Benutzer
Benutzername: 
Paragraphenreiterin

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 05.04.2023
Suter, Martin

Melody


ausgezeichnet

Rezension zu "Melody" von Martin Suter

Der "Grand Sir" der Belletristik hat es schon wieder getan: Einen spannungsgeladenen Pageturner und gleichzeitig angenehm langsamen Roman geschrieben. Eine Geschichte kreiert, die permanent zwischen Heiterkeit und Horror wandelt. Wohlfühlmomente wechseln sich mit Gänsehaut ab. Daneben (als wäre das heutzutage noch das Selbstverständlichste der Welt) sind die Fakten, Orte und Hintergründe derart akribisch genau, von der Ursprungsquelle weg recherchiert und wahrheitsgetreu widergegeben.
Jeder Roman vom Autor Martin Suter, den ich bis jetzt lesen durfte, wies diese Eigenschaften auf. Es zeugt schon davon, dass Martin Suter sein Handwerk beherrscht - es auch als solches sieht. Hinter seinen Geschichten stehen große Konzepte und so ist es auch kein Wunder, dass er uns Leser:innen immer wieder mit den Plot-Twists und Enden seiner Erzählungen überraschen kann.

Kurz zum Inhalt:
Der spätberufene Jus-Absolvent Tom wird vom ehemaligen Politiker und mittlerweile äußerst wohlhabenden Privatier Dr. Stotz angestellt, um seinen Nachlass zu ordnen, zu verwalten und ins "rechte Licht" zu rücken. Unterkunft in der Villa des alten, leider schwer kranken Herrn und Verpflegung sowie Kamingespräche und jede Menge Alkohol inklusive. Dabei fällt Tom auf, dass es im Leben von Dr. Stotz die meiste Zeit um seine vor langer Zeit verschwundene Verlobte namens "Melody" geht. Doch nach und nach häufen sich Hinweise darauf, dass Dr. Stotz nicht immer ganz die Wahrheit sagt. Oder doch? Was steckt hinter der mysteriösen Dame Melody und wer ist Dr. Stotz wirklich?

Das Cover des Romans passt auch wirklich sehr gut! Wenngleich ich mir Melody ein bisschen anders vorstelle, so ist das Gemälde doch sehr treffend gewählt. Haptik und Größe des Buchs wie immer beim wunderbaren Diogenes-Verlag perfekt.

Zwischenzeitlich konnte und wollte ich "Melody" nicht aus der Hand legen. Am liebsten hätte ich Seiten übersprungen, um herauszufinden wie es denn ausgehen wird!
Gleichzeitig konnte ich so viele Details genießen! Die Kamingespräche mit Dr. Stotz waren so bildschön erzählt, dass ich beinahe meinte selbst dort zu sitzen. Ich habe Tom um seinen Job beneidet und im nächsten Moment Angst um sein Leben gehabt. So vermag es der Autor mit den Emotionen seiner Leser:innen zu spielen.

Besonders hervorheben möchte ich auch noch die Ausarbeitung und Beschreibung der italienischen Küche der Haushälterin und Köchin von Dr. Stotz. Am liebsten wäre mir ein begleitendes kleines Kochbuch zum Roman oder ausgewählte Rezepte am Ende des Buchs (so wie beim Roman "Der Koch"). Ich schwelge noch immer in den wunderbaren Tellern, die ich mir beim Lesen vorstellen durfte....mmmmhhh. Am Ende des Buchs gibt Martin Suter an vor allem vom Kochbuch"La mia cucina" von Patrizia Fontana mit Rezepten versorgt worden zu sein. Das werde ich mir wohl besorgen müssen :-)

Alles in allem ein unvergleichlich schöner Suter-.Roman mal wieder. Ich kann es nicht erwarten weitere zu lesen. Größte Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.12.2022
Bücker, Teresa

Alle_Zeit


weniger gut

Rezension zu "Alle_Zeit" von Teresa Bücker

Das Cover und der Klappentext von "Alle_Zeit" haben mich total angezogen. Ich liebe es, wenn intelligente Menschen sich über 400 Seiten mit einem Begriff beschäftigen, er uns alle nicht nur dauernd begleitet, sondern auch unser Leben zu einem großen Teil bestimmt, ohne dass wir darüber nachdenken.

Tatsächlich geht es in diesem wissenschaftlich fundierten (rund 60 Seiten bestehen rein nur aus Quellenangaben) Sachbuch um Zeitgerechtigkeit in einem feministischen beziehungsweise gendersensiblen Kontext. Es geht viel um Care-Arbeit und um die Unterdrückung desjenigen Elternteils, der mit den Kindern die meiste Zeit verbringt. Es geht um all die zig Billionen Handgriffe die täglich (nach wie vor leider vor allem von Frauen) ohne Gegenleistung getätigt werden, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten, unsere Kinder großzuziehen und die Alten zu pflegen. Hier muss sich etwas ändern!

Besonders einprägsam war für mich das Zitat: "Frauen könnten die westliche Gesellschaft allein dadurch in die Knie zwingen, indem sie einfach nichts tun."
Wohlbemerkt: Das könnten Männer natürlich auch! Aber die bekommen ihr Tun wenigstens bezahlt! Ausnahmen bestätigen hie wie immer die Regel.

Es handelt sich also um ein feministisches Buch. Um eine Kampfrede. Vor allem für bezahlte Care-Arbeit und für eine gerechtere Verteilung von zeitlichen Ressourcen.
Aber das habe ich mir von diesem Buch nicht erwartet. Ich hätte gehofft, dass es allgemeiner um Zeit geht.
Außerdem war es teils sehr langatmig, schwer wissenschaftlich (was super ist, wenn ich darauf eingestellt gewesen wäre) und dadurch kein Lesevergnügen, sondern eher was für Legal Gender Studies auf der Universität.

Eines der wenigen Sachbücher, das ich sofort wieder aus meinem Bücherregel aussortiert habe, nachdem ich mich durchgequält habe, nur um diese Rezension fundiert verfassen zu können.

Mir fehlen nämlich auch konkrete Lösungsmodelle im Detail. Es geht sich für mich in der wissenschaftlichen Populärliteratur (und darunter fällt dieses Sachbuch meines Erachtens) nicht aus, dass ich 90 Prozent der Seitenanzahl für einen Problemaufriss verwende und darstelle wie schrecklich alles ist, um die Leser:innen dann mit kurzen Lösungsansätzen zum Schluss abzuspeisen. Das ist für mich eher destruktiv. Kann aber dem:der nächsten Autor:in sicher als fundierte kluge wissenschaftliche Grundlage dienen, um ein anderes Buch mit Vorschlägen, Lösungsmodellen und Zukunftsvisionen zu schreiben. Das würde ich dann wieder gern lesen, denn unsere Zeit braucht mehr Lösungen und weniger Jammerei.

Bewertung vom 30.09.2022
Strohe, Max

Kochen am offenen Herzen


ausgezeichnet

Rezension zu "Kochen am offenen Herzen" von Max Strohe

In diesem teils autobiographischen, teils fiktiven Roman erzählt der Spitzenkoch, dessen Restaurant mittlerweile sogar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde, von seinen "Lehr- und Wanderjahren", wie er die verrückten und äußerst wilden Jahre seines Aufwachsens und Erlernens des Kochberufs selbst bezeichnet.
Kürzlich wurden nicht nur sein Service-Team und sein Sommelier mit begehrten Auszeichnungen geehrt, sondern auch Max Strohe selbst vom Rolling Pin zum Chef des Jahres gewählt worden. Nebenbei ist er gefühlt ständig in dem Genuss zugeneigten deutschen Fernsehformaten zu sehen - Kitchen Impossible, The Taste und andere Shows rund ums Kochen, Schmecken und Essen.

Es scheint als würde Max Strohe, dem grade mal 40jährigen aufsteigenden Stern am deutschen Kochhimmel, alles gelingen was er rund um den Herd so angreift.
Doch wie sein Buch "Kochen am offenen Herzen" vermuten lässt, war dem nicht immer so. Ganz und gar nicht nämlich. Denn selbst wenn nicht alles im Buch (wie es am Anfang erwähnt wird) tatsächlich genau so passiert ist, ist es noch immer arg genug wie ich finde und kann man nur froh sein, dass Max dann doch immer wieder noch rechtzeitig richtig abgebogen ist in seinem Leben und er sein Talent nicht in einem Straßengraben hat liegen lassen. Dort hielt er sich nämlich Zeit seines jugendlichen Lebens gern mal auf - tatsächlich UND metaphorisch.

Sehr viel Drogen, sehr viel Sex, sehr viel Faulheit und Nichtstun, gleichzeitig vielharte Knochenarbeit um sich Geld für Drogen und andere Exzesse zu verdienen. So lässt sich der Großteil des Buchs inhaltlich zusammenfassen. Warum das Lesen darüber aber überhaupt nicht fad ist und einen irgendwie in eine andere Welt entführt, die das Buch zum Pageturner werden lässt, liegt vermutlich am echt guten Schreibstil des Autors. Ich mag seine teils wirre Aneinanderreihung von Sätzen und Wörtern. Die oft manuskriptartig zusammengefassten Abschnitte seines Lebens. Die Unverblümtheit und Selbstverständlichkeit mit der er über sehr intime Momente, seelische und körperliche Tiefpunkte und miese Entscheidungen schreibt.

Max Strohe lässt die sprichwörtlichen Hosen vor seinen Leser:innen runter. Als mache er ein Geständnis vor sich selbst. Eine Art Beichte. Vielleicht musste er sich einfach alles mal von der Seele schreiben und damit gleichzeitig einen Teil seiner Persönlichkeit konservieren, der so diametral zu dem steht, was der Autor heute verkörpert.
Wer Max Strohe nur aus dem Fernsehen oder als berliner Koch kennt, wird einen ganz neuen Eindruck von ihm bekommen und nebenbei auch noch Einblicke in die verschiedenen Facetten der Gastronomie und dass Koch eben nicht gleich Koch ist.

Ein unverzichtbares Buch für alle, die sich für die gehobene deutsche Küche interessieren, für Strohe-Fans, Kitchen Impossible - Süchtige oder die auf authentische "Aus-der-Gosse-zum-Star"-Geschichten stehen.

Bewertung vom 18.09.2022
Kitamura, Katie

Intimitäten


gut

Rezension zu "Intimitäten" von Katie Kitamura

Kurz zum Inhalt:
Eine erfolgreiche Dolmetscherin zieht nach Den Haag und wird dort mit allen dazugehörigen Herausforderungen konfrontiert: Neuer Job am Internationalen Gerichtshof, die Suche nach neuen Freund:innen und Kontakten, ein neuer Mann in ihrem Leben, der scheinbar einiges verbirgt und eine neue Wohnung in einer fremden Stadt, die auf den ersten Blick nicht sehr einladend wirkt. Es geht um die Suche nach Halt, nachdem der Erzählerin der gewohnte Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Die Suche nach Heimt. Nach dem Ankommen.

Es "menschelt" in diesem prosaischen Roman. Tatsächlich könnte die gesamte Geschichte ein kleiner Ausschnitt aus einem ganz normalen Leben sein. Sowas liest man nicht oft und ich bewundere die Autorin für ihren Mut, über so banale Inhalte zu erzählen. Der Schwerpunkt liegt nämlich definitiv nicht am Erzählten. Das ist recht schnell abgehandelt und erfassst. Wie der Titel "Intimitäten" schon verrät, möchte uns Katie Kitamura die intime Seite ihrer Protagonist:innen zeigen. Alles was einen Menschen "innen drin" wirklich bewegt, während er (oder in dem Fall sie) eben so durch die Höhen und Tiefen eines Alltags wandelt.
Das kann unglaublich spannend, mitreissend und berührend sein. Muss es aber nicht. Nämlich dann, wenn es nicht gelingt wirklich überraschende intime Einblicke zu schaffen. Das ist hier aus meiner Sicht leider passiert.
Es fängt stark an. Ich hatte permanent das Gefühl, dass die Geschichte in jedem Lesemoment kippen wird. In eine völlig andere Richtung. Es lag eine düstere Grundstimmung über dem Buch. Ich habe fest damit gerechnet, dass es in Richtung Krimi, Horror oder dergleichen gehen wird. Damit lag ich falsch. Dennoch habe ich dieses latente Spannungsgefühl beim Lesen sehr genossen.
Gefehlt hat mir letztendlich der Tiefgang. Die Gedanken, Emotionen und Reaktionen der vorkommenden Personen waren mir durchwegs zu vorhersehbar. Die Autorin konnte mich nicht überraschen oder schockieren oder eben sonst eine Gefühlsregung in mir auslösen, die über das Alltägliche hinausgeht. Das ist schade, denn deshalb lese ich. Die Geschichte und das Lesegefühl war mir einfach eine Spur zu gewöhnlich.