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Leselampe
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Osnabrück

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Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 30.11.2023
Stern, Anne

Lindy Girls


gut

Frauenaufbruch, der swingt

Berlin, Ende der 1920er Jahre: Es ist die Glanzzeit der Tanzrevue-Girls, der Varietés, der sich emanzipierenden Frauen, doch düster zieht bereits der Nationalsozialismus auf, mit Gewalt gegen Andersdenkende, mit dem Verlust vieler Freiheiten. In diesem Spannungsfeld siedelt Anne Stern ihre Geschichte um die "Lindy Girls"an, eine zusammengewürfelte Truppe von acht Frauen, die von ihrer Choreografin Wally Kaluza zu einer modernen Charlestongruppe geformt werden. Zwei der Tänzerinnen, Alice und Thea, dazu Wally und die Schreibkraft Gila aus einer Zeitungsredaktion werden in den einzelnen Kapiteln näher vorgestellt: ihre Persönlichkeit, ihr jeweiliger familiärer Hintergrund, ihre Probleme, ihre Wünsche an ein eigenständiges Leben, ihre mutigen Ziele. Gleichzeitig wird die eigentliche Handlung - die Entwicklung und die Fortschritte der Tanzgruppe - vorangetrieben.

Die Schnelllebigkeit der "Goldenen Zwanziger" mit neuen Musikrichtungen, motorisiertem Verkehr, Hunger nach Vergnügungen, Drogenabhängigkeit - all das hat die Autorin historisch treffend eingefangen. Zudem hat sie reale Schauplätze - wie das "Nelson Theater" und damals lebende Personen in die Handlung eingebunden, was den Wert der genauen Recherche zeigt. So weit hat mir der Roman wirklich gut gefallen.

Irritierend fand ich es, die Perspektive nicht auf die vier Frauen zu beschränken, sondern ab Kapitel acht auch drei Männer mit ihren Sichtweisen in eigenständigen Abschnitten zu berücksichtigen: Da sind Jo, der Eintänzer, Toni, der sich als Manager in die Tanzgruppe drängt, und schließlich Friedrich, ein junger Straßenbahnschaffner. Dieser Aufbau hat dem Roman nicht gut getan; es hätte völlig ausgereicht, die drei Männer weiterhin in den Frauen-Kapiteln zu erwähnen. Für mich hat die gewählte Form den Spannungsbogen und Lesefluss gestört, und ich war stets froh, wenn eine der Frauen wieder an der Reihe war. Als etwas befremdlich empfand ich es zunächst, dass bei Gila zur Form der Ich-Erzählerin gewechselt wurde, doch die erfrischende Art dieser Schreibkraft mit schriftstellerischen Ambitionen kam dadurch gut zur Geltung.

Mein persönliches Fazit bleibt damit gemischt: Einerseits ist Anne Stern ein Roman von mitreißendem Rhythmus gelungen, andererseits hätte es dem Plot viel besser gestanden, den Fokus deutlicher auf die Frauen zu legen.

Bewertung vom 03.11.2023
Fletcher, Susan

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe


ausgezeichnet

Very nice to meet you, Florrie

Schauplatz der Geschichte ist die Seniorenresidenz Babbington Hall. Hier lebt seit kurzem Florence Butterfield, die Hauptfigur des Romans - 87 Jahre alt, klein, füllig, Rollstuhlfahrerin, wach, interessiert und herrlich selbstironisch. Ich musste sie einfach gern haben. Trotz aller Höhen und Tiefen in ihrem Leben, trotz aller Schicksalsschläge, Verluste und Verletzungen hat sie sich ihre lebensbejahende Grundeinstellung bewahrt: "Sie neigt [ohnehin] dazu, glücklich zu sein" (S.46). Vielleicht kann sie gerade deshalb nicht glauben, dass ihre Heimleiterin Renata Green einen Selbstmordversuch unternommen haben soll. Etwas anderes muss dahinterstecken. Und so beginnt Florence in der Residenz nachzuforschen, unterstützt von Mitbewohner Stanhope.

Die eigentliche Krimihandlung spielt in der Gegenwart auf dem weitläufigen Gelände des Seniorenheims. Bestimmte Ereignisse, Gegenstände, Gedanken sind für Florrie immer wieder Anlass, auf ihr wahrlich ereignisreiches Leben zurückzublicken: Da gab es die beste Freundin, die Familie mit Mutter, Tante und Bruder, sechs Männer, die jeweils eine Lebensphase begleiteten, und zahlreiche weite Reisen.

Susan Fletcher ist ein Krimi gelungen mit zwei sehr eigenwilligen Ermittlern, die sie liebevoll mit vielen Details beschreibt und charakterisiert. Man merkt der Autorin an, dass sie selbst ein Faible für ihre Romanfiguren hat. Gelungen ist zudem weit mehr als ein Krimi, nämlich die Lebensgeschichte einer wunderbaren, liebenswerten und Liebe schenkenden Frau, die bis in ihr hohes Alter unerschütterlich optimistisch und voller Lebensmut geblieben ist.

Bewertung vom 28.10.2023
Clothier, Meg

Das Buch Eva


sehr gut

Ein Buch mit Fantasie

Das wunderschön gestaltete Cover, der feministisch zu deutende Titel und der verheißungsvolle Untertitel haben mich für "Das Buch Eva" begeistert. Ein schwarzer Hintergund, feine botanische Zeichnungen, goldene Verzierungen, unbekannte Schriftzeichen - diese Umschlag-Elemente sind sehr passend auf den Inhalt abgestimmt. Der gewählte Schauplatz, ein Nonnenkloster im Italien der Renaissance, ist perfekt, um in einen Mikrokosmos mit ganz eigenem Rhythmus, ritualisierten Tagesabläufen und Hierarchien einzutauchen. Hier begegnen uns - neben einigen weltlichen Gästen - vor allem Nonnen und Novizinnen, die ihren jeweils festgelegten Aufgaben in der Gemeinschaft nachgehen. Angeführt werden sie von Mutter Chiara, einer starken und furchtlosen Persönlichkeit. Einzelgängerin Beatrice, zuständig für die Bibliothek mit ihren wertvollen Manuskripten, wird durch das mysteriöse Buch Eva zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte: Das Buch entwickelt zunehmend ein Eigenleben, wird von machtgierigen Kirchenmännern, allen voran Bruder Abramo, begehrt. Die Männer schrecken vor Gewalt gegen Frauen nicht zurück, verbreiten Angst und Schrecken im Kloster und darüber hinaus...

Während die Geschichte zunächst langsam beginnt und uns mit dem zurückgezogenen Klosterleben bekannt macht, gewinnt die Handlung mehr und mehr an Dynamik, bekommen Fantasy-Elemente immer größeres Gewicht, je stärker die Gefahr für die eigenständigen Frauen heraufzieht.

Meg Clothiers Schreibstil unterstützt die Handlungsdynamik: Beatrice als Ich-Erzählerin schafft spürbare Nähe zum Geschehen, zu ihrer Freude, ihrem Mut, ihrer Angst und Verzweiflung; das Präsens als durchgängiges Tempus gefällt mir, lässt es mich doch als Leserin stark an der Geschichte teilnehmen und mit zunehmendem Tempo fast Atemlosigkeit empfinden - zumindest hatte ich bei den letzten einhundert Seiten den Eindruck, immer schneller zu lesen, und konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Die Autorin hat sich zu ihrem historischen Roman vom realen Voynich-Manuskript aus dem 15. Jahrhundert inspirieren lassen, einem Text, der bis heute nicht entschlüsselt ist. Schaut man sich bei Wikipedia eine Textprobe zu diesem Manuskript an, so fällt ein bestimmtes Zeichen auf, das hier im Buch jeweils die Kapitelanfänge ziert.

Bewertung vom 01.10.2023
Fredriksson, Anna

Der Weg ins Apfelreich


gut

Familienstärke

Was für eine wunderbare Herbstgeschichte im ländlichen Schweden! Zu Beginn fand ich es etwas schwierig, in die Problem beladene und verzwickte Familiengeschichte hineinzufinden, da mir viele erwähnte Personen nicht bekannt waren. Das kann ich dem Roman der Herbstsaga aber nicht anlasten, sondern meinen mangelnden Vorkenntnissen der beiden vorhergehenden Bände der Trilogie.

Den drei Protagonistinnen - Großmutter Vanja, ihrer Tochter Sally und Enkelin Josefin - konnte ich Kapitel für Kapitel näher kommen, ihre jeweils wechselnden Blickwinkel einnehmen. So ergibt sich ein differenziertes Bild ihrer Ansichten, Gedanken, ihrer Sichtweisen auf das Leben, wie sie es gestalten möchten, mit welchen Problemen sie sich dabei konfrontiert sehen. Tragend dabei sind die Beziehungen der drei Frauen untereinander, in deren Familiengeschichte es vieles zu klären gibt. Können sie einander verstehen, vergeben, Gemeinsamkeit entwickeln?

Die jahreszeitliche Stimmung, die Farben, die Landschaft, die Gerüche - all das hat Anna Fredriksson treffend eingefangen. Der Sprachstil ist lebendig und abwechslungsreich mit vielen Anteilen wörtlicher Rede. Das Cover strahlt herbstlich-milde Wärme aus, die sonnigen Farbtöne von Gelb über Orange bis Dunkelrot wirken einladend und anheimelnd. Das abgebildete Bed & Breakfast steht wohl für Sallys "Pension Pomona". Hier möchte man sich gern verwöhnen lassen.

Bewertung vom 13.08.2023
Martin, Amelia

Salz und Schokolade / Halloren-Saga Bd.2


sehr gut

Schokoladenhistorie

Amelia Martin macht uns in ihrem Roman mit der Geschichte von Deutschlands ältester Schokoladenfabrik vertraut. In Halle an der Saale gelegen, tauchen wir zugleich ein in die Traditionen der Halloren, wie die Bruderschaft der Salzwirker genannt wird. Der historische Roman umfasst den Zeitraum von 1905 bis 1923, eine Zeit der Umbrüche auf vielen Ebenen: Die Schokoladenfabrik der Familien Mendel und David wandelt sich vom kleinen Handwerksbetrieb zur Manufaktur, in der Führung bahnt sich ein Generationenwechsel an, Deutschland steuert mit Kaiser Wilhelm II. auf den ersten Weltkrieg zu, und gesellschaftspolitisch erstarkt die SPD mit fortschrittlichen Forderungen für die Arbeitswelt und das Frauenwahlrecht. Die Vereinigten Staaten von Amerika locken nicht wenige, in ein freies Land mit mehr individuellen Möglichkeiten aufzubrechen.

Das Aufbegehren geht auch an den Protagonisten der Romanhandlung nicht spurlos vorüber: Die Töchter Cäcilie und Elise David entwickeln andere Vorstellungen von ihrer Zukunft als die Eltern es für sie vorgesehen haben, mit einer ehelichen Verbindung der Familien David und Mendel. Die ältere lebt ihren Freiheitsdrang beim Reiten und einer Liebelei aus, die jüngere träumt von einer beruflichen Perspektive. Demgegenüber stehen Julius und Friedrich Mendel als Nachfolger der Fabrik. Julius, vorbestimmt als Ehemann Cäcilies, hat nur Augen für Ida, eine Salzwirkertocher und damit nicht standesgemäß. Mit den Figuren Jonni und Emmi ist auch noch die Handwerker- bzw. Arbeiterschaft präsent.

Über allem schwebt das Damoklesschwert des heraufziehenden ersten Weltkriegs, mit Folgen auch für Julius und Friedrich - über den Prolog wird das Schlachtgeschehen teils vorweg genommen und später in der chronologischen Handlung wieder aufgegriffen. So wird der Spannungsbogen bis zuletzt aufrecht erhalten.

Der Autorin ist es sehr gut gelungen, die zeitgeschichtliche Ebene mit den persönlichen Schicksalen der Protagonisten zu verknüpfen, zugleich erfahren wir Einiges über die Schokoladenproduktion und die Lebensweise unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten. Genau das finde ich an historischen Romanen so reizvoll. Der Schreibstil ist lebhaft und gut lesbar. Während über weite Strecken durchaus gemächlich erzählt wird, ging es mir zum Ende hin fast zu schnell. Wünschenswert ist eine Fortsetzung der Familiengeschichte für die Zwischen- und Nachkriegszeit. Ein bereits erschienener Band deckt die Zeit ab 1950 ab, so wäre die Lücke zu schließen.

Das Cover hat mich zusammen mit dem Buchtitel sehr angesprochen; ich finde es stimmig, um das Zeitkolorit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einzufangen.

Bewertung vom 27.07.2023
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


weniger gut

Vom Hölzchen aufs Stöckchen

Max Richard Leßmann nimmt uns mit auf eine Reise - nach Sylt in eine Ferienwohnung zu den Großeltern, in seine Jugend, zu seiner Familie. Vieles davon ist wohl autobiografisch gefärbt. Die Großeltern Omma Lore und Oppa Ludwig sind alt geworden, besonders der Großvater wird "tüdelig". So ist es erstmalig (und letztmalig) nicht mehr der Camper wie in Max' Kindheit, der Unterschlupf auf Zeit bietet, sondern eine Ferienwohnung in Westerland. Der Abschied Max' nach drei Tagen hat nichts vom fröhlichen Winken bis zum nächsten Aufenthalt, sondern etwas Endgültiges voller Wehmut.

Gut gefallen hat mir der teils selbstironische, witzige und ehrliche Sprachstil Leßmanns. Auch die Charakterisierungen der höchst eigenwilligen, liebens- und auch hassenswerten Großeltern fand ich treffend und vielfach anrührend. In Ich-Form erzählt der Autor, ausgehend vom aktuellen Sylturlaub, in vielen Rückblenden von früheren Aufenthalten, von der Kindheit, Familienfesten, Schicksalsschlägen, Freunden, Verwandten. So weit, so gut. Jedoch verliert sich die Geschichte dabei oft in Nebensträngen von weiteren Nebensträngen; das habe ich als ausufernd und zunehmend als anstrengend empfunden.

"Sylter Welle" bezeichnet einerseits die Anlage mit der gemieteten Ferienwohnung, andererseits kann der Buchtitel auch für die Höhen und Tiefen des Lebens stehen, die für Max angesichts der alten Großeltern so präsent werden. Das Cover mit dem brennenden Strandkorb hätte ich eher passend für einen Inselkrimi gefunden.

Bewertung vom 16.07.2023
Cox, Amanda

Der Laden der unerfüllten Träume


gut

Glaube, Liebe, Hoffnung

Der Lebensmittelladen "Old Depot Grocery" in der amerikanischen Kleinstadt Brighton/Tennessee scheint wie aus der Zeit gefallen. Längst ist der größere Supermarkt mit seinen günstigen Angeboten zur übermächtigen Konkurrenz geworden; es droht der Konkurs. Doch Glory Ann mag diesen Anker ihrer Familie noch nicht aufgeben, ist er doch das Vermächtnis ihres vor vielen Jahren getöteten Ehemanns Clarence, Arbeitsstelle für Tochter Rosemary, Heimat für die zweite Tochter Jessemine und Zufluchtsort für Enkelin Sarah. Letztere kehrt zurück nach Brighton, als ihr Mann tödlich verunglückt ist und sie nicht weiß, wohin ihr Lebensweg sie führen soll.

Die Familiengeschichte um die drei Frauen Glory Ann, Rosemary und Sarah birgt viele Geheimnisse, viele Verletzungen, viele Missverständnisse. Nach und nach bringt die Autorin Amanda Cox Licht ins Dunkel, indem sie in ihrer Erzählstruktur häufig zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt. So lernen wir ganz allmählich die Hauptpersonen und die Beweggründe ihres Handelns besser kennen, machen Bekanntschaft mit weiteren liebenswerten oder auch schrulligen Bewohnern der Dorfgemeinschaft bis zurück in die 1960er Jahre.

Die Geschichte wird ruhig und mit liebevollem Blick auf die Romancharaktere erzählt. Die Kleinstadt Brighton mit dem Laden als Treff- und Mittelpunkt ist für mich lebendig geworden: Hier kümmert man sich umeinander und interessiert sich für die Sorgen der Mitmenschen. Wunderbar konnte ich mir auch vorstellen wie sich Rosemary und ihre jüngere Schwester Jessemine die Gänge des Geschäfts als Spielplatz eroberten, wie sie später halfen, die Regale zu säubern und mit Waren aufzufüllen. Amanda Cox merkt man an vielen Stellen ihren christlichen Hintergrund und ihre Wertorientierung an: Die Romanfiguren lassen sich davon leiten. Dieser starke religiöse Bezug wurde mir vor allem ab Mitte des Buches zu viel. Das Buchcover konnte mich nicht gänzlich überzeugen: Während der untere Teil mit dem Motiv des Ladens durchaus gelungen ist, passt die obere Abbildung so gar nicht zu den drei Frauen im Buch.

Ich mochte die Protagonisten mit all ihren Fehlern und ihrer Bereitschaft, daraus zu lernen und ihrer Fähigkeit, Freude, Zufriedenheit und Glück auch in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen.

Bewertung vom 03.07.2023
Lüding, Kristina

Greta Garbo / Ikonen ihrer Zeit Bd.10


gut

Gut recherchiert

Kristina Lüding legt mit "Greta Garbo. Die einsame Göttin" eine gut und sorgfältig recherchierte Romanbiografie vor. Viele Fakten und Daten aus dem Leben der Greta Gustafsson hat die Autorin aufgegriffen und im Roman als Gerüst und Hintergrund verarbeitet. Die ärmlichen Familienverhältnisse in Schweden, der frühe Verlust des geliebten Vaters, die Notwendigkeit, die Familie finanziell zu unterstützen, prägen Gretas Jahre als junges Mädchen. Sie ist begeistert von der Atmosphäre des Theaters und wünscht sich nichts sehnlicher als Schauspielerin zu werden. Ihre ersten Schritte in diese Richtung kann sie als Hutmodell für einen Katalog und Darstellerin in einem Kaufhaus-Werbefilm im Stockholm der 1920er Jahre machen. Über Stationen wie den Besuch der Schauspielschule und erste Filmerfolge in ihrer Heimat Schweden folgt sie ihrem Entdecker Mauritz Stiller nach Hollywood zu MGM. Die große Zeit der Traumfabriken in der Stummfilmära ist angebrochen, und die junge ehrgeizige Frau wird als Greta Garbo zur Stil gebenden Ikone "die Garbo" aufgebaut.

All ihre Lebenssituationen, ihre Filmerfolge, ihre Beziehungen zu Schauspielern, der ständige Kampf um ihr passend erscheinende Rollen, um höhere Gagen und sonstige Vertragsbedingungen lassen das Bild einer nach Unabhängigkeit strebenden Frau entstehen. Und dennoch erscheint es schwierig, sich der Persönlichkeit der großen Schauspielerin anzunähern. Kristina Lüdings Darstellung ist flüssig zu lesen und keineswegs oberflächlich, aber dennoch lässt mich ihr Roman mit dem Gefühl zurück, in seinem Verlauf nicht wirklich viel von Greta Garbo kennengelernt zu haben. "Ich fürchte, ich habe mir angewöhnt, immer eine Rolle zu spielen", so äußert sich Greta im Roman (S. 315) gegenüber ihrer Freundin Mercedes. Und sie findet selbst keine Antwort darauf, ob es schon immer so war. Mag auch sein, dass die Attribute des Geheimnisvollen und Unnahbaren, mit denen die Hollywoodikone sich stets umgeben hat, verhindern, hinter diese Kulisse zu blicken.

Das Cover gefällt mir: Der Titel gebende Schriftzug "Greta Garbo" ist einem Autogramm nachempfunden. Die leicht exotisch anmutende Hollywoodkulisse ist gut auf den Inhalt abgestimmt: Palmen und Häuser am Fuße der Hills in sanften, verwaschenen Farben, davor die Frauengestalt, die Greta Garbo verkörpern soll. Die hintere Umschlagklappe macht mit acht weiteren Titeln der Reihe "Ikonen ihrer Zeit" bekannt: Berühmte Frauengestalten aus mehreren Jahrhunderten von Nannerl Mozart bis zu Diana machen mich neugierig auf ihre Schicksale.

Mein Fazit zum vorliegenden Band bleibt gemischt, knapp vier Sterne.

Bewertung vom 19.06.2023
Barns, Anne

Wo du mich findest


sehr gut

Neubeginn - poetisch verpackt

Von Anne Barns habe ich bereits einige Romane gelesen/gehört, deren Schauplätze sich gleichen, die am Meer spielen, beispielsweise auf Juist. Immer begegnet man Frauen, die neue Entscheidungen für ihren Lebensweg treffen.

So auch in dem Buch "Wo Du mich findest", das auf Rügen spielt. Bereits das stimmungsvolle Cover deutet an, dass wiederum eine Frau die Hauptfigur ist, eine Frau, die sich "freischwimmen" will: Sophie, die zwei Trauerfälle zu verarbeiten hat und nicht weiß, in welche Richtung ihr Leben sie führen, welche Wendung sie ihm geben wird. Und doch ist dieser Roman anders: eine sehr fantasievolle Grundidee, ausgesprochen poetisch im Sprachstil, teils melancholisch, mit offenem Ende.

Die zufällige Begegnung mit einem Fremden auf Rügen, der Sophie daheim in ihren Träumen begegnet, ihr nicht mehr aus dem Kopf geht, leitet für sie einen Neubeginn ein. Ihr Mann und sie finden nicht mehr zueinander, Sophie sucht den Fremden auf der Ostseeinsel, freundet sich mit einer Insulanerin an und - bleibt...

Anne Barns hat mich wiederum nicht enttäuscht!

Bewertung vom 31.05.2023
Kashiwai, Hisashi

Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1


sehr gut

Mit Spürsinn zu vergessenen Wohlgeschmäcken

Wer fühlt sich nicht von einem Lieblingsgericht seiner Kindheit förmlich umarmt, wenn er sich daran erinnern und es nachkochen kann? Und wie schade ist es, wenn das Gedächtnis lückenhaft ist, das Rezept nicht aufgeschrieben wurde oder verloren gegangen ist. Hisashi Kashiwai erfand ein unscheinbares, kleines Restaurant in Kyoto, in dem der Gast den längst vergessenen Geschmack eines Gerichtes wieder erleben kann. Hat der Besucher das einfach anmutende Restaurant ausfindig gemacht, fördern Nagare und seine Tochter Koishi Kamogawa mit detektivischem Gespür, akribischer Recherche und Kochkunst Erinnerungen zu Tage, führen Erkenntnisse herbei und lösen Glücksgefühle aus.

Das kleinformatige Buch mit seinen Geschichten um sechs Personen ist liebevoll gestaltet und angenehm zu lesen. Die Kapitelanfänge sind jeweils mit einer Zeichnung von Hauskatze Hirune verziert; die Erinnerungsgeschichten der sechs Gäste gleichen sich und sind doch immer anders gelagert. Wir erfahren einige Details von der japanischen Küche, verschiedenen Regionen und japanischer Lebensweise, lernen nicht zuletzt Nagare und Koishi immer besser kennen.

Mir hat die zu Grunde liegende Idee und ihre Umsetzung rundum sehr gefallen!