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Reiseweise

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 04.10.2025
Maiwald, Stefan

Alle weg


gut

Geruhsamer Winter

Wenn die Sommerhitze abklingt, die letzten Tourist:innen der Nebensaison den Strand verlassen haben und wieder die Ruhe einkehrt, dann beginnt in der kleinen Lagunenstadt Grado zwischen Venedig und Triest der Winter. Der ist nämlich für den Autoren, der seit 20 Jahren dort lebt, nicht durch die Jahreszeiten definiert, sondern durch das Gefühl der Einkehr und den Wechsel der Gesprächsthemen in seiner Lieblingsbar.
Diese Gesprächsthemen und die einsetzende Beschaulichkeit beschreibt er sehr atmosphärisch und beim Lesen stellt sich direkt ein Gefühl der Gemütlichkeit ein. Man lernt einige unterhaltsame Charaktere aus dem Örtchen kennen (manche haben auch schon in den anderen Büchern des Autoren eine Rolle gespielt) mit all ihren Eigenheiten, lernt etwas über das Leben abseits des Tourismus in Grado und über italienische Feiertage. Zudem ist das Cover wirklich sehr schön gestaltet - ein Buch für gemütliche Herbst- und Winterstunden.

Bewertung vom 01.10.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Gut gemachte Satire

Eines Morgens sind in Berlin Elefanten unterwegs. Nicht nur einer, sondern ganze Herden. Und sie sind nicht aus dem Berliner Zoo ausgebrochen - sondern ein Geschenk des Präsidenten von Botswana. Er erklärt dem deutschen Bundeskanzler gut gelaunt am Telefon, dass er 20.000 der großen Tiere nach Deutschland schaffen ließ, da in seinem Land kein Platz mehr sei und der globale Norden auch seinen Teil zum Artenschutz beitragen solle.

Aus dieser ungewöhnlichen Ausgangslage entsteht eine kurzweilige (und tatsächlich nicht allzu lange), unterhaltsame und teils herrlich spitze Satire, die aufzeigt, wie die Bundesregierung nun mit diesem unverhofften Artenreichtum umgeht. Die politischen Ränkespiele, die strategischen Entscheidungen, der Versuch den Elefantendung ökonomisch zu nutzen, die PR-Coups, die Verkehrsunfälle und die Weigerung einzelner Bundesländer, ihren Teil der Elefanten aufzunehmen, sind so überzeugend dargestellt. Auch viele Parteien und Politiker:innen lassen sich sehr eindeutig erkennen… Und am Ende ist es so, wie man es erwartet, wenn einzelne Akteur:innen das richtige tun wollen, aber sich nicht trauen. Parallelen zum Umgang mit Geflüchteten, der Klimakrise und ähnlichen Herausforderungen sind ebenso offensichtlich. Lohnenswert!

Bewertung vom 14.09.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


ausgezeichnet

Zum Nachdenken

Zwei Versionen derselben Frau erleben zwei Versionen ihres Lebens - zum einen Toni, deren Kinderwunschbehandlungen sie zweifeln lassen, ob sie das wirklich alles so will und zum anderen Antonia, in deren Leben Toni plötzlich aufwacht: Als Mutter eines kleinen Babys, mit der Jugendliebe verheiratet und im spießigen Dorf geblieben.

Beide, Toni und Antonia, hadern mit ihren Lebensversionen, sie erleben Momente des Glücks und der Leichtigkeit ebenso wie Momente der Überforderung und der Frage, was sie eigentlich wollen vom Leben. Vor allem begegnen sie immer wieder Situationen, in denen andere von ihnen verlangen, sich zur Mutterschaft zu verhalten, eine Rolle anzunehmen und gefälligst genau zu wissen, wie man sich verhält, obwohl sie das nicht wollen oder können.

Sprachlich geschickt und zum Nachdenken anregend ist dies ein Debutroman, den auch auf jeden Fall Männer lesen sollten, zumal Bücher zu diesem Thema aus Männerperspektive vollständig fehlen.

Bewertung vom 28.08.2025
Everett, Percival

Dr. No


gut

Mathe und James Bond
Prof. Kitu ist Mathematiker und beschäftigt sich mit nichts. Ihn interessiert nichts und er möchte gerne wissen, woraus nichts besteht. Mr. Sill, ein selbsternannter Bösewicht, möchte ihn einspannen, um nichts zu stehlen. Diese Wortwitze um nichts kommen im Buch hundertfach vor.

Die sich daraus entspinnende Geschichte ist voll von Absurdität. Absurde Dialoge: Im Traum unterhält sich der Protagonist mit seinem einbeinigen Hund über mathematisch-philosophische Probleme. Absurde Figuren: Der ab und zu sprechende einbeinige Hund und diverse Mathematikgenies mit Spektrumsstörung. Absurde Plots: Mr. Sill reist von Bösewichtversteck zu Bösewichtversteck. Die Dialoge und inneren Monologe sind oft geradezu nihilistisch, nach dem fünfzigsten Wortspiel mit dem Wort „nichts“ wird auch das eher nervig, die Darstellung von Aspergerverhalten ist klischeehaft und viele Seiten Text sind ebenso belanglos wie unverständlich. Nicht, dass man nicht auch mal Fermi-Unsicherheiten googlen kann beim Lesen, aber sie einfach so hinzuwerfen ohne Bezug macht die Geschichte nicht besser. Wie genau das mit dem „nichts“ funktioniert, bleibt ebenso unklar und die im Klappentext besprochenen Seitenhiebe auf Macht und Ethnie sind rar. Schade. „Die Bäume“ war eine großartige Satire auf Rassismus, „James“ war sprachlich grandios, diesem Buch von Everett fehlt beides, guter Inhalt und gute Sprache. Den dritten Stern nur wegen des halbwegs gelungen Endes.

Bewertung vom 28.08.2025
Reifenberg, Frank Maria

Aristide Ledoux - Meisterdieb wider Willen


gut

Nette Geschichte


Aristide Ledoux, der Protagonist des gleichnamigen Buchs, ist ein Pariser Meisterdieb - und überlebt nur knapp einen Anschlag auf sein Leben. Er wird von Julien aus den Wassern der Seine gefischt und zu Leontine gebracht, der Tochter des Präsidenten der Pariser Geheimpolizei. Die drei Teenager versuchen, Aristides Geschichte auf die Spuren zu kommen.

Die Geschichte, die sich daraus entspannt, ist durchaus spannend. Sie ist sehr rasant erzählt - zu rasant an vielen Stellen. Es bleibt keine Zeit, um die Figuren auszuarbeiten und ihre Verbindungen zueinander zu entdecken (woher kennen sich z.B. Julien und Leotine?) und es werden immer mehr Einfälle und Figuren in die Geschichte eingebracht, die oft kaum eine Rolle spielen. Das ist schade, denn durch die guten Zeichnungen hätte die Geschichte noch viel mehr Potenzial gehabt.

Bewertung vom 06.07.2025
Henry, Emily

Great Big Beautiful Life


gut

Ganz ok
Das war mein erster Versuch mit einem Roman von Emily Henry, die mir schon mehrfach im Buchladen begegnet sind. Kurzes Fazit: War ganz nett zu lesen, aber hat mich nicht so recht abgeholt.
Die Story folgt einerseits grob dem Enemy-to-Lovers- Schema auf der einen Seite, auf der anderen ist es eine Familiengeschichte. Die beiden Protagonist:innen Hayden und Alice auf der einen Seite waren nicht immer ganz so glaubwürdig, die Entwicklung ihrer Beziehung teilweise etwas hölzern. Aber nicht vollkommen unglaubwürdig, wie es ja manchmal sonst in solchen Romanen ist. Die andere Seite ist die Familiengeschichte der Margaret Ives. Diese ist oft deutlich unterhaltsamer als die Liebesgeschichte, auch wenn sie sehr weit ausholt teilweise und es oft auf irgendwelche Beziehungsdinge hinausläuft, was erzählt wird. Insgesamt taugt es als Sommerlektüre.

Bewertung vom 06.07.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


gut

Earlon „Bucky“ Bronco ist ein gealterter, kranker Soulsänger aus Chicago. Seine Frau ist gestorben und gesungen hat er seit Jahrzehnten nicht mehr, als sein einziger großer Hit veröffentlicht wurde. Doch dann wird er überraschend zu einem Soul-Festival nach Yorkshire eingeladen - und fliegt kurzentschlossen hin. Dort angekommen, muss er sich seinen Depressionen ebenso stellen wie seiner Opioidsucht, doch er findet auch neue Hoffnung.

Benjamin Myers zeichnet ein sehr deprimierendes Bild des englischen Nordens: Verfallende Städte, bevölkert von gescheiterten Existenzen und Alkoholikern. Einziger Lichtblick ist das Soul-Festival. Die Beschreibungen der Atmosphäre sind sehr lyrisch, oft etwas zu blumig, und sowohl bei Bucky als auch Dinah, der zweiten Protagonistin des Romans, wird viel Zeit darauf verwendet, ihre schlimme Situation darzustellen. Die Beschreibungen von Buckys Entzugserscheinungen nehmen sehr viele Seiten ein. Die hoffnungsvollen Passagen sind kürzer, haben mich aber mehr abgeholt. Was teilweise gestört hat, waren einige holprige Übersetzungen - so wurde z.B. aus dem geläufigen englischen Schimpfwort „utter prick“ der „völlige P*nis“, was überhaupt nicht passt. Insgesamt ein Buch, das man mag, wenn man Benjamin Myers mag.

Bewertung vom 01.05.2025
Brandi, Charlotte

Fischtage


sehr gut

Dortmunder Sommer

Ella hat es nicht leicht. Ihre Eltern sind Künstler, die sich wenig um sie kümmern, ihre Schwester versteht sie nicht, ihr Ersatz-Opa wird dement, sie hat aufgrund ihrer Wutanfälle keine wirklichen Freunde und dann verschwindet auch noch ihr kleiner Bruder. Aber immerhin: Ella hat einen sprechenden Fisch. Und bald eine neue Bekanntschaft, die ihr auf der Suche nach dem verschollenen Bruder im heißen Sommer hilft.

Der Roman ist hervorragend geschrieben, mit einer abgeklärten Sprache und er vermag es sogar, die jugendliche Erzählerin real klingen zu lassen und nicht bemüht jugendlich. Die Charaktere sind abstrus, die Stadt Dortmund wird als abgerockt beschrieben und alles passt einfach sehr gut zusammen. Selbst der sprechende Fisch ist so überzeugend dargestellt, dass man keine Sekunde darüber nachdenkt, dass das ja eher Unsinn ist, sondern ihn einfach als tatsächlich sprechenden Fisch akzeptiert. Ein wirklich gelungener Roman!

Bewertung vom 28.04.2025
Deitch, Hannah

Killer Potential


gut

Bonnie and Bonnie

Evie ist Nachhilfelehrerin in einem Villenviertel bei Los Angeles. Als sie eines Tages zur Nachhilfestunde erscheint, trifft sie auf die ermordeten Eltern - und eine junge Frau, gefesselt in einer Kammer. Evie befreit sie und sie fliehen. All dies geschieht auf den ersten paar Seiten - ein starker Einstieg in die Story, die dann erst einmal ein wenig an Tempo verliert, als die beiden im Auto quer durch die USA fliehen und es sehr, sehr lange dauert, bis die zweite Frau überhaupt erstmalig etwas sagt. Bis dahin lauscht man vor allem Evies inneren Monologen und Überlegungen und begleitet die beiden jungen Frauen von Autobahn zu Autobahn und von Bundesstaat zu Bundesstaat.

Zwischenzeitlich ist der Thriller wirklich spannend und man fiebert mit den beiden Protagonistinnen mit, ob sie geschnappt werden. Andere Kapitel sind aber eher langatmig und die Beschreibungen etwas zu surreal.

Bewertung vom 20.04.2025
Suter, Martin

Wut und Liebe


sehr gut

Beziehungsdramen

Noah ist Künstler - aber nicht so recht, denn als Künstler müsste man auch mal ein Werk verkaufen. Da er das aber nicht schafft, verlässt ihn Camilla, denn sie „liebt ihn, aber nicht das Leben mit ihm“. Noah will Camilla unbedingt zurückgewinnen und lässt sich von dem Deal anlocken, den ihm eine ältere Dame anbietet. Und da beginnen die Schwierigkeiten…

Die Protagonist:innen und Nebenfiguren sind alle überzeugend gestaltet und die verschiedenen Beziehungsdramen, die sich zwischen ihnen entspinnen, sind unterhaltsam beschrieben. Auch mit Plottwists wartet der Roman auf und es wird echte Spannung aufgebaut, wenn man Noah dabei zusieht, wie er den Plan der älteren Dame versucht umzusetzen. Merkwürdigerweise ist der Roman aber sehr zeitlos - vieles wirkt eher wie in den 1980ern, auch die Gerichte, die gekocht werden, auch wenn die genannten Jahreszahlen auf die 2020er verweisen. Und es wird zu viel getrunken: Champagner, Mojito, Cuba Libre, Rotwein, Weißwein, Whiskey…