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Bücherbummler

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Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 05.08.2025
Hülk, Walburga

Victor Hugo


sehr gut

Victor Hugo, einer der großen Meister der französischen Literatur, soll angeblich heutzutage nicht mehr so viel gelesen werden. Dafür dürfte er vielen trotzdem bekannt sein, und sei es nur durch die sehr großzügig interpretierte Disney-Version des “Glöckners von Notre Dame” oder eine der vielen Adaptionen von “Les Misérables”. Ich selbst habe auch nur diese beiden Romane von ihm gelesen. Dass er, besonders in seiner ersten Zeit, vor allem für seine Theaterstücke bekannt war, von denen einige die Vorlagen für Verdi-Opern geliefert haben, war mir genauso neu, wie dass er auch zeichnen konnte. Über den Privatmenschen Hugo, der viele schwere Schicksalsschläge einstecken musste, wusste ich genauso wenig, wie über den politisch engagierten Aktivisten, der auf Grund seiner Einmischungen viele Jahre im Exil verbracht hat. Grund genug, die Nominierung von Walburga Hülks Buch “Victor Hugo - Jahrhundertmensch” für den Deutschen Sachbuchpreis als Anlass zu nehmen, diese Wissenslücke endlich zu schließen.

Am Anfang hatte ich Probleme, richtig in das Buch hineinzukommen. Hülk nimmt sich viel Zeit, die politische Situation Frankreichs vor und um Hugos Geburt zu skizzieren. Erst hatte ich dafür wenig Verständnis, habe nicht verstanden, warum sie nicht endlich mit Hugos Lebensgeschichte anfängt. Aber schnell wurde mir klar: ein Victor Hugo ohne Politik existiert nicht. Hugo ist mit der Geschichte seiner Zeit verwoben, wie nur wenige Autoren, hat sich engagiert, seine Epoche vielleicht auch geprägt. Hülk hat das verstanden, und womöglich ist es auch das, was ihr Buch von anderen Hugo-Biografien abhebt.

Besonders gut gefallen hat mir die Stimmung, die Hülk schafft. Ich habe mich richtig in die Zeit Hugos zurückversetzt gefühlt, konnte sozusagen die Kutschenräder über das Kopfsteinpflaster rumpeln und die Feder über die Seiten kratzen hören. Diese atmosphärische Dichte hat das Leseerlebnis genau zu eben diesem gemacht, einem Erlebnis. Unterstützt auch von der perfekten Auswahl der Bilder, durch die wir sowohl mit historischen Persönlichkeiten, Hugos Familie, aber auch seinen Häusern und eigenen Zeichnungen vertraut gemacht werden.

Was ein Sachbuch natürlich auch immer besonders auszeichnet, ist sein Stil. Und hier findet Hülk eine sehr gute Mitte zwischen den Polen von Infotainment und trockener Wissenschaft. Ja, man merkt ihr die Akademikerin an, und für mich hätte es durchaus auch noch ein wenig lockerer geschrieben sein können. Aber ihre Schreibweise ist auf jeden Fall so leicht zugänglich, dass es bis zum Ende interessant bleibt und keine Längen oder Durststrecken auftreten. Gleichzeitig werden aber auch genug weitere Informationen geboten, Quellenangaben und Verweise, die Lesern, die sich tiefer mit Hugo auseinandersetzen wollen, genug Material dazu liefern.

Alles in allem fand ich Hülks Buch sehr bereichernd. Sie hat mir den Autor Hugo in aller seiner Vielfältig- und Widersprüchlichkeit um einiges näher gebracht. Und ein Buch geschrieben, dass man immer wieder in die Hand nehmen kann, um neue Details zu entdecken oder altes Wissen zu vertiefen. Eine Leseempfehlung für alle, die sich Victor Hugo selbst oder aber auch der französischen Literatur und Geschichte annähern möchten.

Bewertung vom 03.08.2025
Slocombe, Penelope

Sunbirds


ausgezeichnet

Seit sieben Jahren sucht Anna nach ihrem Sohn Torran, der auf einer Reise durch Indien spurlos verschwunden ist. Seit drei Jahren war sie schon nicht mehr in ihrer Heimat Schottland, wo ihr Mann Richard auf sie wartet. Er ist sich sicher, dass Torran nicht mehr lebt und hat die Hoffnung, seinen Sohn je wieder in die Arme schließen zu können, längst aufgegeben.
Doch dann stößt Richards Nichte Esther auf neue Spuren und fliegt zu Anna, um sie bei der Suche nach Torran zu unterstützen. Gemeinsam machen sich die beiden Frauen, zwischen denen noch einige ungeklärte Angelegenheiten schwelen, auf den Weg in den Himalaja. Eine Reise, die unerwartete Perspektiven öffnen wird.

„Sunbirds“ von Penelope Slocombe hat mich tief beeindruckt. Hier hat eine Autorin schon in ihrem Debüt eine ganz eigene Stimme gefunden, die so komplex und vielschichtig ist, wie ihr Plot und ihre Charaktere. Undramatisch, fast schon subtil im Ton, entfaltet sie vor ihren Lesern eine Geschichte, die durchgehend durchtränkt ist von Möglichkeiten. Eine Vielfältigkeit, die sich auch in den Persönlichkeiten und den Entwicklungen ihrer Figuren spiegelt. Undramatisch und subtil, aber trotzdem mit einer Intensität, die einen die Tiefe des Schmerzes am eigenen Körper fühlen lässt. Eines Schmerzes, der bei allen Beteiligten viele alte Wunden aufreißt.

Was mich weiter fasziniert hat, ist, wie die Atmosphäre dieses Romans, obwohl so spürbar, doch für mich auch immer in der Schwebe blieb, sich nicht richtig greifen ließ. Und wie großartig dieses Gefühl passt, wie gerade diese Haltlosigkeit die Geschehnisse spiegelt. Dass Slocombe aus verschiedenen Perspektiven erzählt und auch immer wieder in die Vergangenheit zurückblickt, verstärkt dieses Gefühl noch und gibt gleichzeitig dem Leser eine Chance, sich seine Puzzleteile zusammenzusuchen und langsam ein Bild zu formen.

Ebenfalls gut gefallen hat mir, einmal ein anderes Bild von Indien vermittelt zu bekommen, als es in den meisten Büchern, die ich bisher gelesen habe, gezeichnet wird. Bewohnern des Landes oder dem indischen Alltag begegnen wir hier kaum. Wir erleben vielmehr ein Land, das von Touristen und Menschen auf der Suche nach sich selbst überrannt wird, eine Art Parallelwelt, die mich ein wenig ernüchtert.

Auf die vielen interessanten Fragen, die der Roman aufwirft, würde ich gerne näher eingehen, werde es aber nicht tun, weil ich das Gefühl habe, dann zu viel zu verraten. Fakt ist, dass es davon viele in diesem Roman gibt und der einem viel Raum lässt, seine eigenen Antworten zu suchen.

Ein sehr gelungenes Debüt, das in einem nachhallt. Ein Roman, der Vorfreude auf weitere Werke dieser Autorin weckt, und den man sich nicht entgehen lassen sollte. Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 23.07.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


gut

Bijoux ist 12, als ihre Mutter sie aus ihrer Heimatstadt Kinshasa zu der ihr völlig unbekannten Tantine Mireille nach London bringt. Das Zusammenleben gestaltet sich schwer, Bijoux findet keinen Zugang zu der streng religiösen und verschlossenen Mireille. Und das wird auch nicht besser, als Bijoux sich verliebt … in eine Frau.

Ich habe mich schwergetan mit „Wohin du auch gehst“ von Christina Fonthes. Das lag zuerst einmal daran, dass ich mir auf Grund des Cover-Textes eine falsche Vorstellung von dem Buch gemacht habe. Ich wollte viel über Zaire bzw. die DR Kongo erfahren, über die Geschichte des Landes und das Leben der Menschen dort. Das alles ist zwar auch Teil des Ganzen, zumal der kulturelle Hintergrund eine wesentliche Rolle für den Plot spielt, aber für meine Erwartungen lag der Fokus zu sehr auf Themen, die mich weniger abgeholt haben, und war somit ein, wenn auch selbstverschuldeter, Dealbreaker.

Damit hätte ich mich vielleicht abfinden können, wenn da nicht Fonthes Stil wäre. Ich habe überhaupt nichts gegen einfache und klare Sprache, im Gegenteil, aber hier wird es jedes Mal, wenn zwei Leute mit Gefühlen für einander sich begegnen, schmerzhaft kitschig. Und die Häufigkeit dieser Passagen nimmt im Laufe des Buches ununterbrochen zu, sodass ich einen auffällig großen Teil meiner Lektüre mit verdrehten Augen und leichten inneren Krämpfen verbracht habe. Dass die meisten Wendungen verblüffend vorhersehbar waren, hat auch nicht wirklich geholfen.

So bleibt mir leider nur zu sagen, dass „Wohin du auch gehst“ nicht mein Buch war. Auch wenn ich mich, da ich mich nach den erwähnten Anfangsschwierigkeiten, zumindest nicht mehr gelangweilt habe, zu sehr knappen drei Sternen durchringen konnte. Zum Glück sind Geschmäcker verschieden, was für den einen ans Unerträgliche grenzt, ist für den anderen von großer Schönheit, und bestimmt werden sich auch für diesen Roman viele begeisterte Stimmen finden. Aber von mir kann es dieses Mal keine Leseempfehlung geben.

Bewertung vom 22.07.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


ausgezeichnet

Aki ist die Tochter einer Japanerin und eines Deutschen, in Deutschland geboren und aufgewachsen. Der Kontakt zu ihren japanischen Verwandten ist seit einigen Jahren eingeschlafen, sodass Aki erst spät vom Tod ihrer Großmutter erfährt. Für Akis Mutter, die mittlerweile an Demenz erkrankt ist, ist diese Neuigkeit immer nur für wenige Minuten greifbar. Darum beschließt Aki, ihre Mutter ein letztes Mal in ihre alte Heimat zu bringen.

„Onigiri“ von Yuko Kuhn war für mich eine Zufallsentdeckung. Wären in der Inhaltsbeschreibung nicht die Wörter „Japan“ und „dement“ gefallen, wäre dieses von mir gar nicht in Erwägung gezogen worden, denn Nahrungsmittel als Titel überzeugen mich überhaupt nicht, und auch Cover-Gestaltung und -Text fand ich weniger ansprechend. Aber wie froh bin ich, mich dann doch darauf eingelassen zu haben, denn dieser Roman ist so viel mehr, als das Cover verspricht und sehr schnell zu einem meiner Lese-Highlights des Jahres geworden.

Das liegt zum einen an Kuhns fast schon nüchternem Stil. Beinahe könnte man sich fragen, wie es zu den so tief einschneidenden Ereignissen passen soll, so emotionsfrei erzählt zu werden. Wenn da nicht dieser Unterton mitschwingen würde, der einem die Fragilität erahnen lässt, die jeden Moment das „Funktionieren“ im Alltag kippen lassen kann. Ich weiß nicht, wie sie das macht, aber sie macht es großartig.

Was Kuhn auch kann, ist viele große Themen überzeugend anzugehen. Ich habe oft das Gefühl, dass sich Autoren zu viel aufladen, ehrgeizig viele Themen einbringen wollen, sich dann aber verzetteln. „Onigiri“ beschäftigt sich mit einer Natürlichkeit mit Krankheit, Ver- und Entwurzelung, kulturellen und sozialen Unterschieden, langsamen und plötzlichen Abschieden, die einfach das Leben spiegelt.

Ein weiteres Plus ist die Echtheit der Personen. Mir ist nicht bekannt, ob Kuhn Autobiografisches in ihren Roman hat einfließen lassen, und wenn ja, wie viel, aber so oder so sind ihre Charaktere zum Greifen nah. Nach der Lektüre hat man ein paar Bekannte mehr, einige davon in Japan.

Lesen ist für mich eine sehr private Sache, nur selten habe ich das Bedürfnis, andere von den Büchern, die mir gut gefallen haben, zu überzeugen. Bei „Onigiri“ ist das anders. Für dieses wunderbare Debüt wünsche ich mir viele Leser, für Yoko Kuhn mindestens eine Nominierung für den nächsten Deutschen Buchpreis und für mich noch weitere Romane von dieser Autorin, die mich genauso begeistern. Eine sehr große Leseempfehlung!

Bewertung vom 15.07.2025
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude (MP3-Download)


sehr gut

Fünf Jahre ist es her, dass ich Ocean Vuongs Debüt „On Earth We're Briefly Gorgeous“ gelesen habe. Damals begegnete einem dieser Roman überall, doch zu den ganz großen Fans habe ich nicht gehört. Es war eins dieser Bücher, von denen mir schon nach kurzer Zeit nichts mehr im Gedächtnis geblieben ist, aber immerhin habe ich damals solide vier Sterne vergeben. Auf dieser Grundlage hatte ich an Vuongs zweiten Roman „Der Kaiser der Freude“ keine übertriebenen Erwartungen, ging aber schon davon aus, ihn zu mögen.

Und so ganz falsch war diese Annahme auch nicht, Vuong macht vieles richtig. Es hat etwas Anrührendes, wie er seine Figuren am Rand der Gesellschaft sucht, und sie mit so vielen Spleens und Eigenheiten ausstattet, dass sie einfach liebenswert sind. Wie der junge Hai, den seine Mutter beim Medizinstudium wähnt, sich stattdessen nach einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik mit suizidalen Gedanken trägt, dann aber von der dementen Immigrantin Grazina aufgenommen und eine Art Pfleger für sie wird, das ist durchaus eine vielversprechende Ausgangslage. Die muntere Schar von Hais Kollegen im Imbiss, in dem er einen Job ergattert hat, kann man fast als ein Vergnügen bezeichnen. Und auch die Wahl der bevorzugten Themen unseres Autors – Armut, Sucht, Suizidgedanken, Krankheit, Homosexualität, Migration – macht seine Erzählung wieder interessant und lesenswert. Zumal er sie seinen Lesern nie unter die Nase reibt, sondern genug Raum für eigene Erkenntnisse und Gedanken lässt.

Und trotzdem habe ich mich für dieses Werk nicht voll und ganz erwärmen können. Was meiner Meinung nach daran liegt, dass vieles einfach zu viel ist. Vuongs Figuren sind alle so originell, dass es schon wieder gewöhnlich, fast langweilig ist, und sie an Individualität verlieren lässt. Dasselbe gilt für die Ereignisse, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren und einen Hauch von Melodramatik annehmen. Und Vuongs Sprache – und man merkt, dass er Sprache liebt und aus dem Vollen schöpft – überschreitet für mein Empfinden des Öfteren die Grenzen der Bescheidenheit und wirkt schon fast schwülstig.

Auch Fabian Busch als Sprecher der Hörbuchversion stehe ich ein wenig zwiegespalten gegenüber. Ich mag seine Stimme und vieles hat er gut gemacht, mich auch zum Lachen gebracht. Aber die Interpretationen einiger Charaktere hat so gar nicht mit meinen Vorstellungen übereingestimmt, hat sie dümmer oder lächerlicher klingen lassen, als ich als fair empfunden habe. Was natürlich immer das Risiko bei Hörbüchern ist und ja auch das großartige an Büchern, dass jeder seine eigene Version liest.

Um noch eine letzte Quengelei der privaten Ebene anzubringen: Die Schlachthof-Szene fand ich eine extreme Zumutung. Ich weiß nicht, welcher Lebensweise Vuong in Ernährungsfragen folgt, eine Frage, die vielleicht klären könnte, was er mit diesem sich ewig hinziehendem Grauen erreichen wollte, aber so oder so hätte ich unbedingt drauf verzichten können.

Und trotzdem sind es wieder vier Sterne geworden. Warum? Weil mir, bei allem, was mir zu übertrieben war, die Grundideen und -strukturen gut gefallen haben. Weil Vuong eine Leidenschaft für seine Inhalte ausstrahlt, die durchaus etwas Ansteckendes hat. Weil er vom Leben erzählt, wie es ist, und nicht, wie man es gerne hättet. Und weil dieser Roman für mich die Botschaft enthält, dass zwar jeder von uns in seinen Funktionen ersetzbar ist, aber niemals in seiner Ganzheit als Individuum.

Bewertung vom 10.07.2025
Beka;Poupard;Jutge, Joel

Rugby


sehr gut

Ich habe bisher wenig über Rugby gewusst und hatte auch kaum Interesse daran, das zu ändern. Eine in England erfundene Sportart, aus der später der American Football entstanden ist (der mich ebenso wenig interessiert hat), daher ebenfalls mit einem eiförmigen Ball gespielt wird, aber ohne die ganze Schutzkleidung … das war mein gesammeltes Wissen. Bis ich das unterhaltsame Cover von „Rugby – Grundlagen, Spielidee, Regeln, Rugby weltweit“ von dem Illustratoren- und Texterteam Beka und Poupard sah und dachte „Warum eigentlich nicht?“ …

Was mir gefallen hat

Vor allem der weitgefasste Inhalt. Zwar geben die Autoren merkwürdigerweise gerade der Entstehungsgeschichte des Rugbys nicht sonderlich viel Raum, aber ansonsten fand ich die Themen zum und um das Spiel sehr gut abgedeckt. Dabei war für mich das letzte Kapitel, „Das Rugbyuniversum“ eigentlich der interessanteste Teil.

Auch die Strukturierung des Textes in Fragen und Antworten ist eine clevere Idee. So kann man jederzeit schnell die Antwort auf eventuell brennende Fragen finden und sein Wissen gezielt vertiefen.

Und dann muss ich natürlich die Zeichnungen erwähnen, deren Figuren aus der französischen Comicserie „Les Rugbymen“ (natürlich ebenfalls von Beka und Poupard) stammen. Sie lockern das Buch ungemein auf und machen in ihrem Detailreichtum einfach Spaß, auch wenn ich den Humor nicht immer teilen konnte. Vielleicht braucht es da mehr Hintergrundwissen.

Was mir weniger gefallen hat

Der Aufbau des gesamten Buches hat für mich persönlich nicht den größten Sinn ergeben. Ob man sich jetzt direkt am Anfang die Zeit nehmen muss, die Spielbeteiligten vorzustellen, sei dahingestellt, aber die Spielregeln dann gleich so detailliert zu erläutern, hat mir nicht wirklich geholfen. Da fielen schon direkt am Anfang Fachbegriffe, die mir überhaupt nichts gesagt haben, über die ich aber auch erst viel später aufgeklärt werden sollte, als mein Interesse sich schon leicht frustriert abgewandt hatte. Für echte Anfänger hätte ich es sinniger gefunden, wenn als allererstes die Regeln ganz grob erklärt und dann in die Tiefe gegangen worden wäre.

Auch hätte ich mir mehr Zeichnungen gewünscht, die direkt die Spielsituation wiedergeben. Vieles konnte ich mir alleine von dem Geschriebenen gar nicht visualisieren, und die auch durchaus mal satirischen Illustrationen haben da eher zu mehr Verwirrung geführt.

Fazit

Habe ich durch die Lektüre dieses Buches gelernt, wie Rugby funktioniert? Nein, nicht wirklich. Ich habe mir direkt im Anschluss ein Spiel angeguckt, kann eine Gasse und ein Gedränge erkennen, ebenso wie einen Versuch und die Erhöhung eines ebensolchen. Aber ansonsten waren es für mich weiter nur 30 Männer, die ein Stück gelaufen sind, um sich dann in wilden Haufen aufeinander zu werfen.
Würde ich zu dem Kauf dieses Buches raten? Für Interessierte auf jeden Fall. Für Menschen mit ein paar Vorkenntnissen sollte es ein gutes Lehr- und Nachschlagewerk sein, das dazu noch einfach sympathisch ist. Und auch ich werde dem Rugby-Sport bestimmt eine weitere Chance geben, eventuell auch mal durch „Les Rugbymen“ blättern und darauf hoffen, dass Beka und Poupard auf die Idee kommen, einen Film zu den Rugbyregeln produzieren.

Bewertung vom 15.06.2025
Gundar-Goshen, Ayelet

Ungebetene Gäste


ausgezeichnet

Es ist nur ein kurzer Moment, in dem Naomi nicht auf ihren kleinen Sohn Uri aufpasst, doch er reicht, um zu einer Katastrophe zu führen. Uri stößt einen Hammer vom Balkon, der einen Teenager unten auf der Straße tödlich trifft. In Verdacht gerät aber nicht das israelische Kind, sondern der arabische Handwerker, der bei Naomi tätig war, und sofort als Attentäter verhaftet wird. Und Naomi schweigt …

So die Ausgangssituation in Ayelet Gundar-Goshens neuem Roman „Ungebetene Gäste“, und mehr möchte ich eigentlich auch nicht verraten. Ich hatte von dieser Autorin bisher noch nichts gelesen, aber sie hat mich sofort in ihre Geschichte hineingezogen. Besonders hat mich dabei die Vielschichtigkeit ihres Romans gefesselt, die Tragik, die gleich drei Familien betrifft: Naomis, die des Handwerkers und die des erschlagenen Jungen. Die Komplexität durch den politischen Hintergrund, den seit Ewigkeiten verfestigten Alltagsrassismus, das Misstrauen und die Vorurteile. Dabei wird uns Lesern die Thematik trotz aller Dramatik eher subtil vermittelt, jede Partei ist auf ihre Weise im Recht und im Unrecht, die moralische Antwort wird uns nicht unmittelbar serviert.

Ein kleiner Schwachpunkt war für mich der mittlere Teil. Er ist für sich genommen durchaus auch interessant und lesenswert, aber ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, vom eigentlichen Weg abgekommen zu sein. Ich habe den dunklen Verdacht, dass Gundar-Goshen hier einen neuen Aspekt einbringen und die Positionen verschieben wollte, aber für mich hat der Vergleich – so der denn einer sein sollte – gehinkt.

Aber dieser gefühlte kleine Schönheitsfehler hatte auf meinen Gesamteindruck nur wenig Einfluss. „Ungebetene Gäste“ ist ein Roman, der sich am Ende rund anfühlt, den ich sehr gerne gelesen habe, von einer Autorin, von der ich nun noch mehr lesen möchte. Eine ganz eindeutige Leseempfehlung.

Bewertung vom 13.06.2025
Kennedy, Louise

Das Ende der Welt ist eine Sackgasse


gut

Vor zwei Jahren habe ich mit ziemlicher Begeisterung Louise Kennedys „Trespasses“ gelesen, damals im Rahmen des BookTube Preises, bei dem ihr Erstlingswerk (neben diversen anderen Preisen und Nominierungen) die Bronze-Medaille erhalten hat. Ich war ziemlich beeindruckt von dem Talent Kennedys, Atmosphäre zu schaffen. Aber nicht die übliche (und von mir sehr geliebte), durch die man von irischem Grün, rauen Küsten und urig-originellen Einwohnern träumt, sondern eine dunkle, trostlose, die einen spüren lässt, wie sehr die politischen Spannungen des Landes den Alltag durchdringen, ohne je Alltag sein zu können.

Und genau diese Stimmung erschafft sie in der Kurzgeschichtensammlung „Das Ende der Welt ist eine Einbahnstraße“ wieder. Die Frauen, die Kennedy in den Mittelpunkt ihrer 15 Erzählungen stellt, wirken allesamt in ihren oft von Männern dominierten Situationen festgefahren, scheinen keinen Ausweg zu sehen oder gehen zu können/wollen. Für diese greifbare Dichte der Atmosphäre kann ich Kennedy nur gratulieren.

Aber davon abgesehen blieb das Buch für mich unbefriedigend. Das Abrupte, mit dem Kennedy jedes Kapitel beendet, gibt einem mehr den Eindruck, Auszüge aus 15 Manuskripten zu lesen, die mittendrin aufhören. Auszüge, die das Zeug hätten, spannende Romane zu werden, aber die mir persönlich so wenig mitgeteilt haben und mich auch nicht animieren konnten, mir selbst vorzustellen, wie es weitergehen könnte. Genau genommen hätte ich schon zwei Tage später keine einzige von ihnen nacherzählen können.

Was mich, nebenbei, auch verwundert hat, ist die Anordnung der einzelnen Erzählungen. Ich habe jetzt schon öfter gehört, dass Leser nach den ersten zwei oder drei aufgegeben und das Buch abgebrochen haben. Mir wäre es fast ebenso gegangen, aber so kann ich sagen: Sie werden besser. Je weiter man sich nach hinten vorarbeitet, umso interessanter die Geschichten. Zumindest daran erinnere ich mich noch.

Fazit: Kennedy kann schreiben, und zwar auf ihre ganz eigene, unverkennbare Weise. Und das ist recht selten und großartig. Aber ich werde mich in Zukunft auf ihre Romane beschränken.

Bewertung vom 05.04.2025
Rooney, Sally

Schöne Welt, wo bist du


gut

Vier jungen Menschen begegnen wir in Sally Rooneys Roman „Schöne Welt, wo bist du“. Da ist Alice, berühmte Schriftstellerin, die von ihrem Ruhm eigentlich die Nase voll hat. Sie verliebt sich in Simon, der in einem Lager arbeitet und damit aus einem ganz anderen Milieu kommt. Dann treffen wir noch Eileen, eine Freundin von Alice, die gerade eine Trennung hinter sich hat, und sich daraufhin auf ihre alte Jugendliebe Simon besinnt.
So die Konstellation und mehr kann man eigentlich auch nicht zur Handlung sagen, denn es gibt keine. 11 Stunden und 39 Minuten kreisen die vier um sich selbst, erläutern, erörtern, interpretieren, hinterfragen und nehmen sich wichtiger, als sie sind. Und ja, natürlich ist das, wie im richtigen Leben, aber lesen oder hören muss ich darüber nicht unbedingt.

Der geschätzte Leser hat es vielleicht schon vermutet: Ich bin kein großer Sally Rooney Fan. Ich habe mittlerweile drei ihrer Romane gelesen, zugegebener Maßen auch ohne vor Langeweile in ein Koma zu fallen, aber im Prinzip hätte einer gereicht. Eigentlich schreibt sie immer dasselbe. Leicht frustrierend ist dabei, dass man immer mal wieder auf interessante Gedanken und gute Szenen trifft, aber mich verlässt nie das Gefühl, dass Rooney ohne Ende konstruiert. Dass sie nicht in der Lage ist, sich einmal einfach fallen zu lassen, ohne ihre Leser, deren Wünsche und vielleicht auch die Verkaufszahlen im Blick zu haben.

Was nun das Einlesen von Julia Nachtmann betrifft – auch da hat mich nichts geflasht oder gefesselt. Für mich eine Stimme gleich vielen, von der ich nicht sagen könnte, ob ich sie schon mal gehört habe, oder nicht. Den Roman aufwerten oder retten kann sie leider auch nicht.

So bleibt „Schöne Welt, wo bist du“ ein mittelmäßiges Hörerlebnis, auf das ich auch durchaus hätte verzichten können. Zum Glück hat Frau Rooney ja genug begeisterte Leser, sodass meine Abwesenheit nicht weiter ins Gewicht fällt, aber für mich war es wohl mein letzter Versuch, mich mit ihrem Werk anzufreunden.

Bewertung vom 29.09.2024
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir?


sehr gut

Juno ist 50 und Performancekünstlerin. Ihre Tage verbringt sie bei Proben und Vorstellungen, dazwischen pflegt sie seit über 15 Jahren ihren Mann Jupiter (es wird nicht explizit erwähnt, aber von der Medikation ausgehend würde ich vermuten, dass er MS hat). Nachts kann sie nicht schlafen und chattet daher im Internet mit Love-Scammern. Es macht ihr Spaß, diese zu verwirren und auflaufen zu lassen. Doch dann lernt sie eines Nachts Beno kennen und dieses Mal entwickelt sich das Gespräch anders.

Ich hatte eigentlich nicht vor, „Hey guten Morgen, wie geht es dir“ von Martina Hefter zu lesen. Eine Frau mittleren Alters, die nachts mit Love-Scammern chattet, während ihr pflegebedürftiger Mann nebenan schläft, kam mir wenig reizvoll vor. Aber dann landete der Roman auf der Long- und schließlich auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2024, die positiven Stimmen wurden mehr und schließlich wurde ich doch neugierig.

Eigentlich habe ich das Buch auch wirklich gerne gelesen, ich fand es unterhaltsam, an einigen Stellen hat es mich zum Nachdenken gebracht, an anderen habe ich mich an pointierte Beobachtungen Junos erfreut. Genug, um spontan die vollen fünf Sterne zu vergeben.

Aber dann habe ich mich nicht sofort an die Rezension gesetzt, ein paar Tage verstreichen lassen, und es ist das passiert, was einem wirklich guten Buch nicht passieren sollte: Es hat sich in nur wenigen Tagen fast komplett aus meinem Gedächtnis gelöscht.

Woran das gelegen hat? Ich mochte Juno als Protagonistin, ihre trockene Art, mit der sie, fast schon selbstgerecht, Scammer (oder sagen wir: potenzielle, Juno macht sich nicht wirklich die Mühe, erstmal herauszukriegen, ob ihr Verdacht berechtigt ist) auflaufen lässt. Ich fand ihre Lebensbetrachtungen nicht uninteressant. Ich fand, dass sie einige gute Themen angestoßen hat.

Aber da ist vielleicht schon einer der Knackpunkte: „angestoßen“. Denn im Rückblick weiß ich nicht so wirklich, worum es in dieser Geschichte gehen sollte. Love-Scamming? Vorurteile/Rassismus? Frauen mittleren Alters (oder auch hohen Alters, wenn man sich in der Tanzwelt bewegt)? Pflegende Angehörige? Problematik einer Beziehung mit einem schwerkranken Partner? Es ist natürlich völlig legal, mehrere Themen in einem Roman unterzubringen, aber es hilft, wenn man sie dann auch greifbar macht. Hier blieb mir alles etwas zu wabernd in der Schwebe, hatte etwas zu wenig Substanz.

(Kann mir mal bitte jemand diesen ausufernden Gebrauch an Götter-/Planetennamen erklären Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich den nicht ein wenig zu platt fand).

Das mag eine etwas dürftige Analyse sein, aber mehr präsentiert sich mir leider nicht mehr. Und trotzdem bleibt „Hey guten Morgen, wie geht es dir“ ein Buch, das ich gerne und schnell gelesen habe. Hätte ich nicht den Fehler gemacht, meine Meinung nicht sofort zu Papier zu bringen, wäre mir das Körnchen innerer Unzufriedenheit vielleicht nie aufgefallen. Es ist auf jeden Fall ein Roman, der bedeutend besser ist, als sein Cover-Text vermuten lässt und ich würde Interessierte durchaus ermutigen, ihm eine Chance zu geben.

6 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.