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gabiliest
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Bewertung vom 01.08.2024
Del Buono, Zora

Seinetwegen


sehr gut

In ihrem Roman “Seinetwegen” arbeitet die Autorin Zora del Buono ihre eigene Familiengeschichte auf. Aber nicht nur das- spotlightartig werden immer wieder Fakten aus den Jahren ab 1960 eingeschoben, oft zum eigentlichen Thema des Buches passend, manchmal aber auch ohne Zusammenhang. Daher irritiert das anfänglich, denn man sucht hier nach dem der Bedeutung für den Fortgang der Geschichte.

Der Vater der Autorin, ein angesehener, junger Arzt, kam bei einem Autounfall vor sechzig Jahren schuldlos ums Leben. Wie die Autorin schreibt: Ein wertvoller Mensch, dessen Tod keinen Sinn ergibt. Der Verursacher des Unfalls wird von ihr völlig anders beurteilt: Erst kurz den Führerschein, fuhr trotzdem schon mehrere Autos und hatte bereits mehrere Unfalle. Trotz dieser Tatsachen wird er vom Gericht nur zu 200 Franken Strafe und bedingter Haft verurteilt. Damals war die Autorin erst acht Monate alt.

Über ihre Kindheit und Jugend erfährt der Lesende nicht viel, speziell nicht über das Verhältnis von Mutter und Tochter. Beide haben nie über den Tod des Vaters gesprochen und so bleibt, wie sich zeigen wird, vieles ungesagt. Nunmehr ist die Mutter dement und in einem Pflegeheim, die Chance einer Aufarbeitung vertan.

Als die Autorin ihre Nachforschungen zum Unfallverlauf beginnt, wird sie von den Schweizer Behörden arrogant und unhöflich abgewiesen. Sie fährt an den Ort des Geschehens und erst durch Gespräche mit Menschen, die E. T., den Todeslenker, gekannt haben und die Nachforschungen eines Archivars erfährt sie, dass dieser lebenslang an seiner Schuld gelitten hat, lange Zeit für die Unfallfolgen bezahlt hat und Kontakt mit ihrer Mutter hatte. Auch hat er ihren Vater im Spital besucht, wo dieser im Koma lag und die Mutter die schwierige Entscheidung getroffen hat, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Aus dem “Töter”, wie ihn die Autorin bezeichnet, wird langsam das Bild eines Menschen und seines Schicksals.

Die Einschübe im Buch befassen sich häufig mit Autos und allgemein mit dem Unfallgeschehen. Hier hat die Autorin sorgfältig recherchiert und wir erfahren Fakten. Ebenso sind die Stellung der Frau, ihr Missbrauch im Verlauf der Geschichte und furchtbare weibliche Schicksale immer wieder Thema. Auch die Verfolgung Homosexueller bekommt in diesen Abschnitten Raum. Die Autorin schildert in einer klaren, präzisen und sachlichen, ja distanzierten Sprache die Geschehnisse, sie wie durch ein Brennglas betrachtend und den Lesenden überlassend, ob sich daran Ekel, Abscheu oder auch Mitleid entzündet.

Das gut zum Thema passende Cover, ein Mann auf eine gewundene Straße blickend, lässt Raum für Interpretation, ob hier Vater oder Unfalllenker dargestellt sind. Wer immer, er blickt wohl auf den Weg, den sein Schicksal genommen hat.

Der Roman “Seinetwegen” ist bereits das zweite Buch von Zora del Buono, in dem sie ihre Familiengeschichte aufarbeitet. Neben ihren Romanen “Die Marschallin”, “Gotthard” und “Hinter Büschen an eine Hauswand gelehnt” hat sie eine Kulturzeitschrift gegründet und als Architektin und Bauleiterin gearbeitet.

Das vorliegende Buch der Autorin ist ein vielschichtiges Werk, in dem Persönliches mit (Zeit)geschichtlichem verwoben wird. Immer wieder stellt sich die Frage nach Schuld und Sühne und der Lesende, der sich auf die Welt von Zora del Buono einlässt, wird nachdenklich zurückbleiben, seine Meinung über das Buch vielleicht erst im zweiten Anlauf bilden, aber dankbar sein, dass ihn die Autorin in ihr Leben gelassen hat und an ihren Gedanken teilnehmen ließ.

Bewertung vom 15.07.2024
Claire, Anna

Die Kraft der Bücher / Die Glücksfrauen Bd.2


sehr gut

Der Roman erzählt einerseits die Geschichte von Maria Kirschbaum und ihrer Familie- beginnend in Berlin 1936; auf einer zweiten Zeitebene betreibt ihre Enkelin Sandra in Rio de Janeiro im Jahr 2023 einen Buchladen.

Maria erkennt bereits im Jahr 1936, dass Juden in Deutschland immer stärkeren Repressalien ausgesetzt sind und möchte nach Amerika emigrieren, schon um der Sicherheit ihrer beiden Kinder Noah und Tabea wegen. Ihr Mann Jakob, der eine Buchhandlung führt, spricht sich so lange dagegen aus, bis eine sichere Flucht nicht mehr möglich und die Familie gezwungen ist, unter widrigsten Umständen durch halb Europa zu fliehen, um endlich und mit gefälschten Papieren ein Schiff nach Brasilien zu besteigen. Während ihrer Flucht besteht Maria darauf, drei ihrer Lieblingsbücher mitzunehmen, die ihr Halt, Hoffnung und Heimat geben sollen. Werden diese Bücher noch bedeutsam im weiteren Schicksal der Familie Kirschbaum sein? Wird der Familie die Flucht gelingen und kann sich Maria ihren Traum erfüllen, auch in Brasilien eine Buchhandlung zu eröffnen?

2023 erhält Sandra eine Nachricht von June, der Enkelin von Luise, die während der dreissiger Jahre mit Maria und einer Anni Graf befreundet war. Luise war rechtzeitig nach Amerika emigriert und betrieb dort ein Restaurant, bei dem Anni und Maria beteiligt waren. Doch der Kontakt zu Luise war abgebrochen- der Grund dafür ist schwerwiegend, doch bleibt weiterhin ein Geheimnis.
Nun ist Luise verstorben und June soll die Nachkommen der Freundinnen von Luise suchen, die anteilig erben sollen. Jetzt gilt die Suche Anni Graf oder ihren Nachkommen.

Da Sandras Buchhandlung schlecht läuft- Sandra ist eher chaotisch, lebenslustig und träumt davon zu reisen- schlägt sie June vor, die Fluchtroute Marias anhand ihres Fluchttagebuches nachzureisen, um eine Spur von Anni zu finden. Obwohl June eine sehr organisierte Journalistin ist, lässt sie sich ohne zu zögern auf das Abendteuer ein. Unterwegs erfahren die Freundinnen nicht nur mehr über die gefährlichen Wege und nicht enden wollenden Schwierigkeiten, die Maria und ihre Familie überwinden mussten. Sandra erkennt auch, was sie am Erbe ihrer Großmutter hat. Wird es ihr- zurück in Rio de Janeiro- gelingen, ihre Buchhandlung zu retten? Und haben Sandra und June tatsächlich eine Spur von Anni Graf gefunden und etwas über ihren Aufenthaltsort erfahren?

Die Protagonisten des Buches sind sehr markant gezeichnet. Einerseits Maria, die bewundernswert niemals die Hoffnung verliert und alles versucht, das Leben ihrer Familie zu retten und es selbst in schlimmsten Situationen erträglich zu machen. Auch wenn den Gräueltaten des Nationalsozialismus im Buch kein breiter Raum gegeben wird, erkannt man, dass ihr Mann Jakob durch die Strapazen der Flucht gebrochen ist und sein Selbstbewusstsein- und wie er selbst sagt- auch seine Würde verloren hat.

Interessant ist die Entwicklung Sandras von der leichtlebigen, etwas kindlich naiven und bindungsängstlichen Person in eine verantwortungsbewusste Frau, die erst durch die Reise erkennt, was sie ihrer Großmutter verdankt und nunmehr alles versucht, ihrem Vermächtnis gerecht zu werden. Auch June erkennt, welche Strapazen jüdische Auswanderer auf sich nehmen mussten und ist fest entschlossen, mit Sandra weiter nach Anni zu suchen. Eingewoben in die Geschichte ist eine sanfte Love-Story, bei der man den beiden Frauen ein Happy- End gönnen möchte.

Der Roman “Die Glücksfrauen- Die Kraft der Bücher von Anna Claire ist der zweite Teil einer Romantrilogie, die dem Schicksal von Emigranten nachspürt. Marias bewegende Geschichte lässt den Lesenden tief betroffen zurück in dem Bewusstsein, nicht einmal im Ansatz die Angst, die Not, den Hunger und die Demütigungen nachempfinden zu können, die man jüdischen Menschen und anderen im Nationalsozialismus Verfolgten angetan hat. Dieses Buch muss man lesen- gegen das Vergessen und um sich selbst wieder und wieder klar zu machen, wie dankbar man sein muss für “die Gnade der späten Geburt”.

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