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Sagota
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Bewertung vom 22.08.2023
Mcdermid, Val

1989 - Wahrheit oder Tod


gut

"1989 Wahrheit oder Tod" von Val McDermid legt hier den 2. Fall für die Investigativjournalistin Allie Burns vor: Spannende Themen und ein kriminalistischer Ausflug in die Welt der Medienmogule im Jahre 1989, in den die Autorin m.E. ein wenig viel 'hineinpackte', weshalb mich der Vorgänger (1979) mehr überzeugen konnte - da die Autorin jedoch seit vielen Jahren zu meinen schottischen Lieblings-KrimiautorInnen zählt und ich auch die Karen-Pirie-Reihe sehr gerne lese, werde ich natürlich weitere Fälle für Allie Burns dennoch im Auge behalten.


"1989 - Schicksalsjahr für Europa. Eine neue Seuche macht sich breit, die Welt im Osten verändert sich rasant. Journalistin Allie Burns, inzwischen Mitte dreißig und Redakteurin in Manchester, ist entschlossen, den Kranken und Ausgestoßenen der Geellschaft eine Stimme zu geben. Als sie der Wahrheit immer näher kommt, findet sie sich hinter dem Eisernen Vorhang wieder.... in Ostberlin am Rande der Revolution."

(Quelle: Buchrückentext des Verlags)


Meine Meinung:


Als langjähriger Fan der Kriminalromane von Val McDermid, die ich fast alle gelesen habe, war ich auch auf den 2. Fall von Allie Burns sehr gespannt, da mir "1979" bereits sehr gut gefallen hat. Im vorliegenden Fall hat die Autorin spannende Themen aus dieser Zeit, die mit der Geschichte Schottlands und Englands zu tun haben (Lockerbie, Sheffield), das Problem von HIV-infizierten und Aids-Patienten in Edinburgh (damals die europäische Hauptstadt von Aids), dem Wegschauen der Verantwortlichen, dem Abbrechen von Forschungsstudien zu Medikamenten und dem darauffolgenden Abwandern der Erkrankten nach England nachgespürt. In gewohnt sozialkritischer Weise war hier besonders Allie Burns, aber auch McDermid auf den Plan gerufen, Zusammenhänge zu durchschauen und als Investigativjournalistin bei ihrem Arbeitgeber, dem Medienmogul Wallace Lockhart, im Globe ihre kritischen Artikel zu schreiben: Man erfährt von dem brutalen Journalismus, der guten JournalistInnen zuweilen das Wort im Munde herumdreht und so ist auch Lockhart vor allen Dingen daran interessiert, sein Zeitungsimperium zu pflegen und möglichst noch zu vergrößern: Die Erbin, Genevieve Lockhart, soll die alten Verbindungen im Osten Europas sichern und wird kurzentschlossen nach Berlin entsandt. Währenddessen erhält Lockhart Drohbriefe, die in dessen neblige Vergangenheit deuten und bei denen sich ihm die Nackenhaare aufstellen: Wer steckt dahinter und warum jetzt?


Bis zur Hälfte des Romans fehlte mir erstmals die Spannung, die McDermids Kriminalromane stets auszeichnet, ab der Mitte stieg diese jedoch an: Vieles erschien mir realistisch (der Einblick in die hartumrungene Medienwelt und des Sensationsjournalismus, die skrupellosen Machenschaften der einflussreichen Pharmaindustrie z.B.), anderes jedoch weniger - besonders Allies Aufenthalt (teils freiwillig, teils erzwungen) in Ost-Berlin: Ich nehme an, dass ausserhalb dieses Krimis die Reichweite eines Ace Lockharts in den Zäunen zwischen West- und Ostberlin - in der Sperrzone - geendet hätte. Dennoch liest sich '1989' atmosphärisch wie immer und die Charaktere sind gut ausgeleuchtet und vorstellbar. Eine Stelle hat mich als Leserin wirklich gestört, in der es um Homosexualität geht und eine Fr. Dr. Frederike Schröder sexistisch beschrieben wird: "Fredi" ist (demnach) süß und langbeinig - (für eine weitere Protagonistin) "vielleicht in mehrfacher Hinsicht ein guter Fang" (Zitat). Solche Aussagen erwarte ich eher nicht in einem Kriminalroman, dessen Autorin sich selbst als lesbisch outete - und hier besonders einfühlsam agieren sollte. Auch die Beziehung zwischen Allie und Rona, die in Manchester zusammenwohnen und sich gegenseitig sehr unterstützen, auch in beruflicher Hinsicht, waren mir zuweilen zuviel 'des Guten' und nahmen einen allzu breiten Raum ein.

Den literarischen Ausflug nach Polen gegen Ende des Kriminalromans und die Zeitreise in die NS-Zeit fand ich hingegen sehr interessant und spannend dargestellt.


Fazit:


Erstmals, seit ich McDermid lese und von ihren Kriminalromanen mehr als begeistert bin, musste ich hier einige Längen, fehlende Spannung bis zur Mitte des Krimis feststellen: Vielleicht war die Themenauswahl auch etwas 'überreizt', denn einiges in diesem Krimi war für mich am Rande des Überflüssigen; die Kritik jedoch vermisste ich nicht und die gewohnte Atmosphäre war ebenfalls gegeben, die diese Autorin auszeichnen. Ein etwas überfrachteter Einblick in komplexe Themen wie die Welt der Medienmogule und des Sensationsjournalismus, der Macht der Pharmaindustrie und eine Zeitreise in die Zeit kurz vor dem Mauerfall in Berlin bietet sich dem geneigten Leser: Ich schließe mich hier der Meinung einer von mir sehr geschätzten Krimi-Lesefreudin gerne an: "Val McDermid kann es besser!" 3 *

Bewertung vom 08.08.2023
Bannalec, Jean-Luc

Bretonischer Ruhm / Kommissar Dupin Bd.12


ausgezeichnet

"Bretonischer Ruhm" von Jean-Luc-Bannalec (brosch, TB, 336 S.) erschien im KiWi-Verlag, Köln, 2023. Es ist bereits der 12. Fall von allen (und hoffentlich nicht der letzte) mit dem streckenweise urkomischen, caféliebenden und überhaupt jede Form von erlesener Kulinarik liebenden Kommissar Dupin. Auch hier werden Fans der Krimireihe auf ihre Kosten kommen:


Inhalt:


Die Hochzeitsreise von Jaques Dupin und seiner Claire führt die beiden in die südliche Bretagne und an die Loire, wo sie "jeden Tag einer Weintraube widmen" wollen und erlesene Weingüter gebucht haben: Die erste Station führt sie in die 'Fontaine aux Bretons', die Cécile Cast, einer Freundin von Claire, gehört. Kaum angekommen und Pläne für die folgenden Tage bei erlesenen Köstlichkeiten - jeweils begleitet von excellenten Weinen, wie von Dupin bekannt - schmiedend, geschieht der Mord an Brian Katell, dem Ex-Mann von Cécile, dem sie noch immer nahe steht: Aus 'rein freundschaftlichen Gründen', die besonders Claire wichtig sind, ermitteln nun nicht nur Dupin höchstselbst, sondern auch Claire und Cécile, die natürlich über besondere Ortskenntnisse und Hintergrundwissen verfügt. Während Claire in allen Bänden zuvor immer unscheinbar blieb, tritt sie hier erstmals in den Vordergrund und ist von dem Vorhaben, gemeinsam zu ermitteln, nicht mehr abzubringen. Lelouche, der vor Ort zuständige Kommissar, ist über die 'undercover-Ermittlung' des Rivalen Dupin alles andere als erfreut; letzten Endes aber machtlos. Lelouche macht eine nicht sehr gute Figur und das Aufeinandertreffen der beiden Ermittler erinnerte mich stets an das "Hase und Igel" Spiel: In allen Kommissariaten der Bretagne scheint eins klar zu sein: Dupin ist einfach der Beste (was auch Nolwenn so sieht).


Auf dem Weingut von Brian, dem noch ein weiteres Opfer folgen soll, lernen wir dessen Mitarbeiter kennen: Marchand und dessen Sohn, die zeitlebens Verwalter des Weinguts sind; Emily Pic, eine talentierte Winzerin, die eine große Zukunft vor sich hat und sehr ehrgeizig ist; Anne-Sophie Joly, einst Erbin eines weiteren Weinguts und Brians Lebensgefährtin sowie Damien Dantec, der PR-Chef Brians, der für die Vermarktung der Weine zuständig ist. Ein alter Freund von Brian, Alain Chevrier, wollte mit Brian eine Reihe von Weinbars eröffnen: Das Projekt ist fast beendet, als Brian ermordet aufgefunden wird: Was wird nun daraus werden?


Meine Meinung:


Auch im vorliegenden Band der Dupin-Reihe, die erst zur Mitte hin an Spannung Fahrt aufnimmt, nimmt die Beschreibung der Region um Pornic sowie die bretonische Speisekarte, Lokalitäten, die empfehlenswert sind sowie sehr erlesene Weine als Begleiter excellenter Mahlzeiten einen breiten Raum ein. Da ich die Atmosphäre in den Bannalec-Krimis sehr schätze und bei jedem Café, ohne den es einfach nicht geht, schmunzeln muss, hat mich dies nicht weiter gestört. Bannalec lässt auch hier wieder seine Leserschaft mitfiebern und -rätseln: Wer könnte ein Motiv haben, wer der Mörder (oder die Mörderin) sein? Claire erlebt man als toughe Ehefrau, die ihren eigenen klugen Kopf hat und nun Konturen annimmt, die zuvor nicht sichtbar waren. So "mogeln" sich die ErmittlerInnen 'inkognito' stets an wachhabenden Polizisten vorbei, um in der Domaine nach Spuren zu suchen; dies fand ich persönlich am spannendsten, da Dupin nicht Dupin wäre, wenn er denn nicht riskante, aber durchaus erfolgreiche Aktionen lieben würde. Der Autor legt erfolgreich falsche Fährten und die Auflösung hat mich überraschen können (wenn ich hier auch evtl. mildernde Umstände gelten lassen würde). Interessant fand ich auch die Ausflüge in die Welt der Verkostungen und wirklich sehr alten, edlen Weine, die mitunter ein Vermögen wert sind! Auch wenn die Brigade Dupins (Nolwenn, Riwal - eine Lieblingsfigur von mir und Kadeg) diesmal nur eine Nebenrolle spielen und Spechte in Schach halten, die Dupins Haus attackieren, waren sie doch irgendwie bei jedem Schritt "mit dabei" - denn ohne sie kann ich mir keinen Dupin-Krimi vorstellen. Ich hoffe, dass der von Dupin geliebte Citroen XM reparabel ist: Mir gefällt er auch sehr viel besser als der DS7-E ;)


Fazit:


Gerne empfehle ich auch diesen (bereits 12.) Kriminalroman um den kultigen Kommissar Dupin; eine besondere Empfehlung geht an Liebhaber erlesener Weine und bretonischer Spezialitäten, viel Bretagne-Atmosphäre (diesmal den Süden) und einem sehr kniffligen Fall, den Dupin und Gattin Claire sowie Cécile, beste Freundin Claires, souverän und undercover lösen:

Etwas blamable für Lelouche, zum Schmunzeln der LeserInnen und zur Freude Dupins & Team, "der ja eigentlich nur auf Hochzeitsreise war".

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Bewertung vom 26.07.2023
Fischer, Franziska

Unsere Stimmen bei Nacht


ausgezeichnet

Wenn aus Fremden Freunde werden.....

Worum geht's?

Gloria und Herbert; ein Ehepaar in den Mittfünfzigern, vermieten die Zimmer ihrer 3 Kinder, die inzwischen erwachsen sind und auszogen, in einer alten Berliner Villa: Dafür scheint es mehrere Gründe zu geben; zum Einen verbessern sich die Finanzen der beiden - und zum anderen kommt, was vorwiegend von Gloria gewünscht ist, mehr Leben ins Haus, das groß genug ist, um Lou, Mitte 30 und sehr oft umgezogen, Tänzerin; Jay, einen Studenten der Politikwisssenschaften sowie den von Frau und Sohn getrennt lebenden Gregor, einen Wissenschaftler und dessen Tochter Alissa (16) aufzunehmen. Herbert ging vorzeitig in den Ruhestand und hat sich in zwei Räumen ein kleines Antiquariat aufgebaut, das er weiterhin betreibt, auch wenn es kaum Laufkundschaft gibt....


Meine Meinung:


Der Roman beginnt mit dem Einzug von Lou, die mir aufgrund ihrer einfühlsamen und hilfsbereiten Art sowie ihrem Gespür für Menschen sehr sympathisch war. Sie hat eine Weile bei einer Freundin gewohnt und Gloria schien es (sie war die 34. Bewerberin für das letzte Zimmer!), dass das Zimmer und Lou zusammenpassen werden - und sie gleich einziehen konnte. Nach und nach lernt man die anderen Hausbewohner kennen; Jay, den anfangs unsicheren und scheuen, später aufgetauten und auch mal mit Lou in der Küche stehenden und kochenden Studenten, der sich durch das Angebot der Mahlzeiten gegen Aufpreis recht wohl zu fühlen scheint und auch gerne Songs schreibt und Gitarre spielt. Gregor ist der am zurückgezogensten lebende Charakter dieser Haus- und Wohngemeinschaft, Alissa wirkt eher unglücklich über die Zerfaserung der Familie, kommt aber mit dem Vater anscheinend besser zurecht als mit der dominanten Mutter, die ihr in den Ferien Nachhilfe aufbürdet und am guten Schulabschluss der Tochter mehr Interesse zeigt als an der Tochter selbst. Alissa wirkte auf mich auch in gewisser Weise überfordert, da sie ihrem Vater täglich Brote mit in die Uni gibt und somit Aufgaben verrichtet, die eigentlich nicht ihre sind.


Zaghaft nähern sich die ProtagonistInnen, die allesamt diverse Geheimnisse mit sich herumschleppen, einander an; so lernen wir Lou als sehr extrovertiert kennen; sie will dieses Mal "die Lücke besetzen, in die sie sich - vielleicht längerfristig? - einfinden kann"; ihr Lachen ist ansteckend, was dem schüchternen Jay zugute kommt und beide sich bald gut verstehen. Lou erkennt auch, dass Alissa Unterstützung braucht, das Interieur ihres Zimmers betreffend und schenkt ihr kurzerhand eine Sternendecke, die es gemütlicher macht (Alissa ist eher introvertiert und verunsichert, da eine Freundin sich von ihr abwandte, die jetzt zu den wirklich "Coolen" gehört). Gloria ist erleichtert, als sie bemerkt, dass sie durch Jay und Lou Hilfe beim Kochen erhält, ihr Mann Herbert braucht etwas länger, sich auf die häuslichen "Veränderungen" einzustellen: Er ist der konservativste Charakter, der Rituale mag und jeden Tag sein Klappschild für das Antiquariat auf die Straße stellt. Bis Jay ihm erklärt, dass er mehr Bücher verkaufen würde, wenn er auch einen online-shop hätte.


Eine sehr interessante und vielschichtige, wie auch sympathische Figur ist Gloria, die Neuem gegenüber offen ist und eine alte Bürde mit sich trägt. Beim Ausmisten kommen sich Lou und Gloria im Dialog näher und eine Überraschung wartet auch auf den Leser, die ich mir sehr gut als eine Fortsetzung dieses Beziehungsromans mit feinen und leisen Untertönen vorstellen könnte! Die Themen sind sehr vielschichtig und es machte mir Freude, stets 'zwischen den Zeilen' lesen zu können; das Ankommen Lou's zu verfolgen, die Tatsache, dass die anfängliche Fremdheit einer permanenten Annäherung der ProtagonistInnen folgen sollte, gefiel mir sehr. Da ich selbst einen Teil meines (jungen) Lebens in WG's lebte, hatte ich auch einen direkten - und sehr positiven - Bezug zum Thema Zusammenwohnen.

Fazit:

Ein wunderschöner Roman, in dem es der Autorin mit Bravour, auf berührende Weise und stellenweise tiefpoetisch gelingt, zu beschreiben, wie es den WG'lerInnen gelingt, sich gegenseitig zu helfen; Altes, Verkrustetes mehr und mehr aufzubrechen, sich Mut zuzusprechen und auch Hoffnung zu geben. Allen, die tiefgründige und sehr niveauvolle Unterhaltung, gewürzt mit Empathie und psychologischem Feingefühl lieben, kann ich eine absolute Empfehlung aussprechen. Auch könnte es ein Roman sein, der SeniorInnen Hoffnung gibt, MitbewohnerInnen zu finden, die leerstehenden Zimmern in viel zu groß gewordenen Häusern - und damit auch ihrem eigenen Leben - womöglich wieder neues, mitmenschliches Leben einhauchen könnten. Zu wünschen wäre dies sehr!

Ich vergebe mit einem dankeschön an Franziska Fischer und an den Dumont-Verlag für schöne Lesestunden 5*.

Bewertung vom 30.05.2023
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


sehr gut

"Das Bücherschiff des Monsieur Perdu" aus der Feder der wundervollen Schriftstellerin Nina George ist gewissermaßen der Anschluss an "Das Lavendelzimmer", das vielen bekannt sein dürfte und weltweit Anerkennung fand (eins meiner Lieblingsbücher). Der Roman erschien bei Droemer Knaur (HC, gebunden, 2023,München, 379 Seiten) und reiht sich auf wunderbare Weise in die mir bekannten "Bücher über Bücher" - und auch Menschen - Reihe ein. Ich würde empfehlen, "Das Lavendelzimmer" zuerst zu lesen, zwingend notwendig ist es jedoch nicht, um auch dieses Buch für Bibliophile (und solche, die es noch werden wollen) sehr empfehlen zu können!


Monsieur Perdu lebt seit 3 Jahren mit Catherine, einer leidenschaftlichen Bildhauerin, im Süden Frankreichs. Perdu ist leidenschaftlicher Buchhändler, der Bücher und Menschen, die zusammenpassen, liebend gerne zusammenbringt und an einem Buch gegen Seelenleiden schreibt; das er "Die große Enzyklopädie der kleinen Gefühle" nennen wird und dessen Einträge man im Romanverlauf verfolgen - und oftmals darüber schmunzeln kann. Lulu, sein Bücherschiff, hat er seinen Freunden gegeben; doch losgelassen hat ihn weder Schiff noch der eigentliche Ankerplatz in Paris nicht, wie man feststellen kann: So beschließt er nach über 4 Jahren, über die Champagne, die Marne und die Seine wieder seine "Pharmacie Littéraire" in Paris anzusteuern. Auf dem Weg, auf dem Max ihn begleitet, Freund von Perdu und Victoria (der Tochter von Manon, falls man den Vorgänger kennt) und werdender Vater, passieren natürlich viele unvorhergesehene Dinge und wir lernen einige sehr liebenswerte Menschen auf dieser Reise kennen:


Da ist Cuneo und Samy, die Perdu halfen, "Lulu" wieder flott zu bekommen und beste Freunde sind, ebenso wie Max und Victoria; Ella, die lange im Verlagswesen tätig war und Pauline, ihre zuerst recht mürrische 16jährige Nichte (eine meiner Lieblingsfiguren im Roman); Dominique, später "Oma Dommi" genannt und der kleine Theo, dem es die Sprache verschlagen hat und dem Perdu sehr gerne helfen möchte, sie wiederzufinden; die Eltern von Perdu - Lirabelle und Joaquin - sowie Emile, ein Hafenbrigadier, der sich heimlich wünscht, wieder Bücher zu lesen und seinen Vorgesetzten, LeRoy im Grunde nicht ausstehen kann.


Meine Meinung:


Wie in all' ihren Büchern, nimmt Nina George ihre Leserschaft von der ersten Seite an mit ("Liebe auf den ersten Satz" - ein Zitat aus dem Roman, die es wirklich gibt!) und man ist als literarische "Mitreisende" oftmals gefangen von der zauberhaften Wortakrobatik, die die Autorin bis zur Perfektion beherrscht (wenn sie z. B. von der Allesmöglichkeit spricht). LektorInnen sind für sie "Co-Bildhauer des Wortgesteins"; viele teils poetische und philosophische Betrachtungen zu allen Facetten des literarischen - und auch realen Lebens liest man erstaunt, verzaubert von der sprichwörtlichen Sprachdynamik: Stilistisch ist der Roman ein Lesegenuss, es sind schöne Sätze oder Worte zu Büchern und Menschen zu finden, die nur George so auszudrücken vermag. (Erinnerungsdiamanten, z.B.) Der Stil ist poetisch, atmosphärisch, auch mal kritisch (Handy-Nutzung und das direkte Gespräch, das verloren zu gehen droht), zuweilen herzerwärmend und auch mal schnodderig in der Sprache (alle naslang) sowie humorvoll. Anderes regt zum Nachdenken an oder zum Innehalten, z.B.


"Ein Buch richtet sich stets an das Innere, stellt Fragen und lebt mit dem Lesenden in die Antworten hinein" (Zitat S. 277).


Die Themen sind so vielfältig wie das Leben selbst (Freundschaft, Liebe, Ängste, Heimat, gutes Essen, Lieben und wieder lieben lernen, Loslassen können, Optimismus, Gedankenreisen, Älterwerden u.v.m.). Auch werden viele bekannte Romantitel und AutorInnen genannt, die BücherfreundInnen bekannt sein könnten - oder es noch werden.


Fazit:


Der Roman ist eine Wohlfühllektüre auf hohem Niveau und gleichzeitig eine Schiffs- und literarische Reise mit Lulu vom Süden Frankreichs zurück nach Paris, wo ein Fest gefeiert werden sollte, das unterstreicht, dass es auch eine Reise zu sich selbst für Monsieur Perdu gewesen ist: Gemeinsam mit FreundInnen versteht er, nun angekommen in seinem Leben, dieses gebührend zu feiern! Ein Chapeau von mir für die unglaublich schön zu lesende "Wortakrobatik" der Autorin und eine Empfehlung sowie 4* am Literaturhimmel!

Bewertung vom 29.05.2023
Horowitz, Anthony

Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3


sehr gut

"Wenn Worte töten" (A line to kill im Originaltitel) von Anthony Horowitz erschien (2023, HC, geb., 329 S.) im Insel-Verlag. Es ist der dritte Kriminalroman, in dem der frühere Scotland-Yard-Inspector und jetzige Privatermittler Hawthorne seinen (gewohnt zuweilen recht witzigen) Auftritt hat: Die Besonderheit hier lag für mich darin, dass Hawthorne, also eine Romanfigur, hier personalisiert wurde und mit dem Autor auf eine literarische Reise geht, die plötzlich zu einer mörderischen wird:


Beide (der Autor und Hawthorne) erhalten eine Einladung zum Literaturfestival auf Alderney, der kleinen Kanalinsel, die friedlich ist und auf der es nie zuvor einen Mord gab: So fliegt man mit den beiden gemeinsam auf die Insel; erlebt stellenweise die Lesungen und Vorträge mit und kann sich ein Bild von den weiteren Schriftstellern machen, die hier angetreten sind; teils mit schweren Koffern in der Hoffnung, viele Bücher zu verkaufen: Da sind Marc Bellem, ein TV-Koch, der auf Kalorien pfeift und Deftiges zubereitet mit seinem neuen Buch und der Assistentin Kathryn, die er für kleines Geld kurz zuvor anheuerte. Da ist der Inselhistoriker Elkin und die französische Lyrikerin Maissa Lamar sowie die Kinderbuchautorin Anne Cleary, die kürzlich eine üble Scheidung hinter sich brachte. Weiterhin gibt es die "blinde Seherin" (Buchtitel 'Blind Sight, Dark Sight' etc., mit der wir später eine Séance erleben sollen. Sponsor des Festivals ist der Inselmäzen Charles le Mesurier, der steinreich ist und sich eine Villa in der Nähe alter Bunkeranlagen aus dem 2. Weltkrieg hat bauen lassen: Er hat seine Finger überall im Spiel und seine Frau Helen gibt dieses nach Gusto beim Shoppen in Paris und sonstwo gerne wieder aus: Eine neue Stromtrasse spaltet die Inselbewohner; auch hier will Charles, dass diese gebaut wird, da er sich Profit davon verspricht; andere sind sehr dagegen, da sie mittels Umspannwerken etc. die Insel verschandeln würde - und was noch schlimmer ist, direkt über einem Massengrab aus dem 2. WK verlaufen soll, in dem auch so mancher Großvater der Inselbewohner seine letzte Ruhe fand.


Bei der Party in der Villa von Charles, die sich dem Literaturfestival anschließt und zu der alle eingeladen sind, kommt es zum Eklat: Charles wird übel zugerichtet und mausetot von seiner Ehefrau Helen gefunden: Der kriminalistische Spürsinn von Hawthorne und dem Autor sind geweckt: Motive finden sich zuhauf, da Charles ein menschliches Ekelpaket gewesen ist, das sein Geld im Online-Glücksspiel machte und selbst über Leichen ging: Doch wer von den Anwesenden hat das plausibelste Mordmotiv?


Dies gilt es nunmehr herauszufinden und die Überlegungen und Nachforschungen der beiden erinnern stark an einen unaufgeregten aber dennoch spannenden 'crime noir' à la Sherlock Holmes oder Agatha Christie: Immer wieder gleitet einem beim Lesen ein Schmunzeln ins Gesicht, da der Schlagabtausch zwischen Hawthorne (der sich selten in die Karten gucken lässt und z.B. ungern mit anderen speist) und dem Autor zuweilen gnadenlos - und sehr witzig ist. Genau dies macht den atmosphärischen und eher ruhig gehaltenen Schreibstil von Horowitz für mich aus; der es auch an weiteren Leichen (und Rätselhaftem) nicht mangeln lässt.


Fazit:


Eine witzige Kriminalromanidee, bei der die Buchfigur Hawthorne personifiziert wird und gemeinsam mit dem Autor ein Literaturfestival besucht, das einen mörderischen Verlauf auf einer sonst sehr friedlichen Insel nimmt: Es ist nicht der stärkste Kriminalroman in der Reihe "Hawthorne ermittelt" für mich, jedoch absolut lesenswert für Krimifans, die einen ruhigen Handlungs- und Spannungsaufbau lieben - ebenso wie kriminelle, wahre, gesellschaftliche Hintergründe, die auch hier zu denken geben. Von mir erhält "Wenn Worte töten" 3,5 * und ich freue mich bereits auf Neues von Anthony Horowitz!

Bewertung vom 04.05.2023
Gunnis, Emily

Das Geheimnis des Mädchens


sehr gut

"Das Geheimnis des Mädchens" von Emily Gunnis erschien (HC, gebunden, 432 Seiten, 2022) im Heyne-Verlag der Penguin Randomhouse Verlagsgruppe, München. Es handelt sich bereits um den dritten Roman, der in deutscher Sprache veröffentlicht (und von Carola Fischer übersetzt) wurde. Die beiden Vorgänger hatten mir schon sehr gut gefallen und im Roman 'Das Geheimnis des Mädchens' ist die Autorin ihrem sehr atmosphärischen, unterhaltsamen und hochspannendem Schreibstil treu geblieben. Die Themen des Romans geben starken Frauen, hier besonders Tessa James in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sie als Hebamme aufgrund ihrer großen Erfahrungen sehr beliebt war, ihre Stimme und daher würde ich sie ins Genre "sehr lesenswerte Frauenromane" - oft mit historischen Hintergründen und Familiengeheimnissen - einordnen.



Meine Meinung:


Emily Gunnis, eine junge englische Autorin, deren Romane ich mit großem Lesegenuss lese, versteht es auch hier wieder, ihre LeserInnen in die spannende, emotionale und hochdramatische Geschichte zwischen zwei Familie, die in mehreren Generationen vor sich hinschwärt, eintauchen zu lassen. Es handelt sich um einen Roman auf drei Zeitebenen, die dem Leser anfangs etwas abverlangen (die Autorin hat jedoch am Buchanfang einen Stammbaum der Familie Hilton und James angelegt, den ich immer mal aufgeschlagen habe); aber durch die klare Abgrenzung ist die Handlung gut zu verfolgen. Ich verlegte mich in der Beschreibung des Inhalts ausnahmsweise auf den Verlagstext (Klappentext), da hier die Spoilergefahr groß ist und ich anderen LeserInnen nicht die Freude zu nehmen, in diese Geschichte voller Intrigen, Lügen, Verletzungen, Zurückweisungen, Geheimnissen - aber auch Liebe und Nähe einzutauchen.


Der Ort des Geschehens ist ein herrschaftliches Haus, Yew Tree Manor in East-Sussex, dem viel Land angeschlossen ist und auf dessen Anwesen ein altes Pfarrhaus steht: Dieses ebenfalls schöne, wenn auch kleinere Haus bewohnt die Familie James, die das Recht erhalten hat, zeitlebens dort zu wohnen. Bis sich mit Tessa, die mit Evelyn befreundet ist, ihr Leben jedoch während der schweren Geburt nicht mehr retten kann, alles verändern sollte. Wir lernen Tessa als eine starke, hilfsbereite und sehr gutherzige, sozial gerecht denkende Frau kennen, die in schwierigen Zeiten, als Ärzte die sehr sensible medizinische Tätigkeit der Geburtshilfe übernehmen wollten, jedoch keine besondere Ausbildung erfahren hatten. So war der Beruf der Hebamme, seit Jahrhunderten GarantInnen für neues Leben, das geboren wurde und ob der Erfahrungen dieser Frauen die Gebärenden sich in guter Obhut wussten, einem Wandel unterworfen, dem auch Tessa nicht entfliehen konnte.


Auch ihre Tochter Bella erleben wir als starke Frau, die ihren Sohn Alfie (den sie mit dem im Krieg gefallenen Eli Hilton hat), alleine und mit Hilfe Tessas groß. In der dritten Zeitebene (der Gegenwart) erkennt Willow, dass sie das Familiengeheimnis um die Fehde mit den Hiltons lüften muss, um weiteres Unheil vermeiden zu können. Sie wickelt ein wichtiges Bauprojekt als Architektin ab, da das Herrenhaus Yew Tree Manor an einen Investor verkauft werden soll - und das alte Pfarrhaus dafür abgerissen werden muss: Doch was ist damals wirklich passiert, als Alice verschwand? Wieso ist sie nie wieder aufgetaucht?


Dies überlasse ich den geneigten LeserInnen, es herauszufinden und hatte einige Stunden großen Lesegenuss mit dieser dramatischen Geschichte, deren Spannung ab Mitte des Romans nochmal gewaltig zunimmt und man das Buch nur ungern aus der Hand legt. In der Anmerkung legt die Autorin die Intention für die Thematik dar: Die Faszination des Berufs der Hebamme, deren Geschichte in England sie aufgreift und verdeutlicht. Weitere Themen sind Lügen, Schuld, Manipulation, Geheimnisse, Traumatas, Ängste, Selbstsucht; aber auch Liebe, Stärke und positive Entwicklungen eines Menschen, der Nähe und Liebe zuzulassen lernen kann - das Spektrum menschlicher Emotionen ist reichhaltig und authentisch skizziert.


Fazit:


Eine dramatische, hochspannende, emotionale und sehr geheimnisvolle Geschichte der Fehde zwischen zwei Familien im südlichen England des letzten Jahrhunderts bis zur Gegenwart: Eine packende Story mit Tiefgang und Emotionen, die ich gerne weiterempfehle und auf Neues von Emily Gunnis hoffe!

Bewertung vom 16.04.2023
Corbet, Ellis

Das Schweigen der Klippen / Guernsey-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

"Das Schweigen der Klippen" von Ellis Corbet (dem Pseudonym einer bekannten deutschen Autorin) erschien im Verlag lübbe (2023, tb, 333 Seiten) und bietet beste und spannungsreiche Krimiunterhaltung auf der wunderschönen Kanalinsel Guernsey, die man nach dem Lesen am liebsten besuchen würde. Es handelt sich um den Nachfolgeband der Krimireihe um die sympathische Ermittlerin Kate Langlois, die selbst auf Guernsey geboren wurde und in deren Familie (auf unterschiedliche Weise ;) "Helfen" quasi Programm ist: Der verstorbene Vater war Sozialarbeiter, die Mutter ist Krankenschwester - und Kate sucht in der Crime Unit der Guernseyer Police Verbrechen aufzuklären. "Das Schweigen der Klippen" ist hierbei ein äußerst kniffliger Fall, der viele Wendungen nimmt und auch ein Stück Inselgeschichte widerspiegelt, nämlich die der Zeit der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg.


Inhalt:


Odile, über 90 Jahre alt und in der "Garden Villa", einem geruhsamen Seniorenheim auf Guernsey wohnend, wird tot am Strand unter den Klippen gefunden: Rutschte sie aus und stürzte ab - oder handelt es sich um ein Verbrechen?


Meine Meinung:


Dieser Frage stellt sich intuitiv Kate Langlois als Ermittlerin, die sofort nach der Begutachtung von Ort und Leiche ein "leichtes Ziehen in der Magengegend spürt" - ein sicheres Zeichen für sie, dass hier etwas nicht stimmt. So rekonstruiert sie den Spaziergang der ausgebüxten alten Frau (war sie alleine oder war jemand bei ihr?) und alle Menschen, die in irgendeiner Weise in Kontakt zu ihr standen. Bei ihren Recherchen findet sie heraus, dass Odile recht eitel war (sie trug ein schönes Kleid und war geschminkt, als man sie fand), lila ihre Lieblingsfarbe war und sie allen Heimbewohnern stets von ihrem George erzählte; ihrem Verlobten, der sie sicher bald besuchen käme und der sehr wohlhabend sei.... Nicolas, der französische Wissenschaftler, den sie bereits in ihrem ersten Fall zur Seite hatte, versucht ihr nach Kräften zu helfen und das entstandene Missverständnis seiner damals übereilten Abreise mit Kate zu klären; es ist nicht zu übersehen, dass sich beide sehr mögen, an ihrer Kommunikation jedoch noch "feilen" müssen.


Kate versucht über das Museum of German Occupation an Informationen zu kommen, die mit Odile und ihrem vermutlich deutschen Verlobten zu tun haben könnten: Was hat sich damals wirklich zugetragen? Weshalb ist Odile zeitlebens von allen geschnitten worden und als "Jerrybag" beschimpft worden? Wie hat sie in den zwei Jahren, die sie im Seniorenheim verbrachte, gelebt - wie war sie als Mensch?


Diesen interessanten Fragen, die Kate auf einige vermeintliche Spuren und Motive bringen, geht dieser Guernsey-Krimi nach. Dabei spart die Autorin nicht mit ernsten Themen wie Einsamkeit im Alter; Medikamentenmissbrauch in Pflegeheimen zur Ruhigstellung der SeniorInnen (überall mit Sicherheit Realität; ich konnte dies zwei Jahre in meiner Tätigkeit mitverfolgen, jedoch leider nichts dagegen tun), Ausgrenzung und Vorurteile gegenüber ehemals Inhaftierten und Mobbing gegen jene; aber auch Humor und ein immer wieder aufblitzendes Augenzwinkern kommen nicht zu kurz, die den Krimi sehr positiv auflockern: Der Showdown ist stimmig und überraschend, die Wendungen zahlreich und die Auflösung nicht vorhersehbar. Einordnen würde ich ihn in das Subgenre 'Cosy Crime' - allerdings die mit viel Spannung! Besonders gefiel mir auch das Lokalkolorit und das Verraten der schönsten Plätze auf der Kanalinsel, die sicher eine Reise wert ist!


Fazit:


Ein atmosphärischer Krimi, der viele Orte auf Guernsey wundervoll beschreibt; einen interessanten historischen Rückblick auf die schwere Zeit deutscher Besatzung beinhaltet und einen kniffligen Kriminalfall für Kate Langlois, einer sympathischen Ermittlerin, beinhaltet. Garniert ist das Ganze mit zahlreichen Wendungen, vielen Verdächtigen und falschen Spuren sowie viel Spannung und auch sozialkritischen Themen. Gerne empfehle ich "Das Schweigen der Klippen" weiter und werde diese Reihe auf jeden Fall weiterverfolgen! 4* und 89° auf der "Krimi-Couch".

Bewertung vom 20.03.2023
Hauff, Kristina

In blaukalter Tiefe


weniger gut

Inhalt: siehe Klappen- und Buchrückentext// Meine Meinung:

Als LeserIn begibt man sich mit auf das Segelboot und legt in Richtung Schweden - den schönen Schären - ab, an Bord Andreas und Caroline sowie Daniel und Tanja wie auch der geheimnisvolle, aber sehr erfahrene Skipper Eric: Bereits vor dem Segeltörn gibt es kurze Einblicke in die handverlesenen Figuren an Bord: Andreas, der es gewohnt ist, "der Chef" zu sein und überall (aus gewissen Gründen) Beachtung seiner Person sucht; der aber auch selbstbezogen ist und im Job sicherlich 'knallhart'; als Selbstoptimierer kommt er im Romanverlauf dennoch zuweilen selbstkritisch rüber. Caroline, die smarte, gebildete, elegante und kluge Chefredakteurin von "My Stile", die weiß, dass sich Andreas und sie längst auseinandergelebt haben und in diesem Segeltörn die Chance sieht, sich wieder einander zuzuwenden oder zumindest annähern zu können. (Andreas jedoch keinerlei Chance dazu gibt, eine Veränderung in der etwas toxischen Beziehung zu erwirken).

Daniel, der sich auf jeden Fall dem "Chef" gegenüber beweisen, nichts falschmachen will, das auf seine Karriere in der Anwaltskanzlei negative Auswirkungen haben könnte. Schnell wird klar, dass er lernschnell und flink reagiert, was Eric dazu veranlasst, bei bestimmten Segelaufgaben an die Crew eher nach Daniel zu rufen als nach Andreas: Zwischen Andreas und Eric baut sich recht schnell eine Rivalität und auch Ärger auf, der man auf einem engen Segelboot so schnell nicht entkommt. Tanja ist anfangs sehr unsicher und schreibt sich keine der positiven Eigenschaften zu, mit der sie Caroline ausstattet. Alle sprechen sich - im Gegensatz zu ihrem Alltagsleben - auf See und auf dem Segelboot mit "du" an; was für Daniel, der sehr obrigkeitsdenkend scheint, zunächst sehr fremd ist -besonders Andreas gegenüber...

Geben sich anfangs alle Mühe, eine gute Stimmung an Bord zu erzeugen und diese mit guten Weinen, erlesenen Speisen und einem wunderschönen Landschaftspanorama stimmig zu machen, so täuscht nichts über die Abgründe hinweg, die sich besonders zwischen Andreas und Carolonine beziehungstechnisch auftun: Hier kam jede Menge hochexplosiver "Sprengstoff" mit an Bord, der sich dann auch nach und nach entlädt - und Tanja von Andreas so sehr in die Enge getrieben wird, dass sie beschließt, mit der nächsten Fähre zurückfahren und damit Daniel verlassen zu wollen: Um dies zu verhindern, sinnen Andreas und Daniel darüber nach und legen kurzerhand fest, dass die Route geändert und ein Tag Pause auf einer kleinen unbewohnten Insel eingelegt wird; mit der Absicht, dass sich alles beruhigt - und alle beruhigen. Leider spielt das Wetter ihnen einen Streich und es kommt trotz der Warnung des Skippers, die in den Wind geschlagen wird, zu einer mehr als brenzligen und auch gefährlichen Situation, die von einem Crewmitglied ausgelöst wird...

Anfangs fand ich den Segeltörn sehr interessant zu lesen; allerdings nahm dieses Interesse in dem Maße ab, mit dem ich erkannte, dass mir fast sämtliche Figuren mehr als unsympathisch sind: Eine Ansammlung von Selbstbezogenheit, die Unfähigkeit, miteinander in konstruktive Dialoge zu treten, Beziehungsprobleme aufzuarbeiten - all dies machte es mir schwer, bis zum Ende "an Bord" zu bleiben (nach 200 Seiten ging es mir wie Tanja, ich wollte am liebsten aussteigen). Tanja und Eric Fauré waren die einzigen beiden Menschen auf der Querelle, die ich danach noch ertragen konnte; Andreas war mir trotz Selbstreflexion sehr unsympathisch und Caroline noch viel mehr; diese Figur konnte ich in der Entwicklung am allerwenigsten verstehen - und fand diese auch sehr unehrlich: Ich hätte Andreas und Caroline einen Segeltörn mit anderem Ausgang gewünscht, der jedoch eine erfolgreiche (oder auch erfolglose) Paartherapie zuvor vorausgesetzt hätte. Erics klare Worte gefielen mir in diesem Zusammenhang am allerbesten ;)

Kristina Hauff hat einen guten Schreibstil und die Spannung war durch den stetigen Perspektivenwechsel durchaus gegeben; auch den atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen konnte ich durchaus etwas abgewinnen: Jedoch überwog die Antipathie gegenüber den HauptprotagonistInnen und ich kann mich der Aussage der Autorin im Nachwort nur anschließen: Solltest Du eine Segelyacht chartern, überlege gut, wen Du mit an Bord nehmen willst....


Fazit:


Auf Hochglanz getrimmte, glattpolierte menschliche Fassaden, die auf engstem (Segelboot)raum mit bezeichnendem Namen (Querelle - französisch für Streit) ganz gehörig bröckeln.... Da mir die Figuren sehr wenig sympathisch waren, war ich in diesem Falle froh, nach 288 Seiten von Bord gehen zu dürfen. Das Erschreckendste: Es ist in der Realität sehr gut vorstellbar, dass sich solche - oder sehr ähnliche Segeltörns zugetragen haben - oder noch durchgeführt werden - aber zum Glück ohne mich.

Bewertung vom 13.03.2023
Kilic, Fatmanur

Fatmanurs fabelhafte Backwelt


ausgezeichnet

Die gelernte Konditorin Fatmanur Kilic, sehr vielen bekannt durch ihre sympathischen Back-Videos auf YouTube, Instagram und TikTok, präsentiert hier ihr 1. Backbuch mit Rezepten "zum Anfassen" (bebildert mit sehr gelungenen Fotos der jeweiligen Backwaren). So liefert "Fatmanurs Fabelhafte Backwelt" allen HobbybäckerInnen detaillierte un sehr gut beschriebene sowie in Einzelschritten erklärte Lieblingsrezepte, die sie uns in diesem tollen Backbuch (erschienen bei Gräfe & Unzer, geb., 160 S., 2023) verrät:


Im Vorwort erzählt die Autorin mit türkischen Wurzeln, wie Backen für sie zur Leidenschaft wurde und gibt ein sympathisches Interview zu ihrer Person. Das Backbuch ist sehr gut strukturiert und beginnt mit Basics & Grundrezepten wie den Grundteigen Mürbe-, Hefe-, Rühr- und Biskuitteig. Die einzelnen Backkapitel lauten


- Klassiker à la Fatmanur

- Easypeasy & megalecker

- Schönes für besondere Anlässe

- Kleine Köstlichkeiten & leckere Desserts

- Brot, Brötchen & Herzhaftes


Der erste Kuchen, der mich alsbald zum Nachbacken verlocken wird, ist der 'Rhabarber-Cheesecake mit Streuseln'; auch 'Käsesahne-Schnitten mit Mandarinen' mögen wir sehr und da Hefeteig mein Lieblingsteig ist, sind auch 'Streuseltaler mit Johannisbeeren' im Juni fällig - und im Herbst gerne mit Zwetschgen. Für Festivitäten gibt es eine putzige und sicher äußerst leckere Ostertorte und von der 'Hochzeitstorte' bin ich ebenfalls sehr begeistert; sehr edel und wunderschön verziert, ohne zu "üppig" zu sein! Auch ausgefallene Backwerke wie Macarons sind im Programm und das Zitronen-Tiramisu ist eine Köstlichkeit, die besonders im Sommer gut ankommen wird! Alle Anleitungen sind per QR-Code auf den entsprechenden Seiten auch als Video anzusehen: Ein dickes PLUS dieses Backbuchs, das ich so noch nicht entdeckt habe.


Bei den herzhaften Backwerken schlägt unser Herz besonders für Fladenbrot mit Sesam sowie für Pide mit Hackfleisch und/oder Sucuk-Käse; daran werde ich mich auf jeden Fall versuchen!

Einen Einblick in ihr persönliches Umfeld, ihre Familie gewährt Fatmanur am Ende des Backbuchs und ein Register erlaubt ein schnelles Zugreifen auf das gesuchte Rezept im Buch - perfekt und eine gelungene Einladung zum Nachbacken ist garantiert! Dafür gibt es von mir für Inhalt, Rezepte und Aufmachung des sehr ansprechenden Backbuchs 5* - und eine (Back)-empfehlung obendrein!

Bewertung vom 19.02.2023
Caspari, Anna-Maria

Ginsterhöhe


ausgezeichnet

Wollseifen, Nordeifel, 1919:

Albert Lintermann kehrt aus den Schützengräben des 1. Weltkrieges zurück; am Leben, jedoch versehrt und im Gesicht schwer gezeichnet. Sein Freund Hennes konnte die Rückkehr nicht mehr erleben: Er fiel im Krieg und hinterlässt Leni, seine Verlobte und eine Tochter, deren Bekanntschaft er niemals wird machen können...

Der Roman ist in Teil I bis III zeitlich gegliedert und die dunklen Wolken (Inflation, hohe Arbeitslosigkeit, Erstarken des Nationalsozialismus) fühlt man zum einen bereits heraufkommen, zum anderen werden sie von der Autorin sehr gut beschrieben: Wollseifen ist ein traditionelles Eifeldorf, in dem die Einwohner gerne leben, es viel Gemeinschaftssinn gibt und die Bewohner mit ihrem Auskommen und Leben zufrieden sind, auch wenn der Boden karg und das Klima rau ist. Ein Mann, der ein großes Gut übernommen hat und fortan "dazu gehören" will; wohlhabend ist, ist Meller - allerdings macht er sich von Beginn an gemein mit den Nationalsozialisten, ist antisemitisch eingestellt und trotz all seiner Bemühungen wird er mit Vorsicht genossen, da er auch als unberechenbar und skrupellos gilt.


Man erfährt im Roman, wie sich das Dorfleben gestaltet, wie schwer die Arbeit ist mit Land und Vieh; aber auch von Festen und Brauchtum, das sicher noch heute in den Dörfern der landschaftlich schönen Eifel gepflegt wird. Ich hatte beim Lesen besonderes Interesse an der Beschreibung der Arbeit in der Landwirtschaft (damals noch mit einfacheren Mitteln als heute), da mein Großvater ebenfalls Landwirt in derselben Zeitspanne gewesen ist. So habe ich "von Haus aus" (ohne ihn leider kennengelernt zu haben) großen Respekt vor dieser Arbeit, die auch den Kindern vieles abverlangte (z.B. die Kühe auf die Weide zu bringen, bevor sie in die Schule gehen durften, so hat es mir meine Mutter erzählt).


Mit Silvio, Kneipenwirt und bester Freund von Albert, gehen wir auf Schmuggeltour nach Belgien, um z.B. dem Lehrer des Dorfes, Faßbender, seinen Café und seinen Tabak mitbringen zu können. Es werden Feste gefeiert und Hochzeiten, und nachdem Albert sich in Bonn von einem hervorragenden Chirurgen operieren lässt und wieder "ansehnlicher" aussieht, nähert sich ihm auch Bertha wieder an; die Familie wächst: Zu Anne-Marie, der ältesten Tochter, gesellen sich zwei Söhne...


Die historischen Fakten (wie die Bücherverbrennung, Reichskristallnacht, Einmarsch in Polen am 1. September 1939 wie auch der Anschluss Österreichs etc.) entnehmen wir den Tagebucheinträgen des Dorflehrers Faßbender, der sich zunehmend sorgt und sich fragt, "wo dies enden solle" - ein Freigeist, der mir sehr sympathisch war (zum Glück für ihn blieb es ihm durch seine Pensionierung erspart, die fragwürdigen Unterrichtspläne der Nazis umzusetzen).


Wir lernen einige starke Persönlichkeiten und deren Schicksale kennen; allen voran Leni, aber auch "die Gräfin", die alleine mit einigen Bediensteten und einer behinderten Tochter ein großes Gut bewirtschaftet und sich mit Pferdezucht erfolgreich über Wasser hält - bis zum Zeitpunkt zumindest, als die Nazis aufmarschieren - und den Untergang eines Landes herbeiführten. Lenis Tochter Hildegard, die Tochter von Hennes, hat mich sehr fasziniert, da sie Trost und Kraft durch "Handauflegen" Mensch und Tier spenden konnte: Solche Menschen mit 'heilenden Händen' gibt es in der Tat.

Brutalität und Grausamkeit sowie Verblendung der Nazi-Propaganda wird im Roman von Meller personifiziert; ein hintertriebener, schwacher und unheilvoller Charakter, der selbst seinen Sohn Siegfried ins Verderben stürzt...

So verfolgt man die jeweiligen Schicksale der Dorfbewohner und erlebt die Evakuierung mit, die mit dem Bau der Schulungsanlage "Vogelsang" - eine Burg, die die Nazis einen Steinwurf von Wollseifen entfernt errichteten, nach dem Kriege mit (auch im Krieg fielen etliche Bewohner des Dorfes den Bombardements zum Opfer). Die Dorfbewohner müssen ihren Ort zurücklassen - und hoffen, wiederkommen zu können. Was niemals mehr der Fall sein wird, da das Gelände zum Truppenübungsplatz der Briten und dann der Belgier als Sperrgebiet ausgewiesen wird: Erst seit 2006 ist es möglich, die kläglichen Überreste von Wollseifen, einem einst blühenden Dorf in der Nordeifel, erwandern zu können. Lediglich eine kleine Kapelle und ein Trafohäuschen sind davon geblieben.


Fazit:


Mich hat dieser Roman aus den genannten Gründen heraus (und da ich mich ohnehin für Zeitgeschichte sehr interessiere) sehr berührt; ich kannte die Geschichte bisher nicht und spreche der Autorin meinen Dank für diesen sehr gelungenen Roman aus, der historische Fakten mit fiktiven BewohnerInnen verwebt und Wollseifen für einige Lesestunden, die sich lohnen, sozusagen wiederauferstehen lässt. Ein Dorf, dem die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit zwei Weltkriegen übel mitspielte - und am übelsten seinen tapferen BewohnerInnen! Eine absolute Leseempfehlung und 5 * gibt es von mir für diese historisch interessante und auf Fakten basierende berührende Geschichte!