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SimoneF

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Insgesamt 523 Bewertungen
Bewertung vom 23.07.2023
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


gut

Mit "Mord auf der Insel Gokumon" erscheint nach "Die rätselhaften Honjin-Morde" der zweite Band um den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi des japanischen Autors Seishi Yokomizo erstmals auf Deutsch. Yokomizo verstarb bereits 1981, und die japanische Erstausgabe des Bandes erschien 1971.

Ich kenne den ersten Band nicht, doch da die Fälle in sich abgeschlossen sind, ist es problemlos möglich,  mit Band 2 einzusteigen.

Die leicht altertümliche Erzählweise und der aufwendig konstruierte Fall erinnern mich etwas an Agatha Christie und Arthur Conan Doyle. Doch während bei Poirot und Sherlock Holmes meist ein Ich-Erzähler zu Wort kommt und sich die Geschichten sehr vergnüglich lesen, verwendet Yokomizo eine auktoriale Perspektive. Zusammen mit seinem recht spröden Sprachstil bewirkte dies, dass ich zu allen Charakteren auf Distanz blieb und auch mit Konsuke Kindaichi nicht richtig warm wurde. Die meisten Figuren waren mir sehr unsympathisch, so dass ich nicht mit ihnen mitfühlen und tief in die Geschichte eintauchen konnte. Die Lösung des Falles erschien mir sehr abstrus und weit hergeholt, und es bleiben bei näherer Betrachtung Ungereimtheiten. Dass mir die Motive sehr abwegig erscheinen, liegt möglicherweise auch daran, dass ich mit der japanischen Kultur nicht vertraut bin.

Hilfreich war diesbezüglich der Anhang, in dem die wichtigsten japanischen Begriffe erläutert wurden. Leider wurden diese im Text des Ebooks nicht mit Links hinterlegt, was das Nachschlagen deutlich erleichtert hätte. Mir ist nicht klar, warum nach wie vor viele Verlage diese technische Möglichkeit nicht nutzen.

Wer sich das Buch lieber vorlesen lassen möchte, kann zum Hörbuch greifen, das vom Schauspieler und Sprecher Dennis Moschito mit sehr angenehmer Stimme eingelesen wurde.

Insgesamt fand ich es interessant, Einblicke in japanische Bräuche und gesellschaftliche Konventionen Ende der 1940er Jahre zu erhalten. Der Kriminalfall und der etwas umständliche Erzählstil mit vielen Wiederholungen konnten mich jedoch nicht überzeugen, und ich werde diese Reihe nicht weiter verfolgen.

Bewertung vom 23.07.2023
Fischer, Elena

Paradise Garden


ausgezeichnet

Bereits nach dem ersten Kapitel wusste ich, dass ich dieses Buch lieben würde. Elena Fischers Art zu schreiben berührte mich auf Anhieb, und Billie, die 14jährige Protagonistin, wurde sofort lebendig. Ihr Blick auf die Welt, ihr trockener Humor und ihre teils lakonischen Bemerkungen machten sie mir sehr sympathisch. Obwohl Billie und ihre Mutter Marika in einer trostlosen Hochhaussiedlung leben und trotz zweier Jobs der Mutter das Geld kaum ausreicht, um über die Runden zu kommen, gelingt es ihnen, sich immer wieder Augenblicke des Glücks zu schaffen und kleine Freuden zu genießen. Marika ist eine energiegeladene Frau, die im Moment lebt und eine sehr innige und liebevolle Beziehung zu ihrer Tochter hat. Auch wenn die beiden nicht viel haben, so haben sie sich, und sie sind sich dessen bewusst. Als plötzlich die ungarische Großmutter vor der Tür steht und Marikas und Billies Sommerpläne durchkreuzt, ist bald nichts mehr, wie es einmal war. Und Billie stellt sich mehr denn je die Frage nach ihrer Identität. Sie macht sich allein im Nissan der Mutter auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater und entdeckt dadurch sich selbst und ihre Mutter neu.

Billie ist eine mutiges, intelligentes junges Mädchen, und ihr Geschichte, die trotz vieler trauriger Momente nie bitter wird, sondern durch feinsinnigen Humor und eine hoffnungsvolle Grundnote getragen wird, hat mich sehr bewegt. Ich möchte dieses warmherzige Buch unbedingt allen, insbesondere auch jüngeren Lesern ab ca. 14 Jahren, ans Herz legen!

Bewertung vom 18.07.2023
Böskens, Jana

Mein großer Naturführer Tiere & Pflanzen


ausgezeichnet

"Mein großer Naturführer" von Jana Böskens ist ein wirklich tolles Buch für Kinder ab 8 Jahren, in dem auch ältere Kinder und Erwachsene noch viel Wissenswertes entdecken können.

Der Naturführer enthält zunächst eine kurze allgemeine Einführung in die Welt der Tiere, Pflanzen und Pilze. Der Hauptteil des Buches ist in die Lebensräume Wald, Wiesen und Felder, Gewässer, Auen, Feuchtgebiete und Stadt und Dorf untergliedert.

Die einzelnen Kapitel vermitteln fundiertes Wissen, das gut verständlich aufbereitet ist, ohne zu stark zu vereinfachen. Die Texte werden durch zahlreiche detailreiche farbige Illustrationen, Fotografien, übersichtliche Schaubilder und Infoboxen perfekt ergänzt. Besonders lobenswert finde ich, dass giftige Tiere und Pflanzen durch farbige Totenkopfsymbole gekennzeichnet sind (giftige Tiere in lila, leicht giftige Pflanzen in orange, sehr giftige in rot).

Der handliche Naturführer passt für Wanderungen prima in jeden Rucksack, und die etwas dickeren Seiten sind schön robust. Das Buch eignet sich aber auch hervorragend als Nachschlagewerk oder einfach zum Schmökern auf dem Sofa.

Meine Familie und mich hat das Buch rundum begeistert, und es ist der beste Naturführer für Kinder, den in bisher in Händen hatte. Ich möchte ihn unbedingt weiterempfehlen und werde ihn sicher auch noch des öfteren verschenken.

Bewertung vom 16.07.2023
Ammaniti, Niccolò

Ich habe keine Angst


ausgezeichnet

Der Roman "Ich habe keine Angst" des italienischen Autors Niccolò Ammaniti wurde vom Eisele Verlag zusammen mit "Fort von hier" neu aufgelegt. Zeitgleich erscheint auch Niccolò Ammanitis neuestes Werk "Intimleben".

Ich hatte zuvor noch nichts von Niccolò Ammaniti gelesen, der Klappentext machte mich jedoch neugierig.

Das süditalienische Örtchen Acqua Traverse mit gerade einmal vier Häusern und einer alten Villa ist Schauplatz der Geschichte und Heimat des neunjährigen Michele und seiner Familie. Der Sommer 1978 ist sengend heiß, die sechs Kinder des Dorfes vertreiben sich die Zeit. Eines Tages findet Michele beim Spielen in einem abgelegen Haus ein Loch im Boden, in dem ein gleichaltriger Junge angekettet liegt. Michele kehrt immer wieder zu dem Loch zurück, zunächst unschlüssig und überfordert, nähert er sich dem Jungen immer weiter und bringt ihm Essen und spricht mit ihm. Die Antworten sind allerdings wirr, da der Kleine offenbar schwer traumatisiert ist. Durch Zufall erfährt Michele, dass der Junge ein Entführungsopfer ist, und je mehr er über die Hintergründe erfährt, desto unglaublicher und auswegloser wird die Situation.

Ammanito zeichnet ein trostloses Bild dieses kleinen armseligen Dörfchens. Die Häuser sind heruntergekommen, alles wirkt schmutzig, es gibt nicht einmal fließend Wasser. Michele, seine kleine Schwester Maria und die Nachbarskinder sind weitgehend sich selbst überlassen, die Eltern kümmern sich wenig, Liebe und Zuwendung fehlen. Auch die Kinder gehen wenig freundschaftlich miteinander um, haben Spaß daran, sich gegenseitig zu demütigen oder ein Huhn aus Langeweile zu töten. Trotz der Sommerhitze im Buch fröstelt einen beim Lesen. Je weiter das Buch fortschreitet, desto größer wird das Grauen. Einzig Michele und in Andeutungen auch das Nachbarskind Barbara scheinen sich ihre Menschlichkeit bewahrt zu haben.

Ammaniti lässt den Protagonisten Michele rückblickend als Erwachsener die Ereignisse dieses Sommers 1978 erzählen. Vieles bleibt vage, doch als Leser*in kann man sich die Zusammenhänge erschließen. Der Autor erschafft eine düstere, beklemmende Atmosphäre, und er konterkariert die emotionale Kälte durch sentimentale Schlagertexte, etwa als der skrupellose und unberechenbare Felice abwechselnd zweistimmig "Parole, parole" trällert. Mich hat die Stimmung im Buch immer wieder an William Goldings Herr der Fliegen erinnert, das mich als Jugendliche sehr beeindruckt hat.

Wahrlich kein leichter, aber ein sehr bewegender Roman, der menschliche Abgründe aufzeigt und unbedingt lesenswert ist.

Bewertung vom 16.07.2023
Fabiani, Ilva

Meine langen Nächte


sehr gut

In "Meine langen Nächte" von Ilva Fabiani erzählt die fiktive Anna Alrutz ihre Lebensgeschichte u.a. als sogenannte braune Schwester. Dabei handelte es sich um Mitglieder der NS-Schwesternschaft, die einen Eid auf Adolf Hitler ablegten und an Zwangssterilisationen, Zwangsabtreibungen und systematischen Ermordungen im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenhygiene beteiligt waren.

Das Besondere an diesem Roman war für mich die spezielle Erzählperspektive. Der Geist von Anne Alrutz, der als Sühne für Ihre Sünden in dieser Welt gefangen bleibt und nicht zur Ruhe kommen darf, wird immer wieder vom Wind an verschiedene Orte und Zeitpunkte aus Annes Leben getragen. Annes Geist erzählt aus der Ich-Perspektive ihre Erinnerungen, reflektiert und kommentiert diese. Nach und nach entsteht aus diesen einzelnen Episoden ein zusammenhängendes Bild. Zudem ermöglicht ihr der Wind gelegentlich, auch vergangene Ereignisse zu beobachten, die sie damals nicht selbst miterlebt hat, oder im Heute bestimmte Menschen zu besuchen.  Diese Erzählweise ist äußerst reizvoll und sehr gelungen.


Das Buch beginnt 1907 mit Annas Geburt. Sehr ausführlich wird Annas Leben in Braunschweig in einer aufgeklärten und weltoffenen Arztfamilie geschildert, ihre Jugend und ihre erste Jugendliebe, die für Anne wegweisend war. In den 20er Jahren wandte Anne sich immer mehr dem erstarkenden Nationalsozialismus zu und wurde eine glühende Anhängerin Adolf , was letztlich auch in Ihrer Tätigkeit als braune Schwester gipfelte. Am Klinikum Göttingen war sie als Operationsschwester 1934 und 1935 maßgeblich an Zwangssterilisationen beteiligt. Erst ein einschneidendes Erlebnis Mitte 1935 öffnete ihr die Augen und veränderte ihr Denken und Handeln. Das Buch endet zeitlich im Dezember 1935 mit Annas Tod (kein Spoiler, da dies bereits die ersten Buchseiten vorwegnehmen).

Durch den relativ frühen Tod 1935 wird im Buch auch die weitere Entwicklung der NS-Schwesternschaft bis zum Ende des Dritten Reiches und ihre grauenhafte Rolle im Euthanasieprogramm nicht weiter thematisiert. Das fand ich bedauerswert. Der Großteil des Buches widmet sich sich Annes Kindheit und Jugend und möglichen Gründen für Ihre Hinwendung zur NS-Ideologie. Hierbei war ich beim Lesen etwas hin- und hergerissen. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass mir die Begründungen etwas zu einfach und unschuldig waren. Andererseits mag es durchaus möglich gewesen sein, dass man, insbesondere als Jugendliche auf der Suche nach dem Platz im Leben, tatsächlich sehr empfänglich für Ideologien ist.

Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch, von dem ich mir jedoch gewünscht hätte, dass der Focus stärker auf die Tätigkeiten als braune Schwester gelegt worden wäre und der Roman einen größeren Zeitrahmen im Dritten Reich abgedeckt hätte, um die Verbrechen an den Kliniken noch deutlicher werden zu lassen.

Bewertung vom 16.07.2023
Poznan, Judith

Aufrappeln


ausgezeichnet

Der autobiographisch geprägte Roman "Aufrappeln" von Judith Poznan ist eines der ganz wenigen Bücher, die ich schon aufgrund des Covers lesen wollte, da der Titel in Verbindung mit den hängenden Tulpen eine Art von Humor ausstrahlt, die mir auf Anhieb gefiel.

Den frischen und klaren Schreibstil mochte ich vom ersten Moment an, und ich konnte mich sehr gut in die Figur der Judith, ihre Situation und ihre Gedanken einfühlen. Als Bruno Judith verlässt, muss sie sich mit Mitte dreißig unvermutet noch einmal neu erfinden. Ihre Ansprüche an das Leben und die Liebe treffen auf die Wirklichkeit, und da ist die Erkenntnis, an den eigenen Träumen und Maßstäben vom kleinen Glück gescheitert zu sein. Und dann stehen Bruno und sie auch noch vor der Aufgabe, nach ihrer Trennung als Paar weiterhin gemeinsam Eltern eines Kleinkindes zu bleiben. Die Art und Weise, wie sie dies angehen, fand ich bewundernswert und ermutigend. Wie sich Judith Schritt für Schritt "aufrappelt", sich zaghaft neu orientiert, Freiheiten entdeckt, ihre Vorstellungen reflektiert, sich an ihre erste Jugendliebe erinnert, auch schmerzhafte Momente erlebt, ist ganz behutsam und mit einem Blick für die kleinen Details erzählt, und mit einem wunderbar feinen, klugen Humor hinterlegt, der die Geschichte trägt und ihr eine gewisse Leichtigkeit verleiht.

Ein leiser, ehrlicher, nachdenklicher Roman, der Mut macht und in dem ich mich oft selbst erkannt habe. Einige Passagen habe ich mir sogar markiert, weil ich sie so treffend fand.

Bewertung vom 16.07.2023
Caspari, Anna-Maria

Perlenbach (eBook, ePUB)


sehr gut

Mit "Perlenbach" ist nach "Ginsterhöhe" der zweite Band der Eifeltrilogie von Anna-Maria Caspari erschienen, wobei dieser zeitlich vor "Ginsterhöhe" angesiedelt ist. Somit kann der 2. Band auch völlig problemlos vor dem 1. gelesen werden.

Schauplätze sind das Bauerndorf Wollseifen und das Städtchen Montjoie, das heutige Monschau. Der Roman begleitet den Bauernsohn Wilhelm aus Wollseifen, Jacob, den Sohn des Tuchfabrikanten Becker, und die Arzttochter Luise zwischen 1865 und 1905. Die Kinder Jacob und Luise sind Nachbarn in Montjoie, und Wilhelm darf für einige Jahre die Wintermonate bei Beckers verbringen als Gesellschaft für den schwächlichen Jacob. Die Kinder werden enge Freunde. Als die Drei älter werden, geht jeder seinen eigenen Weg, und insbesondere der Kontakt zu Wilhelm wird loser. Als sich alle drei auf einem Fest wiedersehen, geschieht etwas, das ihre Freundschaft für immer verändert.

Da ich bisher wenig über die Geschichte der Eifel wusste, aber selbst aus einer Stadt komme, in der die Tuchherstellung eine lange Tradition hat, hat mich die Grundidee des Buches sofort angesprochen. Man erfährt ganz nebenbei einiges über den Bau der Erfttalsperre und den Niedergang der Tuchfabrikantion in der Eifel um die Jahrhundertwende. Durch die Figur der Luise, die unbedingt Ärztin werden möchte in einer Zeit, in der Frauen noch nicht als Studentinnen an deutschen Universitäten zugelassen sind, und ihre Gouvernante Friederike, die sich aktiv für Frauenrechte einsetzt, werden auch die Rolle der Frau, die beginnende Organisation von Frauen in Vereinen (und deren Verbot durch die Sozialistengesetze) und der Kampf um gleiche Rechte ausführlich thematisiert.

Der Roman hat mir insbesondere im ersten Teil sehr gut gefallen, der Schreibstil ist angenehm zu lesen, die Geschichte abwechslungsreich und unterhaltsam. Im späteren Verlauf konnte mich das Buch weniger begeistern. Wilhelms Verhalten war in meinen Augen überzogen und Jacob wurde doch sehr klischeehaft dargestellt (Da ich nicht spoilern möchte, kann ich hier nicht konkreter werden.). Seine weinerliche, selbstmitleidige und passive Art ging mir ziemlich auf die Nerven, und mir war unverständlich, dass Luise sich in so hohem Maße für ihn eingesetzt hat. Insgesamt war der 2. Teil für mich zu dick aufgetragen. Die Tagebucheinträge von Friederike waren zudem ein sehr durchsichtiges und etwas plumpes Mittel, um die politische und gesellschaftliche Entwicklung in den Roman einzubinden.

Insgesamt ein interessanter Roman über das ausgehende 19. Jahrhundert in der Eifel, der mich gut unterhalten hat, mir aber nicht nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

Bewertung vom 14.07.2023
Parvela, Timo

Der Pakt / Schatten Bd.1


sehr gut

Mit "Der Schatten (1) - Der Pakt" erscheint der erste Band der Schatten-Trilogie des renommierten finnischen Kinderbuchautors Timo Parvela. Da mein Sohn bereits seit Jahren die Ella-Bücher von Parvela liebt, war dieses Buch ein Muss.

Als erstes sticht das unglaublich schöne, herrlich gruselige Cover ins Auge, und auch Pasi Pitkänens aufwendige und durchgehend farbigen Illustrationen im Buch sind einfach der Hammer.

INHALT:
Petes beste Freundin Sara ist sehr krank und muss bald sterben. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass Sara wieder gesund wird, und erzählt einem Weihnachtsmann im Kaufhaus davon. In der darauffolgenden Nacht erhält Pete Besuch von dem merkwürdigen Wichtel Elpiö, der Pete einen Pakt vorschlägt: Sara wird wieder gesund, wenn Pete hierfür auf seinen Schatten verzichtet. Pete ist einverstanden, denn wofür braucht man schon einen Schatten? Doch bald wird ihm klar, dass er mit dem Schatten auch einen Teil seines Selbst, seiner Seele, verloren hat. Er empfindet keine Zuneigung und kein Glück mehr,  nur noch Haß, Leere und Wut. Er möchte daher seinen Schatten unbedingt zurückbekommen, und gerät hierbei in ein gefährliches Abenteuer.

Neben Petes Geschichte gibt es noch einen zweiten Handlungsstrang um die Schattenflickerin Uudit, die in der Wichtelwelt lebt.

MEINE GEDANKEN ZUM BUCH MIT BEWERTUNG:
Über die Bedeutung der Schatten widmet sich Parvela der Frage, was einen Menschen ausmacht, das Gute, Mitfühlende, seine Fähigkeit zu lieben.

Parvela greift im Buch auch die Themen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf. So wettert Petes verbittert Vater gegen Asylsuchende, und einige Politiker, bei denen Pete auffällt, dass sie auch keinen Schatten haben, äußern sich ebenfalls xenophob. In der Wichtelwelt wird Uudit aufgrund ihres Aussehens von Wichteln diskriminiert, da man ihr ansieht, dass ihr Vater ein Gnom ist.

Das Buch ist der Auftakt einer Trilogie und enthält keine in sich abgeschlossene Geschichte. Vielmehr erfährt man im 1. Band schrittweise mehr über die Schatten und was es bedeutet, diese zu verlieren, und über die Wichtelwelt, die mit der Menschenwelt durch Portale verbunden ist. Viele Fragen bleiben offen und werden wohl erst in den nächsten Bänden geklärt. Das Buch endet mit einem Cliffhanger, enthält im Anhang jedoch die ersten drei Kapitel des 2. Bandes, so dass man einen kleinen Vorgeschmack davon bekommt, wie es weitergeht (Band 2 erscheint bereits im Oktober 23).

Die Geschichte richtet sich an Kinder ab ca. 10 Jahren und ist schon richtig düster und unheimlich. Es gibt sehr dunkle Mächte, mystische Figuren und gruselige Szenen, wobei ich eine Szene, in der eine Scheinhinrichtung vollzogen wird, als etwas grenzwertig empfand. Insgesamt hat das Buch einen sehr düsteren Tenor, und keine der Figuren ausser Pete ist ein echter Sympathieträger, und auch Pete zeigt nach dem Verlust des Schattens seine dunkle Seite.

Da mein Sohn gerade geheimnisvolle Geschichten mit viel Nervenkitzel liebt, kam das Buch bei ihm richtig gut an, und er ist schon richtig gespannt darauf,  wie es weitergeht.
Im Gegensatz zu ihm konnte mich die Geschichte noch nicht zu 100 Prozent überzeugen. Manches wirkt auf mich unrund, und wenn man mit dem Wissen vom Ende des 1. Bandes Sara Verhalten gegenüber Pete überdenkt, ist dieses rückblickend nicht logisch. Die Figuren haben bisher alle wenig Tiefe und wirken recht eindimensional. Was die Schatten angeht, ist die Begriffsverwendung verwirrend: Wer seinen Schatten verliert, verliert seine Seele und eine leere Hülle bleibt zurück. Diese Hülle wird aber immer wieder ebenfalls als Schatten bezeichnet. Das ist widersprüchlich, da an einigen Stellen im Buch klar zwischen der Hülle und dem Schatten unterschieden wird (etwa am Anfang von Kapitel 26), an anderen beide Begriffe für dasselbe verwendet werden (Ende von Kapitel 25, die Wesen in Kapitel 35, die den Schattenring bilden, u.v.a).

FAZIT:
Insgesamt eine sehr spannende, gruselige Geschichte mit fantastischen Illustrationen für Kids ab ca. 10 Jahren, die Lust auf die Fortsetzung im nächsten Band macht.

Bewertung vom 10.07.2023
Funke, Cornelia

Tintenherz / Tintenwelt Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Da ich bereits dem Jugendalter entwachsen war, als die Tintenwelt-Trilogie veröffentlicht wurde und ich nie viel Fantasy gelesen habe, ging Tintenherz bisher an mir vorbei. Nun hat mein Sohn bald das passende Alter, und ich hatte große Lust, schon mal vorab in die Tintenwelt abzutauchen.

Die Idee, Figuren aus Büchern herauszulesen, faszinierte mich auf Anhieb, und auch Cornelia Funkes bildhafter, lebendiger und teils poetischer Schreibstil gefiel mir sehr und ist für ein Jugendbuch ab ca. 11 Jahren wirklich bemerkenswert. Die große Liebe zu Büchern spricht aus jeder Seite, und die Geschichte zeigt, wie wunderbar, aufregend und magisch es sein kann, sich an einem sicheren, heimeligen Ort von den wildesten Abenteuern in Büchern fesseln zu lassen. Selbst Teil eines solchen zu werden, ist jedoch oft alles andere als wünschenswert. Die Geschichte ist bis zum Schluß spannend, wobei die Handlung sich deutlich an einem jugendlichen Publikum orientiert.

Mein Lieblingscharakter ist Staubfinger, da er für mich die tiefgründigste Figur darstellt und innere Konflikte und Ambivalenzen deutlich werden. Die anderen Charaktere sind mitunter etwas schwarz-weiß geraten (Capricorn und seine Männer, Mo, Meggie) und Elinors Figur empfand ich als etwas "holprig". Ich denke jedoch, dass dies (und die ein oder andere kleine logische Schwäche) der jugendlichen Zielgruppe möglicherweise weniger auffallen dürfte.

Insgesamt ein wirklich außergewöhnliches, sehr fantasievolles und unbedingt lesenswertes Jugendbuch! Ich freue mich schon darauf, die weiteren Bände Tintenblut und Tintentod der Trilogie zu lesen. Mitte Oktober erscheint überdies mit "Die Farbe der Rache" ein brandneuer vierter Teil!

Bewertung vom 10.07.2023
Magnus, Ariel

Tür an Tür


ausgezeichnet

Argentinien hat als Einwanderungsland eine wechselvolle Geschichte und wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts durch den zunehmenden Antisemitismus in Europa ein Emigrationsziel für Juden aus Russland und Osteuropa. Nach der Machtergreifung Hitlers und während des zweiten Weltkrieges emigrierten vielen deutsche Juden nach Argentinien und trafen dort in der Nachkriegszeit auf Kriegsverbrecher und Nazis, die dorthin geflohen waren, um der Strafverfolgung zu entgehen. In "Tür an Tür. Nazis und Juden im argentinischen Exil" beleuchtet Ariel Magnus, Enkel nach Argentinien eingewanderter Juden, dieses mitunter skurrile Zusammenleben in direkter Nachbarschaft. Bekennende Nazis und Kriegsverbrecher konnten über viele Jahrzehnte relativ unbehelligt in Argentinien leben und erschreckend offen ihre Nazi-Ideologie vertreten.

Ariel Magnus begibt sich auf die Suche nach der Identität der Jeckes, der im Ausland lebenden Deutschen jüdischer Abstammung, und zeigt die Vielfalt und Inhomogenität jüdischen Lebens und Selbstverständnisses in Argentinien. Zudem lässt er den Leser teilhaben an seinen inneren Konflikten als deutschjüdischer Auswanderer der dritten Generation, der seit einigen Jahren wieder in Deutschland lebt.

Ein sehr empfehlenswertes und interessantes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.