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Raoul Chagny

Bewertungen

Insgesamt 58 Bewertungen
Bewertung vom 22.09.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


ausgezeichnet

Nur teilweise überzeugend
Dass "Lázár" auch von einem sechzigjährigen, jahrelang tätigen Autor stammen könnte, offenbart Stärken und Schwächen dieses Romans gleichermaßen: Nelio Biedermann ist ein großes Erzähltalent. Das Buch ist gut komponiert und sprachlich souverän abgefasst Die Figuren sind scharf gezeichnet und ihr Leben anschaulich dargestellt. All dies ist durchaus beachtlich für das junge Alter des Autors. Negativ fällt jedoch auf, dass die gewählte Sprache zuweilen zu prätentiös, oftmals gekünstelt und aufgesetzt und zumeist nicht authentisch wirkt. Die Erzählart und auch zum Teil der Inhalt des Romans wirken zu altbacken und bieder. Auf weiten Strecken wirkt dieses Buch wie von gestern - obwohl der Autor gerade einmal 22 Jahre alt ist. Darüber kann auch die Vielzahl an Sexszenen nicht hinwegtäuschen. Zumal diese zumeist in ihrer Schilderung stark an einen Altherrenwitz erinnern. Unangenehm fallen Formulierungen auf wie „Es hatte in ganz Wien keine anderen Hände gegeben, die so schöne Gedichte geschrieben und so vielen Frauen einen Orgasmus beschert hatten.“ Nicht nur einmal fragt es sich an solchen Stellen, ob es sich wirklich lohnt, dieses Buch weiterzulesen.

Bewertung vom 22.09.2025
Johnson, Maureen

Death at Morning House


ausgezeichnet

Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann
Die seit langem als erfolgreiche Jugendbuchautorin renommierte und mittlerweile auch für ihre Kriminalromane bekannte Maureen Johnson legt mit „Death at Morning House“ erneut einen sehr gelungen und spannenden Kriminalroman vor, der nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene bestens unterhalten wird. Johnsons Erfahrung und ihr Können scheint in allen Bereichen dieses Romans durch: Trickreich und mit vielen überraschenden Wendungen gestaltet sie die Handlung des Romans. Die Figuren und vor allem die Verdächtigen zeichnet sie vielschichtig und undurchschaubar. Souverän baut sie Spannung auf, die zu einem gelungen und überzeugenden Ende führt. „Death at Morning House“ ist ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man es einmal angefangen hat. Dieses Buch ist für alle Krimi-Fans wärmstens zu empfehlen.

Bewertung vom 22.09.2025
Everett, Percival

Dr. No


ausgezeichnet

Sehr gelungener Spionage- und Gesellschaftsroman
Nachdem Percival Everett für seinen gelungenen Roman "James" im letzten Jahr den Pulitzer-Preis erhalten, legt er mit "Dr. No" bereits seinen nächsten Roman vor und kann problemlos an diesen Qualität anknüpfen. Auch dieses Mal handelt es sich im weitesten Sinne um eine Nacherzählung eines bekannten Stoffes aus einer anderen Perspektive. Im Fokus dieses Mal der Mathematikprofessor Walu Kitu, der an den Bond-Bösewicht Dr. No gerät. Everett nutzt diese Prämisse für einen genialen und vielschichtigen Roman, der Genregrenzen überwindet und seinesgleichen sucht. "Dr. No" ist einerseits eine Parodie auf einen Spionageroman, der seinen Vorbilden in Sachen Spannung in kleinster Weise nachsteht. Andererseits ist "Dr. No" ein kluger Gesellschaftsroman über Rassismus, gesellschaftliche Machtpositionen und Kapitalismus, der zugleich immer wieder philosophischen Tiefgang bietet. "Dr. No" ist ein äußerst gelungener Roman, der nur wärmstens weiterempfohlen werden kann.

Bewertung vom 22.09.2025
Keskinkiliç, Ozan Zakariya

Hundesohn


ausgezeichnet

Großartiges Romandebüt
Der Roman „Hundesohn“ von Ozan Zakariya Keskinkılıç reiht sich in eine ganze Serie von Prosaveröffentlichungen von bisher nur in der Lyrik tätigen Autor:innen. Gleichzeitig hebt sich „Hundesohn“ entschieden von diesen weiteren Veröffentlichung ab und ist vielleicht das Romandebüt dieses Jahres, das sich am meisten lohnt. Keskinkılıç begeistert mit einer Sprache, die zum einen poetisch, fein und ausdrucksstark, aber auch klar, direkt und kraftvoll ist. Die Handlung erzählt er emotional packend und mitreißend. Schon nach wenigen Seiten weiß dieser Roman durch seine starke Erzählstimme und die überzeugt gewählte Sprachkomposition zu begeistern. „Hundesohn“ ist ein starkes Debüt und großartiger Roman. Dieses Buch ist eine Lektüre, die allen nur ans Herz gelegt und ohne Einschränkung weiterempfohlen werden kann.

Bewertung vom 22.09.2025
Hewitt, Seán

Öffnet sich der Himmel


ausgezeichnet

Starkes Romandebüt
Angekündigt hat der Suhrkamp-Verlag "Öffnet sich der Himmel" von Sean Hewitt als "Zart, wild und hymnisch" und dabei nicht zu viel versprochen. Das Romandebüt des Autors überzeugt durch eindrückliche Szenen und starke Sprache, durch scharfe Zeichnung der Figuren und vielschichtige und nahegehende Darstellung der Gefühlswelt des Protagonisten. Die Handlung zeichnet Hewitt glaubwürdig und die Liebesgeschichte ist feinfühlig, berührend und aufwühlend zugleich. Beim Lesen spürt man die Freude und den Schmerz, die Achterbahnfahrt der ersten Liebe und der Jugend unmittelbar und direkt. "Öffnet sich der Himmel" ist ein Buch, das nachklingt und im Gedächtnis bleibt. Es ist das perfekte Buch für all diejenigen, die "Im Wasser sind wir schwerelos" von Tomasz Jedrowski oder "Calle me by your name" von André Aciman mochten.

Bewertung vom 22.09.2025
Runcie, Charlotte

Standing Ovations


sehr gut

Gelungenes und vielschichtiges Romandebüt
Mit "Standing Ovations" legt die ehemalige Theaterkritikerin Charlotte Runcie einen spannenden und aktuellen Roman über Machtverhältnisse zwischen Kunstschaffenden und der Theaterkritik und zwischen den Geschlechtern vor. Gekonnt wirft Runcie mit ihrem Roman drängende und anregende Fragen auf und zeichnet die Dynamiken moderner gesellschaftlicher Debatten scharf nach. "Standing Ovations" bietet zum einen eine spannende und wendungsreiche Story und zugleich nuancierte Gedanken und Überlegungen, die zum Nachdenken anregen. In der präzise komponierten Struktur des Romans und der stilistisch feinen, geschliffenen Sprache zeigt sich auf überzeugende Weise Runcies langjährige Erfahrung als Journalistin. "Standing Ovations" ist ein Roman, der lange im Gedächtnis bleibt" und perfekt geeignet ist für Fans der Romane von Mithu Sanyal.

Bewertung vom 09.07.2025
Shattuck, Ben

Die Geschichte des Klangs


gut

Leider nur unvollständige Übersetzung des Erzählbands
Trotz gelungener Übersetzung verbleibt nach Lektüre der deutschen Ausgabe des überzeugenden Erzählbands "Die Geschichte des Klangs" von Ben Shattuck leider ein eher fader Beigeschmack. Das liegt nicht an dem Text Shattucks: Die beiden Kurzgeschichten überzeugen durch ihre starke und eindringliche Sprache und das große Erzähltalent Shattucks und hätten an sich fünf Sterne verdient. Auch die Übersetzung von Dirk van Gunsteren liest sich gut und ist über jeden Zweifel erhaben. Doch wirft die Entscheidung des Hanser Verlags lediglich zwei der 12 (!) Erzählungen des Erzählbandes zu übersetzen große Fragen auf. Obwohl die deutsche Ausgabe das gleiche Cover wie das Original trägt, hat sie dementsprechend inhaltlich kaum etwas mit der englischsprachigen Fassung gemein und fasst lediglich knapp 100 Seiten (und diese auch nur, da der Text mit übergroßem Zeilenabstand gedruckt wurde - wohl um den nur geringen Inhalt der deutschen Fassung etwas zu verdecken). Es entsteht der Eindruck, dass der Hanser Verlag vor allem auf den kommerziellen Erfolg im Zuge der bevorstehenden Verfilmung der titelgebenden Kurzgeschichte spekuliert. Offenbar hielt man es für kommerziell sinnvoller, lediglich diese eine Geschichte samt einer weiteren zu veröffentlichen – vermutlich aus Sorge, ein vollständiger Erzählband mit Geschichten ohne zusammenhängende Handlung könne beim deutschen Publikum Verwirrung stiften oder sich schlechter verkaufen. Bedauerlich ist, dass die übrigen zehn Geschichten – im Hinblick auf das literarische Talent Shattucks und sehr positiven englischen Kritiken sicherlich durchweg lesenswert – nicht übersetzt wurden und damit dem deutschsprachigen Lesepublikum vorenthalten bleiben. Noch bedauerlicher jedoch ist der Eindruck, dass ein renommierter Literaturverlag wie der Hanser Verlag so deutlich wirtschaftliche Erwägungen über die literarische Aspekte stellt.

Bewertung vom 08.07.2025
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


sehr gut

Eindrucksvoller Roman über Freundschaft
"Der Kaiser der Freude" ist das zweite Prosawerk von Ocean Vuong, das vor allem thematisch große Ähnlichkeiten zu "Auf Erden sind wir kurz grandios" aufweist. Wieder stehen Verlust, Migration, Armut, Drogensucht, Familie und die Suche nach Zugehörigkeit im Mittelpunkt der Erzählung. In seinem Aufbau und seiner Ausgestaltung weicht dieser Roman jedoch erkennbar von seinem Vorgänger ab, sodass es sich keineswegs um eine bloße Kopie des gefeierten Debüts handelt. Dieser Roman zeichnet sich durch eine kontinuierliche Handlung, die von lebendig gezeichneten Figuren getragen wird. Passend zum zentralen Thema des Romans der Freundschaft der unterschiedlichen Figuren setzt Vuong auf eine starke Charakterisierung der Figuren und eine genaue Beschreibung ihrer Beziehungen und Dynamiken. Vuong gestaltet die Figuren mit viel Einfühlungsvermögen als vielschichtige und glaubwürdige Persönlichkeiten, die beim Lesen ans Herz wachsen. Verfasst ist das Buch in einer etwas weniger poetischen, aber dennoch sehr kunstvollen und mitreißenden Sprache. "Der Kaiser der Freude" ist ein leises, aber starkes Buch, das lange im Gedächtnis bleibt.

Bewertung vom 19.05.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


gut

Feine Charakterzeichnungen
Mit "Der Gott des Waldes" legt Liz Moore eine gelungene Mischung aus einem Gesellschafts- und einem Kriminalroman vor. Beschreibungen des Lebens der amerikanischen Upperclass an der East Coast, für die die Adirondack Mountains vor allem ein ansprechender Entspannungs- und Urlaubsort sind, und des Lebens der weniger wohlhabenden Einwohner dort verbindet Moore mit einem soliden, vielleicht etwas zu konventionellen Kriminalfall. Überzeugen kann vor allem die feine Charakterzeichnung Moores, die sich durch scharfe Beobachtungen und ihre Nuanciertheit auszeichnet. "Der Gott des Waldes" von Liz Moore ist vor allem denjenigen zu empfehlen, denen weniger an einer actionreichen Handlung mit vielen Twists gelegen ist, sondern stattdessen an einem ruhigen Buch, dessen Spannung sich langsam und gut dosiert aufbaut.

Bewertung vom 19.05.2025
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


sehr gut

Fakten und Fiktion
"Fakten und Fiktion" verwebt Twan Eng Tan geschickt in seinem Roman "Das Haus der Türen" und erschafft so einen lebendigen Roman, der zugleich mit vielen interessanten, historischen Informationen aufwartet. Mit seiner Erzählung, die im Mittelteil sowohl sprachlich als auch zeitlich dicht (mit wiederkehrenden Sprüngen in die Vergangenheit) gewebt ist, erschafft Tan gleichermaßen ein Portrait des Autors Somerset Maugham wie auch des Lebens in der britischen Kronkolonie Penang. Tan erschafft in einer zarten, aber zugleich ausdrucksstarken Sprache ein sehr lebendiges und eindrückliches Bild der Kolonialgesellschaft und ihrer herrschenden Moral und der Grenzen, die durch sie gesetzt wird. Zur Lebendigkeit des Romans tragen insbesondere auch die detaillierten und sehr sensorisch geschriebenen Darstellungen der Handlungsplätze ein, für die allein es sich schon lohnt, diesen Roman zu lesen.