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melange
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Insgesamt 903 Bewertungen
Bewertung vom 15.01.2011
Jonuleit, Anja

Herbstvergessene


gut

Drei Frauen, drei Schicksale
Zum Inhalt: Maja wird nach Jahren der Funkstille von ihrer Mutter Lilli angerufen, welche dringend um einen Besuch ihrer Tochter in Wien bittet. Obwohl mit dem gleichen Sturkopf gesegnet, folgt Maja dieser Bitte, um dann vom Tod ihrer Mutter - einem vermeintlichen Selbstmord - zu erfahren. Sie beginnt in der Vergangenheit von Mutter und Großmutter zu forschen und lernt völlig neue Facetten ihrer Familiengeschichte inklusive neuer Verwandte kennen.

Zur Aufmachung: Eine Frau strahlt mit ihrem Kind in die Kamera, gekleidet in der Mode der Hitlerzeit. Während der Lektüre von "Herbstvergessene" wird klar, wie gut dieses Cover zum Buch passt.

Meine Meinung: Der Kunstgriff, die zweite Ebene der Geschichte - das Leben von Majas Großmutter - als Manuskript derselben zu gestalten, sorgt dafür, dass sich dieser Erzählstrang als wahrer Pageturner entpuppt: Der Leser erfährt abwechselnd ein Stück aus dem Leben von Charlotte, welche unverheiratet schwanger ihre Familie verließ, um ihr Kind in einer Einrichtung des Lebensborns zur Welt zu bringen. Danach taucht er wieder in das Hier und Jetzt ein und begleitet Maja auf ihrem Weg zur Wahrheit.

Obwohl ich den Roman sprachlich nicht immer überzeugend fand, fesselte die Geschichte vor allem durch die packende Schilderung der Erlebnisse von Charlotte. Jedoch verfiel Frau Jonuleit für den Abschluss dieses Teilstrangs auf einen für mich eher unglaubwürdigen Twist. Das Dilemma Charlottes hätte durchaus auf weniger spektakuläre Weise gelöst werden können - Kriegsverbrecher hatten schließlich keinen leichten Stand - auch wenn dann der Titel nicht mehr ganz gepasst hätte. Zudem übertrieb es Frau Jonuleit mit den Irrungen und Wirrungen in Majas Liebesleben, die leider ebenfalls zu einem über das Buchende hinausreichenden Konflikt führen.

Fazit: Etwas zu viel der Tragik und der dramatischen Todes- und Lebensfälle im Bereich von drei Frauengenerationen. Für den Lesespaß dazwischen verleihe ich aber gerne drei Sterne.

Bewertung vom 19.12.2010
Götting, Markus

Nachts im Sägewerk


gut

Ein Mann nicht nur für eine Nacht...

... wäre Markus gerne, als er seine neue Nachbarin Lena kennenlernt.

Zum Inhalt: Markus, Ich-Erzähler und Journalist, muss sich keine Sorgen wegen anhänglichen One-Night-Stands machen. Er schnarcht, und jede Dame ergreift freiwillig die Flucht. Aber dann trifft er Lena an der Mülltonne und diese Frau will er festhalten - zur Not mit Schlafentzug, Nasenringen und Operationen. Vom Leidensweg einer nachtaktiven Kettensäge erzählt dieses autobiographisch angehauchte Buch.

Zum Cover: Gut gewählt im Comic-Stil - er sägend, sie schlaflos. What you see is what you get: Unterhaltsame Lektüre ohne großen Tiefgang.

Mein Eindruck: Die durchaus witzige Geschichte einer großen Liebe, welche durch die körperliche Unzulänglichkeit des Ich-Erzählers torpediert wird, trägt leider keine 200 Seiten. Stellenweise amüsierte mich der Kampf - zuerst gegen den Schlaf, dann gegen das Schnarchen - auf das Köstlichste. Dazu trugen vor allem die Nebenfiguren bei, von denen ich unbesehen glauben kann, dass sie echten Menschen nachempfunden sind: Egal ob Apothekerin, enge Freunde oder Lenas Familie - sie agierten lebensnah und authentisch. Leider kam aber vor allem im Zwischenspiel von Markus und Lena oftmals Langeweile auf. Beispielsweise die Odyssee durch Arztpraxen und Krankenhäuser hätte durchaus gestrafft werden können und die ständigen Diskussionen, ob, wie und wo jetzt geschlafen wird und auf welche Weise Markus sein Schnarchen bekämpft, führten bei mir zu leichten Gähnanfällen. Glücklicherweise wurden diese Episoden immer wieder von Szenen unterbrochen, die fast schon brillant an Wortwitz und Situationskomik anmuteten und gerade das Finale gelang Götting auf eine wunderbare, warmherzige Art.

Mein Fazit: Mit viel Humor und Selbstironie beschreibt Götting seinen Weg vom Holzfäller zum Still-Leben und trotz einiger Langatmigkeit weiß dieser Weg zu unterhalten.

3 Sterne

Bewertung vom 27.11.2010
Le Carré, John

Verräter wie wir


sehr gut

Jeder liebt den Verrat, aber niemand den Verräter!

Bei dem Roman von John le Carré wird aber sogar der erste Teil dieser Aussage in Zweifel gezogen.

Zum Inhalt: Perry und Gail, ein britisches Pärchen am beruflichen und privaten Scheideweg, gönnt sich einen Luxusurlaub auf Antigua und lernt durch Perrys Tenniskünste die russische Unterweltgröße Dima und dessen Familie kennen und mögen. Da auch Dima Sympathie für den englischen Benimm empfindet, bittet er das Paar, seinen Überlauf nach Großbritannien zu ermöglichen. Während Gail den daraufhin folgenden Kontakt mit dem Geheimdienst als notwendiges Übel betrachtet, lässt sich Perry von den Schlichen und Heimlichkeiten faszinieren und genießt seine Wichtigkeit - bis zum bitteren Ende.

Zum Cover: So glamourös, wie der Einband gestaltet ist, stellt sich der Geheimdienst für Perry dar, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er feststellen muss, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Mein Eindruck: In gewohnt brillanter Manier präsentiert le Carré sein Hintergrundwissen über die Geheimdienste dieser Welt in einer Geschichte, die dem Leser den Glauben an Fairplay und das Gute in jedem Menschen austreibt. Leider bläht er das Geschehen mit einem unnötigen Nebenstrang über Natasha, die Tochter Dimas, und deren Verhältnis zu Gail auf. Dabei erzeugt er eine Wahnsinnsspannung, um mit einer - im Vergleich zu dem Hauptgeschehen - Banalität erster Güte zu enttäuschen. Warum Natashas Sorgen bei Gail und ihren Verhören durch die Geheimdienstleute zu Schweißausbrüchen führte, ist mir immer noch nicht klar. Sehr gut haben mir jedoch die differenzierten Zeichnungen der Figuren insgesamt gefallen. Auch das Zusammenspiel verschiedener Zeitebenen, die sich zur Mitte des Buches fanden, um dann (von kleineren Reminiszenzen abgesehen) auf das Finale im Hier und Jetzt zuzusteuern, führte zu zusätzlicher Dramatik.

Doch trotz des großen Knalls zum Schluss, auf den zugegebenermaßen in schlüssiger Weise hingeführt wird, bin ich persönlich nicht ganz zufrieden. So zeigt le Carré wieder einmal den Dreck im Spionage-Business, die Gefühle und Reaktionen seiner Protagonisten auf diesen Schmutz vergisst er aber darzustellen - für mich ein Manko.

Fazit: Handwerklich und sprachlich genial mit einem furiosen Spannungsaufbau zum Finale, leider aber Schwächen im Zwischenmenschlichen. 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.11.2010
Dolan, Harry

Böse Dinge geschehen / David Logan & Elisabeth Waishkey Bd.1


sehr gut

Es ist etwas faul im Staate Dänemark....

... und das nicht nur bei unseren skandinavischen Nachbarn, sondern auch bei Gray Streets.

Zum Inhalt: David Loogan erregt durch eine mehrfach korrigierte Kurzgeschichte das Interesse Tom Kristolls, dem Chef eines Verlags, der ebendiese Geschichten veröffentlicht. Tom engagiert David als Lektor und bald ist dieser ein wichtiger Bestandteil des Verlags und zusätzlich der Geliebte von Toms Frau. Diese Idylle hält jedoch nicht lange vor - kurz darauf wird David zur Hauptperson seines eigenen Krimis und Leichen pflastern seinen Weg.

Zum Cover: Blut, welches aus einer Schreibfeder tropft - die Schriftstellerei ist überdeutlich eine mörderische Kunst!

Mein Eindruck: Hintersinnig und sehr schwarzhumorig ersinnt Dolan seinen Krimi der besonderen Art: Die klassische Schwarz-Weiß-Färbung entfällt, jeder einzelne Protagonist hat Dreck am Stecken und die Ermittler besitzen nicht nur Verstand und das Vermögen, über den Tellerrand zu schauen, sondern dazu Spaß am Beruf und ein funktionierendes Familienleben. Neben der Zeichnung der dargestellten Figuren weiß auch die Entwicklung der Geschichte zu überzeugen. Der Leser gerät durch seine Leichtgläubigkeit den handelnden Personen gegenüber immer wieder auf falsche Fährten, möchte so gerne Loogan verstehen und mögen und muss dann erkennen, dass auch die Hauptperson Blutflecken auf der weißen Weste hat. Dennoch gelingt es Dolan durch seine intelligente Schreibe, dass der Leser nie in seiner Sympathie an Loogan zweifelt.

Das Einzige, was mir nicht besonders gefallen hat, war der übersinnliche Teil kurz vor dem Ende des Buches. Meines Erachtens hätte hier eine Traumsequenz besser gepasst, als dieser Hokuspokus.

Fazit: Eine locker-flockige und schwarze Krimikomödie mit einigen Toten, noch mehr Bösewichtern und dem Anflug eines Happy Ends. Meine britisch-liebende Krimiseele fühlt sich einfach nur geborgen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.11.2010
Maurer, Jörg

Hochsaison / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.2 (4 Audio-CDs)


gut

Drollig, aber etwas blass
Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen beherrscht Maurer nicht nur das geschriebene Wort, sondern versteht es, seine Figuren stimmlich zum Leben zu erwecken.

Zum Inhalt: Kommissar Jennerwein und sein Team erhalten einen Hinweis, dass es sich bei dem spektakulären Unfall eines Skispringers in Wirklichkeit um ein Attentat handelt. Weitere mysteriöse Vorgänge folgen und Jennerwein sieht sich gezwungen, zu ermitteln, um Frieden und die Hoffnung auf eine gelungene Olympiabewerbung zu wahren.

Zum Cover: Kuh im Fenster - ebenso skurril wie die Mitwirkenden bei dieser Krimiposse zeigt sich ihr Outfit. Von daher halte ich es für sehr treffend, obwohl weder Kühe noch das Fensterln eine Rolle in der "Hochsaison" spielen.

Mein Eindruck: Auch wenn "Hochsaison" mit vielen wirklich gut und witzig beschriebenen Nebenfiguren und sehr schön choreografierten Handlungssträngen aufwartet, bleibt leider vor allem das Team um Kommissar Jennerwein seltsam konturlos. So viel ich über Pierre Brice, Kaiser Franz, Jacques Rogge und die mit ihnen agierenden Dörfler schmunzeln konnte, so kalt ließen mich die eigentlichen Hauptpersonen wie der Marder oder eben die ermittelnden Beamten. Das ist schon deshalb schade, weil die Story tatsächlich bei aller Groteske einiges an Bosheit aufbietet, die man ohne weiteres als wahrhaftig akzeptieren kann: Dass die olympischen Spiele eben nicht einfach an den geeignetsten Bewerber vergeben werden, sondern an denjenigen, der die "besten" und vor allem eindringlichsten Argumente hat. Die Verzahnung der Unterwelt, die ewig lächelnden Asiaten, - dieses beschreibt Maurer auf das Köstlichste. Ebenso wie die Survival-Manie der Manager oder den Filz in Kleinstädten.

Fazit: Wenn Maurer sich ein wenig mehr Mühe mit den Hauptfiguren gegeben hätte, hätte ich mich glänzend amüsiert. So war es immerhin noch "gut".

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.11.2010
Kutscher, Volker

Goldstein / Kommissar Gereon Rath Bd.3


sehr gut

Berlin zwischen den Weltkriegen

Zum Inhalt: Gereon Rath, Mitarbeiter der Berliner Mordkommission, wird von seinem Chef zur Überwachung von Abraham Goldstein abgestellt. Dieser gilt in den USA als Killer, seine Motivation für den Aufenthalt in Berlin ist jedoch unbekannt. Zeitgleich brodelt es in der Hauptstadt: Verschiedene Verbrechergruppen, die eigentlich in relativ friedlicher Koexistenz nebeneinander existierten, beklagen Morde an ihren Mitgliedern. Rath wird in diese Vorgänge hineingezogen. Nicht nur, weil er selber einige Flecken auf seiner weißen Polizistenweste aufweist, sondern auch, weil seine Freundin Charly Kontakt zu einer Kleinkriminellen hat, welche zur Aufklärung übler Machenschaften innerhalb des Polizeiapparates beitragen könnte.

Zum Cover: Limousinen im Dunkeln – an einen konspirativen Treff von Unterweltlern glaubt man sofort.

Mein Eindruck: Nach einem fulminanten Auftakt ebbte der Spannungsbogen leicht ab. Kutscher nahm sich viel Zeit, die Strukturen von Polizei und Justiz der Weimarer Republik zu beschreiben. Dazu folgte eine ausführliche Schilderung der Berliner Schattenwelt – Gangsterbanden, Rotlichtmilieu, Obdachlose und Jugendliche ohne soziales Netz. Auch wenn ich diesen Teil des Romans als zäh empfand, war er für das Verständnis und den Fortgang einer dicht gewobenen und ausführlichen Geschichte absolut notwendig.Hier zeigt Kutscher ein großes und umfassendes Verständnis einer Zeit, die es den Menschen nicht einfach machte, ihre Integrität zu bewahren. Kurioserweise zeigt ausgerechnet der gesuchte und für den Roman namensgebende Verbrecher die größten Anwandlungen von Sitte, Menschlichkeit und Moral innerhalb der Wirren der Zeit.Sehr gut gefallen hat mir, wie Kutscher die unterschwellige Bedrohung durch die Nazis und Momente des Zeitgeschehens (z.B. Zusammenbruch der Banken) anhand seiner Figuren, ihrer alltäglichen Probleme und zwischenmenschlichen wie auch arbeitstechnischen Beziehungen darstellte. So war das Verständnis, dass ich für eine Zeit und ihre Menschen empfand, viel intensiver, als es eine einfache Schilderung der Geschehnisse vermögen könnte. Das unangenehme Gefühl, wenn man nur an die vielen Menschen jüdischen Glaubens denkt, die unmittelbar mit Rath und diesem Fall zu tun haben und das Wissen um die weiteren Vorgänge der späteren Jahre machten dabei zusätzlich beklommen.Ein wenig zu ausführlich ist mir die Beschreibung der Polizei mit den vielen Namen der Abteilungen und die für meinen Geschmack zu vielen handelnden Beamten geraten – dort verlor ich manchmal doch den Überblick.

Fazit: Ein Krimi, der durchaus als Spiegel der Zeit gelten kann, in der er spielt. Mit einer gut erdachten Protagonistenschar, die gerade durch ihre menschlichen Fehler absolut glaubhaft agiert. Trotz der Längen eine echte Leseempfehlung.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2010
Gerstenberger, Stefanie

Magdalenas Garten


sehr gut

Vatersuche unter italienischer Sonne

Wider Erwarten kein schmalziger Schmöker, der höchstens für lauschige Stunden am Strand geeignet ist, sondern ein streckenweise wirklich packendes Portrait einer jungen Frau auf der Suche nach ihrer Vergangenheit und jetzigen Identität.

Zum Inhalt: Magdalena lebt nach dem frühen Tod ihrer Mutter mit ihrem Großvater zusammen. Von ihrem Vater besitzt sie nur ein altes Foto, welches ihn zusammen mit ihrer Mutter in einem Lokal auf Elba zeigt. Dieses Lokal findet Magdalena und macht sich mit den Bekanntschaften, die sie auf Elba schließt, auf die Suche nach ihrem Erzeuger.

Mein Eindruck: Hatte ich nach der Leseprobe noch das unterschwellige Gefühl, dass dieser Roman am besten mit Urlaubssonne im Herzen zu ertragen ist, wurde diese Einschätzung schnell von Frau Gerstenberger widerlegt. Sie gibt allen ihren Figuren Tiefe, Persönlichkeit und zu allem Großmut und Freundlichkeit einen Schuss Tragik und Bosheit. Keine Figur ist stereotyp, alle haben gute und schlechte Angewohnheiten - selbst der Bösewicht beherrscht wenigstens eine gelungene Massage und ist aus der Entfernung betrachtet ein humorvoller Zeitgenosse.
Und auch wenn Frau bestätigt bekommt, dass viele Männer Schweine sein können, serviert Frau Gerstenberger diese Bestätigung mit augenzwinkerndem Charme, da einige Damen es eben wirklich nicht besser verdient haben, - wie man in den Wald hineinruft, schallt es auch gerne heraus.

Als sehr angenehm empfand ich persönlich die Personenbeschreibungen, die sehr ausführlich ausfallen. Nicht so erfreut war ich über einiges im Verhältnis von Magdalena zu Roberto, eine weniger detailreiche Schilderung wäre mehr gewesen.

Fazit: Eine sehr schöne Beschreibung einer Selbstfindung mit ein paar unnötigen Längen im Mittelteil. Der Leser erhält einen Einblick in das Leben und Treiben auf Elba jenseits des Tourismus und dem Zusammenspiel verschiedener Nationalitäten und Persönlichkeiten. Zum guten Schluss bekommt jeder der Protagonisten, was er verdient hat - Magdalena zusätzlich einen Garten.

Bewertung vom 09.09.2010
Gößling, Andreas

Der Ruf der Schlange


sehr gut

Ein Kribbeln im Nacken

Dieses Buch hat tatsächlich Risiken und Nebenwirkungen, und zwar nicht wie üblich auf Herz, Hirn, Lachmuskeln oder - wenn es sehr traurig ist - die Augenpartie. Nein, es hinterlässt ein ungutes Gefühl im Nacken und von diesem Gefühl erholte ich mich dank einer brillant erdachten Geschichte in einer wundervoll dargestellten Phantasie-Welt nicht so schnell.

Zum Inhalt: Samu Rabov, Ermittler im Geheimdienst ihrer Majestät von Dunibien, bekommt von seiner Vorgesetzten und ehemaligen Geliebten einen Assistenten zur Seite gestellt, mit dessen Hilfe er mysteriöse Todesfälle und das gehäufte Auftreten von Schlangen aufklären soll. Während dieses Auftrages wird es immer schwieriger, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und die letztendlich richtigen Entscheidungen für die Bürger und die Regierung von Dunibien zu treffen.

Die Aufmachung: Mal abgesehen von der Schlange, die einem schon fast ins Auge springt, hat mir besonders gut gefallen, dass Gößling dem geneigten Leser vorne und hinten jeweils eine Karte anbietet, damit man sich in Dunibien und seiner Hauptstadt Thora zurechtfindet.

Mein Eindruck: Gößling zaubert ein in jeder Hinsicht phantastisches Nebenuniversum. Dabei gibt er sich nicht nur Mühe mit der Erfindung von passenden Namen und besonderen Eigenschaften seiner Protagonisten, die die beiden konkurrierenden Seelen in ihrer Brust (Lichtich und Dunkeldu) in Einklang zu bringen versuchen. Er erfindet verschiedene Landschaften, unterschiedliche Kulte, eine ganz eigene Pflanzen- und Tierwelt und sogar eine Mode für die Damen Phoras, die ihre Luxuskörper in den heißesten Schuppen Phoras zur Schau stellen wollen.

Die ganze Geschichte von Schlangen, die sich aus der Wirbelsäule herausbrechen, Hexen, Zauberkräften, Gaukler, Schlangengötter und Bestien in der Meerestiefe mutet wie ein sehr gelungener Mix aus James Bond, Geschichten aus 1001 Nacht, Indiana Jones und Harry Potter an - jedoch alle nicht wirklich von dieser Welt.

Fazit: Eine fesselnde Geschichte für Fantasy- und Krimiliebhaber, die gerne einmal in das jeweils andere Genre hineinschnuppern wollen, ohne dem eigenen Lieblingsgebiet untreu zu werden. Das Ganze zusätzlich wunderschön illustriert, - eigentlich also ein Kandidat für die volle Punktzahl. Trotzdem ein Punkt Abzug für das unsägliche Ende! Nicht ein Teilerzählstrang wurde zu Ende gebracht, alles bleibt in der Schwebe. Das empfinde ich schon fast als unverschämt, da noch nichts von einer möglichen Fortsetzung bekannt ist. Ohne diese ist die Geschichte jedoch unfertig.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.08.2010
Henn, Carsten Sebastian

Birne sucht Helene


sehr gut

In Köln gibts lecker Mädchen...
... und leckere Jungs ebenfalls - wenn sie auch nicht wirklich immer zueinander finden. Oder wenigstens nicht sofort, aber manchmal ist ja der Weg das Ziel - wenigstens für die Leser dieses fast in jeder Hinsicht köstlichen Buches. Diesen Weg pflastert Herr Henn mit Kontaktanzeigen, Kochkünsten, Missverständnissen und Kurzzeitliebeleien.

Zum Inhalt: Paul (Mitarbeiter der Kfz-Zulassungsstelle in Köln) und Eli (Angestellte einer Buchhandlung) sind füreinander bestimmt. Bevor der Himmel jedoch seine Schäfchenwölkchen in Formation bringt, müssen einige Klippen des Schicksals umschifft werden.

Zum Cover: Locker-flockig-leicht und nicht unbedingt eine Kalorienbombe wie die Birne Helene, aber diesem Buch in seiner Grundstimmung meines Erachtens durchaus angemessen gewählt.

Mein Eindruck: Eine süße Leckerei von Anfang bis Ende mit leicht bitterer Note in den Zwischengängen. Besonders gut hat mir persönlich die Anlage der Figuren und Schauplätze gefallen, die durch und durch nicht nur lebensecht, sondern eben auch echt kölsch dargestellt waren, - und ich als Rheinländer kann das beurteilen. Köln ist wirklich so bunt, farbenfroh und verzickt und seine Menschen genauso quirlig und teilweise schräg, wie sich die Truppe der Um-die-30jährigen im Bekanntenkreis von Paul und Eli darstellt. Zwar lässt Henn dabei kein Klischee aus (der Schwule, der sich nur für sein Aussehen interessiert und dessen leicht tuckig-näselnde Stimme ich direkt im Ohr hatte, die Osteuropäerin, die für ein Essen sofort heißen Sex liefert), diese Klischees werden dem Leser aber auf so eine soufflee-leichte Weise serviert, dass man die Fertigsauce zum Menü verzeiht. Das Einzige, was mir ein wenig länger im Magen liegenblieb und den Gesamteindruck eines lustvoll-opulenten Lesemahls störte, waren die vielen One-Night-Stands, die sich Paul erlaubte. Selbst ich als Frau glaube daran, dass, wenn ein Mann sich wirklich und wahrhaftig verliebt hat, keine andere Frau in seinem Herzen und Bett Platz hat.... und schon gar nicht so viele, die Paul nacheinander vernascht, - dafür ein Stern Abzug.

Fazit: Ich habe mich gerne amüsiert und das romantische Ende fand ich wie eine Birne Helene: Leicht klebrig, sehr gehaltvoll, aber immer wieder schön!

Bewertung vom 18.08.2010
Boyne, John

Das Haus zur besonderen Verwendung


ausgezeichnet

Eine große Liebe erträgt alles
Revolution, Exil, Weltkrieg, Verlust des einzigen Kindes, Ehebruch und Tod. John Boyne zeichnet in "Das Haus zur besonderen Verwendung" die Beziehung zweier Menschen mit fast allen grausamen Facetten nach, die das Leben bieten kann.

Zum Inhalt: Georgi, der Sohn eines Bauers, rettet einem Angehörigen der Zarenfamilie das Leben und wird daraufhin zum Leibwächter des Zarewitschs nach St. Petersburg berufen. Von seinem Leben bei Hofe, der Liebe zu der jüngsten Zarentochter Anastasia, der Flucht aus Russland, dem Exil und dem Leben mit seiner Frau Soja in der Fremde berichtet Georgi in der Ich-Form.

Zur Aufmachung: Ein Park im Herbst, im Hintergrund zwei Gestalten, unter dem Bild ein roter Stern. Vielleicht möchte diese Komposition darauf hinweisen, dass sich Georgi und Soja selbst im Herbst ihres Lebens immer noch von dem russischen Regime verfolgt fühlen. Zu dieser Einschätzung bin ich aber erst gekommen, nachdem ich das Buch gelesen habe; davor fand ich das Cover einfach nur nichtssagend. Schön finde ich, dass der Übersetzer genannt wird. Schließlich trägt eine gute Übersetzung nicht unerheblich zum Erfolg eines Buches bei.

Mein Eindruck: Ein Schmöker im besten Sinn! Als ich das Buch erst einmal in die Hand genommen hatte, konnte ich es nicht mehr zur Seite legen. Nicht nur, dass Boyne eine großartige Liebesgeschichte an die Frau bringt, sämtliche Orte, Personen der Zeitgeschichte und Daten sind auf das Beste recherchiert und auf der Website www.zurbesonderenverwendung.de illustriert. Zusätzlich versteht Boyne es, sowohl Orte als auch Gefühle der Handelnden so lebensecht und treffend zu schildern, dass ich die Schäbigkeit und Verzweiflung im Heimatdorf Georgis spürte und ebenfalls ehrfürchtig vor dem Winterpalast stand, als dieser in St. Petersburg eintraf. Gut gefiel mir, dass die Hauptpersonen nicht glorifiziert, sondern mit vielen Fehlern dargestellt sind, auch die "Guten" sind eben nicht perfekt. Aber auch die Nebenpersonen sind sehr bildhaft und differenziert angelegt, z.B. zeigt sich die Zarenfamilie einerseits als von Gott eingesetzt, andererseits versuchen sie dem russischen Volk zu beweisen, dass sie sich trotz aller Göttlichkeit kümmern.

Fazit: Auch wenn Klappentext und Cover nicht überzeugen können, spreche ich eine uneingeschränkte Empfehlung für "Das Haus zur besonderen Verwendung" aus. Selten hat mich eine fiktive Geschichte mit historischen Wurzeln so berührt und gefesselt.