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odile

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Insgesamt 89 Bewertungen
Bewertung vom 13.03.2025
Schwiecker, Florian; Tsokos, Michael

Der zweite Verdächtige / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.5 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein doppelter Bluff

In der Männerkneipe "Königssohn" findet ein Kellner beim morgendlichen Saubermachen einen Toten. Die alarmierte Kripo kann die Todesursache des jungen Mannes Lukas Wegener, Spitzname Erzengel, nicht feststellen. Nach der Obduktion ist sich Rechtsmediziner Dr. Jarmer sicher, dass das Opfer an einer Überdosis Liquid Ecstasy gestorben ist. Handelt es sich um Suizid, Unfall oder Mord?

Hauptkommissar Berger nimmt mit Jan Staiger den jungen Mann fest, der mit dem „Erzengel“ zusammen im „Königssohn“ war und einen kurzen Streit mit ihm hatte. Rechtsanwalt Rocco Eberhardt erreicht aufgrund der schwachen Beweislage, dass sein Mandant bis zum Prozessbeginn auf freien Fuß gesetzt wird. Vier Monate später stirbt der nächste junge Mann in einer Schwulenkneipe an Liquid Ecstasy. Angeblich war auch er ein Bekannter von Jan Staiger, was dieser entschieden bestreitet. Sein Anwalt wird Opfer eines Shitstorms, den scheinbar ein Schmierblatt ausgelöst hat. In Wirklichkeit steckt ein geheimnisvoller Unbekannter namens Fuzz hinter der Kampagne. Er scheint besessen von seinem Plan, Jan Staiger hinter Gitter zu bringen. Und er schreckt vor nichts zurück, um dieses Ziel zu erreichen.

„Der zweite Verdächtige“ ist der fünfte Band der Justiz-Krimi-Reihe »Eberhardt & Jarmer ermitteln« vom Autorenduo Florian Schwiecker und Michael Tsokos. Das Buch kann ohne Vorkenntnis der Serie gelesen werden.

Nach den Todesfällen beobachten wir Staranwalt Eberhardt bei der Arbeit und lernen dabei die Abläufe in unserem Justizsystem kennen. Wie mir bestätigt wurde, ist die Darstellung zutreffend. Eine Säule unseres Rechtssystems, die Unschuldsvermutung, kommt in diesem Fall bedenklich ins Wanken. Einmal mehr wird gezeigt, wie leicht sich die Öffentlichkeit durch Presse und Soziale Medien manipulieren lässt. Staiger wird als Serienkiller gebrandmarkt, obwohl er, das nur nebenbei, dieses Kriterium auch im Fall seiner Täterschaft nicht erfüllt. Von Serienmord spricht die Fachliteratur, u.a. das FBI, wenn ein Täter mit zeitlichen Abständen mindestens drei Menschen ermordet. Auf jeden Fall wird der Beschuldigte vorverurteilt und sein Anwalt gleich mit. Unter diesen erschwerten Bedingungen kommen den Ermittlungen von Privatdetektiv Tobi wesentliche Bedeutung zu. So gibt er Hinweise, die Rechtsmediziner Dr. Jarmer und seinen Kollegen von der Toxikologie zu neuen Erkenntnissen führen. Dabei erhalten wir spannende Einblicke in deren Arbeit.

Die Protagonisten haben mich überzeugt, auch der für mich schwierige Hauptkommissar Berger. Ob er, Rocco, Tobi oder Dr. Jarmer, sie alle sind glaubwürdige Charaktere, die sogar über etwas Privatleben verfügen.

Das Autorenduo präsentiert seinen undurchsichtigen Fall gekonnt in einer von Beginn an stimmigen Atmosphäre und schreibt in einem klaren, lockeren Stil, der den Lesefluss unterstützt. Die Fachkenntnis und Recherchearbeit der Autoren heben diesen Krimi aus der Masse hervor.

Mein Fazit

„Was, wenn Staiger ihn die ganze Zeit verarscht hatte und gar nicht das Opfer war, dem man zu Unrecht etwas vorwarf?“(S. 114) Dieser Gedanke beschäftigt Anwalt Rocco Eberhardt lange Zeit und daraus gewinnt die Geschichte einen Teil ihrer Spannung. Die Antwort auf diese Frage erfolgt erst fast am Ende.

Fast von Beginn an hatte ich das Problem, dass mir der Ermittler unsympathisch war und ich ihm nicht traute. Schon wie die erste Verhaftung zelebriert wurde, stieß mir sauer auf. Gleichzeitig war da das Gefühl, etwas zu übersehen. Damit lag ich richtig! Mehr möchte ich nicht verraten, nur dass ich bestens unterhalten wurde und diesen spannenden Justizkrimi genossen habe.
Nachdenklich macht mich die Vorstellung, wie ein Unschuldiger in die Mühlen unseres Rechtssystems gerät. Leider spielen dabei immer noch gesellschaftliche Vorurteile, hier Homophobie, eine große Rolle.

Von mir gibt es die volle Punktzahlung nebst Leseempfehlung. Ich werde mir umgehend die vier ersten Bände besorgen.

Bewertung vom 12.03.2025
Lindell, Unni

Snø – Ohne jeden Zeugen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Schnee hat viele Gesichter

Lydia Winther, genannt Snø, kommt frisch von der Polizeischule in die Abteilung Sondereinsätze nach Oslo. Bei ihrem ersten Fall begegnet sie der Abiturientin Sonja, die glaubt, im leerstehenden Nachbarhaus Eindringlinge gesehen zu haben. Kommissarin Marit, ihre Vorgesetzte, stuft diese Anzeige als Fehlalarm ein. Snøs Bauchgefühl sagt etwas anderes und kurze Zeit später verschwindet Sonja. Neben einem Cold Case, der sich mit einer vermissten Ingenieurin befasst, wird Snø hauptsächlich mit dem Schreiben von Berichten beschäftigt. Sonja bleibt verschwunden, was niemanden zu interessieren scheint, sodass Snø heimlich mit Nachforschungen beginnt. Wenig später bekommt sie den Vermisstenfall der Erdölgeologin Janni Ebeltoft zugeteilt. Nach dem Fund von Leichenteilen in der Städtischen Verbrennungsanlage wird Snø von der Mordkommission zur Ermittlung hinzugezogen. Die Tote ist tatsächlich Janni Ebeltoft und die junge Polizistin darf an einem Mordfall mitarbeiten, was sie sich schon lange gewünscht hat.

»Snø – Ohne jeden Zeugen« ist der Auftaktband zur neuen Reihe der norwegischen Autorin Unni Lindell um die Polizistin Snø. Ein zweiter Band ist in Norwegen bereits erschienen.

Snø ist ein spannender Charakter. Als Kind stand sie stets im Schatten ihres strahlenden Bruders Lars. Weil es sein Traum war, Polizist zu werden, hat sie diesen Beruf gewählt. Lars ist seit sechs Jahren tot, ertrunken in einem Swimmingpool in Japan. Um so erschrockener ist Snø als sie plötzlich Freundschaftsanfragen und Mails ihres Bruders erhält. Neben den üblichen Startschwierigkeiten im neuen Job und ihren Sorgen um Sonja belasten sie jetzt auch noch diese privaten Probleme. Snø ist intelligent, eigenbrötlerisch, dickköpfig und neigt zu Alleingängen. Dank einer Synästhesie ist ihre Wahrnehmung und ihre Art, Informationen zu verknüpfen, häufig unorthodox.

Die anderen Charaktere blieben noch etwas blass, was beim Auftaktband zu einer Serie um eine Hauptfigur nicht ungewöhnlich ist. Lediglich ihr Teamkollege bei der Mordkommission, Hans Arnold Ytrefjord, genannt Har, bekommt mehr Tiefe. Er ist ein fähiger Polizist, freundlich, loyal und gutaussehend. Snø gegenüber benimmt er sich wie ein Freund und ignoriert ihre Avancen.

Der Fall Ebeltoft schlägt Wellen. Wird Snø anfänglich noch für ihre Analysen getadelt, stellt sich bald heraus, dass sie auf der richtigen Spur ist. Diese führt zu Norwegens Schlüsselbranche, der Ölindustrie. Die Grundlage des Wohlstands im Land bildet Norwegens Ölreichtum, der seit den 1970er Jahren ausgebeutet wurde und dem Staat das drittgrößte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weltweit beschert. Dementsprechend taktisch klug muss die Polizei agieren.

Ein sogenanntes „Netzwerk“ verübt zahlreiche Morde, getarnt als Unfälle oder spurloses Verschwinden der Betroffenen, um Unternehmen dieser Branche zu schützen. Lange bleibt es ein Rätsel, wer die führenden Drahtzieher dieses Verbrechersyndikats sind. Lindell versteht es hervorragend, die Spannung aufzubauen und zu halten. In einem atemberaubenden Show-Down werden sowohl die Mordserie als auch Sonjas Verschwinden lückenlos aufgeklärt.

Mein Fazit

Unni Lindells neue Heldin hat viel Potenzial, mit all ihren Fähigkeiten und abgründigen Geheimnissen. Der Fall ist spannend und unterhaltsam. Bis zuletzt bleibt offen, wer die Schlüsselpositionen im „Netzwerk“ innehat. Den Plot fand ich sehr gelungen, ebenso die gute Recherche der Autorin, die z B die Hinweise auf die Fälle Kampusch und Fritzl belegen. Noch eine kleine Warnung: Die Beschreibung der Opferbeseitigung ist nichts für schwache Nerven. Dazu hier nur ein Stichwort: Die Seifenmacherin von Correggio, Leonarda Cianciulli.
Sollte der Fortsetzungsband ins Deutsche übersetzt werden, wovon ich ausgehe, werde ich ihn lesen.

Einen kleinen Abzug gibt es für den etwas langatmigen Beginn und noch ausbaufähige Charaktere. Meine Wertung: 4, 5 Sterne und eine Leseempfehlung für alle Krimileser mit guten Nerven.

Bewertung vom 11.03.2025
Kliewe, Karen

Die Brandung - Leichenfischer


sehr gut

Geht an der Flensburger Förde ein Serienmörder um?

Bei einer archäologischen Grabung an der Flensburger Förde wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die dort vor maximal vier Jahren verscharrt wurde. Warum befinden sich Relikte, die an die Wikingerzeit erinnern, im Grab der unbekannten Toten? Der dänische Kommissar Troels Svensson ermittelt und zieht seine Schwester, die Archäologin Fria, als externe Beraterin zu dem Fall hinzu. Auf der deutschen Seite der Grenze wurde kurz zuvor ebenfalls ein weibliches Mordopfer gefunden. Die näheren Umstände der beiden Fälle ähneln sich. Geht ein Serienmörder im dänisch-deutschen Grenzgebiet um?

Das passend düstere Cover mit den Buhnenresten, die ins Wasser führen, stimmt uns auf die schaurigen Verbrechen ein, von denen uns "Die Brandung - Leichenfischer" erzählt. Nach ihrem ersten Ostseekrimi "Die Brandung - Moorengel" lässt Karen Kliewe ihr dänisch-deutsches Dreamteam Fria Svensson & Ohlsen Ohlsen erneut ermitteln. Die Bände können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings erhöht die Kenntnis von Band eins den Lesespaß.

Die Teams aus Dänemark und Deutschland arbeiten gut zusammen, aber die Ermittlungen erweisen sich als schwierig. Beide Opfer stammen aus anderen Bundesländern, Bayern und Niedersachsen, und haben anscheinend außer Geschlecht und Alter nichts gemeinsam. Keiner hat etwas gesehen, niemand kann sich die Vorgänge erklären. Dann wird ein weiteres, noch leeres Grab gefunden. Das setzt die Ermittler weiter unter Druck, da sie nicht wissen, ob bereits eine weitere junge Frau entführt wurde.

Der ungewöhnliche Plot hat meine Neugier geweckt, außerdem hat mir der erste Band der Reihe gut gefallen. Auch bei diesem Fall fand ich schnell den Einstieg in die Geschichte. Karen Kliewe beschreibt die Polizeiarbeit ziemlich gründlich, was mir gut gefällt, aber zeitweise zumindest im Mittelteil die Spannung etwas abschwächt. Die Vielzahl der Erzähler, Julia, Nettie, Samantha, Ohlsson, Fria, und die damit verbundenen häufigen Perspektivenwechsel, erhöhen wiederum die Spannung. Denselben Zweck erfüllen das hohe Erzähltempo und die teilweise etwas abrupten Übergänge. Darauf muss sich der Leser einlassen, um nicht in seinem Flow unterbrochen zu werden. Die Charaktere finde ich insgesamt glaubwürdig beschrieben, in den Nebenrollen hätte etwas mehr Tiefe gutgetan.

Mein Fazit

Ich habe mich gefreut den sympathischen Svensson-Clan wiederzutreffen, Hund Bølle, Frias Mitbewohner Marten und den wortkargen Kommissar Ohlsson. Der Kriminalfall war spannend, erfreulich unblutig, und unterhaltsam. Mir gefällt es, die Polizei bei ihrer Arbeit zu beobachten und zu kombinieren. Dieses Mal habe ich den Täter nicht herausgefunden, allenfalls eine Ahnung kann ich vorweisen. Kleinere Schwächen, wie Längen im Mittelteil und der logische, aber doch etwas knappe Schluss lassen mich diesen Krimi etwas schwächer bewerten als seinen Vorgänger. Außerdem kamen die Landschaft und das nordische Feeling für meinen Geschmack dieses Mal zu kurz. Ich bin gespannt, wie die Autorin das im angekündigten dritten Band handhaben wird.

Ich vergebe gute vier Sterne und eine Leseempfehlung für alle Freunde weniger blutiger Krimis.

Bewertung vom 07.03.2025
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Das Böse kommt auf leisen Sohlen
1935. Wir befinden uns in Ginsterburg, einer kleinen verschlafenen Stadt mitten in Deutschland. Nach und nach lernen wir die Einwohner kennen und staunen mit den Kindern über den gerade gastierenden Jahrmarkt. Alles wirkt friedlich, beschaulich, freundlich. Aber die Idylle trügt bereits. Warum sonst denkt die Buchhändlerin Merle, eine überzeugte Sozialdemokratin, beim Anblick ihres Nachbarn, dem alten Smolka, „und hoffentlich redete er dabei nichts Falsches“?
Der alte Verleger Dr. Landauer begeht Selbstmord nach Erscheinen der Nürnberger Rassengesetze und seine Frau verlässt Hals über Kopf die Stadt. Auch Löfingers Lampenladen bleibt verwaist zurück. Luise von Wieland ärgert sich, dass sie deshalb einen Umweg in Kauf nehmen muss. Warum jemand seinen florierenden Laden überstürzt verlässt, kümmert sie nicht.

Auch die Jugendlichen verändern sich. Bruno und Knut, die dreizehnjährigen Zwillinge des Kreisleiters, tragen stolz die Uniform der Hitlerjugend. Ungestraft terrorisieren sie Lolo, Merles Sohn und andere. Gesine, Lothars Freundin, saugt das neue Gedankengut auf wie ein Schwamm.
Derweil quält sich Merle durch Werke von Oswald Spengler und Kuni Tremmel-Eggert, weil sie kennen möchte, was sie ihren Kunden anbieten soll. Die Zahl der erlaubten Bücher schrumpft beständig.

Das Leben in Ginsterburg geht derweil weiter. Vom Haus der Kreisleitung flattern fröhlich die Hakenkreuzfahnen im Wind.

1940 datiert die zweite Momentaufnahme. Deutschland und damit Ginsterburg ist Sieges trunken und wähnt sich nur noch Tage, maximal aber Wochen vom Endsieg entfernt.
Gesine hat es nach Berlin geschafft und dient im BDM als Schaffnerin. Sie ist stolz auf sich, als sie eine jüdische Familie aus der Straßenbahn weist, bedauert nur, nicht strenger gewesen zu sein. Über ihrem Bett hängt jetzt eine Rassentafel.
In Ginsterburg profitieren Kreisleiter Gürckel und Fabrikant Jungheinrich vom System, während Merle gelernt hat, Briefe vom Bund Reichsdeutscher Buchhändler und der Bundesschriftkammer zu fürchten. Außerdem hat sie Angst um Lothar, der jetzt ein hochdekorierter Kampfpilot ist, während Eugen und Bruno bei der Infanterie, Knut bei den U-Booten und der katholische Pfarrer als Militärgeistlicher dienen.

1945. Ginsterburg steht der erste Bombenangriff bevor. Alle Euphorie ist verschwunden. „Opfer müssen gebracht werden“. Diese Phrase wird jetzt auch für die Täter Realität.

Cela va faire mal, das wusste schon der alte Gaukler Jean.

Arno Frank schreibt bildhaft und mitreißend. Ihm gelingt es mühelos, die Atmosphäre und das Ambiente der damaligen Zeit einzufangen. Sein Roman beschreibt das Leben der „normalen“ Leute im Tausendjährigen Reich und fängt die ganze Bandbreite der Gesellschaft ein. Vom schwulen Kinobetreiber, der in Angst lebt bis hin zum Papierfabrikanten, der früher gern Papier für Eichendorffs Gedichte produzierte. Jetzt führt er sich als erfolgreicher Leiter eines kriegswichtigen Betriebs auf. Oder der SS-Arzt Hansemann, der fatal an einen Mengele erinnert. Eingestreute zeitgenössische Dokumente, Gesetze und Erlasse ergänzen die Erzählung.

Noch ein Roman über die SS Zeit und den Zweiten Weltkrieg? Interessiert mich das? Diese Frage kann ich rundum mit Ja!beantworten. Mir gefällt der ruhige, unaufgeregte Stil Arno Franks. Beiläufig erzählt er die Ereignisse, mitunter verbirgt sich das Grauen in einem halben Satz. Da wir alle die Materie kennen, reichen diese Andeutungen völlig aus. Seine Charaktere haben mich weitgehend überzeugt. Ein komplexes Beispiel ist Eugen von Wieland, Redakteur beim Ginsterburger Anzeiger, Sohn eines Helden der Kriege von 1866 und 1871. Teilnehmer des Ersten Weltkriegs. Einst träumte er davon in der „Weltbühne“ Carl von Ossietzkys zu veröffentlichen, später tritt er für eine Villa und einen guten Posten in die Partei ein. Er biedert sich bei den Machthabern an („vernegerte“ französische Armee) und hofft, dass seine frühen Spitzen gegen Goebbels („Humpelstilzchen“) folgenlos bleiben. An seinen jüdischen Schwager Theo verschwendet er kaum einen Gedanken.

Überhaupt zieht sich die negative Haltung gegenüber Juden und Zigeunern durch den Roman. Von glühendem Hass bis zur Gleichgültigkeit sind alle Abstufungen vorhanden. Ein gemeinsamer Sündenbock war schon immer ein gutes Mittel, die Menschen hinter einem starken Anführer zu einen.
Leider fehlt ein Nachwort, das Fakten und Fiktion trennt. Der Pilot Lothar Sieber bspw. hat wirklich gelebt. Sein Grab befindet sich nur ca. 20 km von meinem Wohnort entfernt.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, da er aufzeigt, wie das Böse schleichend Raum gewinnt. Wann ist der Point of no Return erreicht? Was hätten die Ginsterburger 1935 noch unternehmen können, ohne Leib und Leben zu riskieren? Angesichts der aktuellen Nachrichten verspürt man da nicht selbst manchmal den Wunsch nach Rückzug in die eigene kleine Welt? Wie schnell die Lage kippen kann, wie fragil Freiheit und Demokratie sind, daran erinnert uns dieses Buch.

Bewertung vom 03.03.2025
Herzberg, Thomas

Morden auf Friesisch


sehr gut

Der Dööskopp muss sterben

Der alte Hinnerk Beehnk plant nach über 40 Jahren als Berufsfischer seinen Ruhestand. Doch am letzten Arbeitstag wird er brutal ermordet. Die Polizei tappt zunächst im Dunkeln. Zwar war Hinnerk ein unbeliebter alter Querkopf, aber Mord? Ermittlerin Michi Greve verdächtigt zunächst den Umweltaktivisten Hubert Schimmelpfennig, muss ihn aber bald wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Prompt wird auch er getötet und Michi niedergeschlagen. Ihre Dienstwaffe nimmt der Täter mit. Ein Serienmörder scheint umzugehen. Was ist bloß los an der Waterkant?

„Morden auf Friesisch“ ist der zweite Fall der Waterkant-Reihe von Thomas Herzberg mit Kommissaranwärterin Michi Greve als Ermittlerin. Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden. Für mich war es der Einstieg in die Reihe.

Thomas Herzberg schreibt locker und bildhaft, was gut zu seinen Krimis passt, die er als leichte Lesekost bezeichnet. Ort der Handlung ist Husum und die nähere Umgebung. Der Autor versteht es, dem Leser die Region näherzubringen und die spezielle Atmosphäre einzufangen. Die Gespräche und Frotzeleien des Ermittlerteams haben mich teilweise sehr amüsiert. Und damit sind wir bei den Charakteren, die in den Hauptrollen überzeugen.

Michaela, Michi, Greve war mir auf Anhieb sympathisch. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, liebt Tiere, weiß ihren grantigen Chef zu nehmen und ist eine tüchtige Polizistin Vor allem zeichnet sie ihre Empathie aus. Ihr Kollege Kommissar Ulf Weingärtner besticht durch seine vorbildliche Arbeitsauffassung und seinen bedingungslosen Einsatz, dem er sogar sein Liebesglück, temporär, opfert. Ihr gemeinsamer Chef, der bestens vernetzte Hauptkommissar Kruse, gibt den ultimativen Stinkstiefel, verbirgt hinter dieser Maske aber nur sein großes Herz. Er ist ein talentierter Ermittler mit Biss, der gern mit seinem Rückzug in den Ruhestand droht und mitunter unkonventionell agiert. Die Nebencharaktere fand ich dagegen teilweise etwas blass, besonders die Schurken.

Mein Fazit

„Morden auf Friesisch“ habe ich mir ausgesucht, weil ich gern Regionalkrimis lese und neugierig auf die Gegend war. Für mich als Süddeutsche ist Friesland mindestens so exotisch wie Frankreich. Der Kriminalfall ist gut konstruiert und ermöglicht das Miträtseln. Ich hätte mir noch ein paar Verwicklungen und Wendungen mehr gewünscht, wurde aber gut unterhalten. Spannung und Gewalt sind für einen Cosy Krimi angemessen. Die Auflösung ist zufriedenstellend und beantwortete alle meine Fragen. Besonders gut gefallen hat mir die Chemie innerhalb des Ermittlerteams und der sarkastisch knurrige Umgangston. Immerhin, mit Kruse als Chef klappt es auch mit der Beförderung. Ein paar Einblicke in das Fischereiwesen und die damit verbundene Industrie werden sich auf mein Einkaufsverhalten auswirken. Die Landschaft und das Ambiente wurden so gut vermittelt, dass ich jetzt ernsthaft über einen Frieslandurlaub nachdenke.

Ich gebe eine Leseempfehlung für alle, die leichte Krimikost mit regionalem Touch schätzen. Beim nächsten Fall von (jetzt) Kommissarin Michaela Greve werde ich wieder dabei sein.

Bewertung vom 24.02.2025
Kento, Katie

Hotel Ambrosia - Du. Entkommst. Nicht.


sehr gut

Der richtige Podcast kann dein Leben verändern

Die junge Robyn ist ein glühender Fan des Podcasts „Whispering Ivy – True Crime Enigmas“. Wegen ihrer ME/CFS-Erkrankung, die Long Covid ähnelt, kann sie ihr Zimmer im 6. Stock ohne Hilfe nicht verlassen. Neben Ivys Sendung hilft ihr die Beobachtung des heruntergekommenen Hotels Ambrosia gegenüber, Langeweile und Schwächeanfälle besser zu ertragen. Eines Tages glaubt sie, Zeugin eines Mords zu sein. Doch stimmt das? Oder verursachen ihre starken Medikamente Wahnvorstellungen?

Die Autorin Katie Kento hat ein Setting geschaffen, das an Alfred Hitchcocks berühmten Thriller „Das Fenster zum Hof“ erinnert. Hier wie dort ist der Hauptcharakter ans Zimmer gefesselt und lindert seine Langeweile, indem er die Vorgänge im Gebäude gegenüber beobachtet.
Beide glauben, einen Mord gesehen zu haben. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten bereits. Während der Protagonist bei Hitchcock ein Erwachsener mit mehreren Bezugspersonen ist, beschränkt sich Robyns direkter Kontakt zur Außenwelt auf ihre Großtante, die überfürsorgliche Krankenschwester Nelly, bei der sie seit dem Unfalltod ihrer Eltern wohnt. Diese hat panische Angst vor Keimen und verbietet Robyn jede Anstrengung. Einerseits will die 17-Jährige ihre einzige Verwandte, bei der sie seit vielen Jahren lebt, nicht enttäuschen, andrerseits kann sie ohne ihren Podcast und das "Ambrosia" ihre Situation nicht ertragen. Da Nelly nicht will, dass Robyn das Hotel beobachtet, macht sie es heimlich. Sie hat eine aufwendige Recherche angefertigt, die sich mit den Gerüchten und Mythen um das alte Gemäuer beschäftigt. Dort sollen Menschen verschwunden und Todesfälle passiert sein. Diese Akte mailt sie an Ivy, die nichts von Robyns Erkrankung weiß. Prompt beauftragt die Podcasterin sie, im Hotel vor Ort zu recherchieren und zu fotografieren. Was tun? Durch einen glücklichen Zufall gelingt es Robyn, die passende Person zu finden, die für sie das "Ambrosia" ausspioniert. Ab jetzt überschlagen sich die Ereignisse und bringen unglaubliche Fakten ans Licht.

Die Autorin schreibt bildhaft und mitreißend. Sie lässt uns Robyns Situation mit Krankheit und Isolation hautnah erleben. Die düstere Atmosphäre im Hotel ist sehr gut eingefangen. Die Spannung steigt kontinuierlich und hält bis zum Ende an. Chats, Mails, Telefonate und Robyns Rechercheakte komplettieren die Erzählung.

Kentos Charaktere wirken glaubwürdig. Robyn war mir von Beginn an sehr sympathisch. Wie sehr sie unter ihrer Krankheit, der Isolation, Schwäche und Abhängigkeit leidet, war gut nachvollziehbar, ebenso die Hoffnung auf eine ebenerdige Wohnung und dadurch endlich mehr Bewegungsfreiheit und Kontakte. Bemerkenswert fand ich ihre Selbstreflexionen, wenn sie sich fragt, ob sie eine Stalkerin ist oder ihre Einstellung zu ihrem Helfer überprüft.
Nelly und A. J. haben mich als Protagonisten ebenfalls überzeugt.

Fazit

Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen und war von den durch die Leserunde bedingten Pausen nicht begeistert. Kento schreibt spannend, die Charaktere überzeugen, Plot und Setting fesseln. Die Auflösung passt. Trotzdem gibt es aus meiner Sicht einige, kleinere Schwächen. Für mich weist die Erzählung mindestens einen Zufall zu viel auf. Ich will nicht spoilern und gebe daher nur die Stichpunkte Auftauchen A.J. und Léa/Michelle. Ferner hat mich der Rechercheverzicht Robyns in eigener Sache nicht überzeugt.
Dagegen ist die Doppelfolge von Ivys Podcast mit einer Zusammenfassung der Vorgänge ein perfektes Ende des Romans. Einmal mehr bedauere ich, keine halben Sterne vergeben zu können. So werden es sehr gute vier statt 4,5 und eine Leseempfehlung.

Ich werde zukünftig auf Neuerscheinungen von Katie Kento achten, da ich weitere ähnlich unterhaltsame Bücher von ihr erwarte. Denkbar wäre auch eine Fortsetzung der Geschichte, die ich mir dann nicht entgehen lasse.

Bewertung vom 23.02.2025
Craven, M. W.

Der Gourmet / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Unschuldiges Justizopfer oder skrupelloser Killer?

Für DS Washington Poe wird ein Alptraum wahr. Ein von ihm überführter und in einem spektakulären Indizienprozess als Mörder verurteilter Starkoch entpuppt sich als Justizopfer. Die angeblich von ihm ermordete Tochter taucht sechs Jahre nach seiner Verhaftung quicklebendig wieder auf. Eine DNA-Analyse beweist ihre Identität. Und DNA kann nicht lügen oder doch?

„Der Gourmet“ ist der zweite Band der Washington Poe – Reihe des britischen Schriftstellers M.W. Craven, der mehrfach, u. a. mit dem Gold Dagger Award, ausgezeichnet wurde. Für mich war es das erste Buch des Autors.

Im Krimi „Der Gourmet“ stellt sich uns folgende Frage: ist der charismatische Starkoch Jared Keaton ein Opfer der Justiz und des hartnäckigen Ermittlers DS Poe? Ist er tatsächlich unschuldig?
Die Beweislage der Verteidiger wirkt überzeugend. Das Wiederaufnahmeverfahren scheint nur noch eine Formalität und Keatons Freilassung eine Sache von Tagen zu sein. DS Poe befindet sich dagegen in einer schwierigen Situation. Er hat einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht und soll nun für seinen Fehler büßen.

Und trotzdem. Als erfahrene Krimileserin war ich mir von Beginn an sicher, dass Poe richtig lag und der charismatische Psychopath Keaton schuldig ist. Aber alle Beweise sprechen dagegen. Wie kann eine Tote leben?

M. W. Craven hat einen packenden Krimi geschrieben, der mich schnell gefesselt hat. Die Spannung beginnt im ersten Kapitel und steigert sich bis zum Ende. Unerwartete Wendungen und neue Indizien lassen zu keiner Zeit Langeweile aufkommen. Der Autor schreibt sehr bildhaft, ich sah Poes Hütte im Norden Cumbrias direkt vor mir. Die Protagonisten überzeugen, egal ob Hauptfiguren oder in Nebenrollen.

Washington Poe ist kein einfacher Mensch. Ein Familiengeheimnis hat ihn jahrelang gequält. Mit seiner spröden Art hat er sich wenig Freunde gemacht. Aber Unterstützung benötigt er gerade jetzt dringend. Da trifft es sich gut, dass er sich der Loyalität zweier Koryphäen sicher sein kann. Da ist zunächst die brillante, aber exzentrische forensische Pathologin Estelle Doyle. Sie entdeckt die Substanz im Blut der wieder aufgetauchten Elizabeth, die Poes Team auf die richtige Spur bringen wird. Später kann sie eine Leiche identifizieren, die sich in einem ungewöhnlichen Zustand befindet. Die zweite Koryphäe ist die geniale Datenanalystin Tilly Bradshaw, die Asperger-Züge aufweist, was die Zusammenarbeit mit ihr nicht einfach macht. Poe denkt an einer Stelle über sie „Streiten hatte keinen Sinn. Bradshaw war so logisch, dass sie jedes Mal gewann, sogar wenn sie falschlag.“ Aber die beiden arbeiten erstaunlich gut zusammen und sind ein sympathisches Team. Auch ein paar Kollegen, wie seine direkte Vorgesetzte DI Stephanie Flynn, vertrauen Poe, während ein karrieregeiler DCI ihn unbedingt abschießen will.

Fasziniert hat mich, was ich beim Lesen dieses Krimis alles gelernt habe. Über Reiterdenkmäler, englische Bunker, Laborzentrifugen oder die Reform des britischen Gesetzes im Zusammenhang mit Doppelbestrafung. Ich behaupte schon immer, dass Krimilesen bildet. Craven bestätigt mich.

Fazit

Eine tierquälerische gruselige Szene im ersten Kapitel hat mich kurz zögern lassen, doch wollte ich dem Krimi eine Chance geben. Zum Glück! Für mich ist der Autor eine Neuentdeckung. Er hat das Potenzial, zu einem meiner Favoriten aufzusteigen. Zwar hätte ich auf einige grausame Szenen verzichten können, da sie tatsächlich für den Tathergang wichtig sind, kann ich aber darüber hinwegsehen. Cravens Schreibstil, der britische Humor, seine Charakterzeichnung, der originelle Plot und die vollständige Auflösung haben mich überzeugt. Ich werde mir die beiden anderen in Deutsch erschienen Bände besorgen und mich auf weitere freuen.

Bewertung vom 22.02.2025
de Laar, Alessa

Der Ränkelord


ausgezeichnet

Mord in höchsten Kreisen

In Ashbury, einem geheimen, von der Außenwelt abgeschnittenen Distrikt Londons, ist es Tradition, spektakuläre Kriminalfälle an den Meistbietenden zu versteigern. Mit einer gelungenen Präsentation der Aufklärung kann der Gewinner sein Prestige erheblich steigern. Ob der Angeklagte schuldig oder nicht ist, wird nebenbei bewiesen. Verwandte von Beschuldigten sind von der Versteigerung ausgeschlossen. Genau in dieser Situation befindet sich der junge Adelige Garth, der im ersten Fall der Ashbury-Reihe „Das Versagen der Pahdora“ bereits als brillanter Ermittler überzeugte. Sein Vater, Lord Varesh Crafton, beauftragt ihn, die Unschuld seines älteren Halbbruders Tain Shoyn, der des Mordes bezichtigt wird, zu beweisen. Aber das scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein und die Zeit drängt.

„Der Ränkelord“ ist der zweite Band der Ashbury-Reihe von Alessa de Laar. Es ist möglich, die Bände unabhängig voneinander zu lesen. Aber die Kenntnis von Garths erstem Fall erhöht Lesespaß und -verständnis beträchtlich.

Wie beweist man die Unschuld eines Angeklagten, den alle schon als überführt ansehen? Die Beweislage scheint erdrückend. Garth beginnt damit, den Tatverdächtigen, seinen Halbbruder Tain, aufzusuchen. Dieser verweigert jede Mitarbeit, erklärt sich aber für unschuldig. Dann untersucht er die Leiche des Opfers und den Tatort. Wie wurde das Mordopfer vergiftet? Er versucht, den Tathergang zu rekonstruieren, was ein Schlüsselelement zur Lösung des Falles darstellt.

Bei seiner Tätersuche unterstützen ihn der Klient des Hauses Crafton, Erro, und der Gespaltene Flyn. Viele Zeugen werden befragt und Experten werden zum Fall hinzugezogen. Ganz allmählich scheint sich der Tathergang rekonstruieren zu lassen. Ein Indiz weckt Garths besonderes Interesse und weist ihm die Richtung. Genau in dieser Situation wird er gekidnappt und damit Schachmatt gesetzt.

Alessa de Laar hat mit Ashbury eine ganz eigene magische Welt erschaffen. Wir treffen hier weder Drachen noch Elfen. Ashbury unterscheidet sich wesentlich subtiler von unserer Welt.

Dieser magische Ort verfügt über komplexe soziale und politische Strukturen. Das Justizsystem unterscheidet sich von unserem, sei es durch die Versteigerung der Kriminalfälle oder durch eine häufig vollzogene Strafe, die Spaltung, die nur mittels magischer Kräfte erfolgen kann. Die Geschichte Ashburys fließt beiläufig in die Erzählung mit ein und lasst diese Welt noch überzeugender wirken. Dazu dient auch die Isolation von der Außenwelt.

Nicht nur mit ihrer beeindruckenden Fantasie und Kreativität hat mich die Autorin beeindruckt. Mit ihrer bildhaften, lebendigen Sprache lässt sie Ashbury vor unseren Augen entstehen, mit seinen Adelsresidenzen, den sehr unterschiedlichen Vierteln oder den Wohnungen in der Kanalisation, die bedingt durch den Platzmangel entstanden sind.
Die Einwohner arbeiten als Barrierenspringer, Glyphenschreiber oder Bundbrecher, alles Berufe, die speziell für die Belange Ashburys entstanden sind. Pflanzen wie der
Seitwärtsbaum oder magische Hilfsmittel wie ein Rührlöffel, der mittels seiner eingeritzten Glyphen, Gräten aller Art anzieht, vervollständigen eine fantastische Welt.

Dankenswerterweise enthält das Buch Glossar, Namensverzeichnis und Landkarte, die sehr nützlich sind.

Die Auflösung des Falles ist der Knaller. Teilweise lag ich richtig mit meiner Einschätzung, trotzdem ist es mir nicht vollständig gelungen, Licht ins Dunkel zu bringen. Alessa de Laar hat mich mit der Identität des Täters überrascht und gleichzeitig den Fall perfekt abgeschlossen. Nicht nur Lord Crafton betrachtet Garths Beweisführung als brillant.

Mir hat es sehr gut gefallen, wie die Autorin Kriminalfall und Fantasy verschmolzen hat, meine beiden Lieblingsgenres. Noch während des Lesens habe ich mir Band eins besorgt und inzwischen verschlungen. Ich freue mich auf weitere Erzählungen mit Garth, Erro und Flyn. Speziell über die Themen Pahdora und Wandler, die für Ashbury eine dominante Rolle spielen, möchte ich gern mehr lesen.

Ich vergebe die volle Punktzahl und eine Leseempfehlung an alle, die wie ich Krimis und Fantasy schätzen.

Bewertung vom 15.02.2025
Rademacher, Cay

Nacht der Ruinen


ausgezeichnet

Wer frei von Schuld ist ...

März 1945. Köln ist eine geteilte Stadt. Der Rhein bildet die Front, nachdem alle Brücken gesprengt wurden. Während die US Army ihren Teil der Stadt besetzt, geht jenseits des Flusses der Krieg unverändert weiter. Lieutenant Joe Salmon wird nach Köln abkommandiert, wo er vor 24 Jahren als Joseph Salomon geboren wurde. Colonel Patterson erteilt ihm einen Geheimauftrag. Joe soll herausfinden, wer den vor einer Woche mit einem Fallschirm abgesprungenen Bomberpiloten Rohrer ermordet hat. Ein nahezu aussichtsloses und gefährliches Unterfangen. Doch der Lieutenant folgt insgeheim seiner eigenen Agenda.

Cay Rademacher hat neben seiner erfolgreichen Provence-Reihe mit Capitaine Roger Blanc als Ermittler, bereits mehrere historische Kriminalromane geschrieben. Nach Méjean, Hamburg und dem Ozeanliner Champollion ist dieses Mal Köln der Schauplatz der Ermittlungen.

Wie viele andere junge Emigranten aus Deutschland und Österreich (insgesamt ca. 9000), hat Lieutenant Salmon eine Spezialausbildung in Camp Ritchie, Maryland, absolviert, die ihn auf den Einsatz in Europa vorbereitet hat. Wir begleiten Joe, der meist mit dem englischen Kriegsreporter Eric Arthur Blair, später berühmt als George Orwell, unterwegs ist und sehen die zerstörte Stadt durch seine Augen.Obwohl er wütend auf die „Jerrys“ ist, die das Vermögen seines Vaters gestohlen und so viel Leid über ihn und die Seinen gebracht haben, kann er sich dem herrschenden Elend nicht ganz entziehen. Von Köln und seiner Bevölkerung ist nur wenig übrig. Zweieinhalb Wochen wird seine Suche dauern, die ihn nachhaltig verändern wird.

Cay Rademacher schreibt flüssig und bildhaft. Er lässt vor den Augen seiner Leser das zerstörte Köln wieder erstehen. Die düstere bedrückende Atmosphäre, die der damaligen Zeit angepasste Sprache und die Beobachtungen des Lieutenants schaffen ein Ambiente, das fesselt. Die umfangreiche Recherchearbeit des Autors ist in jedem Kapitel spürbar. Auftritte bekannter Zeitgenossen wie Hans Habe, ebenso ein „Ritchie Boy“ wie Joe Salmon, Konrad Adenauer, der vor und nach dem Tausendjährigen Reich, Kölns Oberbürgermeister war oder die Schriftstellerin Irmgard Keun, lassen den Roman noch authentischer wirken. Eine besondere Rolle kommt George Orwell zu, der, obwohl seit dem Spanischen Bürgerkrieg gesundheitlich schwer angeschlagen, seine Tätigkeit als Kriegsreporter nicht aufgeben will. „Kriege sind eine Aneinanderreihung schäbiger Kompromisse“ resümiert er seine Beobachtungen.

Rademachers Charaktere sind glaubwürdig und spannend. Ob Joe, der zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefangen, erfahren muss, dass nicht alles entweder Schwarz oder Weiß ist, Hilda, die kühle Schönheit, schwer durchschaubar nicht nur für Joe, Jakub, der vielseitig begabt, einmal zu oft auf seine „Chuzpe“ vertraut hat oder Irmgard Keun, eine unangepasste Überlebenskünstlerin, die scheinbar allen Widrigkeiten trotzt.

Das Erzähltempo ist eher gemächlich, die Spannung baut sich allmählich auf, aber gegen Ende des Romans, mochte ich nicht mehr mit dem Lesen aufhören.

Ich habe diesen Roman gern gelesen.Er hat mir diese Zeit näher gebracht, vor allem das Leben der Zivilbevölkerung, das mich besonders interessiert hat. Ihre Hoffnungen, Erfahrungen, Ängste, ihre pragmatischen Lösungen (Treibstoffbeschaffung), der alles bezwingende Überlebenswille.

Einiges war mir neu, wie die Ritchie Boys oder der Tunnel unter dem Rhein. Ich durfte den Fotografen Hermann Claasen kennenlernen und habe, neben anderen, auch sein historisches Foto der Madonna von St. Kolumba gefunden, die eine Rolle im Roman spielt.

Historische Ereignisse, raffiniert in eine fiktive spannende Ermittlung verpackt, dieses Konzept ist Cay Rademacher mit diesem Roman vortrefflich gelungen. Einmal mehr fand ich meine Meinung bestätigt, dass gut recherchierte Romane über die Kriegszeiten, zur besten Friedenspropaganda gehören.

Meine Leseempfehlung geht an alle, im Besonderen an die, die sich für Geschichte interessieren.

Bewertung vom 12.02.2025
Schneider, Inga

Ostsee, Klönschnack und ein Mord (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mit einer Petuhtante auf Mördersuche

Anni Gade ist eine sympathische, etwas verpeilte junge Frau, die noch nicht richtig weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Inzwischen hält sie sich mit Stadtführungen über Wasser. Während sie einer Gruppe Touristen Flensburgs Sehenswürdigkeiten zeigt, beobachtet sie zufällig einen heftigen Streit zwischen zwei angesehenen Unternehmern der Stadt. Am nächsten Tag sind beide Streithähne spurlos verschwunden. Wurden sie gekidnappt?

"Ostsee, Klönschnack und ein Mord - Anni Gade und die Fördemorde" ist der Auftakt einer neuen Cosy Crime-Reihe von Inga Schneider, die an der Flensburger Förde spielt. Es ist mein erstes Buch der Autorin.

Das farbenfrohe Cover und der Handlungsort Flensburg haben meine Aufmerksamkeit geweckt. Dass ich eine „Süßwassermakrele“ bin, hat sich schnell gezeigt. Den Begriff "Petuhtanten" musste ich gleich nachschlagen, obwohl ich zunächst von einem Druckfehler ausging - ist aber keiner. Insgesamt kam ich aber gut zurecht und habe das norddeutsche Flair sehr genossen. Ein bisschen fühlte es sich wie Urlaub an, mit Anni durch Flensburg zu flanieren. Über die Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten dieser Stadt wurde ich gut informiert.

Die Hauptcharaktere haben mich überzeugt. Anni war mir auf Anhieb sympathisch. Ihre Grübeleien und Selbstgespräche konnte ich gut nachvollziehen. Die junge Frau ist klug, neugierig und unternehmungslustig. Schade, dass ihre Akademikereltern das anders sehen, ihrer Jüngsten das abgebrochene Studium nachtragen und der Vater die perfekte ältere Tochter eindeutig vorzieht. Es spricht für Anni, dass sie trotzdem tapfer zum wöchentlichen Familienessen geht. Kommissar Jan Christiansen ist ganz anders gestrickt. Er wirkt anfangs ziemlich arrogant und überheblich, wie er den Provinzlern zeigen will, was ein Kommissar aus der Großstadt Hamburg ihnen alles voraus hat. Teilweise hat das wohl familiäre Gründe, weil er seine Scheidung noch nicht verdaut hat und um seine Tochter öfters sehen zu können, ins ungeliebte Flensburg ziehen musste. Auch Tipps zu bekommen, verträgt er schlecht, selbst wenn seine Ermittlungen davon profitieren. Gegen Ende des Krimis hatte ich aber den Eindruck, dass er doch lernfähig ist. Die anderen Charaktere bleiben noch etwas blass, aber das ist für einen Auftaktband nachvollziehbar. Ob Annis lebhafte Freundin Nele, Jans gemütlicher Kollege Boysen oder Mutter Gade, die das Familienessen für Kochexperimente nutzt, sie alle haben Potenzial. Inga Schneider schreibt klar und bildhaft und schafft eine glaubhafte Atmosphäre. Wie für Cosy Crime üblich ist das Erzähltempo gemächlich und der Kriminalfall nicht zu gruselig.

"Ostsee, Klönschnack und ein Mord - Anni Gade und die Fördemorde" war kurzweilig zu lesen und hat mich gut unterhalten. Ich freue mich schon auf Band zwei. Weil mir ein klein wenig die Verwicklungen fehlten, vergebe ich 4,5 von 5 Sternen.

Eine Leseempfehlung geht an alle, die Cosy Crime mit Lokalkolorit schätzen.