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Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 15.12.2024
Raabe, Melanie

Der längste Schlaf


ausgezeichnet

*Fesselnder Mystery-Thriller*
In ihrem neuen fesselnden Roman „Der längste Schlaf“ entführt uns die deutsche Autorin Melanie Raabe auf eine abenteuerliche und mitreißende Reise, die tief in den faszinierenden Themenkreis rund um Schlaf, Schlaflosigkeit, Geister der Vergangenheit und prophetische Träume eintaucht. Der Roman kombiniert geschickt Elemente aus dunkler Familiengeschichte, Psychothriller und Liebesgeschichte mit zahlreichen übersinnlichen Mystery-Elementen, sodass er sich mit seiner abwechslungsreichen und stimmigen Mischung nicht eindeutig einem einzigen Genre zuordnen lässt, sondern am ehesten im Bereich des „Magischen Realismus“ verortet werden kann.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Wissenschaftlerin und führende Schlafforscherin Mara Lux, die in London lebt und nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern kaum noch Verbindungen nach Deutschland hat. Seit langem hat Mara mit den Traumata ihrer Vergangenheit zu kämpfen; zudem leidet unter schwerer Insomnia, da ihre Träume auf mysteriöse Weise bisweilen real zu werden scheinen.
Mit ihrem ausdrucksstarken, eindringlichen Schreibstil gelingt es der Autorin hervorragend, uns allmählich in die rätselhafte Geschichte rund um die faszinierenden Protagonistin Mara hinein zu ziehen und eine mysteriöse, dichte Atmosphäre herauf zu beschwören. Gekonnt lässt sie interessante Aspekte der Schlafforschung und Traumdeutung in die spannende, vielschichtige Handlung einfließen. Gemeinsam mit Mara begeben wir uns in die deutsche Provinz, um die rätselhaften Hintergründe einer anonymen Erbschaft eines alten, verwunschenen Herrenhauses zu ergründen.
Von Beginn an hat mich besonders der eingestreute zweite Handlungsstrang in seinen Bann gezogen, der aus einer zunächst unbekannten Ich-Perspektive erzählt wird. Seine Bedeutung für die Haupthandlung erschließt sich erst im Verlauf der komplexen Geschichte und sorgt für eine besondere emotionale Tiefe. Die zahlreichen mysteriösen Geschehnisse und übernatürlichen Elemente tragen erheblich zur Spannung bei und verleihen dem Thriller eine besondere Note.
Melanie Raabe gelingt es hervorragend, ihre vielschichtigen Figuren lebendig werden zu lassen. Mit ihren speziellen Eigenarten wirken sie glaubwürdig und sehr authentisch. Insbesondere die geheimnisvolle Hauptfigur Mara ist eine facettenreiche Persönlichkeit, die es allmählich mit ihren unheilvollen Träumen und ihrer einzigartigen Gabe zu ergründen gilt. Anfangs erscheint sie als etwas unnahbar und kontrolliert, geplagt von Ängsten, Schuldgefühlen und Unsicherheiten, den schmerzvollen Dämonen aus der Vergangenheit und ihren beklemmenden Träumen möchte sie sich nicht stellen. Doch je mehr man schließlich über ihr Leben und die mysteriösen Hintergründe erfährt, desto faszinierender wird ihr starker Charakter. Schließlich fiebert man der Auflösung des dunklen Geheimnisses rund um das Herrenhaus Limmerfeldt und den Hintergründen der Erbschaft regelrecht entgegen.
Gekonnt beleuchtet Raabe in ihrem nachdenklich stimmenden Roman auch den Umgang mit Träumen, den Verlust geliebter Menschen und den Geistern der Vergangenheit aus unterschiedlichen Perspektiven.
Die Autorin versteht es, uns mit einer dichten, oft düster-mysteriösen Atmosphäre zu fesseln und mit einigen überraschenden Verwicklungen bis zum stimmigen Ende zu begeistern.
FAZIT
Ein faszinierender, fesselnder Roman - mit einer emotionalen, vielschichtigen Geschichte, interessanten Charakteren und einem tollen Mystery-Flair!

Bewertung vom 15.12.2024
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


sehr gut

*Tiefgründiger Roman*
„Juli, August, September" von der deutschen Schriftstellerin Olga Grjasnowa ist ein eindrucksvoller und tiefgründiger Roman. Aus aus unterschiedlichen Blickwinkeln erforscht sie komplexe Themen wie die Suche nach der eigenen Identität, den Einfluss der Familiengeschichte sowie die Bedeutung des kulturellen Erbes, Glaubens und der jüdischen Wurzeln.
Der Roman bietet zudem scharfsinnige und humorvolle Einblicke in die drängenden, aktuellen Probleme unserer modernen, multikulturellen Gesellschaft, die sich mit Fragen der Sinnsuche, Zugehörigkeit und dem Stellenwert der Familie auseinander setzt. Der Autorin ist eine ausgewogene Mischung aus tiefgründigen Themen und unterhaltsamen Episoden gelungen. Die eher melancholische, bedrückende Grundstimmung wird gekonnt aufgelockert mit der richtigen Portion Ironie, Zynismus und Leichtigkeit. Zudem hat sie geschickt sehr lehrreiche Hintergrundinformationen zur jüdischen Kultur und Geschichte und interessante aktuelle weltpolitische Bezüge in die Handlung eingeflochten.
Die Geschichte dreht sich um Lou und Sergej, einem erfolgreichen Paar mit jüdischen Wurzeln, das mit ihrer kleinen Tochter Rosa in Berlin lebt. Trotz ihres beruflichen Erfolgs empfinden sie eine innere Zerrissenheit und Leere, die durch ihre schwache religiöse Bindung und komplizierten Familiengeschichten, die von der traumatischen Vergangenheit und dem Holocaust geprägt sind, verstärkt werden. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, die jeweils einen Monat - Juli, August und September - umfassen und an unterschiedlichen Schauplätzen wie Berlin, Gran Canaria und Tel Aviv spielen. Die sich über drei Monate erstreckende Geschichte bietet aufschlussreiche Einblicke in die verschiedenen Phasen von Lous herausfordernder Suche nach ihrer eigenen Identität, der intensiven Auseinandersetzung mit ihrem Glauben, ihrer Zugehörigkeit und ihrer Familiengeschichte.
Mit der Protagonistin Lou hat die Autorin eine vielschichtige Figur geschaffen, die mit innerer Zerrissenheit, Entwurzelung und Zweifeln an ihrer kriselnden Ehe mit Sergej zu kämpfen hat. Die Leere in ihrem Leben versucht sie durch Alkohol zu betäuben, bis sie beginnt ihre eigene Rolle zu ergründen. Obwohl die Protagonistin anfangs sehr kühl, distanziert und wenig sympathisch wirkt, konnte ich mich im Laufe der Geschichte immer besser in sie hineinversetzen. Hartnäckig beginnt sie die überlieferten Familiengeschichten in unterschiedlichen, wenig stimmigen Versionen zu hinterfragen, die im Laufe der Jahre ihre ganz eigene Wahrheit und labile Dynamik gewonnen haben und sich auf ihr aller Leben auswirkten, um schließlich wichtige Antworten zur Vergangenheit ihrer russischstämmigen Vorfahren zu erhalten und verborgene Wahrheiten ans Licht zu bringen. Faszinierend ist ihre Suche nach ihren eigenen Wurzeln, ihrer Identität und Zugehörigkeit, die Lou nicht nur in die Vergangenheit führt, sondern ihr schließlich auch neue persönliche Perspektiven für ihre Zukunft aufzeigt.
Detailliert und nuancenreich wird die komplexe Beziehung zu ihrem jüdischen Familienclan aus Israel eingefangen, der trotz all der subtilen Spannungen, wechselseitigen Animositäten und ungelösten Konflikte untrennbar miteinander verbunden ist. Die Vielzahl der unterschiedlichen Charaktere ist sehr plastisch und mit ihren Eigenheiten glaubhaft ausgearbeitet.
Besonders beeindruckend ist, wie Lou am Ende die vielen Puzzlestückchen, die ihre Persönlichkeit ausmachen, zusammensetzt, mit sich ins Reine kommt und sich neu definiert. Der offene, aber höchst stimmige Ausklang passt zu dieser faszinierenden, vielschichtigen Geschichte, die zum Nachdenken anregt und viel Raum für eigene Deutungen lässt.

FAZIT
Ein vielschichtiger und tiefgründiger Roman, der mit beeindruckender sprachlicher Präzision die Suche nach Identität, Zugehörigkeit und familiären Wurzeln erforscht.

Bewertung vom 11.12.2024
Cambridge, Colleen

Der Krimidinnermord / Phyllida Bright Bd.3


sehr gut

*Ein neues fesselndes Cosy Crime-Abenteuer*
Mit "Der Krimidinnermord" beweist die britische Autorin Colleen Cambridge erneut ihr Talent für fesselnde Cosy-Crime-Geschichten. Als dritter Band ihrer Reihe um Phyllida Bright, die findige Haushälterin der berühmten Krimiautorin Agatha Christie und leidenschaftliche Hobbydetektivin, knüpft er nahtlos an die vorangegangenen Krimi-Erfolge an. Colleen Cambridge erweist sich auch mit ihrem neuen verzwickten Fall als würdige Nachfolgerin der Queen of crime und muss den Vergleich mit den großen Namen des Whodunit-Genres im klassischen britischen Stil nicht scheuen. Der lebendige Schreibstil, die netten humorvollen Episoden und amüsanten Wortgefechte sorgen für ein unterhaltsames und abwechslungsreiches Lesevergnügen. Nicht fehlen dürfen natürlich die dezent eingestreuten Anspielungen aus bekannten Christie-Klassikern, die ein besonderer Leckerbissen für Fans der Krimi-Königin sind.
So hat sich die Autorin für ihren neuesten Krimi wieder eine brillante Ausgangssituation und die perfekte Kulisse für ein verzwicktes Verbrechen ausgedacht, indem sie sich von dem bekannten Miss Marple-Krimi "Ein Mord wird angekündigt" hat inspirieren lassen. Während einer als Detektivspiel inszenierten Gesellschaftsveranstaltung auf dem benachbarten Landhaus Beecham House wird ausgerechnet der Gastgeber vor den Augen der geladenen Gäste ermordet aufgefunden. Mittendrin natürlich Phyllida, die ganz in ihrem Element sofort mit den Ermittlungen beginnt.
Cambridges lebendiger Schreibstil trägt wesentlich zum Lesevergnügen bei. Der Autorin gelingt es mit den detaillierten Beschreibungen der Anwesen und ihrer Umgebung hervorragend, die stimmungsvolle Atmosphäre des englischen Landlebens der 1930er Jahre einzufangen, so dass man mühelos in diese vergangene Epoche eintauchen kann. Sehr faszinierend sind ebenfalls die aufschlussreichen Einblicke hinter die Kulissen insbesondere in das elitäre Leben der britischen Oberschicht sowie den Lebensalltag der Dienerschaft Einblicke in den Alltag der britischen und das Leben der Dienerschaft, die uns ein authentisches Bild der damaligen Gesellschaft vermitteln.
Ein besonderes Highlight des Romans sind die liebevoll gezeichneten, vielschichtigen Figuren. Allen voran die clevere Protagonistin Phyllida Bright, die sich neben ihren vielfältigen Aufgaben als Haushälterin im stattlichen englischen Landsitz Mallowan Hall eine besondere Leidenschaft für Kriminalfälle hat. Als langjährige Vertraute Agatha Christies und glühende Verehrerin von Hercule Poirot bringt sie ideale Voraussetzungen für eine Hobbydetektivin mit. Ihre Hartnäckigkeit und ihr scharfer Verstand machen sie zu einer faszinierenden Hauptfigur, auch wenn ihre Neugier sie gelegentlich in gefährliche Situationen bringt. Die vielen Nebenfiguren sind ebenso sorgfältig ausgearbeitet und werden gekonnt zum Leben erweckt. Von dem steifen griesgrämigen Butler Mr. Dobble über die jungen verliebten Dienstmädchen bis hin zum unkonventionellen, attraktiven Chauffeur Joshua Bradford mit seiner quirligen Hündin Myrtle- jeder Charakter hat seine eigenen Marotten und Eigenheiten, die ihn unverwechselbar machen.
Der kniffelige Mordfall selbst ist zwar mit vielen Tatverdächtigen, geschickt gestreuten falschen Fährten und einigen unerwarteten Wendungen raffiniert konstruiert, hat mich aber dennoch wegen der etwas zu vorhersehbaren Auflösung enttäuscht. Gemeinsam mit Phyllida, die aufgrund des schlechten Wetters zunächst ganz ohne Inspektor Cork von Scotland Yard die Befragungen vor Ort durchführen kann, können wir Hinweise sammeln und Theorien aufstellen. Der schon recht früh aufkommende Verdacht in Bezug auf den Täter bestätigt sich leider, was insgesamt die Spannung für meinen Geschmack minderte.
Die Handlung gipfelt schließlich in einem rasanten und spannenden Showdown, bei dem es Phyllida gelingt, eine höchst gefährliche Situation souverän zu meistern und schließlich den Fall ganz alleine aufzuklären. Mutig, gewitzt, zu allem entschlossen und (fast) stets Herrin der Lage – das ist unsere Phyllida wie wir sie lieben!
Insbesondere die vielversprechende Beziehungsdynamik und die witzigen Wortgefechte zwischen Phyllida und Bradford konnten mich richtig begeistern und sorgen für viele humorvolle Momente – so langsam kommt hier doch etwas in Gang und die süsse Myrtle trägt wesentlich dazu bei, das Eis zu brechen.
Ich bin schon sehr neugierig auf den nächsten Teil der Reihe, der diesmal in London spielen soll, und hoffe sehr darauf, im 4. Band mehr über Phyllidas mysteriöse Vergangenheit erfahren zu können.
FAZIT
Eine gelungene Fortsetzung trotz des etwas schwächeren Kriminalfalls.
Der Krimi überzeugt mit charmanten Charakteren, typisch britischer, stimmungsvoller Atmosphäre und tollen humorvollen Episoden und sorgt wieder beste Unterhaltung für Fans von Cosy Crime und klassischen Whodunits.
Die gelungene Verbindung von historischem Setting und zeitloser Krimihandlung macht Lust auf weitere Abenteuer mit der cleveren Phyllida Bright.

Bewertung vom 03.12.2024
Jarck, Volker

Und später für immer


ausgezeichnet

*Bewegender Roman*
In seinem beeindruckenden historischen Roman „Und später für immer“ erzählt der deutsche Autor Volker Jarck die bewegende Geschichte von Johann, einem 24jährigen Wehrmachtssoldaten der im Frühjahr 1945, kurz vor der deutschen Kapitulation, desertiert. Er findet Zuflucht bei seinen Verwandten und versteckt sich in einer Scheune in permanenter Angst vor den Feldjägern.
Im kurzen Nachwort des Romans erfahren wir, dass sich der Autor von seiner persönlichen Familiengeschichte hat inspirieren lassen. Als Ausgangspunkt für seine aufwühlende und zum Teil auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte diente ein zum Tagebuch umfunktionierter Taschenkalender, der Aufzeichnungen seines Großvaters enthielt. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs desertierte dieser von seiner Einheit vom Fliegerhorst Stade.
Jarck hat aus den historischen Ereignissen und persönlichen Schicksal seines Großvaters eine fesselnde und tiefgründige Geschichte geschaffen, die mich mit intensiven Einblicken in die Schrecken des Krieges und die emotionale und psychische Verfassung seines Protagonisten Johann bewegt und sehr nachdenklich zurückgelassen hat. Eindrucksvoll und mit einer gewissen Leichtigkeit gelingt es ihm, ernste Themen wie Liebe, Loyalität, Verzweiflung, Selbsterhaltungstrieb, Menschlichkeit und moralische Konflikte in jenen harten Kriegszeiten zu beleuchten. Mit seinen einfühlsamen Schilderungen versteht er es, den damaligen Zeitgeist aufleben zu lassen und die desolate, düstere Atmosphäre der Kriegsendphase einzufangen, in die er aber immer wieder auch ungebrochenen Überlebenswillen sowie Momente der Hoffnung und zwischenmenschlichen Wärme aufblitzen lässt.
Während die eigentliche Haupthandlung im Frühling 1945 rund um den Deserteur Johann nur eine Zeitspanne von zwei Monaten umfasst, erhalten wir durch geschickt eingestreute Rückblenden in die Vorkriegszeit und Kriegsjahre nicht nur aufschlussreiche persönliche Einblicke in seinen Lebensalltag und den seiner Familie sowie seine große Liebe Emmy, sondern auch historische Hintergrundinformationen zu den politischen Entwicklungen und Kriegsverlauf sowie die grausamen Realitäten des Kriegs.
Anschaulich und glaubwürdig stellt er die damalige angespannte Atmosphäre und die verzweifelte Lage vieler Soldaten angesichts der Sinnlosigkeit und der Schrecken der nicht enden wollenden Kämpfe in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs dar, als für alle das Ende des Krieges bereits absehbar ist und sie nur noch darauf hoffen konnten, halbwegs unversehrt und mit dem Leben davonzukommen. Gekonnt beschwört Jarck in verschiedenen Episoden die allgegenwärtige Angst und Bedrohung durch Entdeckung und Verrat herauf und erzeugt eine überaus beklemmende Atmosphäre. Sehr einfühlsam werden inneren Konflikte und Ängste der Menschen inmitten des Chaos der letzten Kriegstage und der harten Kriegsrealität aufgezeigt, die sich doch nur nach nach Frieden und Normalität sehnen auf auf einen bessere Zukunft hoffen können.
Mit Johann hat der Autor einen berührenden und vielschichtigen Charakter geschaffen, der stellvertretend für viele Soldaten jener Zeit steht. Jarck versteht es gut, die emotionalen Ausnahmezustände seines Protagonisten sehr anschaulich und eindringlich zu vermitteln, so dass man sich gut in seine Verletzlichkeiten und Unsicherheiten angesichts seiner verzweifelte Lage im permanenten Überlebenskampf hineinversetzen und mitfühlen kann. Wir erhalten einen intensiven und nuanierten Einblick in die emotional aufgewühlte Verfassung und komplexe Gedankenwelt seines Protagonisten. Beklemmend ist es über Johanns Gedanken, Erinnerungen und Einschätzungen der Erlebnisse zu lesen, seine Verzweiflung, Leere und Einsamkeit aber auch der Ängste vor dem Vergessenwerden werden sehr greifbar. Gerade die Briefe von Emmy sind von unschätzbarem Wert für ihn, spenden so viel Trost, Kraft und Zuversicht und lassen ihn das ungewisse Schicksal besser ertragen.
Sehr glaubwürdig veranschaulicht Jarck Johanns innere Konflikte insbesondere im Umgang mit dem jungen Nachbarsmädchen Frieda und schildert nachvollziehbar sein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen ständigem Misstrauen, Angst vor Entdeckung, Hoffnung und Verzweiflung. Durch die Gespräche über ihre Sehnsüchte nach Normalität und Liebe aber auch die brutale Realität des Krieges entwickeln sich zarte freundschaftliche Bande zwischen ihnen, die beiden Halt geben aber auch ein unberechenbares Risiko für Johann bedeutet.
Jarck ist es insgesamt hervorragend gelungen, uns stellvertretend die traurigen Geschichten und Schicksale so vieler Familien, ihre zerstörten Hoffnungen und herben Verluste durch die fatalen Auswirkungen des entsetzlichen Kriegs vor Augen zu führen.

FAZIT
Ein eindringliches und bewegendes Zeitzeugnis über die emotionalen und moralischen Konflikte eines Wehrmachtssoldaten in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, das Hoffnung und Menschlichkeit inmitten des Schreckens des Krieges thematisiert. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 03.12.2024
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


ausgezeichnet

*Ein berührendes Porträt modernen Zusammenlebens*
In ihrem neuen Roman "Wohnverwandtschaften" erzählt die deutsche Autorin Isabel Bogdans die bewegende und zugleich unterhaltsame Geschichte über vier Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, die in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft in Hamburg zusammenleben. Eher als temporäre Lösung oder durch Zufall haben sie zusammengefunden und wachsen dennoch im Laufe der Zeit zu einer Art Ersatzfamilie zusammen.
Geschickt greift die Autorin aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen wie demografischer Wandel, Auflösung der traditionellen Familienstrukturen, alternative Lebensmodelle sowie die Suche nach Zugehörigkeit in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft auf. Bogdan versteht es, trotz der teilweise ernsten Thematik ihre nachdenklich stimmende Geschichte mit viel Leichtigkeit und Warmherzigkeit zu erzählen und uns mit amüsanten Episoden zu unterhalten.
Obwohl die vier Hauptfiguren Jörg, Anke, Constanze und Murat mit verschiedenen Problemen und individuellen Problemen zu kämpfen haben, lernen sie in ihrer unkonventionellen Wahl-Familie gemeinsam Herausforderungen zu bewältigen, füreinander einzustehen und Verantwortung zu übernehmen. Weit mehr als eine reine Zweckgemeinschaft wird diese WG zu einem Ort des Trostes und der Geborgenheit, in dem jeder Halt, Zugehörigkeit und Beistand findet.
Mit einer gelungenen Mischung aus scharfer Beobachtungsgabe, Einfühlungsvermögen und feinem Humor zeichnet sie ein authentisches und lebensnahes Bild dieser Wohngemeinschaft mit Menschen wie du und ich und unterschiedlichen Hintergründen. Sie versteht es zudem hervorragend, die Komplexität moderner Beziehungen und Dynamiken menschlicher Beziehungen in all ihren Facetten einzufangen.
Die Geschichte entfaltet sich wie ein Theaterstück, mit interessanten Dialogen aus wechselnden Perspektiven, wodurch wir sehr aufschlussreiche und unmittelbare Einblicke in den Alltag, die Gedanken und Emotionen der Protagonisten erhalten und die Charaktere rasch ins Herz schließen können. Durch den geschickten Wechsel zwischen den Perspektiven der vier Hauptfiguren entsteht ein vielschichtiges Gesamtbild der Gemeinschaft. In den Kapiteln, die abwechselnd mal persönliche Erlebnisse und mal gemeinsame WG-Momente zeigen, tauchen wir allmählich in den faszinierenden Rhythmus des Zusammenlebens ein und haben Anteil der lebendigen Dynamik ihrer Gemeinschaft.
Ob nun der knapp 70-jährige Vermieter Jörg, der eine große Reise plant, die frisch getrennte Zahnärztin Constanze als Neuankömmling, die Schauspielerin Anke mittleren Alters, auf der verzweifelten Suche nach einem neuen Engagement, und der lebenslustige Hobbygärtner und Koch Murat, dessen positive Energie auf alle WG-Bewohner abfärbt – sie alle werden mit ihren Eigenheiten und Problemen sehr facettenreich und lebensnah gezeichnet.
Glaubwürdig und einfühlsam stellt Bogdan dar, wie jeder der Charaktere eine persönlichen Entwicklung und einen Prozess der Selbstfindung durchläuft. Sehr überzeugend ist auch der realistische und stimmige Ausklang dieses bewegenden Romans, der zum Nachdenken über Gemeinschaft, moderne Lebensformen, Fürsorge sowie den Umgang mit Alter und Krankheit anregt.
ZUM HÖRBUCH
Das ungekürzte Hörbuch wird von einem prominenten Sprecherensemble Heikko Deutschmann, Katharina Wackernagel, Serkan Kaya und Lavinia Wilson gelesen, unterstützt von Julian Horeyseck, Gabriele Blum, Oliver Kube und Marian Funk für die kleinen Nebenrollen. Die verschiedenen Rollen wurden für die Vertonung sehr gut besetzt und hervorragend eingesprochen. Die unterschiedlichen Stimmen der Sprecher sorgen für eine klare Abgrenzung der Figuren voneinander und bringen eine erfrischende Lebendigkeit in die Handlung. Die verschiedenen Persönlichkeiten der Charaktere werden durch die abwechslungsreiche, nuancierte Interpretation der talentierten Sprecher äußerst lebendig und authentisch eingefangen, so dass man sich rasch mitten in das aufregende Geschehen der Wohngemeinschaft hineinversetzen kann.
Eine überaus gelungene Vertonung mit hervorragenden Sprecherleistungen sorgt für ein unvergessliches Hörerlebnis!
FAZIT
Ein tiefgründiger und unterhaltsamer Roman, der die komplexen Dynamiken moderner Beziehungen in einer unkonventionellen Wohngemeinschaft beleuchtet und zum Nachdenken über die Bedeutung von Familie und Freundschaft in einer zunehmend individualisierten Welt anregt.

Bewertung vom 03.12.2024
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Bürgermeister / Mord ist Potts' Hobby Bd.3 (MP3-Download)


ausgezeichnet

*Charmanter Cosy Crime mit britischem Flair*
Mit „Mrs Potts' Mordclub und der tote Bürgermeister” setzt der britische Roman- und Drehbauch-Autor Robert Thorogood seine kurzweilige Cosy Crime-Reihe und die unterhaltsamen Abenteuer rund um die liebenswerte 77-jährige Judith Potts und ihre beiden Mitstreiterinnen Suzie Harris und Becks Starling als Hobby-Ermittlerinnen fort.
In seinem gelungenen dritten Band entführt uns Thorogood erneut in die idyllische englische Kleinstadt Marlow an der Themse.
Neueinsteiger können den Krimi auch ohne Vorkenntnisse problemlos als eigenständiges Werk genießen, während Fans der Reihe von der interessanten Weiterentwicklung der Hauptfiguren und ihrer Beziehungen begeistert sein werden. 
Auch bei diesem Wohlfühlkrimi beweist der Autor sein Gespür für verzwickte Kriminalfälle im Stil klassischer britischer Whodunits, die zum Miträtseln einladen. Gewürzt ist das Ganze mit netter Situationskomik, witzigen Dialogen und feinem britischen Humor sowie wundervollen skurrilen Charakteren.
Liebevoll erweckt er das idyllische Marlow an der Themse mit stimmungsvollen Beschreibungen und einer authentischen Darstellung des englischen Kleinstadtalltags zum Leben.
Als der beliebte Bürgermeister Geoffrey Lushington während einer Stadtratssitzung nach einem Schluck von seinem Kaffee tot zusammenbricht, steht für die zufällig anwesende Hobby-Ermittlerin Suzie fest, dass Mrs Potts Mordclub mal wieder aktiv werden muss, um der Polizei bei den Ermittlungen zu diesem mysteriösen Unglücksfall unter die Arme zu greifen.
Thorogood ist genau die richtige Mischung aus netten Wohlfühl-Elementen, ausgiebigen Einblicken ins Privatleben der Hobbyermittlerinnen und fesselndem Kriminalfall gelungen. Obwohl die Ermittlungen eher in gemütlichem Tempo voranschreiten, sorgen rasche Szenenwechsel, überraschende Wendungen und etliche falsche Fährten für viel Spannung und Abwechslung.
Es hat mir bei diesem gut konzipierten Fall viel Freude bereitet, gemeinsam mit den drei skurrilen, recht unorthodox agierenden Spürnasen das komplexe Netz aus Verdächtigen zu entwirren, zahlreiche Geheimnisse zu lüften und nach Herzenslust über mögliche Motive zu spekulieren.
Gegen Ende nimmt die Handlung deutlich an Fahrt auf und die Geschehnisse überschlagen sich regelrecht.
Ein besonderes Highlight sind die lebendig gezeichneten, etwas skurrilen Protagonistinnen, die man mit all ihren liebenswerten Eigenheiten und Marotten einfach ins Herz schließen muss. Ob nun die exzentrische 77-jährige Kreuzworträtsel-Autorin und Whisky-Liebhaberin Judith, die leicht neurotische Pfarrersfrau Becks Starling oder schließlich die forsche, bodenständige Hundesitterin Suzie Harris – die drei so unterschiedlichen Hobbyermittlerinnen ergänzen sich perfekt. Thorogood versteht es zudem, seine Figuren weiter zu entwickeln, auch wenn dies nicht allzu tiefgründig ist.
Auch seine Nebenfiguren gestaltet er mit großer Sorgfalt und verleiht ihnen vielschichtige Persönlichkeiten. Ihre geheimnisvollen Verhaltensweisen und verborgenen Geheimnisse liefern nicht nur reichlich Stoff für Spekulationen, sondern sorgen auch für unerwartete Wendungen, wodurch die Spannung bis zum Schluss stetig gesteigert wird.
Mit ihren unkonventionellen Ermittlungsmethoden und originellen Ideen sorgt das charmante Ermittler-Trio für so manche amüsante Szene und so gelingt es ihnen wieder, den rätselhaften, verzwickten Mordfall aufzuklären. Die Auflösung des Falls kam für mich zwar sehr unerwartet, ist aber durchaus stimmig und logisch nachvollziehbar.
Die liebenswerten Protagonistinnen, das atmosphärische Setting und der gut konstruierte Kriminalfall machen auf jeden Fall Lust auf weitere Abenteuer mit den liebgewonnenen, agilen und vorwitzigen Ermittlerinnen vom des Mordclubs.

ZUM HÖRBUCH:
Die Schauspielerin und Kabarettistin Christine Prayon präsentiert den Krimi mit angenehmer Stimme und fesselnder Erzählweise. Prayons ruhiger Vortragsstil ermöglicht es, mühelos in die Handlung einzutauchen. Ihre Interpretation der verschiedenen Charaktere, insbesondere der exzentrischen Mitglieder des Mordclubs, ist sehr lebendig und überzeugend. Geschickt passt sie Betonung und Sprechtempo an die jeweilige Szene an und gestaltet die Dialoge durch stimmliche Variationen abwechslungsreich und lebendig. Obwohl das Grundtempo etwas gemächlich ist, kann dies durch Anpassung der Wiedergabegeschwindigkeit leicht ausgeglichen werden. Insgesamt ist die Hörbuchfassung dank gekonnter Interpretation des Wohlfühlkrimis äußerst unterhaltsam! 
FAZIT
Eine charmante Fortsetzung der kurzweiligen, humorvollen britischen Wohlfühlkrimi-Reihe - mit dem liebenswert-skurrilen Mordclub-Trio, einem neuen verzwickten Fall und nettem britischen Humor und Lokalkolorit!
Mit seiner gelungenen Mischung aus Witz, Herzenswärme und Spannung bietet der gemütliche Cosy Crime beste Unterhaltung für Fans des britischen Wohlfühlkrimis!

Bewertung vom 27.11.2024
Tambrea, Sabin

Vaterländer


ausgezeichnet

*Bewegende Familiengeschichte*
Der neue Roman "Vaterländer" von dem bekannten deutsch-rumänischen Theater- und Filmschauspieler Sabin Tambrea ist eine fesselnde, autobiografisch inspirierte Erzählung, die uns auf eine emotionale Reise durch drei Generationen seiner rumänisch-ungarischen Familie mitnimmt.
Tambrea gelingt es hervorragend, die persönlichen Schicksale seiner Familie während der rumänischen Diktatur mit den prägenden historischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts zu verweben. Mit großem erzählerischem Geschick zeichnet er ein vielschichtiges und bewegendes Porträt einer Familie, die trotz individueller Entbehrungen und politischer Unterdrückung durch ein unbarmherziges totalitäres Systems Widerstandskraft und familiären Zusammenhalt gezeigt hat. Der Autor lässt uns hautnah miterleben, wie seine Vorfahren und er selbst die Herausforderungen ihrer Zeit bewältigen. Tambrea versteht es, die vielschichtigen Themen mit beeindruckender Feinfühligkeit und sprachlichem Geschick zu behandeln. Mit seiner ausdrucksstarken, anschaulichen Erzählweise und poetischen Passagen schafft er eine besondere Nähe zu den Charakteren und lässt ihre Geschichten lebendig und greifbar erscheinen.
Gliedert ist der Roman in drei Teile. Im ersten und umfangreichsten Teil, der in den 1980er Jahren beginnt, erleben wir aus der Perspektive des jungen Sabin seine Kindheit und Jugend in Deutschland. Nachdem Tambreas Vater Béla, in der Hoffnung seiner kleinen Familie im Westen eine bessere Zukunft bieten zu können, während einer Konzertreise seines Orchesters die Flucht gelang, erfolgte 2 Jahre später schließlich die Familienzusammenführung in Deutschland. Tambrea erweist sich als ein talentierter Geschichtenerzähler, der die facettenreichen Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in Rumänien und später in Deutschland nicht nur humorvoll und spannend, sondern auch berührend und nachdenklich stimmend in Szene zu setzen versteht. Anschaulich beleuchtet er die vielfältigen Herausforderungen der Integration in der neuen Heimat und die Suche nach der eigenen Identität zwischen zwei Kulturen.
Im Mittelpunkt des zweiten Abschnitts steht Horea, sein Großvater mütterlicherseits, mit seinen schockierenden Erlebnissen während der 1940er und 1950er Jahre unter dem brutalen kommunistischen Regime in Rumänien. Seine detaillierten, schonungslosen Schilderungen über sein Schicksal, das er durch Repressalien und während der brutalen Folter durch den berüchtigten Geheimdienst Securitate erleiden musste, sind äußerst erschütternd. Zudem vermittelt Tambrea eine Menge an fundierten historischen Wissen über die damaligen Begebenheiten im kommunistischen Rumänien. Die Vielzahl der erwähnten Personen verleiht der Geschichte zwar Authentizität, erfordert von uns allerdings erhöhte Aufmerksamkeit.
Der letzte im Rumänien der Nachkriegszeit spielende Teil widmet sich schließlich dem entbehrungsreichen Leben von Sabins Vater Béla, einem talentierten Violinisten, und gewährt uns einige liebevolle Einblicke in die wundervolle Liebesgeschichte seiner Eltern.
Tambrea zeichnet ein eindringliches Bild des unter Nicolae Ceaușescu etablierten Terrorregimes in Rumänien, das sich durch extreme Unterdrückung, einem Klima des Schreckens und grauenvolle Brutalität auszeichnete. Eindrucksvoll gelingt es ihm, die beklemmende Atmosphäre und entbehrungsreichen Lebensumstände der Menschen während der düsteren Diktatur einzufangen. Während die Bevölkerung zunehmend unter Armut, Mangelwirtschaft, alltäglicher Korruption und politischen Willkür zu leiden hatte, baute der grausame Diktator einen regelrechten Personenkult um sich auf. In verschiedenen Episoden vermittelt er uns aufschlussreiche Einblicke in die unterschiedlichen Erlebnisse und Einflüsse, die sein Leben nachhaltig geprägt haben. Sehr nachvollziehbar schildert er, warum Béla als junger Familienvater trotz möglicher Repressionen schließlich die schwierige Entscheidung traf, seine geliebte Familie zurück zu lassen und für sie im Westen eine neue Existenz aufzubauen.
Bemerkenswert ist auch, wie der Autor die Musik, insbesondere das für die Familie so wichtige Violinspiel als wiederkehrendes, zentrales Thema in seine Geschichte eingewoben hat. Auch wenn spielt seine Eltern mit ihren Bestrebungen scheiterten, aus Tambrea einen begnadeten Geiger zu machen, so hat er letztendlich mit der Schauspielerei dennoch einen künstlerischen Weg eingeschlagen.

FAZIT
Ein tiefgründiger, bewegender autobiografischer Roman, der Sabin Tambreas faszinierende Familiengeschichte mit beklemmenden Einblicken in die bewegte Geschichte Rumäniens verwebt!
Ein empfehlenswerter Roman, der noch lange nachwirkt und zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 25.11.2024
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


sehr gut

*Ein bewegendes Debüt*
Mit ihrem Debüt "Endlich das ganze Leben" hat die italienische Autorin Roberta Recchia einen beeindruckenden und ergreifenden Familienroman über Schuld, Verlust, Trauma, Hoffnung und die heilende Kraft der Liebe geschaffen.
Recchias fesselnder Schreibstil zieht uns mit seiner Intensität schnell in den Bann und geht unter die Haut.
Die in Italien angesiedelte Geschichte, in deren Mittelpunkt das Schicksal der Familie Ansaldo steht, erstreckt sich über einen Zeitraum von 30 Jahren und spielt zwischen den 1950er bis 1980er Jahren. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Marisa und Stelvio, die sich im Rom der 1950er Jahre im Feinkostladen von Marisas Vater kennen und lieben lernen, und eine harmonische, erfüllte Ehe führen. Die glückliche Familienidylle zerbricht jedoch jäh, als ihre lebenslustige 16-jährige Tochter Betta während ihres Sommerurlaubs am Meer im August 1980 tot aufgefunden wird.
Dieses einschneidende Erlebnis erschüttert die Familie zutiefst und teilt ihr Leben in ein "Davor" und ein "Danach". Der tragische Verlust zerreißt das familiäre Gefüge und lässt die Ansaldos in einen tiefen Abgrund aus überwältigender Trauer, Schmerz und Verzweiflung stürzen.
Mit großem Feingefühl und besonderem Gespür für die menschliche Psyche schildert Recchia die komplexen emotionalen Auswirkungen von Bettas Tod auf die einzelnen Familienmitglieder. Ihr gelingt es hervorragend, tief in die Gefühlswelt der Charaktere einzutauchen und zeigt eindrucksvoll auf, wie das schicksalhafte Ereignis nicht nur das Leben aller Beteiligten grundlegend verändert, sondern auch die Dynamik innerhalb der Familie beeinflusst. Äußerst eindringlich fängt die Autorin die feinen Nuancen der Trauer ein und zeigt auf, wie jeder Einzelne mit dem persönlichen Schmerz ringt und dabei eine tiefgreifende innere Wandlung durchläuft.
So zeichnet sie ein bewegendes und fesselndes Porträt einer Familie im Umbruch, die angesichts der schrecklichen Tragödie gezwungen ist, zu überleben und sich schließlich neu zu orientieren.
Besonders eindringlich wird das Schicksal von Bettas Cousine Miriam geschildert, die unbemerkt von allen nach jener verhängnisvollen Nacht ein belastendes Geheimnis und großes Trauma mit sich trägt. Aus Angst und Scham versucht sie das Erlebte zu verdrängen, bis sie an der erdrückenden Last des Schweigens beinahe zerbricht. Durch die unerwartete Freundschaft mit dem jungen Gelegenheitsdealer Leo und seiner Schwester findet Miriam trotz tiefster Verzweiflung schließlich die Kraft zur Heilung und zum Neuanfang. Sehr einfühlsam und glaubwürdig stellt Recchia Miriams langsame, aber stetige Rückkehr zurück ins Leben und in eine Welt jenseits des Traumas dar. Mit diesem zarten Hoffnungsschimmer schafft sie nicht nur einen berührenden Kontrast zur sonst so bedrückenden Stimmung, sondern vermittelt zugleich eine kraftvolle Botschaft der Hoffnung. Auf berührende Weise verdeutlicht sie, dass Menschen selbst nach schwersten Schicksalsschlägen wieder ins Leben zurückfinden können.
Recchia beweist ein beeindruckendes Talent für die Entwicklung äußerst vielschichtiger, authentischer Charaktere, insbesondere der weiblichen Figuren wie Marisa und Miriam. Sie versteht es hervorragend, ihre inneren Konflikte Beweggründe und seelischen Abgründe eindringlich und nachvollziehbar darzustellen.
Die Autorin thematisiert in ihrem Roman nicht nur sensible Inhalte, sondern auch gesellschaftliche Missstände wie sexuelle Gewalt gegen Frauen und Vorurteile gegenüber den Opfern. Kritisch hinterfragt sie dabei weit verbreitete Vergewaltigungsmythen und gesellschaftliche Tabuisierung, die Betroffene daran hindern, sich mitzuteilen und Unterstützung zu suchen.
Allerdings wirkt der Roman gegen Ende durch die Verdichtung an dramatischen Ereignissen und schwierigen Themen etwas überladen. Zudem erscheinen die präsentierten Lösungsansätze für die aufgeworfenen Konflikte für meinen Geschmack mitunter zu vereinfacht und stehen in einem gewissen Kontrast zur vorherigen so gelungenen differenzierten Darstellung. Die Auflösung wirkt dadurch stellenweise konstruiert und wird der Tiefgründigkeit der Problematik leider nicht ganz gerecht.
FAZIT
Eine beeindruckende, vielschichtige Familiengeschichte und ein fesselnder Debütroman, der tief berührt und zum Nachdenken anregt. Trotz kleiner Schwachstellen am Ende eine empfehlenswerte emotionale Lektüre!

Bewertung vom 19.11.2024
Dorweiler, Ralf H.

Der Herzschlag der Toten / Rieker und Ahrens Bd.1


ausgezeichnet

*Ein packender Krimi-Auftakt mit historischem Flair*
Der fesselnde historische Kriminalroman "Der Herzschlag der Toten" vom deutschen Autor Ralf H. Dorweiler ist der gelungene Auftakt einer neuen Krimi-Reihe, die im Hamburg des späten 19. Jahrhunderts angesiedelt ist.
Im Mittelpunkt des packenden Krimis steht der frisch beförderte Criminalcommissar Hermann Rieker, der mit den Ermittlungen zu einem besonders brutalen Mordfall betraut wird. Unter enormem Zeitdruck soll er sich in seiner neuen Position beweisen und innerhalb weniger Tage dem Mörder einer jungen Frau auf die Spur kommen, die in einem Kontor grausam zugerichtet aufgefunden wurde. Unerwartete Unterstützung erhält er von Johanna Ahrens, der Tochter eines wohlhabenden Richters, die durch eine zufällige Verbindung zum Mordopfer in den Fall hineingezogen und schließlich unfreiwillig Riekers Verbündete bei der Suche nach dem Täter wird.
Dorweiler zeichnet ein lebendiges, facettenreiches Bild der Hansestadt. Ihm gelingt es hervorragend die düstere Atmosphäre des damaligen Hamburg einzufangen und die sozialen Unterschiede jener Zeit anschaulich zu vermitteln. Geschickt verwebt er die fesselnden Elemente des klassischen Kriminalromans mit anschaulichen Schilderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse im Hamburg des 19. Jahrhunderts. Spannend ist es, die Protagonisten bei ihren Nachforschungen in die wohlhabenden Villenviertel, aber auch durch die dunklen ärmlichen Gassen des Hafenviertels zu begleiten.
Mit raffiniert komponiertem Erzählrhythmus, unvorhersehbaren Wendungen und subtil platzierten falschen Fährten treibt der Autor die Spannung unaufhaltsam einem packenden Showdown entgegen. Die fesselnde Kriminalhandlung wird durch geschickt eingewobene historischen Details, romantische Passagen und pointierte humorvolle Einlagen aufgelockert, ohne dabei die spannungsgeladene Grundstimmung zu beeinträchtigen.
Die Charaktere sind vielschichtig und authentisch gezeichnet, so dass man sich gut in sie hineinversetzen kann. Sie entwickeln sich im Laufe der Geschichte äußerst glaubwürdig. Besonders gelungen ist das ungleiche Ermittlerduo Rieker und Ahrens mit ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründen, deren aufreibende Interaktionen und komplizierte Zusammenarbeit für Abwechslung und amüsante Momente sorgen.
Neben dem sympathischen pflichtbewussten Rieker, der sich als Emporkömmling mit militärischem Hintergrund in den eigenen Reihen behaupten muss und eine dunkle Vergangenheit hat, ist auch die selbstbewusste Johanna Ahrens sehr facettenreich angelegt. Als Tochter eines angesehenen Richters kann sie es sich leisten ein Doppelleben zu führen, sich heimlich für Frauenrechte zu engagieren und sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit aufzulehnen. Eine faszinierende Nebenfigur ist der Totenfotograf Jakob Eilers. Durch ihn beleuchtet der Autor einen interessanten historischen Berufszweig und lässt uns an seinem morbiden Können beim Inszenieren von Verstorbenen teilhaben.
Mit einem überraschenden Finale und einer originellen Verknüpfung zu realen historischen Ereignissen findet der Krimi einen rundum stimmigen Abschluss.
Ich bin gespannt, wie es mit Ahrens und Rieker als ungleichem Ermittlerduo weitergehen wird, und freue mich schon auf eine Fortsetzung.
FAZIT
Ein rundum gelungener Auftakt dieser spannenden historischer Krimi-Reihe – mit authentischem Zeitkolorit, facettenreichen Charakteren und einem äußerst packenden Fall!
Sehr empfehlenswert für Liebhaber von historischen Krimis und alle, die gerne in vergangene Epochen eintauchen!

Bewertung vom 17.11.2024
Peinkofer, Michael

Die steinerne Krone


ausgezeichnet

*Ein fesselndes Porträt Friedrichs II. und seiner Epoche*
In seinem neuesten historischen Roman “Die steinerne Krone” entführt uns der deutsche Autor Michael Peinkofer in das ereignisreiche Leben Kaiser Friedrichs II., einer der faszinierendsten Herrscherfiguren des Mittelalters. Mit geschicktem Spannungsaufbau und historischer Detailtreue zeichnet Autor ein lebendiges, vielschichtiges Porträt dieses außergewöhnlichen Herrschers des Heiligen Römischen Reiches. Peinkofer versteht es hervorragend, die historische Fakten sehr anschaulich und lebendig zu vermitteln und mit fiktiven Elementen zu einem überzeugenden Gesamtbild zu verweben. Die Erzählung ist so raffiniert aufgebaut, dass sie selbst Leser ohne tiefgreifende Geschichtskenntnisse mühelos zu fesseln weiß.
Die interessante fiktive Rahmenhandlung des Romans, angesiedelt in den 1940er Jahren bei Ausgrabungen in Apulien, schafft eine faszinierende Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit.. Die Entdeckung geheimer Pergamentrollen in verborgenen Kammern unter den acht Turmfundamenten des Castel del Monte bildet nicht nur die Grundlage für die Gliederung des Romans. Dies ermöglicht es, die Lebensgeschichte Friedrichs II. in spannenden Episoden zu enthüllen und dabei verschiedene Zeitebenen und Schauplätze geschickt miteinander zu verknüpfen.
Peinkofer zeichnet ein nuanciertes und komplexes Bild von Friedrich II. So begleiten wir den künftigen Kaiser von seiner schwierigen Kindheit und Jugend über seinen Aufstieg als mächtiger und fortschrittlicher Herrscher bis hin zu seinem Tod.
Besonders faszinierend ist die Darstellung von Friedrichs frühen Jahren, die die Wurzeln seiner komplexen Persönlichkeit offenbaren. Seine Erfahrungen in verschiedenen sozialen Schichten und Kulturen, insbesondere bei den Sarazenen, formten einen außergewöhnlich vielseitigen Herrscher, dessen unkonventionelle Ansätze in Politik und Gesellschaft auf diese frühen Einflüsse zurückgeführt werden können.
Der Roman vermittelt uns anschauliche Einblicke in die vielfältigen Herausforderungen, Unsicherheiten und Gefahren, die das Leben eines mittelalterlicher Herrscher prägten. Die ständige Bedrohung durch Machtspiele, Intrigen und Verrat schafft eine atmosphärische Dichte, die uns zunehmend in ihren Bann zieht. Peinkofer gelingt es hervorragend, nicht nur die Komplexität der politischen Landschaft des mittelalterlichen Europas zu vermitteln, sondern auch die Atmosphäre und die Lebensumstände jener Zeit einzufangen und vor unseren Augen lebendig werden zu lassen.
Eindrücklich widmet sich Peinkofer auch Friedrichs fortschrittlicher Politik und Einstellung. Seine Bemühungen, Gesetze zu schaffen, die für alle Menschen unabhängig von Hautfarbe, Stand oder Glauben galten, werden als bemerkenswert progressiv für seine Zeit dargestellt. Die Einführung eines zentralisierten Beamtenapparats und die Gründung der Universität Neapel werden als kluge politische Schachzüge präsentiert, die gleichzeitig Bildung und Wissenschaft förderten. Peinkofer hebt dabei auch Friedrichs diplomatisches Geschick hervor, das sich insbesondere im Umgang mit seinen Widersachern bewährte.
Doch auch die dunkleren Seiten von Friedrichs Charakter beleuchtet Peinkofer. Seine Gnadenlosigkeit gegenüber Verrätern und das tragische Zerwürfnis mit seinem Sohn Heinrich verleihen dem Porträt des Kaisers zusätzliche Tiefe und veranschaulichen die persönlichen Kosten der Machtausübung.
Mit großem erzählerischen Geschick wird der allmähliche Niedergang der einst glorreichen Herrschaft Friedrichs geschildert. Die ständigen Kämpfe gegen äußere Feinde und innere Opposition, einschließlich der Konflikte mit dem Papsttum, zehrten an den Kräften des Kaisers. Peinkofer zeigt eindrücklich, wie Glanz und Ruhm von Niederlagen überschattet werden, wie Verrat das Fundament seiner Macht untergräbt und sich schließlich eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit und Resignation ausbreitet.
Durch den lebendigen, bildhaften Schreibstil fällt es trotz der vielen nüchternen historischen Informationen nicht schwer, sich direkt ins fesselnde Geschehen hineinzuversetzen und die Ereignisse hautnah mitzuerleben. Nicht nur die Mischung aus historischen Fakten und fiktionalen Elementen ist hervorragend gelungen, sondern auch die Balance zwischen historischer Genauigkeit und erzählerischer Spannung.
Abgerundet wird der Roman von einem umfangreichen Verzeichnis der handelnden Personen sowie einem informativen Nachwort des Autors mit Anmerkungen zu Fakten und Fiktion, die uns dabei helfen, die historischen Zusammenhänge besser zu verstehen und zwischen geschichtlichen Tatsachen und literarischer Ausschmückung zu unterscheiden.

FAZIT
Ein fesselnder und informativer historischer Roman, der ein vielschichtiges Porträt des letzten Stauferkaisers Friedrichs II. und seiner Epoche zeichnet. Für Liebhaber historischer Literatur eine unterhaltsame Reise in die komplexe Welt mittelalterlicher Politik und das Leben eines ihrer faszinierendsten Herrscher. Sehr lesenswert!