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Jo
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Hagen

Bewertungen

Insgesamt 79 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2025
Dische, Irene

Prinzessin Alice


sehr gut

Eine seltsame Frau

Bei meinen Recherchen zum Hintergrund von Prinzessin Alice von Battenberg (später Mountbatten) stieß ich auf ein Foto, das sie zusammen mit ihrem Sohn Prinz Philipp zeigt. Sie trägt eine Art weißen Nonnenhabit und aus dem Buch weiß ich, dass sie versucht hat einen katholischen Orden zu gründen.
Verrückt im Sinne von ver-rückt war sie wirklich. Sie wurde taub geboren, heiratete einen Prinzen von Griechenland, musste mit ihren fünf Kindern fliehen und kam bei ihrer reichen Schwägerin Marie Bonaparte im Dienstbotenhaus unter, war mehrfach wegen angeblicher Schizophrenie in Sanatorien und starb im Buckingham Palace, nachdem Philipp sie zu sich geholt hatte.
Aus dem Buch erfährt man davon recht wenig. Alice schildert als Ich-Erzählerin Teile ihres Lebens und aus dieser Innensicht ihre Einsamkeit, ihre extreme Hingezogenheit zu Gott, die Ablehnung durch ihre Töchter. Irene Dische ermöglicht mit diesem Kunstgriff, dass wir der Frau näherkommen, aber vieles bleibt trotzdem im Dunkeln.
Es hilft, wenn man sich über die Familie und Alices Hintergrund zusätzlich informiert, denn sonst schweben die Informationen, die man aus dem Buch erhält, im luftleeren Raum.
Dische schreibt wie gewohnt gut und intensiv, das kennt man aus ihren vorigen Büchern. Dass Prinzessin Alice dem Leser trotzdem fremd bleibt, liegt vermutlich weniger an der Autorin als an der abgeschotteten Lebensweise der Hauptfigur.

Bewertung vom 29.09.2025
Yagisawa, Satoshi

Die Tage im Café Torunka


gut

Langatmig

Drei unterschiedliche Episoden spielen im Café Torunka in Tokio.
Zwar sind die Protagonisten weitgehend übereinstimmend, aber alle Erzählungen drehen sich um eine bestimmt Hauptperson. In dem Café finden alle Besucherinnen und Besucher nicht nur eine unvergleichliche Atmosphäre und sehr guten Kaffee, sondern auch ein offenes Ohr und manchmal auch Hilfe in allen Lebenslagen. Dabei hat auch die Besitzerfamilie ein schweres Schicksal getroffen, das unter die Haut geht.
Ich hatte bisher noch kein Buch von Satoshi Yagisawa gelesen und war sehr gespannt, da ich von seinen Büchern über die Buchhandlung Morisaki gehört hatte. Leider was dieses Buch aber nicht für mich gemacht, ich habe mich mit dem Lesen schwergetan und ich fand es langatmig und zäh. Zwar sprachen mich die Figuren durchaus an, aber die Sprache wirkt auf mich - vermutlich durch die ganz andere Kultur - künstlich und gestelzt. Auch blieben mir viele Ausdrücke fremd, da wäre eine Übersetzungshilfe hilfreich gewesen.
Die Idee war gut, aber mit der Umsetzung hatte ich Probleme.

Bewertung vom 21.08.2025
Slaughter, Karin

Dunkle Sühne / North Falls Bd.1


ausgezeichnet

Ungewöhnlich

In diesem neuen Buch von Karin Slaughter lernen wir als neue Ermittlerin Emmy Clifton kennen. Ihr Vater ist der Sherriff von Clifton County und hat sie quasi angelernt. Als beim Feuerwerk zum 4. Juli zwei junge Mädchen verschwinden, ermitteln sie gemeinsam und haben den Fall bald gelöst. Doch zwölf Jahre später wird erneut ein Mädchen entführt und es gibt Zweifel, ob der Verurteilte wirklich der Täter war. Das FBI wird hinzugezogen, die neue Ermittlerin hat eine ganz besondere Beziehung zu dem Fall, doch die ganze Wahrheit kommt erst auf den letzten Seiten ans Licht.
Nach dem ersten Leseabschnitt war ich etwas irritiert, denn der Fall war ja gelöst. Aber dann wurde es erst richtig spannend und der erste Teil entpuppte sich als Vorspiel für das eigentliche Drama. Es werden Geheimnisse ans Licht gezerrt, die man in dem kleinen Ort nicht erwartet hatte und die ein ganz neues Licht auf das Geschehen werfen.
Dieses Buch ist wieder ein ganz hervorragendes Werk von Karin Slaughter, gut geschrieben, spannend und ungewöhnlich, wie man es von ihr gewohnt ist. gern mehr davon!

Bewertung vom 15.08.2025
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


sehr gut

Wahnsinnsfamilie

Zuerst einmal fällt das ungewöhnliche Cover auf. Beim ersten Blick sieht man drei violette Blumen und erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass die Blüten Augen und Vogelschnäbel haben. ziemlich irre, so wie auch das Buch.
Der Ich-Erzähler, von dem man nicht weiß, inwieweit es sich um den Autor handelt und was Realität und was Fiktion war, hat seit seiner Kindheit Angst davor verrückt zu werden. Kein Wunder bei der ver-rückten Familie, Selbstmorde, Depressionen, Alkoholsucht und andere psychische Krankheiten sind an der Tagesordnung. Ab und zu verschwindet halt die Verwandtschaft in der Klinik...
Das ist einerseits locker erzählt, die Qualen, die der Protagonist aushalten muss, treten weitgehend in den Hintergrund. Aber als Leser spürt man schon, dass die Angst nicht ganz unbegründet ist.
Ich habe mich mit dem Buch oft schwergetan, das liest man nicht einfach so weg. Immer wieder stellt man sich die Frage, was denn nun wirklich "normal" sein soll und wo die Grenze zur Krankheit verläuft. Ein Buch zum Nachdenken!

Bewertung vom 15.08.2025
Rytisalo, Minna

Zwischen zwei Leben


gut

Eine einsame Frau

Jenni Mäki verlässt ihren Mann, benennt sich um in Jenny Hill und möchte ein neues Leben beginnen. Gefangen in der traditionellen Frauenrolle fällt es ihr schwer selbständig zu werden, obwohl sie sich gut vorbereitet hat. Sie mietet ein möbliertes Apartment und zieht dort ein, doch alles ist nicht einfach.
Auf ihrem Weg begleitet sie eine schar von sieben Märchenfiguren, die sich Ajattaras nennen: Aschenputtel, Schneewittchen, Dornröschen, Rapunzel, Gretel und Rotkäppchen. Immer wieder kommentieren sie Jennys Tun wie der Chor in einer griechischen Tragödie.
Leider hat mich das Buch nicht angesprochen. Ich hätte gern mehr über Jennys Weg in die Selbständigkeit erfahren, aber durch die Ajattaras wurde der Erzählfluss immer wieder unterbrochen und das hat mich gestört. Mir ging das zu sehr in Richtung Esoterik und ich habe mich durch die Seiten gequält und kam nicht richtig voran. Dabei ist Minna Rytisalos Schreibstil durchaus ansprechend.
Das war einfach kein Buch für mich.

Bewertung vom 12.07.2025
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


ausgezeichnet

Vielschichtig

Dieses Buch über die 13jährige Arkadia Fink ist ganz besonders und gefällt sicher nicht allen Lesern. Aber ich habe es mit Begeisterung gelesen!
Da ist einmal Arkadias Mutter, eine erwachsene Pippi Langstrumpf und die ihr Leben so lebt, wie es ihr gefällt. Das passt den Menschen in dem kleinen bayrischen Dorf gar nicht und sie bleibt eine Außenseiterin. Aber als Arkadia geboren wird, bringt die Mutter ihr alles bei, was sie über Musik weiß, spielt ihr auf dem Neo-Bechstein-Flügel (muss man googeln!) vor und lehrt sie singen.
Dann ist da Arkadia, die nach dem Tod der Mutter immer einsamer wird und der niemand helfen kann.
Und dann ist da noch die Musik, die Mutter und Tochter auch nach dem Tod noch verbindet und Arkadia schließlich aus ihrer Depression heraushilft. Denn sie will unbedingt in einem berühmten Knabenchor singen und nimmt dafür viel auf sich, denn als Mädchen hat sie eigentlich keinen Zutritt zu dem Chor.
Es hilft beim Lesen, wenn man eine Affinität zur klassischen Musik besitzt, das ist aber keine Voraussetzung.
Das Buch sprüht nur so von verrückten Ideen: War Beethoven wirklich ein Mann oder doch eine verkappte Frau? Wird man ein Junge, wenn man sich benimmt wie ein Junge? Kann man schon im Mutterleib singen?
Das Buch ist sehr vielschichtig und man muss sich darauf einlassen. Hier kommt alles zusammen: Tragik, Komik und eine große Portion Trauer, aber auch Willensstärke und Hartnäckigkeit.
Ist Christopher Kloeble wirklich ein Mann? Oder eine verkappte Frau? Denn so sensibel, wie er die Mutter-Tochter-Beziehung beschreibt, kann das eigentlich kein Mann...

Bewertung vom 11.07.2025
Sußebach, Henning

Anna oder: Was von einem Leben bleibt


ausgezeichnet

Eine gestandene Frau

Henning Sussebach hat sich in diesem Buch aufgemachter den Spuren des Lebens seiner Urgroßmutter Anna zu folgen. Obwohl es nur wenige Dinge aus ihrem Nachlass in der Familie gibt, kann er doch anhand von "Dönekes" aus der Familie und gründlicher Recherche eine ganze Menge herausfinden.
Anna kam als junge Lehrerin in das kleine Dorf Cobbenrode im Sauerland, verliebte sich in den Sohn des Postwirts und kann ihn schließlich heiraten, nachdem sie ihren Beruf aufgegeben hat. Doch die junge Ehe dauert nicht lange, ihr bleibt nur der kleine Sohn Clemens. Tatkräftig übernimmt sie die Gastwirtschaft mit Laden und Poststation, heiratet noch einmal einen viel jüngeren Mann und bekommt noch eine Tochter, die Großmutter des Autors.
Das alles ist sachlich, aber nicht ohne Empathie erzählt und man taucht tief in das Leben der Menschen vor hundert Jahren ein. War sie wirklich eine emanzipierte Frau oder tat sie nur, was notwendig war?
Da ich selbst aus dem Sauerland stamme, ist das Buch ein besonders interessantes Zeitzeugnis für mich, zumal es von meinen Urgroßmüttern keine Überlieferung gibt. Sie sind im Nebel der Geschichte verschwunden.

Bewertung vom 20.05.2025
Simon, Teresa

Zypressensommer


sehr gut

Tragisch

Was wie ein typischer Urlaubsroman beginnt, entwickelt sich im Laufe des Buchs zu einem Alptraum. Julia Matthiesen reist in eine kleine Stadt in der Toskana, um das Vermächtnis ihres Großvaters Gianni zu erfüllen. Er stammte aus Lucignano, hat aber nie über seine früheren Jahre gesprochen. Erst im Laufe des Buches erfahren wir Leser das ganze tragische Schicksal. Gianni wurde im Krieg von den Deutschen als IMI nach Hamburg verschleppt und musste Zwangsarbeit leisten. Währenddessen unterstützte seine Freundin Giulia die Partisanen.

Julia macht sich auf die Suche nach der Wahrheit und lernt dabei Matteo kennen, der angeblich ihr Cousin ist. Aber das Buch hält noch einige Überraschungen bereit..

Das Buch verbindet eine leichte, sonnige Urlaubsliebe mit den schrecklichen Kriegsereignissen. Die unterschiedlichen Perspektiven machen das Werk lebendig und versetzen die Leser in eine längst vergangene Zeit, die hoffentlich nie wiederkommt. Mir hat das Buch gut gefallen, weil es nur selten kitschig ist und die Kriegszeit ungeschönt schildert.

Bewertung vom 19.05.2025
Martin, Nicola

The Island - Auf der Flucht


sehr gut

Insel des Grauens

Lola ist Hotelmanagerin und Hals über Kopf aus Honkong geflohen, um einen neuen Job auf Keeper Island in der Karibik anzutreten - ein echtes Paradies für reiche, verwöhnte Menschen. Aber sie kann damit umgehen, bleibt immer freundlich und geduldig und versucht alle Probleme schnell zu lösen.
Doch dann treibt eines Tages die Leiche des Hotelchefs im Meer und Lola muss sich ganz anderen Aufgaben stellen. Auch holt ihre Vergangenheit sie immer wieder ein und die anderen Mitarbeitenden sind nicht gerade freundlich zu Lola. Als eine weitere Mitarbeiterin stirbt, soll auch dieser Todesfall als Unfall vertuscht werden, doch Lola will unbedingt die Wahrheit herausfinden.
Das Buch ist von Anfang an spannend und geheimnisvoll. Hinter dem schönen Schein des Urlaubsparadieses lauert immer wieder das Unheimliche und Gier und Geld regieren auch im Paradies.
Manchmal hat das Buch ein paar Längen, aber es ist gut lesbar und ich habe es in zwei Tagen verschlungen. Eine tolle Urlaubslektüre für den Sommer, denn danach möchte man lieber zur Nordsee als in die Karibik.

Bewertung vom 19.04.2025
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


ausgezeichnet

Eine schreckliche Familie

Philip Brooke ist tot. Er war ein Patriarch, der über ein Herrenhaus mit 400 Hektar Land in Sussex herrschte, aber auch über seine Frau Grace und ihre drei Kinder. Allerdings hatte er sich in seinen letzten zehn Lebensjahren verändert, als er zusammen mit seiner ältesten Tochter und Erbin Frannie das Land zu einem Ökoparadies umgebaut hat.
Nun treffen sich alle zur Beerdigung im Familienkreis. Und damit brechen schnell die alten Konflikte wieder auf. Frannie fühlt sich von den Ansprüchen ihrer Geschwister überfordert, der Sohn Milo kreist um sich selbst und seine Pläne für einen Gesundheitscampus für reiche Leute auf dem Grundstück, ihre jüngste Schwester Isa trauert ihrer großen Liebe Jack hinterher und setzt damit ihre Ehe aufs Spiel. Und dann taucht auch noch Clara aus New York auf und überschüttet die Familie mit ihren Erkenntnissen zur Herkunft ihres Reichtums.
Das Buch ist sehr komplex, aber auch sehr intensiv. Als Leser wird man hin und her geschüttelt und ist von Anfang an fasziniert von diesem Kosmos aus Gefühlen und Eindrücken. Wer hat Schuld auf sich geladen? Vererbt sie sich über die Generationen? Wie weit gibt man den Fehlern der Eltern die Schuld für ein misslungenes Leben? Und wo fängt die Selbstverantwortung an? Und kann man auch mit kleinen Maßnahmen die Erde vor dem ökologischen Kollaps für die nächsten Generationen bewahren?
Das Buch lässt viele der Fragen offen und deshalb beschäftigen sie die Leser auch noch nach der Lektüre und hallen lange nach.
Das Buch hat mich auch wegen der wunderbaren Naturbeschreibungen begeistert, man sieht, hört, riecht die Natur fast.
Ein unbedingt lesenswertes Buch, für das ich glatte sechs Sterne vergeben hätte!