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SusanK
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Osnabrück

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Insgesamt 237 Bewertungen
Bewertung vom 13.04.2024
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


gut

Im kleinen Örtchen Le Bois d'en Haut im Landesinneren der Bretagne treffen drei Frauen aufeinander: Die 16jährige Hélène, die die Weichen für ihr späteres Leben stellt, Marguerite, die elegante Französischlehrerin aus Paris, die heimlich nach ihrer Mutter sucht und die Witwe und Ladenbesitzerin Odette, die in den 40er Jahren als Hausmädchen nach Paris geschickt wurde und von ihrem Dienstherrn vergewaltigt. Zahlreiche Vorurteile und Vermutungen führen schließlich zu einem Todesfall ....

Die französische Autorin Claire Léost, die bretonische Wurzeln hat, hat für ihren zweiten Roman "Der Sommer, in dem alles begann" 2021 den Literaturpreis der Bretagne erhalten und nun ist dieses Werk auch in der Deutschen Übersetzung erhältlich.

Mit dem gewählten Setting zeigt die Autorin ihre Verbundenheit zur Bretagne und bringt ihren Leser*Innen mit dem für das Inland des Finistère typischen Ortes Le Bois d'en Haut die Landschaft und die dort lebenden Menschen näher, sowie einen kleinen Teil der Geschichte u. a. mit der Deutschen Besatzung 1940. Die Bezüge zu den Bretonisch-Französischen Spannungen, die alte Sprache usw. waren gut eingebettet.

Claire Léost schreibt in wunderschöner Sprache und prägnanten Formulierungen, doch seltsam rational, die ständigen Sprünge in der Zeit und zwischen den Figuren erfordern größte Aufmerksamkeit. Nachdem ich anfangs große Schwierigkeiten hatte, mich in die Erzählung einzufinden, war ich jedoch immer mehr gefesselt vom Geschehen.

Titel und die zu Beginn stattfindenden Beerdigungen bauen eine Erwartungshaltung auf; die Spannungskurve bleibt jedoch relativ flach.

Die Figuren sind interessant gewählt, leider fehlt ihrer Charakterisierung die Tiefe und ihre Entwicklungen sind nicht nachvollziehbar; die Stimmung ist durchgehend melancholisch bis düster. Teilweise war ich geneigt, Verbindungen zum Expressionismus und Film Noir zu ziehen.

Alles in allem war das Buch in Ordnung, ich hätte mir jedoch "mehr" gewünscht, als dass zahlreiche Themen nur angedeutet waren.
Bzgl. der Themen "Vergewaltigung", "Hirntumor", "Ermordungen" möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen.

Bewertung vom 07.04.2024
Popp, Susanne

Die Frau am Fluss / Loreley Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

In Bacharach am Rhein wachsen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ungleichen Zwillinge Ruth und Juliane (genannt Julie) König auf. Als ihre Mutter, Kräuterfrau und Hebamme, verstirbt, bleibt die blinde Ruth alleine in der verfallenden Burg, Julie muss als Magd in der Wirtschaft ihres Vormunds schuften, wo sie sich mit der durchreisenden Elisabeth Merkens anfreundet. Aufgrund ihrer sagenhaften Schönheit schlägt Julie viel Neid und Missgunst entgegen, auch der örtliche Pfarrer hegt große Abneigung, und so wird sie mit einem älteren Mann verheiratet und muss Bacharach verlassen. Auch der junge Rheinschiffer Johann hat seine Familie verloren, als er Julie kennen- und lieben lernt ....

Nach ihrer erfolgreichen Ronnefeldt-Saga um die deutsche Tee-Dynastie entführt die Autorin Susanne Popp ihre Leser*Innen an die Ufer des Rheins, den sagenumwobenen Felsen und in die Zeit der Romantik mit ihrer Dilogie der "Loreley", hier "DIe Frau am Fluss".

Susanne Popp hat sorgfältig recherchiert und so findet sich viel Spannendes und Wissenswertes in einer mitreißenden, fiktiven Handlung. Die historisch bedeutsame Begradigung des Rheins, die mühsame Rhein- und Fähr-Schifffahrt, das Treideln, die Anfänge der Dampfschifffahrt, der beginnende Rhein-Tourismus sowie spannende historische Persönlichkeiten wie Clemens Brentano und Bettine von Arnim sind harmonisch in die Story eingearbeitet und echte Geschichte lässt sich hautnah nacherleben. Die Landschaft des Mittelrheins und das Leben der Menschen vor 200 Jahren sind anschaulich erzählt und bringen den Leser*Innen die Epoche der Romantik näher; passend dazu entwickelt sich eine romantische Liebesgeschichte zwischen Julie und Johann, die ihren dramatischen Höhepunkt ausgerechnet am Felsen der Loreley erlebt.

Bereits mit dem ersten Kapitel schafft die Autorin ein Rätsel, und viele weitere Geheimnisse sorgen geschickt für Spannung. Leider wird keines in diesem ersten Band gelöst und zusammen mit einem Cliffhänger lässt uns Susanne Popp recht unbefriedigt zurück und in dringender Erwartung des zweitens Teils, der für den Herbst diesen Jahres unter dem Titel "Strom der Zeit" angekündigt ist.

Susanne Popp erzählt gewohnt flüssig und anschaulich und schafft verschiedene Erzählstränge, die zwischen den Figuren, Ort und Zeit wechseln und gut unterhalten.

Popp konzentriert sich auf die (emanzipierten) Frauenschicksale im Konflikt mit der vergangenen Zeit und wählt entsprechend ihre Hauptfiguren in den geheimnisvollen Schwestern Ruth und Julie sowie der dieser in Freundschaft verbundenen Elisabeth. (Nicht nur) diese Figuren sind mehrdimensional angelegt und entwickeln sich nachvollziehbar; dabei fühlte ich mich jedoch der stillen Schwester Ruth und dem fleißigen Schiffer Johann stets näher als der schillernden "Frau am Fluss" Julie. Vielen Leserinnen wird die Liebesgeschichte zwischen den Hauptfiguren gefallen.

Eine Karte des Rheins und ein ausführliches Nachwort der Autorin, in der sie auf wichtige Fragen eingeht, runden das Buch ab.

Um keine falsche Erwartungshaltung aufkommen zu lassen, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieses Buch keinesfalls vom Mythos der Loreley handelt und auf seine Entstehung nicht eingegangen wird.

Einmal mehr hat die Autorin Susanne Popp mich in eine vergangene Zeit abtauchen lassen; ich habe die wunderschöne Landschaft des Mittelrheins vor meinem inneren Auge abgebildet (da ich lange am Hochrhein zuhause war, wo der Rhein noch ganz anders aussieht) und fühlte mich den Menschen der Zeit nahe. So geht Unterhaltung.

Bewertung vom 07.04.2024
Sthers, Amanda

Caffè sospeso


ausgezeichnet

Der Franzose Jacques ist seiner großen Liebe nach Italien nachgereist; von ihr enttäuscht, bleibt er in Neapel hängen, bezieht Quartier über dem Café Nube, wo er fortan täglich an einem Tisch sitzend schreibt und zeichnet und das Leben um ihn herum verfolgt. Verbunden sind die unterschiedlichsten Episoden durch eine lokale Besonderheit der neapolitanischen Kultur, dem "caffé sospeso", dem Brauch, außer dem eigenen Kaffee auch einen weiteren Kaffee zu bezahlen. Dieser Kaffee wird vom Barista notiert und auf Nachfrage an einen Bedürftigen ausgeschenkt. Und so sind es Geschichten über Gebende und Nehmende, Aufbrechende und Ankommende, Glücklich und Enttäuschte - und immer Liebende.

Die französische Roman-, Theater- und Drehbuchautorin Amanda Sthers erzählt in ihrem warmherzigen Roman aus der Sicht eines Mannes von dessen Beobachtungen, wobei man ihr die "männliche Sichtweise" in jeder Beziehung abnimmt. Wie auf einer Theaterbühne erscheinen vor dem Zuschauer Jacques all die Schauspieler im neapolitanischen Café Nube und führen ihre Episoden vor. Es versteht sich von selbst, dass dem Leser dabei einige Erzählungen näher sind als andere, doch jede ergibt ein Teil des Ganzen und keine ist zu viel. Durch Jacques Augen lernen wir Neapel und seine Bewohner immer besser kennen und im Verlauf wächst auch der Erzähler immer mehr ans Herz. Über allem liegt ein Hauch von Nostalgie und Wärme und die verschiedensten Figuren werden voller Liebe beschrieben, oft auch mit einem gewissen Augenzwinkern.

Dieses unglaublich charmante Buch muss man einfach lieben!

Bewertung vom 03.04.2024
Seck, Katharina

Die Vermesserin der Worte


ausgezeichnet

Die junge Autorin Ida Hermann leidet unter einer Schreibblockade. An sich und ihren Fähigkeiten zweifelnd, nimmt sie auf der Suche "nach ihren Worten" - und weil ihr das Geld ausgeht - eine Stelle als Haushaltshilfe bei der wortkargen und harschen Ottilie Selig an. Die beiden vordergründig so verschiedenen Frauen verbindet allerdings die Liebe zu Worten und zur Literatur, und Ida stellt sich die Frage, ob man Fantasie und Worte messen kann? Beim Putzen des "papiernen Anwesens" stößt sie auf immer mehr persönliche Dinge der alten Dame und erzählt dieser sodann ihre eigene Geschichte, um die Lücken zwischen den Worten zu füllen und gegen das Vergessen anzukämpfen.....

Die deutsche Autorin Katharina Seck ist ihren Lesern bekannt als Autorin von Fantasy-Romanen, insbesondere durch die ab 2022 erscheinenden "Dunkeldorn-Chroniken". Ihre Leidenschaft nach Büchern und Worten bringt sie nun mit "Der Vermesserin der Worte" zum Ausdruck und es verwundert kaum, dass auch dieser Roman durchaus ein phantastisches Element enthält: die Waage, mit der sich Worte vermessen lassen, "um nicht Greifbares greifbar" zu machen.

Katharina Seck erzählt sanft und warmherzig die Geschichte zweier starker Frauen, die - entgegen aller Widerstände - mutig ihren Weg gehen und die die Liebe zur Literatur verbindet, ohne dabei auch nur in die Nähe von Kitsch zu geraten. Mit sanftem, poetischem Schreibstil und den philosophischen Fragen hat mich dieses Buch vollumfänglich in seinen Bann gezogen, und zwar trotz oder gerade weil die Entwicklung der Figuren und der Handlung vorhersehbar waren und die Erzählweise dadurch in den Vordergrund rückte.

Das Thema "Demenz" mit seinen furchtbaren Auswirkungen wird realistisch, aber behutsam dargestellt; und auch andere schwierige Angelegenheiten wie Einsamkeit, enttäuschte Erwartungen, Misstrauen und weitere werden empowernd behandelt.

Die Hauptfiguren Ida und Ottilie, aber auch die Postboten Theobald und Matthias sind so liebevoll beschrieben, dass man sie einfach ins Herz schließen muss. Sie sind greifbar mit ihren Problemen und Sorgen und entwickeln sich im Laufe der Geschichte immer weiter.

Die zahlreich verwendeten Metaphern, die aussagekräftigen Kapitelüberschriften ("Die Reise zu einem papiernen Anwesen", "Eine Frau aus Lavendel und Staub" usw.) verbunden mit hübschen Vignetten tragen ebenfalls zum Lese-Genuss bei.

"Die Vermesserin der Worte" hat mich tief berührt und hallt noch lange nach. Meine Empfehlung (nicht nur für Buchmenschen):
Unbedingt lesen!

Bewertung vom 19.03.2024
Miller, Beth

Wort für Wort zurück ins Leben


sehr gut

Pearl lebt mit ihrem Ehemann Denny in einem Cottage mit Privatwald in Frankreich, fernab der Familie. Als ihr Vater, der die Familie früh verlassen hat um mit einer anderen Frau zusammenzuleben und den Kontakt komplett abgebrochen hat, verstirbt, reist Pearl zu seiner Beerdigung, wo sie seine Tagebücher erhält. Da diese in Steno geschrieben sind, macht Pearl sich an ihre Übersetzung und wird gezwungen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen ...

Die britische Autorin Beth Miller ist Doktorin der Psychologie und und legt mit "Wort für Wort zurück ins Leben" einen Familienroman vor, der zwar fiktiv ist, in dem sie aber durchaus auch Vorkommnisse aus dem echten Leben einfließen lässt. Ihre Profession kommt zum AUsdruck, als ihre Figuren psychologische Hilfe erhalten und ihre Botschaft ist deutlich: Man muss miteinander reden!

Millers Schreibstil ist leicht und flüssig und das Buch lässt sich als Wohlfühlroman beschreiben. Die personale Erzählperspektive aus Pearls Sicht mit intensiv psychischen Prozessen wird unterbrochen von Kapiteln aus Carries Perspektive und Tagebucheinträgen von Pearls Vater, die teilweise etwas kryptisch anmuten. Im Laufe der Zeit fügen sich die einzelnen Puzzlestücke - und auch die Verbindung von Pearl und Carrie - immer mehr zusammen, bis sich dem Leser ein klares Bild der Geschehnisse in der Vergangenheit darstellt.

Die Geschichte ist bestimmt durch Enttäuschungen und Verletzungen, Verlassen-Werden, Krankheit, Tod, Traumata und könnte für einige Schicksalsschläge durchaus eine Triggerwarnung gebrauchen, aber letztlich versöhnen Freundschaften, Liebe, Mut und Hoffnung.

Die Figuren sind authentisch und ihre Probleme und Gedanken nachvollziehbar gezeichnet. Gerade die Mehrdimensionalität und ihre Entwicklungen empfand ich als absolut wohltuend. Gerade Pearl durchlebt eine wahre Heldenreise; sie muss Probleme bewältigen, innere und äußere Schlachten schlagen, auf unerwartete Wendungen reagieren. Und auch, wenn sie vieles dazulernt und sich mit ihrer Vergangenheit und ihrem Vater post mortem aussöhnt, ist das Ende nicht uneingeschränkt ein Happy-End - wahrscheinlich kam da dann noch einmal der psychologische Ansatz zu Tage.

Mich hat der Roman gut unterhalten und die Figuren und ihre Entwicklungen klingen noch lange nach.

Bewertung vom 18.03.2024
Wessely, Christina

Liebesmühe


sehr gut

Sie hat ein Kind geboren, doch anstatt vor Mutterliebe zu zerfließen und voller Glück ihre neue Rolle anzunehmen, fällt sie in eine postpartale Depression und fühlt sie sich verloren, radikal fremdbestimmt und abgeschnitten von der Welt und ihrem alten Leben. Die emanzipierte Frau und Wissenschaftlerin verschwindet zugunsten überholter Vorstellungen von Mutterschaft und sucht den Fehler immer nur bei sich selbst.

Christina Wessely ist Historikerin, Essayistin und Professorin für Kulturgeschichte des Wissens und widmet sich in "Liebesmühe" den Aporien zeitgenössischer Mutterschaft. Dabei erzählt sie schonungslos und ehrlich von den Problemen, dem Leiden, den zermürbenden Gedanken sowie der Differenz zwischen dem, was sein sollte und der Realität und bringt dem Leser / der Leserin die Erkrankung der postpartalen Depression näher.

In "Liebesmühe" hat die Autorin auch eigene Erfahrungen verarbeitet, dennoch schreibt sie nicht in der Ich-Form, sondern in der 3. Person. Es gibt überhaupt keine Namen, sondern wird nur von "ihr" gesprochen, dem "Vater des Kindes", "der Freundin". Dieser Erzählstil schafft eine gewisse Distanz zu den Figuren und schafft gleichzeitig eine Verallgemeinerung.
Insgesamt ist der Stil sehr sachlich, knapp und reflektiert und liest sich - auch durch die wissenschaftlichen Bezüge wie der Geschichte der Mutterschaft im allgemeinen - teilweise wie ein Sachbuch. Trotzdem empfand ich die Lektüre als ungemein fesselnd. hochemotional und zum Nachdenken anregend. Viele Abschnitte wollte ich am liebsten kopieren und weitergeben, um die zahlreichen Widersprüche im modernen Muttersein aufzudecken.

Das offenbare Zerbrechen an der veränderten Situation bis hin zu Gedanken an (erweiterten) Suizid sind teilweise nur schwer zu ertragen; immerhin bietet die Überwindung der Depression ein versöhnliches Happy-End.

Die wichtigste Aussage dieses Essays liegt darin, dass die sozialen Erwartungen, auf die eine Mutter überall trifft, eben nicht naturgegeben sind und von Müttern erduldet werden müssen, sondern dass Hilfe und Lösungen möglich sind.

Wessely hat ein ganz wichtiges Buch geschrieben, dass ich gerne jedem, egal ob Mann oder Frau, ans Herz legen möchte, Mutterschaft geht uns letztlich ALLE an!

Bewertung vom 17.03.2024
Stern, Anne

Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Dresden 1849. Luise hat sich arrangiert in ihrer lieblosen Ehe mit dem angesehenen Komponisten Adam Jakobi; Freude bereitet ihr nur die angenommene Tochter Annette. Eine zufällige Begegnung mit ihrer einst großen Liebe, dem inzwischen als festangestellten Kulissenmaler tätigen Christian, zwingt sie zu Entscheidungen.... Währenddessen bahnt sich die Dresdner Mairevolution an, bei der auch viele Mitglieder der Semper-Oper zum Kampf bereit sind. Und auch die Frauenbewegung nimmt immer mehr Fahrt auf ....

Die Bestseller-Autorin Anne Stern legt mit "Das Opernhaus: Rot das Feuer" nun den zweiten Band ihres Dresden Epos' rund um die Dresdner Oper vor, der fast nahtlos an den ersten Band anknüpft und in dem nicht nur das Schicksal der berühmten Semper-Oper, sondern auch das Los der schon lieb gewonnenen Figuren rund um das Opernhaus und der Familie Spielmann im Mittelpunkt stehen.

Die Historikerin hat wieder hervorragend recherchiert und führt ihre Leser abermals in das 19. Jahrhundert; es gelingt ihr meisterhaft, ein Bild der damaligen Gesellschaft, der sozialen Verhältnisse und vor allem der Rolle der Frau zu zeichnen. die zu dieser Zeit den Männer absolut untergeordnet war und sich den Wünschen ihres Ehemannes zu fügen hatte. Im Mittelpunkt steht wieder Luise, die zwar inzwischen in Soireen auftreten darf, jedoch nicht komponieren, die gefangen ist in einer lieblosen Ehe und sich sogar von ihrem Ehemann gängeln, schlagen und vergewaltigen lassen muss ohne sich wehren zu dürfen, sowie ihre jüngere Schwester Barbara, die sich mehr und mehr in der Frauenbewegung engagiert und deren Rädelsführerinnen kennenlernt. Und so erlebt der Leser hautnah die Deutsche Geschichte und nimmt Anteil an den Geschicken und dem Geschehen.

Neben den fiktiven Figuren, die hervorragend gezeichnet sind, finden sich auch reale Personen in der Handlung wieder wie der Kapellmeister der Dresdner Oper, Richard Wagner, und ihr Erbauer, Gottfried Semper, die ebenfalls in der Mairevolution mitmischten, sowie Louise Otto-Peters die den Allgemeinen Deutschen Frauenverein gründete oder auch Friedrich-Wilhelm IV., der durch die Ablehnung der Kaiserkrone die Revolution auslöste. Besser kann Geschichte nicht veranschaulicht werden!

Gleichwohl Luise und Christian den Mittelpunkt der Handlung bilden, handelt es sich um keine kitschige Liebesgeschichte; verdeutlicht werden an ihnen und ihren Freunden und Verwandten aber die Sitten und Einstellungen sowie die Gedanken, Hoffnungen und Träume der Menschen zu dieser Zeit.

Anne Stern erzählt ihren Roman bildgewaltig in schöner Schreibweise; auch baute sich eine gewisse Spannung auf.
Und auch, wenn dieser Teil einen gewissen Abschluss findet mit der Niederschlagung des Aufstandes und einer neuen Wendung im Hause Jakobi, kann ich die Fortführung der Geschichte und das weitere Schicksal der vertrauten Figuren kaum erwarten.

Ein Plan Dresdens um 1849, zeitgenössische Briefe und ein ausführliches Nachwort der Autorin runden dieses Buch ab.


Die Liebe der Autorin zur Musik, ihre professionelle Recherche der Deutschen Geschichte und ihre Blickpunkt auf die Frauenrechte machen ihr Werk zu etwas Besonderem, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann.

Bewertung vom 17.03.2024
Kästner & Kästner

Tatort Hafen - Tod an den Landungsbrücken / Wasserschutzpolizei Hamburg Bd.1


ausgezeichnet

Der Barkassenkapitän Dominic Lutteroth wird tot auf seinem an den Landungsbrücken liegenden Ausflugsdampfer aufgefunden. Das mediale Interesse ist groß und die erfahrene Hauptkommissarin Jonna Jacobi wird mit den Ermittlungen betraut; unterstützt wird sie dabei von dem Wasserschutzpolizisten Tom Bendixen, der "seinen" Hafen kennt wie kein zweiter. Mit im Boot ist auch die Psychologin Charlotte Severin vom Opferschutz, die die Witwe unterstützen soll, jedoch auch eigene Probleme mit dem plötzlich wieder aufgetauchten gewalttätigen Vater ihrer Tochter hat ....

Hinter "Kästner & Kästner" verbergen sich die Eheleute Angélique und Andreas Kästner; Angélique eine promovierte Psychologin und erfahrene Autorin zahlreicher Bücher, Andreas ehemaliger Hauptkommissar der Hamburger Wasserschutzpolizei. Ihre Erfahrungen und Erlebnisse sind in dem fast wie eine True Crime Story anmutenden Kriminalroman "Tod an den Landungsbrücken" eingegangen und die Liebe der Autoren zum Microkosmos des Hamburger Hafens spricht aus jeder Zeile. Gerade die detaillierten Insiderkenntnisse machen dieses Buch zu etwas ganz besonderem und heben es angenehm von der Masse der zahlreichen Regionalkrimis ab.

Beginnend mit dem Mord am klassischen Barkassenkapitän spannt sich ein gefälliger Spannungsbogen über das gesamte Buch, um schließlich nach einem actionreichen Showdown eine logische und nachvollziehbare Auflösung zu finden. Fleißige Polizeiarbeit, zahlreiche Wendungen, frustrierende Sackgassen und immer neue Erkenntnisse lassen den Leser miträtseln, doch lange Zeit hatte ich überhaupt keine Idee, wie sich die losen Enden sinnvoll verbinden lassen sollten, so dass die Spannung stetig wuchs.

Der angenehme Schreibstil machte das Lesen zu einem Vergnügen, das obendrein noch sehr lehrreich war, denn es gab viel über die Arbeit der Wasserschutzpolizei zu erfahren und Fachausdrücke (z. B. "ausklarieren" als das Erledigen von Formalitäten beim Auslaufen aus einem Hafen) oder sprachliche Besonderheiten (Polizisten als "Schmiermichel" ) zu entdecken, die selbstverständlich erklärt wurden. Somit fühlte ich mich beim Lesen nicht nur aufgrund der genauen, mit viel Kenntnis und Liebe vorgetragenen Beschreibungen der Geschehnisse, sondern auch der Sprache, voll im Hafen zuhause.

Die Hauptfiguren Jonna, Tom und Charlotte werden aufs Genaueste geschrieben; sie alle waren mir sympathisch und wirkten in ihrer Arbeit, aber auch ihren privaten und beruflichen Problemen sehr authentisch, so dass ich gerne mit ihnen mitfieberte. Aber auch die Ausarbeitung der Nebenfiguren - allen voran der außergewöhnliche, tolle Kollege Toms, genannt Quetsche, oder die widerwärtige Chefin und Gegenspielerin Jonnas, ist überaus gelungen und ich hatte während des Lesens ein bildreiches Kopfkino.

Abgerundet wird der Krimi durch zwei Karten vorne und hinten im Buch, so dass sich die Wege der Handelnden gut nachverfolgen lassen.

Die Entwicklung der Polizisten ist - im Gegensatz zu dem hier geschilderten Fall - nicht abgeschlossen und verspricht noch einiges an Dramen, so dass ich den zweiten Band dieser Dilogie, der für Dezember 2024 angekündigt ist, sehnlichst erwarte.

"Tod an den Landungsbrücken" sticht aus dem Gros der (regionalen) Kriminalromane heraus - ein Muss für jeden Hamburg-Fan und allen Lesern, die sich über die Schilderung nicht alltäglicher Aufgaben der Polizei wie denen der WSP, freuen, wärmstens zu empfehlen.

Bewertung vom 10.03.2024
Benedict, Marie

Das verborgene Genie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.5


ausgezeichnet

Rosalind Franklin (1920-1958), Engländerin aus wohlhabendem, angesehenem jüdischen Haus, wollte nicht in die Fußstapfen ihrer Familie treten und Charity-Arbeit leisten, sondern ihr Leben der Wissenschaft widmen. Als Spezialistin für Röntgenstrukturanalyse geht die promovierte Wissenschaftlerin gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Vaters zunächst als Forscherin nach Paris, kehrt dann aber zurück nach London ans King's College, wo sie unter unklaren Aufgabenverteilungen Röntgenbeugungsdiagramme zur Erforschung der DNA anfertigt und die Doppelhelixstruktur derselben erkennt. Doch sie muss gegen den permanenten Widerstand der anderen Forscher ankämpfen, gegen Ausgrenzung, Sexismus, mangelnde Anerkennung und schließlich Sabotage und Diebstahl - und so erhalten schließlich lediglich die Forscher James Watson und Francis Crick die wissenschaftliche Anerkennung und den Nobelpreis für das Modell der Doppelhelixstruktur, die Franklin entdeckt hatte.

Marie Benedict studierte zunächst Geschichte und Kunstgeschichte, bevor sie auch ein Rechtsstudium erfolgreich abschloss. Seit 2016 verfolgt die US-amerikanische Benedict ein Projekt, in welchem sie in historischen Biografien die besonderen Leistungen von Frauen thematisiert und diesen so posthum Gerechtigkeit zukommen lässt. Mit der Romanbiografie "Das verborgene Genie", dem fünften Band aus ihrer Reihe "Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte" widmet sie sich der Forscherin Rosalind Franklin, die durch ihre Forschungen zur Doppelhelixstruktur unserer DNA entscheidend die Weltgeschichte mit geprägt hat, der jedoch nicht die ihr zustehende Anerkennung zuteil wurde, sondern ihr Name in Vergessenheit geriet und stattdessen nur die Männer geehrt wurden.

Marie Benedict hat auch für diesen Band wieder ausgezeichnet recherchiert und orientiert sich bei der Schilderung von Franklins Geschichte eng an den Aufzeichnungen von Benedicts Freundin Anne Sayre.

Der Schreibstil ist überaus flüssig und ansprechend, so dass sich die Seiten quasi von selbst umblätterten; und der Wettlauf in der Erforschung der DNA liest sich fast wie ein Krimi. Die Romanbiografie ist in der Ich-Perspektive geschrieben, so dass sich Franklins Gedanken und Einstellungen sehr gut nachempfinden lassen. Da ihr Leben sich um ein hochkomplexes Wissenschafts-Thema rankte, finden sich natürlich auch etliche Fachbegriffe und Erläuterungen in diesem Buch, die meiner Meinung nach aber so gehalten sind, dass auch der Laie zumindest nachvollziehen kann, worum es geht. Und auch die Verwendung französischer Ausdrücke zu Franklins Pariser ZEit hemmen den Lesefluss nicht.
Leider findet diese Romanbiografie aufgrund der Verhaltensweisen der männlichen Wissenschafts-Welt, aber auch durch Franklins frühen Tod aufgrund ihres sorglosen Umgangs mit der Röntgenstrahlung ein trauriges Ende.

Da Franklin ihr Leben voll und ganz ihren Forschungen widmete, finden sich auch nur begrenzte Schilderungen ihres Privatlebens. Doch ihre Leidenschaft und ihr Charakter sowie ihr wissenschaftliches Genie kommen voll und ganz zum Ausdruck. Eine bemerkenswerte Frau, die mit diesem Buch endlich die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient!

Ein Nachwort der Autorin rundet "Das verborgene Genie" ab, das mich begeistert hat und das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann!

Bewertung vom 15.02.2024
Jones, Dan

Essex Dogs


gut

Im Hundertjährigen Krieg (1337 bis 1453) kämpften (nicht nur) der englische König Edward III. (Haus Plantagenet) und der französischen König Philippe VI. (Haus Valois) um die Thronfolge in Frankreich.
Unter den 1346 in der Normandie landeten englischen Truppen befinden sich auch der kleine Pismire, der starke Scotsman, der Steinmetz Millstone, der abgedrehte und trunksüchtige Priester Father, der Bogenschütze Romford und ihr kampferprobter Anführer Loveday, die "Essex Dogs" genannt werden. Sie haben sich als Söldner verdingt und ziehen mit dem englischen Heer durch Nordfrankreich, kämpfen, morden, bekommen selbstmörderische Sonderaufträge, werden von Franzosen, Hunger, dem Wetter und anderen Unbilden geplagt bis zur entscheidenden Schlacht von Crécy ....

Dan Jones ist britischer Historiker, Journalist und Buchautor und hat sich auf die Geschichte des Mittelalters spezialisiert. In seinem neuen populärhistorischen Werk "Essex Dogs" hat er sich auf den frühen 100jährigen Krieg konzentriert; herausragend ist dabei seine genaue Recherche. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren stehen in diesem Werk jedoch nicht die Könige und Adligen im Mittelpunkt, sondern Jones erzählt von und aus der Sicht der einfachen Söldner, die entfernt von den strategischen Entscheidungen an vorderster Front stehen und das schmutzige Handwerk ausüben.

Jones' Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen; er legt Wert auf detailgetreue Schilderungen vieler - für uns moderne Menschen oft fremder - brutaler und blutiger Vorkommnisse, genauer Schlachtpläne und Hintergründe in den Kriegsführungen und schildert damit das Leben im Mittelalter absolut ungeschönt oder romantisch verklärt.

Das Buch ist in drei Teile mit den Titeln "Wasser", "Feuer" und Blut" unterteilt. Den einzelnen Kapiteln stehen kurze Auszüge aus historischen Berichten voran; diese nüchternen Informationen werden dann in der folgenden Passage mit Leben gefüllt, indem das Schicksal der Essex Dogs geschildert wird.

Gut gefallen hat mir die eher ungewöhnliche Perspektive, die Ereignisse aus der Sicht der Söldner zu erzählen. Diese Figuren sind mehrdimensional und anschaulich gezeichnet und ich konnte mir durchaus ein Bild von ihnen machen. Und trotzdem blieben sie mir irgendwie fern und ich konnte keine Beziehung zu ihnen aufbauen oder echte Sympathie empfinden. Stellenweise drängten sich mir weitergehende Fragen auf, die nicht beantwortet wurden.

Eine Karte von Südengland/Nordfrankreich mit der eingezeichneten Route des im Buch geschilderten Kriegszuges von Portsmouth bis nach Crécy sowie Anmerkungen des Autors zur Abgrenzung von Fiktion und Historie und Lektüreempfehlungen runden das Buch ab.

Trotz des interessanten Themas und der vielen durchaus spannenden Details konnte Dan Jones mich nicht wirklich packen und mitreißen. und es kam kaum Spannung bei mir auf, so dass das Buch meinen - zugegebenermaßen hohen - Erwartungen nicht gerecht wurde.