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Bewertungen
Insgesamt 377 BewertungenBewertung vom 10.08.2023 | ||
Samson und das gestohlene Herz REZENSION – Im Roman „Samson und das gestohlene Herz“, dem im Juli beim Diogenes Verlag erschienenen zweiten Band der satirischen Krimireihe des ukrainischen Schriftstellers Andrej Kurkow (62), muss sich der im postrevolutionären Jahr 1920 in Kiew lebende Ermittler Samson mühsam mit einem Fall illegalen Fleischhandels herumplagen. Um Handlung und Protagonisten besser zu verstehen, empfiehlt es sich, zuvor den ersten Band „Samson und Nadjeschda“ (2022) gelesen zu haben. Denn er erklärt, weshalb dem jungen Mitarbeiter der sowjetischen Miliz das rechte Ohr abgeschlagen wurde, das er seitdem in einer Metalldose im Arbeitszimmer seines von marodierenden Rotarmisten ermordeten Vaters aufbewahrt und mit dessen Hilfe er Gespräche belauschen kann, ohne selbst vor Ort zu sein: „Die nackte Ohröffnung auf seiner Rechten nahm alle Geräusche der Welt in sich auf.“ Auch versteht man die Beziehung zwischen Samson und Nadjeschda, die in gemeinsamer Wohnung zu einem Liebespaar werden: „Sie sah ihn kritisch an, wie eine Ehefrau ihren Herumtreiber von Mann, aber sogleich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck – sie erinnerte sich offenbar daran, dass sie nicht seine Frau, sondern nur bei ihm einquartiert war.“ |
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Bewertung vom 29.07.2023 | ||
REZENSION – Es ist wahrlich nicht der erste Roman über die in der nächsten und übernächsten Generation noch nachwirkenden, durch Holocaust oder Flucht und Vertreibung erlittenen Traumata jüdischer Familien. Doch der nur 168 Seiten kurze Debütroman „Eines Tages wird es leer sein“ des französischen Journalisten Hugo Lindenberg (45), im März auf Deutsch in der Edition Nautilus veröffentlicht, verschafft sich durch die Figur seines erst zehnjährigen Erzählers, durch die der Einsamkeit dieses Jungen angepasste Sprache – in der deutschen Ausgabe ein Verdienst der Übersetzerin Lena Müller – sowie durch die einerseits empathische, andererseits auch beklemmende Atmosphäre der Geschichte eines Sommererlebnisses am Strand der Normandie eine gewisse Alleinstellung in diesem Genre. Völlig zu Recht wurde „Eines Tages wird es leer sein“ in Frankreich von Radiohörern mit dem Prix Livre Inter, von einer Jury als “schönster Roman des Frühlings“ mit dem Prix Françoise Sagan sowie mit zwei weiteren Literaturpreisen ausgezeichnet. |
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Bewertung vom 23.07.2023 | ||
Das Schloss der Schriftsteller REZENSION – Über den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vom 20. November 1945 bis 1. Oktober 1946, in dem die vier Siegermächte gemeinsam über die wichtigsten Nazi-Funktionäre zu Gericht saßen, wurde schon viel geschrieben. Somit könnte man meinen, es sei alles gesagt. Doch mit seinem faszinierenden Sachbuch „Das Schloss der Schriftsteller“, im April beim Verlag C. H. Beck erschienen, beweist uns Autor Uwe Neumahr das Gegenteil: Basierend auf der 2015 von Steffen Radlmaier anlässlich des 50. Jahrestages des Prozessbeginns veröffentlichten Broschüre „Das Bleistiftschloss als Press Camp“ sowie bislang unveröffentlichten Quellen, steht in Neumahrs Buch nicht unbedingt der Prozess im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Alltag der zur Berichterstattung nach Nürnberg entsandten Korrespondenten aus aller Welt, ihre Arbeit, ihre Gefühle und die Auswirkungen des Nürnberger Prozesses auf ihr späteres Wirken. Die meisten Journalisten und Schriftsteller waren in dem von den Amerikanern beschlagnahmten Schloss der Fabrikantenfamilie Faber-Castell im nahen Dorf Stein untergebracht. |
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Bewertung vom 15.07.2023 | ||
REZENSION - „Die Musikwelt hat es tatsächlich in sich, aber über echte Morde in der Branche habe ich bisher noch nichts gehört“, versicherte die in Moskau geborene und in der italienischen Schweiz lebende, fünf Sprachen beherrschende Schriftstellerin Natasha Korsakova (50) bei der Premierenlesung aus ihrem wieder auf Deutsch verfassten Kriminalroman „Di Bernardo“, erschienen im Juni beim Septime Verlag (Wien). Sie muss es wissen, ist sie doch neben ihrer literarischen Arbeit eine seit vielen Jahren weltbekannte Violinistin. Wenn auch nicht in der Realität, häufen sich doch in ihrem Krimis die Morde in Künstlerkreisen umso mehr. Nach „Tödliche Sonate“ (2018) und „Römisches Finale“ (2019), beide inzwischen ins Italienische übersetzt und dort bereits doppelt ausgezeichnet, ist „Di Bernardo“ nun ihr dritter in der Klassik-Musikbranche spielender Krimi um den aus Kalabrien nach Rom versetzten Commissario Dionisio Di Bernardo. |
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Bewertung vom 09.07.2023 | ||
REZENSION – Sechs Jahre nach seinem autobiografisch geprägten Romandebüt „So, und jetzt kommst du“ (2017) veröffentlichte der Journalist Arno Frank (52) nun seinen zweiten Roman „Seemann vom Siebener“, erschienen im März beim Tropen Verlag. Der Roman überrascht durch seine Schlichtheit, schildert doch der Autor auf 240 Seiten nichts anderes als das uns allen wohl bekannte Freizeitgeschehen an einem heißen Spätsommertag in einem „klapprigen Freibad aus den Siebzigerjahren … einem „Bezirk fürs Nichtstun, aber auf rührend deutsche Weise, also verkleidet als Sportplatz zur aquatischen Leibesertüchtigung“. Die eigentliche Faszination des Romans liegt in seiner Vielschichtigkeit und tiefgründigen Charakterisierung seiner Figuren – dem Anschein nach ganz normale Badegäste unterschiedlichen Alters, wie sie jeder von uns bei einem Besuch in einem solchen Freibad beobachten kann. Und doch ist jeder von ihnen auf seine Art besonders: Wir erfahren von persönlichen Schicksalen und Krisen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Arno Frank schildert in seinem Buch, wie es in dessen Klappentext treffend formuliert ist, „einen Sommertag, der das ganze Leben erzählt, … vom Weggehen und Zurückkommen, vom Bleiben und der Suche nach dem Glück“. |
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Bewertung vom 30.06.2023 | ||
REZENSION – Nachdem die ersten vier Krimis des Schriftstellers und Journalisten Tilman Spreckelsen (56) um den jungen Anwalt, Dichter und nun auch Ermittler Theodor Storm (1817-1888), deren erster Band „Das Nordseegrab“ (2014) mit dem Theodor-Storm-Preis ausgezeichnet wurde, als Taschenbuchreihe im Fischer Verlag veröffentlicht wurden, erschien Spreckelsens fünfter Storm-Krimi „Das Nordseekind“ nun im April beim Aufbau Verlag. Doch trotz dieses überraschenden Verlagswechsels unterscheidet sich der neue Krimi in keiner Weise von den früheren: Die Handlung bezieht sich wie gewohnt auf wahre Begebenheiten rund um Husum und das damals zu Dänemark gehörende Herzogtum Schleswig, die Storm auch selbst später in seinen Novellen verarbeitete. So liest man über die Ereignisse um das „Nordseekind“ im Jahr 1845 auch in Storms erst zwölf Jahre später veröffentlichter Novelle „Auf dem Staatshof“ (1857). |
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Bewertung vom 13.06.2023 | ||
Der Roman "Brockesstraße Beletage" enttäuscht leider: Aus eigenen Familien-Erlebnissen als Flüchtling in Hamburg weiß ich, dass es nach Kriegsende zwischen einheimischen Städtern und bei ihnen zwangseingewiesenen Flüchtlingen sehr oft zu Spannungen kam, die Flüchtlinge aus dem fernen Osten, die den Westdeutschen fast wie Ausländer erschienen, nicht akzeptiert, sondern nur ungern geduldet waren. Doch in Anette Dresslers Roman ist davon kaum etwas zu spüren. Der Roman plätschert in seiner Handlung und im notgedrungenen Zusammenleben der ostpreußischen Lehrerswitwe Frieda aus gutbürgerlichem Beamtenhaushalt, gebildet und alles Französische liebend, sowie der ungebildeten Kurzwarenhändlerswitwe und Analphabetin Alma, in der Beletage des ihrer Schwiegermutter gehörenden Hauses als Mieterin geduldet, nur so dahin. Szenen wiederholen sich - wie Friedas trance-artigen Tagträume am Lübecker Bahnhof. Langatmig werden auch ihre Spaziergänge von einer Straße in die nächste geschildert - ein Mittel der Lübecker Autorin, ihre Heimatstadt zur Zeit der Währungsreform zu beschreiben. Wer nicht aus Lübeck stammt oder diese Hansestadt nicht kennt, dem wird der Roman nicht viel geben können, da der Handlung allein jegliche Dramatik fehlt. Von den "Konflikten, die durch die auseinanderklaffenden Lebenswelten der beiden Frauen entstehen", wie der Verlag das Buch anpreist und damit bestimmte Erwartungen beim Leser weckt, ist kaum zu erfahren. So muss man sich fast zwingen, nach Schluss eines Kapitels weiterzulesen. Hätte die Autorin aus ihrer Geschichte keinen 325-seitigen Roman gemacht, sondern alles zu einer maximal 100-seitigen Kurzgeschichte komprimiert, hätte "Brockesstraße Beletage" vielleicht auch für Nicht-Lübecker interessant werden können. So aber zieht sich die Handlung leider allzu sehr ..... Man spürt das persönliche Interesse der Autorin an ihrer Heimatstadt, weniger ihr literarisches Interesse, daraus eine für andere lesenswerte Geschichte zu machen.😢 |
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Bewertung vom 11.06.2023 | ||
REZENSION - "Nur zwei alte Männer" ist zwar der Titel des neuen Romans von Thomas Sautner (53). Doch dies täuscht. Denn wie in früheren Werken des österreichischen Schriftstellers geht es auch in seiner im Februar beim Picus Verlag veröffentlichten Geschichte um weit mehr als nur um zwei alte, seit 40 Jahren in einem Villenviertel am Stadtrand Wiens Garten an Garten lebende Freunde: Der Roman handelt vom gnadenlos unaufhaltbaren Altern, vom Leben im Alter und im Rückblick auch vom Sinn des Lebens, von den schönen Seiten des Lebens, die es zu erkennen und auch im Alter noch zu pflegen gilt. |
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Bewertung vom 01.06.2023 | ||
REZENSION – Dem Literatur-Scout und Herausgeber Peter Graf ist mit dem Roman „Requiem“ des deutschen Schriftstellers Karl Alfred Loeser (1909-1999) eine literarische Entdeckung gelungen, die es auch etwa 70 Jahre nach Fertigstellung des Manuskripts noch unbedingt zu lesen lohnt. Hauptberuflich als Bankangestellter tätig, war Loeser im Jahr 1934 zunächst nach Amsterdam geflohen, wohin sein älterer Bruder, der Musiker Norbert Loeser (1906-1958) bereits geflohen war, dann aber bald nach São Paulo (Brasilien) emigriert, wo er bis zum Ruhestand weiterhin in einer Bank arbeitete. Außer der Musik frönte er seiner heimlichen Leidenschaft, der Schriftstellerei, und verfasste einige Romane, die allerdings nie veröffentlicht und von der Familie erst nach seinem Tod im Nachlass gefunden wurden. Eines dieser Werke ist sein Roman „Der Fall Krakau“, der nun erstmals im Februar als „Requiem“ beim Verlag Klett-Cotta erschien. Das Buch zeichnet in 29 Kapiteln, die sich nahtlos zu einer Geschichte fügen, „ein Sittengemälde des nationalsozialistischen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg und bevor die Vernichtung der europäischen Juden ins Werk gesetzt wurde“, fasst es der Herausgeber im Nachwort zusammen. |
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Bewertung vom 26.05.2023 | ||
Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3 REZENSION – Mit dem Roman „Der treue Spion“, erschienen im April beim Verlag Harper Collins, hat die promovierte Literaturwissenschaftlerin Uta Seeburg (42) ihre in den 1890er Jahren spielende Krimi-Reihe um den als Sonderermittler an die Königlich Bayerische Polizeidirektion nach München ausgeliehenen preußischen Reserveoffizier Wilhelm Freiherr von Gryszinski nun fortgesetzt. Nach „Der falsche Preuße“ (2020) mit dem ersten Mordfall des im neuen Verfahren der Spurensicherung geschulten Kriminalbeamten, und „Das wahre Motiv“ (2021) begleiten wir Gryszinski, der im Einsatz nie ohne seinen Tatortkoffer zu sehen ist, im Jahr 1896 bei seinem Bemühen, gleich mehrere Morde aufzuklären, die in direktem Zusammenhang mit dem spurlosen Verschwinden eines französischen Diplomaten stehen. Man munkelt, er sei im Besitz von Plänen für eine technische Erfindung gewesen, die es ermöglicht, Funksprüche zu manipulieren und dadurch Falschmeldungen zu verbreiten, was im Falle eines Krieges verheerende Auswirkungen haben würde. |
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