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Magda
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Köln

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Insgesamt 305 Bewertungen
Bewertung vom 17.10.2025
See, Lisa

Die Geschichte der Lady Tan


ausgezeichnet

Die Geschichte der Lady Tan beruht auf dem Leben von Tan Yunxian, einer Vorfahrin der Autorin Lisa See, die im China des 15. Jahrhunderts als Ärztin praktiziert hatte.
Yunxian wächst wohlbehütet in einem wohlhabenden Haushalt auf, ihr Vater ist hoher kaiserlicher Beamter im Strafministerium. Ihre Mutter stirbt, als Yunxian acht Jahre alt ist. Sie hat das höchste Ziel im Leben einer Frau erfüllt und Söhne geboren. Nachdem diese an der Pockenepidemie gestorben sind, fehlt ihr der Wille weiterzuleben. Sie vernachlässigt die Pflege ihrer gebundenen Füße und stirbt an einer Infektion. Yunxian ist vom Tod ihrer geliebten Mutter tief erschüttert. Die Mutter wurde vom Arzt der Familie behandelt, der sie nie sehen durfte. Verborgen hinter einem Wandschirm stellte er Fragen über ihre Beschwerden.
Yunxians Großmutter ist Ärztin, sie hat sich auf die Behandlung von Frauen spezialisiert und führt ihre Enkeltochter in die Welt der traditionellen chinesischen Medizin ein. „Dieser Band enthält Rezepturen und Behandlungen, die mehr als zweihundert Jahre alt sind. Beginne damit, die ersten drei Rezepturen auswendig zu lernen. Sobald du sie fehlerfrei aufsagen kannst, kommt du zu mir und zählst die Beschwerden auf, bei denen sie am wirksamsten sind und wie man sie am besten anwendet.“ (S. 69).
Die Großmutter macht Yunxian mit Meiling, der Tochter der Hebamme, bekannt. Die beiden bleiben bis ins hohe Alter enge Freundinnen.
Mit fünfzehn Jahren wird Yunxian standesgemäß verheiratet. Sie wird von nun an Lady Tan genannt und widmet sich ihrer Lebensaufgabe, Söhne zu gebären.
Mir hat Die Geschichte der Lady Tan außerordentlich gut gefallen. Vieles war mir neu, vieles hat mich schockiert, allem voran die Tradition der gebundenen Füße, die viele Frauen das Leben gekostet hatte. Auf den verkrüppelten, oft nur zehn Zentimeter langen Füssen konnten sie sich nur langsam und schwankend fortbewegen. Eines von zehn Mädchen ist während der zweijährigen Prozedur des Füßebindens gestorben.
Unglaublich fand ich die Tradition der Konkubinen. Es war üblich, dass Konkubinen neben der Ehefrau im Haushalt eines wohlhabenden Mannes lebten. Wenn die Ehefrau keinen Sohn geboren hatte, wurde dieser stattdessen mit der Konkubine gezeugt und von der Ehefrau als Ritualsohn angenommen.
Die übersetzten chinesischen Namen und Bezeichnungen haben mir sehr gut gefallen: Die Menstruation wird als Monatliches Mondwasser bezeichnet, die Gebärmutter ist Der Palast des Kindes. Die Dienerin heißt Mohnblüte, Lady Tan lebt im Garten der duftenden Freuden.
Für mich hat sich mit diesem Buch eine für mich bisher gänzlich unbekannte Welt eines Frauenlebens und der Frauenmedizin vor mehr als fünfhundert Jahren in China erschlossen. Das Leben der Lady Tan und den Einblick in die traditionelle chinesische Medizin fand ich faszinierend und unglaublich spannend. Gerne empfehle ich das Buch weiter und vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 14.10.2025
Fröhlich, Susanne

Ungezügelt / Andrea Schnidt Bd.13


ausgezeichnet

Von Anfang an lese ich die Susanne Fröhlichs Reihe um Andrea Schnidt. Die Protagonistin und ich sind in einem ähnlichen Alter, wir haben fast zur selben Zeit Kinder bekommen, jetzt sind sie erwachsen.
Andrea, 60, ist in zweiter Ehe glücklich mit dem Orthopäden Paul verheiratet. Nachdem sie ihren Job als Texterin verloren hatte, will sie sich beruflich neu orientieren. Sie beschließt, ein Buch zu schreiben. So schwer kann das ja nicht sein :-; Sie findet einen Verlag und bekommt einen kleinen Vorschluss. Als Gegenpol zu New Adult soll es eine Old Romance werden, also eine Liebesgeschichte mit älteren Protagonisten. Andreas Problem stellt der Wunsch ihrer Lektorin nach „spicy“ Szenen dar. Ihr Mann Paul weiß von nichts und wird sich noch sehr wundern.
Rudi, 90+, ist Andreas geliebter Ex-Schwiegervater. Rudi möchte mindestens 110 Jahre alt werden und überzeugt Andrea von seinem Longevity-Projekt. Gesunde Ernährung und Sport sollen von nun an in ihren Alltag Einzug halten. Andrea fügt sich, auch wenn sich ihre Begeisterung, ihr Wille und vor allem ihre Disziplin sehr in Grenzen halten.
Eine große Rolle in Andreas Leben spielen ihre Enkelsöhne: Halvar und Kolbeinn. Mit dem fünfjährigen Halvar und Rudi macht sie einen Roadtrip nach München zu ihrer Freundin Heike.
Auch bei diesem Band der Reihe habe ich wieder viel gelacht, Susanne Fröhlich hat einen wunderbaren trockenen Humor, der es immer wieder schafft, meine Lachmuskeln zu strapazieren.
Ich hoffe, dass die Reihe noch lange fortgesetzt wird und Andrea Schnidt und ich gemeinsam alt werden. Das Ende lässt mich hoffen, denn Andrea hat ein neues berufliches Projekt, über welches es bestimmt viel zu erzählen geben wird. Gerne empfehle ich das Buch an Frauen 50+ weiter, den Jüngeren empfehle ich, erst noch die Vorgängerbände der Reihe zu lesen.

Bewertung vom 04.10.2025
Kingsolver, Barbara

Die Unbehausten


sehr gut

Die Unbehausten von Barbara Kingsolver habe ich teils gelesen und teils gehört, wunderbar eingelesen von Vera Teltz. Die Geschichte spielt in Vineland, New Jersey auf zwei Zeitebenen und hat auf den über 600 Seiten leider einige Längen.
Das Leben der Journalistin, Mutter, Ehefrau und Schwiegertochter Willa Knox läuft aus dem Ruder: Sie bekommt keine Aufträge, ihr Mann Iano verliert seinen Lehrauftrag an der Uni, Sohn Zeke wird alleinerziehender Vater und die 26jährige Tochter Tik kehrt nach längerer Abwesenheit unerwartet in den Schoß der Familie zurück.
Willas Schwiegervater Nik, großer Anhänger der Republikaner und ihres Präsidentschaftskandidaten, ist pflegebedürftig, doch mangels Krankenversicherung kann sich die Familie keinen Pflegedienst leisten und Willa übernimmt notgedrungen seine Pflege– zusätzlich zur Versorgung ihres neugeborenen Enkels Dusty, dessen Mutter kurz nach seiner Geburt den Freitod gewählt hatte. Willas Sohn Zeke überlässt seinen Sohn nur allzu gern seiner Mutter, um sich statt der Babypflege seiner Karriere zu widmen.
Glücklicherweise verliebt sich Zekes Schwester Tik in ihren kleinen Neffen und hilft ihrer Mutter bei der Versorgung des Babys.
Das Haus, in dem die Familie wohnt, stürzt beinahe zusammen. Ein Gutachter bezeichnet es als Ruine, doch einen Umzug und ein neues Zuhause kann sich die Familie nicht leisten. Da das Haus weit über hundert Jahre alt ist, wendet sich Willa an die Vineland Historical Society. Sie hofft, dass eine berühmte historische Persönlichkeit in ihrem Haus gewohnt hatte und stößt dabei tatsächlich auf die Naturforscherin Mary Treat und ihren Nachbarn, den Naturkundelehrer Thatcher.
150 Jahre zuvor begleiten wir den jungen Lehrer Thatcher, der von seiner Nachbarin Mary Treat fasziniert ist. Diese erforscht Pflanzen und Insekten und korrespondiert mit Charles Darwin.
Der Handlungsstrang in der Vergangenheit konnte mich nicht fesseln. Es waren mir zu viele ausschweifende Gespräche über Darwin, seine Evolutionstheorie und die diesbezügliche kontroverse Meinung der Kirche.
Die Handlung in der Gegenwart hat mir gut gefallen. Ich habe Willa und ihre Familie gern begleitet und einige Kose- und Schimpfwörter auf Griechisch gelernt, erstere von Willas Mann, letztere von ihrem Schwiegervater. Willa mochte ich sehr und habe es bewundert, wie sie Haushalt, Baby- und Altenpflege gemanagt und nebenbei die Geschichte ihres Hauses erforscht hatte. Aufgrund der Längen ziehe ich einen Stern ab und vergebe vier Sterne und eine Lese- und vor allem Hörempfehlung für diese teils komische und teils melancholische Geschichte einer griechisch-amerikanischen Familie aus New Jersey.

Bewertung vom 25.09.2025
Schwenk, Lina

Blinde Geister


sehr gut

Blinde Geister von Lina Schwenk steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2025. Das mit knapp 200 Seiten nicht sehr umfangreiche Buch lässt mich etwas ratlos zurück.
Karl und Rita haben zwei Töchter: Olivia und Martha. Die Mädchen werden irgendwann in den 1950er Jahren geboren. Seit dem Krieg hat Karl Angst vor Bombardierungen, regelmäßig packt er einen Koffer, nimmt Vorräte mit und zieht mit Frau und Töchtern in den Keller. Irgendwann weigert sich Martha, ihre Eltern und die Schwester in den Keller zu begleiten.
„Es ist ständig irgendwo Krieg. Bloß stört das die meisten nicht. Für uns hieß das Familienzeit, die Füße in dicken Strümpfen, ohne Tageslicht zusammenhocken, nächtelang.“
Als junge Frau ist Olivia eine Zeitlang in der Psychiatrie. Sie heiratet Paul, der aus einer deutsch-norwegischen Familie stammt. Über Martha und Olivias Tochter Ava erfahren wir nur wenig.
Der Roman besteht aus Momentaufnahmen aus Olivias Leben, ihrer Kindheit, Jugend, ihrem Berufsleben als Krankenschwester bis hin zum Ruhestand. Die großen Zeitsprünge lassen zu viele Fragen offen, Jahresangaben fehlen, so dass ich oft nicht wusste, in welchem Jahr die Handlung gerade spielt. Cover und Schreibstil gefallen mir sehr. Es ist kein Buch, das man in einem Rutsch durchliest, es regt zum Innehalten und Nachdenken an. Es lässt mich bedrückt zurück, das einzig Schöne im Buch ist die tiefe Liebe zwischen Karl und Rita.

Bewertung vom 23.09.2025
Moyes, Jojo

Ein ganz besonderer Ort


ausgezeichnet

Von Jojo Moyes habe ich schon viele Bücher gelesen, ich mag ihren Sprachstil sehr. Auch Ein ganz besonderer Ort hat mir gut gefallen. Aus dem Englischen von Karoline Fell.

1963: Gutsbesitzer Douglas Fairley-Hulme ist schon immer Vivis große Liebe gewesen. Auf einem Fest, das die beiden zusammen besuchen, verliebt Douglas sich in Athene Forster, das Enfant terrible der britischen Oberschicht. Die beiden heiraten, doch es dauert nicht lange, bis Vivi eine zweite Chance bei Douglas bekommt.

Mehr als dreißig Jahre später sind Vivis und Douglas‘ drei Kinder Suzanna, Lucy und Ben erwachsen. Suzanna sieht ihrer Mutter Athene sehr ähnlich, sie kennt sie nur von dem Gemälde in der Ahnengalerie des Familienanwesens. Obwohl Vivi sie genauso liebevoll behandelt wie ihre eigenen Kinder, fühlt sich Suzanna als Athenes Tochter ihren Geschwistern unterlegen.

Suzanna eröffnet in ihrer Heimatstadt Dere Hampton das „Peacock Emporium“ einen kleinen Laden mit Dekoartikeln, in dem sie auch Getränke anbietet. Der Laden findet zunächst nur wenig Zuspruch, doch dann kommt Jessie: Die junge Frau wirbelt den Laden auf, sie kennt alle Dorfbewohner und hält mit jedem ein Schwätzchen, das Peacock Emporium boomt!

Einer der Stammkunden im Laden ist der argentinische Geburtshelfer Alejandro. Wir erfahren einiges über Argentinien und Alejandros Familie. Sowohl Suzanna als auch Jessie freunden sich mit dem sympathischen Ale an, die drei verbringen viel Zeit miteinander. Doch da gibt es noch Jessies Ehemann Jason, der krankhaft eifersüchtig und cholerisch veranlagt ist. Als er Jessie und Alejandro zusammen sieht, brennen bei ihm alle Sicherungen durch.

Ich habe das Buch sehr gern gelesen. Besonders Vivi und Alejandro habe ich ins Herz geschlossen. Witzig fand ich die Anekdoten mit Vivis schwerhöriger Schwiegermutter Rosemary und ihrem betagten Kater. Ich lese gern Bücher Mütter und Töchter und dieses hat mir nicht viel Konzentration, dafür aber das eine oder andere Schmunzeln und auch mal ein Tränchen abverlangt. Ich mochte die Liebesgeschichte und fand es spannend zu erfahren, was damals mit Athene und Suzanna passiert ist. Von mir ⭐⭐⭐⭐⭐ und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 22.09.2025
Wünsche, Christiane

Es bleibt doch in der Familie (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Christiane Wünsche zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, ich habe alle ihre Familienromane sehr gern gelesen und auch mit dem neuesten Es bleibt doch in der Familie hat sie meine Erwartungen erfüllt. Es geht um eine Erbengemeinschaft und deren Umgang mit dem Erbe nach dem Tod ihrer Tante Klara.
Klara lebte seit ihrer Heirat in den 1950er Jahren auf der Rheininsel Hohenwerth. Die Insel ist vom Festland aus nur mit dem Boot erreichbar, Klara lebte dort seit dem frühen Tod ihres Mannes ganz alleine. Bis zu einem Vorfall in den Achtziger Jahren lud sie ihre beiden Schwestern und deren Kinder jeden Sommer zu sich auf die Insel ein. Sie hat ihr Erbe zu gleichen Teilen den sechs Kindern ihrer Schwestern und einer unbekannten siebten Person vermacht, die sie in ihrem Testament als ihre große Liebe bezeichnet.
Klaras älteste Nichte Marlene hat den meisten Kontakt zu ihrer Tante. Sie lebt allein und arbeitet als Klavierlehrerin. Klaras Klavier ist das einzige, an dem sie vom Erbe ihrer Tante interessiert ist. Sie ist traurig darüber, dass Klara ihr nie von ihrer großen Liebe erzählt hatte.
Der Roman ist aus der Perspektive der drei Schwestern Marlene, Esther und Nicky geschrieben. Esther ist verheiratet, hat zwei Söhne und wird bald Oma. Nicky ist geschieden und hat eine erwachsene Tochter, ihr Zwillingsbruder Andy lebt mit seinem Mann in Australien.
Bei der Testamentseröffnung gibt es neben der Enthüllung der Identität von Klaras großer Liebe eine weitere Überraschung für die Familie. Ihnen wird eine Frist von vier Wochen eingeräumt, um zu entscheiden, wie sie mit dem Erbe verfahren wollen, Klaras einzige Bedingung ist, dass die Entscheidung einmütig getroffen wird.
Marlene ist mein Lieblingscharakter in dem Roman, sie ist meiner Meinung nach die Einzige unter Klaras Neffen und Nichten, die das Erbe verdient hatte. „Ihr wurde schmerzlich bewusst, dass sie ihr bisheriges Leben lang auf der Suche gewesen war, was sie als Frau eigentlich ausmachte. In früheren Zeiten hätte man sie vielleicht als alte Jungfer eingestuft, als kinderlose unverheiratete Frau ohne Aussicht, eine eigene Familie zu gründen und damit in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Doch obwohl es sie schmerzte, kein Kind zu haben, war sie zu keiner Zeit gesellschaftlich geächtet oder wegen ihres Singledaseins angefeindet worden.“ Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder Andi, der aufgrund seiner Homosexualität oft angefeindet wurde.
Marlene findet Antworten auf ihre Fragen in Peters Tagebüchern, doch was damals wirklich passiert ist, erfahren wir erst am Ende des Romans.
Ich habe das Buch in kurzer Zeit verschlungen, da immer wieder neue Fragen aufgetaucht sind, auf die ich Antworten haben wollte, allen voran: Wer war Klaras große Liebe und war Peters Tod wirklich ein Unfall? Besonders gut gefallen hat mir die Entwicklung von Michael, der seine ignorante und arrogante Einstellung zu Menschen, die in seinen Augen nicht „normal“ sind, überdacht hatte. Als Familienmensch habe ich mich auch sehr darüber gefreut, dass sich die sechs Cousins und Cousinen im Zuge der Erbangelegenheit wieder angenähert hatten. Christiane Wünsche hat erneut einen spannenden und interessanten Roman geschrieben, den ich sehr gern weiterempfehle.

Bewertung vom 06.09.2025
Ahrens, Henning

Jahre zwischen Hund und Wolf


ausgezeichnet

Jahre zwischen Hund und Wolf von Henning Ahrens ist das erste Buch, das ich von dem Autor gelesen habe. Sein Buch Mitgift wurde 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert, was mich nicht überrascht. Jahre zwischen Hund und Wolf hat mir sehr gut gefallen.
Hardy ist Comiczeichner. Er kommt ursprünglich aus Kiel, lebt aber seit einigen Jahren in einem kleinen Dorf in der Normandie. Seine Freundin Aîné betreibt den örtlichen Blumenladen.
Zwei Ereignisse erschüttern Hardys ruhiges Leben, erstens: Er findet am Strand die Erkennungsmarke eines deutschen Soldaten. Sein Freund Vincent, der capitaine de police, findet die Enkeltochter des in der Normandie während des Zweiten Weltkriegs gefallenen deutschen Soldaten. Gisela Krause reist in die Normandie, um sich persönlich bei Hardy zu bedanken.
Das zweite wichtige Ereignis ist die Traueranzeige einer Frau, deren Name ihm nichts sagt. Neugierig reist er nach Kiel, um an der Trauerfeier teilzunehmen. Es stellt sich heraus, dass er den betagten Golden Retriever Brahma geerbt hatte. Er nimmt den Hundesenior mit in die Normandie, wo er ihm einen schönen Lebensabend beschert.
Wir begleiten Hardy in seinem Alltag als Comiczeichner. Er arbeitet am 12. Band einer Fantasy-Reihe, würde aber viel lieber eine Graphic Novel über die Zeit der deutschen Besatzung in der Normandie schreiben. Dafür befragt er den betagten Veteranen Jean-Jacques: „Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie zu den neuen deutschen Nazi-Wölfen im Schafspelz zählen. Übrigens erschreckend, aber was uns Franzosen betrifft, so haben wir nichts vergessen, und wir werden nie vergessen. Wir bleiben wachsam, Monsieur.“ In der Normandie wird jährlich der D-Day groß gefeiert, der Tag, an dem die Alliierten am Strand gelandet und Frankreich befreit haben. Im ganzen Départment finden sich Gedenk- und Erinnerungsstätten an die meist kanadischen und britischen Befreier.
Sehr berührt hat mich die Beziehung zwischen Hardy und seinem Hund. Als Hundehalterin ist mir bei der gemütlichen Zweisamkeit der beiden das Herz aufgegangen. Sehr gelacht habe ich darüber, wie die Dorfbewohner*innen es geschafft haben, Gisela Krause zu vertreiben.
Auch das Setting Normandie und das Dorf Saint-Lazare-sur-Terrette haben es mir angetan, mich teils berührt und teils zum Lachen gebracht. Der Roman endet mit der Feier zu Hardys 60. Geburtstag, zu der auch seine Tochter Lou aus London und sein Schulfreund Peter aus Frankfurt anreisen, mit dem er nach dem Abitur zum ersten Mal die Normandie bereist hatte.
Alles in allem ein sehr gelungener Normandie-Roman, den ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 27.08.2025
Georg, Miriam

Die Verlorene


ausgezeichnet

Ich liebe die Hamburg-Dilogien von Miriam Georg und auch Die Verlorene, die teils in Frankfurt und teils in Schlesien spielt, konnte mich begeistern. Es ist die Geschichte der Schwestern Änne und Luise und ihrer Familie.
Frankfurt, 2019: Änne, 93, wird nach einem Sturz bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Ihre Enkelin Laura macht sich große Sorgen. In Ännes Haus findet sie Hinweise darauf, dass sie Erlebnisse aus ihrer Kindheit in Schlesien verschwiegen hatte. Lauras Mutter Ellen: „Aber ab und an hatte es Änne gepackt, und sie hatte von Schlesien geredet. Davon, wie sie die Pferde im Fluss baden ließen, wie die Kartoffelfeuer rochen, wie die Pirole in den Baumwipfeln umherhüpften, wie die Pappeln rochen. Nur die Menschen waren in diesen Erzählungen immer so blass geblieben.“
Laura beschließt nach Schlesien zu fahren und dort nach dem Pappelhof zu suchen, der bis zum Jahr 1945 Ännes Familie gehört hatte.
Schlesien, 2019: Der Pappelhof liegt abgelegen zwischen Oppeln und Gleiwitz. Aus dem Haus soll demnächst ein Hotel werden, und Laura ergreift die Chance, im Haus ihrer Vorfahren zu übernachten.
In Rückblenden in die 1930er und 1940er Jahre lernen wir Familie Thomke kennen: Großmutter Jula, Vater Hermann, Mutter Hela und die Kinder Erich und Gabriel, Änne und Luise. Auf dem Pappelhof werden Pferde gezüchtet, die Thomkes beschäftigen viele Arbeiter, um den Hof bewirtschaften zu können.
Änne und Luise, beide Jahrgang 1926, sind als Kinder unzertrennlich und besonders Änne hängt sehr an ihrer Schwester. Ein Leben ohne Luise ist für sie unvorstellbar. Aufgrund einer Erkrankung muss sich Änne vor den Nazis verstecken, sie leidet Höllenquallen als sich Luise verliebt und ihre Zeit lieber mit Karl als mit ihr verbringt.
Schlesien bleibt weitgehend vom Krieg verschont, allerdings werden Erich und Gabriel eingezogen, und dem Pappelhof werden Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zugewiesen. Nach der Potsdamer Konferenz wird Schlesien Polen zugeteilt, der Pappelhof wird enteignet, eine polnische Familie zieht ein, die Thomkes haben die Wahl: In den Westen ziehen oder bleiben und in eine Arbeiterwohnung über dem Stall ziehen. Luise will nicht weg, sie wartet auf ihren Geliebten, also bleibt auch Änne. Der Hof wird zuerst von russischen, später von polnischen Soldaten besetzt.
Es ist das persönlichste Buch der Autorin, sie hat es ihrem Großvater Karl Georg gewidmet, der auf der Krim stationiert war und viele Jahre in russischer Gefangenschaft verbracht hatte. Der Krieg hat ihn stark verändert, seine Erinnerungen hat er aufgeschrieben, und die Kapitel im Buch, die aus Karls Perspektive geschrieben sind, sind von seinen Manuskripten inspiriert. Die Geschichte der Vertreibung ist an die Erinnerungen ihrer Großmutter angelehnt.
Im Nachwort schreibt die Autorin, dass sie in diesem Roman die Geschichte ihrer Familie verarbeitet hat und die Frage „wie innere Wunden und Traumata über Generationen hinweg weitergegeben werden. Ich wollte eine Erzählung erschaffen, die die kollektive Erfahrung von Verlust und Identität thematisiert.“
Der Roman ist spannend und berührend, ich konnte ihn kaum aus der Hand legen. Er hat mich zum Nachdenken angeregt, nicht nur über die tragische Geschichte der beiden Schwestern, sondern auch über die verheerenden Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung, die nicht nur die Kriegsgeneration, sondern auch deren Nachfahren betreffen.

Bewertung vom 24.08.2025
Gieselmann, Dirk

Zeit ihres Lebens


ausgezeichnet

Zeit ihres Lebens von Dirk Gieselmann ist eine wunderschöne Liebesgeschichte, die mich tief berührt und deren Ende mich traurig zurückgelassen hatte.
Georg und Frieda, Anfang 40 bzw. Ende Dreißig, lernen sich Anfang der Achtziger Jahre kennen. Georg ist Vertreter für medizinische Geräte. Er ist seit zwölf Jahren mit Anne verheiratet, die beiden haben einen Sohn. Ihre Ehe plätschert vor sich hin, Georg ist im Außendienst tätig, es passt ihm ganz gut, dass er selten zu Hause ist. Frieda ist Grundschullehrerin und ledig. Sie hatte noch nie eine längere Beziehung, da ihr der Richtige noch nicht begegnet ist – das ändert sich, als sie Georg kennenlernt. Die beiden lernen sich an einer Bushaltestelle kennen. Es regnet in Strömen und Georg bietet Frieda seinen Schirm an. Das ist der Beginn ihrer lebenslangen Liebesgeschichte.
Frieda bietet Georg an, sein Familienleben weiterzuführen und gibt sich damit zufrieden, ihn während seiner Geschäftsreisen zu treffen. „Sie vermisste ihn, wenn er nicht bei ihr war, das schon, doch sie litt nicht mehr darunter: Sie wusste sicher, dass er wiederkommen würde, wie auf die Nacht der Morgen folgt, auf die eine Jahreszeit die nächste, dass er bei ihr sein würde, im März, im Juni, im September und Dezember.“
Der Autor erzählt die Geschichte aus beiden Perspektiven, der des Mannes und der Frau. Wir begleiten beide nicht nur während ihrer Treffen, sondern auch in ihrem Leben ohne den bzw. die andere. Frieda geht in ihrem Beruf auf, verbringt oft Zeit mit ihrem Neffen und ihrem Vater. Georg hingegen erledigt seinen Job pflichtbewusst und ohne große Begeisterung, genauso wie die Besuche bei den Schwiegereltern und den monatlichen Beischlaf mit Anne. Der Familienhund Bruno ist der Einzige, der sein Innenleben und seine Gedanken kennt und diese kommentiert.
Georgs Unterhaltungen mit Bruno mochte ich sehr. „Denkst du oft an diese Frieda? Die meiste Zeit. Was ist mit Anne? Sie ist meine Frau. Aber liebst du sie? So gut ich kann. Ist das wenig oder viel? Es ist beides, irgendwie. Ich verstehe. Und bei Frieda ist es viel? Zu viel sogar.“
Es ist eine traurige Liebesgeschichte mit einem traurigen Ende in wunderschöner poetischer Sprache in Worte gefasst. Der Schreibstil erinnert mich an den Ewald Arenz, der zu meinen Lieblingsautoren gehört. Sehr gerne empfehle ich diesen etwas anderen Liebesroman weiter.

Bewertung vom 22.08.2025
Recchia, Roberta

Ciao bis zu den schönen Tagen


ausgezeichnet

Ciao bis zu den schönen Tagen von Roberta Recchia, aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt, ist der zweite Roman der Autorin, der wie bereits ihr Debütroman Endlich das ganze Leben mit dem Tod eines jungen Mädchens beginnt. In dem Roman geht es um die Familie des Täters Maurizio Nardulli.
Luca Nardulli, 12, verliebt sich in die 16jährige Betta. Diese verbringt ihre Sommer im Ferienhaus ihrer Eltern in Torre Domizia an der italienischen Küste. Luca schmachtet Betta aus der Ferne an, er ist sich dessen bewusst, dass sie nicht an ihm interessiert ist. Trotzdem schenkt sie ihm Aufmerksamkeit und ab und an wechseln die beiden sogar ein paar Sätze. Als Betta eines Morgens tot am Strand aufgefunden wird, ist Luca am Boden zerstört, er glaubt, sich nie wieder verlieben zu können. Lucas Vater ist Polizist, er ermittelt in Bettas Fall. Die Täter werden erst Jahre später gefunden, einer von ihnen ist Maurzio, Lucas älterer Bruder, zu dem Luca immer aufgeschaut, den er immer bewundert hat.
Luca wird von seiner Mutter in den nächsten Zug nach Bergamo gesetzt, wo sein Onkel Umberto mit seiner Frau Mara und den drei Töchtern Carolina, Caterina und Emilia wohnen. In Bergamo wird Luca von seinem Onkel herzlich empfangen, seine Tante hingegen will ihn so schnell wie möglich wieder loswerden. „Woher willst du wissen, dass er nicht auch so ein Tier ist wie sein Bruder? Dein ach so reizender Neffe. Luca muss gehen“.
Umberto hält zu Luca und zieht mit ihm in die Klosterschule, in der er seit vielen Jahren stellvertretender Schulleiter ist. Bei den Patern geht es Luca gut, allerdings vermisst er seine Eltern und vor allem seine Freundin Flavia. Flavias Eltern verbieten ihr den Kontakt zum Bruder eines Mörders, doch sie tut alles, um Luca wiederzusehen.
„Sein Leben kam ihm vor wie ein Kartenhaus, das er nach jedem Einsturz hartnäckig wieder aufbaute: Doch schon beim kleinsten Windhauch herrschte wieder tabula rasa.“ (S. 124)
Im zweiten Teil gibt es einen Sprung ins Jahr 2002 – Luca ist 36 Jahre alt, verheiratet und Vater einer Tochter. Maurizio wird aus dem Gefängnis entlassen, und die beiden Brüder sehen sich nach zwanzig Jahren wieder. Sie sind nicht mehr dieselben, die sie damals in Torre Domizia waren. Ob Luca seinen Groll überwinden kann und es zu einer Versöhnung kommt?
Das Schicksal der Familie Nardulli hat mich tief berührt. Ich finde es ungewöhnlich, dass eine Frau aus der Sicht eines jungen und eines älteren Mannes schreibt, denn neben Luca dreht sich die Handlung um seinen Onkel Umberto - der seine drei Töchter über alles liebt, sich jedoch immer einen Sohn gewünscht hatte. Ich fand es bewundernswert, wie er sich für Luca einsetzt und alles dafür tut, damit sich dieser in der neuen Stadt und der neuen Schule wohl fühlt.
Ich habe das Buch sehr gern gelesen und werde auch Endlich das ganze Leben noch lesen, in dem es um Bettas Familie geht. Ciao bis zu den schönen Tagen ist ein Buch, das zeigt, wie wichtig der Zusammenhalt in einer Familie ist und dass man nur gemeinsam Schicksalsschläge überwinden und vielleicht sogar wieder ein glückliches Leben führen kann. Von mir eine Leseempfehlung und fünf Sterne.