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Barbara
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Remscheid

Bewertungen

Insgesamt 216 Bewertungen
Bewertung vom 26.09.2025
Vego, Kristin

Spät am Tag


sehr gut

Die Ich-Erzählerin Johanne beschreibt ihr Leben von dem Punkt an, indem sie in das weiße Haus gezogen ist und ihre große Liebe Mikael kennen gelernt hat. In kurzen Rückblicken auf ihr Leben erzählt sie von den gemeinsamen 17 Jahren und den kleinen Freunden und Streitereien des Alltags. Im Zentrum ihrer Emotionen steht ebenso das weiße Haus und die umgebende Natur, die sie und ihre Beziehung stark geprägt haben.
In leisen Tönen erzählt Kristin Vego das eher unspektakuläre Leben einer Frau, die als Schriftstellerin gut mit Worten umgehen kann und die das Bedürfnis verspürt, die Geschichte ihrer Liebe schriftlich festzuhalten. Dabei liegt der Schwerpunkt eindeutig in den jungen gemeinsamen Jahren, die zwar auch nicht immer konfliktfrei waren, sie aber trotzdem mit großem Glück erfüllt haben. Das Ende wird nur ganz kurz angerissen, eher der Vollständigkeit halber. In ihrer Trauer ist es Johanne wichtiger, die Anfänge ihrer Beziehung zu Mikael durch das Aufschreiben noch einmal zu erleben.
Ein sehr emotionales Buch der intensiven Gefühle, in einem eher kühlen Ton geschrieben und trotzdem stark berührt. Gerade die geschilderten alltäglichen Episoden zeigen, wie vergänglich das Leben und die Liebe sein können und wie wichtig es ist, sie in vollen Zügen zu genießen.
Das Cover passt hervorragend zum Inhalt dieses Romans, der Fokus auf die Natur und die Frau am Laptop mittendrin spiegeln sehr gut den Inhalt wieder.
Eine Leseempfehlung besonders für Frauen, da hier Johannes Gefühle und Erlebnisse im Mittelpunkt stehen. Ein Buch der leisen Töne für alle, die nicht immer nur viel Action in der Lektüre brauchen.

Bewertung vom 26.09.2025
Abel, Susanne

Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104


ausgezeichnet

Susanne Abel hat sich in ihrem neuen Roman dem Schicksal der vielen Kinder gewidmet, die im Krieg von ihren Eltern getrennt wurden und zum Teil als Waisen in Kinderheime kamen. Am Beispiel von Margret und Hardy erfährt man, was ein Leben in diesen Heimen unter der Obhut von strengen Nonnen und Pfarrern bedeutete: Schläge, unmenschliche Bedingungen, Missbrauch, Essensentzug, Medikamentenmissbrauch, regelrechte Einzelhaft - die Dinge der Gräueltaten ist endlos. Es ist harter Stoff, den Susanne Abel hier erzählt, und doch glaubt man sofort jedes Wort. Zu häufig erfährt man in den letzten Jahren in den Medien von Menschen, die solche Schicksale ihr Leben lang versucht haben zu verarbeiten. Und so wie am Beispiel von Hardy und Margret oft erfolglos. Denn hier geht es nicht nur um die Erlebnisse der schwer traumatisierten Kinder, sondern auch ihre Auswirkungen auf das weitere Leben und das ihrer Nachkommen.

Abel erzählt auf zwei verschiedenen Zeiteben und man erfährt die Geschichte von gleich vier Generationen. Dabei liegt der Fokus auf der Urenkelin Emily, die die meiste Zeit bei ihren Urgroßeltern lebt und aufwächst. Die nie verarbeiteten Erfahrungen in der Kindheit führen zu Verhaltensweisen, die in den nachfolgenden Generationen viel Unverständnis hervorruft. Denn die Unfähigkeit, über das Erlebte zu reden, wird in dieser Familie immer weiter gegeben. So ist es vor allem Emily, deren Fragen nie beantwortet werden, die ihren Vater nicht kennt, die sich Sorgen um ihre Urgroßeltern macht und merkt, dass sie nie die ganze Wahrheit erfährt. Gerade ihre Person ist es, die nach Margret und Hardy die meisten Emotionen hervorruft. Konfrontiert mit der Sprachlosigkeit der Urgroßeltern, einer chaotischen und überforderten Mutter und einer lieblosen Großmutter hat dieses heranwachsende Mädchen eine unglaubliche Stärke und Reife, droht aber auch häufiger daran zu zerbrechen.

Dieses Buch ist zutiefst berührend, es schildert eindringlich ein tiefdunkles Kapitel deutscher Geschichte am Beispiel von fiktiven Personen, die für die vielen wahren Fälle stehen. Kein leichter Lesestoff, was die Autorin bereits in ihrem Vorwort ankündigt. Auch das Nachwort ist sehr interessant, hier schildert Abel für mich sehr emotional, wie es zu dem vorliegenden Roman kam.

Eine Leseempfehlung für Menschen mit starken Nerven und Interesse an deutscher Nachkriegs-Geschichte. Toll geschrieben aber keine leichte Lektüre.

Bewertung vom 28.08.2025
Georg, Miriam

Die Verlorene


ausgezeichnet

Ein Roman in zwei Zeitebenen, der einerseits vom Krieg und der Vertreibung aus Schlesien und andererseits von der Suche nach Wahrheiten und Identität handelt.
2019 stirbt Lauras Großmutter Änne und hinterlässt viele unbeantwortete Fragen. Zusammen mit ihrer Mutter Elena begibt sich Laura auf die Spuren ihrer Großmutter nach Schlesien und entdeckt Geheimnisse aus der Vergangenheit, über die Änne tunlichst geschwiegen hat. Die Haupterzählung beschreibt Ännes Leben zwischen 1943-47 und ist geprägt vom Krieg in Schlesien und den damit einhergehenden Verlusten und Bedrohungen.
Sehr eindringlich und einfühlsam beschreibt Miriam Georg in diesem Roman das Schicksal einer schlesischen Familie, in dem sie auch Wurzeln ihrer eigenen Familie verarbeitet hat. Sehr gut recherchiert sind die Geschehnisse rund um die schwer traumatisierten Kriegsrückkehrer, zu denen auch ihr eigener Großvater gehörte. Doch vor allem geht es in diesem Roman um die Frauen, hier gleich in 4 Generationen. Ännes Mutter Hela ist eine starke Frau, die ihre Familie beschützt und mit unermüdlichem Fleiß auf dem Hof in Schlesien schuftet. Änne erlebt die Kriegswirren zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Luise. Die beiden Mädchen verbindet eine schon fast ungesund enge Beziehung, doch die Charaktere der Mädchen könnten unterschiedlicher nicht sein. Und so passieren schreckliche Dinge, die das Weiterleben und die Verbindung der beiden zueinander dauerhaft beeinflusst. Elena leidet Zeit ihres Lebens unter dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter Änne. Auf der Suche nach der Wahrheit muss sie erkennen, dass die Schicksalsschläge ihrer Mutter generationsübergreifende Folgen hatten. Und schließlich Laura, die ihren Platz im Leben noch nicht wirklich gefunden hat und deren Leben sich in Kürze drastisch ändern wird.
Mit großer Spannung beschreibt die Autorin hier die schrecklichen Geschehnisse in Schlesien im 2. Weltkrieg. Einige überraschende Wendungen machen dieses Buch über 500 Seiten hinweg spannend und interessant, auch wenn einige Episoden sehr düster und bedrückend sind. Besonders gut gefallen hat mir die Geschichte von Änne, dagegen bin ich Laura und Elena nie so ganz nahe gekommen. Trotzdem bleibt diese emotionale Geschichte im Gedächtnis und gerade die Kraft der Frauen im 2. Weltkrieg hat mich sehr berührt.
Auch wenn es schon viele Bücher zu ähnlichen Themen gibt hat mich hier doch die aufrechterhaltene Spannung und Abwechslung gut überzeugen können.
Es ist eine gelungene Kombination aus Zeitgeschichte und Spurensuche nach Geheimnissen aus der Vergangenheit.

Bewertung vom 19.08.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


sehr gut

Zunächst einmal ist in diesem Roman von David Foenkinos niemand glücklich in seinem Leben. Éric ist unzufrieden in seinem Job bei Decathlon, geschieden, Vater von Hugo der bei seiner Ex-Frau Isabelle lebt und er hat kaum Kontakt zu seiner Mutter, die ihn am frühen Tod des Vaters mitschuldig macht. Unentschlossen und leicht deprimiert geht es durchs Leben, bis er von Amélie angeworben wird für einen Job, der ihn trotz Flugangst und Zaudern durch die halbe Welt führt. Seine Chefin ist eine taffe Karrierefrau, die ihre Familie und die Arbeit mehr oder weniger gut unter einen Hut bringt. Doch auch sie ringt mit ihrer Position, mit der Entfremdung zu ihrem Mann und den beiden Töchtern. Als Éric bei einem Termin in Korea alles zu viel wird kommt er in Kontakt mit einer Firma, die Fake-Beerdigungen anbietet. Dieses Erlebnis verändert sein gesamtes Leben und damit auch das von Amélie.
Was ich für eine ziemlich verrückte Idee gehalten gibt es in Süd-Korea wirklich. Es kommt mir ein bisschen bizarr vor, dass man durch diese "Therapie" ein neuer Mensch wird, zufriedener, zielstrebiger und ausgeglichen. Die Vorstellung, sich in einem Sarg liegend auf sich und sein Leben zu besinnen, erscheint mir hier in Europa - in diesem Fall in Frankreich - doch eher unrealistisch.
Es ist extrem, wie sehr Éric sein Leben ändert und plötzlich im Griff hat, hier hat der Roman für mich ein bisschen was philosophisches. Am besten gefällt mir die Person der Amélie, die alles in ihre Karriere investiert und den typischen Stress von Frauen in Führungspositionen durchmacht. Auch der realistische Bezug zu Corona, die Schwierigkeiten als Eltern im Homeschooling, die erzwungene Nähe als Paar und der berufliche Stillstand machen sie für mich zu einer Person, mit der ich mich gut identifizieren kann. Das Verhältnis von Éric und Amélie ist ein interessantes auf und ab, in dem sich die Machtverhältnisse deutlich verschieben. Dies zu verfolgen ist sehr unterhaltsam. Gut gefällt mir, dass aus der Sicht von beiden Protagonisten erzählt wird, so dass man ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven erlebt.
Der Schreibstil ist eher umemotional und beobachtend, hier hätte ich mir manchmal etwas mehr Wärme oder Empathie gewünscht.
Ein unterhaltsamer Roman über eine verrückte Idee und wie sie das Leben verändern und glücklicher machen kann. Eine Hymne auf den Mut zu Neuanfängen.

Bewertung vom 19.08.2025
Allende, Isabel

Mein Name ist Emilia del Valle


gut

In dem neuen Roman von Isabel Allende beschreibt Emilia Del Valle ihre Lebensgeschichte, die gleichzeitig auch ein Ausflug in die Geschichte Chiles gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist. Emilias irische Mutter wurde von einem chilenischen Adligen vergewaltigt, sie wächst jedoch gut behütet von ihrem Stiefvater und der sehr gläubigen Mutter in Kalifornien auf. Sie liebt das Schreiben, veröffentlicht Groschenromane unter einem männlichen Pseudonym und wird schließlich Journalistin. Doch sie möchte noch mehr erreichen und wird schließlich Kriegsberichterstatterin in Chile, ein Land, in dem sie gleichzeitig ihre Wurzeln sucht.
Emilia del Valle ist eine sehr emanzipierte junge Frau, die keinen Wert auf Konventionen legt. Fast liest sich ihre Geschichte wie ein Abenteuerroman, in diesem Fall ist er aber unterlegt mit der martialischen blutigen und aufständischen Geschichte Chiles. Dieser historische Teil über die Politik und den Bürgerkrieg in Chile gefällt mir insgesamt in diesem Roman am besten.
In einer männerdominierten Welt besorgt Emilia sich geschickt ihre Informationen von Dienstboten, die hinter den Kulissen viel Wissen erwerben und wird damit recht erfolgreich. Sie ist mutig und waghalsig und lässt sich nichts gefallen. Auch ihr Umgang mit Männern ist für die Zeit sehr ungewöhnlich und abgebrüht, obwohl auch sie die Liebe nicht ganz kalt lässt.
Die Erzählweise von Emilia ist etwas spröde, was aber sicher der Zeit geschuldet ist, in der die Handlung spielt. Trotzdem macht dies den Roman für mich weniger attraktiv, da ich ansonsten gerade auf Grund des Schreibstils die Bücher der Autorin sehr schätze. Zudem hat das Buch ein paar Längen und das Ende erscheint mir nicht sehr realistisch und auch ein wenig abrupt. Wieder ist die Protagonistin hier eine sehr starke Frau, trotzdem konnte diese Kombination aus Emanzipation und Zeitgeschichte mich nicht vollends überzeugen.

Bewertung vom 13.08.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


sehr gut

Drei Frauen begleiten wir durch den Roman, die sehr unterschiedlich sind aber alle einen ungewöhnlichen Beruf haben. Da ist zum einen Ann, die älteste Hummerfischerin in einem kleinen Ort in Main. Sie ist etwas verschroben und ruppig, außerdem durch ihre Homosexualität eher eine Exotin. Ihre Freundin Julie ist eher das Gegenteil, sie ist ein wenig schrill und glitzernd und trägt ihr Herz auf der Zunge. Die ungleichen Freundinnen verbindet die Hummerfischerei, wo sie dem genauen Augenmerk der männlichen Fischer ausgesetzt sind, deren Respekt man sich hart erarbeiten muss. Dritte im Bund und jüngste ist Mina, die als Kind mit ihrer Familie in dem kleinen Ort immer den Urlaub verbracht hat. Sie lernt das Hummerfischen und es entsteht eine tiefe Frauenfreundschaft.
Man könnte diesen Roman fast ein bisschen emanzipatorisch nennen, gehen die drei Frauen doch einem von Männern dominierten Beruf nach. Die unterschiedlichen Charaktere der Hummerfrauen sind sehr unterhaltsam zu lesen, mir gefällt allerdings die meist ruppige Ann mit ihren trockenen Kommentaren am besten. Mina ist zunächst die hilfsbedürftigste der drei, tut jedoch auch ihren Freundinnen sehr gut.
Viele Facetten hat dieser Roman, es geht um Liebe, um Freundschaft und auch um ein Geheimnis aus der Vergangenheit. Und doch ist auch hier nicht alles eitel Sonnenschein, der Roman hat durchaus auch ernste Themen im Gepäck. Die Autorin beschreibt das kleine Dorf in Main so intensiv, dass man die dümpelnden Fischerboote und die wunderschöne Natur fast vor den Augen hat. Auch die Nebencharaktere sind sehr liebevoll und manchmal etwas überspitzt dargestellt, was dem ganzen Roman etwas sehr leichtes und lustiges gibt.
Für mich eine ideale Urlaubslektüre für Frauen, da den Männern durchweg eher Nebenrollen zukommen. Es ist nicht unbedingt ein besonders anspruchsvolles Buch, aber sehr unterhaltsam und oft auch humorvoll.

Bewertung vom 13.08.2025
Hewitt, Seán

Öffnet sich der Himmel


gut

James lebt in einem kleinen Dorf zusammen mit seinem kranken Bruder und seinen Eltern. Schon früh hat er sein Coming out, was ihn noch mehr zum Außenseiter in der Schule macht. Als er Luke kennen lernt, einen Jungen der selber mit reichlich Problemen zu kämpfen hat, verliebt er sich und ringt schwer mit seinen Gefühlen.
Der Roman wird aus der Rückschau erzählt. Man erfährt wenig über den Erwachsenen James, nur dass er geschieden ist. Seine Liebe gilt immer noch Luke aus der Vergangenheit, von dem er sich gedanklich nie ganz lösen konnte.
Es ist ergreifend zu erfahren, wie sich der junger James in der Pubertät mit seiner Sexualität quält. Zumindest wird er nicht von seiner Umgebung angefeindet, er fühlt sich eher nicht dazugehörig, als Exot. Auch seine Eltern akzeptieren ihn so wie er ist, aber er kann eine Kluft zu ihnen - vor allem zur Mutter, die sich wirklich Mühe gibt - nicht überwinden. Erschreckend ist allerdings, wie stark sich die Eltern auf den kranken kleinen Bruder Eddie konzentrieren und wie wenig Aufmerksamkeit James dagegen bekommt. Er scheint es zu akzeptieren, leidet aber trotzdem darunter.
Sprachgewaltig erzählt Seán Hewitt hier James Geschichte in einem Coming-of-Age Roman. Man merkt, dass der Autor mehrere Gedichtbände veröffentlicht hat, seine Formulierungen sind bildhaft und intensiv. Trotzdem konnte mich der Inhalt nicht ganz überzeugen, eher lässt mich dieses Buch ein wenig schwermütig zurück. Es gibt wenig positive Perspektiven oder Spuren von Glück, es überwiegen eher depressive Gefühle und die Unsicherheit. Auch das Cover finde ich nicht wirklich gelungen, der geöffnete Mund des jungen Mannes lässt ihn ein bisschen merkwürdig aussehen.
Ein Roman, den ich vielleicht eher Männern empfehlen würde.

Bewertung vom 28.07.2025
Maschik, Anna

Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten


sehr gut

Dieser Buch sticht einem sofort durch das schöne Cover und den ungewöhnlichen Titel ins Auge. So wie diese beiden nicht wirklich zueinander passen wollen, so bemüht auch die Geschichte über 4 Generationen von Frauen zahllose Bilder, die scheinbar nicht harmonisieren. Aber so wie sich der Titel gleich zu Beginn des Romans erklärt und auch die Zitrone immer wieder Teil der Geschichte wird, so fügen sich auch die kurzen Lebensfragmente insgesamt zu einer harmonischen Einheit zusammen.
Die Urenkelin Alma erzählt vom Leben ihrer Urgroßmutter Henrike, die mit ihrem Mann Georg auf einem kargen Bauernhof an der Nordsee lebt. Tochter Hilde versucht, dem harten Alltag als Bäuerin zu entkommen, in ihr bleibt aber die Liebe zur Natur und zum Garten. Obwohl Hilde schwer unter der Lieblosigkeit ihrer Mutter leidet, zieht auch sie eines ihrer Kinder deutlich den anderen vor. Mit ihrer zuletzt geborenen Tochter Miriam, Almas Mutter, verbindet sie eher negative Gefühle, dieses Kind wollte sie nicht mehr bekommen. Überhaupt geht es viel um die Liebe zwischen Mütter und Kindern, den Männern in diesem Roman kommen eher Nebenrollen zu. Gestraft wird mit Verstummen oder harten Worten. Das Verhältnis der Familienangehörigen untereinander ist überwiegend geprägt durch Missgunst und fehlender Nähe. Die jeweiligen Töchter versuchen alle mit einer gewissen Verzweiflung, sich im Laufe ihres Lebens von der Prägung durch die Mütter zu lösen.
An diesem Debütroman von Anna Maschik ist vieles ungewöhnlich, dennoch liest er sich schnell und trotz der Schwere des Themas sehr leicht. Ich habe ihn mit großer Neugier an einem Nachmittag hintereinander weg gelesen. Viele Dinge bleiben ungesagt, viele Lücken werden nicht gefüllt, aber trotzdem entsteht beim Lesen im Kopf eine Geschichte über 4 Generationen von Frauen, die ihren Weg gehen. Trotz der geringen Seitenzahl hat dieser Roman eine große Dichte, die mich beim Lesen immer wieder ein wenig überrascht hat. Sehr gut gefallen mir zudem am Ende des Romans die 5 Fragen an die Autorin, die einen guten Einblick in das Entstehen des Buches und in die Geschichte geben.
Ein (halber) Stern Abzug dafür, dass ich insgesamt an mehreren Stellen gerne noch weiter in die Tiefe gegangen und mehr Details erfahren hätte.
Hier werden durchaus alte Themen ganz neu erzählt, dass macht für mich den großen Reiz des Buches aus. Eine Empfehlung für alle, die einen in vielen Facetten ungewöhnlichen Roman zu schätzen wissen.

Bewertung vom 23.07.2025
Rytisalo, Minna

Zwischen zwei Leben


sehr gut

Jennys Leben teilt sich in ein Vorher und ein Nachher: Den Cut hat sie selber dadurch herbeigeführt, dass sie ihren Mann verlassen und einen Neuanfang gewagt hat. Früher war sie Jenni, Ehefrau und Mutter, angepasst, fürsorglich, stets bemüht zu gefallen. Heute ist sie die 51jährige Jenny die alleine lebt, kontaktfreudig und mutig ist und einen guten Draht zu ihrer Familie hat.
Erzählt wird die Geschichte in verschiedenen Ebenen, alles ohne von wörtlicher Rede untermalt zu sein. Es gibt den beobachtenden Erzählstrang, dann die kommentierenden Geschichten der Ajatarras (weibliche Märchenfiguren) und schließlich die Briefe, die Jenny auf Anraten ihrer Therapeutin an eine beliebige Person schreiben soll. Diese unterschiedlichen Ansätze erzählen Jennys Geschichte in Zeitsprüngen und Rückblicken, wobei mir am besten die Briefe gefallen. Interessanter Weise sucht sie sich Brigitte Macron aus, die ihr mit ihrer Lebens- und Liebesgeschichte imponiert."Distanz schafft Sicherheit" (S.233), und so öffnet sich für mich Jenny am deutlichsten in Zeilen, die niemals abgeschickt werden.
Witzig auch die Sichtweise der weiblichen Märchenfiguren, die ihr Rollenbild in der Gesellschaft hinterfragen und Jenny sozusagen gute Tipps geben.
Es ist ein emanzipatorischer Roman, den Minna Rytisalo hier geschrieben hat und auf erfrischende Art von einer Frau erzählt, die sehr durchschnittlich ist und mit der man sich deshalb wunderbar identifizieren kann. Jenny greift in ihrer Veränderung auch nie zu drastischen Mitteln oder schlägt völlig über die Stränge. Selbst der Aufbau ihres neuen Lebens geht gesittet und meist unsentimental vor sich. Dies ist kein radikal feministisches Buch sondern besticht durch leise Töne, einzig die aufmüpfigen Märchenfiguren trauen sich hier manchmal etwas. So findet man sich als Frau in zahlreichen Rollenklischees wieder, kennt die nicht dramatischen und doch belastenden Probleme von Jenny.
Ein ungewöhnlicher Roman, der sich vor allem an Frauen wendet. Eine Leseempfehlung für alle, die ein emanzipatorisches Buch lesen mögen, das nicht mit der Brechstange und dem erhobenen Zeigefinger daher kommt.

Bewertung vom 21.07.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Es ist eine ganz andere Welt, in die einen Christina Fonthes mit ihrem Debütroman entführt. Es geht um zwei Frauen, die auf ihre Art versuchen, mit einem Leben zwischen dem Kongo und London zurecht zu kommen.

Mira ist die etwas aufmüpfige Tochter einer wohlhabenden Familie im Kongo, die bei ihren Eltern in Ungnade fällt. Sie zieht nach Europa und landet schließlich in London, wo sie 20 Jahre später als verhärmte und tiefgläubige Frau lebt. Die junge Bijoux wird weg von ihrer afrikanischen Familie zu Mira nach London geschickt. Als sie entdeckt, dass sie lesbisch ist, beginnt ein quälendes Ringen um Selbstfindung im Kreis der afrikanischen Gemeinde.

Beide Geschichten werden im Wechsel jeweils aus der Sicht von Mira und von Bijoux erzählt. Durchsetzt mit vielen afrikanischen Wörtern, die teilweise hinten in einem Glossar erklärt werden, versetzt die Autorin einen hinein in das Leben in Afrika einerseits und in eine afrikanische Gemeinde in London andererseits. Dabei beschreibt sie so anschaulich und authentisch, dass man die afrikanischen Gewänder, die Frisuren und das Essen fast vor sich sieht. Auch legt Fonthes immer wieder den Fokus auf bestimmte Gerüche, die intensiv beschrieben werden. Auf ihre Art erschütternd sind beide Schicksale, auch wenn das von Mira mir noch näher geht. Ihre Entwicklung ist extrem, man wirft ganz langsam einen Blick hinter die Fassade der unsympathischen, herrischen und lieblosen Frau, die so gar nicht zu dem aufmüpfigen und lebensfrohen Mädchen aus dem Kongo passen will. Aber auch Bijouxs Kampf ist sehr berührend geschrieben und zeigt auf erschreckende Art, was afrikanische Frauen alles durchmachen müssen. Dabei sind viele Themen brandaktuell, auch wenn die Geschichten zwischen 1974 und 2007 erzählt werden. Es geht um Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern, um afrikanische Lebenseinstellung, um Bevormundung, um Akzeptanz, um Diversität und um das Recht der freien Partnerwahl. Aber auch die Gefühle von Menschen, die aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden und sich plötzlich zwischen zwei Welten mit einem Kulturschock wiederfinden. In den aktuellen politisch unruhigen Zeiten eine Geschichte, die einen sofort an die vielen Flüchtlinge denken lässt, die versuchen, in einem neuen Leben Fuß zu fassen. Am Ende gibt es noch einen Twist, der das Buch zusätzlich interessant und überraschend macht.

Ein Buch vor allem für Frauen, das zwei eindrückliche Geschichten über afrikanische Frauen und die afrikanische Kultur erzählt und dabei viele verschiedene Themen anspricht. Es macht viel Spaß zu lesen und versetzt einen im Laufe der Handlung nach Kinshasa, London, Brüssel und Paris.