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VolkerM

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Insgesamt 193 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2025
Katz, Sandor Ellix

Die Fermentier-Bibel


ausgezeichnet

Fermentierte Lebensmittel haben nachweislich einen sehr positiven Effekt auf die Darmflora und damit auf die allgemeine Gesundheit. Die Artenvielfalt im Darm wird gesteigert, was sich insbesondere auf das Immunsystem und verschiedene Risikofaktoren auswirkt. Natürlich gibt es immer noch industriell fermentierte Lebensmittel, wie Joghurt oder Käse, aber die Vielfalt, die es früher einmal gab, ist weitgehend verschwunden.

„Die Fermentier-Bibel“ stellt Fermentiertechniken aus der ganzen Welt vor, von Sauerkraut bis Kombucha, von Cider bis Essig. Es gibt Rezepte für feste und flüssige Substrate, „angeimpfte“ oder „wilde“ Fermentation und es ist erstaunlich, wie einfach die Verfahren meistens sind. Es ist wirklich kein Problem, im Haushalt finden sich alle Geräte und die Zutaten sind leicht erhältlich. Das einzige, was man braucht, ist Zeit, denn kaum ein fermentiertes Lebensmittel ist schnell herzustellen, darin unterscheidet sich das Zuhause-Fermentieren von der Industrie. Auf die Fermentation von Fisch oder Fleisch verzichtet der Autor übrigens bewusst, auch wenn es dafür zahlreiche Beispiele aus aller Welt gibt. Das Risiko, sich bei so einem Prozess eine Lebensmittelvergiftung einzufangen, ist einfach zu hoch, und dann wird es ganz schnell lebensgefährlich. Wer also Salami oder asiatische Fischsoße machen will, muss also woanders suchen, aber er lässt es aus meiner Sicht besser bleiben.

Gut aufbereitet sind die einleitenden Kapitel zu den biologischen (und kulturgeschichtlichen) Grundlagen, auch wenn mir der Text an manchen Stellen etwas zu redundant ist und der Autor recht hoch greift, wenn er das Fermentieren zu Hause gleich zum politischen Statement macht („Selbstermächtigung“ gegen die böse Industrie) oder sogar ins Esoterische abdriftet („mystische Lebensmittel“). Seien wir realistisch: Fermentieren ist eine uralte Konservierungstechnik, die gesunde und leckere Lebensmittel produziert. Punkt. Man macht die Welt dadurch nicht zu einem besseren Ort.

Die Rezepte werden sehr ausführlich beschrieben und enthalten fast immer auch Insidertipps, wie man die Kultur am besten führt und Fehlschläge vermeidet. Ich hatte immer den Eindruck, einem erfahrenen Praktiker über die Schulter zu schauen, der alles selbst ausprobiert hat, mich detailliert anleitet und auch ungewöhnliche Varianten vorstellt. Die Vielfalt ist wirklich eindrucksvoll und Sandor Katz wagt sich an ziemlich exotische Dinge, wie japanisches Nukadoko oder Miso. Gut fand ich, dass auch die Frage behandelt wird, was ich mit den Starterkulturen mache, wenn ich mal keine Fermentation laufen habe. Denn das ist ein grundsätzlicher Nachteil vieler Fermentationsprozesse: Sie brauchen meist regelmäßige Pflege, damit sie nicht umkippen. Kombucha, Sauerteige, Kefir sind solche Beispiele.

Das Buch trägt den Titel „Bibel“ aus meiner Sicht völlig zu Recht, denn es bleiben keine Fragen offen. Dass der Autor die Fleischfermentierung ausgespart hat, ist absolut nachvollziehbar und auch verantwortungsbewusst. Das sind Prozesse, die man wirklich den Profis überlassen sollte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.11.2025
Johnson, Josephine

Ein Jahr in der Natur


gut

Als Josephine Johnson sich in ihr altes Haus auf dem Land zurückzieht, fern der hektischen Welt der Städte, ist sie sich bewusst, dass die Natur auch hier einen aussichtslosen Kampf ficht. Es ist das Jahr 1968 und die Umwelt- und Klimaschäden, denen wir heute begegnen, waren noch unvorstellbar, aber Johnson ahnt bereits die Zukunft und möchte ihr kleines Stück Wald, 16 Hektar in Ohio, einem Bundesstaat im Zentrum der USA, am liebsten so konservieren, wie er ist. Mit all seiner ungebändigten Wildheit, mit einer großen Vielfalt an Tieren und Pflanzen, und seinen ausgeprägten Jahreszeiten. Sie beschreibt den Jahreszyklus in ihrer lebendigen Oase, wo sich Opossum und Blauhäher, Schwarznatter und Eisvogel, Waschbär und Schreieule begegnen, sie beobachtet die Zugvögel und die Entwicklung der Blumen und Bäume und hat ein besonderes Gespür für die Stimmungen der Jahreszeiten, vom kalten Licht des Februar bis zum Farbenfeuerwerk des Herbstes. Und trotz der Fülle des Lebens, das sie umgibt, durchzieht ihre Texte eine stille Melancholie. Josephine Johnson ist zu dem Zeitpunkt keineswegs eine alte Frau, sie ist 58, aber wenn man ihre Selbstbeschreibung liest, sieht man eine Greisin vor Augen. Vielleicht ist es diese unbändige Kraft jungen Lebens, das sich ständig vor ihrem Fenster abspielt, wie auf einer großen Bühne, dass sie das Gefühl nicht los wird, alt zu sein. Sie ist sich auch der Bedrohung der Natur immer bewusst. Ob das die verschmutzten Flüsse sind, die Abgase der weit entfernten Fabriken, die angespülten Flaschen und Dosen – ihr Paradies wird von allen Seiten belagert.

Der Text pendelt zwischen elegischen Naturbetrachtungen, die beim Leser Begeisterung auslösen, wie ökologisch vielfältig dieses kleine Stück Land ist (oder war?), welche Farbenpracht sich darbietet und wie fein ausbalanciert die Lebensräume und ihre Bewohner koexistieren. Und dann kippt die Stimmung regelmäßig, wenn Josephine Johnson die Bedrohung am Horizont ahnt, wie Saurons Festung Barad-dûr im Lande Mordor. Man muss das Wechselbad mögen. „Ein Jahr in der Natur“ ist jedenfalls kein ausschließliches Loblied auf die Schönheit der Schöpfung.
Dieses Buch steht zweifellos für eine Form von frühem Umweltaktivismus, weil es klar benennt, wie der Mensch die Natur schädigt und aus dem Lot bringt. Dass Josephine Johnson hier als Feministin erkennbar wird, habe ich in keiner Weise bemerkt, außer dass der Verlag offensiv damit wirbt.

Die Übersetzung ist aus meiner Sicht weniger gelungen. Der Sprache fehlt ein Gefühl für Rhythmus und Melodie, sie klammert sich formal sehr an das Original, das erkennbar lyrische Qualitäten hat. Da finden sich dann so unpassende Lösungen wie „das Hört-Hört der Kardinäle“, das sich im englischen Original „the hear-hear of the cardinals“ liest und natürlich lautmalerisch den Balzruf der Kardinäle nachahmt. Solche Irreleitungen aufgrund mangelnden Verständnisses für den Sinn (nicht die Worte) habe ich einige zu finden geglaubt. Sowas kennt man von ChatGPT, aber von einer Übersetzerin...?

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2025
Mann, Thomas

Buddenbrooks


sehr gut

Thomas Manns 150. Geburtstag ist gerade für den S. Fischer Verlag ein Grund zum Feiern, denn Samuel Fischer kommt das Verdienst zu, „Buddenbrooks“ verlegt und damit Manns Aufstieg eingeleitet zu haben. Es war ein verlegerisches Risiko, denn trotz nie angezweifelter literarischer Qualität war Fischer sich keineswegs sicher, ob ein 1000 Seiten langer Roman die Leser begeistern würde. Sein Lektor forderte massive Kürzungen, Thomas Mann weigerte sich standhaft, Fischer gab nach. Der Rest ist Literaturgeschichte.

Das Besondere an „Buddenbrooks“ ist aus meiner Sicht die strukturelle Komplexität, die vom gedankenschweren Essay bis zu humoristischen Einlagen reicht. Manns eloquente Ironie wirkt umso stärker im Kontrast mit den analytischen Passagen, denn in der Tat wären 1000 Seiten Mannsche Ernsthaftigkeit zu schwere Kost - bei aller sprachlichen Brillanz. Und das ist Manns weitere überragende Qualität: Seine Sätze sind geschriebene Musik. Kaum ein anderer Autor hat ein so feines Gespür für die Schönheit der Satzmelodie und entwickelt sein Thema so mühelos fort. Das hat große Ähnlichkeit mit dem Klangwerk eines Komponisten. Und deshalb kann man „Buddenbrooks“ auch immer wieder lesen, gibt es doch immer wieder Neues zu entdecken.

Die Sonderauflage ist sorgfältig produziert, auf fein getöntem Dünndruckpapier, mit Lesebändchen. Der „Schuber“ ist allerdings kaum mehr als eine Banderole aus Karton, hinten offen und damit nicht unbedingt das, was man üblicherweise unter einem Schuber versteht. Auch hätte ich mir bei einer Jubiläumsausgabe eine Fadenheftung statt der Klebebindung gewünscht, denn „Buddenbrooks“ ist eines der Bücher, die auch in der nächsten Generation nicht auseinanderfallen sollten.
Das Begleitheft ist ausgesprochen gelungen, mit hochspannenden und überraschenden Informationen zur Publikations- und Rezeptionsgeschichte dieses Jahrhundertromans. Am besten, man liest es vorab, dann weiß man, dass dieses Werk nicht einfach vom Himmel gefallen ist, sondern von zwei Überzeugungstätern realisiert wurde.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.10.2025
Fabcaro;Conrad, Didier

Asterix in Lusitanien / Asterix Bd.41


sehr gut

Diesmal rufen keine Briten, Ägypter oder Schweizer die unbeugsamen Gallier zur Hilfe, nein es sind die Portugiesen, Verzeihung, die Lusitanier. Asterix und Obelix müssen einen unschuldig im Kerker sitzenden Garum-Produzenten vor den Löwen retten, was ihnen selbstverständlich nach einigen Umwegen gelingt. Obelix fremdelt wie üblich mit den lokalen Lebensmitteln, es gibt ein paar Prügeleien mit den Römern und die Begegnung mit dem einschlägigen Piratenschiff lässt auch nicht lange auf sich warten, man reist schließlich übers Meer. Überraschend ist dagegen, dass der dunkelhäutige Pirat im Ausguck plötzlich ein „R“ spricht, nach über 50 Jahren quasi eine Wunderheilung, allein bewirkt durch die woke Empörungsindustrie. „O tempore, o mores“ kommentiert der Kapitän ironisch.

„Asterix bei den Lusitaniern“ bedient sich der altbewährten Strategie, einen malerischen Landstrich mit charakteristischen Traditionen freundlich klischeehaft auf den Arm zu nehmen, immer gewürzt mit einem bisschen aktuellen Zeitgeist. Diesmal ist es die Globalisierung, die im Römischen Reich eine Blüte erreichte und in deren Mahlwerk der Garum-Produzent Schaõprozes gerät. Der international agierende Großproduzent Fetterbonus will ihn mit allen Mitteln aus dem lukrativen Geschäft mit Caesars Palastküche drängen. Nicht alle Namensgebungen sind so originell und gelungen, wie von diesen beiden, aber der Übersetzer hat sich erkennbar Mühe gegeben, den Witz in die Deutsche Sprache zu übertragen. Bei der „weißen Iris“ waren einfach zu viele französische Wortspiele verarbeitet, die sich quasi nicht übersetzen ließen, da hat der Autor Fabcaro diesmal etwas mehr Rücksicht genommen. Trotzdem zündet nicht jeder Gag, denn es ist vieles vorhersehbar und nicht wenige Jokes sind einfach aus den klassischen Goscinny-Alben kopiert. Wiedersehen macht zwar Freude, originelle neue Ideen aber noch mehr. Dabei können die beiden, Fabcaro und Conrad, wenn sie wollen: Es gibt wirklich lustige Szenen, wie die Anmeldeprozedur am Fabrikeingang, das im Wohnkarren durch Lusitanien reisende Rentnerehepaar oder das hippe Business-Latein, das man in der Werbeabteilung von Garum Lupus ® spricht. Davon bitte mehr, dann gibt es von mir auch wieder 5 Sterne. Fazit: Nette Unterhaltung, aber auf eine Goscinny-Reinkarnation wartet die Gemeinde derzeit noch vergebens.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2025
Berners-Lee, Tim

This Is for Everyone


ausgezeichnet

Tim Berners-Lee erzählt in „This Is for Everyone“ die Entstehungsgeschichte des World Wide Web aus persönlicher Perspektive und zieht eine kritische Bilanz seiner Erfindung. Er beginnt mit Einblicken in sein familiäres Umfeld, das von Technik und Forschungsdrang geprägt war und seine frühe Neugier auf Informationssysteme förderte. Bei seiner Zeit am CERN führte die praktische Notwendigkeit, weltweit verteilte Forschungsdaten zu verknüpfen, 1989 zur Idee eines offenen Hypertext-Systems, aus dem das Web entstand.

Nach der Veröffentlichung des Webs setzte Berners-Lee auf Offenheit statt auf proprietäre Kontrolle und half bei der Gründung des World Wide Web Consortium (W3C). Dort arbeitete er an der Entwicklung offener Standards, die Interoperabilität und Zugänglichkeit sichern sollen. Sein Leitgedanke war, ein Netz zu schaffen, das für alle funktioniert und auf gemeinsamen Regeln basiert („This is for Eyeryone“).

Ab etwa 2012 beschreibt Berners-Lee eine Kehrseite: Große Technologieunternehmen gewinnen an Macht, zentrale Plattformen verdrängen dezentrale Strukturen, und das Individuum rückt aus dem Mittelpunkt. Diese Entwicklung bedroht die ursprüngliche „Seele“ des Internets. Ergänzend diskutiert er, wie KI die Suche und Informationsverteilung verändert, personalisierte Algorithmen Filterblasen verstärken und damit den demokratischen Diskurs belasten. Er geht detailliert auf die Chancen und Risiken der KI ein und bewertet sie neutral und nachvollziehbar. Parallel dazu sieht er einen massiven Vertrauensverlust in Medien, Regierung, Wirtschaft und Wissenschaft, wodurch traditionelle Quellen an Autorität verlieren und eine aggressive Streitkultur aufkommt, die er als „feindseligen Aktivismus“ beschreibt.

Als praktische Reaktion auf die Machtkonzentration stellt Berners-Lee sein Solid-Projekt vor, dass ihm sehr am Herzen liegt und vielversprechend klingt. Solid setzt auf persönliche Datenspeicher, sogenannte „Data Wallets“, in denen Nutzer ihre Daten kontrollieren und selektiv freigeben. Ziel ist, die Hoheit über persönliche Informationen vom Plattformbetreiber zurück zum Individuum zu verlagern. In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz umfangreiche Nutzerdaten auswertet, erscheint dieses Konzept wichtig, um Privatsphäre, Transparenz und Selbstbestimmung im Netz zu stärken. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Idee von Berners-Lee durchsetzen wird und die Nutzer zukünftig wieder selbst über ihre Daten bestimmen können.

Das Buch hat mich durch seinen persönlichen Ton, lebendige Sprache und größtenteils unterhaltsame Leichtigkeit überzeugt. Pointierte Anekdoten bereichern den Text und sorgen für angenehme Abwechslung. Die deutsche Übersetzung ist hervorragend gelungen und verwendet eine durchgehend genderneutrale Sprache. Technische Erklärungen sind bemüht einfach gehalten, können für weniger technikaffine Leser aber gelegentlich herausfordernd sein. Insgesamt gelingt es dem Autor jedoch, auch komplexe Themen verständlich zu vermitteln.

Das Buch bietet eine persönliche, gut lesbare und kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Zukunft des Webs; leichte Verständnisschwierigkeiten bei technischen Passagen mindern den Wert nur geringfügig.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.10.2025

MORE LOVING


sehr gut

Den Vorgängerband „Loving“ fand ich sensationell. Es war im wahren Sinn eine Entdeckung, denn niemals hätte ich erwartet, dass es so viele Zeugnisse schwuler Beziehungen aus einer Zeit gab, in der Homosexualität noch schwer bestraft wurde. Wer traute sich damals schon, Beweise für sein „kriminelles Verhalten“ mit sich herumzutragen? Es sind völlig unwahrscheinliche Funde, die Hugh Nini und Neal Treadwell auf Flohmärkten und in Antiquitätenläden in Europa und Nordamerika gemacht haben. Keine Fotos, die man in Familienalben steckte, sondern heimlich in Brieftaschen aufbewahrte oder unters Kopfkissen steckte. Es sind echte Raritäten aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 und es sind Dokumente einer verbotenen Liebe, die so stark war, dass sie es als Bedürfnis sah, Spuren zu hinterlassen.

„More Loving“ ist die Fortsetzung des Themas, bestückt aus derselben Sammlung und ähnlich strukturiert. Der Band zeigt wieder anrührende Beispiele, deren Auswahlkriterium der Blick der Verliebten ist, eine offenkundige Zuneigung und Vertrautheit, die über reine Freundschaft hinausgeht. Aber man sieht auch eindeutige Berührungen und verschlüsselte Liebessymbolik, vom Hochzeitsstrauß bis zum Sonnenschirm, der im 19. Jahrhundert für Geborgenheit stand. Die Protagonisten erscheinen im neuen Band insgesamt selbstbewusster, was natürlich schön für sie war, dem Betrachter aber manchmal die Freude der bewussten Entdeckung nimmt. Ein verzagter Blick in Richtung Kamera, während man(n) heimlich Händchen hält, ist nun mal viel anrührender als ein stürmischer Kuss. Die leisen Töne überwiegen jedoch, wie bei dem Foto eines eng umschlungenen Pärchens unter einem Baum, deren Alibi-Freundinnen links und rechts hinter dem Baumstamm stehen und man aus ihren Blicken ablesen kann, dass ihnen gerade die Vergeblichkeit ihres Werbens klar zu werden beginnt. Ein kleines Bild – ein großes Drama.

Lesern, die keinen der beiden Bände kennen, würde ich „Loving“ empfehlen: Zum einen ist die Bildschärfe der Originalfotos im ersten Band tendenziell besser, zum anderen kann man einige der „neuen“ Szenen auch ganz ohne homoerotische Zwischentöne lesen. Sie scheinen eher aus familiären Zusammenhängen zu stammen oder werden auch einfach nur durch die räumliche Nähe zu den anderen Fotos kontextuell „aufgeladen“. Das gibt es im ersten Band nicht. „More Loving“ ist eine schöne Fortsetzung, nur nicht überraschend neu.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.10.2025
Rosendahl, Wilfried;Hübner, Tom;Spindler, Frederik

SaurierZeitReise Deutschland


ausgezeichnet

Bei Dinosauriern denkt man zuerst mal an die USA und China, dann vielleicht noch an Argentinien und dann lange an nichts mehr. „SaurierZeitReise Deutschland“ ist da ein echter Augenöffner mit fast 70 Museen und Ausstellungen, die teilweise Weltgeltung haben. Denn auch in Deutschland gibt Dinosaurierfundstätten und einige der bedeutendsten Dinosauriersammlungen kann man hier besuchen. Die meisten liegen in der Südhälfte, weil hier auch die meisten Funde herstammen.

Jeder Museumssteckbrief passt auf genau eine Textseite, gefolgt von einigen Bildseiten. Die Autoren fassen kurz und bündig jeweils die inhaltlichen Schwerpunkte der Sammlung zusammen, beschreiben Highlights und didaktische Konzepte. Erfreulicherweise erwähnen sie auch, ob es sich bei den Ausstellungsstücken um Abgüsse oder Originale handelt, was man aus den Fotos ja nicht ableiten kann. Ein Fokus liegt auf der Fundhistorie, denn nicht wenige Saurierarten wurden erstmals aus Deutschland beschrieben, einige gibt es sogar nur hier. Das heißt aber nicht, dass der Blick nicht auch international wäre, denn vor allem die auf Evolution spezialisierten Museen haben teilweise spektakuläre Stücke auf dem internationalen Markt erworben, vom Original T-Rex bis zum marokkanischen Mosasaurus. China taucht übrigens so gut wie nicht auf. Das Land verbietet den Export von Fossilien kategorisch, weshalb solche Stücke nur in privaten Sammlungen und da meist illegal zu finden sind.
Keine Informationen gibt es zu Adressen, Öffnungszeiten oder Eintrittspreisen, aber da hilft das Internet schnell weiter. Als grobe Orientierung zur regionalen Lage hilft die Übersichtskarte nach dem Einleitungskapitel.

Angesichts der allgemeinen Saurierbegeisterung ist es verwunderlich, dass vorher noch niemand auf die Idee für dieses Buch gekommen ist. Die Umsetzung ist fachlich fundiert, sehr informativ und aussagekräftig. Man weiß anschließend ziemlich genau, was einen erwartet. Eine Fundgrube für alle Dino-Fans, die für die Highlights ihres Hobbys nicht gleich um die ganze Welt fahren wollen, denn manchmal liegt das Glück auch vor der Haustür.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2025
Hofbauer, Günter;Zhou, Ruimei

Künstliche Intelligenz für Alltag und Beruf


weniger gut

Bereits nach dem ersten Kapitel keimte in mir der Verdacht, dass ChatGPT maßgeblich an der Entstehung des Buches beteiligt war, da sich bestimmte Merkmale von KI-generierten Texten häuften. Ein Blick in die kurze ‚Gebrauchsanleitung‘ im Anhang hat den Verdacht bestätigt. Hier findet sich folgender "Transparenzhinweis“ (Zitat): „Wir haben bei unseren Recherchen auch die KI genutzt und ChatGPT bzw. DeepL Write zu Hilfe genommen. Die Idee, die Struktur und die Darstellungen der speziellen Inhalte sind unser geistiges Produkt. Wir haben eigenständig gearbeitet, Rechercheergebnisse nach bestem Wissen und Gewissen geprüft und sind für das Ergebnis selbstverständlich vollumfänglich verantwortlich". Die KI-Hilfe merkt man dem Buch leider sehr stark an.

Nach meiner Erfahrung wirken Texte von ChatGPT oft nüchtern und übermäßig sachlich, eher wie überlange Wikipedia-Einträge (aus dem sich ChatGPT ja auch gerne bedient). Es fehlt ihnen an persönlichen Erfahrungen, lebendigen Analogien, stimmigen Metaphern und erzählerischer Wärme, was die Lektüre sehr mühsam machen kann, zumindest ertrage ich diesen Stil nicht über 400 Seiten. Die Autoren haben es auch versäumt, visuelle Elemente wie Bilder, Grafiken oder Tabellen einzubinden, sodass der Leser von einer unendlichen Textflut überwältigt wird. Auffällig ist zudem, dass die Kapitel – teils sogar einzelne Abschnitte in den Kapiteln – völlig isoliert stehen und kaum argumentativ miteinander verzahnt erscheinen. Ein didaktisches Konzept zur Vermittlung der Inhalte ließ sich für mich nicht erkennen.

Ein weiteres Merkmal von KI-generierten Texten ist das Fehlen eines qualifizierten Quellen- oder Literaturverzeichnisses, ein Umstand, der gerade bei akademisch geschulten Autoren ungewöhnlich erscheint. Stattdessen verweisen die Verfasser pauschal auf das Internet: "Sollten sich jemand speziell für ein bestimmtes Thema vertiefend interessieren, so stellt eine Internetrecherche stets die neuesten und aktuellsten Erkenntnisse zur Verfügung". Dieses Zitat aus dem Buch lasse ich hier einmal unkommentiert.

Ich gestehe, dass ich nach 100 Seiten abgebrochen habe. Die Mischung aus stilistischer Monotonie und dem unguten Gefühl, dass ich dem Inhalt nicht wirklich vertrauen kann, hat mich letztlich aufgeben lassen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.10.2025
Kommer, Gerd

Souverän investieren vor und im Ruhestand


ausgezeichnet

Eigentlich ist Geldanlage ganz einfach: Man kauft regelmäßig breit diversifizierte Aktien-ETFs und kombiniert diese konsequent mit risikoarmen Tagesgeldern im Verhältnis des persönlichen Risikoprofils (z. B. 50 % Aktien-ETFs und 50 % Tagesgeld für einen ausgewogenen Ansatz oder 80:20 für einen offensiveren Ansatz). So entsteht im Laufe der Jahre ein ansehnliches Vermögen, das im Ruhestand konsumiert wird. Die Tücke steckt jedoch bekanntlich im Detail. Gerd Kommer beschäftigt sich in seinem Buch mit den Fragen, die sich bei der praktischen Umsetzung dieser Strategie ergeben, und legt dabei seinen Schwerpunkt auf die Phase kurz vor und im Ruhestand.

Zunächst vermittelt Kommer das nötige Basiswissen, um eine individuell passende Anlagestrategie zu entwickeln. Er erklärt, welche Anlageprodukte es gibt, welche davon empfehlenswert sind und von welchen Anleger die Finger lassen sollten. So rät er beispielsweise von Kapitallebensversicherungen (klassisch oder fondsgebunden), privaten Rentenversicherungen, aktiv gemanagten Aktien- und Rentenfonds, Mischfonds, Dachfonds, Branchenfonds, Themenfonds, geschlossenen Fonds, Zertifikaten und Optionen sowie offenen Immobilienfonds ab. Letztere bezeichnet der Autor als „risikounehrliches Anlageprodukt“.

Für Kommer bleiben letztlich nur wenige empfehlenswerte Bausteine übrig: Bankeinlagen, ETFs, die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersvorsorge, Gold und – neu in dieser überarbeiteten Auflage – Kryptowährungen. Auch selbstgenutzte und vermietete Immobilien sind empfehlenswert, solange man sich kein „Klumpenrisiko“ einkauft, das heißt, solange die Immobilien nicht den überwiegenden Teil des Vermögens ausmachen.
Um möglichst breit diversifiziert zu sein, bieten sich ETFs als erste Wahl an. Für die Ansparphase ist der Weltportfolio-Ansatz des Autors sehr hilfreich. Kommer erklärt nachvollziehbar und überzeugend, dass sich diese einfache Strategie für jeden Anleger eignet. Sie ist flexibel genug, um die persönliche Risikobereitschaft zu berücksichtigen, und gleichzeitig sehr einfach umzusetzen.

Auf die Phase des Vermögensaufbaus folgt die Entsparphase, also die Phase des Vermögensverbrauchs. Kommer gibt wieder viele praktische Hilfestellungen, wie sich Anleger auf die Zeit des Ruhestands vorbereiten sollten. Dabei stellen sich folgende Kernfragen: Wo stehe ich? Was habe ich an Vermögen? Wie viel gebe ich aus (Lebenshaltungskosten)? Wie kann ich meine Immobilie zu Geld machen? Wie viel Vermögen möchte ich mindestens hinterlassen, also vererben? Besonders hilfreich fand ich hier die Sammlung von „Monte-Carlo-Simulationen” (das hat nichts mit dem Casino zu tun ...), um wissenschaftlich fundiert mit Unsicherheiten zu rechnen. Wer weiß schon, wie lange er leben wird und ob er im Alter pflegebedürftig sein wird.

Kommer räumt immer wieder mit Mythen und Missverständnissen auf, beispielsweise mit Kritik an ETFs, dem angeblichen Cost-Average-Effekt oder der Entnahme von Depoterträgen vor Substanzverbrauch. Er zieht Studien als Begründung heran und gibt klare Empfehlungen an den Leser.
Darüber hinaus geht Kommer auch auf weitere Aspekte der Vermögensanlage ein: Soll ich einen Finanzberater oder Vermögensverwalter beauftragen? Wie schütze ich mein Vermögen vor dem Staat? Ist Auswandern die Lösung? Was tun beim Aktien-Crash?.

Mit „Souverän investieren vor und im Ruhestand“ erhalten Leser das nötige Rüstzeug, um ihre Vermögensstrategie umzusetzen. Kommer gibt in genderfreier und gut verständlicher Sprache viele praktische und fundierte Tipps, die vor Fehlentscheidungen bewahren. Die speziellen Aspekte der Vermögensnutzung im Ruhestand werden ausführlich beleuchtet und tragen dazu bei, mehr Sicherheit in die persönliche Zukunftsplanung zu bringen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.10.2025
Schwandt, Jörg

Die Magie der Glasur


ausgezeichnet

Bei Royal Kopenhagen denkt man wohl zuerst an Porzellan und übersieht leicht, dass auch in der Steinzeugabteilung unter Nils Thorsson über fast 40 Jahre Herausragendes geleistet wurde. Anders als sein Vorgänger Hans Madslund, der als Chemiker mit reinen Ausgangsmaterialien experimentierte, stützte Thorsson seine Glasurrezepte mehr auf naturnahe Grundmaterialien, wie z. B. rohes Eisenerz. Die Vorbilder waren Typen der ostasiatischen Keramik, z. B. chinesische Seladonglasuren oder die expressiven Temmoku-Glasuren Japans.

Die Beispiele, die Jörg Schwandt in seiner Monografie herangezogen hat, lassen diese ostasiatischen Referenzen schon auf den ersten Blick erkennen und zeigen die absoluten Spitzenprodukte aus der Steingut-Abteilung von Royal Kopenhagen. Es sind Stücke, die man auf Auktionen kaum einmal zu sehen bekommt, nämlich die echten „Glasur“-Objekte, die keine figürliche oder geometrische Dekoration tragen (diese sind relativ häufig). Alleine deswegen ist der exzellent illustrierte Band schon lesenswert. Hinzu kommt, dass sich der Autor auch technischen Fragen stellt, indem er grundlegende Informationen zu Brandtechniken und Glasurrezepturen liefert. Diese sind allerdings nicht bis ins letzte Detail aufgeschlüsselt, sondern vermitteln eher Prinzipien als konkrete Rezepte oder Temperaturkurven. Es geht dem Autor darum, dass der Leser versteht, welche Randbedingungen zu bestimmten Glasurmerkmalen führen, z. B. Auskristallisieren, Phasentrennung oder „Störeffekte“, die einen gewissen Grad an Zufälligkeit in das Ergebnis bringen. Auch Spannungsrisse (Craquelée) lassen sich nur im begrenzten Umfang steuern. Nils Thorsson hat in diesen Bereichen viel geleistet, indem er diese aufwendigen Glasuren vom Experiment in die Serienfertigung brachte. Dennoch sind diese Stücke, wie schon gesagt, selten auf dem Markt.
Im Anhang des Buches findet sich auch noch eine sehr informative Aufstellung von Signaturen, Stempeln und Datierungshilfen. Auch die Bronzemontierungen von Knut Andersen, die bis etwa 1950 von Royal Kopenhagen verwendet wurden, werden thematisiert.

„Die Magie der Glasur“ kann natürlich nur den visuellen Eindruck wiedergeben, die besondere und viel komplexere Haptik als bei Porzellan muss man sich dagegen vorstellen, was aufgrund der ausgezeichneten Aufnahmen und zahlreicher Vergrößerungen tatsächlich ganz gut funktioniert. Diese ungewöhnliche Werkschau erschließt einen eher unbekannten Teil der „Porzellanmanufaktur“ Kopenhagen, der zwar selten in Erscheinung tritt, aber definitiv einen zweiten und dritten Blick wert ist. Man braucht nur Geduld und Hartnäckigkeit bei der Suche.