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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Herbert Huber
Wohnort: 
Wasserburg am Inn

Bewertungen

Insgesamt 230 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2023
Down the Rabbit Hole. An Echo Falls Mystery
Peter Abrahams

Down the Rabbit Hole. An Echo Falls Mystery


ausgezeichnet

Die dreizehnjährige Irene Levin-Hill im fiktiven Echo Falls ist Fan der Detektivgeschichten um Sherlock Holmes. Doch der Kriminalfall in „Down the Rabbit Hole“ hat wenig mit dessen Fällen zu tun. Während Holmes und Watson geradeaus zur Lösung kommen, geht es hier kunterbunt und aufregend zur Sache. Das erinnert an den Kinothriller „Lola rennt“ und an Carlo Lucarelli: „Laura di Rimini“. Mit dem Kniff der geplanten Theateraufführung von „Alice in Wonderland“ weitet der Autor den Erzählraum. Trotz Turbulenzen (am Ende etwas dick aufgetragen) gibt es auch Tiefgang: „Maybe everything human ended up being subjective and nothing could be known for sure“ (S. 217). Irene spielt zwar nicht Schach, aber ihr Freund Joey und dessen Vater (S. 171).
Handlung und schnörkellose Sprache passen zusammen. Beste
Leseempfehlung für jedes Alter über 12.

Bewertung vom 30.03.2023
Lebende Schatten
Beil, Lilo

Lebende Schatten


sehr gut

Der pensionierte Kommissar Friedrich Gontard ermittelt in einem Fall aus den 40-er Jahren des 20.Jhdts. in der Pfalz. Die Nazis werfen ihre unheilvollen Schatten bis in die Gegenwart.
Trotzdem kommt der Krimi leichtfüßig bei den Lesern an. Die Autorin bindet die grausigen Taten in ein angenehmes Regionalkolorit ein. Gelegentlich trägt sie zu dick auf. Björn Möckel mit „fiesem Charakter“ tritt auf und die Leser wissen wo es lang geht. Der Neonazi Kuno erfüllt natürlich alle Klischees. Die anderen Personen des Krimis reden sich auffallend oft mit „liebe Karolin“, „liebe Frau Kern“, ... an.
Der Regionalkrimi „Lebende Schatten“ bietet einige Stunden Lesevergnügen für alle Leser, die über das Verbrechen hinaus mehr intellektuelles Futter erwarten.

Bewertung vom 25.03.2023
Krieg und Frieden
Tolstoi, Leo N.

Krieg und Frieden


sehr gut

Ich habe den Mammutroman fertig gelesen. Eine substantielle Inhaltsangabe würde den Rahmen sprengen. Gemäß dem Titel wechseln sich Kapitel in der friedvollen Welt Russlands zur Zeit Napoleons mit Kapiteln des Kriegsgeschehen ab. Der Krieg im frühen 19. Jhdt. wirbelt das mondäne Leben in Moskau, Sankt Petersburg und Umgebung gehörig durcheinander. Auch wenn Tolstoi seinen Patriotismus nicht versteckt, ist Krieg und Frieden doch gegen den Krieg gerichtet und damit auf seine Art ein Vorläufer von Catch 22. Joseph Heller hat Krieg und Frieden gelesen, denn wie Pierre seine Besucher austrickst (11. Teil, 18. Kap.) ist die Blaupause für Major Major im Roman von 1961. Es freute mich, dass ein paar Mal auch Schach gespielt wird und es überraschte mich, dass man schon damals für flottes Mundwerk nach Sibirien wandern konnte (8. Teil, 16. Kap.).
Manche Kriegskapitel überflog ich, für die anderen lag neben dem Buch die Personalliste, damit ich nachvollziehen konnte, wer zu wem in welcher Beziehung steht.

Bewertung vom 25.03.2023
Bergkristall
Stifter, Adalbert

Bergkristall


sehr gut

Wer „Bergkristall“ in einer Ausgabe mit dem Titelbild der beiden Kinder im verschneiten Wald vor sich hat und es als Kinderbuch oder als Weihnachtswunder mit zauberhafter schneebedeckter Natur lesen will, wird enttäuscht werden oder liest die großartige Erzählung nur oberflächlich.
Es geht um Weihnachten und es steckt reichlich religiöse Symbolik drin. Doch wichtig sind auch die Ebenen Mensch und Natur und das gesellschaftliche Miteinander.
In „Bergkristall“ zeigt Stifter wie regionale Grenzen überwunden werden, wie Ressentiments gegenüber Fremden (und seien sie nur aus dem südlichen Nachbartal) abgebaut werden. Die Erzählung ist vielschichtig.
Für mein Lesevergnügen zieht sich der erste Teil der Schneenacht etwas. Ich empfehle die Ausgabe innerhalb des Erzählbands „Bunte Steine“ mit einer beachtenswerten Vorrede Stifters.

Bewertung vom 17.02.2023
The Four Just Men
Wallace, Edgar

The Four Just Men


sehr gut

Die vier Gerechten haben sich zusammengefunden um für Gerechtigkeit zu sorgen, wenn es die Justiz nicht vermag.
Im ersten Band der Reihe um die Vier wollen sie ein Gesetz zur Auslieferung an anderen Staaten verhindern und bedrohen den britische Außenminister Sir Philip Ramon mit dem Tod, wenn er die Gesetzesvorlage ins Parlament zur Abstimmung bringt.
Ihr übersteigertes Empfinden legen die Vier auch in präzisen Ankündigungen zu Tage. Kommissar Falmouth von Scotland Yard nimmt den geistgen und medialen Wettlauf auf da Sir Philipp Ramon nicht auf die Vorlage des Gesetzes verzichtet.
Der erste Krimi von Edgar Wallace ist ungewöhnlich, da er den Fokus auf beide Seiten (die vier Gerechten und Scotland Yard) legt. Der kleine Ganove Marks bringt im Mittelteil des Romans einiges Durcheinander ins Geschehen.
Allerdings versäumt es der Autor die Anliegen der Vier (sie sind schon länger aus Vollstrecker unterwegs) stark zu machen, so dass meine Empathie immer auf Seiten von Scotland Yard blieb.
Beim Wiederlesen nach über 50 Jahren (meine Erinnerung daran war schwach) sah ich über einige Schwächen des Romans hinweg. Es fiel mir auf, dass Journalist Wallace den Medien (im Jahre 1905 nur die Tagespresse) eine wichtige Rolle einräumte. Die Auslieferung an fremde Staaten ist heute ein noch drängenderes Problem. Aber zu all den spannenden moralischen Fragen bringt Wallace wenig.

Bewertung vom 11.02.2023
A Study in Scarlet
Doyle, Arthur Conan;Clemen, Gina D. B.

A Study in Scarlet


ausgezeichnet

Bislang kannte ich einige Kurzgeschichten um Sherlock Holmes von A.C. Doyle. Sie lohnen die Lektüre wegen des Londoner Flairs im ausgehenden 19- Jhdt. Der erste Roman Doyles „A Study in Scarlet“ ist von einem anderen Kaliber. Er überraschte mich positiv um nicht zu sagen: er haute mich fast um. Im 1. Teil begegnen sich Holmes und Dr. Watson zum ersten Mal. Dieser Teil hat schon viele Zutaten der späteren Kurzgeschichten. Doch dann folgt im 2.Teil ein Orts- und Blickpunktwechsel. Doyle erzählt die dystopische Wanderung eines Mannes im Westen der USA, an der Hand ein Kind. Das hat wohl McCarthy zu seinem Bestseller „The Road“ (2006) inspiriert. Eine Karawane von Mormonen nimmt die beiden auf und wandelt sich zu einer autoritären Überwachungsgesellschaft. Aus der verfolgten religiösen Gruppe wird selbst eine gnadenlose Oligarchie. Irgendwann dämmerte es mir, dass hier die Vorgeschichte des Mörders aus dem 1. Teil erzählt wird: anderer Blickpunkt und die Sympathien wechseln.

Bewertung vom 15.12.2022
Ivanhoe
Scott, Sir Walter

Ivanhoe


sehr gut

„Ivanhoe“ ist neben dem „Don Quijote“ der wohl bekannteste Ritterroman. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts kehren Wilfred von Ivanhoe und Richard Löwenherz von einem Kreuzzug nach England zurück. Dort haben die Normannen das Szepter übernommen und liegen im Clinch mit den Angel-Sachsen. Überrascht hat mich die Aktualität des 1820 erschienenen Romans.
Die Unterdrückung im eigenen Land ist in nahezu allen Ländern der Welt ein teilweise beherrschendes Thema. Mir war der historische Hintergrund in England nicht bekannt.
Ebenso erstaunt war ich darüber, dass Scott die Ausgrenzung der Juden zur Debatte stellt. Man kann „Ivanhoe“ als Nachfolger Lessings Nathan der Weise lesen. Im Hexenprozeß gegen Rebecca wird ein Gottesgericht angerufen. Tatsächlich tritt ganz am Ende Ivanhoe auf um die Sache für die Jüdin auszufechten. So gelesen, ist Wagners Lohengrin ein Nachfolger von Ivanhoe (und Richard Wagner hätte den Roman über Richard Löwenherz und Ivanhoe sorgfältiger lesen sollen).
Von einigen Längen abgesehen also ein hochaktueller Roman mit den Themen der (Un)Gerechtigkeit zwischen den Völkern, Volksgruppen und Religionen. Gelegentlich auch witzig erzählt.

Bewertung vom 30.11.2022
Warum Bairisch genial ist
Grewendorf, Günther

Warum Bairisch genial ist


sehr gut

Der Untertitel „I mog di obwoist a Depp bist“ erinnerte mich an den genialen bairischen Spruch: „Deafst koa Depp ned sei!“ und schon wollte ich wissen, warum Bairisch insgesamt genial ist.
Die Leserinnen erfahren es, aber vielleicht auf etwas anderer Ebene als zumindest ich es erwartete.
Ich kannte nur ungefähr Noam Chomsky Theorie der angeborenen Sprachfertigkeit. Günther Grewendorf erklärt den Sachverhalt schon im ersten Kapitel. In den folgenden Kapiteln legt er immer wieder klar, warum Dialekte, und besonders das Bairische keine degenerierte Formen der sogenannten Hochsprache sind. Er belegt die Feinheiten der bairischen Sprache mit Exkursionen ins Finnische, Flämische und andere Sprachen. Das war mir zuweilen zu abgelegen, ist aber zur Untermauerungen der Thesen der Abhandlung wohl notwendig. Vieles, was ich ganz unwillkürlich ausspreche, wurde mir im Laufe der kurzweiligen 160-Seiten klar.
Der Schwerpunkt ist auf der Grammatik. Ich meine, man könnte ähnlich einen Essay über die genialen bairischen Wörter schreiben.
Für alle des Dialekts Mächtigen ein Augenöffner. Ihnen empfehle ich die zahlreichen Hintergrunderkenntnisse, die sich aus der Lektüre ergeben.

Bewertung vom 22.07.2022
Die Schachnovelle
Zweig, Stefan

Die Schachnovelle


ausgezeichnet

„Schachnovelle” von Stefan Zweig gehört, wie vieles von Zweig zu den Klassikern in deutscher Sprache. Trotz der einfachen Handlung ist die Novelle thematisch vielschichtig. Sie behandelt die Methoden der Geheimdienste, das Leben unter starker diktatorischer Beeinträchtigung, der Gegensatz zwischen (einseitigem) Talent und Aneignung, ... Im literarischen Schach fehlt auch nie Genie und Wahnsinn.
Die Lesung von Christoph Maria Herbst ist hervorragend. Ich hatte bisher nur die Lesung von Curd Jürgens (Hauptdarsteller im Kinofilm von 1960) auf LPs. Herbst bringt den Text so, dass man den inneren Gehalt entdeckt und gut versteht. Dabei übertreibt er nichts. Die Aufmachung der argon edition ist tadellos, wenngleich für Leute, die zum ersten Mal die „Schachnovelle” hören, etwas mehr Hintergrundinformation willkommen wäre.