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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 28.04.2023
Das Erbe der Toten / Inspektor Rebus Bd.24
Rankin, Ian

Das Erbe der Toten / Inspektor Rebus Bd.24


sehr gut

Zwei Fälle: „Big Ger“ Cafferty, Widersacher und Rebus‘ Nemesis, bittet diesen um einen Gefallen. Er soll einen seiner ehemaligen Geschäftspartner finden, der ihn gelinkt hat und danach abgetaucht ist. Aber es gibt Gerüchte, dass er sich mittlerweile wieder in Edinburgh aufhält. In Clarkes Fall geht es um einen Ex-Polizisten, dem häusliche Gewalt vorgeworfen wird. Eigentlich ein klarer Fall, wenn er seine Gewalttätigkeit nicht durch die Prägung entschuldigen würde, die er in seinem alten Revier Tynecastle erfahren häbe. Um das zu untermauern, ist er bereit, seine ehemaligen Kollegen hinzuhängen. Und es wäre durchaus möglich, dass dabei auch der Name von John Rebus fällt, obwohl dieser dort nicht stationiert war.

Rankin schildert diese Ermittlungen souverän, auch wenn die eine oder andere Verbindung eher undurchsichtig und gewollt wirkt, was sich auch aus dem riesigen Personentableau ergibt, in dem gefühlt jede/r, dem wir in den vorhergegangenen Bände der Reihe begegnet sind, einen Auftritt hat. Aber wie immer sind zum Ende hin alle offenen Fragen hinreichend geklärt. Bis auf diejenige, mit der „Das Erbe der Toten“ eröffnet. Wird es Rebus gelingen, die Schlinge abzustreifen, die sich immer enger um seinen Hals legt?

Als ich „Das Erbe der Toten“ zuklappte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass sich Ian Rankin mit seiner Rebus-Reihe auf der Zielgeraden befindet. Unterstützt wurde dieses Gefühl durch eine Meldung im „Scotsman“ von 2022, an die ich mich erinnerte. In ihr stand, dass der Autor einen Vertrag mit seinem Verlag über lediglich zwei weitere Bücher der Reihe unterzeichnet hätte.

Wenn man nun bedenkt, dass Knots and Crosses, der erste Band der Reihe, 1987 erschienen ist (Verborgene Muster, 2000 in der Übersetzung) und wir seit damals in Echtzeit die Laufbahn des Protagonisten verfolgen konnten, scheint mir das eine schlüssige und nachvollziehbare Entscheidung zu sein, denn mittlerweile ist Rebus seit einigen Jahren im Ruhestand, hat zahlreiche gesundheitliche Probleme, was ihn aber nicht daran hindert, sich immer wieder in Ermittlungen seiner ehemaligen Kollegin DI Siobhan Clarke einzumischen. Gefühlt wäre es jetzt an der Zeit, Abschied zu nehmen, denn mittlerweile wirkt Rebus mit seiner nicht immer rühmlichen Vergangenheit und seinen Kontakten zur Unterwelt stellenweise wie ein Überbleibsel einer längst vergangenen Epoche, und so sollte es durchaus möglich sein, dass John Rebus den Staffelstab an Siobhan Clarke weiterreicht.

Bewertung vom 26.04.2023
Institut für gute Mütter
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


sehr gut

Die alleinerziehende Frida hat einen Fehler gemacht. Einen Fehler, der dafür verantwortlich ist, dass ihr gesamtes Leben aus den Fugen gerät. Eigentlich wollte sie doch nur einen Kaffee kaufen, hat dann aber auch noch in ihrem Büro Unterlagen abgeholt, die sie für ihre Arbeit benötigt, und aus der geplanten kurzen Abwesenheit werden schlussendlich zweieinhalb Stunden, in denen sie ihre 18 Monate alte Tochter allein in der Wohnung zurückgelassen hat. Die Nachbarn hören deren Weinen, alarmieren die Behörden. Frida wird das Kind weggenommen, darf es nur noch unter Aufsicht sehen und muss nun beweisen, dass sie die enggesteckten Kriterien erfüllt, die die staatlichen Stellen für Mutterschaft zugrunde gelegt haben, erfüllt. Es gelingt ihr nicht, und so wird sie in ein Umerziehungsinstitut geschickt, in dem sie rund um die Uhr überwacht und diszipliniert wird und mit Hilfe einer KI-Puppe als Kindersatz verinnerlichen soll, was eine gute Mutter ausmacht.

Als ich Jessamine Chans „Institut für gute Mütter“ gelesen habe, musste ich unweigerlich an die Werke der französischen Philosophin Elisabeth Badinter denken, die sich zeitlebens kritisch mit dem Thema Mutterschaft und der gesellschaftlichen Verherrlichung der Mutterliebe auseinandergesetzt hat. Aber in dem Roman der amerikanischen Autorin mit chinesischen Wurzel geht es neben den Erwartungshaltungen, die das persönliche Umfeld an die Protagonistin hat, auch um Überwachung, Behördenwillkür und den Verlust der Selbstbestimmung. Das mag auf den ersten Blick dystopisch wirken – und natürlich drängt sich hier der Vergleich mit Atwoods „Der Report der Magd“ – ist aber in manchen Ländern, zumindest in Grundzügen, bereits Realität. Den Kontrollverlust, die Ohnmacht, einem totalitären Regime ausgeliefert zu sein, ohne die Möglichkeit, nach eigenem Ermessen zu agieren, ist einen gruselige Vorstellung, deren Auswirkungen Chan sehr eindrücklich beschreibt. Eine Situation, in der man der Willkür staatlicher Stellen und einem abstrusen Wertesystem ausgeliefert ist und in die niemand jemals geraten möchte.

Bewertung vom 25.04.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


ausgezeichnet

Tagtäglich hinterlassen wir digitale Spuren. Sei es durch das Bezahlen mit der Kreditkarte, der Inanspruchnahme von Bonusprogrammen, GPS und Handynutzung oder unserer Präsenz im Internet und den sozialen Medien. Natürlich ist uns das bewusst, aber wissen wir auch, was mit diesen gesammelten Daten geschieht? Welche Möglichkeiten die Datenkraken haben, um unsere digitalen Fußabdrücke lückenlos zu verfolgen? Und was geschieht, wenn diese Informationen in die falschen Hände geraten? Dieser Fragestellung geht Anthony McCarten in „Going Zero“ nach und schafft ein Szenario, das spannender nicht sein könnte.

Obwohl der neuseeländische Autor bereits zahlreiche Romane geschrieben hat, kennt man ihn doch am ehesten als erfolgreichen Drehbuchautor. Davon zeugen nicht nur die Auszeichnungen bei den BAFTA Awards sondern auch die mehrfachen Nominierungen bei den Oscar und Golden Globe Preisverleihungen. Und wieder einmal beweist er mit seinem aktuellen Roman, dass er sein Geschäft versteht, denn dieser bietet mehr spannende Momente als so manch blutrünstiger Thriller, denn die lückenlose Überwachung hat längst in unseren Alltag Einzug gehalten.

Zum Inhalt: Es mag ja sein, dass der Tech-Milliardär Cy Baxter edle Absichten hat, denn er wird von dem Wunsch angetrieben, die Welt zu einem sicheren Ort zu machen. (Wir erinnern uns an 9/11. Genau das war die Argumentation der Amerikaner, die zahllose Eingriffe in unseren Alltag und viele Einschränkungen, Reglementierungen und Überwachungsmaßnahmen für jede/n von uns nach sich zogen, aber im Sinn der „guten Sache“ allmählich akzeptiert, in unseren Alltag eingeflossen und mittlerweile schon nicht mehr hinterfragt werden). Zu diesem Zweck geht er eine Kooperation mit den amerikanischen Geheimdiensten ein, um diesen zu beweisen, dass durch die Informationen, die in seiner riesigen Datenbank Fusion hinterlegt sind, die Handlungen jedes Einzelnen nicht nur nachverfolgt und somit kontrollierbar, sondern durch Verknüpfungen auch 100 %ig vorhersehbar sind. Untermauert soll dies durch einen Beta-Test mit zehn ausgewählten Kandidaten werden, deren Aufgabe es ist, dieser lückenlosen Überwachung ein Schnippchen zu schlagen. Dem Gewinner würde ein Preisgeld von 3 Millionen Dollar winken, aber es ist davon auszugehen, dass keiner der Teilnehmer den Test erfolgreich beendet. Ein Trugschluss, wie sich herausstellen wird.

Die Story wird in Form eines Countdowns präsentiert und erhält zusätzlich Tempo durch die kurzen Kapitel, in denen sowohl Baxter als auch die Teilnehmer zu Wort kommen. Die Möglichkeiten, die sich durch die Verknüpfung der gesammelten Daten ergeben, werden anschaulich erläutert, die technischen Möglichkeiten verständlich erklärt und hinterlassen ein unbehagliches Gefühl, denn mit Sicherheit ist gerade in diesem Bereich aktuell schon wesentlich mehr möglich als wir uns vorstellen können. Und ja, die Auswirkungen betreffen nicht nur die Menschen mit bösen Absichten, es ist ein Thema, das uns alle angeht.

Ein Gegenwartsroman, der aufzeigt, was möglich ist und uns mit einem unbehaglichen Gefühl zurücklässt, aber gerade deshalb auch gelesen werden sollte.

Bewertung vom 15.04.2023
Dunkle Verbindungen / Leander Lost Bd.6
Ribeiro, Gil

Dunkle Verbindungen / Leander Lost Bd.6


ausgezeichnet

Herbst in Fuseta, und für Leander Lost, den heimlichen Star dieser Krimireihe, soll in den nächsten Wochen ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Das neue Haus ist bezogen und die Hochzeit mit Soraia, Schwester seiner Chefin Graciana, steht ins Haus. Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Zuerst wirft ein Leichenfund im Golfresort Fragen auf und kurz danach findet ein Überfall auf einen Geldtransporter statt, bei dem Losts Kollege Miguel Duarte schwer verletzt wird. Natürlich stellt sich für das Team um Graciana Rosado die Frage nach den Tätern, was allerdings für uns Leser/innen keine besondere Relevanz hat, denn der Autor lässt diese in alternierenden Kapiteln selbst zu Wort kommen. Wesentlich interessanter ist ein anderer Aspekt, der allerdings erst im Lauf der Ermittlungen zutage tritt, denn zwischen den beiden Fällen gibt es einen Zusammenhang. Und dann ist da noch die persönliche Dimension, die mit Gracianas tragischer Familiengeschichte eng verknüpft ist. „Dunkle Verbindungen“ wohin man schaut.

Es gibt wenig Autoren, die das Metier des Urlaubskrimis so gekonnt wie Gil Ribeiro aka Holger Karsten Schmidt beherrschen. Zum einen liegt das natürlich an dem liebenswerten Team sowie dessen internen Dynamik, zum anderen aber auch an den facettenreichen Fällen, die es aufzuklären gilt. Dazu die stimmigen und atmosphärischen Beschreibungen der Gegend rund um Fuseta, die aber nie wie Werbeschriften für das Fremdenverkehrsamt daherkommen und die eigentliche Krimihandlung überlagern. Es sind immer die Menschen mit ihren Eigenheiten, insbesondere Leander Lost, und die facettenreichen Fälle, die bei dem Autor im Mittelpunkt stehen. Man darf gespannt sein, was da in Zukunft noch kommen wird.

So geht Urlaubskrimi. Lesen!

Bewertung vom 13.04.2023
Kretische Nacht / Michalis Charisteas Bd.5
Milonás, Nikos

Kretische Nacht / Michalis Charisteas Bd.5


weniger gut

Man nehme: Eine Urlaubsinsel samt einem bei Pauschaltouristen beliebten Ausflugsziel, garniere es mit einem Bootsunglück samt dreier Toten, das Fragen aufwirft und die Polizei auf den Plan ruft, würze in homöopathischen Dosen mit dem einen oder anderen Problem, in diesem Fall Hotelbauten an landschaftlich schützenswerten Stellen sowie die Vorgehensweise der Behörden bei archäologischen Funden, rühre zaghaft um und stäube zur Garnitur noch etwas Privatleben der Ermittler darüber…und voilà, schon hat man die Zutaten für „Kretische Nacht“.

Es ist offensichtlich, dass dieser fünfte Band der Reihe, gerade nach dem gelungenen Vorgänger, für mich eine herbe Enttäuschung war. Das Buch mag ja als Pool-Lektüre taugen, aber alles in allem folgt es doch nur den oberflächlichen und ausgetretenen Pfaden der üblichen Urlaubskrimis. Die Personen bleiben blass, allen voran Michalis, der einerseits permanent über die beruflich bedingte Abwesenheit von Hannah jammert und sie mit SMSsen zutextet, andererseits aber immer wieder betont, dass für ihn dieser „alternative“ Beziehungsentwurf okay ist. Was denn jetzt?

Ein Krimi, der überall verortet hätte sein können, wären da nicht die permanenten Erwähnungen von Frappé, diesmal sogar metrio für Koronaios (Ironie aus) und die Erwähnung von Balos und Falassarna gewesen. Aber selbst diese Beschreibungen beschränken sich auf die Schotterpistenzufahrt, das tiefblaue Wasser und den Sandstrand. Sehr oberflächlich abgehandelt und höchstens geeignet für Pauschaltouristen, die lediglich Sonnen und Meer suchen und sich weder mit der kretischen Vergangenheit noch mit dem Alltag auf der Insel auseinandersetzen wollen. Permanente Wiederholungen….und das Geheimnis des Revierleiters von Kissamos, geschenkt. Die Probleme, die sich durch archäologische Funde und/oder geplanten Bebauungen in schützenswerten Bereichen der Insel ergeben, werden leider auch nur angerissen. Oberflächlich, zäh und nervig durch die permanenten Wiederholungen, dazu ohne Spannung und Atmosphäre. Nicht gelungen!

Bewertung vom 10.04.2023
Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3
Seeburg, Uta

Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3


ausgezeichnet

Wir schreiben das Jahr 1896, die politische Weltlage ist alles andere als stabil. Ein Mann verschwindet aus seinem Hotelzimmer. Spurlos. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn dieser Mann nicht ein französischer Diplomat wäre, der im Besitz von brisanten Informationen ist. Gryszinski, den wir bereits in den beiden Vorgängerbänden der Reihe kennengelernt haben, wird auf diesen Fall angesetzt. Als dann auch noch kurz danach eine die Leiche eines Erfinders auftaucht, sieht sich der Königlich Bayerische Sonderermittler mit Problemen konfrontiert, die die Weltlage gründlich durcheinander rütteln könnten, denn wie so oft bleibt technologischer Fortschritt nicht ohne Konsequenzen. Eine Situation, die rasches und zielstrebiges Handeln erfordert und deshalb Gryszinski in Begleitung seiner Frau auf eine Reise quer durch Europa schickt. Leider ohne Erfolg, der Fall geht als ungelöst zu den Akten.

1916, zwanzig Jahre später, der Erste Weltkrieg fordert seit zwei Jahren seine Opfer. Fritzi, Gryszinski Sohn, ist an der Front in Verdun als Meldegänger im Einsatz und stößt überraschend auf neue Informationen zu dem Fall, den sein Vater nicht lösen konnte. Die Familiengeschichte wiederholt sich, denn auch er muss in geheimer diplomatischer Mission diverse europäische Stationen abklappern, um seinen Auftrag zu erfüllen, damit dieser Fall endlich als gelöst abgehakt werden kann.

Lesenswerte historische Kriminalromane glänzen durch die Verschränkung intensiv recherchierter Fakten mit einer spannend geplotteten Story. Und wie bereits in den beiden Vorgängern ist dies auch in „Der treue Spion“ ohne Zweifel gelungen, wobei durch die Verlagerung auf zwei Zeitebenen zusätzlich raffinierte und die Spannung steigernde Twists eingebaut werden konnten. Zur Veranschaulichung dienen hierbei nicht nur die verbürgten historischen Ereignisse, sondern auch die stimmigen atmosphärischen Beschreibungen samt der Einbindung bekannter Personen der damaligen Zeitgeschichte, wobei das Namedropping glücklicherweise nicht überhand nimmt. Intelligente und spannende Unterhaltung für Freunde historischer Kriminalromane. Lesen!

Bewertung vom 05.04.2023
Feinde
Grisham, John

Feinde


ausgezeichnet

John Grisham und Biloxi das gehört fast schon zusammen, hat er doch dieser Stadt am Golf von Mexiko bereits in einigen seiner Romane (Das Urteil / Der Partner / Der Richter, / Die Liste) ein Denkmal gesetzt.

Nun also „Feinde“, Originaltitel The Boys from Biloxi, die Geschichte von Keith und Hugh. Baseball-Little League Champions, beste Freunde in der Jugend, die im Laufe ihres Lebens zu erbitterten Gegnern werden. Und obwohl es, wie von Grisham gewohnt, auch Gerichtsszenen gibt, ist dies doch kein Justizthriller. Aber der Reihe nach.

Beide Enkel kroatischer Einwanderer in der dritten Generation, im gleichen Viertel von Biloxi aufgewachsen, träumen von einer Karriere als Baseball-Profis. Aber es soll anders kommen, woran ihre Väter maßgeblich beteiligt sind. Keith‘ Familie lebt ein unauffällig bürgerliches Leben, wohingegen Hughs Vater Karriere in der Dixie-Mafia macht. Keith studiert Jura an der Ole Miss und lässt sich als Anwalt nieder, Hugh tritt in die Fußstapfen seines Vaters und sucht das schnelle Geld in der Unterwelt. Als 1969 der Jahrhundert-Hurrikan Camille Biloxi verwüstet, nimmt die Geschichte eine dramatische Wendung. Die Schäden sind immens, aber wie so oft bei Grisham sind es die betrügerischen Versicherungsunternehmen und die korrupten Politiker, die die Geschädigten im Regen stehen lassen. Dagegen können auch die Verfahren, die Keith führt, nichts ausrichten. Aber wie so oft springt die Mafia als Unterstützer bei dem Wiederaufbau in die Bresche. Es wird gelogen, betrogen und eingeschüchtert und kommt zu Auseinandersetzung innerhalb und zwischen den verschiedenen Lagern. Nicht selten mit tödlichem Ausgang, und dann, wir lesen ja Grisham, geht es vor Gericht.

„Feinde“ ist eine Familiengeschichte und für mich eines der besten Bücher Grishams, was auch der Hauptrolle geschuldet ist, die Aufstieg und Fall der schäbigen Golfküstenstadt Biloxi und ihrer Bewohner hier spielt. Der Ausflug in die Stadtgeschichte, die Hintergrundinformationen, die uns der Autor liefert, die Beschreibungen der Schauplätze, all das verbunden mit der Entwicklung der beiden Protagonisten, die auf unterschiedlichen Seiten stehen und ihre Kämpfe austragen, ist anschaulich beschrieben und liest sich stimmig und fesselnd. Einziger Wermutstropfen sind die etwas langatmigen Einschübe über Baseball, Grishams Lieblingssportart, aber diese sind glücklicherweise ja nur am Anfang zu finden.

Kein typischer Grisham, aber dafür ein sehr lesenswerter Roman!

Bewertung vom 03.04.2023
Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1
Pearse, Sarah

Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1


gut

Zauberberg meets Shining, diese Aussage würde eigentlich für den Klappentext von Sarah Pearse Debüt „Das Sanatorium“ reichen. Beworben als atmosphärischer Spannungsroman und Pick of the month in Reese Witherspoons Buchclub. Grund genug, sich diesen Thriller etwas näher anzuschauen.

Die Rahmenbedingungen sind durchaus vielversprechend. Ein abgelegenes Luxushotel in den Schweizer Alpen, ehemals ein Sanatorium für Tuberkulosepatienten. Bereits die Beschreibung der Umgebung, dunkle Wälder und bedrohliche Berggipfel, weckt ein ungutes Gefühl, das sich mit dem Einsetzen des heftigen Schneesturms, der das Hotel von der Außenwelt abschneidet, noch einmal verstärkt. Typisches Szenario für ein Closed Room Mystery.

Geplant ist dort die Verlobungsfeier von DI Elin Warners Bruder, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten dorthin reist. Eine willkommene Abwechslung von ihrem eintönigen Alltag, da sie seit ihrem letzten Fall vom Dienst suspendiert ist, wäre da nicht die Beziehung zu dem Bruder von einem traumatischen Erlebnis in der Kindheit überschattet. Sie ist keine Protagonistin, die man als Leser ins Herz schließt, aber sie scheint die einzige der Anwesende zu sein, die die befähigt ist, die dramatischen Ereignisse aufzuklären, die über die Gäste und das verbliebene Personal hereinbrechen.

Die Grundidee war gut, auch wenn Sarah Pearse das Rad nicht neu erfunden hat, und hätte durchaus einen spannenden Psychothriller liefern können. Dafür wäre es aber nötig gewesen, dass sie sich auf das Wesentliche konzentriert und nicht unnötigerweise die Befindlichkeiten ihrer Protagonistin immer wieder lang und breit ausführt. Erschwerend hinzu kommen Richtung Schluss die offensichtlich falschen Fährten, die sie legt. Hier ein Twist, da ein Turn, das wirkt schon sehr bemüht und ist für Leser, die mit dem Genre vertraut sind, einfach zu durchschauen.

Alles in allem ist dieser Reihenauftakt ein Debüt mit Luft nach oben. Wir werden sehen, was der Nachfolgeband, der im Original bereits erschienen ist, zu bieten hat.

Bewertung vom 31.03.2023
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


ausgezeichnet

Wenn man mit dem Werk des britischen Autors Ian McEwan vertraut ist, kennt man dessen Fähigkeit, zeitgeschichtliche Themen in unterhaltsame Romane mit entsprechender Tiefe zu packen. In „Lektionen“ geht er aber noch einen Schritt weiter und verbindet diese zusätzlich mit Schnipsel aus seiner eigenen Biografie.

Roland Bains, der Protagonist, an dessen Leben wir über Jahrzehnte teilhaben dürfen, wurde 1948 in eine Militärfamilie hinein geboren und hat wie der Autor seine Kindheit in Libyen verbracht. Und wie an einer Zeitleiste entlang hangelt sich McEwan sehr überzeugend durch achtzig Jahre der persönlichen Geschichte Rolands, die mit historischen Großereignissen verknüpft ist. Missbrauch, Liebe, Ehe, Trennung, Vatersein, nicht realisierte berufliche Ambitionen, Tod. Allesamt prägend. Begleitend dazu die Kuba-Krise, das Reaktorunglück in Tschernobyl, das politischen Auf und Ab in Großbritannien von Thatcher bis zum Brexit, der Fall der Berliner Mauer, 9/11, bis hin in die Corona-Lockdowns der Gegenwart. Und jeder einzelne dieser politischen Meilensteine ist mit bestimmten Phasen, dem Zaudern und den Entscheidungen im Leben des Protagonisten verbunden, wobei es allerdings die Verletzungen sind, deren Auswirkungen und eindrücklichen Schilderungen, die die Qualität dieses Romans ausmachen.

Das Auf und Ab eines Menschenlebens, von McEwan voller Empathie und Nachsicht beschrieben. Die Hoffnungen, das Zögern, die Enttäuschungen und den Schmerz im Leben seines Protagonisten, die Lektionen, die dieser auf seinem Weg durch die Zeiten lernt. Die Frage nach den Auswirkungen von politischen Ereignissen auf das alltägliche Leben. Überlegungen, die nicht so weit hergeholt scheinen, wenn man sich an die Lockdown-Zeit zurück erinnert. Ein Roman, der zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 29.03.2023
Gegen alle Regeln / Eddie Flynn Bd.2
Cavanagh, Steve

Gegen alle Regeln / Eddie Flynn Bd.2


ausgezeichnet

Auch in seinem neuen Fall steht Eddie Flynn, einst Trickbetrüger, jetzt Anwalt, wieder immens unter Druck. In „Zu wenig Zeit zum Sterben“, dem Auftaktband der Reihe, hatte die New Yorker Russenmafia seine Tochter entführt und mit dem Tod bedroht, um ihn so zu zwingen, den berüchtigten Paten Olek Volchek gegen eine Mordanklage zu verteidigen. Diesmal sind es gleich zwei Menschen, die es vor langjährigen Gefängnisstrafen zu bewahren gilt, und um das zu erreichen, muss er vor Gericht sämtliche Register ziehen und „Gegen alle Regeln“ spielen. Aber der Reihe nach…

CIA und FBI, letztere vertreten durch Special Agent Bill Kennedy, den wir bereits aus dem Vorgänger kennen, setzen Eddy unter Druck. Sie sind einer renommierten Anwaltskanzlei auf der Spur, die mit Hilfe eines komplizierten Algorithmus für Drogenkartellen Geld wäscht. Programmiert wurde dieser von dem nerdigen David Child, Betreiber einer höchst erfolgreichen Social Media Plattform. Aktuell ist er inhaftiert und wartet auf sein Verfahren, da er beschuldigt wird – und die Beweislage ist erdrückend – seine Freundin ermordet zu haben. Eddie soll ihn anwaltlich vertreten, bei den Anklägern Zweifel an seiner Schuld säen und ihm einen Deal schmackhaft machen, um an den Quellcode des Programms zu kommen. Eine schier unlösbare Aufgabe, und ein Fall, von dem Eddie am liebsten die Finger weglassen würde, wenn, ja wenn da nicht noch seine Ex-Frau Christine involviert wäre, die für besagte Kanzlei arbeitet und in ihrer Anfangszeit blauäugig ein Dokument unterschrieben hat, das sie zur Mitwisserin an deren kriminellen Aktivitäten macht. Folglich hat sie nicht nur eine Anklage sondern auch eine langjährige Haftstrafe zu erwarten. Ein Szenario, das Eddie unter keinen Umständen zulassen kann, schon im Hinblick auf ihre gemeinsame Tochter. Nicht zuletzt, weil er sowohl von Christines als auch von Davids Unschuld überzeugt ist. Ihm bleiben 48 Stunden, um die Unschuld der beiden zu beweisen und die Kanzlei ans Messer zu liefern.

Keine Frage, es ist von vornherein klar, dass er es schaffen wird, aber wesentlich spannender ist die Beantwortung danach, wer hier eigentlich die Fäden zieht und wie er sowohl seinen Mandanten als auch seine Ex aus dieser schier ausweglosen Lage befreit. Und dann sind ja auch noch die zwielichtigen Kontakte aus seinem früheren Leben, deren Hilfe er zur Unterstützung seiner nicht immer legalen Aktionen benötigt. Ich sage nur Popo und Eidechse.

Einmal mehr präsentiert uns Steve Cavanaugh (vor seiner Karriere als Autor ebenfalls Anwalt) eine temporeiche und intelligent verschlungene Story, die immer wieder mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Das hält die Spannung bis zur letzten Seite und macht es kaum möglich, das Buch aus der Hand zu legen.

Zusätzlich gibt es immer aber auch immer wieder die passenden Kommentare zum amerikanischen Rechtssystem. Ein Beispiel gefällig?

„Das System, das einem Angeklagten erlaubte, sich einen sündteuren Anwalt zu kaufen, der ihn heraushaute, war dasselbe System, das erfahrene Staatsanwälte mit unbegrenzten Ressourcen gegen Pflichtverteidiger aufbot, die ihren Mandanten nicht einmal ein Busticket zum Gericht spendieren konnten.“ (S. 133)

Wer eine spannende und unterhaltsame Lektüre sucht, sollte hier unbedingt zugreifen. Und da die einzelnen Fälle in sich abgeschlossen sind, besteht auch keine Notwendigkeit, sich an die Reihenfolge zu halten.