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Sophia

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Insgesamt 101 Bewertungen
Bewertung vom 04.11.2025
Engel, Kathinka

Love is Wild - Uns gehört die Welt / Love is Bd.3


ausgezeichnet

Curtis ist Schlagzeuger der Band "After Hours" und lebt mit seiner Mitbewohnerin Amory im trubeligen New Orleans. Seit er seine Eltern bei einem Hurrikan verloren hat, hat er mit unverarbeiteten Problemen zu kämpfen, rastet aus und prügelt sich. Mit Amory führt er eine lockere Affäre, doch als sie bei der Arbeit jemanden kennenlernt, kommt für Curtis noch die Eifersucht hinzu. Als die Situation vollends eskaliert, zieht Amory einen Schlussstrich - und Curtis muss sich fragen, ob er sein Leben wie bisher weiter führen möchte oder sich etwas ändern muss.

Im dritten Band der "New Orleans"-Reihe begleiten wir Curtis und Amory - und wie immer bei Kathinka Engels Büchern bin ich ich voll begeistert!
Die beiden vorigen Bände haben mir ebenso unglaublich gut gefallen, Curtis lernt man jedoch nochmal von einer ganz anderen Seite kennen. Beim Lesen spürt man seine Explosivität und angestaute Wut, aber auch Sanftheit und Liebe im Umgang mit Amory. Der Erzählstil und die sich abwechselnden Kapitel aus Amorys und Curtis' Sicht passen wieder mal perfekt zur Geschichte. Curtis lernt, nach der kompletten Eskalation, dass es in Ordnung ist, Gefühle rauszulassen, aber man muss sich auch anschauen, was dazu führt, dass man immer wieder so wütend wird.
Amory hingegen ist eine regelrechte Powerfrau und selbstbewusst, sie steht für sich ein und kommt auch mit Curtis' oft roher und abweisender Art zurecht. Die Geschichte zeigt wunderbar, dass man zusammen alles schaffen kann, aber heilen kann man sich nur selbst um sicher und standfest durchs Leben zu gehen.
New Orleans wird wie in allen Büchern der Reihe wunderbar und mit viel Liebe zum Detail beschrieben, die Geselligkeit und auch der Zusammenhalt der Stadt wird deutlich, am liebsten würde ich die "After Hours" auch einmal bei einem Auftritt miterleben :)

Ein großartiger Roman, von mir gibt es, wie für alle Bücher der Autorin, eine große Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.11.2025
Strømsborg, Linn

Verdammt wütend


sehr gut

Die 43-jährige Britt ist im Urlaub mit ihrem Mann, ihrer Tochter und Freunden ihres Mannes als nichts mehr geht: jahrelange, unterdrückte Wut bahnt sich ihren Weg und Britt rastet komplett aus. Wut aufs Leben, auf ihre Mutter, die die Familie verlassen hat als Britt zwölf Jahre alt war und Wut auf ihren Mann und die Freunde. Nachdem die überkochenden Emotionen abgeklungen sind, fragt sich Britt: kann die entladene Wut auch eine Chance auf Veränderung sein?

Der Titel und Klappentext haben mich direkt angesprochen, denn wer von uns ist nicht öfters mal "verdammt wütend" auf die verschiedensten Dinge und Menschen. Britt wollte immer jedem alles recht machen, sie hat Ärger stets herunter geschluckt und sich den Erwartungen von Umfeld und Gesellschaft gebeugt. Seit sie klein ist, versucht sie den Spagat zu meistern, der gerade als Frau schier unmöglich scheint: lieb sein, gut aussehen, aber nicht zu gut, einen Haushalt führen, einen Mann suchen, eine gute Mutter sein. Gerade ihr Mann Espen hat dies stets gut auszunutzen gewusst - Britt kümmert sich um die gemeinsame Tochter, Britt schmeißt den Haushalt, Britt kümmert sich um alles Wichtige. Er wirkt von allen Beteiligten am wenigsten sympathisch, oft habe ich mich beim Lesen gefragt, wie Britt überhaupt so lange mit ihm zusammen sein konnte. Ich konnte Britts Wut fast immer nachvollziehen, der Autorin gelingt es, die Probleme dieser Beziehung in den relativ wenig Seiten auf den Punkt zu bringen. Die Beziehung von Britt und Espen steht stellvertretend für Millionen von Beziehungen, die genau so ablaufen - und aus der man aber ebenso gut ausbrechen kann, Emotionen zeigen darf und kommunizieren kann.

Der Erzählstil ist oft poetisch, in Momentaufnahmen und Erinnerungsstücken setzt sich die Handlung wie ein Mosaik zusammen. Interessant ist auch, dass man als Leser den eigentlichen Ausbruch Britts gar nicht liest sondern nur das Danach. Es zeigt, was Wut losreißen, aber auch schaffen kann, denn Britt kümmert sich danach wahrscheinlich das erste Mal nur um sich selbst.
Die Kapitel sind kurz, oft nur eine halbe Seite lang, sie hätten für mich noch mehr auserzählt werden können, um einen besseren Lesefluss zu erreichen. Generell hätte ich mir noch mehr Seiten und Handlung gewünscht um noch tiefer in die Emotionen eintauchen zu können, wie es dazu kam und was in dem "Danach" passiert, aber auch um mehr von den einzelnen Beteiligten zu erfahren.

Es ist ein aufrüttelndes Buch, das zeigt, was passiert, wenn Wut, die in unserer Gesellschaft am besten unterdrückt werden soll, ausbricht. Wut hat ihre Daseinsberechtigung und sollte wie alle anderen Gefühle ebenso beachtet werden. Von mir gibt es eine Leseempfehlung für alle, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen möchten.

Bewertung vom 30.10.2025
Larrea, Maria

Die Kinder von Bilbao


gut

Maria Larrea erzählt in ihrem autobiografischen Roman über ihre illegale Adoption, von der sie erfährt, als sie Ende zwanzig ist. Für sie bricht eine Welt zusammen, dennoch begibt sie sich auf Spurensuche zu ihrer leiblichen Familie in Bilbao. Parallel erzählt sie die Geschichte ihrer Adoptiveltern Julián, aus der Nähe von Bilbaos und Victoria, aus Galicien, und von ihrer nicht einfachen Kindheit in Paris.

Das Buch ist aus Marias Ich-Perspektive geschrieben und bietet somit viel Einblick in ihre Gefühlswelt, was mir gut gefallen hat. Etwas Probleme hatte ich mit dem Erzählstil, der sehr filmisch und oft nüchtern, aber schonungslos ehrlich ist. Mit dem Hintergrundwissen, dass die Autorin Regisseurin ist und das Buch ihr Debütroman, wirkt der Erzählstil zwar nochmal mehr, blieb mir aber immer etwas fremd. Ich hatte auch, gerade anfangs, Probleme, die relativ kurzen Kapitel einzuordnen, weil abwechselnd von verschiedenen Personen erzählt wird, die Kapitel haben keine Überschriften.
Interessant ist es, von Marias Kindheit zu lesen, sie arbeitet sich hoch und wird an einer renommierten Filmschule angenommen. Ihr Verhältnis zu ihren Adoptiveltern ist nicht immer leicht, die Familie hat wenig Geld. Trotzdem wird für mich nicht ganz klar, wie sie genau zu ihren Eltern steht.
Der Umstand, wie sie von ihrer Adoption erfahren hat, wirkt beim Lesen unglaubwürdig, passt aber zum filmischen Erzählstil. Für mich hätte der Teil ihrer Suche nach ihrer leiblichen Familie noch länger gehen können, er nimmt kaum die Hälfte des Buches ein, ist aber eigentlich der zentrale Kern der Geschichte. Es geht zu viel um ihre Adoptiveltern, die aus prekären Verhältnissen in Spanien stammen, ich hätte mir beim Lesen jedoch gewünscht, auch mehr über das Leben und den Alltag der Autorin zu erfahren, von ihrem Mann und ihren Kindern ist kaum die Rede.

"Die Kinder von Bilbao" konnte mich nicht ganz abholen, der Erzählstil war mir zu filmisch und das zentrale Thema der illegalen Adoption wurde für mich zu kurz gehalten. Dennoch ist es ein interessanter autobiografischer Roman, der mit Figuren und Situationen spielt.

3,5/5 Sternen

Bewertung vom 29.10.2025
Glasgow, Kathleen

The Glass Girl


ausgezeichnet

Bella ist fünfzehn Jahre alt und hat es gerade nicht leicht: ihre Eltern haben sich getrennt, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester wechselt sie wochenweise zwischen den beiden und ihre Großmutter ist vor kurzem erst gestorben. Zudem spürt sie großen Leistungsdruck in der Schule und das Gefühl, zu jeder Zeit funktionieren zu müssen. Das alles erträgt sie nur durch die Abende mit ihrer Clique, bei denen der Alkohol fließt. Dass der Alkohol auch immer präsenter im Alltag und nicht nur mit ihrer Clique zusammen wird, verdrängt Bella lieber. Bis eines Tages nichts mehr geht und Bella dämmert, dass sie so nicht weiterleben kann. Eine schwierige Reise für sie beginnt.

Ich kann nur sagen: wow! Was für ein grandioses, wichtiges und eindrückliches Buch! Ich hatte zuvor noch nichts von Kathleen Glasgow gelesen, aber das Thema Alkoholsucht in Verbindung mit dem tollen Cover und Klappentext hat mich neugierig gemacht. Es ist kein leichtes Buch für zwischendurch, es ist harter Tobak, denn mit Bella geht man sprichwörtlich durch die Hölle. Ungeschönt und echt beschreibt sie alles, was ihr im Kopf herumschwirrt: angefangen vom Alkohol besorgen (für sie und ihre Freunde als Minderjährige gar nicht so leicht), ihr Gefühl beim Trinken, ihr Verlangen nach mehr und Abstürze und Filmrisse aller Art. Oft musste ich das Buch kurz zur Seite legen, weil es so intensiv ist, dass man das Gelesene erst verarbeiten muss.

Bella ist ein ganz normaler Teenager, der gerade in einer schwierigen Phase steckt. Angefangen vom Leistungsdruck in der Schule über den Tod der Großmutter, der in der Familie nie thematisiert oder aufgearbeitet wurde bis zu den streitenden Eltern, zwischen denen sie und ihre Schwester pendeln müssen. Vor allem die Eltern haben mich oft unheimlich wütend gemacht: sie benutzen Bella als "Sprachrohr" um nicht miteinander kommunizieren zu müssen, auch das zu Bett bringen der Schwester überlassen sie meist Bella, denn sie meistert ja scheinbar mühelos den ganzen Alltag. Und wenn sie funktioniert und alles perfekt schafft und unter einen Hut bekommt, sind auch alle um sie herum glücklich, oder? Die Eltern ziehen sich geschickt aus der Affäre und der Verantwortung, denn als Eltern in Trennung hat man ja genug Probleme - und Bella schafft das alles schon. Sie verliert sich dabei immer mehr und es tut weh beim Lesen, sie in ihrer Zerrissenheit und Erschöpfung zu erleben. Oft wollte ich sie einfach in den Arm nehmen und die Last von den Schultern, denn dass sie psychisch immer mehr abbaut, sollten eigentlich alle um sie herum merken. Einzig ihre beste Freundin macht sich Sorgen um sie und bemerkt den verstärkten Alkoholkonsum. Aber Bella redet sich immer wieder geschickt raus und entwickelt Möglichkeiten und Schlupflöcher, wie sie heimlich und unbemerkt trinken kann.
Wenn man beim Lesen denkt, dass das alles schon schlimm und fordernd zu lesen ist, wartet noch erst die größte Herausforderung: ein Aufenthalt in der Suchtklinik für Jugendliche. Was sie dort erlebt, möchte ich gar nicht spoilern und zu ausführlich beschreiben, denn sie durchlebt alle Phasen des Nichttrinkens, des Verlangens und noch mehr.
Das Buch ist komplett aus Bellas Ich-Perspektive geschrieben, was einem das Mädchen und die Probleme nochmal viel näher bringt. Auch das Nachwort ist bewegend und toll geschrieben, man merkt der Autorin beim Lesen an, dass es keine einfach zu schreibende Geschichte für sie war.
Alkohol ist leider, vor allem in unserer Gesellschaft, allgegenwärtig und wird zu oft verharmlost und in den Alltag integriert. Auch z.B. Bellas Vater lässt nichts auf sein "Feierabendbier" kommen und in der Clique und auf Partys sowieso ist der Alkohol stets präsent.

Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung für dieses wichtige und eindrückliche Buch. Auch als Schullektüre könne ich mir das Buch vorstellen, zeigt es doch die Gefahren von Alkoholsucht auf und wie leicht es jeden von uns treffen kann. Aber auch Erwachsenen möchte ich das Buch empfehlen. Es sollte öfter Bücher wie dieses geben! Unbedingt lesen!

Bewertung vom 28.10.2025
Uketsu

HEN NA IE - Das seltsame Haus


gut

Worum es geht
Der namenlose Ich-Erzähler ist ein auf Okkultismus spezialisierter Autor. Ein Bekannter bittet ihn, den Grundriss eines Hauses zu prüfen, das er eventuell kaufen möchte. Gemeinsam mit Kurihara, einem befreundeten Architekten, der ebenfalls Interesse an Okkultismus hat, sieht der Erzähler sich den Grundriss an. Die beiden entdecken schnell, dass es einige Auffälligkeiten gibt, die, je mehr man den Grundriss untersucht, immer beunruhigender scheinen. Vor allem das Kinderzimmer gibt Rätsel auf. Als die beiden dann noch einen weiteren Grundriss zu Gesicht bekommen, der mit dem ersten zusammenhängt, kommen Geheimnisse ans Licht, die zu grauenhaft scheinen, um wahr zu sein...

Meine Meinung
Nachdem ich im ersten Band "Seltsame Bilder" ein neues Lesehighlight gefunden habe, war ich unheimlich gespannt auf den zweiten Band. Die beiden Bücher lassen sich unabhängig voneinander lesen. Ein Blick auf die Rückseite verrät, dass "Das seltsame Haus" eigentlich das Debüt von Uketsu ist und in Deutschland die Reihenfolge genau umgekehrt war.
Ich bin mit hohen Erwartungen in die Geschichte gestartet - und wurde leider enttäuscht. Die erste Hälfte konnte mich noch mitreißen, die zweite Hälfte war dann enttäuschend und nur noch verwirrend.
Zunächst wird, wie im ersten Band bereits ein Bild, ein Grundriss abgebildet. Als Leser ist man wieder gefragt, mitzurätseln und zu forschen ob man etwas Ungewöhnliches entdeckt. Dieser Start hat mir wieder mal sehr gut gefallen, die Spannung wird direkt zu Beginn aufgebaut und hoch gehalten. Kurihara als Architekt hat dann natürlich nochmal eine ganz andere Sichtweise auf den mysteriösen Grundriss, er und der Ich-Erzähler ergänzen sich in der ersten Hälfte des Buches wirklich gut. Das gesamte Buch ist mehr oder weniger in Dialogform erzählt, was eine gute Dynamik in die Geschichte bringt, einem als Leser jedoch auch immer etwas fern und distanziert bleibt. Emotionen oder Beschreibungen, die nicht zwingend zur Situation passen, werden nicht beschrieben.
Die Grundrisse der Häuser sind in der ersten Hälfte für meinen Geschmack etwas zu viel abgedruckt. Man kann damit dem Geschehen und den Vermutungen immer sehr gut folgen, aber manchmal erweckte es den Anschein, dass der Autor die Seiten "füllen" wollte und der Grundriss deshalb auffallend oft gedruckt war. Vor allem als der zweite Grundriss auftauchte und klar war, dass beide zusammenhängen, wurde es nochmal spannender. Mit neuen Personen, die in den Fall involviert sind, nimmt die Geschichte bis zur Hälfte an Tempo auf - um sich dann selbst zu verheddern und eine "an den Haaren herbei gezogene" Geschichte und Auflösung zu erarbeiten. Als hätte der Autor in der zweiten Hälfte selbst nicht mehr gewusst, wohin er uns Leser und die Geschichte führen will, haut er mit Namen, Familienkonstellationen und Begebenheiten nur so um sich. Die Story flacht zusehends ab, spätestens bei der Erklärung mit den viel zu vielen Namen war ich raus. Die Grundrisse, die in der ersten Hälfte überhand nehmen, fehlen im zweiten Teil als Stammbäume oder Zeitleisten.
Die Geschichte, die Kurihara hinter den beiden Grundrissen vermutet, ist für mich schon sehr aus der Luft gegriffen, ohne die Hintergründe oder Familie, die darin gelebt hat, zu kennen, kann man nicht schlussfolgern, dass es dort ein mordendes Kind gegeben haben soll. Ich hatte im zweiten Teil einen richtig guten Plottwist erwartet oder eine Auflösung, die ich so nicht habe kommen sehen, aber es plätscherte nur so dahin.
Für Europäer mag es nochmal deutlich schwieriger sein, die japanischen Namen und Familienkonstellationen auseinander zu halten, jedoch passte der zweite Teil nicht zum tollen Anfang und der Ausgangslage der Story. Auch das Nachwort hat mir eher noch mehr verwirrt als Aufklärung zu schaffen - vielleicht hat Uketsu aber auch genau das im Sinn gehabt: was ist real, was ist ausgedacht oder erweitert und was kann man wirklich glauben?

Mein Fazit
"Das seltsame Haus" kommt für mich leider nicht an den ersten Band des Autors heran. Mit dem Wissen, dass dieser Band hier das Debüt ist, schaue ich auch nochmal anders auf den ersten Band. Man merkt, dass Uketsu sich beim Schreiben weiterentwickelt hat und die Handlung und Figuren stimmiger und runder sind. Wer noch nicht "Seltsame Bilder" gelesen hat: lest es unbedingt, es ist ein völlig neues Genre und das Miträtseln ist dort garantiert. Dieses Buch hier konnte mich leider nicht überzeugen, schade!

2,5/5 Sternen

Bewertung vom 22.10.2025
Wahl, Caroline

22 Bahnen


sehr gut

Tildas Alltag ist durchstrukturiert: sie studiert Mathe, sitzt nach der Uni noch an der Supermarktkasse und kümmert such um ihre jüngere Schwester Ida. Die Mutter ist alkoholabhängig, Väter gibt es nicht und sie versucht, den Alltag irgendwie zu meistern. Als sie eine Promotionsstelle in Berlin in Aussicht gestellt bekommt, kommt sie ins Grübeln und die Freiheit scheint zum Greifen nah. Als Viktor auftaucht, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war, geraten die Dinge noch mehr in Bewegung. Als Tilda glaubt, dass am Ende doch noch alles gut werden könnte, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.

Ich bin ziemlich late to the party, aber ich wollte das Buch schon länger lesen und bevor der Film dazu ins Kino kommt. Das Cover finde ich gut gestaltet, es greift das Thema Schwimmen auf, das im Roman eine essentielle Rolle spielt und mit den kurzen Pinselstrichen wirkt es dynamisch.
Der Roman ist aus Tildas Ich-Perspektive geschrieben, man erhält so einen direkten Einblick ins Geschehen. Tilda ist ehrgeizig, opfert sich für ihre Schwester auf, man merkt beim Lesen, dass unter der toughen Oberfläche mehr steckt und Tilda emotional Einiges mit sich herum schleppt. Der Schreibstil ist authentisch und echt, allerdings hat mir die Konstruktion der wörtlichen Rede weniger gefallen, es hat den Lesefluss für mich etwas erschwert. Die Geschichte wirkt leise, dafür trifft sie mit nüchterner Emotionalität und Tatschen, die ungeschönt erzählt werden. Die Handlung ist schnell zusammengefasst und oft plätschert sie eher dahin als dass sich Spannung aufbaut. Sie lebt von den Emotionen, Situationen und Figuren, die allesamt gut gezeichnet sind. Vor allem der Beziehung von Tilda und Ida kommt eine große Bedeutung und Besonderheit zu. Auch Viktor wirkt authentisch, Tilda und ihn verbindet nur die Geschichte rund um seinen Bruder Ivan, aber zwischen den beiden entsteht eine besondere Beziehung, die wenig Worte bedarf.
Die Autorin greift viele wichtige Themen auf: Alkoholsucht, ein trister Alltag, Geschwisterbeziehung und schmerzhafte Erinnerungen und verwebt sie oft als selbstverständlich und gnadenlos, oft leise und unterschwellig in die Geschichte.

"22 Bahnen" ist ein leiser Roman, der von den Beziehungen und Charakteren lebt. An manchen Stellen hat mir die Handlung gefehlt und der Aufbau der wörtlichen Rede ist auch gewöhnungsbedürftig. Nichtsdestotrotz ist der Roman gelungen und den Hype, mit ein paar wenigen Schwächen, wert.

Bewertung vom 16.10.2025
Jackson, Holly

Not Quite Dead Yet


sehr gut

Jet ist 27 Jahre alt und gehört zu einer der reichsten Familien der Stadt Woodstock, ihrem Vater gehört eine große Baufirma. An Halloween ist sie, wie fast alle Bewohner der Stadt, bei einer großen Party. Wieder alleine zu Hause wird sie auf brutale Weise überfallen und wacht im Krankenhaus wieder auf. Sie hat durch Schläge auf den Hinterkopf ein Aneurysma im Gehirn, das in etwa sieben Tagen zum Tod führen wird. Sie ist geschockt, möchte jedoch für Gerechtigkeit kämpfen und gemeinsam mit ihrem besten Freund Billy begibt sie sich auf die Suche nach ihrem Mörder. Und je tiefer sie gräbt, desto mehr gerät auch ihr eigenes Umfeld und ihre Familie ins Visier ihrer Ermittlungen.

Als großer Holly Jackson-Fan war ich sehr gespannt, wie sie ihren ersten Roman für Erwachsene gestaltet, da sie bisher im YA-Bereich unterwegs war. Und wie immer bin ich, bis auf ein paar kleine Schwächen, begeistert!
Das Cover hat mich natürlich sofort angezogen und ist toll und passend gestaltet. Man ist auch sofort in der Geschichte drin, die Geschichte wird aus Jets Perspektive erzählt. Jet blieb mir lange fremd, aber man merkt beim Lesen schnell, dass sie eine Mauer um sich herum aufgebaut hat, die die Menschen um sie herum nur schwer durchdringen können. Beim Lesen habe ich allerdings oft gedacht, dass sie auch als 17-Jährige durchgehen könnte, sowohl vom Denken als auch vom Verhalten. Die Charaktere werden alle hervorragend beschrieben, man bekommt einen guten Einblick in alle Figuren und nichts bleibt blass oder an der Oberfläche, was mir, wie immer bei Holly Jackson, sehr gut gefallen hat.
Ebenso die Handlung ist spannend und packend und wird einem Thriller gerecht. Man begleitet Jet und Billy bei ihrer Suche nach dem Mörder, oft hatte ich aber das Gefühl, dass Details zu sehr ausgeschmückt wurden und die Handlung etwas auf der Stelle tritt, gerade im Mittelteil. Jet mit ihrer unglaublichen Energie schafft es immer wieder, sowohl Billy als auch den Leser mitzureißen und die Spannung zu halten.
Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich auch Umstand, dass Jet trotz tödlicher Diagnose aus dem Krankenhaus entlassen wird und anfängt zu ermitteln. Trotz Wortfindungsstörungen und stechender Kopfschmerzen kann sie scheinbar auch schwere körperliche Arbeit verrichten. Vielleicht mobilisiert sie all ihre Kräfte, eine Kämpfernatur ist sie ja, aber es erschien mir etwas zu unrealistisch. Obwohl man letzten Endes weiß, wie das Buch ausgeht, ist es mehr als spannend, den Täter zu finden - genug Verdächtige gibt es.

Auch mit "Not Quite Dead Yet" hat Holly Jackson bewiesen, dass sie ihr Handwerk beherrscht. Mit ein paar kleinen Schwächen möchte ich das Buch jedem empfehlen, der die Bücher von Holly Jackson liebt und einen packenden Thriller mit einer spannenden Ausgangslage und tollen Charakteren sucht.

Bewertung vom 13.10.2025
Kicaj, Jehona

ë


ausgezeichnet

Jehona Kicaj ist 1991 im Kosovo geboren und in Göttingen aufgewachsen. Sie hat Germanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft studiert. Als Kind kosovarischer Geflüchteter erzählt sie ihre Geschichte und die des Krieges im Kosovo Ende der 90er Jahre, den sie aus sicherer Entfernung in Deutschland miterlebt. Sie erzählt von ihrer eigenen Familie, aber auch von Exil, Flucht, Migration und Völkermord. Der Titel "ë" steht dabei für einen Buchstaben, der essentiell für die albanische Sprache ist, aber kaum hörbar ist beim Sprechen.

Mit 176 Seiten ist das Buch nicht allzu dick, hat es dafür aber in sich. Sprachgewaltig und feinfühlig beschreibt die Autorin hier ein wichtiges Thema, das in Vergessenheit gerät und für viele von uns nicht präsent ist oder war. Sie verpackt sensible Themen wie Krieg, Flucht und Sprachlosigkeit gekonnt in eine Geschichte, die sowohl ihr selbst als auch allen Opfern und Überlebenden des Krieges gerecht wird.
Der Roman beginnt mit der Sprachlosigkeit im weitesten Sinne - bei einem Zahnarztbesuch. Die Autorin benötigt eine Beißschiene, denn sie presst die Kiefer wohl so fest aufeinander, dass Zähne und Knochen Schaden nehmen. Bereits hier zeigt sie eindrucksvoll, wie sie die Sprachlosigkeit und -suche erlebt, stets zwischen zwei Sprachen zu sein, die Sprache nicht finden und greifen zu können. Sie widmet sich einer Fülle an Themen, auch ihre Erfahrungen als Kind Geflüchteter in Deutschland sind Thema: Rassismus und Ausgrenzung in Schule und Universität, aber auch im Alltag. Ebenso die kollektiven Erinnerungen, beispielsweise ihrer Eltern oder anderer Familienmitglieder und die Angst, die Sprache zu verlieren, beschreibt sie treffend und stets wird ihre Zerrissenheit deutlich, an der sie uns als Leser teilhaben lässt. Der Erzählstil ist dabei sachlich, aber eindringlich und nie belehrend und das entfaltet einen Sog beim Lesen, dem man sich als Leser kaum entziehen kann. Einen kleinen Abzug gibt es für mich für die vielen Wechsel der Zeit- und Personenebenen, weil das Buch keine Kapitel oder Überschriften hat. Oft musste man sich erst wieder in die Geschichte einfinden, wenn in einem neuen Absatz ein neuer Gedanke aufgegriffen wird. Aber es fordert beim Lesen und passt zur Handlung und der Geschichte.
Das Buch hat mich sehr bewegt und zum Nachdenken gebracht, es hallt nach und greift das Thema und die Aufarbeitung des Kosovokrieges auf, das oft ignoriert wird und in Vergessenheit gerät.

Jehona Kicaj jat mit "ë" einen gewaltigen, wichtigen und fordernden Roman geschrieben, der nicht nur unterhält sondern auch die Grausamkeiten und Komplexitäten von Krieg, Migration und Sprachlosigkeit aufgreift. Für mich völlig zurecht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2025, ich würde mich freuen, wenn sie damit ausgezeichnet wird. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.10.2025
Lühmann, Hannah

Heimat


ausgezeichnet

Jana zieht mit ihrem Mann und den beiden Kindern aus der Großstadt aufs Land, pure Idylle, viel Grün und eine Nachbarschaft mit vielen Kindern. Sie ist erneut schwanger und hat ihren Job im Marketing gekündigt, ohne mit ihrem Mann vorher darüber zu sprechen. Jana ist oft überfordert mit den beiden Kindern und froh, wenn sie sie für ein paar Stunden in der Kita abgeben kann. In der Ehe kriselt es und so ist sie oft alleine mit den Kindern. Schon bald begegnet sie Karolin, die das genaue Gegenteil von Jana ist: ihren Alltag mit fünf Kindern meistert sie scheinbar mühelos und sie geht locker durchs Leben. Jana folgt ihr bei Instagram, wo sich Karolin als sogenannte Trad-Wife präsentiert: sie erzählt, wie gerne sie mit den Kindern zu Hause ist, gibt Tipps zu Erziehung, Haushalt und dem Leben als Mutter und Ehefrau im Allgemeinen und scheint fest im Glauben und christlichen Werten verankert. Jana wird immer weiter eingesogen in dieses ihr neue Lebensmodell und verändert sich immer mehr. Aber auch bei Karolin ist nicht alles so perfekt, wie es scheint.

Schon der Klappentext hat mich direkt angesprochen, einen Roman über den Trend von Trad-Wives habe ich in der Form noch nicht gesehen oder gelesen.
Die Geschichte ist komplett aus Janas Ich-Perspektive geschrieben, was ihre Veränderung und Gedanken sehr gut ins Licht rückt. Schon zu Beginn übt die Handlung einen Sog auf den Leser aus, dem man sich bald nicht mehr entziehen kann. Die Ideologie, die Karolin vertritt, schleicht sich lautlos an: in einem Buchclub, den Karolin leitet, bespricht sie ein Buch, das propagiert, Kinder zu Hause zu erziehen ohne Kita und äußere Einflüsse. Oder das Selbstherstellen von Lebensmitteln, weil die Industrie uns und unsere Kinder vergiften will. Oder die christlichen Werte, die sie ihren Kindern vermitteln will. Es gibt viele große und kleine Beispiele, die mir mehr oder weniger aufgefallen sind, weil sie eben so nebensächlich und selbstverständlich betrachtet werden. Oft war ich auch selbst, wie Jana, hin- und hergerissen, denn eigentlich ist ja z.B. Zeit mit seinen Kindern verbringen zu wollen, per se nichts Schlimmes. Die Autorin schafft es gekonnt, ohne Wertung oder erhobenen Zeigefinder, ohne Pro oder Kontra zu erzählen mit viel Feingefühl und Präzision, der Schreibstil lässt viel Raum für Interpretationen. Gerade dieser leise und elegante Schreibstil holt einen ab und übt einen Sog aus, dem ich mich bald nicht mehr entziehen konnte und das Buch an zwei Nachmittagen gelesen habe.

Die Figuren sind allesamt toll und realistisch gezeichnet. Da wir alles aus Janas Sicht erfahren, ist die Betrachtung zwar subjektiv, aber als Leser kann man sich dennoch ein gutes Bild der Situation und der Figuren machen. Vor allem Karolin hatte ich sofort genau vor Augen, weil sie die Menge an Influencerinnen und Trad-Wives, die einem in den sozialen Medien begegnen, mehr als treffend repräsentiert. Lühmann gelingt es, diese Figuren sowohl sachlich als auch feinfühlig genug zu beschreiben, sodass sich der Leser selbst ein Bild machen muss.

"Heimat" ist ein rundum gelungener Roman, der den oft wenig beachteten, aber umso gefährlicheren Trend der Trad-Wives aufgreift. Außerdem werden viele wichtige Themen aufgegriffen wie das Spiel mit klassischen Rollenbildern, Erziehung, Stadt-Land-Gefälle und Familienprobleme. Es ist ein Buch, das schnell gelesen ist, aber lange nachhallt. Leise wird eine Geschichte erzählt, die sich genauso wahrscheinlich zu Tausenden in Deutschland abspielt. Als Leser ist man gefragt, sich eine Meinung zu bilden, abzuwägen und für sich zu entscheiden, wie man die Handlungen und Situationen bewertet. Es hat mich öfters wütend gemacht, wie Jana in die "Falle" tappt und sich immer weiter in dieses rechte Milieu begibt. Vor allem aber, wie Karolin und ihr Mann dieses Leben, das sie präsentieren, rechtfertigen: mit christlichen Werten und auf die Familie und Rollenbilder fokussiert, denn z.B. ist ein Mann, der im Haushalt hilft, das Schlimmste, Kinder in die Kita "abzuschieben", nur damit die Eltern ihre Ruhe haben, das Schlimmste oder der Mann hat in der Familie natürlich das letzte Wort und als Frau muss man sich eben auch mal unterordnen.

Der Roman wird mich noch lange beschäftigen. Das sehr offene Ende hat mich erstmal ratlos zurück gelassen, aber auch darüber denkt man noch lange nach, denn er lässt viel Interpretationsspielraum. Es hätten auch für mich noch mehr Seiten sein dürfen, denn Einiges bleibt unklar oder wird nicht ausgeleuchtet, aber das macht auch den Reiz der Geschichte aus. Große Leseempfehlung für dieses wichtige Thema!

Bewertung vom 01.10.2025
Durgun, Tahsim

'Mama, bitte lern Deutsch'


ausgezeichnet

Tahsim Durgun lässt uns in seinem Buch an seiner Geschichte teilhaben. Er wächst mit drei Geschwistern und seinen Eltern in Oldenburg in einer trostlosen Plattenbausiedlung auf. Die Eltern sind Yeziden und mussten aus ihrer Heimat fliehen, die Kinder wurden in Deutschland geboren. Auch wenn die Kinder keine andere Heimat als Deutschland kennen, werden sie als fremd angesehen, müssen mit Vorurteilen kämpfen und ihr Aufenthaltsstatus ist immer wieder in Gefahr, denn die Behörden sind der Meinung, dass die Türkei für Yeziden nun sicher sei. Die Kinder lernen Deutsch, müssen oft für die Eltern, insbesondere die Mutter, übersetzen und sie zu Behörden- und Arztbesuchen begleiten.

Ich hatte zuvor noch nichts von Tahsim Durgun gehört oder gesehen, aber der Klappentext und Titel haben direkt Lust aufs Lesen gemacht. Die Geschichte ist mehrere Kapitel unterteilt, jedes Kapitel trägt als Überschrift ein Stilmittel der deutschen Sprache in eine Frage verpackt. Der Erzählstil ist so locker und leicht, dass ich oft das Gefühl hatte, der Autor würde mir gegenübersitzen und seine Geschichte erzählen. Er erzählt frei und "vom Herzen weg", was mir sehr gut gefallen hat und die Geschichte ungemein auflockert. Er bewahrt sich seinen Humor beim Erzählen, auch in unangenehmen und beklemmenden Situationen beschönigt er nichts oder übertreibt beim Erzählen.
Vor allem der Kontrast, den der Autor bei seiner Mutter erlebt, ist enorm: zu Hause ist sie die "Meisterin" der Wortgewandtheit in kurdischer Sprache, kann selbst komplexeste Dinge erläutern, ist selbstbewusst und kann sich durchsetzen. Im Gegensatz dazu steht die schüchterne und gedemütigte Frau, die um Worte ringt, der die Stimme weg bleibt und die auch auf dem Schulfest nicht versteht, warum andere Mütter die Nase rümpfen, wenn sie die mitgebrachten Speisen sehen.
Man spürt beim Lesen die Verbundenheit und Liebe des Autors zu seinen Eltern und seiner Familie, er ist trotzdem einerseits stolz auf seine Wurzeln und was seine Eltern geschafft haben, andererseits schämt er sich auch gerade als Kind, wenn er z.B. nicht sagen kann, welcher Religion er angehört oder beim Übersetzen helfen muss.
Er versteht, dass seine Mutter bei auslaugender Arbeit ohne Urlaub und Kindererziehung kaum Zeit hatte, Deutsch zu lernen, aber ist auch wütend darüber, dass sie nach über zwanzig Jahren immer noch so um Worte ringt. Differenziert zeigt er seinen Zwiespalt in dieser Hinsicht auf, aber auch komplexe Probleme in der deutschen Gesellschaft und im System in Bezug auf Migration und Integration nimmt er kritisch und trotzdem humorvoll unter die Lupe.

Das Buch macht die Privilegien deutlich, die fast alle von uns in Deutschland haben, aber auch, wie wir im Einzelnen und als Gesellschaft aktiv Integration und Miteinander fördern können. Mein tiefer Respekt gilt dem Autor und seiner Familie, insbesondere der Mutter, die so vieles erreicht haben, was wahrscheinlich immer ungesehen bleiben wird. Ganz große Leseempfehlung, ich hoffe, dass das Buch noch viele Menschen erreichen wird!