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Insgesamt 69 Bewertungen
Bewertung vom 25.09.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri (eBook, ePUB)


sehr gut

*Zwischen den Welten – Eine berührende Familiengeschichte*
Yuko Kuhns beeindruckender Debütroman „Onigiri“ erzählt die bewegende Geschichte einer deutsch-japanischen Familie.
Im Mittelpunkt steht die Ich-Erzählerin Aki, die nach dem Tod der in Japan lebenden Großmutter mit ihrer an fortschreitender Demenz erkrankten Mutter Keiko eine letzte Reise in deren Heimatstadt nach Kobe unternimmt. Diese Reise bildet den erzählerischen Rahmen für eine emotionale Spurensuche, die uns behutsam in eine zerrissene Familiengeschichte eintauchen lässt und die kulturellen Unterschiede eindrucksvoll sichtbar macht. Gekonnt lässt Kuhn gegenwärtige Geschehnisse und die Vergangenheit in fragmentarischen Rückblenden und persönlichen Erinnerungen ineinanderfließen.
Kuhns Erzählstil zeichnet sich durch eine bewusst zurückhaltende und offene Gestaltung aus, bei dem wichtige Momente oft nur angedeutet werden und dem nicht Ausgesprochenen viel Raum gelassen wird. Trotz prägnanter, minimalistischer Sprache gelingt es ihr hervorragend, die feinen Facetten und leisen Gesten ihrer Figuren einzufangen. Es entfaltet sich eine atmosphärisch dichte, bisweilen melancholische Stimmung, die uns allmählich tief in die Welt ihrer Protagonisten zieht.
Frei von Klischees und mit großem Einfühlungsvermögen gelingt Kuhn eine differenzierte Darstellung der deutschen und japanischen Mentalitäten, eine komplexe Melange zwischen deutscher Strenge und japanischer Zurückhaltung. Die Handlung kreist um das Aufwachsen und Leben zwischen zwei Kulturen und legt ein besonderes Augenmerk auf die inneren Konflikte, kulturellen Spannungen in der Familie und das Gefühl des Andersseins. Feinfühlig zeigt Kuhn auf, wie Aki sich trotz kultureller und persönlicher Brüche um Verständigung bemüht und zugleich auf einer kontinuierlichen Suche nach eigener Identität ist.
Ein besonderes Highlight ist die einfühlsame und zugleich realistische Darstellung von Keikos Demenz, die mit all ihren Herausforderungen, Veränderungen und kleinen Hoffnungsschimmern den Alltag prägt. Kuhn zeichnet ein authentisches Bild der komplexen Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die rasch zwischen Zuneigung, Fürsorge, Überforderung und Unverständnis schwankt. Besonders die kleinen Beobachtungen wie etwa beim Essen, im alltäglichen Umgang miteinander oder beim Suchen nach passenden Worten, machen den Roman lebendig und glaubwürdig. Trotz des fortschreitenden Verfalls des Gedächtnisses erleben wir Keiko stets als eine vielschichtige, eigenständige Persönlichkeit, deren schwankende Erinnerungsfähigkeit auch für neue Formen von Nähe und Verbundenheit eröffnen.
Besonders eindrucksvoll ist auch das wiederkehrende Motiv des „Onigiri“, ein kunstvoll geformtes japanisches Reisbällchens, das nicht nur die tiefe Verbindung zwischen Mutter und Tochter symbolisiert sondern auch Geborgenheit, familiäre Wärme und kulturelle Identität. Inmitten beständigen Wechsels von Verlust und Nähe erhält das einfache, alltägliche Ritual des Kochens und Essens für sie eine stille, kraftvolle Bedeutung, die auch ohne Worte wirkt.
Die raschen Perspektivwechsel, die detailreichen Schilderungen sowie der fragmentarische Erzählstil erfordern jedoch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und aktivem Mitdenken. Diese Erzählweise bildet gekonnt das zentrale Thema von Erinnerung, Vergessen und Widersprüchlichkeiten des Erinnerns ab, wobei die Bruchstücke und das Unausgesprochene ureigener Bestandteil jeder Familiengeschichte sind. Gekonnt zeigt sie auf, dass Fragmente, Leerstellen und stille Momente mehr als jedes ausgesprochene Wort die Komplexität familiärer Beziehungen erfahrbar machen. Obwohl ein klassischer Spannungsbogen fehlt, ist der Autorin eine feinfühlige, bewegende Annäherung an eine Familie gelungen, deren Geschichte von Verlusten, Entwurzelung und generationsübergreifender Verletzlichkeit geprägt ist.
FAZIT
Ein sehr einfühlsamer, tiefgründiger Roman, der eine berührende deutsch-japanische Familiengeschichte und über das Leben zwischen zwei Kulturen erzählt. Eine durch den fragmentarischen Erzählstil recht anspruchsvolle, aber tief bewegende Lektüre, die uns über Krankheit, Verlust, Nähe und das leise Band familiärer Verbundenheit sowie die Fragilität von Erinnerung und Identität nachdenken lässt.

Bewertung vom 25.09.2025
Sußebach, Henning

Anna oder: Was von einem Leben bleibt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

*Eine berührende Spurensuche*
Mit seinem biografischen Essay „Anna oder: was von einem Leben bleibt“ begibt sich der Journalist Henning Sußebach auf eine faszinierende Spurensuche nach dem Leben seiner Urgroßmutter Anna, das für ihn lange nur aus spärlichen anekdotischen Überlieferungen fast vollständig im Dunkeln lag, deren Lebensgeschichte für die damalige Zeit aber alles andere als gewöhnlich war.
Anhand nur weniger persönlicher Erinnerungsstücke, wie Fotos, Briefen, einem Poesiealbum, Verlobungsring und einigen Alltagsgegenständen, bemüht sich Sußebach ihre Biografie zu rekonstruieren und bedeutsame Episoden ihres Lebens nachzuzeichnen.
Mit großem Feingefühl und viel Empathie entwirft er das berührende und lebendige Portrait einer außergewöhnlich resilienten, eigenwilligen und selbstbestimmten Frau, die in ihrem Leben neben einigen Höhen auch tragische Verluste gemeistert hat.
Geschickt verwebt Sußebach die persönlichen Spuren von Annas Lebensweg mit dem zeitgeschichtlichen Kontext, den er sorgsam recherchiert und umfangreich zusammengetragen hat. So entsteht allmählich ein facettenreiches Bild, das nicht nur Annas individuelle Biografie zeigt, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert eindrucksvoll greifbar macht.
Anna Kalthoff (1866 – 1932) lebte in einer bewegten Epoche voller einschneidender Krisen und Entwicklungen, die ihren Lebensalltag stark prägten und in der Frauen strengen gesellschaftlichen Regeln und Einschränkungen unterworfen waren. So erlebte sie politische Umwälzungen, Kriege, Inflation, Industrialisierung, den beginnenden technischen Fortschritt, aber auch vielfältige soziale Umbrüche und sich wandelnde Rollenbilder.
Im Jahr 1887 trat Anna eine Stelle als 20jährige Lehrerin im kleinen Dorf Cobbenrode im Sauerland an. Als junge Frau musste sie sich in einer von Männern dominierten Welt zurechtfinden, die ihr viele enge Grenzen setzte, kaum Rechte und wenig Selbstbestimmung zubilligte. Sußebach zeigt eindrücklich, wie Anna diese widersprüchlichen Welten erlebte und sich darin behauptete. Nach dem tragischen Unfalltod ihres Ehemanns baute sie sich eine neue Existenz auf, wurde Gastwirtin, Unternehmerin und leitete das Postamt ihres Dorfs. Mutig und selbstbestimmt gelang es ihr als junge Mutter und Witwe, die Herausforderungen ihrer Zeit zu meistern und ihren eigenen Lebensweg zu verfolgen. Sie scheint sich vielen gängigen Konventionen widersetzt zu haben, nicht zuletzt indem sie Eigenständigkeit, Liebe und beruflichen Ehrgeiz selbstbewusst vertrat.
Sußebach präsentiert uns jedoch keine klassische, chronologisch erzählte Biografie, sondern vielmehr eine facettenreiche Mischung aus akribischer historischer Recherche, biografischer Spurensuche, Spekulationen und imaginierten Lebensmomenten, die uns eindrucksvoll ein authentisches Bild jener Zeit vermittelt. Äußerst nuanciert und glaubhaft zeichnet er ihren Charakter mit all ihren Widersprüchen und Schwächen und verzichtet bewusst auf eine Idealisierung ihrer Stärken.
Immer wieder pausiert er seine Erzählung zum Reflektieren und legt uns offen die Unwägbarkeiten und Leerstellen seiner Recherche dar, die stets nur eine vage Annäherung an die Persönlichkeit von seiner Urgroßmutter sein kann. Mit viel Feingefühl fügt er Annas Lebensgeschichte auch plausible fiktive Elemente hinzu, um ein möglichst lebendiges Bild entstehen zu lassen, wobei er stets eine respektvolle Haltung zu wahren versteht.
Gekonnt entführt er uns so auch in die längst vergangene Welt unserer Vorfahren, deren Lebenswirklichkeit aus heutiger Sicht bisweilen fremd und ungewohnt erscheint. So regt er uns dazu an, über das fragile Gleichgewicht von Erinnerung und Vergessen nachzudenken sowie über die Bedeutung persönlicher Geschichten vor dem Hintergrund großer historischer Geschehnisse. So verdeutlicht er uns, dass in jeder Familie vielleicht eine unsichtbare Heldin wie Anna zu finden ist, eine widerstandsfähige und selbstbestimmte Frau, die sich von den Herausforderungen ihrer Zeit nicht hat brechen lassen und deren beeindruckende Lebensgeschichte inzwischen in Vergessenheit geraten ist.
Über die individuelle Erinnerung hinaus regt Sußebach zur Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte an. Dieses Buch ist somit nicht nur eine liebevolle Hommage an eine außergewöhnliche Vorfahrin, sondern auch eine Einladung, den vergessenen Lebenswegen unserer Vorfahren nachzuspüren. Abgerundet wird das Buch durch zahlreiche eingefügte Schwarz-Weiß-Fotografien, die vor allem aus dem Familienbesitz stammen, sowie einer kurzen Danksagung und einem Nachwort des Autor.
FAZIT
Eine einfühlsame Hommage an eine zu Unrecht vergessene Urgroßmutter und zugleich ein bewegendes Plädoyer für die Bedeutung von Erinnerungskultur! Es erinnert daran, wie wichtig es ist, persönliche Geschichten zu bewahren und dadurch das kollektive Gedächtnis lebendig zu halten.

Bewertung vom 22.09.2025
Aichner, Bernhard

Man sieht nur mit der Schnauze gut


ausgezeichnet

*Humorvolle Abenteuer mit unserem Freund und Helfer Aspro*
Mit seinem höchst unterhaltsamen Werk „Man sieht nur mit der Schnauze gut“ zeigt sich der bekannte Thrillerautor Bernhard Aichner von einer gänzlich neuen, humorvollen Seite und überrascht mit einem originellen Perspektivwechsel. Erzählt wird aus Sicht seines Protagonisten Aspro, einem liebenswerten Mischlingshund mit einem untrüglichen Gespür für Recht und Ordnung. In insgesamt 26 kurzen, amüsanten Episoden begleiten wir den aufgeweckten Vierbeiner auf seinen kriminalistischen Streifzügen. Mit lockerem Ton, feiner Ironie und einer ordentlichen Portion Sprachwitz lässt uns Aichner in Aspros aufregende Welt eintauchen. Nach einem missglückten Apportier-Manöver, bei dem Aspro sein Herrchen verliert, findet er  bei einer couragierten Polizistin ein neues Zuhause und wird liebevoll in ihre wachsende Familie aufgenommen. Schon bald darf er seine Chefin dank seiner untrüglichen Spürnase und seinen beeindruckenden Talenten als „Undercover-Profi“ im Streifendienst begleiten. Ob Aspro nun bei seinen Einsätzen Diebe entlarvt, dubiose Charaktere durchschaut, Drogen aufspürt , Menschen aus brenzligen Situationen rettet oder mit seinem großen mitfühlenden Hundeherz bisweilen sogar als Seelentröster einspringt – Aspro meistert fast jede Herausforderung mit Spürsinn, Witz und echtem Hundeverstand. Mit gewohntem Charme und einem kräftigen Schuss Augenzwinkern lässt Aichner seinen tierischen Erzähler die Menschenwelt mal erstaunt und  mal entlarvend betrachten. Dabei macht er sich nicht selten erstaunlich tiefgründige Gedanken über ihre kuriosen Eigenheiten, Widersprüche und allzu menschlichen Marotten. Natürlich schlagen zwischendurch immer mal wieder Aspros Instinkte und seine Hundeseele durch. Sein unersättlicher Magen und seine feine Spürnase bringen ihn zuverlässig in die eine oder andere missliche Lage bringen. Aspro ist und bleibt ein verschlafener Genießer mit großem Appetit, beeindruckendem Selbstbewusstsein und einer erstaunlich sensiblen Seite – ein rundum liebenswerter Vierbeiner, den man nur ins Herz schließen kann.
Aichner versteht es hervorragend, Aspros Gedankenwelt glaubhaft und berührend zu vermitteln. Seine Begeisterung, Zuneigung und unerschütterliche Loyalität kommen ebenso lebendig zum Ausdruck wie Momente der Enttäuschung und des Schmerzes, die durchaus zum Nachdenken über die sensible Hundeseele anregen.
Die unterhaltsamen Abenteuer aus der Hundeperspektive werden so authentisch geschildert, dass man als Hundefreund viele vertraute Eigenschaften wiedererkennt und mit einem Schmunzeln und einer gewissen Nachsicht an die kleinen Eskapaden der eigenen Vierbeiner erinnert wird.

FAZIT
Eine gelungene Zusammenstellung von kurzweiliger Krimimalgeschichten aus Hundeperspektive- warmherzig, mit viel Humor und tollem österreichischem Charme erzählt!
Nicht nur Hundeliebhaber werden an Aspros Abenteuern und seiner liebenswerten Sicht auf die Welt viel Freude haben.

Bewertung vom 10.09.2025
Graw, Theresia

In uns der Ozean (MP3-Download)


ausgezeichnet

*Die Stimme der Natur — Ein faszinierendes Porträt einer mutigen Frau*
In ihrer fesselnden Romanbiografie „In uns der Ozean“ erzählt Theresia Graw die beeindruckende Lebensgeschichte der US-amerikanischen Zoologin, Meeresbiologin und Schriftstellerin Rachel Louise Carson (1907–1964), deren Name untrennbar mit dem Beginn der modernen Umweltbewegung verbunden ist.
Eindrucksvoll zeichnet Graw das Bild einer mutigen Frau, die als Wissenschaftlerin und Naturliebhaberin das enge Korsett gesellschaftlicher Erwartungen ihrer Zeit sprengte und sowohl beruflich als auch in ihren persönlichen Beziehungen ganz eigene Wege ging.
Früh sah sie sich gezwungen, aus finanziellen Gründen ihre akademischen Ambitionen und den Traum einer Promotion aufzugeben und stattdessen Verantwortung für ihre Mutter und Schwestern sowie weitere Familienmitglieder zu übernehmen. Dennoch gelang es ihr trotz aller Widrigkeiten, ihr umfangreiches Wissen sowie ihre tiefe Liebe und Achtung für die Natur einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Die Romanbiografie begleiten Carson auf ihrem faszinierenden Lebensweg von der engagierten, zurückgezogenen Forscherin über ihre bedeutende Rolle als kreative Wissenschaftsautorin bis hin zur unerschrockenen Aktivistin, die mit großer Leidenschaft für den Naturschutz zur Ikone wurde und eine ganze Bewegung prägte.
Mit wohlüberlegter fiktiver Episoden und geschickt eingeflochtenen historischen Fakten zeichnet die Autorin ein vielschichtiges, authentisches und tiefgründiges Porträt dieser beeindruckenden Persönlichkeit. Im angehängten Nachwort gibt Graw zudem aufschlussreiche Einblicke in die belegten historischen Fakten und spekulativen Aspekte von Carsons Leben.
Graws Erzählweise ist lebhaft und abwechslungsreich, sodass man bald von der mitreißend erzählten Geschichte gefesselt wird und tief in die faszinierende Welt von Rachel Carson eintauchen kann.
Dabei werden nicht nur ihr Werdegang und der wissenschaftliche Kontext kompetent und zugleich gut verständlich vermittelt, sondern auch die gesellschaftlichen Umbrüche der späten 1920er und 1930er Jahre sowie die politischen Debatten um Fortschritt, Chemie und Landwirtschaft sind äußerst anschaulich und lebendig eingefangen.
Besonders beeindruckend sind die detailreichen, eindrucksvollen Beschreibungen der Pflanzen- und Tierwelt sowie die poetischen Naturbetrachtungen aus Rachels Perspektive, durch die ihr besonderes Verhältnis zur Umwelt und ihre Faszination für die Schönheit der Natur sehr greifbar und nachvollziehbar werden.
Von ihren Anfängen als Meeresforscherin über ihre journalistischen Radiobeiträge, die Laien für die Wunder der Natur begeisterte bis hin zu bahnbrechenden wissenschaftlichen Sachbüchern wie „The Sea Around Us“ erfährt der Leser eindrücklich, mit wie viel Enthusiasmus und sprachlichem Talent Carson komplexe ökologische Zusammenhänge zu vermitteln wusste. Dabei bleiben auch die Widerstände und Spannungen nicht unerwähnt, denen sie als Frau ohne Doktortitel trotz finanziellem Erfolg und wachsender Anerkennung in ihrem Umfeld und in der Wissenschaft begegnete – sei es durch Neid, Intrigen oder eine Gesellschaft, die unverheirateten Frauen nur begrenzte berufliche Erfolge einräumte.
Der Roman macht die Erfolge, privaten Schwierigkeiten und Rückschläge dieser ehrgeizigen, bewundernswerten Persönlichkeit ebenso greifbar wie auch ihre innere Haltung, ihre menschlichen Seiten und kleinen Schwächen.
Besonders spannend ist die Schilderung, wie sie schließlich in ihrem legendären Buch „Silent Spring“ die fatalen Folgen des ungezügelten Einsatzes von DDT, einem als harmloses Wundermittel propagierten Insektizids, offenlegte und sich als entschiedene Kämpferin für Umweltfragen mutig mit den Chemiekonzernen anlegte.
UM HÖRBUCH
Der Schauspielerin und Sprecherin Elke Schützhold gelingt es mit ihrer warmen, sensiblen Stimme hervorragend, Rachel Carson lebendig werden zu lassen. Sie fängt sowohl ihre innere Zerrissenheit als auch die tiefe Leidenschaft und ihr Engagement für die Natur mit einer überzeugenden Authentizität ein. Durch ihre nuancierte Betonung und ein fein abgestimmtes Sprechtempo gelingt es ihr, die verschiedenen Stimmungen und emotionalen Wendungen des Romans facettenreich und mit einer natürlichen Lebendigkeit zu vermitteln.
Auf diese Weise gelingt sie es ihr nicht nur, eine fesselnde Spannung aufzubauen, sondern auch mit stimmungsvollen Nuancen in den eindrucksvollen Naturbeschreibungen und poetischen Passagen einen Raum zum Nachdenken und Verweilen zu schaffen. Die Hörfassung wird so zu einem unterhaltsamen und berührenden Hörerlebnis für alle, die Rachel Carsons Biografie und ihr Wirken neu entdecken wollen.
FAZIT
Eine fesselnde und einfühlsame Romanbiografie, die Rachel Carsons Leben und Werk in all ihrer Vielschichtigkeit lebendig werden lässt.
Für alle, die sich für Frauen in der Wissenschaft und Geschichte interessieren, sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 30.08.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


sehr gut

*Ein berührender Roman voller Musik*
In seinem neusten Roman „Strandgut“ erzählt der mehrfach ausgezeichnete britische Autor Benjamin Myers eine herzerwärmende, humorvolle und zugleich tiefgründige Geschichte über ungewöhnliche Freundschaften, Schicksalsschläge, das Älterwerden und zweite Chancen selbst in späten Lebensjahren.
Zugleich hat der Autor mit seinem feinfühlig erzählten Roman eine beeindruckende Hommage an die Magie und heilende Kraft von Musik verfasst.
Im Mittelpunkt der berührenden Geschichte steht Earlon „Bucky“ Bronco, ein über siebzigjähriger, vom Leben gezeichneter Soulsänger aus Chicago, der als Teenager zwei Soul-Hits für eine lächerlich geringe Einmalzahlung aufgenommen hat und dem durch tragische Umstände eine Musikkarriere verwehrt blieb. Nach dem kürzlichen Tod seiner geliebten Frau Maybellene ist er in Apathie versunken und hält seine Schmerzen mit Opioiden in Schach. Völlig unerwartet erhält Bucky eine Einladung zu einem Soul-Festival im nordenglischen Badeort Scarborough, wo er ein Comeback-Konzert geben soll.
Was er nicht ahnt, ist, dass seine alten Songs unter Großbritanniens Soul-Fangemeinde inzwischen Kultstatus genießen.

Gleich zu Beginn haben mich die faszinierende, beinahe nostalgisch angehauchte Atmosphäre dieser Erzählung und ihre subtile Melancholie in ihren Bann gezogen. Mit seinem entschleunigten, sehr poetischen Schreibstil ist Myers ein Meister der leisen Töne und feinen Nuancen. Mit detailreichen Schilderungen fängt er nicht nur gekonnt die raue Schönheit der nordenglischen Küstenlandschaft und Natur ein, sondern auch das komplexe Innenleben seiner Charaktere.
Myers versteht es hervorragend, seine Figuren und ihre Lebenswege mit wenigen Strichen lebendig und glaubwürdig zu zeichnen. Ihm gelingt es, die Gefühle und Stimmungen seiner Figuren und ihre innere Entwicklung authentisch und einfühlsam zu vermitteln. Ob nun Bucky in seiner beklemmenden Verlorenheit und Drogenmissbrauch, dessen tragische Vergangenheit erst nach und nach enthüllt wird, oder Dinah, einer vom Leben ebenfalls völlig desillusionierten Supermarktkassiererin und großem Fan von Buckys Songs, - sie alle sind vielschichtige Persönlichkeiten, die mit ihrer Herzlichkeit, ihrem feinsinnigen Humor und ihren Dämonen gleichermaßen berühren und dem Roman eine besondere emotionale Tiefe verleihen.

Beeindruckend ist es mitzuerleben, wie Buckys Begegnung mit Dinah sich allmählich zu einem Wendepunkt für beide entwickelt: Sie schenken einander Halt und schöpfen neue Hoffnung. Myers gelingt es dabei, ihre bedrückende Einsamkeit eindrucksvoll zu vermitteln und das Gefühl, am Rand der Gesellschaft gestrandet zu sein, für uns sehr greifbar zu machen.
Besonders gefallen hat mir, wie einfühlsam und detailreich Myers die faszinierende Welt des Northern Soul und ihre leidenschaftliche Fangemeinde porträtiert – eine Subkultur, die mir zuvor völlig fremd war. Seine Verbundenheit und Begeisterung für die Musik sind auf jeder Seite spürbar.

Mit großer Sensibilität zeigt Myers in seiner bewegenden und nachdenklich stimmenden Geschichte, wie Musik, Freundschaft und wertvolle Erinnerungen dabei helfen können, die dunklen Seiten des Lebens und den grauen Alltag zu überwinden. Er schließt den Roman mit der ermutigenden Botschaft, dass es niemals zu spät ist, einen Neuanfang zu wagen.

Bewertung vom 28.08.2025
Leciejewski, Barbara

Am Meer ist es schön


ausgezeichnet

*Ein Meer voller Narben – ein bewegender Roman*
Mit ihrem neuen Roman „Am Meer ist es schön“ widmet sich Barbara Leciejewski einem bislang verdrängten und wenig beachteten Kapitel der deutschen Nachkriegszeit und rückt das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder eindrucksvoll in den Mittelpunkt. Unter dem harmlos anmutenden Deckmantel einer „Gesundungskur“ mussten zahllose Kinder seelische und körperliche Misshandlungen erdulden.
Mit feinem Gespür für Sprache und Psychologie gelingt der Autorin eine authentische und berührende Aufarbeitung dieses erschütternden Themas und setzt ein kraftvolles Zeichen gegen das Vergessen.
Die Handlung ist geschickt auf zwei miteinander verwobenen Zeitebenen angelegt und pendelt zwischen der Kindheit und der Gegenwart der Protagonistin Susanne. Im Rückblick begegnen wir der achtjährigen Susanne, die im Sommer 1969 von ihren Eltern zur vermeintlichen Erholung ins Kinderkurheim „Haus Morgentau“ an die Nordsee geschickt wird.
Aus der kindlichen Perspektive schildert die Autorin eindringlich das vermeintliche Ferienidyll und lässt uns hautnah miterleben, wie der Aufenthalt am Meer in einen realen Albtraum umschlägt. Sie macht den Alltag der Kinder im Heim unter den strengen, oft willkürlichen Regeln ebenso erfahrbar wie die beständige Bedrohung durch Einschüchterungen und harte Strafen durch die autoritären Erzieherinnen. Die unerträgliche Atmosphäre der Angst und Ohnmacht wird dabei ebenso fassbar wie das Gefühl des Ausgeliefertseins unter der rigiden „schwarzen Pädagogik“ der sogenannten „Tanten“.
Mit ihrem lebendigen, einfühlsamen Schreibstil entwirft sie ein vielschichtiges, erschütterndes Porträt alltäglicher Demütigungen und Grausamkeiten, und macht eindrücklich sichtbar, wie systematische Misshandlungen tiefe Spuren auf der kindlichen Seele hinterlassen.
Ihr gelingt es hervorragend, das Gefühl der Hilflosigkeit und das Leiden unter der allgegenwärtigen Angst so authentisch und ergreifend darzustellen, dass man sich dem Sog der Geschichte kaum entziehen kann. Äußerst anschaulich zeigt Leciejewski in vielen kleinen Alltagsszenen, wie Freundschaft, Solidarität und Mitgefühl zwischen den Kindern wachsen und zum wertvollen Schutzraum werden. Inmitten der traumatischen Erlebnisse gelingt es den jungen Protagonisten, sich gegenseitig Hoffnung und Halt zu schenken und auf diese Weise den beklemmenden Alltag zu überstehen, ja sogar zarten Widerstand gegen die Willkür der Erwachsenen zu formen. Mit schonungsloser Offenheit zeigt Leciejewski das kollektive Versagen von damaligen Institutionen aber auch Erwachsenen auf, die mit ihrem Schweigen die Kinder in ihrem Schmerz und ihren lebenslangen Traumata alleingelassen haben.
Gekonnt hat Leciejewski Susannes berührende Lebensgeschichte so angelegt, dass sie in kreisförmigen Bewegungen immer wieder zu den prägenden Wendepunkten und Verletzungen ihrer Kindheit zurückkehrt. So entsteht ein vielschichtiges Bild, in dem Vergangenheit und Gegenwart geschickt miteinander verwoben sind und für viel Spannung und emotionale Intensität sorgen.
Im Erzählstrang des Jahres 2018 begegnen wir Susanne am Sterbebett ihrer Mutter im Pflegeheim. Viele Jahrzehnte nach den Ereignissen ihrer Kindheit ringt sie gemeinsam mit ihrer eigenen Tochter darum, sich dem alten Trauma zu stellen und Antworten zu finden. Leciejewski versteht es hervorragend, einen Bogen zur Gegenwart zu spannen und faszinierende Parallelen im Umgang mit Abhängigkeit, Kontrolle und dem Verlust von Würde am Beispiel der heutigen Pflegeheime zu beleuchten. Eindrucksvoll gelingt es ihr, eine Auseinandersetzung darüber anzuregen, wie vergangene Verletzungen bis ins Jetzt hineinwirken und weitere Generationen berühren.
FAZIT
Ein bewegender Roman über das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder, der mit viel Empathie und schonungsloser Offenheit ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte ans Licht bringt. Ein wichtiger literarischer Beitrag – eindringlich, vielschichtig und zutiefst berührend!

Bewertung vom 28.08.2025
Berkel, Christian

Sputnik


sehr gut

*Bemerkenswerte Einblicke*
Mit seinen beiden autofiktionalen Romanen „Der Apfelbaum“ und „Ada“ hat sich der bekannte Schauspieler Christian Berkel auf ein sehr ambitioniertes und zutiefst persönliches Projekt eingelassen, das uns tief in die eindrucksvolle und bewegende Geschichte seiner Familie eintauchen lässt. Sehr eindrucksvoll hat er seine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und seinen persönlichen Erfahrungen mit den dramatischen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts und der deutschen Zeitgeschichte verwoben.
Mit „Sputnik“, dem dritten Band seiner Familien-Trilogie, knüpft Berkel an sein bisheriges Werk an und nimmt nun seine eigene Biografie zum Ausgangspunkt, um auf die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend zurückzublicken. Er bleibt seinem mitreißenden Erzählstil treu und versteht es erneut, autobiografische Elemente gekonnt mit literarischer Fiktion zu einer abwechslungsreichen, atmosphärisch dichten Geschichte zu verflechten. Aus zahlreichen Erinnerungen und Anekdoten setzt er in seiner faszinierenden Rückschau ein facettenreiches Bild seiner Familiengeschichte und seines persönlichen Werdegangs zusammen.
Mit viel Gespür und erzählerischem Feingefühl berichtet Berkel mal humorvoll, mal melancholisch und bisweilen poetisch von seiner innere Zerrissenheit, dem Aufbruch ins eigene Leben und schließlich dem schmerzhafte Prozess der Loslösung von seiner Herkunftsfamilie. Besonders detailreich und lebendig gelingt es ihm, die besondere Atmosphäre der Nachkriegszeit, das Flair der Pariser Bohème und die deutschen Theaterwelt der 1970er Jahre einzufangen.
Angeregt vom symbolträchtigen Ereignis des 4. Oktober 1957, an dem der erste Satellit Sputnik ins All startet, erhält der kurz darauf geborene Protagonist den Spitznamen Sputnik (russisch für Begleiter). Im ersten Teil des Romans gewährt Berkel aufschlussreiche Einblicke in seine Kindheit in West-Berlin, die von den Erzählungen seiner traumatisierten Mutter Sala geprägt ist. Ihre ganz eigene Sicht auf die Wirklichkeit formt das Familienleben, während die Bücher seines Vaters Otto, ihm eine Welt voller Geschichten eröffnen. Immer wieder stößt Berkel in seinem Umfeld auf das Schweigen über die Verbrechen der NS-Zeit und nimmt als Kind die Spannungen und unausgesprochenen Konflikte innerhalb der Familie sehr sensibel wahr. Er begreift das Leben wie ein großes Theater, in dem jeder eine Rolle zu spielen scheint – für ihn vielleicht die einzige Möglichkeit, die Welt zu verstehen.
Besonders fesselnd ist der 2. Abschnitt, in dem Berkel als Jugendlicher schließlich das Weite sucht und bei einer Gastfamilie in Paris lebt. Frankreich wird für ihn zum befreienden Gegenpol zur Schwere der Familiengeschichte und des kollektiven Traumas. Dort erlebt er eine Zeit voller Leichtigkeit, Freiheit und kulturellen Offenheit und taucht ein in die inspirierende Welt der Literatur, des Theaters, der Musik und der Sprache. Spannend ist es mitzuerleben, wie seine Jugendzeit ihm neue Perspektiven eröffnet und es ihm ermöglicht, sich als Schauspieler auszuprobieren, neue Beziehungen zu knüpfen, die Facetten von Liebe und Begehren zu erforschen und schließlich eine eigene Identität zu finden.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland begleiten wir den gereiften Sputnik weiter durch sein bewegtes Leben. An seiner Seite tauchen wir ein in die intellektuelle Szene der 68-Bewegung und erleben die pulsierende, experimentierfreudige Theaterlandschaft der 1970er Jahre, die sich in von revolutionärer Aufbruchstimmung geprägt ist. Wir nehmen Anteil an seiner Suche nach Identität, seinem Austesten von Rollen, neuen Lebensentwürfen und Drogen sowie an der intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Inmitten großer gesellschaftlicher und politischer Umbrüche setzt er eingehend mit der deutschen Nachkriegszeit auseinander und reflektiert über Schuld und Verantwortung.
Auch wenn mich im letzten Teil einige, etwas übersteigerte Episoden etwas weniger angesprochen haben, gelingt es Berkel doch mit großem Gespür für Atmosphäre den Bogen zu seinem Einstieg zu schlagen und die zahlreichen Mosaiksteinchen seiner persönlichen Reflexionen und Erinnerungen zu einer bewegenden, lebendigen Gesamtschau zu verdichten.
Seine faszinierende Reise in die Vergangenheit zeigt eindrucksvoll, dass wir ohne das Wissen um unsere Geschichte nie wirklich begreifen können, wer wir sind.
FAZIT
Ein berührendes und vielschichtiges Porträt einer bewegten Zeit und eines bewegten Lebens.
Eine empfehlenswerte Lektüre – auch wenn sie etwas an erzählerische Spannung vermissen lässt und nicht ganz an die Originalität der Vorgängerromane heranreicht.

Bewertung vom 25.08.2025
Mason, Simon

Ein Mord im November - Ein Fall für DI Wilkins


sehr gut

*Spannender, vielschichtiger Oxford-Krimi*
Mit seinem spannenden Kriminalroman „Ein Mord im November“ präsentiert der britische Autor Simon Mason einen vielversprechenden Auftakt einer neuen Reihe, die im altehrwürdigen Universitätsstadt Oxford angesiedelt ist und sich durch eine sozialkritische Note auszeichnet.
Im Mittelpunkt des Kriminalfalls steht das faszinierende und sehr originelle Ermittlerduo Detective Inspector Ray und Ryan Wilkins, das trotz desselben Nachnamens kaum unterschiedlicher sein könnte – sowohl hinsichtlich ihrer Herkunft als auch ihrer ermittlerischen Arbeitsweise.
Die beiden werden mit der Aufklärung eines mysteriösen Mordfalls an einer unbekannten jungen Frau beauftragt, die im Büro von Sir James Osborne, dem Provost des altehrwürdigen Barnabas College, tot aufgefunden wurde. Keine leichte Aufgabe, denn wegen fehlender Anhaltspunkte ist lange Zeit unklar, wer das Mordopfer überhaupt ist. Ihre Ermittlungen gehen in verschiedenste Richtungen und führen sie von elitären, privilegierten Universitätskreisen bis in die sozialen Brennpunkte der Stadt wie Blackbird Leys, wo Armut, soziale Spannungen und Unruhen den Alltag bestimmen. So eröffnet Mason uns einen ungewohnten Blick auf das traditionsreiche Oxford, das er eindrucksvoll als eine Stadt mit zwei Gesichtern porträtiert. Atmosphärisch dicht und schonungslos führt er uns die sozialen Gegensätze, gesellschaftlichen Abgründe und die Schattenseiten des akademischen Milieus vor Augen.
Die eigentliche Krimihandlung hat Mason äußerst komplex und vielschichtig angelegt, so dass es Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert, die vielen bedeutsamen Details zu erfassen und den roten Faden nicht zu verlieren.
Geschickt verwebt Mason in Nebenhandlungen zahlreiche Themen wie sexuelle Belästigung, Intrigen und Machtmissbrauch im akademischen Umfeld, dubiose Machenschaften eines umstrittenen milliardenschweren Scheichs sowie Flucht und Menschenhandel in seinen vielschichtigen Krimi. Immer neue Verdachtsmomente schaffen ein undurchschaubares Geflecht aus potentiellen Tatmotiven und Verdächtigen und sorgen für zahlreiche überraschende Wendungen. Mason gelingt es, die Spannung bis zum Schluss hochzuhalten und uns immer wieder auf falsche Fährten zu locken.
Der Autor versteht es hervorragend, lebensnahe und glaubwürdige Charaktere mit vielschichtigen Persönlichkeiten zu erschaffen.
Einfühlsam und tiefgründig hat der Autor seine faszinierenden Hauptfiguren mit ihren persönlichen Stärken und Schwächen ausgearbeitet, so dass man ihre Handlungen gut nachvollziehen kann. Besonders beeindruckt hat mich vor allem die komplexe Figur des aggressiven, unangepassten Underdogs Ryan, der aus einem Trailerpark stammt und eine Aversion gegen das Establishment hegt.
Mit seinen verbalen Entgleisungen und Wutausbrüchen wirkt er anfangs fast etwas überzeichnet, wird aber schließlich mit seiner Hintergrundgeschichte über seine soziale Prägung und seinen Verletzlichkeiten immer überzeugender und gewinnt an Tiefe. Ryans extremes Verhalten und seine wiederholten Regelverstöße werfen allerdings gelegentlich Fragen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit seiner Figur auf. Besonders gelungen ist zudem die Darstellung seiner liebevollen, fürsorglichen Beziehung als alleinerziehender Vater zu seinem kleinen Sohn, die uns die empathischen Seiten des Charakters hervorhebt. Während Ryan mit seinen höchst unkonventionellen Methoden die Ermitllungen vorantreibt, überzeugt der gebildete, wohlhabende Ray durch seine analytische Cleverness und angepasste Korrektheit. Als Universitätsabsolvent mit nigerianischen Wurzeln ist er charismatisch, sehr diszipliniert und ehrgeizig, doch muss auch er mit eigenen Unsicherheiten und dem starken Druck, sich in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft zu behaupten, kämpfen.
Das ungleiche Ermittlerduo Ray und Ryan Wilkins entwickelt eine faszinierende und glauwürdige Dynamik mit vielen Höhen und Tiefen und wächst einem zunehmend ans Herz. Im Verlauf der Ermittlungen wandelt sich ihre Beziehung von gegenseitiger Abneigung und Verachtung zu einer respektvollen Partnerschaft.
Mason verdichtet die Handlung zunehmend und verknüpft nach und nach die zahlreichen verwirrenden Details und Enthüllungen miteinander. Die vielen Nebenschauplätze lenken allerdings stellenweise sehr vom eigentlichen Kriminalfall ab. Gegen Ende hin zieht die Spannung nochmals deutlich an und der Krimi gipfelt in einem packenden Finale. Schließlich fügt sich alles zu einer erschütternden, für mich überraschenden, dabei jedoch sehr plausiblen und nachvollziehbaren Auflösung zusammen.
Ich bin sehr gespannt, auf die weitere Entwicklung im nächsten Band und hoffe sehr auf viele weitere packende Fälle für das ungleiche Ermittlerduo Wilkins.

Bewertung vom 16.08.2025
Nicholas, Anna

Das Teufelshorn


sehr gut

*Vielversprechender Auftakt einer neuen mallorquinischen Krimi-Reihe*
Mit ihrem stimmungsvollen Mallorca-Krimi „Das Teufelshorn“ hat die britische Autorin Anna Nicholas einen vielversprechenden Auftakt zu einer neuen Regionalkrimi-Reihe vorgelegt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 33jährige, ehemalige Polizistin Isabel Flores Montserrat, die eine kleine Agentur mit Ferienimmobilien leitet und, nachdem sie ihre Karriere als erfolgreiche Kommissarin an den Nagel gehängt hat, ein eher beschauliches Leben auf der Insel führt. Als jedoch ein kleines britisches Mädchen spurlos am Strand verschwindet, kann sie ihrem alten Freund Hauptkommissar Tolo Cabot ihre Mithilfe nicht verwehren und unterstützt ihn bei den immer verzwickter werdenden Ermittlungen. Schon bald hält sie nicht nur die mysteriöse Kindesentführung, sondern auch noch ein brutaler Mord an einem älteren Mann auf Trab.
Sehr schön stimmt das hübsche Cover mit einem idyllischen Postkartenmotiv auf den eher ruhigen Krimi mit viel Lokalkolorit ein. Mit viel Liebe zum Detail zeichnet die auf der Insel lebende Autorin ein authentisches Bild des mediterranen Lebens auf Mallorca abseits des trubeligen Massentourismus. Gekonnt entführt sie uns in eine idyllische Welt aus Olivenhainen, kleinen Bars und verschwiegenen Buchten ohne jedoch auch die Schattenseiten des Inselparadieses auszublenden.
Neben der idyllischen Landschaft, malerischen Dörfern und dem ländliche Hinterland beschreibt die Autorin die regionalen Besonderheiten lebendig und sehr anschaulich. Man merkt deutlich, dass die Autorin die Schauplätze hervorragend kennt und spürt ihre Liebe für Land und Leute. Glaubwürdig fängt sie das herrliche Flair der Mittelmeerinsel, die mediterrane Lebensart sowie die Eigenheiten ihrer Bewohner ein, so dass beim Lesen des Krimis ein herrliches Urlaubsfeeling aufkommt. Nicholas ansprechender Schreibstil ist sehr lebendig und bildhaft sowie oft von feinem Humor durchzogen. Die Autorin versteht es, mit ihren atmosphärisch dichten Beschreibungen die Handlung abwechslungsreich und unterhaltsam zu gestalten, so dass bei diesem klassischen Whodunnit kaum Längen aufkommen.
Geschickt hat Nicholas verschiedene Handlungsstränge miteinander verwoben und lässt zudem viel Raum für die persönlichen Belange der Charaktere. Obwohl die Handlung insgesamt gemächlich voranschreitet, versteht es die Autorin, eine subtile Spannung aufzubauen. Die verschiedenen Verdächtigen und mögliche Motive sind glaubwürdig ausgearbeitet, so dass man beim Lesen gut miträtseln kann. Nach geschickt platzierten, falschen Fährten und einigen unerwarteten Wendungen zieht der Spannungsbogen schließlich deutlich an und gipfelt in einem spannenden Showdown. Die Auflösung der Fälle ist zwar etwas vorhersehbar, aber in sich schlüssig und glaubhaft, auch wenn ich mir noch etwas mehr Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Tatmotiven gewünscht hätte.
ie verschiedenen Charaktere sind abhängig von ihrer Rolle vielschichtig und glaubwürdig ausgearbeitet. Äußerst gelungen ist vor allem die sympathische und sehr authentisch wirkende Hauptfigur Isabel Flores Montserrat und ihr interessantes Privatleben. Sie ist eine bemerkenswerte Frau mit Ecken und Kanten und eine versierte Ermittlerin, die sich von ihrer untrüglichen Intuition leiten lässt. Insbesondere ihr feines Gespür für menschliche Befindlichkeiten und ihre umfassende Kenntnis der lokalen Verhältnisse kommen ihr bei ihren Ermittlungen zugute.
Teilweise etwas stereotyp und eindimensional wirken allerdings einige Nebenfiguren.

FAZIT
Insgesamt ein ruhiger, aber sehr stimmungsvoller und unterhaltsamer Regionalkrimi - mit einem vielschichtigen Fall, viel mallorquinischem Lokalkolorit und einer sympathischen Ermittlerin. Ein gelungener Krimi-Auftakt, der Lust auf neue Fälle mit Isabel Flores Montserrat macht und auf einen weiteren literarischen Kurzurlaub auf Mallorca!

Bewertung vom 16.08.2025
Deya, Claire

Eine Welt nur für uns


sehr gut

*Vielschichtiger historischer Roman*
Mit ihrem historischen Roman "Eine Welt nur für uns" gelingt der französischen Autorin Claire Deya eine eindrucksvolle und facettenreiche Darstellung der unmittelbaren Nachkriegszeit in Frankreich im Jahr 1945 gelungen. Auch nach dem offiziellen Waffenstillstand bleiben die verheerenden Folgen des Kriegs allgegenwärtig und prägen das Leben der Menschen nachhaltig. Feinfühlig und atmosphärisch dicht erkundet Deya die menschliche Natur in Zeiten extremer Herausforderungen - zwischen Desillusionierung, Zerstörung, Versöhnung, Hoffnung und Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg. Mit der gefahrvollen Minenräumung an den Stränden der Côte d’Azur widmet sich die Autorin zudem einem wenig bekannten Aspekt jener Zeit.
Angesiedelt ist die Handlung in der südfranzösischen Küstenstadt Hyères.
Durch wechselnde Erzählperspektiven gewinnen wir vielschichtige Einblicke in das Leben und die Gefühlswelt der unterschiedlichen Figuren. Sie kämpfen nicht nur täglich ums Überleben, sondern müssen sich auch ihren Traumata stellen und nach einem neuen Sinn für ihr Leben suchen.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht der französische Arzt Vincent, der nach seiner Rückkehr aus deutscher Kriegsgefangenschaft verzweifelt nach seiner große Liebe Ariane sucht, die spurlos verschwunden ist. Seine Nachforschungen führt ihn zu einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Minenräumern, die aus ehemaligen Resistancekämpfern, Freiwilligen und deutschen Kriegsgefangenen besteht. Unter ihnen ist auch der Deutsche Lukas, der seine lebensgefährliche Arbeit als Chance für einen Fluchtversuch sieht. Vincent erhofft sich von ihm Hinweise auf Arianes Verbleib zu erhalten.
Parallel dazu lernen wir die junge Jüdin Saskia kennen, deren Schicksal bersonders erschüttert. Als einzige Überlebende ihrer Familie kehrt sie zurück und muss fassungslos feststellen, dass ihr einstiges Elternhaus inzwischen von einer anderen Familie bewohnt wird. Buchstäblich vor dem Nichts stehend begegnet das traumatisierte Mädchen Vincent, der ihr Unterschlupf gewährt.
Deya entwirft ein vielschichtiges Porträt der französischen Gesellschaft sowohl während der Besatzungszeit als auch im Übergang zur Nachkriegsordnung. Mit atmosphärisch dichten und detailreichen Schilderungen gelingt es ihr, die beklemmende und angespannte Stimmung jener Zeit einzufangen. Eindringlich beleuchtet sie die komplexe Realität dieser Epoche, die von tiefem Misstrauen, gesellschaftlichen Umbrüchen und vielfältigen moralischen Verstrickungen geprägt war, aber auch von Menschlichkeit, Versöhnung und Hoffnung auf Normalität.
Für besondere Authentizität und Spannung sorgen die präzise recherchierten und anschaulich geschilderten Minenräumarbeiten. Wir erleben die nervenaufreibenden, lebensgefährlichen Einsätze hautnah mit, bei denen ehemalige Feinde Seite an Seite arbeiten müssen – eine Aufgabe, die höchste Konzentration, gegenseitiges Vertrauen und eingespieltes Teamwork verlangt.
Sehr einfühlsam und differenziert sind die faszinierenden Charaktere gezeichnet. Ihre komplexen Persönlichkeiten und inneren Widersprüchlichkeiten sind sorgfältig und überzeugend ausgearbeitet. Eindrücklich stellt Deya die Verletzlichkeiten, Schwächen, Ängste und moralischen Dilemmata ihrer Figuren in all den verschiedenen Grautöne des menschlichen Verhaltens dar. Besonders anschaulich sind sind nicht nur die psychologischen Spannungen zwischen den Figuren ausgearbeitet, sondern auch das fragile Band von Vertrauen und Freundschaft, dass sich allmählich zwischen den Minenräumern entwickelt.
Die Figuren und ihre inneren Konflikte hätten allerdings deutlich glaubwürdiger und authentischer gewirkt, wenn die Autorin sie stärker durch ihr Handeln, ihre Entscheidungen und Reaktionen hätte sprechen lassen, statt ihre Gefühle und Motive explizit zu benennen. Zudem wirkt die Darstellung der deutsch-französischen Zusammenarbeit etwas idealisiert; tief verwurzelte Ressentiments, gegenseitige Vorbehalte und Misstrauen hätten noch tiefgründiger thematisiert werden können.
Besonders lesenswert ist das interessante Nachwort der Autorin, in dem sie autobiografische Bezüge offen legt. Die Figur des Vincent basiert auf Deyas Großvater, dessen Briefe aus der deutschen Kriegsgefangenschaft als Vorlage für den Roman dienten. Auch Saskia ist keine erfundene Figur, sondern geht auf eine reale Begegnung der Autorin mit einer KZ-Überlebenden zurück, die ihr ihre Geschichte anvertraute. Diese Authentizität und emotionale Tiefe sind auf jeder Seite des Romans spürbar und machen ihn zu einem ein bewegenden Leseerlebnis, das lange nachhallt.
FAZIT
Ein vielschichtiger, atmosphärisch dichter Roman, der eine wenig bekannte Facette der französischen Nachkriegszeit beleuchtet und trotz kleiner Schwächen durch seine emotionale Tiefe und Authentizität zu überzeugen weiß.
Ein bewegender Roman, der die Erinnerung an eine schwierige Zeit lebendig hält und zum Nachdenken anregt.