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urmeli

Bewertungen

Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 04.11.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Mit sehr gut recherchierten und fundierten Kenntnissen bringt uns Daniel Kehlmann die Welt der Filmschaffenden näher. Georg Wilhelm Pabst war in der Weimarer Republik ein angesehener und erfolgreicher Filmregisseur, sein Film „die freudlose Gasse“ brachte Greta Garbo den Durchbruch. In den 30er Jahren verließen immer mehr Künstler Deutschland und Österreich. Auch Pabst ging nun nach Hollywood, doch er blieb nicht lange. Die Geldgeber hatten das Sagen, er kam mit der Sprache und Kultur nicht zurecht. Da auch seine alte und demente Mutter Hilfe benötigte kam er mit Frau und Sohn wieder zurück. Mit Kriegsausbruch gab es keine Chance mehr auf Ausreise und der deutsche Film, der durch die wenigen noch verbliebenen Filmemacher und das Ausbleiben der amerikanischen Filme am Boden lag, musste mit aller Kraft am Leben erhalten werden. So geriet auch Pabst in die Propagandamaschinerie des dritten Reiches.
Wir erfahren viel über die Produktion eines Filmes, über Künstler und Regisseure der damaligen Zeit. Arrangiert man sich mit dem System, leistet man Widerstand oder wird man zum Täter, so wie Jakob, Pabst Sohn, der als Kind zum fanatischen Nazi wird. Oder wie Gertrude, Pabst Frau, die fast daran zugrunde geht.
Aus verschiedenen Perspektiven wird hier ganz hervorragend, teils mit kurzen Abschweifungen, die Zeit vor, während und nach Kriegsende die Welt des Filmemachens erzählt. Das Meisterwerk, das Pabst immer anstrebte ist Daniel Kehlmann gelungen.

Bewertung vom 04.11.2023
Meine Männer
Kielland, Victoria

Meine Männer


ausgezeichnet

Die 17-jährige Norwegerin Brynhild arbeitet als Magd auf einem Bauernhof und glaubt, der Hoferbe liebt sie. Als sie ihm freudig erzählt sie sei schwanger, tritt er sie, tötet das Kind in ihr und verletzt sie schwer an Körper und Seele. Dies ist der fiktive Beginn der Geschichte um die real existierende Massenmörderin. Sie verlässt in jungen Jahren Norwegen, ihre Schwester Nellie nimmt sie in Chicago auf und besorgt ihr eine Arbeitsstelle. Kurz darauf trifft Brynhild, die sich inzwischen Bella oder Belle nennt, auf den aus Norwegen stammenden Mats Sorenson. Sie erhofft sich Halt und Liebe bei ihm, sie heiraten und leben ein paar Jahre zusammen, bis Mats eines plötzlichen Herztodes erliegt. Durch den Tod ihres Mannes ist Belle nun vermögend, die Gerüchte des seltsamen Ablebens veranlassen Belle die Stadt zu verlassen und eine Schweinefarm in La Porte zu kaufen. Kurz danach heiratet sie erneut.
Der Schreibstil von Victoria Kielland hat mich stark beeindruckt. Man braucht erst ein paar Seiten um sich darauf einzulassen, dann wird man jedoch sogartig in die Handlung hineingezogen. Psychologisch hoch interessant weiß man als Leser nicht ob man Mitleid mit einer nach Liebe sehnenden Frau haben soll oder es sich um eine männermordenden Psychopathin handelt.

Bewertung vom 02.10.2023
60 Kilo Kinnhaken
Helgason, Hallgrímur

60 Kilo Kinnhaken


ausgezeichnet

Im zweiten Band der Reihe um den fiktiven Ort Segulfjördur im Norden Islands steht erneut Gestur im Mittelpunkt des Geschehens. Im Jahr 1906 ist er inzwischen 19 Jahre alt und seine Gedanken und bald auch Taten kreisen um das weibliche Geschlecht. Insgesamt ist das Leben und Lieben in dem Ort recht offenherzig, Leidenschaft ist wichtiger als Treue. Dafür kümmert man sich umeinander, so wie Lasi ein Ziehvater für den Waisen Gestur wurde, ist Gestur wie ein Vater für den kleinen, einäugigen Olgeir. Der Ort lebt vom Hering, man fährt mit Booten aufs Meer und folgt den Schwärmen. Jahrelang gab es gute Fangquoten und dieses zog ausländische Investoren an, größtenteils Norweger.
Das Leben der Isländer verändert sich, es werden stabilere Häuser gebaut, Fabriken, nach dem Telefon gibt es auch noch elektrisches Licht. Auch Gestur möchte an dem Fortschritt teilhaben und geht einen Deal ein.
Neben dem harten Leben der Isländer, dem Fang und Verarbeitung des Herings wird uns die Kultur und die Sagen näher gebracht. Vielleicht an manchen Stellen ein wenig zu ausschweifend. Hingegen gefällt mir ganz besonders der Schreibstil mit einer außergewöhnlichen Wortwahl und -findung.

Bewertung vom 02.10.2023
Das NABU-Vogelbuch
Mullen, Peter;Karwinkel, Fabian

Das NABU-Vogelbuch


ausgezeichnet

Das Buch über unsere heimische Vogelwelt ist optisch wie informativ eine Bereicherung. Bei der Einführung wird eine gelungene Gartengestaltung für mehr Vögel im eigenen Garten erläutert und wie wir für das Wohl der gefiederten Freunde sorgen können. Alle in unseren Breiten vorkommenden Vogelarten werden ausführlich mit Fotos und Grafiken beschrieben. Ihre Lebensweise, ihr Brutverhalten und ihr Lebensraum werden detailliert und leicht verständlich erzählt. Auch der Klimawandel und die Veränderungen die es für unsere Vögel bedeutet, werden angesprochen. Als ein besonderes Extra gefällt mir die herunter zu ladende Kosmos App mit den Vogelstimmen, die bei einer Bestimmung sehr hilfreich ist.
Das Sachbuch ist nicht gerade günstig, meiner Meinung nach den Preis auf jeden Fall wert. Die Aufmachung und Gliederung, die umfassende Beschreibung aller Vögel und viel Extrainformation außergewöhnlich gut gemacht.

Bewertung vom 02.10.2023
Die Butterbrotbriefe
Henn, Carsten Sebastian

Die Butterbrotbriefe


gut

Nachdem die fast 40-jährige Kati Waldstein ihre Mutter beerdigt hat beschließt sie, das sie ihr Heimatdorf verlassen will. Endlich mal nicht mehr fremdbestimmt sein, endlich frei und die Welt sehen können. Ihr Vater ist schon seit längerem tot, was sie von ihm noch besitzt ist ein heruntergekommenes, hoch verschuldetes Kino und eine Sammlung von gebrauchten Butterbrotspapieren. Diese nutzt sie nun für Abschiedsbriefe, die auch eine Abrechnung beinhalten. Bei ihrer Grundschullehrerin rechnet sie mit der Nichtempfehlung fürs Gymnasium ab, die sie ihrer Meinung nach verdient hatte. Ihrem Exmann liest sie seine Ignoranz vor, der Verkäuferin, wie sie selbstlos hilfsbereit war. Die Reaktionen, die sie erhält werfen ein völlig neues Licht auf ihre Mutter und wie diese in Katis Leben eingegriffen hat. Auch bei ihrer Berufswahl, sie arbeitet in der Stadtverwaltung, obwohl sie lieber Friseurin geworden wäre. Jeden Samstag verbringt Kati auf dem Wochenmarkt um Obdachlosen die Haare zu schneiden. Dort trifft sie auf Severin, der sich von der Welt zurückgezogen hat und nun durch Kati, die er für sein Schicksal hält, wieder am Leben teilhaben will.
Manche dieser Briefe und Personen wirken überzogen, nicht immer glaubhaft und das von der Mutter bestimmte Leben hätte Kati durchaus ändern können, wenn sie ernsthaft gewollt hätte. Alles wirkt ein wenig halbherzig, viel in schwarz-weiß Malerei. Zum Wegschmökern bestens geeignet, viel Tiefgang sollte man nicht erwarten.

Bewertung vom 02.10.2023
Wie ein Stern in mondloser Nacht
Sand, Marie

Wie ein Stern in mondloser Nacht


sehr gut

Henni Bartholdy ist eine intelligente junge Frau, sie besucht das Gymnasium. Sie lebt im Berlin der 50er Jahre mit ihrer als Putzfrau arbeitenden Mutter und ihrem kleinen, lungenkranken Bruder. Als sie ihre Mutter bei der Putzstelle der von Rothenburgs vertreten musste, traf sie auf Ed, etwas älter als sie, der sich benahm wie ein reicher Schnösel, doch mit der Zeit wurden die aus so unterschiedlichen Schichten angehörenden ein Paar. Bis Henni schwanger wurde und das Kind nicht geboren werden durfte und Ed nach Cambridge zum Studium verschwand. Für Henni stand nun fest, sie wollte Hebamme werden. Nicht alle Mütter freuten sich auf ihre Kinder, immer wieder fand man Neugeborene tot in einer Mülltonne. Henni will etwas tun, gegen das Leid der Mütter und die vielen toten Babys.
Im Jahr 2000 ist die Journalistin Liv auf der Suche nach ihrer eigenen Vergangenheit, sie wurde adoptiert und vermutet, das ihr Leben mit dem von Henni zusammenhängt.
Die Unterdrückung der Frauen, Männer, die über das Leben der Frauen bestimmten und wie sie zu gebären hatten, bestimmt diesen Roman, um Kinder, nach denen man sich sehnt und solchen, die unerwünscht sind, man sich jedoch strafbar macht, wenn man sie weggibt. Ein hochinteressantes Thema, die nur durch die Liebesgeschichte mit Ed manchmal etwas kitschig wurde.

Bewertung vom 19.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


sehr gut

Der Krieg ist längst zu Ende, die Männer noch nicht zurück. Die Freundinnen Anni und Edith haben all die Jahre ihre Höfe, ihr Leben und das der Kinder über Wasser gehalten. Edith, die seit 9 Jahren nichts mehr von Otto gehört hat und ihn für tot hält, hat sich neu verliebt. Nun meldet sich der Suchdienst, Otto kommt zurück. Der kriegsversehrte Mann kannte seinen Namen nicht mehr, einzig der Ehering in der Tasche sagte ihm, wer er sei. Erst als er Edith und Anni sieht, merkt er, dass etwas nicht stimmt. Er ist Josef, Annis Mann und der durch einen Geburtsschaden behinderte Willi ist sein Sohn. Er fühlt sich aber auch zu Edith hingezogen. Für Anni ist klar, das kann nur Hexerei sein. Die Freundschaft zerbricht und sie zieht den Heilkundler, den Spökenfritz zu rate, wie man gegen das Unheil vorgehen kann. Parallel zu dieser Handlung erzählt die alte Guste Ediths Tochter Betty von den Mythen und Geschichten aus dem Moor. Ein paar Jahre nach Kriegsende will auch der Ort Unnenmoor an dem Fortschritt teilhaben, das Moor soll trockengelegt werden.
Der Roman schildert eindrucksvoll das Leben in dem kleinen Ort, jeder kennt jeden und im Moor gab es schon immer seltsame Begebenheiten und Geschichten, Hexen und Verhexte. Der Schreibstil gefällt mir sehr gut.

Bewertung vom 19.09.2023
Der Trip - Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.
Strobel, Arno

Der Trip - Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.


sehr gut

Seitdem vor zwei Jahren ihr Bruder Fabian und dessen Frau auf einer Wohnmobilreise durch Frankreich spurlos verschwunden sind, hat sich das Leben von Evelyn Jancke grundlegend geändert. Tagsüber ist sie weiterhin als forensische Psychologin tätig, der Abend jedoch gehört nun dem Alkohol und einmaligen Sex mit unbekannten Männern. Mit ihren vorherigen Liebhaber, dem Hauptkommissar Gerhard Tillmann verbindet sie nun noch eine Freundschaft. Als im Oldenburger Bereich Morde auf Campingplätzen geschehen arbeiten beide zusammen. Ein Zeuge hat den Täter gesehen, das Phantombild deutet auf Fabian hin, Evelyn will daran glauben, doch dann wäre ihr liebevoller Bruder ein gewissenloser Mörder. Durch viele Unstimmigkeiten zweifelt Evelyn erst an ihrem eigenen Verstand, später an der Loyalität Tillmanns. Wem kann sie glauben? Es bleibt ihr nichts anderes übrig, sie muss selbst nach dem Täter oder Bruder suchen.
Die Taten selbst werden nur angedeutet und dennoch setzen sie ein erschreckendes Kopfkino frei. Evelyns Notlage, was ist wahr, was nur erdacht, lässt einen selbst miträtseln. Spannend.

Bewertung vom 19.09.2023
Die letzte Nacht / Georgia Bd.11
Slaughter, Karin

Die letzte Nacht / Georgia Bd.11


sehr gut

Dr Sara Linton hat zufällig Dienst in der Notaufnahme des Krankenhauses als die 19-jährige Dani Cooper eingeliefert wird. Es sieht nach einem Autounfall aus, doch Dani flüstert Sara zu, das sie unter Drogen gesetzt wurde und vergewaltigt wurde. Versprechen sie mir, stoppen sie ihn! Sara hält noch Danis Herz in der Hand, aber sie kann sie nicht mehr retten. Ihr bleibt nur für Gerechtigkeit zu sorgen. Das Auto und weitere Spuren führen zu Tom McAllister, mit dessen Vater sie zusammen Medizin studiert hatte. Dieser hatte damals den hoch dotierten und anspruchsvollen Job bekommen, der Sara versprochen wurde. Als sie vor 15 Jahren selbst brutalst vergewaltigt wurde, sie keine Kinder mehr bekommen konnte und sich mühsam wieder ins Leben zurückgekämpft hatte, trat sie von der Stelle zurück. Nun, im Gerichtsprozess wird ihre Aussage als Neid ausgelegt. Mit Hilfe ihres Verlobten, Cop Will Trent und dessen Partnerin Faith versuchen sie selbst, Beweise zu finden und stoßen auf weitere vergewaltigte und misshandelte Frauen.
Der Thriller ist sehr umfangreich und mit vielen Personen und Handlungssträngen versehen. Darunter leidet ein wenig die Spannung. Die Brutalität ist erschreckend, die Auflösung des Falles hat ein paar kleine Schwächen. Der Schreibstil gefällt mir sehr gut, die Qualen und der Umgang mit einer Vergewaltigung auch Jahre und Jahrzehnte später werden berührend erzählt.

Bewertung vom 19.09.2023
Spiel auf Leben und Tod / Fräulein vom Amt Bd.3
Blum, Charlotte

Spiel auf Leben und Tod / Fräulein vom Amt Bd.3


sehr gut

Baden-Baden war im Jahr 1925 eine bedeutende Kurstadt, Reiche und Prominente waren dort anzutreffen. Nun steht ein wichtiges Schachturnier an, die großen Strategen treffen sich und bewohnen die namhaften Hotels der Stadt. Im Trubel des Geschehens wird die Telefonist Ama Täuber von ihrer Kollegin Friederike beauftragt, den von der Polizei als Unfall oder Selbstmord abgelegten Tod ihrer Cousine Gertrude zu untersuchen. Schließlich hat sie bereits vorab Erfolge mit ihren ungewöhnlichen Ermittlungen erzielt. Das eine junge Wäscherin in einer Waschmaschine ums Leben kommt ist für die Polizei nicht so wichtig wie die Aufklärung der vielen Diebstähle in den Hotels. Kommissar Ludwig Schiller, mir dem Alma privat liiert ist, unterstützt sie. In manchen Situationen ist Alma zu blauäugig und bringt sich selbst in große Gefahr.
Die Auflösung des Kriminalfalls ist eine Seite dieses Romans, die zweite und für mich spannendere ist die Beschreibung des Lebens zur damaligen Zeit. Almas Wunsch nach einem gemeinsamen Leben mit Ludwig steht ihr Wille nach Unabhängigkeit, ihrem eigen verdienten Geld als Telefonistin gegenüber. Als Verheiratete darf sie dort nicht mehr arbeiten. Ihre Freundin Emmi Wolke hat es zur Filialleiterin eines Blumengeschäfts gebracht, doch wie geht es für Alma weiter? Die technischen Neuerungen, alles rund ums Schachspiel, der aufkommende Nationalsozialismus und die allgemeine Lebenssituation stehen im Mittelpunkt dieser dritten Geschichte um Alma Täuber. Sehr gut recherchiert und geschrieben.