier ist eine Autorin, deren Erzählstoff sich nicht in generationsspezifischen Lifestyle-Angelegenheiten erschöpft; die weiß, daß auch Melancholie etwas ist, das man sich leisten können muß. Deshalb zieht sie die Strenge einer diffusen Stimmung vor. Sie hat etwas zu erzählen und ist dabei von keiner Mission beseelt.
Das läßt sich schon an Kleinigkeiten erkennen. Zu Anfang, als Nelly Senff die Aufforderung der DDR-Beamten zum Aussteigen mißversteht, sagt ein Uniformierter: "Nein, nicht Sie, nur die Kinder." Es wäre ein leichtes gewesen, aus einer solchen Szene gefühliges Kapital zu schlagen. Nelly Senff aber sagt zu ihren Kindern nur: "Ihr sollt aussteigen." Es ist dieser lakonische und zuweilen unerbittliche Ton, mit dem selbst schwierige Passagen gemeistert werden, die scheinbare Enttarnung Hans Pischkes beispielsweise oder die Drangsalierung der Senffschen Lagerkinder durch westliche Mitschüler. Daß auch diese Franck-Geschichte nicht ohne einen scharfen Geruchssinn auskommt, ist gewissermaßen milieubedingt. Denn in Marienfelde weiß nicht jeder, wozu ein Deodorant gut ist; hier riecht es, weil in wenig gepflegter Umgebung viele Menschen auf einem Haufen leben.
Es ist bei Unterpriviligierten schnell von der Würde die Rede, die sie sich bewahren. Julia Franck läßt sie ihnen in einer Weise, die vollständig frei ist von den Klischees, die gerade die gute Absicht produziert. Sie hat ein Gespür für die Demütigungen von Wohltaten, die der Westen nicht anders als materiell verstehen kann, weil er keine Ahnung hat von seelischen Entbehrungen: "Ich fass' es nicht, da kommt ihr hierher, ja, ohne alles, ja, ohne Winterschuhe und ohne Waschmaschine, ja, nicht mal die Wäsche für 'ne Waschmaschine reicht, ja, ohne Dach überm Kopf und ohne jede Mark, ja, und haltet die Hände auf und nehmt und lehnt ab, stellt Ansprüche, ja." Diese Worte eines Arbeitsvermittlers sind so wahr, weil sie dem Alltag abgelauscht sind, der auch als deutsch-deutscher so grau ist wie der Spätherbst in Marienfelde. Julia Franck durchschaut den Egoismus und die Kleinherzigkeit, die hinter jeder mit falschem Lächeln vorgebrachten Zuwendung stecken.
Deshalb ist das Flüchtlingspersonal so mißtrauisch und nüchtern, wie man es eben wird, wenn man ein altes Leben hinter sich läßt und merkt, daß das neue auch nicht besser anfängt, ohne daran jemand anderem die Schuld zu geben als der eigenen Entscheidung. Der Schauspieler Pischke hat seinen Hegel gelesen und weiß, daß man ein System nur von innen verändern kann. Das Bedauern, nicht drüben geblieben zu sein, ermöglicht zumindest den Gedanken an eine innere Emigration, von der immer im Einzelfall zu fragen wäre, wie unerträglich sie gewesen wäre oder in Wirklichkeit war. Für Nelly Senff, die nach dem wahrscheinlichen Tod des Vaters ihrer Kinder das Land so verläßt, wie man auch die Bundesrepublik in Richtung Schweiz oder Großbritannien verlassen könnte - aus rein privaten Gründen nämlich -, sind Sicherheit und Wohlstand, ja selbst Freiheit relative Größen, auf deren Anpreisung sie nicht hereinfällt. Darin liegt das eigentümlich Subversive dieser stark autobiographischen, ambivalenten Geschichte. Der Arbeitsvermittler ruft dem undankbaren Flüchtling borniert und doch wahrhaftig hinterher: "Wer nicht will, der hat schon." So einen Roman hatten wir noch nicht.
Julia Franck: "Lagerfeuer". Roman. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003. 300 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Einen solchen Roman hatten wir noch nicht."
Deutschland, Ende der 1970er Jahre, zwei Staaten, getrennt durch eine Mauer. Aber es gibt auch ein Dazwischen, ein Ort des Übergangs: ein Notaufnahmelager. Julia Francks Roman "Lagerfeuer" spielt genau dort, im Notaufnahmelager Berlin- Marienfelde, vier Menschen erzählen ihre …
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Deutschland, Ende der 1970er Jahre, zwei Staaten, getrennt durch eine Mauer. Aber es gibt auch ein Dazwischen, ein Ort des Übergangs: ein Notaufnahmelager. Julia Francks Roman "Lagerfeuer" spielt genau dort, im Notaufnahmelager Berlin- Marienfelde, vier Menschen erzählen ihre Geschichte und vom Weg in das Lager: Die junge, jüdische Chemikerin Nelly Senff, die zusammen mit ihren Kindern aus der DDR geflüchtet ist, die Polin Krystyna, die mit ihrem Vater und dem kranken Bruder auf westliche, medizinische Hilfe hofft, John Bird, ein Mitarbeiter des US- amerikanischen Geheimdienstes, und der Schauspieler Hans Pischke, der nach seinem Freikauf schon Jahre im Lager verbringt.<br />Mit einer präzisen, fast nüchternen Sprache beschreibt Julia Franck die berührenden Schicksale der verschiedenen Protagonisten und vermittelt damit sehr eindringlich die Gefühle, Gedanken und Emotionen der Figuren. Generell ist es ohnehin die konturenreiche Zeichnung der Menschen und ihres Seelenlebens, das im Mittelpunkt des Romans steht. Dabei geht es nicht darum, die Schattenseiten der DDR zu betonen, sondern den Zustand der Stagnation und des Nicht-weiter-Wissens zu skizzieren. Dies gelingt der Autorin meiner Meinung nach sehr gut und in Anbetracht der Tatsache, dass Julia Franck selbst Jüdin ist und neun Monate mit ihrer Familie in dem Lager verbracht hat, verleiht dem Buch ungeheure Authentizität.
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In einer kühlen Frühherbstnacht „zwischen zwölf und zwei“ beginnt Julia Francks Roman, der den Titel „Lagerfeuer“ trägt.
Erschienen im DuMont Verlag schildert er auf einfühlsame und genaue Weise die Lebensläufe vierer Menschen, die aus …
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In einer kühlen Frühherbstnacht „zwischen zwölf und zwei“ beginnt Julia Francks Roman, der den Titel „Lagerfeuer“ trägt.
Erschienen im DuMont Verlag schildert er auf einfühlsame und genaue Weise die Lebensläufe vierer Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen im West- Notaufnahmelager Marienfelde aufeinander treffen. Nelly Senff, deren Empfinden besonders stark geschildert wird, hält es nach dem vermeintlichen Selbstmord ihres Freundes in der DDR nicht mehr aus, während Krystyna Jablonowska, eine polnische Cellistin, sich im Westen bessere Heilungschancen für den krebskranken Bruder erhofft.
Hans Pischke, ein aus dem Gefängnis freigekaufter DDR- Schauspieler sucht Arbeit und John Bird, ein Amerikaner, der mit seiner Frau Eunice in Berlin lebt, arbeitet für einen US- Geheimdienst.
Hoffnungen und Ängste der handelnden Personen, besonders die der Lagerbewohner sind auf engstem Raum miteinander verbunden und es gelingt Julia Franck, ohne Beschönigungen jedoch realistisch und feinfühlig die Charaktere aller Figuren zu umzeichnen. Die schlichte Art der Erzählung schafft ein klares Bild vom Leben in der Umgebung des Lagers.
Vor allem die, als Hauptperson fungierende, Figur der Nelly Senff wird am stärksten charakterisiert und dient auch als Verknüpfungsrolle mit den anderen Personen. Besonders deutlich wird die Zukunftsangst, die alle Lagerbewohner miteinander verbindet und immer wieder hervorbricht deutlich. Der Titel des Romans, der im ersten Moment die positiven Gefühle von Pfadfinderromantik, Freiheit und Gemütlichkeit ausstrahlt, bezieht sich jedoch auf das Feuer, welches am Ende des Romans bei einer Weihnachtsfeier im Notaufnahmelager ausbricht.<br />Der Roman endet offen und hat keine Nachgeschichte, keine Auflösung, wie es weitergehen könnte. Die manchmal komplizierten Perspektivsprünge Julia Francks verbinden sich im letzten Kapitel und vereinigen sich in dem der Nelly Senff. Vielleicht ist das aber gerade die Absicht der Autorin, einfach eine Reihe von Momentaufnahmen zu zeigen, die so passiert sein könnten, und den Leser dazu anregen sollen, selber über einen Schluss der Geschichten nachzudenken.
Julia Franck will mit ihrem Roman nicht belehren, auch stellt er keine Mahnung, Abrechnung mit politischen Zuständen oder Autobiographie dar, obwohl „Lagerfeuer“ sehr wohl solche Züge enthält (Julia Franck war auch Jüdin, lebte neun Monate im Notaufnahmelager Marienfelde).
Was man aus der Lektüre dieses, sehr zu empfehlenden Buches macht ist, und das ist ein großer Reiz daran, wohl die Sache jedes einzelnen Lesers. So wirkt nichts konstruiert oder übertrieben. Einfach ein ehrliches, aber trotzdem nüchtern gehaltenes Buch.
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In einer kühlen Frühherbstnacht „zwischen zwölf und zwei“ beginnt Julia Francks Roman, der den Titel „Lagerfeuer“ trägt.
Erschienen im DuMont Verlag schildert er auf einfühlsame und genaue Weise die Lebensläufe vierer Menschen, die aus …
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In einer kühlen Frühherbstnacht „zwischen zwölf und zwei“ beginnt Julia Francks Roman, der den Titel „Lagerfeuer“ trägt.
Erschienen im DuMont Verlag schildert er auf einfühlsame und genaue Weise die Lebensläufe vierer Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen im West- Notaufnahmelager Marienfelde aufeinander treffen. Nelly Senff, deren Empfinden besonders stark geschildert wird, hält es nach dem vermeintlichen Selbstmord ihres Freundes in der DDR nicht mehr aus, während Krystyna Jablonowska, eine polnische Cellistin, sich im Westen bessere Heilungschancen für den krebskranken Bruder erhofft.
Hans Pischke, ein aus dem Gefängnis freigekaufter DDR- Schauspieler sucht Arbeit und John Bird, ein Amerikaner, der mit seiner Frau Eunice in Berlin lebt, arbeitet für einen US- Geheimdienst.
Hoffnungen und Ängste der handelnden Personen, besonders die der Lagerbewohner sind auf engstem Raum miteinander verbunden und es gelingt Julia Franck, ohne Beschönigungen jedoch realistisch und feinfühlig die Charaktere aller Figuren zu umzeichnen. Die schlichte Art der Erzählung schafft ein klares Bild vom Leben in der Umgebung des Lagers.
Vor allem die, als Hauptperson fungierende, Figur der Nelly Senff wird am stärksten charakterisiert und dient auch als Verknüpfungsrolle mit den anderen Personen. Besonders deutlich wird die Zukunftsangst, die alle Lagerbewohner miteinander verbindet und immer wieder hervorbricht deutlich. Der Titel des Romans, der im ersten Moment die positiven Gefühle von Pfadfinderromantik, Freiheit und Gemütlichkeit ausstrahlt, bezieht sich jedoch auf das Feuer, welches am Ende des Romans bei einer Weihnachtsfeier im Notaufnahmelager ausbricht.<br />Der Roman endet offen und hat keine Nachgeschichte, keine Auflösung, wie es weitergehen könnte. Die manchmal komplizierten Perspektivsprünge Julia Francks verbinden sich im letzten Kapitel und vereinigen sich in dem der Nelly Senff. Vielleicht ist das aber gerade die Absicht der Autorin, einfach eine Reihe von Momentaufnahmen zu zeigen, die so passiert sein könnten, und den Leser dazu anregen sollen, selber über einen Schluss der Geschichten nachzudenken.
Julia Franck will mit ihrem Roman nicht belehren, auch stellt er keine Mahnung, Abrechnung mit politischen Zuständen oder Autobiographie dar, obwohl „Lagerfeuer“ sehr wohl solche Züge enthält (Julia Franck war auch Jüdin, lebte neun Monate im Notaufnahmelager Marienfelde).
Was man aus der Lektüre dieses, sehr zu empfehlenden Buches macht ist, und das ist ein großer Reiz daran, wohl die Sache jedes einzelnen Lesers. So wirkt nichts konstruiert oder übertrieben. Einfach ein ehrliches, aber trotzdem nüchtern gehaltenes Buch.
Genau dieser Schreibstil Julia Francks ist mir sehr positiv und zum geschilderten Geschehen passend aufgefallen.
Weiterzuempfehlen ist der Roman auf alle Fälle.
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