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meerblick

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Insgesamt 474 Bewertungen
Bewertung vom 28.09.2025
Bieker, Chelsea

Madwoman (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Verdrängte Wirklichkeit

Clove führt ein vorbildliches Familienleben. Sie achtet auf eine gesunde Ernährung mit ausschließlich gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen, die einen sehr ausgeprägten, bestimmenden Charakter in ihrem Alltag annehmen. In der Phase des Abstillens ihres dreijährigen Sohnes scheint sie in eine leichte Überforderung zu geraten, die ihre Ausgeglichenheit ins Wanken zu bringen scheint. Die Betreuung ihrer beiden Kinder, sie hat gemeinsam mit ihrem verständnisvollen, treusorgenden Ehemann noch eine siebenjährige Tochter, versetzt sie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und ihr Nervenkostüm in mächtige Anspannung. Sie besitzt eine falsche Identität, die sie vor ihrer Vergangenheit schützen soll, einer Vergangenheit, in der familiäre Gewalt, Alkoholsucht, Co-Abhängigkeit die alles bestimmende Themen waren. Ein Brief aus dem Gefängnis stellt für sie eine dramatische Bedrohung dar, die ihre heile Welt in ein unüberschaubares Chaos stürzen könnte. Verzweifelt sucht sie nach einem rettenden Anker, einer Person, die sie versteht und der sie Vertrauen schenken kann, um ihren Ballast loszuwerden, um eine Stütze in diesen schwierigen Tagen zu haben.
Chelsea Bieker greift in ihrem Roman ‘Madwoman‘ eine äußerst schwierige, herausfordernde Thematik auf, welche in unserer modernen Gesellschaft leider als traurige Wahrheit kein Einzelfall darstellt. Gewalt in der Familie, Missbrauch von Alkohol und daraus entstehende psychische Spannungen brauchen unsere Aufmerksamkeit und ein verantwortungsbewusstes Handeln. Die Autorin lässt ihre Protagonistin aus ihrem Leben erzählen. Dabei schweifen ihre Gedanken immer wieder in die Vergangenheit ab und halten Zwiesprache mit der Mutter, die nicht nur Opfer, sondern auch durch ihre Passivität zum Täter wird, die ihre Verantwortung gegenüber ihrem Kind nicht wahrnehmen kann, um ihm ein geordnetes, soziales Leben zu bieten.
Ein gewaltiger Roman, der sehr intensiv geschrieben ist aber auch bedrückende Gefühle hinterlässt.

Bewertung vom 28.09.2025
Williams, Hattie

Bittersüß


ausgezeichnet

Aushalten als schmerzliche Erfahrung

In Hattie Williams Roman ‘Bittersüß‘ lernen wir Charlie kennen, eine junge, attraktive Frau, die das Leben noch vor sich hat. Sie arbeitet in dem angesehenen Londoner Verlag ‘Winden & Shane‘ als Presseassistentin. Ihr Job ist stressig nicht nur durch endlose Überstunden, schlecht bezahlt und dennoch ist ein Traum für sie wahr geworden. Als sie dann ganz zufällig auf den großen, Mitte fünfzig jährigen Erfolgsautor Richard Aveling bei einer Zigarettenpause trifft und sogar ein paar Worte mit ihrem Idol wechselt, gerät sie in einen Strudel der Glückseligkeit. Aber damit nicht genug. Es entspannt sich eine toxische Beziehung zwischen beiden mit unglaublich dramatischen Folgen. Ihre Freunde Ophelia und Eddy können sie nicht vor diesem so bittersüßen Erlebnis bewahren.
Die Autorin lässt ihre Hauptfigur Charlie aus ihrem Alltag selbst berichten. Dabei schweifen ihre Gedanken immer wieder zu ihrer Mutter ab, die sie in jungen Jahren verlor und damit auch den Boden unter den Füßen. Nur die Einnahme von Antidepressiva helfen ihr zu überleben. Gefühle des Übersehen Werdens, des Alleinseins, des Innehabens einer Außenseiterposition prägen das Leben der Protagonistin. Immer wieder glaubt sie Enttäuschungen und schmerzliche Tatsachen aushalten zu müssen. Dabei verschiebt sich die Wahrnehmung ihrer Realität.
Der Roman setzt sich mit Co-Abhängigkeit, Alkoholismus, patriarchischen Machtgehabe aber auch mit den Werten echter Freundschaft und verantwortlichen Vaterbewusstsein auseinander. Der Roman brilliert letztendlich damit, dass es Menschen gibt, die nicht wegschauen, die sich verantwortlich fühlen und uneigennützig Hilfe leisten – großartig.

Bewertung vom 28.09.2025
Dorweiler, Ralf H.

Das Lied des Vogelhändlers


ausgezeichnet

Folgen eines mittelalterlichen Thronstreits

Ralf H. Dorweiler entführt uns in seinem Historischen Roman ‘Das Lied des Vogelhändlers‘ in das Ende des zwölften und in das beginnende dreizehnte Jahrhundert. Wir lernen den Vogelhändler Wigbert kennen. Ein menschfreundlicher Zeitgenosse, der Wagemut beweist, wenn er seine Vögel erbeutet, ein Objekt der Begierde bei den feinen Damen des Geldadels. Sein Mündel Almut, welches er bei seinen Streifzügen durch die Wälder mutterseelenallein aufgefunden hat und deren er sich fürsorglich angenommen hat, begleitet ihn, geht ihm hilfreich zur Hand. Ihre Sprache ist eine ganz besondere. Sie verständigt sich mit Vogelpfiffen. Während eines Turniers der Söhne des Markgrafen von Baden treffen sie auf Franziska von Hellerau, die einen weiten Weg hinter sich gebracht hat, um hier ihr Begehren vorzutragen. Sie hatte den vor einem Jahrzehnt stattfindenden Kreuzzug Barbarossas begleitet und bei der Gelegenheit den Markgrafen von Baden persönlich kennengelernt. Beide verbindet ein gemeinsames Schicksal.
Die Geschichte entwickelt sich Seite um Seite mit einem angenehmen Lesefluss in einem angenehmen Schreibstil. Ich konnte immer tiefer in das Geschehen, welches sehr lebendig und lebensnah niedergeschrieben ist, eintauchen. Das mittelalterliche Flair, die mit vielen Gefahren verbundene Lebensart der einfachen Menschen, der durch ein stark hierarchisches Denken ausgeprägte Umgang miteinander, der große Kampfeswille im Glaubenskrieg und das intrigante Gerangel um den Herrschersitz sind bildhaft in Szene gesetzt, vermitteln geschichtliche Ereignisse fiktional verarbeitet. Hier kommt auch Walther von der Vogelweide, geschickt eingebaut, ins Spiel. Besonders hervorzuheben sind die wunderschönen Kapitelüberschriften mit einem Bezug zu einer besonderen Vogelart, die wiederum den weiteren Verlauf der Geschichte prägen.
Wer sich gern in der Welt des Mittelalters aufhält und sich von einer spannenden, wirklich fesselnden, mit immer wieder überraschendem Verlauf und schließlich einem sich immer mehr zuspitzenden dramatischen Ende einfangen lassen möchte, wird hier ein besonderes Lesevergnügen finden.

Bewertung vom 23.09.2025
Onhwa, Lee

Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei


sehr gut

Südkoreanischer Magie

Die südkoreanische Schriftstellerin Lee Onhwa setzt sich in ihrem Roman ‘Kleine Wunder in der Mitternachtskonditorei‘ mit dem Ahnenkult ihres Landes auseinander. Unabhängig von der religiösen Orientierung begleiten viele Koreaner ihre verstorbenen Angehörigen durch konfuzianische Zeremonien in ein friedvolles Jenseits. Dabei spielen auch spezielle Lebensmittel als Gabe auf den Weg eine große Rolle.
In ihrem Roman setzt sich die Autorin mit diesen Bräuchen auseinander und webt daraus eine unterhaltsame, magische Geschichte. Ihre Protagonistin Yeonhwa, eine junge Frau in den Zwanzigern, erbt von ihrer Großmutter eine Konditorei mit besonderen Aufgaben. Als Bedingung muss sie einen Monat lang ihren Kunden zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht Wünsche erfüllen, die mit einem speziellen Zuckerwerk verbunden sind. Der Großhändler Sawohl und eine schwarze Katze stehen ihr dabei helfend zur Seite. Beide spielen eine Schlüsselrolle im späteren schrittweisen Verständnis der Handlung. Yeonhwa taucht mit jedem Tag tiefer ein in die ihr gestellte Aufgabe, lernt Schicksale Verstobener kennen und wertzuschätzen, leistet ihnen uneigennützig Hilfe bei der Erfüllung von Herzenswünschen.
Feinfühlig geführt und mit einer poetischen Feder geschrieben, taucht der Leser in eine Geschichte ein, die eine Kultur beschreibt, welche fremdartig für unser westlich geprägtes kulturelles Empfinden erscheint. Auf unterhaltsame Art lernt man jedoch zu verstehen, wie wichtig den Menschen in Südkorea ihr Ahnenkult ist. Abschließend gelingt es Lee Onhwa eine gekonnte Verbindung zwischen uralter Tradition und modernem Leben zu gestalten, was mir sehr gut gefallen hat.

Bewertung vom 23.09.2025
Föhr, Andreas

Bodenfrost / Kreuthner und Wallner Bd.12


ausgezeichnet

Bayrischer Krimikult

‘Bodenfrost – Der Tod ist manchmal nicht die beste Lösung‘ ist bereits der zwölfte Teil einer Kriminalromanreihe mit Kriminalhauptkommissar Clemens Wallner, seines Zeichens Leiter der Kripo Misbach und Polizeihauptmeister Leonardt Kreuthner, geschrieben von Andreas Föhr, erschienen im Knaur Verlag, ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knauer GmbH & Co. KG.
Während der stets korrekte KHK Wallner sich auch im Privaten führsorglich um seinen vierundneunzigjährigen Großvater Manfred kümmert, gerät der schräge, sich stets auf Abwegen bei der Ermittlungsarbeit befindliche PHM Kreuthner in Ungnade beim neuen Polizeipräsidenten. Als Wiedergutmachung muss er PR-Arbeit leisten und auf einem stillgelegten Bauernhof einen Kindernachmittag betreuen, bei dem Martha, die Tochter des Polizeipräsidenten, eine Leiche entdeckt. Wie sich in Folge herausstellt, handelt es sich dabei um den eher unbeliebten Chef einer örtlichen Brauerei, Vitus Zander. Auffällig an der Leiche ist eine Zeichnung, die einen Fisch mit einer Harpune darstellt und bereits vor Jahren bei einem ungeklärten Serienmord aufgetaucht war. Es stellt sich die Frage, ob ein Trittbrettfahrer mit diesem Symbol sich ins Rampenlicht rücken möchte oder ob der noch immer unbekannte Täter wieder sein Unwesen treibt.
Während die Spannung und damit der fesselnde Charakter bis zum Schluss der Geschichte erhalten bleibt, treibt ein spitzfindiger, bayrischer Humor das Lesevergnügen voran. Man steigt leicht ein in die Handlung, ohne vorherige Bände gelesen zu haben. Es besteht allerdings Suchtgefahr, diese im Anschluss auch lesen zu wollen.

Bewertung vom 23.09.2025
Novak, Genevieve

Crushing


ausgezeichnet

Wege aus einer Lebenskrise

Ich mag Genevieve Novak in ihrer Art Geschichten zu erzählen sehr gern. Bereits mit ihrem Debütroman ‘No Hard Feelings‘ begeisterte sie mich in meiner Leselust. ‘Crushing‘, ihr aktueller Roman, erschienen beim Pola Verlag, ein Verlagsimprint aus dem Hause Bastei Lübbe, hat bei mir einmal mehr lebhaftes Interesse ausgelöst.
Wieder geht es um junge Frauen und ihr Lebenskonzept, um die Entwicklung ihrer ganz privaten Sicht auf ihre Lebensumstände, eine Reflexion ihrer Gedanken und Gefühle, um Chancen wahrzunehmen zur Steigerung des Selbstwertgefühls und gleichzeitig um das Finden und Ausfüllen des Platzes im Leben, der den Wohlfühlfaktor in den Mittelpunkt stellt.
Die Autorin überzeugt mich durch ihre witzige, unbekümmerte Art, aktuelle Themen wie die Möglichkeiten der Selbstliebe, Eigenwahrnehmung, positiver Umgang mit stark empfundener Einsamkeit, Nichtbeachtung, Zurückweisung, Co-Abhängigkeit und die schrittweise Entwicklung einer zukunftsorientierten, bewussten Gestaltung des eigenen Lebens für ein erfülltes Dasein, aufzugreifen, diese spannend und unterhaltend mit einer Portion Gesellschaftskritik zu verpacken. Sie lässt ihre achtundzwanzigjährige Protagonistin Marnie aus ihrer Krisenstimmung heraus erzählen, die sich seit Jahren immer wieder aus ihren gescheiterten Beziehungen heraus erklären lassen und deren Ursachen sie nicht zu erkennen vermag. Dabei scheint um sie herum, die Welt in Sachen gleichberechtigter Partnerschaft auch nicht unbedingt reibungslos zu funktionieren. Aber man arrangiert sich. Und nun fragt sie sich warum ihr dieses Kunststück nicht gelingt? Als sie den äußerst sympathischen, gutaussehenden Isaac auf einer Party kennenlernt, glaubt sie in freundschaftlicher Verbundenheit zu ihm, zumindest ihr Mitteilungsbedürfnis befriedigen zu können. Doch nichts ist wie es scheint, denn Isaac hat eine Freundin, die er nicht verschweigt. Sorgt er damit für Konfliktpotenzial?
Die Gegenwartsliteratur zeigt sich mit diesem Roman einmal mehr als Spiegel unserer Gesellschaft.

Bewertung vom 23.09.2025
Puchner, Eric

Weißes Licht


ausgezeichnet

Verbindungen und Beziehungen

Eric Puchner wählt den amerikanischen Bundesstaat Montana als landschaftlichen Background seines Romans ‘Weisses Licht‘. In dieser Abgeschiedenheit liegt das Ferienhaus von Charlies Eltern. Dort soll die Hochzeit mit seiner Freundin Cece stattfinden, die sich schon Wochen vorher um die Vorbereitungen des großen Festes kümmern will. Cece trifft hier auf Garrett, einen langjährigen Freund von Charlie. Die beiden Männer verbindet ein schrecklicher Vorfall aus vergangenen Zeiten.
Zwischen den drei Protagonisten entwickelt sich eine Beziehung, die nicht nur auf ihr eigenes Leben großen Einfluss nimmt, sondern auch entscheidende Auswirkungen auf die nachfolgende Generation, Lana und Jasper, nach sich ziehen.
Der Autor vermag es durch seinen epischen Schreibstil, den Leser in den Bann einer großartigen Geschichte zu ziehen, die Themen wie Liebe und Eifersucht anspricht, aber auch Vergebung von tiefer Schuld und Hoffnung. Seine klare Sprache angereichert mit tiefgreifenden Dialogen gibt den Erzählsträngen, gestaltet aus unterschiedlichen Sichtweisen der Hauptfiguren, eine faszinierende Perspektive, die schließlich zu einem schlüssigen Finale zusammengeführt werden. Begleitet wird die Geschichte neben großartigen Landschaftsbeschreibungen von den örtlichen Wetterphänomenen, die die drastischen Auswirkungen des Klimawandels, wie Gletscherschmelze, Austrocknung großer Seen und verheerende Waldbrände, zeigen.
In der Vielschichtigkeit dieser Geschichte werden auch Drogensucht und Demenz angesprochen, warmherzig und emotional zugleich verarbeitet, lebendig und authentisch dargestellt.
Mein beeindruckendes Leseerlebnis möchte ich sehr gern weiterempfehlen.

Bewertung vom 14.09.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


ausgezeichnet

Belastende Familienverhältnisse
Katja Keweritsch präsentiert in ihrem Roman - Das Flüstern der Marsch -, erschienen im Verlag Hoffmann und Campe, eine Geschichte, die unter die Haut geht. Einfühlsam und sehr bewegend lässt sie ihre Charaktere wachsen, verleiht ihnen immer mehr Tiefe und Lebendigkeit. Die Landschaftsbeschreibungen des Marschlandes in ihrer jahreszeitlichen Darstellung versetzen den Leser in eine ganz besondere atmosphärische Stimmung. Wechselnde Erzählstränge aus unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten aber auch aus verschiedenen zeitlichen Epochen beleben das Geschehen, bauen eine intensive Spannung auf und verleiten dazu, Zusammenhänge zu erkennen.
Der achtzigste Geburtstag von Karl Hansen soll in einem würdigen Rahmen gefeiert werden. Der ehemalige Bürgermeister will sich da nichts nachsagen lassen. Doch seit Tagen ist seine Frau Annemie spurlos verschwunden. Auch polizeiliche Ermittlungen bleiben erfolglos. Während die Familienmitglieder mehr oder weniger in Sorge um die Großmutter, Mutter und auch Schwiegermutter sind, bleibt Karl unberührt von dieser Situation, was natürlich Fragen aufwirft. Während Janne, die völlig überforderte Schwiegertochter und Mutter von drei Kleinkindern, versucht die Geburtstagsfeier so gut wie nur möglich vorzubereiten, begibt sich Mona, die Enkeltochter auf eine abenteuerliche Suche nach Indizien, die den Verbleib von Annemie erklären. Und schließlich spielt auch Freya eine nicht unwesentliche Rolle in dieser dramatischen Familiengeschichte, die gesellschaftskritische Verhaltensweisen genauer unter die Lupe nimmt.

Bewertung vom 02.09.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


ausgezeichnet

Grenzerfahrungen

Wer wünsche es sich nicht – Das glückliche Leben. Der französische Schriftsteller David Foenkinos präsentiert unter dem gleichnamigen Titel seinen neuesten Roman. Anspruchsvoll, ungewöhnlich und philosophisch geprägt spricht er ein Thema an, dass in unserer modernen Welt einen großen Raum einnimmt. Burnout, der im Zusammenhang mit übersteigertem stets zu perfektionierendem Anspruchsdenken steht, laugt die Menschen aus, lässt das Leben ohne Genuss vorbeirauschen, ist eine nicht zu unterschätzenden seelische Krankheit, die nicht selten auch von körperlichen Beschwerden begleitet wird. Es ist ein schleichender Prozess, der mehr und mehr den Alltag verändert, die schönen Seiten unseres Daseins verdrängt. Südkorea steht in der Statistik depressiver Erkrankungen begleitet von einer hoher Selbstmordrate weltweit an vorderster Stelle, bedingt durch einen enormen sozialen Druck.
Der Autor lässt seine beiden Protagonisten Éric und Amélie, beide beruflich erfolgreich und wohl situiert, in eine Lebenskrise schlittern, nicht zuletzt auch bedingt durch die seelischen Anstrengungen der Coronakrise, die ihnen für den weiteren Verlauf ihrer Lebenszeit Denkanstöße gibt, die einen Wandel ihrer Lebensumstände hervorrufen. Dabei bedient er sich eines Rituals der Fake-Beerdigung, das psychologisch ein Umdenken durch die Grenzerfahrung des eigenen Todes bewirken soll. Die konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Geschenk Leben führt auf erstaunliche Wege, bringt Ideen der besonderen Art zum Vorschein.
Menschen, die kritische gesundheitliche Situationen durch Nahtoderfahrungen durchlitten haben, nehmen die Endlichkeit unseres irdischen Daseins bewusster wahr, berichten davon, welche essentiellen Dinge ihren Alltag bereichern, für ein glückliches Leben sorgen.
Ein anspruchsvoller Roman, der in seiner schweren Problemstellung durch den leicht und angenehm zu lesenden Schreibstil eine Kostbarkeit der literarischen Unterhaltung für mich darstellt.

Bewertung vom 01.09.2025
Feyerabend, Charlotte von

Liebesrausch


ausgezeichnet

Portrait innerer Zerrissenheit

In dem Roman ‘Liebesrausch‘ von Charlotte von Feyerabend folgen wir einer Frau, die sich ihr ganzes Leben lang nach Liebe und Geborgenheit sehnt und gleichzeitig den anregenden Austausch als Schriftstellerin mit Gleichgesinnten sucht. Wir tauchen ein in das spannungsreiche Leben von Paris der dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, das geprägt ist durch die emotionale Befreiung aus dem strengen Korsett gesellschaftlicher Zwänge, dem Drang nach femininer Selbstbestimmung, dem Wunsch nach Selbstverwirklichung durch Selbsterkenntnis, dem Loslassen der Alltagssorgen auf ausgelassenen Feiern aber auch durch eine sich bedrohlich zuspitzende Politik mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Die Autorin stellt Anaïs Nin in den Mittelpunkt einer aufregenden, intensiven, fesselnden Geschichte. Als Gattin eines Bankers versteht sie es zu repräsentieren, sich in Gesellschaften als intelligente, unterhaltsame Ehefrau zu präsentieren. Doch erst als sie auf den animalischen, derben Henry Miller trifft, mit dem sie eine leidenschaftliche Liebesbeziehung eingeht, erfüllen sich ihre Sehnsüchte nach wertschöpfendem Austausch zu schriftstellerischen Fragen. Sie stürzt sich in eine Affäre nach der anderem, um sich geliebt zu fühlen, den Verlust aus einsamen Kindertagen zu kompensieren. Zeit ihres Lebens schreibt Anaïs Tagebuch, dem sie ehrlich und schonungslos ihre Gefühle anvertraut, das offenbart in welcher Zerrissenheit sich ihr mentaler Zustand befand. Schließlich sieht sie in der Psychoanalyse, der sie sich intensiv widmet, eine Chance der Selbstreflexion.
Charlotte von Feyerabend versteht es vortrefflich, sprachlich gewandt, den Zwiespalt eines lebenslang suchenden Charakters in eine fesselnde Geschichte zu fassen. Dabei setzt sie sich mit moralischen Überzeugungen auseinander, ohne wertend einzugreifen.