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FrauSchafski

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 03.10.2019
DIE WAHRHEIT
Raabe, Melanie

DIE WAHRHEIT


gut

Die Wahrheit ist nicht immer das, was sie zu sein scheint

Der Plot des Romans klingt grauenvoll. Der plötzlich verschwundene und tot geglaubte Ehemann kehrt nach Jahren zurück, doch die Person, die vor dir steht, ist nicht dein Mann. Und nun bist du gezwungen, mit dem Fremden in einem Haus zu leben. Dass da sehr widersprüchliche Gefühle im Spiel sind, ist nicht verwunderlich. Melanie Raabe hat diesen Zwiespalt hervorragend umgesetzt. Das Innenleben ihrer Figuren ist authentisch und nachvollziehbar. Als Leser*in wird man so sehr in die Köpfe der Protagonisten hineinversetzt, dass man nicht in der Lage ist, Distanz aufzubauen, sondern ihre Sicht der Dinge völlig annimmt. Damit spielt die Autorin gekonnt, das überraschende Ende würde anders nicht funktionieren. Denn ganz wie der Buchtitel prophezeit, geht es um „die Wahrheit“ - nur dass eine Wahrheit eben nicht immer das ist, was sie zu sein scheint. Viel mehr lehrt uns dieser Roman, dass Wahrheit in erster Linie das ist, was wir für wahr halten wollen, ohne andere Perspektiven zuzulassen.

Bis hierhin klingt das richtig gut, oder? Leider gibt es auch durchaus eine ziemlich große Schwachstellen. Wie gesagt, versetzt uns Melanie Raabe mitten in die Köpfe der Protagonisten, die meiste Zeit in den Kopf der Ehefrau Sarah. Nur leider verliert sie uns dort auch zwischenzeitlich. Denn Sarah wälzt in endlosen Dauerschleifen die immer selben Fragen und Empfindungen hin und her. Das mag zwar in einer solchen Situation absolut der Realität entsprechen, jedoch ist das wenig förderlich für den Handlungsverlauf. Während Sarah also fast verrückt wird über ihr Nachdenken, wird es der Leser vor Ungeduld. Über mehr als hundert Seiten geht es nicht voran - es ist gelinde gesagt frustrierend. So wird der Roman leider, leider über eine große Strecke zu einer wirklich zähen Veranstaltung.

Fazit: Das Ende reißt vieles wieder raus, sodass trotz der großen Längen insgesamt ein ordentliches Buch übrig bleibt, das immerhin 3/5 Sternen verdient hat.

Bewertung vom 15.09.2019
Der Metropolist
Fried, Seth

Der Metropolist


weniger gut

Ein „Klemmi“ auf Abwegen

Im Fall von „Der Metropolist“ dachte sich der Verlag, er weckt bei der Beschreibung seines Buchs Assoziationen zu einem der Kultfilme schlechthin: Pulp Fiction. Das damit die Erwartungen an den Inhalt ins schier Unermessliche steigen, wird in diesem Fall zum Problem.

Wenn ich an Pulp Fiction denke, dann habe ich vor allem schräge, aber einprägsame Charaktere im Kopf, knackige, teils ausufernde, aber immer auch witzige Dialoge und nicht zuletzt eine raffiniert aufgebaute und ineinander verschachtelte Story. Allerdings kommt das, was ich in diesem Buch vorgefunden habe, nicht einmal Ansatzweise an den Kultfilm ran. Schon der Einstieg war furchtbar zäh. Der Protagonist Henry ist ein „Klemmi“, wie er treffenderweise bezeichnet wird. Nun ist ein solcher Status tatsächlich die beste Grundlage für eine rasante Weiterentwicklung, das gebe ich gerne zu. Aber es ist wirklich nicht notwendig, diesen Umstand über fast ein Drittel des Buches mit gähnend langweiligen Fachsimpeleien über Stadtplanung, Verwaltungsarbeit und Lokomotiven auszuführen. Als schließlich endlich etwas Bewegung in die Handlung kommt, wird dies mit dem Auftauchen der künstlichen Intelligenz OWEN gefeiert. (Warum dieser Name durchgehend großgeschrieben wird, ist mir ein Rätsel, denn die Abkürzung, für die die Buchstaben potenziell stehen könnten, wird nirgendwo erläutert.) OWEN soll nun Klemmi Henry und seinen total wichtigen Auftrag (rette die Stadt) aufmischen. Allerdings verstehe ich darunter nicht, einen Kalauer an den anderen zu reihen, währenddessen zu saufen und mit möchtegern-komischen Projektionen aufzuwarten. Hinzu kommt, dass dabei eine unlogische Sache auf die nächste folgt, Dinge als gegeben hingenommen werden, die völlig hirnrissig sind, und zugunsten des „Irgendwie müssen wir ja jetzt aus der Sache wieder raus kommen“ die Handlung immer haarsträubender und konstruierter wird. Mehrmals stand ich kurz davor, das Buch abzubrechen, weil es mir schlichtweg zu dämlich wurde. Doch letztlich habe ich dann doch bis zum Ende durchgehalten, was mich nur bedingt versöhnen konnte.

Fazit: Der Verweis auf Pulp Fiction hat meine Meinung zum Buch zusätzlich geschmälert. Dadurch konnte ich Handlung und Charaktere nicht mehr neutral betrachten, sondern verglich sie unweigerlich ständig mit dem angeblichen filmischen Äquivalents - und da konnte „Der Metropolist“ quasi nur verlieren. Dieser Marketingkniff ging für mich also völlig in die Hose, weswegen ich nur 2/5 Sternen vergebe.

Bewertung vom 08.09.2019
Rachesommer / Evelyn Meyers & Walter Pulaski Bd.1
Gruber, Andreas

Rachesommer / Evelyn Meyers & Walter Pulaski Bd.1


sehr gut

Da ist jemand auf Rachefeldzug

Wie der Autor selbst auf seiner Webseite anmerkt, gehört es zu den Merkmalen seiner Thriller, dass es immer zwei Fälle gibt, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, sich im Laufe der Handlung jedoch miteinander verbinden. Das beinhaltet auch eine durchaus komplexe Struktur, die dadurch Spannung kreiert, dass man selbst keine Ahnung hat, was das eine denn nun mit dem anderen zu tun hat. Während man noch grübelt, steckt man schon mittendrin und kann nicht mehr aufhören zu lesen. Allerdings sollte man nicht zu zart besaitet sein, denn die Geschichte, die sich hinter den scheinbar unzusammenhängenden Morden entspinnt, geht ganz schön an die Nieren. Gruber hat außerdem ein Händchen für sympathische Ermittlerfiguren. Diese kommen zwar nicht ganz ohne Klischees aus, sind aber dennoch stimmig. Zwar werden die Grenzen des Erlaubten immer wieder sanft überdehnt (ich frage mich oft, wie sich das in der Realität verhalten mag), aber immerhin neigen die Figuren nicht zu übertriebenen Gewaltausbrüchen, damit tue ich mich nämlich ziemlich schwer. Psychiatrien als Handlungsorte finde ich übrigens jedes mal gleichermaßen faszinierend und gruselig, vielleicht geht es euch auch so? Die menschliche Psyche ist schon zu ganz schön abgefahrenen Dingen in der Lage - ein Wunder, dass wir nicht schon längst alle völlig gaga sind ;)

Fazit: Lange Rede, kurzer Sinn: Der Thriller war genau das richtige Buch, um es in einem Tag zu verschlingen. Spannend, kurzweilig, nicht zu oberflächlich oder actionlastig, eine ausgewogene Mischung. Die Ermittlerfiguren mögen dem ein oder anderen Klischee entsprechen, sind aber durchaus entwicklungsfähig. Von mir bekommt dieser Reihenauftakt daher knappe 4/5 Sterne.

Bewertung vom 07.09.2019
Licht und Schatten
Drvenkar, Zoran

Licht und Schatten


ausgezeichnet

Es war einmal ein Mädchen …

Allein das geheimnisvolle „Leuchten“ des Covers hat mich magisch angezogen. Da hat der Verlag wirklich gute Arbeit geleistet, denn Bildgebung und Gestaltung des Covers gehen Hand in Hand mit der Geschichte. Insbesondere die feinen losen Fäden, die sich vom Cover durch das ganze Buch ziehen, greifen das zentrale Thema auf: Alles hängt zusammen, alle Fäden vereinen sich irgendwann in einem Band. Warum mich dieses Buch so sehr begeistert hat, kann ich gar nicht richtig greifen. Manche Effekte, die auf einer so subjektiv empfundenen Gefühlsebene wirken, müssen vielleicht auch gar nicht seziert und unter die Lupe genommen werden. Fest steht, dass die Liebe, die der Autor in seine Figuren und die Szenerie, in der sie handeln, gesteckt hat, für mich regelrecht spürbar war. Nichts ist hier dem Zufall überlassen, alles folgt einem durchdachten Plan.

Drvenkars Sprache ist einfach verständlich, aber gleichzeitig unheimlich bildgewaltig und allegorisch. Anlehnungen an Figuren der Antike, alte Göttersagen finden sich zuhauf. Und über allem schwebt der philosophische Gedanke, dass alles auf der Welt seine Bestimmung hat, jeder Tod und jedes Leben einem übergeordneten Sinn im Lauf der Zeit folgt. Das Ende hat mich kalt erwischt, schockiert und sehr traurig gemacht. Doch auch das fügt sich mit etwas Abstand ganz wunderbar in die Gesamtphilosophie des Buches, sodass es nur so kommen konnte, wie es letztlich endete.

Fazit: Vermutlich wird das Buch diesen Effekt nicht bei jedem*r Leser*in hervorrufen. Aber für mich ist dieses Buch mit das besonderste seit langer Zeit, weil es mich emotional in die Zeit versetzt hat, als ich die ersten Bücher für mich entdeckt habe. Darum vergebe ich emotionale 5/5 Sterne.

Bewertung vom 25.08.2019
Die letzte Frau / Eve of Man Bd.1
Fletcher, Tom;Fletcher, Giovanna

Die letzte Frau / Eve of Man Bd.1


sehr gut

Das Mädchen im gläsernen Turm

Die Grundidee ist tatsächlich sehr schnell umrissen:
Keine Mädchen mehr = Menschheit in Panik
Ein einziges Mädchen wird geboren = Retterin der Menschheit
So einfach, so logisch, wer denkt schon darüber nach, dass eigentlich den Frauen die Herrschaft über die Menschheit gehört, sind sie es doch, die unser Fortbestehen sichern. An diesem Punkt wunderte ich mich. Warum ist es in dieser technisch so weit entwickelten Zukunft nicht möglich ist, Babys (Mädchen) im Reagenzglas zu züchten? (Unabhängig von der Frage, ob man das tun sollte.) Lange Zeit trübte das meinen Eindruck von der sonst wirklich gut durchdachten Story, sollten die Autoren tatsächlich so einen grundlegenden Aspekt übersehen haben? Nein, das haben sie natürlich nicht, die Regeln, nach denen dieses Welt funktioniert sind stimmig, ein Punkt, der für mich durchaus Qualitätsentscheidend ist.

Was in diesem Fall auch zur Qualität des Buches beiträgt: Die beiden Hauptprotagonisten Eve und Bram sind abwechselnd Erzähler. Eve in ihrem „gläsernen Turm“, abgeschirmt von der Außenwelt, und Bram „draußen“ - wobei hier draußen nicht gleich draußen ist, was zu erklären jedoch die Handlung zu weit vorweg nehmen würde. Das bedeutet einerseits, dass wir Leser unterschiedliche Perspektiven vermittelt bekommen, und gleichzeitig, dass wir das Innenleben beider Figuren, ihre Gedanken, Emotionen und inneren Konflikte gut nachvollziehen können. Damit wären wir also schon bei Pluspunkt zwei. Pluspunkt drei ist der Erzählstil, der schnörkellos, mit einer nüchternen Bildersprache die Welt wie einen Film vor dem inneren Auge entstehen lässt. Müsste ich dieses Buch verfilmen, hätte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie es aussehen müsste. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es irgendwann auf die Leinwand kommt.

Getrübt wird mein positiver Eindruck allerdings etwas durch die teils steifen Dialoge, die zum Teil eher der Kategorie „nichtssagender Smalltalk“ angehören. Außerdem bedient sich der Handlungsverlauf durchaus bewährter Ideen, sodass ich das Gefühl hatte, die ein oder andere Szene bereits zu kennen.

Fazit: Insgesamt ist das dennoch ein vielversprechender Auftakt der dreiteiligen Dystopie, der vor allem durch seine Grundidee und Bildsprache besticht. Für ein Jugendbuch auf alle Fälle überraschend tiefgründig.

Bewertung vom 11.08.2019
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Dicker, Joël

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert


sehr gut

Beschimpft und verehrt

Es gibt durchaus eher wenige Bücher, die dem um sie gemachten Hype auch wirklich gerecht werden. Meist kommt es mir so vor, als würde der eine dem anderen nach dem Mund reden und etwas toll finden, weil alle es toll finden. Genau mit dieser Haltung fing ich an, dieses Buch zu lesen. Oh, ihr könnt mir glauben, es hat Einiges von mir abverlangt. Zwischenzeitlich habe ich es verachtet, darüber geflucht und kopfschüttelnd beobachtet, was darin passiert. Ich war so kurz davor, es abzubrechen, weil es mir über lange Strecken vorkam wie eine billige Seifenoper, schön verpackt im Outfit eines Bestsellers. Stereotype Figuren, Dialoge, so gestelzt und gekünstelt, dass mir die Haare zu Berge standen. Nola, eine Figur, die mir von Anfang bis Ende nicht hätte ferner sein können mit ihrer selbstaufopfernden Vergötterung für Harry. Doch dann entschied ich, dass ich mir nur ein echtes Urteil bilden könne, wenn ich das gesamte Buch gelesen habe.

Tja, und jetzt bin ich erbost darüber, weil ich eingestehen muss, dass Herr Dicker ein echter Fuchs ist. Der Aufbau der Geschichte, die Entstehung des Buchs im Buch als Buch – das ist schon abgefahren gut. Denn es verwischt Grenzen, Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Schüler und Meister, Schein und Sein, Grenzen zwischen Schund und künstlerischer Brillanz. Er stellt sich der Frage, was einen guten Schriftsteller ausmacht und zeigt ebenso die Umsetzung dessen. Das machte diesen Roman gleichzeitig oberflächlich und unwahrscheinlich tiefgründig, ebenso wie es mich als Leserin zunächst verärgert und schlussendlich dann doch überzeugt hat. So konträre Gefühle hatte ich bisher noch bei keinem Buch. Darüber bin ich tatsächlich immer noch empört und fühle mich fast, wie einer der klischeehaften Figuren in Dickers Buch.

Fazit: Eigentlich kann ich keine sinnvolle Sternebewertung vornehmen, weil ich diesem Roman so zwiegespaltene Gefühle entgegen bringen. Letztlich einige ich mich mit mir selbst auf 4/5 Sterne mit dem Hinweis, dass man dieses Buch erleben muss, um sich eine Meinung zu bilden.

Bewertung vom 28.07.2019
R.I.P. / Kommissar Huldar Bd.3
Sigurdardóttir, Yrsa

R.I.P. / Kommissar Huldar Bd.3


ausgezeichnet

Cybermobbing bedeutet, du kannst dich nirgendwo verstecken

Bisher ist die Thrillerreihe um Huldar und Freyja ein Garant für „Ein-Tag-ein-Buch“-Momente. Jedes von ihnen habe ich in einem Rutsch weggelesen und auch der nun dritte Teil machte da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil möchte ich sogar behaupten, dass es der bisher beste Teil ist. Grundlage dafür sind unter anderem die Figuren, die so herrlich normal sind. Keine extremen psychischen Störungen oder plakativ kauzigen Verhaltensweisen, sondern ganz normale Menschen mit ganz normalen Alltagsproblemen, die sich mühelos in den Kriminalfall einfügen. Hinzu kommt, dass die Autorin es versteht, ihre Handlung in die teils faszinierende, teils unwirtliche Natur Islands einzubetten, und deren Atmosphäre einfängt und für ihre Zwecke nutzen kann. Was diesen Teil aber so besonders macht, ist das Thema, das dem Kriminalfall seine Grundlage gibt: Mobbing bzw. die „moderne“ Variante Cybermobbing.

Ich weiß ja nicht, wie es Euch geht, aber ich vermute, viele haben die ein oder andere Form des Mobbings selbst schon erlebt, vielleicht als Täter, vielleicht als Opfer oder „nur“ als unbeteiligte Beobachter. Fest steht, dass diese Form der Gewalt durch die Sozialen Medien ein neues Level erreicht hat und dadurch zu einem noch größeren Problem für Betroffene wird. Denn diese können sich nirgendwo mehr der Anfeindungen entziehen. Indem die Autorin diese Thematik ins Zentrum ihres Thrillers stellt, gelingt es ihr, die Mechanismen, die hinter Mobbing stehen, aufzudecken, und das aus Opfer wie aus Tätersicht. Durch ihre Figur Freyja, die Kinderpsychologin ist, kommen wie selbstverständlich auch noch psychologische Hintergründe hinzu, sodass die Thematik aus vielen Facetten beleuchtet wird. Als Leser erhält man also diverse Informationen, um sich selbst eine Meinung zu bilden, und wird angeregt, sich weiter mit der Thematik zu beschäftigen. All das wird so mühelos mit dem Fall verknüpft, dass die Sensibilisierung der Leser wie von selbst geschieht. Spannung ist garantiert und die Auflösung lässt sich vielleicht erahnen, tut dem großen Ganzen aber keinen Abbruch. Einzig der Bezug des Titels zur Handlung finde ich nicht so ganz einleuchtend, aber das geht schätzungsweise auf das Konto der Marketingstrategie der gesamten Reihe.

Fazit: Das sind die wirklich guten Thriller. Wenn es eben nicht nur um billige Effekte, Mord und Totschlag geht, sondern ein gesellschaftlich relevantes Thema einbezogen wird. Fügt es sich dann noch so mühelos mit vielen, vielen Hintergrundinformationen in die Geschichte ein, wir es zu einem echten Lesevergnügen, das von mir entsprechend mit 5 Sternen belohnt wird.

Bewertung vom 21.07.2019
Pandemie / Extinction Bd.1
Riddle, A. G.

Pandemie / Extinction Bd.1


gut

Da hilft keine Grippeimpfung

Zwei Erkenntnisse möchte ich gleich an den Anfang stellen. Erstens: „Pandemie“ hat zwar maßgeblich mit dem Ausbruch eines (noch unbekannten) Virus zu tun, aber das ist nur der vordergründige Plot, dahinter steckt noch einiges mehr. Zweitens: Diese knapp 800 Seiten sind nur der Auftakt einer Reihe, was mich, um ehrlich zu sein, etwas schockiert hat. Andererseits baut der Autor auf diesen 800 Seiten ein so kompliziert verfochtenes Handlungskonstrukt auf, dass ich mich schon wunderte, wie er das alles wieder auflösen will. Antwort: Er löst es (noch) nicht auf, jedenfalls nicht komplett. Immerhin muss man ihm zugute halten, dass er keinen monströsen Cliffhanger ans Ende stellt, sondern den Leser zumindest einigermaßen befriedigt aus diesem ersten Teil verabschiedet. Davor passiert viel, fast zu viel. Der Autor hat sich eine Menge vorgenommen und insgesamt sorgsam recherchiert. So sorgsam, dass die ersten 150 Seiten gespickt sind von Abkürzungen mit zugehöriger Beschreibung der nationalen und internationalen Organisationen, die beim Ausbruch einer Pandemie beteiligt sind, dass ich erst einmal völlig lost war. Danach löste sich endlich ganz langsam der Nebel und ich konnte der Story folgen, die ab da entsprechend auch durchaus spannend wurde. Erzählerisch ist das ganze sehr eng an die Geschichte der beiden Hauptprotagonisten, Desmond und Peyton, geknüpft, deren Werdegang wie nebenbei zum zentralen Dreh- und Angelpunkt wird. Wo war nochmal die Pandemie? Wen wundert es da, dass sich die partielle Auflösung nicht allein der Rettung der Menschheit widmet, sondern mit viel Pathos auch die beiden zentralen Figuren involviert sind. Typisch amerikanisch, möchte ich meinen, und ebenso ziemlich schmalzig. Positiv überrascht hat mich dennoch die Vielseitigkeit der Handlung, die sich eben nicht nur um die Bekämpfung und Eindämmung des Virus dreht, sondern über die vielen hundert Seiten ein ganzes Ursachenkonstrukt erdenkt.

Fazit: Jap, ein Monstrum von Virus, Handlung und amerikanischem Weltrettungspathos. Aber auch gut recherchiert, technisch spannend und erzählerisch über weiter Strecken prima lesbar. Ein Wälzer, der unter die Kategorie „Tut nicht weh, muss aber auch nicht sein“ fällt und daher von mir gute drei Sterne bekommt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.07.2019
Der Report der Magd
Atwood, Margaret

Der Report der Magd


ausgezeichnet

Hinter den Scheuklappen

Es gibt Bücher, die schon vor dem Lesen eine Art Aura von Ehrfurcht in mir auslösen. Meist sind das Klassiker der Weltliteratur von Autor*innen, die sich einen Platz in den Annalen der Literaturgeschichte erkämpft haben. Solche Bücher zu Rezensieren, sehe ich mich quasi außer Stande. Wie kann ein so kleines unwissendes Licht sich an die großen Werke herantrauen und es auch noch wagen, eine Bewertung derselbigen auszusprechen? Da hilft nur eins - etwas Abstand von der Ehrfurcht gewinnen und versuchen, im Ansatz Leseeindrücke zusammenzufassen und wiederzugeben.

„Der Report der Magd“ war mein erstes Buch von Margarete Atwood und es hat viel zu lange auf dem SuB gelegen, viel zu lange habe ich gewartet, um den Einstieg in das Werk der Autorin zu wagen. Denn sie ist brillant - und zu dieser Ansicht komme ich bereits nach der Lektüre nur eines ihrer Bücher. Das darin beschriebene Gesellschaftssystem scheint zeitlich gesehen bereits morgen genau so umsetzbar zu sein und beinhaltet dennoch Ansätze, die ebenso gut aus dem Mittelalter stammen könnten. Solche Gegensätzlichkeiten ziehen sich durch die gesamte Geschichte und bilden ein irritierendes, bigottes Konstrukt. Atwood zeichnet eine patriarchalische Gesellschaft, in der Frauen gleichermaßen unterdrückt und zum wichtigsten Gute der menschlichen Rasse erhoben werden aufgrund ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären und somit den Fortbestand zu sichern. Diejenigen unter ihnen, die noch fruchtbar sind, werden den reichen, bedeutenden Herren als Magd unterstellt und haben ihnen zum Zweck der Fortpflanzung zur Verfügung zu stehen. Dieser Akt an sich erfolgt anhand eines festgelegten Rituals, das jegliche sexuelle Empfindung oder gar Befriedigung der Frau unterbindet. Generell ist Vergnügen in dieser Gesellschaft nicht gern gesehen, stattdessen pflegen die Menschen eine manische Religiosität, die gleichzeitig auch Legitimierung und Quelle des vorherrschenden Wertesystems ist. Vor diesem Hintergrund folgen wir der Stimme von Desfred, einer Magd, die uns an ihren Empfindungen teilhaben lässt. In ihr spiegeln sich Unterdrückung und Auflehnung, Resignation und Wut, Vorher und Nachher. Denn Desfred kennt das „Vorher“ und weiß um die Freiheit, die sie verloren hat. Sie ist die Stimme in unserem Kopf, die uns gleichsam zu Unterdrückten macht, ohne dass wir genau sagen könnten, wie es denn so weit hat kommen können. Sie ist die Feministin des Romans, ohne dass sie darum weiß. So unvermittelt, wie wir in die Handlung hineingeworfen werden, so unvermittelt fallen wir auch wieder hinaus. Denn der Report umfasst - wie es die Textsorte nun einmal will - nur einen kleinen Teilbereich der ganzen Geschichte. Was davor geschah oder danach geschehen wird, obliegt allein der Fantasie der Leser.

Fazit: Es ist nicht möglich, alle Facetten des Romans beim ersten Lesen zu erfassen. Atwood schreibt so vielschichtig und tiefgründig, dass zwar jeder diese Geschichte lesen kann, doch bei Weitem nicht jeder sie verstehen wird. Dennoch ist „Der Report der Magd“ eines der Bücher, über das sich jeder selbst eine Meinung bilden sollte. Ich vergebe 5 Sterne, einfach weil dieses Buch 5 Sterne bekommen muss und meine subjektive Meinung eigentlich keine Rolle spielt.

Bewertung vom 07.07.2019
Krieg der Städte / Mortal Engines Bd.1
Reeve, Philip

Krieg der Städte / Mortal Engines Bd.1


gut

Wenn Städte in die Lüfte gehen, muss das gut begründet sein

Mortal Engines wurde ebenfalls zur Urlaubslektüre auserkoren und schien von der Thematik her eine kurzweilige spannende Sache zu werden. Aufmerksam bin ich auf die Reihe durch den Filmtrailer geworden, denn Peter Jackson hat den ersten Teil im vergangenen Jahr auf die Leinwand gebracht. Ich habe es zwar nicht in den Film geschafft, mir dafür aber zeitnah das Buch besorgt. Denn die Mischung aus Fantasy und Steam-Punk-Elementen ist auf Anhieb schon sehr ansprechend, sodass ich auf eine faszinierende Geschichte in Jules-Vern’scher Tradition hoffte. Vermutlich habe ich damit die Messlatte sehr hoch angesetzt, denn diesen großen Fußstapfen wird Autor Philip Reeves leider nicht gerecht.

Wobei die Idee, die hinter seinen Romanen steckt, schon ziemlich abgefahren ist. Städte, die sich mittels komplizierter Technik in die Lüfte erheben und jederzeit dorthin ziehen können, wo gerade die besten Rohstoffe zu bekommen sind. Allerdings bedeutet das in diesem Fall konkret, dass die Rohstoffe aus anderen, kleineren Städten gewonnen werden, die von den großen Städten einfach aufgefressen werden, ohne Rücksicht auf Verluste. Begründet wird dies im Roman mit dem sogenannten „Städtedarwinismus“, der ganz in der Tradition von Darwins Evolutionstheorie besagt, dass der Stärkere den Schwächeren frisst. Was mir bei diesem verrückten Gedankenkonstrukt leider gefehlt hat, war eine plausible Erklärung, warum dieser „Städtedarwinismus“ überhaupt entstanden ist und welche Notwendigkeit die Städte dazu getrieben hat, diesen immensen maschinellen Aufwand zu betreiben, um sie in die Lüfte zu erheben. Für meinen Geschmack werden diese Dinge zu sehr als gegeben erachtet. Klar hat fantastische Literatur immer ein eigenes Werstesystem und eigene Regeln, nach denen die jeweils erschaffene Welt funktioniert. Wenn jedoch eine Geschichte als langfristige Konsequenz aus unserer heutigen Realität daherkommt, erwarte ich schon eine plausible Erklärung, warum sich alles so entwickelt hat. Das Fehlen einer solchen hat in diesem Fall leider dazu geführt, dass ich dem Roman nicht so viel abgewinnen konnte. Hinzu kam eine Handlung, die mich nur bedingt gefesselt hat, weswegen ich tatsächlich keine Ambitionen habe, die nächsten Teile zu lesen.

Fazit: Eine faszinierende Idee, die an ihrer dünnen und wenig plausiblen Erklärung krankt. Zusammen mit der doch sehr mittelmäßigen Story, komme ich gerade einmal mit viel Goodwill auf drei Sterne.