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Magnolia
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Bayern

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Insgesamt 157 Bewertungen
Bewertung vom 27.06.2025
Pierre, Marie

Der Weg der Frauen / Das Pensionat an der Mosel Bd.3


ausgezeichnet

Faszinierender, spannender Abschluss um das Pensionat an der Mosel

Nun heißt es Abschied nehmen von Pauline Martin und ihrem Pensionat, das sie einst von ihrer Patentante Adéle übernommen hat. Seitdem führt sie es mit viel Herzblut und Engagement mit dem Ziel, ihre Schützlinge zu selbstbewussten, selbstbestimmten Frauen zu erziehen. Was in jener Zeit, wir schreiben das Jahr 1912, eher unüblich war. Die Männer hatten das alleinige Sagen, Frauen waren meilenweit entfernt von jeglicher Emanzipation.

Schon der Titel „Der Weg der Frauen“ deutet an, dass der dritte Band der Trilogie „Das Pensionat an der Mosel“ die Lebenswirklichkeit der Frauen in der Zeit der Belle Époque thematisiert.

Sophie, Paulines Schülerin, habe ich schon in den beiden Vorgängerbänden „Töchter des Aufbruchs“ und „Schwestern im Geiste“ kennengelernt. Sie war ein durchaus lebensfrohes junges Mädchen, das nun in Polizeigewahrsam ist - Wachtmeister Schrotherr hat dies Pauline mitgeteilt, mehr ist noch nicht bekannt. Sie entscheidet, direkt in die Polizeidirektion zu fahren, die sich in der lothringischen Bezirksstadt Metz befindet. „Sie sollten nicht alleine reisen, Mamsell!“ gibt Lisbeth, die Köchin und gute Seele Pensionats, zu bedenken. Dennoch entscheidet Pauline, sich ohne Begleitung auf den Weg zu machen, auch wenn dies ihrem guten Ruf nicht unbedingt zuträglich ist. Dort erfährt sie von Sophies Agitation für das Frauenwahlrecht, ihr wird Unruhestiftung und Vandalismus vorgeworfen. „Das Wahlrecht der Frauen, politische Mitbestimmung. Wenn es eines Tages tatsächlich so weit kommen sollte, steht die Ordnung und Sicherheit des Landes auf der Kippe.“ Schon allein diese Aussage eines Wachtmeisters, dem Pauline nun gegenübersitzt, zeigt deutlich, dass es noch ein weiter Weg ist hin zur Emanzipation. Dies ist eines der Themen, von denen wir lesen. Und doch waren es in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mutige Vorreiterinnen, die sich für die Rechte der Frauen stark machten. Und ja - natürlich müssen ihre Eltern verständigt werden, Sophies Vater reagiert wie erwartet. Er nimmt sie aus der Schule, gleichzeitig gibt er Pauline mit ihren „verdorbenen Ideen“ die alleinige Schuld. Der Vater ist ein typischer Vertreter seiner Zeit. Sein Wort gilt – für seine Ehefrau, für seine Tochter.

Paulines Alltag fordert ihr alles ab, auch privat läuft vieles unrund. Nach Jahren taucht ihr ehemaliger Verlobter wieder auf, der sie erneut umwirbt. Ein Dilemma. Denn sollte sie seinem Ansinnen nachgeben, muss sie ihre Lehrtätigkeit aufgeben, zudem ist sie Hauptmann von Priesnitz mehr als freundschaftlich verbunden.

Das Lehrerinnenzölibat gilt noch lange, überhaupt sind es die Frauen, die gesellschaftlich und politisch im Schatten der Männer stehen. Da ist die junge Camille, die mit der Schande eines unehelichen Kindes lebt und auch die Frau, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann fliehen muss. Das geltende Züchtigungsrecht, das Familien-, Scheidungs- und Sorgerecht, das immer zugunsten des Mannes ausgelegt wird und auch der Missbrauch von Rauschmitteln sind Thema. Dies ist nur ein kurzer Abriss dessen, was uns im und um das Geschehen des Pensionats erwartet.

Die gut strukturierte Auflistung der hier agierenden Figuren macht den (Wieder)Einstieg in das Pensionat leicht, das hilfreiche Glossar (fachbegrifflich und fremdsprachlich) sowie das informative und sehr interessante Nachwort runden den bestens recherchierten Roman ab.

Der finale dritte Band rund um das Mädchenpensionat, das im beschaulichen Moselstädtchen Diedenhofen/Thionville liegt, kann ohne Vorkenntnisse gelesen werden. Empfehlen würde ich trotzdem, mit Band eins zu beginnen. Ganz einfach deshalb, weil Marie Pierre ihre Leser sofort fesselt - sie zieht einen regelrecht ins Buch. Ihr so lebendiger Schreibstil und ihre durchdachte Geschichte um das Institut sind Garant für faszinierende Lesestunden. Darüber hinaus vermittelt sie viel geschichtlich Interessantes, das auf sehr spannende Weise mit einfließt.

Bewertung vom 23.06.2025
Peer, Sabine

Heimat im Gepäck


ausgezeichnet

Südtiroler Auswandergeschichten

Wahre Geschichten von Südtiroler Auswanderern erzählt Sabine Peer in ihrem sehr lesenswerten Buch „Heimat im Gepäck“. Es sind die Lebensgeschichten von vier jungen Südtirolern, die in ihrer Heimat keine Zukunftsperspektiven haben.

Da ist Karl Fink aus Ritten, der 1942 hier geboren wurde. Der Hof, den seine Eltern bewirtschaften, gibt alles her, was sie zum Leben brauchen. Daneben betreiben sie eine Gastwirtschaft und auch eine Metzgerei gehört dazu. Karl findet in einer Druckerei einen Ausbildungsplatz, Zukunftschancen sieht er für sich hier dennoch nicht. 1962 verschlägt es ihn nach Stuttgart in einen modernen Druckereibetrieb.

„Ich will nicht zurück nach Bozen“ denkt Christiane Paugger Schanninger, die 1963 nach Ludwigshafen kommt. Herbert, den sie schon in Bozen kennengelernt hat und der schon länger weg ist, schwärmt davon, dass es in Deutschland reichlich Arbeit gibt, die auch noch gut bezahlt wird.

Luzia P. aus dem Pustertal schlägt einen ganz anderen Weg ein. Hinaus aus dem engen Tal möchte sie schon lange, nur muss sie noch ihren Vater dazu bewegen, sie gehen zu lassen. Das Argument, dass in Österreich und in Deutschland die Ausbildung zur Krankenschwester keine Kosten verursacht, überzeugt ihn dann doch.

Auch der 1943 in Seis am Schlern geborene Eduard Wörndle hat – wie auch die Vorgenannten - eine beeindruckende Vita. Schon mit acht Jahren war er Hüterbub, später Knecht. Den wissbegierigen, technisch äußerst begabten Jungen zieht es dann arbeitsbedingt in die Welt hinaus.

Jede einzelne Lebensgeschichte ist beeindruckend, jede ist prall gefüllt mit Leben. Anhand dieser Einzelschicksale entsteht ein gutes Bild der Zeit, als die jungen Südtiroler weg mussten, denn ihre Heimat bot ihnen kein gesichertes Auskommen, Arbeit war Mangelware. Hatte eine Familie mehrere Kinder, war der erstgeborene Sohn Erbe, so es denn etwas zu erben gab. Die Mädchen wurden verheiratet und die jüngeren Buben mussten sich oftmals als Knecht oder Hilfsarbeiter verdingen. Dass ein junger Mensch dem entfliehen will, ist verständlich.

Sabine Peer gelingt es, die Konflikte zwischen den deutschsprachigen Südtirolern und den Italienern, die hier jede einzelne Familie hautnah spürt, mit einzubeziehen. Die zugesicherte Autonomie wird als Scheinautonomie verunglimpft, der Befreiungsausschuss Südtirol, kurz BAS, wird gegründet, Widerstand formiert sich. Und da ist der Militärdienst, dem die jungen Männer auch im Ausland nicht entkommen. Erst wenn sie das Entlassungspapier, Congedo genannt, vorweisen können, sind sie in dieser Hinsicht frei. Viele weitere Themen werden angesprochen und auch die für diesen Landstrich typischen Begriffe erklärt das Glossar am Ende des Buches.

Geschichten, die das Leben schreibt – es sind vier bewegende Lebensgeschichten, die von einer schweren Zeit, von einem bitterarmen Südtirol erzählen, die aber auch den Blick hinaus in die Welt richten. Die Alten mussten bleiben, wo sollten sie auch hin. Sabine Peer hat sich viel Zeit für die Gespräche davor genommen, jede einzelne Geschichte ist in sich stimmig, sie erzählt unaufgeregt und behutsam über den Mut, die Heimat zu verlassen und in der Fremde neu anzufangen - es ist ein fesselnder Blick zurück in die 1960er Jahre.

Bewertung vom 20.06.2025
Schwarzhuber, Angelika

Aber bitte mit Sonne


ausgezeichnet

Adios, Bahamas

Lucy hasst Überraschungen, ihre beste Freundin Jacky dagegen liebt sie. Es kommt, wie es kommen muss – zu Lucys 29. Geburtstag lotst Jacky sie zur Garage ihrer Tante, die als Partyraum aufgemotzt ist, sechs Leute warten schon auf sie.

Nun gut, dieser denkwürdige Tag hat noch mehr zu bieten. Jacky folgt einem heißen Typen nach Hamburg, auch ihre beruflichen Weichen sind dementsprechend gestellt und das Schlimmste überhaupt – Lucy befürchtet, ihren nächsten Geburtstag nicht mehr zu erleben, ihre Sorge ist durchaus berechtigt.

Nach dem ersten Schock will sie ihr Leben total umkrempeln. Sie will auf den Bahamas mit den Schweinen schwimmen, sie will den ganzen alltäglichen Ballast nicht länger mit sich herumschleppen, also zunächst auf nach Niederbayern zu ihrem Onkel Mike. Blöd nur, dass ein Unfall - kurz bevor ihr Flieger abhebt - sie dazu zwingt, ihren Traum von der Karibik hintanzustellen. Vorerst sitzt sie hier fest.

Schon der erste Blick aufs Cover macht Laune, dieser Urlaubsroman, der fast einer gewesen wäre, hat viel zu bieten. Denn der Urlaub fällt ins Wasser und Lucy in ein tiefes Loch, stimmt sie doch der Gedanke an die nächste Zeit nicht gerade froh. Was schon verständlich ist, nur versperrt sie sich der Realität in einer Weise, dass ich sie des Öfteren schütteln möchte.

Da sind Onkel Mike, seine Kneipe und sein neu eingestellter Koch Matteo. Mit den beiden muss Lucy auskommen, was ihr bei Mike nicht sonderlich schwer fällt. Matteo – naja, irgendwann erzählt auch er seine Geschichte, die nicht ohne ist. Und - er zaubert die leckersten Gerichte, die Gäste des Lokals sind begeistert und nicht nur sie, auch ich möchte mich bei der Beschreibung all dieser herrlichen Gaumenfreuden am liebsten zu ihnen an den Tisch setzen. Und als Zuckerl sozusagen sind am Ende des Buches einige dieser Rezepte abgedruckt – mein Magen knurrt schon beim Lesen ganz schön.

Sommer, Sonne, Romanik und noch mehr - Angelika Schwarzhuber hat einen zauberhaften Roman geschrieben mit durchaus ernstem Hintergrund. Und auch sind es diese wunderbaren, witzig-spritzigen Momente, launig und humorvoll in Szene gesetzt, die mich so manches Mal haben schmunzeln lassen, die mich bestens unterhalten haben. Die Charaktere haben Biss, sie sind jeder für sich einzigartig, sie haben Ecken und Kanten, sind nett und zuweilen ganz schön grantig, wie man in Niederbayern zu sagen pflegt. Aber allesamt sind sie herzlich und füreinander da. Und auch wenn es mit der Karibik nix wird, so ist es doch daheim mindestens genauso schön. Lucy ist bestimmt der gleichen Meinung, dessen bin ich mir ziemlich sicher, denn ich hab sie ganz gut kennenlernen dürfen. Ein wunderbarer Roman ist ausgelesen. Ein Roman, den ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Bewertung vom 18.06.2025
Russ, Rebecca

Der Weg - Jeder Schritt könnte dein letzter sein (eBook, ePUB)


sehr gut

Abseits der Wanderwege - der Albtraum schlechthin

Julia und Lars sind mitten in den Hochzeitsvorbereitungen, als Nicki, Julias Freundin, überraschend mit zwei Flugtickets auftaucht. Mit ihrer Idee, den sagenumwobenen Königsweg in Schweden zu gehen, überrumpelt sie Julia zunächst und doch greift sie sich spontan ihre Wanderausrüstung - der Flieger wartet nun mal nicht. Geplant ist eine Etappe über 78 km des Kungsleden-Wanderweges in Schweden, die sie in sechs Tagen bewältigen wollen.

Nach einer Nacht im Hotel brechen sie trotz des schlechten Wetters auf. Sie wollen die Hütten umgehen, lieber etwas abseits des Weges ihr Zelt aufschlagen. Schon der erste Zeltplatz auf einem Plateau erweist sich als ungünstig. Als Julia durch Sturm und heftigen Regen erwacht, ist der Reißverschluss des Zeltes halb offen und Nicki verschwunden. Julias Hoffnung, dass sie nur schnell mal in den Büschen war, zerschlägt sich bald. Was tun? Nun, sie hat lange genug gewartet, also macht sie sich auf die Suche nach Nicki. Ihren Trekkingrucksack lässt sie zurück - weit kann ihre Freundin nicht sein, denn auch ihr Rucksack ist noch da. Julias Albtraum beginnt.

Sie nimmt mich mit auf ihren Horrortrip, sie stolpert über Stock und Stein, sie sieht durch die ungünstigen Witterungsbedingungen so gut wie nichts, sie hat weder Nahrung noch Wasser, ihr Orientierungssinn scheint sie komplett zu verlassen. Zwischendurch lerne ich Lars in den kursiv gehaltenen Kapiteln näher kennen.

Der Prolog legt den Focus auf eine Person, die ganz allein umherirrt. Schon diese erste Szene erzeugt eine sehr beklemmende Atmosphäre, die sich durchs Buch zieht. Der undurchdringliche, regennasse, düstere Wald mit allem möglichen Getier gibt die unheimliche Kulisse gut wider, ein Herauskommen scheint nahezu unmöglich. Und dieser Schatten – ist dies eine Sinnestäuschung oder schleicht da jemand rum? Die Story hält mich durchweg gefangen, ich bin ganz nah bei Julia. Bei Nicki bin ich mir absolut unsicher, was sie zu diesem Trip motiviert hat. Gut, spät wird so einiges sichtbar…

Beide Erzählstränge – auch der kursiv gehaltene – sind spannend und bieten so einige Wendungen. Meine Nerven werden arg strapaziert, dem Ende zu bin ich dann nicht zu überrascht, denn so einiges war zu erahnen. Was mir nicht zusagt, ist der endgültige Schluss. Der hat für meine Begriffe nicht gepasst, ansonsten aber war es ein rasanter Thriller, den ich am Stück verschlungen habe.

Bewertung vom 16.06.2025
Lehmann, Rüdiger und Sonja

Schatten Brüder


ausgezeichnet

Interessant und informativ

Die Familiensaga geht weiter. „Schatten Brüder“ ist das zweite Buch der O’Brian-Familien-Trilogie. Das Autorenpaar Rüdiger und Sonja Lehmann hat mir wiederum spannende Lesestunden beschert wie auch schon mit „Zwei Federn“, dem informativen Auftakt der Trilogie.

Es sind mehrere Erzählstränge, jeder ist für sich interessant. Ich beginne mit der charismatischen Religionswissenschaftlerin Dr. Mauritia Albioni, die in Rom lebt. Erzbischof Dr. Lorenzo Monteverdi ist ihr Vorgesetzter im Vatikan, der mir im Gegensatz zu ihr nicht sehr vertrauenserweckend scheint. Nun, das ist meine subjektive Meinung, ich möchte niemanden beeinflussen. Mauritia fühlt sich mit dem geheimnisvollen Bodhi Bai verbunden, er ist sehr mysteriös, ihn beobachte ich sehr genau und kann mir doch lange kein rechtes Bild von ihm machen.

„Bloß weil wir das Unmögliche und Unsichtbare kategorisch ausblenden, heißt es nicht, dass es nicht dennoch existiert.“ O-Ton Bodhi Bai.

Wir lesen von Devon O‘Brian, der von Irland nach Indien fährt und den dortigen Weinbau voranbringt, er gründet eine Familie, seinen Weg und seine Wurzeln könnte man zum Teil als abenteuerlich bezeichnen. Mehr möchte ich dazu nicht verraten.

Und dann ist es auch Bridget, die sich zunächst mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Rian auf die Spuren ihrer Vorfahren begibt. Später dann begegnet sie Allen „Dakota“ Brantfort in Kanada. Um nochmal auf Mauritia zurückzukommen – für sie und Bridget wird es richtig gefährlich, als sie an Unterlagen kommen, die nicht für sie bestimmt sind.

Alles hängt mit allem zusammen, in Rückblenden erfahren wir viel Wissenswertes und nicht zuletzt durch die Kapitelüberschriften behält man den Überblick zwischen dem Gestern und dem Heute und zu den einzelnen Personen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, ich werde hier nicht vorwegnehmen, denn die Spannung soll ja erhalten bleiben.

Hilfreich finde ich die dem Buch vorangestellte Auflistung der fiktiven Hauptpersonen, geordnet nach deren Wohnsitz. Die Familie O’Brian lebt in Irland, in Indien und in den USA, auch in Kanada finden sich Familienangehörige und es kommen noch weitere Personen in diesem Roman vor, auch die realen Persönlichkeiten sind aufgeführt. Gerade anfangs, bis ich im Lesefluss bin, blättere ich immer gerne vor.
Auch dieses zweite Buch ist spannend. Wer sich für Geschichte interessiert, ist hier richtig, allerdings würde ich empfehlen, vorher „Zwei Federn“ zu lesen.

Bewertung vom 16.06.2025
Winter, Thilo

Die Herde


sehr gut

Alles beginnt mit dem Staudammprojekt

Thilo Winters „Der Riss“ hat mich vor gut zwei Jahren sofort gefesselt und mich bis zum Schluss nicht mehr losgelassen. Auch „Der Stich“ war gut, wenngleich ich leichte Abstriche machen musste und nun habe ich „Die Herde“ zugeklappt, auch dieser Thriller hat es in sich, an das erste Buch jedoch kommt auch dieses nicht heran. Gut, das ist jammern auf hohem Niveau, denn auch dieses dritte Buch berichtet Unglaubliches. Der Autor versteht es, die realen Fakten rund um unsere Umwelt mit einer fiktiven Story zu vermengen und schafft somit eine auch für Laien verständliche, gut lesbare Geschichte, die dank seines einnehmenden Schreistils bestens unterhält.

Das Staudammprojekt „Drachenmauer“ wird in einem feierlichen Festakt vorgestellt. Als die Ingenieurin Dayan Sui ihre Rede hält, grätscht der schwedische Zoologe Peter Danielsson dazwischen. Es geht ihm um die Zwerggänse, die er hier gesichtet hat, er zeigt die Folgen für Mensch und Tier auf, die so ein Staudamm verursacht. Brutstellen von Vögeln und Laichplätzen von Fischen droht die Vernichtung, Tierarten wandern ab, auch für die Menschen, die entlang des Flusses wohnen, sind die Folgen unabsehbar. Die Medien werden aufmerksam, ein Desaster für das Staudammprojekt.

„Der Tag, an dem das Dorf Shuanxi zerstört wurde, begann mit einem Fest.“ Im Fernsehen berichten sie schon über das Feuer, das sich im Dorf ausbreitet. Die Bewohner wollten eine Herde Elefanten mit Feuer stoppen – das Unheil nahm seinen Lauf. Und mittendrin ist Dayan Bao, Suis Mutter. Als ob sie nicht schon genug mit diesem Umweltschützer zu tun hätte, muss Sui sich auch um Bao kümmern. Was dieser jedoch so gar nicht gefällt. Die Elefantenherde wird von bestimmten Gruppen als gefährlich eingestuft, ein Großwildjäger sieht für sich die einmalige Gelegenheit, vierzehn Tiere gezielt abzuschießen, die Unterstützung des zuständigen Gouverneurs ist ihm sicher. Peter weiß zunächst nichts von diesen illegalen Machenschaften, er drängt auf die Relokalisierung der Herde, Sui ist eher gezwungenermaßen an seiner Seite – ein Wettlauf um die Elefanten beginnt.

Peters Vater Abel ist Archäologe, er hält sich momentan in Mexiko auf, auch er gerät aus ganz anderen Gründen in Bedrängnis und nicht nur das, es wird für ihn lebensbedrohlich. Diese Episode um Abel finde ich arg überspitzt dargestellt, hier wäre weniger wesentlich mehr gewesen und auch passt diese Räuberpistole nicht zu den ansonsten gut geschilderten Storys.

Diese beiden Erzählstränge sind es, denen wir folgen. Aber nicht genug damit, in Bangkok bedrohen Affen Polizisten, in Houston haben Vögel das Regiment übernommen, auch andernorts kommt es zu beängstigen Zwischenfällen. Es scheint, als ob die ganze Welt der Tiere verrückt spielt.

Das lesenswerte Nachwort gibt Auskunft über die reale Bedrohung für Mensch und Tier, an dem nicht zuletzt der Klimawandel mit beiträgt. Auch spannt er den Bogen hin zu den Pyramiden, hin zu dem Archäologen.
Der Mensch beansprucht immer mehr Lebensraum für sich, die Natur schlägt zurück. „Was Thilo Winter schreibt, kann morgen schon Realität werden.“ Wir sollten darüber nachdenken.

Bewertung vom 16.06.2025
Hermanson, Marie

Im Finsterwald


sehr gut

Wo ist Alice?

„Im Naturhistorischen Museum ist ein kleines Mädchen verschwunden“ erfährt der Hauptwachtmeister Nils Gunnarsson, als er gegen Mittag ins Polizeirevier kommt. Gestern, um drei Uhr, als das Museum geschlossen wurde, ward sie zuletzt gesehen und heute gegen halb elf hat sie ihr Vater telefonisch als vermisst gemeldet. Unglückliche Umstände hätten ihn davon abgehalten, ihr Fehlen gestern Abend zu bemerken. Bleibt zu hoffen, dass sie die Nacht nicht im Freien verbracht hat, denn es waren vierzehn Grad unter Null.

Mai, das Kindermädchen der Familie Guldin, war mit der neunjährigen Alice und ihren Geschwistern Tore, dem Baby Ingmar und den drei- und zweijährigen Mädchen Britt und Marianne wie so oft im Museum. Als sie dann bei Schließung gehen mussten, war Alice nicht mehr da. „Sie hat sich versteckt. Im Laub. Ganz tief im Wald. Bei den Elchen“ bemerkt ihr sechsjähriger Bruder Tore eher nebenbei.

Nils übernimmt diesen Fall, er durchleuchtet die sehr eigenartige Familie Guldin. Der Vater ist eine verkrachte Existenz, er scheint dem Alkohol verfallen zu sein, kümmert sich weder um seine kranke Frau noch um die Kinder, dafür ist schließlich das 16jährige Kindermädchen da, die daneben auch den Haushalt schmeißt.

Der Kriminalroman führt uns nach Göteborg ins Jahr 1926. Schon am äußeren Erscheinungsbild merkt man, dass es eine andere Zeit ist und auch der Schreibstil hat mich ins vorige Jahrhundert versetzt. Man merkt sofort, dass es etwas steifer, etwas gediegener zugeht. Die Erzählweise ist eher gemächlich, der Fall an sich scheint streckenweise vergessen zu sein. Wir bewegen uns im Museum, bestaunen die Exponate, bekommen viel von der Arbeitsweise mit, vernehmen seltsame Geräusche im Diorama. Alleine möchte ich nicht unbedingt durch diese Räume schweifen.

Zuweilen kommen mir allesamt seltsam entrückt vor, keiner in dieser Familie scheint sich für Alice Schicksal zu interessieren. Lange tappen Nils und Ellen, die ihn mit ihrer einfühlsamen Art unterstützt, im Dunkeln und ja – es gibt einen Verdächtigen. Eine weitere Spur führt zu einem mysteriösen Verein, so etliche Ungereimtheiten führen nicht recht weiter, sie stehen gefühlt vor einer Mauer aus Lügen.

Viel erfahren wir von der Familie und auch von Alice, von dem Kindermädchen und von einigen Angestellten des Museums. Und auch das Private von Nils und Ellen schleicht sich zwischen die Ermittlungsarbeit, die letztendlich die ganze Wahrheit ans Licht bringt.

„Im Finsterwald“ ist ein Kriminalroman, der vor hundert Jahren angesiedelt ist. Die Arbeitsweise und die Methoden sind logischerweise ganz andere, als wir es von den Krimis gewohnt sind. Marie Hermanson schreibt authentisch, dieser Zeit angepasst, nichts anderes erwarte ich. Dass es streckenweise zu schleppend vorwärts geht, ist auch den Blicken ins Private geschuldet, was mir zuweilen zu langatmig war. Dem Ende zu spitzt sich dann alles zu, es wird nochmal richtig dramatisch und nicht nur der Vermisstenfall an sich klärt sich auf, auch erfahren wir mehr von den hier agierenden Personen. Ein geheimnisvoller Kriminalfall ist gelöst, er hat mich trotz einiger Längen gut unterhalten.

Bewertung vom 14.06.2025
Winkelmann, Andreas

Ihr werdet sie nicht finden


ausgezeichnet

Spannung pur

„Isabell, Isabell, Isabell“ ruft er immer wieder. Verzweifelt sucht Jonas Waider seine 16jährige Tochter, die von einer Geburtstagsparty nicht wie vereinbart heimgekommen ist. Nicht nur er, Freunde und die ganze Nachbarschaft durchkämmen das Gelände. Es ist weit nach Mitternacht. Als sie dann ihren Rucksack finden, ist Jonas Verzweiflung groß, von seiner Tochter fehlt weiterhin jede Spur.

Sieben Jahre später engagiert Frau Dr. Frieling die Privatermittlerin Franca Lichtenwalter. Sie soll ihre Enkelin Silvia suchen, von der sie seit einem halben Jahr nichts mehr weiß. Silvia lebt bei ihrer Mutter, zu der Frieling jedoch schon lange keinen Kontakt mehr hat. Franca findet heraus, dass die beiden verschwundenen Mädchen sich gekannt haben. Sie vermutet einen Zusammenhang, stößt bei ihren Recherchen unweigerlich auf Jonas, den ehemaligen Polizisten. Seit dem Verschwinden seiner Tochter ist er ein anderer, er neigt gelegentlich zum Jähzorn, ihr Verschwinden hat er nie verkraftet. Franca dagegen ist eher diplomatisch und einfühlend. Beide sind sie charakterstark und hartnäckig mit einem ausgeprägten Spürsinn. Zusammen sind sie ein gutes Team, auch wenn es gelegentlich ordentlich kracht.

Andreas Winkelmann ist es wieder mal gelungen, mich nicht loszulassen. Natürlich lockt der neue Thriller, ein Hineinlesen stillt sozusagen den ersten Lesehunger. Aber – er hat seine Krallen nach mir ausgestreckt und mich nicht mehr losgelassen. Bis zum bitteren Ende. Denn erst ganz zum Schluss wird auch der letzte Knoten aufgedröselt, das ganze Buch ist Spannung pur.

Einige Passagen sind kursiv dargestellt, was zunächst vermuten lässt, dass es sich um den Täter, den Entführer, den Mörder – wie auch immer, man weiß es ja nicht – handelt. Nie hätte ich vermutet, wer denn wirklich dahintersteckt. Das sind diese kleinen Feinheiten, die Winkelmann beherrscht. Und nicht nur dies, die komplette Story, die sich aus den zwei Fällen speist, ist raffiniert in Szene gesetzt. Viel erfahren wir über den privaten Jonas, einiges auch über den ehemaligen Polizisten und warum er heute keiner mehr ist. Auch verfolgen wir Franca, die ziemlich cool auftritt. Und natürlich wird Silvia und ihre Familie auf eine Weise durchleuchtet, dass ich dabei so manches Mal hart schlucken musste. Abgründe tun sich auf.

„Ihr werdet sie nicht finden“ hat mir wiederum gezeigt, warum ich jeden Winkelmann lesen muss. Eine raffiniert konstruierte, nicht durchschaubare Story, dazu der schnörkellose, gut lesbare Schreibstil, all dies spannend in Szene gesetzt – ein Winkelmann eben.

Bewertung vom 13.06.2025
Cleave, Paul

Angsttreiber (MP3-Download)


ausgezeichnet

Absolut fesselnd

James ist elf Jahre alt, als er im Haus Geräusche hört, er denkt an Killerclowns. Was ist da unten los? „Bitte nicht“ hört er seine Mutter. „Nein, nicht“ seinen Vater. Von oben, auf der Treppe, sieht er ins Wohnzimmer. Er sieht einen Fremden, einen zweiten… ist es sein Vater, der einen Kissenbezug über dem Kopf gezogen hat? James schleicht sich in Hasels Zimmer. Sie ist älter als er und glaubt ihm nicht, dass sie weg müssen. Gerade noch rechtzeitig entkommt die 14jährige dann doch, James schafft es nicht mehr.

Schon die ersten Seiten sind dramatisch, ich fiebere mit den Geschwistern, bange um ihre Eltern, die brutal hingerichtet werden. Auch James wird angeschossen, während Hasel sich zum Nachbarn retten kann, der dann die Polizei verständigt.

Paul Cleaves „Angsttreiber“ habe ich mir als Hörbuch geholt. Der versierte Hörbuchsprecher Carsten Wilhelm hat sowohl der Story an sich als auch den einzelnen Charakteren ihre unverwechselbare Stimme gegeben. Die Personen sind gut zu unterscheiden, sodass ich mich ganz dem Geschehen widmen konnte. Auch nennt er kurz die Kapitel, was dem besseren Verständnis dient. Also – meine Konzentration war dank Wilhelms versiertem Vortrag voll auf die Ermittlungen gerichtet…

…angefangen von James und seiner Familie und seiner Koma-Welt, in der er neun Jahre gefangen war über Joe Middleton, den Schlächter von Christchurch zu Copy-Joe, der sich an Middletons Taten dranhängt, um von dessen Ruhm etwas abzubekommen.

Paul Cleave lässt in seinem Nachwort seine Leser wissen, was er am liebsten macht, nämlich schlimme Dinge geschehen zu lassen. Und er hält Wort, denn dieser Thriller lässt einen das Blut in den Adern gefrieren, es geht hart zur Sache. Schon die Aufklärung an den brutalen Morden von James Eltern für die Ermittler Theodore Tate und Rebecca Kent wäre Aufregung genug, aber damit gibt sich der Autor nicht zufrieden. Die anderen Fälle machen die Story noch angsteinflößender und noch temporeicher, der Sprecher versteht es auch hier, diese Ängste, diese Gefühle, zu vermitteln.

Ich bin restlos begeistert, ich mag wendungsreiche Storys, auch mag ich es durchaus heftig. All dies bietet dieser rasante, sehr spannende Thriller, den ich – auch als Hörbuch - gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 09.06.2025
Rutherford, Robert

Sieben letzte Tage


gut

Sind es für Jim Sharp seine letzten Tage?

„Sie werden ihn in sieben Tagen töten. Dad. Die werden Dad töten. Er sitzt im Todestrakt.“

Jim Sharp war alles, aber kein Vater für Fiona und Alice. Er ist vor langer Zeit einfach aus ihrem Leben verschwunden, hat sich nie gemeldet und nun droht ihm die Todesspritze. Mariella, Jims jetzige Frau, hat Fiona angerufen. Schon 2011 wurde er verhaftet, er soll einen Typen in Florida umgebracht haben. Und so ganz nebenbei erfahren die beiden noch mehr Familiäres.

Alice ist die ältere der beiden Schwestern, sie hat ihren Vater noch hautnah erlebt und weiß um seinen Charakter im Gegensatz zu Fiona, die noch klein war, als er ging. Und nun bedrängt Fiona sie, in diesen sieben noch verbleibenden Tagen Beweise für Dads Unschuld zu finden. Alice ist Strafverteidigerin, sie lebt in England, ist also in Florida, wo er einsitzt, nicht zugelassen, hat aber aus ihrer Zeit in New York gute Kontakte, die sie nun nutzt. Sie ist Profi genug, um Gefühl und Arbeit zu trennen. Meist zumindest, denn natürlich wühlt sie Dads Fall auf. Je tiefer sie gräbt, desto mehr Parallelen zu ähnlich gelagerten Morden entdeckt sie. Sie fliegt nach Paris und hier findet sie einen ehemaligen Detective, der damals maßgeblich an Jims Verhaftung beteiligt war.

Die anfangs ziemlich zähe Story nimmt nun Fahrt auf, man spürt den Wettlauf gegen die Zeit, auch wenn Alice Tage gefühlt länger sind, als dies möglich ist. Alice Freundin und Kollegin Sofia setzt in den USA alle Hebel in Bewegung, auch sie arbeitet unter Hochdruck.

Jims „Sieben letzte Tage“ – von Montag bis zum nächsten Montag, dem Tag der Hinrichtung – werden spannend dargeboten, die wendungsreiche Story hat mich nach dem etwas langatmigen Einstieg durchaus gefesselt, auch konnte ich der Figur Alice viel abgewinnen - mit Fiona als nervigen Gegenpol. Diesen Detective, der an Jims Fall damals dran war und nun in Paris mitmischt, sehe ich sehr differenziert. Hat er in einer Situation meine volle Sympathie, so traue ich ihm kurz danach nicht über den Weg. Er und seine Rolle in diesem fiesen Spiel sind mir bis zum Schluss rätselhaft und die Frage, ob damals schlampig ermittelt wurde, wabert auch um diese Figur, die sehr gut charakterisiert ist. Und da ist noch ein Schatten…

…und auch ein weiterer tödlich endender Zwischenfall aus der Vergangenheit. Ja, viel wird in diesen Thriller hineingepackt, er zieht weite Kreise und je mehr ich mich dem Ende nähere, desto mehr frage ich mich, warum diese interessante Grundidee so überfrachtet werden muss, auch zwängt sich eine weltweit agierende Organisation mit hinein. Trotzdem haben mich diese „Sieben letzten Tage“ gut unterhalten, auch wenn bis zum bitteren Ende gekämpft werden muss. Ist Jim Sharp unschuldig? Am Ende dieser sieben Tage werden wir es wissen.