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Sophie

Bewertungen

Insgesamt 169 Bewertungen
Bewertung vom 19.02.2024
Langer, Andreas

Schneekinder


sehr gut

Ein phantastischer Entwicklungsroman für junge Lesende

Selten schneidet ein Buch mit einer jungen Zielgruppe (ab 11 Jahren) so offen so viele ernste Themen an wie „Schneekinder“ von Andreas Langer: Krieg, Flucht, Tod und Verrat sind allgegenwärtig während der beschwerlichen Reise einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen durch das ans mittelalterliche Island angelehnte Jorland.

Der Krieg in Jorland hat die Kinder und Alten allein in den Dörfern zurückgelassen. Auf sich selbst gestellt, kämpfen sie in der rauen Natur täglich ums Überleben. Doch als eine tödliche Gefahr aus einem nahen Berg die 14-jährige Elin dazu zwingt, mit einer Gruppe verängstigter Kinder die Flucht durch Eis und Schnee anzutreten, spitzt die Lage sich zu. Nicht nur das, was ihnen folgt, bereitet der Gruppe Schwierigkeiten: Mehr und mehr brodeln interne Konflikte an die Oberfläche, die die Gemeinschaft zu zerreißen drohen. Elin, die ungewollt zur Anführerin wird, muss schwierige Entscheidungen treffen und lernen, über sich selbst hinauszuwachsen. „Schneekinder“ ist somit nicht nur eine phantastische Abenteuergeschichte, sondern zugleich ein Roman über das Erwachsenwerden.

Dem Roman gelingt es über lange Strecken hinweg, eine bedrückende und zugleich märchenhafte Atmosphäre aufrechtzuerhalten, die die großen Themen Krieg und Flucht anschaulich illustriert: Grundbedürfnisse wie Kälte und Hunger stehen neben moralischen Fragen nach Solidarität und Menschlichkeit in existenziellen Krisen. Die Gruppendynamik, die stets präsent ist, bietet daneben viel Raum für zwischenmenschliche Konflikte: Fremdheit und Empathie, Anführerschaft, Generationenkonflikte, Neid und nicht zuletzt Solidarität sind hier Thema. So viele Konflikte (und gerade so viele ernste Konflikte) auf engem Raum, dicht an dicht mit phantastischen Elementen, bedrohlichen oder überraschenden Begegnungen im wilden Jorland sowie der drohenden Gefahr im Rücken lassen den Roman manchmal etwas überfrachtet wirken – insbesondere überfrachtet mit Traumatischem: Manch eine Figur scheint einzig und allein deshalb aufzutauchen, um eine weitere Dimension des Schreckens zu veranschaulichen. Nichtsdestotrotz ist „Schneekinder“ ein beeindruckendes Buch: Offen, aber nicht schonungslos zeigt der Roman auf, was Angst mit Menschen machen kann. Die Schilderung durch die Augen der jugendlichen Protagonistin Elin, die viel zu schwere Entscheidungen treffen muss, hat etwas Anrührendes. Dass ihr Bruder Kjell daneben noch einen eigenen Handlungsstrang bekommt, der eher dem klassischen Abenteuerroman gleicht, wirkt dadurch fast nur noch wie Beiwerk.

„Schneekinder“ ist ein ehrgeiziger Jugendroman, dem vieles hervorragend gelingt, der stellenweise jedoch etwas zu viel möchte. Das besondere Setting und die überzeugende Hauptfigur machen ihn dennoch trotz kleiner Schwächen zu einem Roman, den man nicht so schnell wieder vergessen wird.

Bewertung vom 11.02.2024
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


sehr gut

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Wer chronologisch erzählte Geschichten mag, sollte die Finger von Dani Shapiros „Leuchtfeuer“ lassen. Wen ein wenig Sprunghaftigkeit jedoch nicht stört und wer Wert auf glaubhafte Figuren und eine emotional berührende Handlung legt, wird diesen Roman sicher genießen.

Auf den unterschiedlichsten Zeitebenen und durch die Augen der unterschiedlichsten Figuren erzählt Dani Shapiro die Geschichte einer Familie, deren Schicksal von nur einem tragischen Ereignis geprägt ist: Ein schrecklicher Verkehrsunfall in den Teenagerjahren der Geschwister Theo und Sarah bestimmt nicht nur ihren Lebensweg vorher, sondern zugleich auch den ihrer Eltern Ben und Mimi. Anstatt die Last gemeinsam zu tragen, kämpft jeder von ihnen allein und auf seine Weise mit den Schuldgefühlen. Für Ben scheint sich schließlich ein Lichtblick am Horizont in Gestalt des Nachbarsjungen Waldo zu zeigen – ist es möglich, das Schicksal anderer auch auf positive Weise zu formen?

„Leuchtfeuer“ behandelt Themen wie Schuld und Trauma und stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie sich damit umgehen lässt – und wie nicht. Durch den ganzen Roman zieht sich das Thema des „Alles-mit-sich-selbst-Ausmachens“, das keiner der betreffenden Figuren guttut. Auf behutsame Weise lässt Dani Shapiro ihre Figuren erleben, dass die Verbundenheit mit anderen Menschen ein mächtiges Heilmittel sein kann. Die Erzählweise, die stetig zwischen Zeitebenen und Perspektiven hin und her springt, unterstreicht diese Aussage anschaulich. Zugleich ist es aber auch diese sprunghafte Erzählweise, die bisweilen eine große Distanz zwischen uns Lesenden und den Romanfiguren aufkommen lässt: Hat man sich gerade in eine Figur hineingefühlt, wechselt die Erzählung ganz woandershin. Hier und da hätte es dem Roman gutgetan, dichter an den Figuren zu bleiben, die ansonsten so überzeugend und lebensnah wie selten gezeichnet sind.

Abgesehen von dieser leichten Schwäche kann „Leuchtfeuer“ auf ganzer Linie überzeugen als ein Roman, der eine zutiefst menschliche Saite in seinen Leser*innen zum Klingen zu bringen vermag. In poetischen Worten und mit einem feinen Gespür für die menschliche Psyche zündet Dani Shapiro ein wahres literarisches Leuchtfeuer.

Bewertung vom 06.02.2024
Oshimi, Shuzo

Blood on the Tracks Bd.1


sehr gut

Eine beunruhigende Story, verpackt in ausdrucksstarke Bilder

Der Auftakt zur Manga-Serie „Blood on the Tracks“ von Shuzo Oshimi wartet mit einigen beeindruckenden Zeichnungen (inkl. Farbteil) und einer spannenden Charaktereinführung auf. Einzig das Tempo der Entwicklungen holpert ein wenig, was dem vielversprechenden Manga jedoch nur wenig anhaben kann.

Der jugendliche Sei scheint ein ganz normales Leben zu führen: Er geht zur Schule, hat Freunde, verliebt sich zum ersten Mal und spielt gern mit seinem Cousin Videospiele. In seiner Familie mit der sehr fürsorglichen Mutter und dem eher abwesenden Vater fühlt er sich wohl und geborgen. Ein Leben wie aus dem Bilderbuch, könnte man meinen. Erst nach und nach stellen wir Lesenden zusammen mit Sei fest, dass das nicht ganz stimmt – ist seine Mutter nicht eher übertrieben fürsorglich?

Der Zeichenstil von „Blood on the tracks“ mit seiner klaren Linienführung und dem Fokus auf Schattierungen schafft es, die immer unbehaglicher werdende Atmosphäre des Mangas auf beeindruckende Weise bildlich festzuhalten. Man spürt eher, als dass man liest, dass etwas faul ist an der Art und Weise, wie Seis sanfte, liebevolle Mutter ihren Sohn behandelt. Mit dieser Feinsinnigkeit der Zeichnungen kann der Text des Mangas leider nicht mithalten. Auf dieser Ebene kommt so manche Entwicklung sehr plötzlich und unvermittelt, was gerade den Anfang etwas überhastet wirken lässt. Dennoch schafft es der Manga insgesamt, große Lust auf den Fortgang der Story zu machen. Das diffuse Unbehagen wird gegen Ende des ersten Bandes konkreter, und es drängt sich die Frage auf: Wie wird Sei damit umgehen?

Der erste Band von „Blood on the Tracks“ verspricht für den Fortgang der Reihe viel psychologische Tiefe, verbunden mit ausdrucksstarken Zeichnungen und einer Story, die viele Fragen offenlässt. Man darf gespannt auf die Fortsetzung sein!

Bewertung vom 06.02.2024
Poznanski, Ursula

Die Burg


sehr gut

Atmosphärischer Thriller mit Gruselpotenzial

Von Ursula Poznanski ist man futuristische Thriller mit vielen Twists ja mindestens seit „Erebos“ gewohnt. Ihr neuestes Werk „Die Burg“ liefert wie erwartet Hochspannung und ein überaus atmosphärisches Setting, das Vergangenheit und Zukunftsvision verknüpft. Nur mit der Figurenzeichnung will es hier nicht so recht klappen.

In „Die Burg“ bekommt der Escape-Room-Betreiber Maxim ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann: einen Testlauf durch ein KI-generiertes Escape-Spiel in einer restaurierten mittelalterlichen Burg. Betreiber ist der Milliardär Nevio, der neben Maxim auch einen Historiker, eine Influencerin, eine Rätselexpertin und einen C-Promi eingeladen hat, das aufwendige Spiel auf Herz und Nieren zu testen. Nur scheint sich die KI bereits nach kurzer Zeit zu verselbstständigen und versperrt den Spielenden den Weg nach draußen. Aus der unterhaltsamen Rätselei mit Gruselfaktor wird ein Spiel um Leben und Tod, das realen und KI-generierten Horror miteinander verschwimmen lässt. Was steckt dahinter?

Mit ihrer meisterhaften Erzählweise schafft es die Autorin, bereits ab der ersten Seite einen Sog zu erzeugen, der Lesende bis zum Ende nicht mehr loslassen wird. Die Grundidee von „Die Burg“ (eine KI, die außer Kontrolle gerät) mag nicht unbedingt originell sein, aber Poznanskis Umsetzung des Themas berührt so viele weitere Themen (den Wert von Kulturgütern im Kapitalismus, Existenzangst, persönliche Schuld und mehr), dass eine einzigartige Melange entsteht. Dabei besticht der Roman vor allem durch die atmosphärische Schilderung der Burg und der vielen Horror-Szenarien, die die KI für ihre Besucher*innen ersinnt. Die plastischen Schilderungen von Wesen, Gerüchen, Empfindungen und Geräuschen kurbeln das Kopfkino ordentlich an und produzieren mehr als einmal Gänsehaut. Einzig die Figuren gehen in diesem Feuerwerk der Eindrücke ziemlich unter. Die meisten von ihnen bleiben blass und oberflächlich, andere so schwer greifbar, dass auch überraschende Enthüllungen am Schluss keinen echten Aha-Effekt hervorrufen können. Der Fokus von „Die Burg“ verharrt auf Atmosphäre und Handlung. In diesem Umfeld fungieren die Figuren eher als Spielsteine denn als echte Menschen.

„Die Burg“ ist ein zutiefst atmosphärischer Roman, der dem Wort „Kopfkino“ eine völlig neue Dimension verleiht. Dass die Figurenzeichnung in diesem Trubel untergeht, ist zwar schade, jedoch verzeihlich. Trotz der Oberflächlichkeit des Figureninventars ist „Die Burg“ also von der ersten bis zur letzten Seite spannend. Jedes Wort versetzt Lesende tiefer hinein in das gruselige Setting des KI-generierten Horrortrips. Nichts für schwache Nerven!

Bewertung vom 06.02.2024
Walsh, Tríona

Schneesturm


weniger gut

Tolles Setting, enttäuschende Story

„Schneesturm“ von Tríona Walsh könnte eigentlich eines dieser Bücher sein, die die Herzen von Hobby-Detektiv*innen höherschlagen lassen: eine einsame Insel mitten in der rauen irischen See, abgeschnitten von der Außenwelt durch einen Storm, ein mysteriöser Mord und eine Gruppe alter Freunde rund um das Opfer, die sich nach Jahren wiedertrifft – alle mit ihren eigenen Geheimnissen im Gepäck. Das implizierte Versprechen eines ausgeklügelten Plots kann der Roman jedoch leider nicht einlösen.

Dabei fängt es eigentlich gut an: Polizistin Cara muss nicht nur die Ordnung auf der Insel während des Schneesturms wahren, sondern sich auch mit ihrer tragischen Vergangenheit auseinandersetzen. Denn ihre alten Freunde sind gekommen, um den 10-jährigen Todestag von Caras Ehemann und ihrer aller Freund zu begehen. Schnell kommt die Frage auf, ob der aktuelle Mord im Zusammenhang mit dieser alten Geschichte steht. Um dem Ganzen die Krone aufzudrehen, hat einer von ihnen noch eine Filmcrew mitgebracht, die die Tragödie von damals filmisch umsetzen soll. Eigentlich Zutaten für eine spannende Geschichte, in der zwischenmenschliche Konflikte im Vordergrund stehen.

Leider zerfasert die Handlung jedoch bald in alle Richtungen: Cara scheint planlos von hier nach da zu rennen, viele Handlungsschritte wirken unmotiviert, und auch die anderen Figuren bleiben merkwürdig blass und leblos. Manche Entwicklungen kündigen sich über Seiten hinweg, andere kommen so aus dem Blauen heraus, dass man als Leser*in unwillkürlich die Stirn runzelt. Kurz: Vieles passt hier nicht zusammen. Hinzu kommt ein Stil, der so nüchtern und einfach gehalten ist, dass er bisweilen regelrecht monoton daherkommt.

Für mich hat sich „Schneesturm“ leider nicht gelohnt. Aufgrund der angekündigten Handlung und des Settings hätte das Buch eigentlich genau in mein Beuteschema fallen müssen, aber es konnte mich nicht packen. Wäre die Grundidee stringenter und klarer umgesetzt worden, hätte ich dem Roman mehr abgewinnen können.

Bewertung vom 23.12.2023
Sten, Viveca

Tief im Schatten / Hanna Ahlander Bd.2


sehr gut

Hochspannend und bedrückend

„Tief im Schatten“ ist Viveca Stens zweiter Band um die Ermittlerin Hanna Ahlander im hohen Norden Schwedens. Erneut entführt die Autorin mit sicherem Gespür für Spannungsaufbau und einem knackig-knappen Stil in den eisigen Norden und menschliche Abgründe – mit nur leichten Schwächen.

Als ein ehemaliger Skiprofi tot aufgefunden wird, nehmen Hanna und ihre Kollegen sofort mit Hochdruck ihre Ermittlungen auf und durchkämmen akribisch sein unmittelbares Umfeld. Was sie derweil nicht wissen, ist, dass ganz in der Nähe die junge Rebecka aus ihrer sektenähnlichen Gemeinde auszubrechen versucht. Was haben die beiden Fälle miteinander zu tun? Geschickt verwebt Viveca Sten die Ermittlungen mit schockierenden Enthüllungen über eine Beziehung, die nach und nach immer tiefer im Morast von Misshandlung und Kontrolle versinkt.

Die große Stärke der Autorin ist, durch kurze Kapitel und einen knappen, handlungsorientierten Stil die Spannung stets auf einem hohen Niveau zu halten. Die vielen Perspektiven, die dabei zum Tragen kommen, enthüllen nicht nur nach und nach weitere Details über den Fall, sondern auch über die Figuren, die so stetig an Tiefe gewinnen. Enorm berührend und zugleich bedrückend ist Rebeckas Geschichte: Auf sensible und authentische Weise wird erzählt, wie eine junge Frau erst nach und nach begreift, dass sie Opfer ist – und dass sie sich dagegen wehren kann. Insbesondere diese Passagen geben dem Roman viel Tiefe, während die Handlung andernorts auch mal ein wenig ins Stottern gerät. Nicht jede Entscheidung des Ermittlerteams ist wohlbegründet. Manch eine scheint eher dadurch motiviert, die Auflösung noch ein Stück weiter hinauszuzögern und noch mehr Spannung aufzubauen, was letztlich nicht ganz stimmig wirkt. Für diese leichte Schwäche entschädigen aber eine befriedigende Auflösung und das stetig hohe Spannungsniveau.

Ein spannender, teils unter die Haut gehender Krimi mit nur leichten Schwächen, den man kaum aus der Hand legen kann.

Bewertung vom 15.12.2023
Häußler, Marcel

Kant und das Leben nach dem Tod / Kommissar Kant Bd.3 (eBook, ePUB)


sehr gut

Spannender Ermittler-Krimi mit München-Flair

„Kant und das Leben nach dem Tod“ ist Marcel Häußlers dritter Kriminalroman über den Münchner Hauptkommissar Kant. Wie seine Vorgänger funktioniert auch dieser Band wunderbar als solider und spannender Ermittler-Krimi, diesmal mit besonders atmosphärischen Einblicken in die Münchner Viertel, über die man seltener liest.

Der Fall, mit dem Kant und seine Kollegen in diesem Band zu tun haben, beginnt recht grausig, nämlich mit einer zerstückelten Leiche. Die Spur führt in eine Hochhaussiedlung im nördlichen Brennpunktviertel, wo sich so manche kuriose Gestalten tummeln und so einige einsame alte Menschen leben. Drohen sie ebenfalls Opfer zu werden? Während die Polizei von Tür zu Tür geht, trifft die junge Antonia aus Portugal ein, um ihren Großvater, den letzten lebenden Verwandten, aufzusuchen – aber irgendetwas stimmt nicht. Geschickt führt der Roman die beiden Handlungsstränge parallel, ohne dass gleich offensichtlich würde, wie sie miteinander zusammenhängen. Das regt die Rätselfreude an, sodass bereits in der Mitte des Buches schon ein Haufen Theorien gebildet und über den Haufen geworfen worden sind.

Die große Stärke des Autors und seiner Kant-Reihe ist der Fokus auf die Tat und die Ermittlungen. Die eher lustlosen Kurzausflüge in das Privatleben des Ermittler-Teams hätte man sich hingegen getrost sparen können, denn sie wirken eher wie überflüssiges Beiwerk. Derweil ist die Aufklärung des Falls und das Lüften der vielen Geheimnisse und Ziehen von Querverbindungen eine echte Freude für Menschen, die Lust am Knobeln und Tüfteln haben. Häppchenweise liefert der Roman neue Erkenntnisse aus ganz verschiedenen Quellen, die sich nach und nach zu einem Bild zusammensetzen, sodass man kurz vor den Ermittler*innen auf des Rätsels Lösung kommt (oder zumindest kommen kann) – ein äußerst befriedigendes Gefühl.

Mit „Kant und das Leben nach dem Tod“ legt Marcel Häußler erneut einen soliden Ermittler-Krimi vor, der den Prozess der Aufklärung ganz genau begleitet. Klare Leseempfehlung für alle, die beim Lesen gern mitermitteln.

Bewertung vom 15.12.2023
Stevenson, Benjamin

Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen / Die mörderischen Cunninghams Bd.1


gut

Humorvoller Krimi mit Schwächen

Es gibt solche Bücher, an die hat man ab Seite 1 ganz bestimmte Erwartungen – und ist umso enttäuschter, wenn sie nicht voll erfüllt werden. Ein solches Buch ist „Die mörderischen Cunninghams. Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen“ von Benjamin Stevenson. Ein Kriminalroman, der sich viel auf der Metaebene aufhält und einige gelungene Pointen vorzuweisen hat, insgesamt aber doch nicht so 100-prozentig funktioniert.

Die allseits unbeliebte und in so manches Verbrechen verstrickte Familie Cunningham veranstaltet ein Familientreffen in einem abgelegenen Hotel in den verschneiten Bergen. Protagonist Ernest Cunningham ist aufgrund einer alten Geschichte in Ungnade gefallen und möchte das Ganze schnell hinter sich bringen. Jedoch treten sogleich einige unvorhergesehene Hindernisse auf. Wie könnte es anders sein, taucht gleich zu Beginn des eher ungemütlichen Get-Togethers eine Leiche auf – und die Gemüter laufen heiß, ebenso wie die Verdächtigungen. Ab jetzt schaut jeder misstrauisch über die Schulter, und alle graben nach den Skeletten in den Kellern der anderen – von denen es so einige gibt.

Der Erzähler, Ernest Cunningham, leitet ein mit den Regeln des klassischen Kriminalromans à la Agatha Christie und hält nicht hinter dem Berg damit, dass er genau diese Art Krimi nun zum Besten geben wird. Seine direkte Ansprache der Leserschaft nebst haufenweise Metareferenzen zur Struktur des Buchs oder dem Lektorat schaffen ein aufmerksamkeiterregendes Setting. Der selbstironische Tonfall des Erzählers, der kaum ein gutes Haar an seiner Familie lässt, tut sein Übriges, dem Buch einen humorvoll-subversiven Tonfall zu verleihen. Leider bleibt hinter den cleveren Ausdrucksweisen und den sorgfältig geplanten Pointen die Krimihandlung deutlich zurück. Spätestens ab der Mitte des Buchs verlaufen die Entwicklungen eher zäh und die Spannung kann nicht mehr mit den Erwartungen mithalten. Zudem sind zuletzt die Verhältnisse deutlich weniger skurril, als man zu Beginn annehmen würde, sondern eher traditionell. Streckenweise verstrickt der Erzähler sich in Details, die vielmehr umständlich als erhellend wirken, sodass ein eigenes Mitermitteln und Mitdenken langsam unmöglich wird.

„Die mörderischen Cunninghams“ ist ein humorvoller Kriminalroman mit originellen Ideen, viel Witz und großem Potenzial, das er jedoch nicht ausschöpft. Während Stil und Ausdruck des Buchs für sich genommen eine wahre Freude sind, so können doch der Kriminalfall und seine Auflösung weder so recht überzeugen noch mitreißen. Als Krimi also wenig empfehlenswert, als humoristischer Roman schon eher.

Bewertung vom 15.12.2023
Seel, Tina

Der sonderbare Fall der Rosi Brucker


gut

Kriminalroman mit ungewöhnlichem Setting, der auf Distanz bleibt

Das Setting, das Tina Seel für ihren neuesten Kriminalroman „Der sonderbare Fall der Rosi Brucker“ gewählt hat, mutet fast wie eine andere Welt an: ein kleines pfälzisches Dorf in den Siebzigerjahren, in dem Nächstenliebe, Gemeinschaftssinn und Toleranz Fremdwörter zu sein scheinen. Diese überzogen negative Darstellung mutet bisweilen bizarr an, sorgt aber zugleich für ein durchaus interessantes Leseerlebnis.

Dass die geistig behinderte Rosi Brucker ermordet wurde, erfährt der kleine Ort Allweiler erst mit einiger Verzögerung. Der Finder der Leiche, Bäckerlehrling Hasel, ergreift nämlich die Gelegenheit beim Schopf und fordert von den begüterten Eltern der jungen Frau ein Lösegeld, anstatt ihren Tod zu vermelden. Damit setzt er die Polizei, die insgesamt nicht so auf Zack ist, auf eine völlig falsche Spur, sodass sie erfolglos durchs Dorf ermittelt und mit nahezu allen Bewohnern spricht, von denen sich einer unsympathischer und empathieloser erweist als der nächste. Beim Lesen fällt es bisweilen schwer, aus diesem Wust an menschlichen Abgründen noch eine Identifikation mit irgendeiner Figur zustande zu bringen. Die Polyphonie der vielen Stimmen, die zu Wort kommen, lässt sowieso nur wenig Zeit für individuelle Figurenzeichnung. Obendrein bedient sich die Autorin einer äußerst indirekten Erzählweise mit vielen Rückblenden und indirekter Rede, die eine deutliche Distanz zum Geschehen aufbaut. Kurz gesagt: Man bleibt immer außen stehen. Wenn man das vor dem Hintergrund der abgeschotteten Dorfgemeinschaft liest, kein ungeschickter Kniff, jedoch teils etwas anstrengend zu lesen.

Was Tina Seel hingegen meisterhaft gelingt, ist, einen sehr konkreten Eindruck eines bestimmten Milieus heraufzubeschwören. Von der Ausdrucksweise über die Auswahl der Figuren mit ihren diversen Hintergründen und Geheimnissen – alles lässt das Bild dieses (aus moderner Sicht) rückständigen Dörfchens lebendig und präsent erscheinen. Die Kriminalhandlung ist zudem durchaus solide, wenn auch nicht gerade geprägt von überraschenden Wendungen. Insbesondere die Figur Hasels, der sich disruptiv auf die Ermittlungen auswirkt, sorgt für Spannung.

Insgesamt ist „Der sonderbare Fall der Rosi Brucker“ ein durchaus lesenswerter Kriminalroman mit starken Elementen einer Milieustudie, der jedoch nicht immer angenehm zu lesen ist und mit extrem unsympathischen Figuren und einer deutlichen Distanz zur Leserschaft daherkommt.

Bewertung vom 15.12.2023
Åslund, Sandra

Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1


sehr gut

Eiskalt, schwedisch, tödlich – ein berührender Krimi

Mit „Im Herzen so kalt“ entführt Sandra Åslund ins winterliche Östersund im nördlichen Schweden, wo die Winter kalt und weiß sind. Das Buch reitet hier und da vielleicht etwas zu sehr auf seinem Lokalkolorit herum, ist aber insgesamt ein überaus spannender Krimi, der auch harte Themen berührt.

Kriminalinspektorin Maya wird mit ihrem Kollegen Pär aus dem großstädtischen Stockholm ins provinzielle Östersund geschickt, um bei der Aufklärung der Ermordung eines Umweltaktivisten zu unterstützen – ein kleiner Kulturschock für alle Beteiligten. Aufgrund des Umweltengagements des Opfers gerät sogleich die regionale Forstwirtschaft in den Fokus der Ermittlungen. Sollte eine unliebsame Stimme mundtot gemacht werden, die Raubbau an der Natur kritisierte? Oder geht es vielleicht doch eher um Persönliches? Besonders brisant an dem Fall: Die Leiche wurde von einem blitzgescheiten kleinen Mädchen entdeckt, das sich nicht so ganz von den Ermittlungen fernhalten kann. Eine Herausforderung für Maya, die zugleich auch in Sorge um eine gute Freundin ist, die gerade traumatische Ereignisse aus ihrer Vergangenheit verarbeitet.

„Im Herzen so kalt“ berührt viele Themen, manche davon auf gelungenere Weise als andere. Gerade das Thema Monokultur und Abholzung kommt immer wieder auf, jedoch meist eher auf eine steife Art und Weise, die sich nicht so recht in die Romanhandlung einfügen will. Gleiches gilt für eine Reihe recht bemühter Referenzen zu schwedischen Redensarten oder Spezialitäten – ganz so touristisch müsste es im Krimi doch nicht zugehen. Im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen brilliert der Roman jedoch mit einer Ermittlerin, die oft die richtigen Fragen stellt, aber auch mit einigen Schwächen zu kämpfen hat, gerade im Umgang mit ihren Kollegen aus der Provinz. Das Verhältnis Groß- zu Kleinstadt kommt immer wieder in ausdrucksstarker Weise zur Geltung. Daneben kann auch die Krimihandlung durch viele unerwartete Wendungen und eine ganze Reihe geschickt gelegter falscher Fährten überzeugen.

Insgesamt ein gelungener Krimi, der viele interessante Figuren und eine spannende Handlung mitbringt.