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Eternal-Hope
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Österreich

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Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 28.02.2025
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


sehr gut

Stellenweise langatmige Geschichte einer sehr reichen Familie:

Die Fletchers, eine jüdische Familie auf Long Island, haben richtig viel Geld. Selbst in der reichen Gegend auf Long Island, auf der sie wohnen, stechen sie noch durch ihren besonderen Reichtum unter den anderen Familien hervor.

Dabei ist Gründungsvater Zelig Fletcher mit nichts als einer Formel zur Herstellung von Styropor in den 1940er Jahren mit dem Schiff nach Amerika geflüchtet, hat es hier aber mit Intelligenz, Taktik und Glück zu einem wahren Vermögen gebracht. Sein Sohn Carl wächst also schon reich auf, dessen Frau Ruth heiratet in die reiche Familie ein, und die beiden bekommen drei Kinder: Nathan, Bernard ("Beamer") genannt und Jenny. Während der Schwangerschaft mit Jenny wird Carl entführt und fünf Tage gefangen gehalten, bis es durch die Zahlung von Lösegeld gelingt, ihn scheinbar ohne dauerhafte Schäden freizubekommen. Aber nur scheinbar... sowohl Carls Psyche als auch die seiner Frau und der Kinder werden durch diese Erfahrung lebenslang beeinträchtigt sein, wie man im weiteren Verlauf des Buches mitbekommt.

Das Buch beginnt mit der Schilderung der Entführung und der Versuche der Familie, Carl zu finden und schließlich freizubekommen. Schon da lernen wir das sehr reiche Umfeld der Familie, inklusive einer Selbstverständlichkeit zu Schönheitsoperationen, kennen.

Danach widmet sich je ein knappes Drittel des sehr umfangreichen Buches je einem der drei Kinder von Carl und Ruth: zuerst geht es um Beamer, dann um Nathan und schließlich um Ruth. Beamer ist ein erfolgloser Drehbuchautor, der in jedem Drehbuch die Entführung seines Vaters reinszenieren möchte, indem es immer nur um Entführungen geht. Verheiratet ist er mit Noelle, einer Nicht-Jüdin, was seiner Mutter ein Dorn im Auge ist, und die beiden haben miteinander zwei Kinder, die ausgerechnet Liesl und Wolfi heißen. Treu ist er aber nicht, er hat diverse Affären und geht außerdem wöchentlich zu einer Domina und nimmt Drogen.

Nathan ist Anwalt, aber ebenfalls als solcher nicht sonderlich erfolgreich und zum Partner wird er es wohl nie schaffen. Er ist ebenfalls verheiratet und hat nach Intervention der Kinderwunschklinik mit seiner Frau nach langem Probieren doch noch zwei Kinder bekommen. Geprägt ist sein Leben von starken Ängsten und dem Wunsch, absolut alles unter Kontrolle zu haben und abzusichern, so schließt er etwa eine Unzahl an Versicherungen ab.

Und dann gibt es noch Jennifer, die jüngste und in der Schule als hochbegabt und Wunderkind gehyped, die aber im Studium daran scheitert, sich festzulegen und für ein Fach zu entscheiden, sehr einsam ist und schließlich bei der Gewerkschaft arbeitet, um ihre inneren Schuldgefühle aufgrund ihrer privilegierten Herkunft zu bekämpfen.

Drei verkorkste, im Leben wenig erfolgreiche, reiche Kinder also, die mit viel innerem Ballast zu kämpfen haben und die wir in diesem Buch ausführlich kennen lernen. Und was passiert eigentlich mit diesen erwachsenen Kindern und ihrem Leben, wenn überraschend der finanzielle Wohlstand nicht mehr durch die Mittel der Familie gesichert ist?

Das Buch bietet einigen Stoff zum Nachdenken über soziale Ungleichheit, Klasse und darüber, was es psychologisch mit Kindern macht, sehr privilegiert aufzuwachsen. Die Entführung Carls habe ich eher nur als Aufhänger wahrgenommen - viel von der psychologischen Dynamik der Familie hätte sich problemlos auch ohne diese erzählen und erklären lassen können, alleine durch das so privilegierte Aufwachsen der Kinder und die anderen Familienthemen, die sich über Generationen ziehen, z.B. das Aufwachsen in Armut und sich selbst etwas schaffen bzw. das Einheiraten in eine reiche Familie mit deutlich ärmerem eigenem familiärem Hintergrund.

Denn das ist das übergreifende Thema des Familienromans: was macht es mit Menschen, so privilegiert aufzuwachsen? Wie wirkt es sich auf ihre Persönlichkeit, ihre Weltsicht, ihre Sozialbeziehungen aus? Und woran liegt es, dass so viele Kinder und Enkel aus sehr reichen Familien sich schwer tun, beruflich ihren Platz im Leben zu finden und sich für etwas zu entscheiden?

Mit diesen Hintergrundthemen ist es ein spannendes Buch. Allerdings hat es fast 600 Seiten, von denen man nach meiner Beurteilung locker ein Drittel kürzen hätte können, z.B. hätte ich die endlosen Schilderungen von Beamers Besuchen bei der Domina und seinem Drogen- und Medikamentenmissbrauch nicht in dieser Ausführlichkeit lesen müssen, genauso wie einiges andere - Verknappung und Reduktion auf das Wesentliche hätte diesem Buch also gut getan und dazu beigetragen, die Kernbotschaften prägnanter rüberzubringen und das Leseerlebnis interessanter zu gestalten.

Bewertung vom 25.02.2025
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Die "ganz normalen Menschen" & der Nationalsozialismus:

Noch ein Buch über die NS-Zeit? Ist über diese Zeit nicht längst schon alles gesagt und erzählt worden in den letzten 80 Jahren? Kann noch etwas Neues dazu gezeigt werden?

Ich gebe zu, ich habe gezögert, mich für dieses Buch zu entscheiden, denn ich war des Themas schon etwas müde, hatte schon dutzende, wenn nicht hunderte, Bücher dazu gelesen in meinem Leben... doch einige Empfehlungen haben den Ausschlag gegeben, es lesen zu wollen. Ich bin so froh darüber, es getan zu haben!

Ja, dieses Buch schafft es - nach all den bestehenden eindringlichen Werken zum Thema - etwas grundlegend Neues zu schaffen und damit die Menschen noch einmal anders als bisher zum Denken anzuregen. Es geht um eine schreckliche Zeit, doch die allseits bekannten Schrecken werden nur subtil angedeutet: ein Kalendereintrag hier, eine kleine Bemerkung da... und doch wissen wir alle, worum es geht, und das macht es noch beklemmender zu lesen.

Die fiktive deutsche Kleinstadt "Ginsterburg" wird im Roman zu drei Zeitpunkten beschrieben: ausführlich im Jahr 1935 und 1940 sowie knapp am Ende im Jahr 1945. Wir erleben die Stadt und das Zeitgeschehen durch die Augen ihrer Bewohner. Im Jahr 1935 gibt es einen Wanderzirkus mit altem Tiger, Motorradkünstler und Wahrsagerin... diese tauchen später nicht mehr auf, so etwas wird aus dem Zeitbild verschwunden sein. Es gibt die Buchhändlerin Merle, eine überzeugte Sozialistin, die wird es weiterhin geben... mit angepasstem Buchsortiment... und kritische Worte wird man von ihr nur mehr sehr spärlich vernehmen, und schon gar nicht öffentlich... es überwiegt die Sorge um sich und ihren Sohn Lothar.

Ja, Lothar, den habe ich ins Herz geschlossen am Anfang des Buches. Ein sensibler, ruhiger, stiller, intelligenter Junge. Einer, der lieber für sich alleine ist und die Natur erforscht, der keinem Verein und keiner Gruppe beitreten will, von anderen gemobbt wird und vom Fliegen träumt. Das Fliegen, das wird dann auch sein Schicksal und gibt seinen Weg vor, denn Flieger werden kann er nur im vorherrschenden System und das ist nationalsozialistische... also findet auch er zur HJ und wird später Kampfflieger, einer der besten, geehrt und bewundert. Der Redakteur Eugen, so stolz auf seinen Intellekt, seine Bildung und seine kritischen Glossen... auch er wird sich dem System anpassen und hoffen, dass seine scharfen Worte von früher unentdeckt bleiben und ihm nicht zum Nachteil geraten. Weitere Menschen, auch solche in scheinbaren Machtpositionen, die sich aber auch erpressbar machen, etwa durch abweichende sexuelle Neigungen, von denen keiner wissen darf und für die sie verfolgt werden könnten...

Alle diese und viele weitere, sind "ganz normale Menschen", wie es sie auch heute in jeder Kleinstadt zu finden gibt. Menschen mit Wünschen, Hoffnungen und Träumen, die individuell das Beste aus ihrem Leben machen möchten unter den vorherrschenden Bedingungen. Auch einige Menschen mit starken politischen Überzeugungen - aber kaum welche, die bereit sind, dafür in der Diktatur Leib und Leben zu opfern... da passen sie sich doch lieber an... würden wir unter diesen Bedingungen wirklich anders handeln und uns und unsere Familien gefährden? Viele kritische und auch unbequeme Fragen wirft das Buch auf.

Natürlich gibt es auch richtig unsympathische Menschen in dem Buch, solche, die voll von der vorherrschenden Ideologie überzeugt sind, und ihr alles opfern, selbst das eigene Kind. Blockwarte, Denunzianten und Sadisten hat es natürlich auch immer gegeben... doch auf diesen ist nicht das Hauptaugenmerk des Buches, sondern auf den "normalen", Menschen wie wir alle.

Das Jahr 1940... die Euphorie über den erfolgreichen Blitzkrieg und der Glaube, dass der Krieg nun vorbei und alles gewonnen sei... und die Desillusionierung 1945. Und all die Gräuel des Nationalsozialismus und die menschenverachtende Ideologie dahinter, mit der insbesondere die Kinder und Jugendlichen zutiefst indoktriniert wurden.

Wer hätte etwas dagegen machen können? Wann hätte man noch etwas machen können? Wann war es zu spät? Und was hätte es gebraucht, damit sich nicht alle (oder fast alle) so dermaßen angepasst und mitgemacht hätten?

Es ist ein wertvolles, ein besonderes Buch, das zum Nachdenken anregt. Der Autor hat extrem sorgfältig recherchiert, sein Wissen über die damalige Zeit zeigt sich in vielen Details. Auch sprachlich zeichnet sich das Buch aus. Ganz besonders mochte ich die vielfältigen Perspektiven, die subtilen Andeutungen, die Einladungen, selbst zu hinterfragen und nachzudenken und wie es dem Autor gelingt, die Atmosphäre zunehmender Bedrohlichkeit und Vereinnahmung durch das System durch stilistische Mittel zu zeigen.

Bewertung vom 19.02.2025
Henríquez, Cristina

Der große Riss


ausgezeichnet

Gut recherchierter und vielperspektivischer historischer Roman:

Es ist die Zeit um 1900 und nach einem missglückten Versuch der Franzosen, einen Kanal zu bauen, der Atlantik und Pazifik verbindet, haben sich nun die US-Amerikaner entschlossen, dies zu tun. Gleich am Anfang des Buches finden wir eine Anzeige, in der um 4000 tüchtige Arbeitskräfte für den Bau des Panama-Kanals geworben wird, und auch sonst spricht sich schnell nicht nur in Panama, sondern auch in vielen anderen Regionen in der Nähe herum, dass man hier leicht Arbeit finden und Geld verdienen könne. Das lockt verschiedenste Menschen an, sich am Bau zu beteiligen, doch die Arbeit ist anstrengend, kräftezehrend und gefährlich, gilt es doch, förmlich einen Riss durch das Gebirge zu bauen, um die beiden Ozeane miteinander zu verbinden.

Besonders gut hat mir an diesem Buch gefallen, dass wir es aus so vielen Perspektiven erleben. Es gibt einige Hauptfiguren, die immer wieder vorkommen, doch zwischendurch gibt es immer wieder kleinere Abschnitte, in denen wir das Geschehen auch aus dem Kopf einiger Nebenfiguren betrachten können. Das schafft insgesamt ein vielseitiges Bild der damaligen Zeit und Gesellschaft. Dabei gelingt es der Autorin, die Perspektiven geschickt so aufeinander aufzubauen und miteinander zu verweben, dass das Lesen angenehm und vergnüglich ist und man sich immer gut auskennt, worum es gerade geht.

Wir lernen zum Beispiel die jugendliche Ada kennen, die mit ihrer Mutter und ihrer Schwester auf der Insel Barbados lebt und sich kurzentschlossen als blinde Passagierin auf einem Schiff auf den Weg nach Panama macht, um hier Geld zu verdienen. Denn ihre Schwester ist schwer krank und kann nur durch eine ärztliche Behandlung geheilt werden, die die Familie sich jedoch nicht leisten kann.

Dann gibt es den Malariaforscher John und seine Frau Marian aus den Vereinigten Staaten. John hat ein ehrgeiziges Ziel: er möchte die Malaria nicht nur erforschen, sondern auf Panama auch ausrotten, ähnlich wie es gelungen ist, das Gelbfieber zurückzudrängen. Aus Vorsicht rät er seiner Frau, das Haus während der Regenzeit nicht zu verlassen, doch diese hält die monatelange Einsamkeit nicht aus und schlägt seinen Rat in den Wind. Als sie daraufhin erkrankt, sucht John nach einer Pflegerin für sie und findet Ada, die sich gerade tapfer dafür einsetzt, dass ein auf der Straße liegender Kranker ins Spital kommt und ärztlich versorgt wird. Beeindruckt von ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit stellt er sie ein.

Der gerettete Kranke wiederum ist Omar, der Sohn eines Fischers, der selbst keine Zukunft als Fischer für sich sieht und das Meer scheut, nachdem seine Mutter dort verschwunden ist, als er klein war. Er sucht Arbeit im Panamakanal, was zu einem heftigen Konflikt mit seinem Vater Francisco und monatelangem Schweigen zwischen den beiden führt. Denn Francisco ist gegen den Bau des Kanals und fühlt sich und sein Leben auch von seinem Sohn durch dessen berufliche Entscheidungen abgewertet.

Und dann gibt es noch weitere Menschen, die zum Beispiel davon betroffen sind, dass ihre Stadt umgesiedelt oder geflutet werden soll, um den Bau des Kanals zu ermöglichen und die versuchen, sich dagegen zu wehren.

Nebenbei erfährt man in dem gut recherchierten Buch auch historisch so einiges, was ich vorher noch nicht wusste, z.B. dass Panama bis kurz vor dem Bau des Kanals Teil von Kolumbien war. Interessant zu lesen und gleichzeitig traurig ist auch, wie sehr die damalige Gesellschaft noch nach Klassen und Hautfarben geteilt war, so gibt es z.B. in der Apotheke eine gut bestückte Abteilung für "Gold" (für die Menschen mit heller Hautfarbe) und eine weniger gut bestückte Abteilung für "Silber" (für alle, die dunklere Haut haben). Und auch sonst erleben wir an vieler Stelle die Diskriminierung speziell benachteiligter Menschen und Gruppen, aber auch ihren Mut, zusammenzustehen, sich gegenseitig zu unterstützen und für ihre Rechte zu kämpfen, auch gegen eine gewaltige Übermacht.

Ich kann das Buch allen, die ein tiefgründiges, nachdenklich machendes und gleichzeitig unterhaltsames Buch über das wenig bekannte Thema der Zeit des Baus des Panamakanals lesen möchten, ausdrücklich empfehlen.

Bewertung vom 16.02.2025
Qunaj, Sabrina

Die Tochter der Drachenkrone


ausgezeichnet

Konnte mich nicht so wirklich überzeugen:

Dieses Buch wurde mir von mehreren Bekannten empfohlen, entsprechend hoch waren meine Erwartungen daran. Diese haben sich aber nicht wirklich erfüllt: ich hatte beim Lesen nicht wirklich das Gefühl, glaubhaft in einem Setting im 12. Jahrhundert zu sein, dazu fühlten sich die Figuren für mich nicht authentisch genug gezeichnet an. Sehr grausam gefunden habe ich, dass Gwennlians gleichaltriger Halbbruder als Kind als Geisel genommen und ihm offenbar als Racheakt das Augenlicht genommen wurde. So etwas ist schon schlimm genug, wenn es in der Realität passiert, aber noch weniger mag ich so etwas in historischen Romanen, die manchmal wegen der Spannung unnötig grausam konstruiert sind. Dennoch ist für mich beim Lesen lange nicht wirklich Spannung aufgekommen, es gibt viel Vorgeplänkel, das sich hinzieht. Insgesamt kein Buch, das mich wirklich begeistert hat, wobei ich sagen muss, dass meine Ansprüche an Bücher, auch an historische Romane, hohe sind.

Bewertung vom 05.02.2025
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Unsichtbare Ausbeutung in der 24-Stunden-Pflege:

In "Halbe Leben" von Susanne Gregor lernen wir zwei gleichaltrige Frauen und ihre Lebenssituationen, die miteinander verflochten sind.

Klara liebt ihre Karriere in ihrem Architekturbüro, am wichtigsten ist ihr ihre berufliche Verwirklichung. In der Mutterrolle ist sie nie so wirklich angekommen, Haushalt und Kinderbetreuung erfüllt sie nicht und sie arbeitet auch in einem Bereich, in dem von ihr Überstunden erwartet werden, wenn sie beruflich weiterkommen möchte. Sie ist verheiratet mit einem beruflich mäßig erfolgreichen Mann - dadurch bringt hauptsächlich sie das Familieneinkommen nach Hause - und die beiden haben eine etwa 11-jährige Tochter, Ada. Diese wurde hauptsächlich von Klaras Mutter Irene großgezogen, doch jetzt kann Irene nicht mehr so wie früher, sie hat einen Schlaganfall hinter sich, erlebt immer wieder kurze Perioden der Verwirrtheit und Desorientierung und wird selbst pflegebedürftig. Die Lösung dafür, wie in so vielen österreichischen Familien heutzutage: 24-Stunden-Pflege. Über eine Agentur werden Pflegekräfte beauftragt, verschiedene ausprobiert und gewechselt, bis die Familie schließlich jeweils im zweiwöchentlichen Turnus von Paulína und Radek unterstützt wird.

Paulína ist wie Klara 38 Jahre alt, sie wohnt in der Slowakei und zieht dort ihre beiden Söhne, 16 und 11 Jahre alt, alleine groß, nachdem sie von ihrem Mann für eine andere verlassen wurde. Das Leben ist schwer, Paulína rackert sich im Krankenhaus ab und kommt doch kaum über die Runden. Eine Vermittlung nach Österreich als Pflegekraft in einem Privathaushalt verspricht deutlich besseres Einkommen, und so lässt sich Paulína darauf ein, und die beiden Kinder in dieser Zeit schweren Herzens bei ihrer Schwiegermutter.

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf, das schließlich mit Klaras tödlichem Absturz bei der gemeinsamen Wanderung enden wird. Paulína ist eine extrem engagierte Pflegekraft und macht anfangs weit mehr, als von ihr gefordert wird, sie kocht für die ganze Familie, putzt, erledigt Fahrdienste mit dem Auto, hilft bei Abendevents aus und vieles mehr. Während Paulína diese Dienste anfangs von selbst anbietet, wird durch die Familie immer mehr von ihr gefordert, sogar neu ein Hund angeschafft, um den ebenfalls Paulína sich kümmern muss - und Paulína kann nicht gut "nein" sagen, einerseits aufgrund ihrer abhängigen Position, die sie nicht verlieren, will, andererseits sicher auch aufgrund ihrer Persönlichkeit. So wird Paulína immer mehr dazu gebracht, über ihre eigenen Grenzen zu gehen, länger zu bleiben und ihre eigenen Kinder zu vernachlässigen, sogar in Krisensituationen, und wird immer unzufriedener damit, was aber in der Dienstgeberfamilie lange niemand sehen will.

Das Buch ist spannend und dicht geschrieben, wir haben kommen Paulína und den verschiedenen Personen aus der Familie, bei der sie arbeitet, psychologisch sehr nahe. Dabei ist die Problematik der 24-Stunden-Pflege und der Ausbeutung, die oft damit einhergeht und von den ausbeutenden Personen gar nicht als solche gesehen werden will ("immerhin wird sie ja für die Extradienste großzügig entlohnt", so sieht das die Familie) authentisch und lebensnah geschildert - solche und ähnliche Situationen in der 24-Stunden-Pflege kenne ich auch aus meinem Bekanntenkreis hier in Österreich.

Es macht nachdenklich über ungleiche Machtverhältnisse zwischen Ländern und in Privathaushalten, über Ausbeutung und über den Preis, den man selbst und andere zahlen muss, der oft mit der so gerne gepriesenen Vereinbarkeit von Beruf und Familie einhergeht, noch einmal mehr, wenn dann noch eine Pflegesituation dazukommt. Ein kluges und wichtiges Buch, das ich sehr empfehlen kann!

Bewertung vom 21.01.2025
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Berührend, realistisch und Hoffnung machend:

"Von hier aus weiter" von Susann Pasztor ist für mich ein ganz besonderes Buch, das mich tief berührt hat und das ich an nur einem Tag verschlungen habe.

Es gibt viele Bücher, die sich mit Coming-of-Age und anderen Themen junger Menschen befassen, aber gar nicht so viele, in denen authentisch die Herausforderungen im mittleren bis höheren Lebensalter thematisiert werden. Denn um dazu authentisch zu schreiben, dafür braucht es selbst viel Lebenserfahrung und/oder Einfühlungsvermögen. Über beides verfügt die Autorin ganz offensichtlich und so ist ihr ein ganz besonderes und berührendes Buch gelungen.

Zur Handlung:
Marlene ist wütend. Rolf, der als Partner 30 Jahre lang an ihrer Seite war, hat sich aufgrund seiner schweren, voranschreitenden Krebserkrankung das Leben genommen, und sie alleine zurück gelassen. Selbstbestimmt wollte er gehen, nicht weiter dahinsiechen, und das kann sie ja verstehen. Aber alleine zurückbleiben, das wollte sie nicht, und es war doch etwas anders ausgemacht gewesen zwischen ihnen.

Wir lernen Marlene gleich am Anfang als eine Frau kennen, die kurzentschlossen ist und ihr Leben in die Hand nimmt: auf dem Leichenschmaus ihres verstorbenen Mannes eingesperrt in der eingeklemmten Toilettenkabine, zwängt sie sich kurzerhand unter dieser durch.

Marlene und Rolf haben sich etwas später im Leben kennen gelernt, Marlene war schon Ende 30, und Rolf hatte eine Trennung von seiner Frau hinter sich, und drei fast erwachsene Söhne. Marlene ist Volksschullehrerin, Rolf Landarzt, die beiden haben sich ein ruhiges, gemütliches Leben miteinander gewünscht und dieses auch über Jahrzehnte geführt... bis zu Rolfs Krebsdiagnose.

Und nun ist Marlene also alleine und noch am Leben. Zuerst einmal zieht sie sich wütend zurück, beantwortet keine Telefonanrufe, öffnet nicht die Tür, liest keine Briefe. Bis es dann einzelne Menschen schaffen, zu ihr durchzudringen. Da ist Ida, eine junge Ärztin und Praxisnachfolgerin von Rolf, die sich Sorgen macht. Und dann Jack, ein wohnungsloser junger Klempner, ein ehemaliger Schüler von Marlene, den der Zufall in Marlenes Wohnung spült, um ihre Dusche zu reparieren, und der dann erst einmal bei ihr einzieht und mit seinen improvisierten Kochkünsten wieder ein bisschen mehr Freude in ihren Alltag bringt. Eine Liebesgeschichte gibt es auch, zwischen den zwei jungen Menschen Ida und Jack, und einen amüsanten Roadtrip und ein überraschendes Ende.

Es ist ein stilles, nachdenkliches und dabei realistisches und doch Hoffnung machendes Buch, das authentisch die Wut, Verlassenheit und Trauer nach so einem tragischen Todesfall thematisiert und doch auch mit viel Zartheit und Humor aufzeigt, wie das Leben "von hier aus weiter" gehen kann.

Besonders mochte ich all die liebenswerten, fein gezeichneten Charaktere und ihre zarten, freundschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen.

Damit ist das Buch trotz des traurigen Themas auch eines, das Hoffnung für einen Neubeginn macht, der im Leben immer möglich ist, und ein Plädoyer für die Verbundenheit zwischen uns Menschen, auch über verschiedene Lebensalter und Lebensumstände hinweg.

Ich habe es sehr gerne gelesen und es wird bei mir emotional sicher noch lange nachwirken und ich kann es wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 16.01.2025
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlassen / Mörderisches Island Bd.4


gut

Wenig Ermittlungsarbeit und kaum Spannung:

"Verlassen" ist der vierte Island-Krimi von Eva Björg Aegisdóttir, ist aber problemlos zu lesen, ohne die vorigen drei Krimis zu kennen. Auch ich habe diese noch nicht gelesen, für mich war es das erste Buch der Autorin.

Es geht um die schwerreiche und in Island sehr bekannte, fiktive Familie Snaeberg, die sich für ein ganzes Wochenende zu einem exklusiven Familientreffen in einem entlegenen isländischen Hotel einfindet, um den 100. Geburtstag des vor ein paar Jahren verstorbenen Familienpatriarchen zu feiern. In dieser Familie sind die Abstände zwischen den Generationen kurz, weshalb sich vier Generationen locker ausgehen, samt Verzweigungen mit Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen, angeheirateten neuen und älteren Partnern und Adoptivkindern. Gleich am Anfang des Buches findet sich praktischerweise ein Stammbaum der Familie, auf den ich während des Lesens auch immer wieder mal geschaut habe, um den Überblick über die Verwandtschaftsverhältnisse zu bewahren.

Die Familie hat also sehr viel, hauptsächlich ererbtes, Vermögen, das auf das vom verstorbenen Patriarchen gegründete Familienunternehmen zurückgeht. Besonderen Stil oder Klasse hat die Familie nicht, im Gegenteil, das ganze Wochenende über wird sich ständig besoffen, das geht von den ältesten Familienmitgliedern über die mittleren Alters bis zu den jüngeren, und von einigen auch Drogen genommen. Würde nicht immer wieder erwähnt werden, dass es sich um die schwerreiche Familie Snaeberg handelt, hätte ich vom Verhalten und Habitus der beteiligten Personen nicht darauf geschlossen, dass es sich hier um eine gehobene Gesellschaftsschicht handeln könnte.

Der Krimi ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben: wir erleben das Wochenende durch die Augen mehrerer Familienmitglieder: die Mitte 30-jährige und jung Mutter gewordene Petra, die mit ihrer leidenschaftslos gewordenen Beziehung zu ihrem Mann und den ihr entgleitenden Teenager-Kindern, insbesondere der ihr fremd gewordenen Tochter Lea, kämpft. Die jugendliche Lea, die sich nach Liebe und Zugehörigkeit sehnt, viel auf Social Media postet und dabei noch kein Bewusstsein für die damit verbundenen Risiken entwickelt hat. Tryggvi, der neue Partner an der Seite von Oddny, Petras Tante und Leas Großtante, mit einer eigenen schweren Vergangenheit, beruflich Tischler und sich in diesem reichen Milieu noch nicht sehr angekommen fühlend. Eine junge Frau vom Serviceteam des Hotels, die durch ihre Tätigkeit viel beobachtet und mitkriegt. Und schließlich zwei seltsam blass bleibende Ermittler, die am Sonntag eine Leiche gefunden haben, Spuren sammeln und die Familie befragen.

Das Buch war ganz nett und unterhaltsam zu lesen, richtige Spannung hat sich bei mir aber lange nicht aufgebaut. Es war auch kein typischer Krimi, bei dem man viel miträtseln kann, dazu sind die Ermittler und ihre Arbeit viel zu blass geblieben und kamen immer nur zwischendurch in sehr kurzen Kapiteln vor. Milieustudie ist es auch keine so richtige, dafür war mir das geschilderte schwerreiche Milieu insgesamt in der Charakterisierung der Personen und ihrer Beziehungen zueinander zu wenig glaubhaft. Am meisten im Gedächtnis bleiben wird mir wohl noch die isländische Kulisse aus Lavalandschaft, verschneiten Bergen im Hintergrund, Klippen, Nebel, Schneestürmen und Meer sowie das reduktionistisch gebaute, moderne Hotel darin.

Es war ein ganz nettes Buch, das man mal zwischendurch zur Unterhaltung lesen kann, aber das mir darüber hinaus nicht besonders viel gegeben hat.

Bewertung vom 13.01.2025
Shimabukuro, Denise

Lilo & Stitch: O'hana heißt Familie


ausgezeichnet

Bezaubernde Geschichte:

"Lilo und Stitch" war ein Kinofilm aus den frühen 00er-Jahren und weckt damit bei vielen heutigen jungen Eltern eigene Kindheitserinnerungen. Auch mich hat der Film damals bezaubert und der Satz "O'Hana heißt Familie" - titelgebend für dieses Kinderbuch - ist mir bis heute in warmer Erinnerung.

Das Buch erfüllt die hohen Erwartungen, die ich daran hatte, absolut. Die Zeichnungen sind wunderschön und allerliebst, sehr ansprechend für Kinder. Und auch die Geschichten sind sehr schön und vermitteln Werte wie Zusammengehörigkeit, Verbundenheit, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft - alles sehr wichtige Werte für Kinder. Gleichzeitig werden sie wie nebenbei und in geschichtenhafter und unterhaltsamer Form vermittelt.

Die kurzen, liebevollen Szenen, reich bebildert, könnten durchaus auch schon für jüngere Kinder, als das angegebene Mindestalter von 8 Jahren, in Vorlesebegleitung von Erwachsenen, etwas sein.

"O'Hana heißt Familie" ist also ein wunderschönes Buch für die ganze Familie, das ich nur wärmstens empfehlen kann.

Bewertung vom 09.01.2025
Abboud, Aline;Heymann, Nana

Barfuß in Tetas Garten


gut

Einzelne Szenen von Verwandtschaftsbesuchen im Libanon:

Aline Abboud bezeichnet sich als "Halblibanesin mit ostdeutschem Migrationshintergrund", sie ist die Tochter eines in die DDR ausgewanderten Libanesen und einer ostdeutschen Mutter. Selbst ist sie im Jahr 1988, also kurz vor der Wende, geboren, und kennt die DDR nur aus Erzählungen ihrer Verwandten.

In diesem Buch geht es hauptsächlich um ihre Liebe zum Libanon, den sie in vielen Sommern ihrer Kindheit und Jugend und auch danach mit ihren Eltern besucht hat und wo sie unbeschwerte Wochen im Garten und am Meer gemeinsam mit ihren unzähligen Cousins, Cousinen, ihren Tanten und Onkeln und ihrer Oma und ihrem Opa verbringen konnte. Es ist ein sehr persönliches und liebevolles Buch, das die starke Bindung, die die Autorin zum Libanon und insbesondere zur dort lebenden Verwandtschaft väterlicherseits empfindet, spürbar und nachvollziehbar vermittelt. In vielen kleinen Szenen geht es um Begegnung, Familienausflüge, gemeinsame Zeit am Meer, Späße, Gastfreundschaft, Hochzeiten und andere Feierlichkeiten und Verbundenheit.

Aus dieser Perspektive habe ich das Buch gerne gelesen. Man darf sich nur nichts Falsches davon erwarten. Die Autorin schreibt, dass sie immer gerne einen Reiseführer über den Libanon schreiben wollte, ein solcher ist dieses Buch aber definitiv nicht. Punktuell habe ich immer wieder ein bisschen etwas über den Libanon gelernt, aber weit weniger, als es möglich gewesen wäre. Auf kulturelle und historische Hintergründe und auch auf die aktuellen politischen Konflikte oder die wirtschaftliche Lage wird nur ganz am Rande und in Verbindung mit der Autorin selbst und ihrer Verwandtschaft eingegangen, sodass mir das Buch darüber keinen tiefgreifenderen Einblick vermittelt hat.

Es ist auch kein Memoir im eigentlichen Sinne, in dem es um die Persönlichkeitsentwicklung der Autorin anhand ausgewählter Kapitel des eigenen Lebens, die in einen erzählerischen Bogen eingebunden werden, ginge... Charakter- und Persönlichkeitsentwicklung der Autorin selbst oder auch anderer Charaktere findet in dem Buch kaum statt, auch gibt es nicht wirklich einen roten Faden, sondern es ist einfach eine Aneinanderreihung vieler kleiner Familienszenen, nett geschrieben, aber ohne tieferen psychologischen Hintergrund. Besonders interessant wird es wohl für alle Menschen sein, die sich der Autorin und ihrer Familie persönlich verbunden fühlen und sich damit besonders für diese eine Familie interessieren, wie zum Beispiel ihre 2024 geborenen Tochter, der das Buch unter anderem auch gewidmet ist.

So ist es insgesamt ein Buch, das für mich als Außenstehende ganz nett und unterhaltsam zu lesen war, aber vermutlich bei mir keinen tiefgreifenderen, langfristigen Eindruck hinterlassen wird, dafür hätte es entweder auf der Bildungs- und Sachebene oder auf der Ebene der psychologischen Charakterentwicklung mehr gebraucht.

Bewertung vom 24.12.2024
Mayr, Elena Anna

Heimweh nach mir


sehr gut

Inspiriert durch Authentizität, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit:

"Heimweh nach mir" ist das erste Buch der jungen Influencerin Elena Anna Mayr. Im jungen Alter von 23 Jahren hat die Autorin schon einiges an Rückschlägen und dunklen Zeiten erlebt und dadurch schon frühzeitig begonnen, sich mit den tiefgreifenden Fragen des Lebens auseinanderzusetzen.

Damit, wer wir sein möchten, wie wir leben möchten und auf was für ein Leben wir später einmal zurückblicken möchten. So wohltuend an diesem wunderschön gestalteten Buch ist, dass es eben nicht darum geht, sich selbst zu optimieren, sondern darum, echt und authentisch zu sein, sich selbst anzunehmen und mit sich selbst wohl zu fühlen. Dazu ruft die Autorin auf und das lebt sie vor, durch das Teilen vieler persönlicher Erfahrungen aus ihrem Leben als Antwort auf die Fragen.

Das Buch enthält 33 Fragen, die zum Nachdenken über das eigene Leben anregen sollen, zum Beispiel "War das ein Fehler oder eine Erfahrung?", "Willst du dieser Mensch überhaupt sein?" oder "Wem gibst du Macht über dich?". Die Kapitel sind so gegliedert, dass sie mit einer Hauptfrage beginnen, dann kommt ein Text der Autorin und dann finden sich abschließend noch ein paar weitere Fragen zum Reflektieren.

Die Texte der Autorin waren für mich beim Lesen unterschiedlich interessant. Manche waren sehr berührend und spannend, bei anderen habe ich mich aber gefragt, wo der genaue Zusammenhang zur ursprünglich gestellten Frage sein sollte, da sie für mich höchstens in loser Verbindung dazu standen. So sehr ich einerseits die Authentizität und Verletzlichkeit schätze, die die Autorin durch das Teilen ihrer persönlichen Geschichte zeigt, hat sie sich gefühlt für mich manchmal ein bisschen zu sehr darin verloren und der Kontakt zu mir als Leserin ist verloren gegangen. Wenn ich mit dem Buch arbeite, werde ich eher nur auf die Fragen am Anfang und am Ende der Kapitel blicken und persönlich über diese nachdenken und schreiben. In dieser Hinsicht bietet das Buch viele wertvolle Hinweise zum Nachdenken über das eigene Leben.

Ich empfehle das Buch allen, die sich für persönliche Weiterentwicklung und tiefgreifende Reflexion des eigenen Lebens interessieren, besonders aber Jugendlichen und jungen Menschen in ihren 20ern, also jenen, die in einem ähnlichen Alter sind wie die Autorin.