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bookloving
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Munich

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Insgesamt 52 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2024
Reise nach Laredo
Geiger, Arno

Reise nach Laredo


sehr gut

*Beeindruckender Roman*
Der berührende Roman "Reise nach Laredo" von dem mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichneten österreichischen Schriftstellers Arno Geiger entführt uns auf eine faszinierende literarische Reise, auf der wir an den letzten Lebenswochen des abgedankten Kaisers Karl V. im Jahr 1558 teilhaben.
Dieser tiefgründige Roman ist jedoch weit mehr als ein historischer Roman. Er kann als eine zeitlose Parabel gelesen werden, die existenzielle Fragen aufwirft und zu einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit universellen menschlichen Themen anregt wie Selbstfindung, Identität, Suche nach Sinn und dem wahren Wert des Lebens, Glauben, Sterblichkeit und Loslassen.
Geigers brillanter bildhafter und poetischer Sprachstil und seine atmosphärischen Beschreibungen lassen die Geschichte rasch lebendig werden.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der 58-jährige, einst einflussreiche Herrscher Karl, der sich nach seiner Abdankung ins spanische Kloster Yuste zurückgezogen hat. Vereinsamt und gezeichnet von Krankheit und Alter sieht er dort seinem Tod entgegen. Die Begegnung mit seinem illegitimen elfjährigen Sohn Geronimo wird zum Auftakt einer spontanen nächtlichen Odyssee, die das ungleiche Paar über abenteuerliche Umwege schließlich ans Meer nach Laredo führt.
Geiger gelingt in seinem Roman eine faszinierende Verschmelzung von historischen Fakten und Fiktion. Die Geschichte entfaltet sich auf zwei kunstvoll verwobenen Erzählebenen: Einerseits begleiten wir Karl durch seinen schleichenden Verfall und langsamen Sterbeprozess, wobei uns tiefe Einblicke in sein Seelenleben und seine inneren Kämpfe gewährt werden. Andererseits entführt uns der Autor auf eine phantastische Reise nach Laredo, auf der die Protagonisten mit ihren eigenen inneren Dämonen konfrontiert werden, und die sich vorwiegend in Karls fiebrigen Wahnvorstellungen abspielt. Durch die geschickte Integration surrealer Elemente verwischt Geiger die Grenze zwischen Wirklichkeit und Phantasie. So entsteht ein vielschichtiges Narrativ, das historische Genauigkeit mit literarischer Freiheit vereint und den Leser in seinen Bann zieht.
Die symbolische Spiegelung der historischen letzten Reise von Karl V. von Laredo quer durch Spanien nach Yuste verleiht die dem Roman eine interessante zusätzliche historische Relevanz.
Die einfühlsame Darstellung von Karls Sterbeprozess nicht nur als Ende seines Lebenswegs sondern auch als eine erhellende Reise ins eigene Ich und zur Selbsterkenntnis ist besonders eindrucksvoll gelungen und tief berührend.
Geiger entwirft ein facettenreiches Bild Karls V., das sowohl den einst mächtigen Monarchen als auch den gebrechlichen alten Menschen offenbart. Er zeigt einen Mann, der unter der Last seiner Herrschaft litt und nun, am Ende seines Lebens, mit Schwächen, Zweifeln und Ängsten ringt. Gleichzeitig eröffnet ihm die imaginäre Reise ungeahnte Momente der Leichtigkeit und Freiheit - ein bewegender Kontrast zu seinem bisherigen, von Pflicht und Verantwortung geprägten Dasein.
Geiger verzichtet bewusst auf einen historischen Anhang zu Kaiser Karl V. und seiner Epoche. Diese Entscheidung fordert den Leser zwar heraus, sich selbst um die geschichtliche Einordnung zu bemühen, unterstreicht aber gleichzeitig die zeitlose, allgemeingültige Botschaft des Romans, die über die bloße historische Nacherzählung hinausgeht. Indem der Autor den Protagonisten nicht explizit als Karl V. identifiziert, öffnet er Raum für eine tiefere Deutungsebene: In jedem Menschen steckt ein "zurückgetretener König" - eine Metapher für die Suche nach dem eigenen Ich jenseits gesellschaftlicher Rollen.
FAZIT
Ein feinsinniger und anspruchsvoller Roman, der durch seine psychologische Tiefe und sprachliche Brillanz besticht. Ein beeindruckendes und bereicherndes Leseerlebnis, das tief berührt und zum Nachdenken über die großen Fragen des Lebens anregt!

Bewertung vom 13.11.2024
Alte Eltern
Kitz, Volker

Alte Eltern


ausgezeichnet

*Einfühlsamer Essay über das Altern der Eltern*
„Alte Eltern - Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt " von dem deutschen Journalisten und Bestsellerautor Volker Kitz ist ein bewegender literarischer Essay, der sich einfühlsam mit dem Altern und der zunehmenden Hilfsbedürftigkeit der eigenen Eltern auseinandersetzt. Dieses universelle und oft schwierige Thema stellt alle Beteiligten vor ungeahnt große Herausforderungen.
Es handelt sich um eine äußerst aktuelle Thematik, die inzwischen sicher viele Menschen aus der „Babyboomer“-Generation beschäftigt, die sich mit einer ähnlichen Lebenssituation konfrontiert sehen oder sich bereits vorab darauf emotional vorbereiten möchten - nicht zuletzt auch, da es wohl kaum jemanden gibt, der nicht insgeheim fürchtet, im Alter einmal durch Krankheit und nachlassende Gedächtnisleistung betroffen und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
Schnell wird bei der Lektüre deutlich, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen reinen Ratgeber handelt, der uns mit Tipps und Tricks zur Seite stehen will.
Der Autor gewährt uns als unmittelbar Betroffener sehr offenherzig Einblicke in seine ganz persönliche Familiengeschichte. Sein Schreibstil ist sehr angenehm und abwechslungsreich zu lesen. Geschickt verwebt er seine eigenen Erfahrungen und tiefgründigen Einsichten mit allgemeineren Betrachtungen über Familienbeziehungen, Generationenkonflikte, Veränderungen, die das Altern mit sich bringt, und die emotionalen Auswirkungen des Alterungsprozesses.
Gekonnt bindet er in seine anschaulichen Schilderungen immer wieder auch humorvolle Anekdoten ein und liefert interessante Bezüge zu anderen literarischen Werken, die das Thema von verschiedensten Aspekten beleuchten. So schafft er mit eingestreuten Literaturverweisen weitergehende, intensive Denkanstöße, die beim Lesen unweigerlich zum Innehalten und Nachdenken anregen - über unsere Einstellung zum Altern, zu familiären Beziehungen im eigenen Leben, Verlusten und der eigenen Sterblichkeit aber auch den Bedürfnissen alter Menschen und dem allgemeinen Umgang mit ihnen in unserer Gesellschaft.
Eindringlich und äußerst empathisch reflektiert Kitz über die vielfältigen Herausforderungen und Veränderungen im eigenen Leben, die durch die zunehmende Demenz seines Vaters entstehen. Facettenreich widmet er sich den unterschiedlichen Aspekten des Alterns, den komplexen Dynamiken im Umgang miteinander sowie neuen Lebensumständen, denen es sich mit Eltern im Alter insbesondere mit möglicher Demenz-Erkrankung in den unterschiedlichen Stadien zu stellen gilt.
Die respektvolle, präzise Schilderung seiner Gedanken und vielschichtigen Emotionen angesichts des fortschreitenden Gedächtnisverlusts seines Vaters ist sehr berührend und fängt sehr authentisch die Achterbahnfahrt der emotionalen Zustände von Betroffenen ein. Problemlos kann man sich in die beschriebenen Situationen hineinversetzen und vielfältigen Herausforderungen nachvollziehen.
Sehr eindrücklich setzt sich Kitz auch mit dem unausweichlichen kognitiven Verfall, dem Bewahren von bedeutsamen gemeinsamen Erinnerungen und dramatischem Erinnerungsverlust sowie der daraus resultierenden emotionalen Bedeutung für die Betroffenen und ihre Angehörigen auseinander. Darüber hinaus führt er uns vor Augen, dass es nicht nur zum Verschieben von familiären Verantwortlichkeiten kommt, sondern dass auch schmerzhafte und emotional aufwühlende Prozesse einsetzen, die um Themen wie Verantwortlichkeit und Abschiednehmen kreisen.
Im Anhang des Buchs findet sich ein umfangreiches Literaturverzeichnis zu den im Text verwendeten Zitaten mit entsprechenden Kommentierungen des Autors - eine überaus interessante Zusammenstellung von Büchern zum weiterführenden Literaturstudium.
FAZIT
Für alle, die sich mit dem schwierigen Thema des Alterns auseinandersetzen möchten oder selbst pflegebedürftige Eltern haben, ein wichtiges Buch, das bewegend, tröstlich und lehrreich zugleich ist!
Eine empfehlenswerte und bereichernde Lektüre!