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Im Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann findet sich der Satz, daß die Hauptfigur Hans Castorp einige Semester in Danzig studiert habe - Pawel Huelle hat diese Bemerkung zum Ausgangspunkt für einen poetischen, atmosphärischen und spannenden Bildungsroman über Castorp in Danzig gemacht. Im Oktober 1904 kommt Hans Castorp nach Danzig, um dort Schiffbau zu studieren. Die Stadt, vor deren melancholischem Sog ihn sein Onkel, Konsul Tienappel, noch gewarnt hatte, zieht den knapp Zwanzigjährigen sofort in ihren Bann. Im benachbarten Zoppot verliebt er sich in eine junge Polin, Wanda Pielecka, die…mehr

Produktbeschreibung
Im Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann findet sich der Satz, daß die Hauptfigur Hans Castorp einige Semester in Danzig studiert habe - Pawel Huelle hat diese Bemerkung zum Ausgangspunkt für einen poetischen, atmosphärischen und spannenden Bildungsroman über Castorp in Danzig gemacht.
Im Oktober 1904 kommt Hans Castorp nach Danzig, um dort Schiffbau zu studieren. Die Stadt, vor deren melancholischem Sog ihn sein Onkel, Konsul Tienappel, noch gewarnt hatte, zieht den knapp Zwanzigjährigen sofort in ihren Bann. Im benachbarten Zoppot verliebt er sich in eine junge Polin, Wanda Pielecka, die allerdings in eine Affaire mit einem jungen russischen Offizier verstrickt ist, in die auch Castorp am Ende mit hineingezogen wird. Um sich aus seiner Gefühlsverwirrung zu befreien, sucht Castorp Hilfe bei einem Psychologen, findet Trost bei Schopenhauer, dessen Spuren in Danzig er folgt. Am Ende kommt er bereichert und gereift, gestärkt durch eine erste, wenn auch unerfüllt gebliebene Liebe,nach Hamburg zurück.
Ohne Thomas Mann nachzuahmen, aber voller Anspielungen nicht nur auf den "Zauberberg", auf Theodor Fontanes "Effi Briest", auf Schuberts "Winterreise" und vieles andere erzählt Pawel Huelle elegant, unterhaltsam, voller Ironie und Humor und zugleich mit einem Schuß Melancholie, denn natürlich ist dieser Roman auch ein Buch über die komplizierte und schmerzhafte Beziehung zwischen der deutschen und der polnischen Kultur und darüber, wie man sie aufs neue verknüpfen kann.
Autorenporträt
Pawel Huelle, 1957 in Gdansk geboren, arbeitete als Journalist für Solidarnosc. Mitte der neunziger Jahre war er Direktor des Danziger Fernsehens. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren seiner Generation.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2005

Davos und Danzig
Castorps Jugend: Pawel Huelle ergänzt den "Zauberberg"

Wir kennen Hans Castorp als jenen einfachen jungen Mann, der auf drei Wochen von Hamburg nach Davos reiste, aber dort, fasziniert von Liebe, Tod und Krankheit, der Welt abhanden kam und sieben Jahre säumte, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihn abrupt an die Luft setzte - kurzum, wir kennen ihn als den zwar sympathischen, aber doch auch mittelmäßigen Helden von Thomas Manns Roman "Der Zauberberg". Der junge Mann hatte, so erzählt Thomas Mann, "vier Semester Studienzeit am Danziger Polytechnikum hinter sich", und Pawel Huelle stellt sich die Aufgabe, diese Danziger Jahre spielerisch zu rekonstruieren und paßgenau in den Roman hineinzuschneidern.

Das ist zunächst einmal eine hübsche Idee. Was mag Hans Castorp, dieser etwas blutarme und farblose Mensch, erlebt haben, bevor er sich aufmacht, seinen lungenkranken Vetter im Davoser Hochgebirgssanatorium zu besuchen? Es darf nicht viel sein, nichts Prägendes, denn sonst wäre er nicht mehr das unbeschriebene Blatt, als das er im "Zauberberg" antritt. Eine große Liebesgeschichte zum Beispiel verbietet sich, denn sie hätte ihn unweigerlich verändert, ihre Erinnerungsspuren hätten seine unbedingte Verfallenheit an Clawdia Chauchat störend relativiert. Weil Romane aber Liebesgeschichten enthalten müssen, weicht Pawel Huelle auf eine kleine und folgenlose aus. Castorp verliebt sich in eine reiche, mit einem russischen Revolutionär liierte Polin, verfolgt sie mit seinen Blicken über Monate, vernachlässigt seine Studien, stiehlt ihr ein Exemplar von "Effi Briest", träumt sich in die Rolle des Major Crampas hinein - kommt aber aus der Imagination niemals heraus in die Wirklichkeit. Ein einziges Gespräch, nur wenige Minuten lang, ergibt sich; es mündet in einen Stirnkuß, der natürlich erotische Enttäuschung hinterläßt. Aber mehr durfte nicht passieren, weil Hans für Clawdia bewahrt werden muß, weil ein durchkomponierter Roman wie "Der Zauberberg" es nicht zuläßt, daß sich Spaltpilze und Wucherungen im tragenden Gebälk einnisten. Strenggenommen sind Einlagen unmöglich, weil Thomas Mann selbst schon alles gesagt hat, was erforderlich war. Ergänzungen stehen immer in der Gefahr, überflüssig zu sein. Doch Überflüssigkeit kann Spaß und Übermut bedeuten und muß in der Kunst nichts Schlechtes sein.

Wer den "Zauberberg" nicht gelesen hat, dem entgeht allerdings das halbe Vergnügen. Die Erzählung lebt auf Pump, von geliehenen Assoziationen. Da der Danziger Romancier Pawel Huelle keinen Anti-Zauberberg schreiben, sondern nur respektvoll und mit leiser Ironie eine Leerstelle ausfüllen will, bleibt ihm nur wenig eigener Raum. In diesem engen Geviert begegnen wir alten Bekannten: Schalleen, die Hansens Wäsche wäscht, und Konsul Tienappel, der ihn vor der Reise in den Osten warnt. Wir begegnen dem Portwein, den Castorp zum dritten Frühstück zu sich zu nehmen liebt, der Zigarre Maria Mancini, die ihm seine Geliebte zuführt, und allerlei zwielichtigen Gestalten, die an die Hadesführer im "Tod in Venedig" erinnern. Alles Geschehen, alle Personen und alle Motive kommen bedeutungsschwanger einher, müssen aber von ihrer Symbolflugbahn gleich nach dem Start wieder heruntergeholt werden, da ja keine wirklich große Geschichte entstehen darf. Daher wedeln die Motive ein bißchen hilflos mit ihren Stummelflügelchen, wie Küken, die noch nicht flügge sind. Der Roman erzeugt eine große Erwartung, die er selbst nicht, die erst "Der Zauberberg" erfüllt. Er präludiert und präfiguriert dessen Themen, ist aber zu diskret oder zu devot, um eigene Themen zu setzen. Nicht einmal die naheliegende Möglichkeit, der literarischen Chiffre "Osten" ein Bild des wirklichen Ostens korrigierend gegenüberzustellen, wird intensiv genutzt. Allenfalls werden einige mentale Reste des Eisernen Vorhangs abgetragen; man kommt dem lange entrückten Danzig mit dem Herzen ein wenig näher, auch dem benachbarten Bad Zoppot, das die Doppelrolle von Travemünde und Lido di Venezia spielen darf. Castorp fühlt sich dort wohl, wie alle Thomas-Mann-Figuren, wenn sie am Meere sind: "Hans Castorp zog sich in der Kabine um, ging die Promenade entlang, vorbei an Kurhaus, Seesteg, an dem Gebäude des Warmbads und dem Platz für das zukünftige Südbad, und setzte sich schließlich in den Garten der Fischertaverne, wo er ein üppiges Mittagessen zu sich nahm, sich mit einem kühlen doppelten Porter stärkte und dann zu einem Gläschen Portwein eine Maria Mancini rauchte."

Sätze dieser Art füllen die Mehrzahl der Seiten. Man liest sie mit herzlicher Sympathie, denn man hört es gern, wenn es den Freunden gutgeht. Lange Zeit passiert sonst wenig oder nichts. Ein paar Diskussionen über Nationalismus contra Kosmopolitismus erinnern aus weiter Ferne an Naphta und Settembrini. Einen Höhepunkt muß man es schon nennen, wenn Hans sich ein Fahrrad kauft. Später geht er immerhin zu einem Psychoanalytiker, um seine Depressionen zu behandeln, und liest Schopenhauer, um sein Scheitern als Liebender zu verstehen.

Es schadet nicht, diesen Roman zu lesen, und es macht nicht ärgerlich. Man weiß dann, wie Castorp in seiner Danziger Zeit gelebt haben könnte: unauffällig. Wenn man das nicht weiß, hat man allerdings auch nicht viel verloren.

Pawel Huelle: "Castorp". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Renate Schmidgall. C. H. Beck Verlag, München 2005. 252 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005

Das Davos der Ostsee
Man muss die Formen bewahren, besonders wenn das Chaos droht: Pawel Huelle erzählt von Hans Castorps Semestern in Danzig
Jeder Roman enthält Geschichten, die er nicht erzählt. Ihnen entströmt wie feines Gas ein Fluidum, das die erzählte Handlung und ihre Figuren in eine konjunktivisch-schwebende Atmosphäre einhüllt. Wer mit einer reizbaren Einbildungskraft begabt ist, der wird bei der Romanlektüre gelegentlich ins Träumen geraten und einen Versuchsballon in diese Atmosphäre aufsteigen lassen. An welcher Stelle er das tut, sagt über den Leser ebenso viel aus wie über das Buch.
Der Schriftsteller Pawel Huelle, 1957 in Gdánsk geboren, hat seit seinem Romandebüt „Weiser Dawidek” (1987, deutsch 1990) immer wieder vom polnischen Gdánsk und vom deutschen Danzig zugleich erzählt. Schon vor Jahren hat er eines seiner Feuilletons - es steht in dem Sammelband „Verschollene Kapitel” (1999) - dem Halbsatz gewidmet, mit dem Thomas Mann im „Zauberberg”seinen Lesern die Stationen von Hans Castorps Ausbildung zum Schiffsbauingenieur mitteilt: „Damals hatte er vier Semester Studienzeit am Danziger Polytechnikum hinter sich...”. Huelle mochte sich mit dieser kargen Erwähnung nicht zufrieden geben, suchte nach Spuren einer verschollenen Danziger Episode, die Thomas Mann seinem Helden zugedacht hatte, ohne sie auszuführen.
Nun hat Huelle diese Episode selbst geschrieben. In seinem Roman „Castorp” macht er sich den Umstand zunutze, dass im modernen Universum der Lektüre die Helden der großen Romane wie die Götter der antiken Mythologie ein Eigenleben führen, dass Don Quijote auch bei Borges und Kafka begegnet, dass Werther, Julien Sorel oder Madame Bovary ein reiches Nachleben jenseits ihrer Herkunftswelt führen. Freilich unter einer Bedingung: mit keiner der Geschichten, die sie anderswo erleben, können sie an ihren Ursprungsort zurückkehren. Denn noch empfindlicher als gegen Kürzungen sind Romane gegen Hinzufügungen. Was sie nicht erzählen, das wollen sie nicht erzählen.
Pawel Huelle ist ein gewitzter Autor. Er weiß, dass nichts von dem, was er seinen Helden in den Jahren 1904 und 1905 in Danzig erleben lässt, in den „Zauberberg” Eingang finden, dass nichts davon in die Erinnerungen jenes Hans Castorp geschmuggelt werden kann, der 1907 im Bergsanatorium Quartier bezieht. Er weiß auch, dass es unklug wäre, in der Danziger Episode die Davoser Zukunft allzu deutlich zu zitieren: nur einmal erlaubt er sich einen Vorgriff, wenn er seinen Helden alpträumend auf einen Berg versetzt und sehen lässt, wie Tote mit dem Schlitten hinab in die Stadt fahren - nach Danzig, nicht Davos.
Das beunruhigende Traumbild kommt nicht von ungefähr. Denn zwar erzählt Huelle von Hans Castorps Semestern am Polytechnikum, seinem Eifer für die paradoxen Gleichungen der höheren Mathematik, seiner Begabung als technischer Zeichner und seinen Studien über Dynamomaschinen und Dampfturbinen, Kugellager und Gleitlager. Vor allem aber erzählt er von der Begegnung eines unpolitischen jungen Mannes aus dem Nordwesten des Deutschen Reiches mit dem deutschen Osten. Noch in Hamburg warnt Konsul Tienappel: „Die Zeiten, da unsere Vorfahren nach Reval, Riga, Königsberg oder Danzig aufbrachen, sind unwiederbringlich vorbei. Sicher - du willst kein Kontor gründen und keine Ritterrüstung anlegen, du willst Schiffe bauen. Aber was können die dort für eine technische Hochschule haben? Bestimmt eine miserable ... Und außerdem sollte man Situationen meiden, in denen die mühsam erarbeiteten Formen im Chaos versinken könnten.”
Nur zum Schein ist in diesem Roman Danzig eine Station Castorps auf dem Weg nach Davos. In Wahrheit ist Danzig hier in verkleinertem Maßstab all das, was im „Zauberberg” Davos sein wird: ein Ort der Irritation, des drohenden Selbstverlustes ebenso sehr wie der Reifung durch Liebe und Krankheit, Schuberts „Winterreise” und ein lasziver Maskenball inclusive. Was dort die Bergluft, treibt hier das Seeklima hervor - und der Osten.
Auf den Exerzierplätzen herrscht brutale preußische Disziplin. Aber seine Muttersprache klingt Castorp hier mit ungewohntem Akzent in den Ohren, des Polnischen ist er nicht mächtig, einer fremden Rasse scheint das kaschubische Dienstmädchen seiner Wirtin, einer deutsche Offizierswitwe, anzugehören. In den deutschen Zeitungen liest man von einem polnischen Goldschmiedegesellen, der seinen Meister zerstückelt hat. Dass es Polen nicht mehr gibt, hat Castorp in der Schule gelernt, sei Schuld der Polen selbst.
Im „Zauberberg” trägt die erotische Herausforderung slawische Züge, ihr Reiz entspringt der Mischung des Russischen mit dem Französischen. In Pawel Huelles kleinem Paralleluniversum ist die Verlockung eine junge, reiche Polin, der Castorp im nahen Zoppot begegnet. Im aufblühenden Seebad kommt ihm die Studiendisziplin abhanden, seine Moral lockert sich bedenklich: Traumwandlerisch nimmt er in einem unbeobachteten Moment ein kleines Paket der Polin mit einem Effi Briest-Exemplar an sich. Die Lektüre bindet ihn vollends an sie. Aber sie ist unerreichbar, ein russischer Offizier ist ihr Liebhaber, und sie wird nicht erreichbarer, als der Russe einem Attentat zum Opfer fällt.
Die überaus stilsichere Übersetzung von Renate Schmidgall lässt diesen kleinen Roman über die Lehrjahre eines Deutschen in Danzig wie eine anachronistische (und gelegentlich nostalgische) Hommage an den Erzählton Fontanes und Thomas Manns klingen. Aber am Ende reißt über Castorp, der in Langfuhr Richtung Oliva wohnt, der Himmel auf und gibt den Blick frei nicht nur auf den Ersten Weltkrieg, sondern auch auf das Danzig der „Blechtrommel” von Günter Grass und deren Langfuhr. Auf der letzten Seite heißt die Stadt nicht mehr Danzig, sondern Gdánsk.
Pawel Huelle
Castorp
Roman. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. C.H. Beck Verlag, München 2005. 252 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Im Schatten des Zauberbergs" sieht Rezensentin Marta Kijowska den Roman "Castorp", Pawel Huelles Huldigung an Thomas Mann. Wie sie berichtet, knüpft Heulle darin an den Hinweis in Manns Zauberberg an, Hans Castorp habe vier Semester in Danzig studiert, um daraus einen "kleinen Bildungsroman" zu bauen. Huelle lasse Castorp im Herbst 1904 nach Danzig kommen, wo er sich in die schöne und reiche Polin Wanda Pilecka verliebt - eine Liebe die unerfüllt bleibt. Das glaube man dem Autor sofort, befindet Kijowska. Gern lässt sie sich von ihm in die nostalgische Stimmung der Belle Epoque versetzen. Auch bewundert sie die Selbstdisziplin, mit der sich Huelle an die Vorlagen seines großen deutschen Schriftstellerkollegen halte. Allerdings merkt sie an, dass die Stadt, in der Huelle Castorp herumführe, nicht wirklich das Danzig sei, das er am liebsten zum Schauplatz seiner Prosa gemacht habe, etwa in seinem umjubelten Erstlingsroman "Weiser Dawidek". Dieses "andere Danzig" und diesen "kraftvolleren Stil" von Huelle vermisst sie in "Castorp" ein wenig. Manches erscheint ihr hier "künstlich" und "bemüht". Huelles Auffassung, "dass die Grenze zwischen dem, was real ist, und dem, was wir als metaphysisch empfinden, eines der faszinierendsten Themen des menschlichen Denkens ist", finde sich auch in diesem Roman. "Nur ist diesmal die Figur, an der er es zu demonstrieren versucht, aus einem anderen, fremden Holz geschnitzt."

© Perlentaucher Medien GmbH
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