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MarionHH
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Schenefeld

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 11.04.2022
Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1
Vassena, Mascha

Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Liebe und Drama im gar nicht so beschaulichen Tessin
Die Dolmetscherin Moira Rusconi kehrt in ihr heimatliches Dorf Montagnola im Tessin zurück, um ihren Vater nach dessen Schlaganfall zu unterstützen. Zum Glück ist dieser recht fidel, so dass sie Zeit hat, sich anderen Dingen zu widmen, zum Beispiel ihrer Jugendliebe Luca, der inzwischen Leiter der Rechtsmedizin ist und sie als Dolmetscherin in einem Mordfall einspannt. Moira findet zunehmend Gefallen an ihrer Aufgabe und auch an Luca…

Sehr kurzweilige und wunderbar erzählte Geschichte, die eine gelungene Mischung aus Lokal-Krimi, Liebesgeschichte und auch Selbstfindung ist und im – scheinbar – idyllischen Dörfchen Montagnola im schweizerischen Tessin angesiedelt ist. Die Autorin hat einen schönen, sehr eingängigen Schreibstil und ihre Beschreibungen von Land und Leuten sind bildhaft und authentisch, aber nie kitschig, so dass man sofort in der Geschichte drin ist und die Umgebung und Landschaft tatsächlich vor sich sieht, auch wenn man nie dort war. Auch ihre Figuren überzeugen mit ihrer Persönlichkeit, sie sind teilweise liebenswert-skurril und mit ihren Stärken und Schwächen sehr menschlich. Ich fand die Darstellung der Gefühle, Zwiespälte und Zweifel sehr überzeugend und lebte vor allem mit Moira, auf die sich als Hauptfigur alles recht stark fokussiert, sofort intensiv mit.

Von der Kriminalhandlung selbst sollte man nicht allzu viel erwarten. Der Einstieg im Prolog ist zwar thrillermäßig, aber die Geschichte lebt keinesfalls von einem gut konstruierten Kriminalfall oder detailreicher Ermittlungsarbeit. Dazu konzentriert sie sich im weiteren Verlauf doch zu stark auf Moiras Gefühlsleben, ihre Suche nach einem Heimathafen, ihrem Verarbeiten der Trennung, dem Verhältnis zu Vater, Jugendliebe und ihre Interaktion mit den Dorfbewohnern. Die Szenen und Dialoge mit ihnen sind intensiv, teils traurig, teils dramatisch, aber auch oftmals humorvoll. Ihr Leben und ihre Gefühlswelt gehen einem nahe und ich hätte über einige Menschen gern mehr erfahren. Sehr gut haben mir übrigens auch die fünf Katzen ihres Vaters gefallen – diese waren immer für einen Schmunzler gut. Auch wenn die Geschichte an vielen Stellen doch sehr vom Krimi-Genre wegdriftet, fand ich die Zusammenarbeit von Moira mit Chiara, der Ermittlerin, und der Versuch, den Fall aufzuklären, spannend und gut beschrieben. Moira selbst gelangt eher zufällig an ihre Informationen denn aufgrund von logischem Denken, sie verbeißt sich aber in den Fall, kann sich gut in andere hineinversetzen und trägt so viel zum Gelingen bei. Chiara als Polizistin, die sich und ihrer Umwelt beweisen muss, dass sie gut ist, war als Charakter vielschichtig und gut dargestellt. Die Lösung ist denn auch durchaus überzeugend, kam für mich aber recht schnell und das Abschließen damit, beziehungsweise den Übergang zur Normalität, fand ich denn doch etwas zu abrupt.

Fazit: Für Krimifans wahrscheinlich zu wenig Thrill, für Fans von Liebesgeschichten eventuell zu wenig Happy End und Romantik, dennoch ein gut geschriebenes und kurzweiliges Buch mit viel Lokalkolorit, liebenswerten Charakteren und einer starken Protagonistin, das sich gut lesen lässt, viele schöne Momente hat und einen insgesamt fesselt. Eine wunderbare Lektüre für Couch oder Liegestuhl, die den Leser abtauschen lässt und gute Unterhaltung bietet.

Bewertung vom 28.03.2022
Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2
Mohlin, Peter; Nyström, Peter

Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Der ehemalige FBI-Agent John lebt nach wie vor im Zeugenschutzprogramm unter dem Namen Fredrik Adamsson in seiner Heimatstadt Karlstadt in Schweden unter ständiger Angst, dass seine wahre Identität auffliegt und er von dem Drogenboss, den er hinter Gitter gebracht hat, aufgespürt wird. Sein neuer Fall führt ihn zu einem online-Datingportal, geführt von zwei ungleichen Schwestern, von denen eine brutal ermordet wird. Gleichzeitig kontaktiert ihn sein Freund und ehemaliger Undercover-Partner Trevor – angeblich hat er Krebs und will sich verabschieden. Da wird ihm auch noch die Stockholmer Ermittlerin Mona vor die Nase gesetzt, eine, die die Wahrheit um jeden Preis herausfinden will und die seinen Hintergrund kennt. John will nur noch eines: den Fall schnell zu Ende bringen und sich danach absetzen…

Zweiter Band um den Ermittler John, den seine Vergangenheit einholt und dessen Leben einmal mehr auf Messers Schneide steht. In bewährter Manier treiben die Autoren sowohl Protagonisten als auch Leser durch den Plot und halten die Spannung von der ersten bis zur letzten Zeile immens hoch. Das Gefühl, durch die Geschichte geradezu rennen zu müssen, wird durch die Kompaktheit der Handlung und die Straffung des Geschehens auf sieben Tage noch gefördert. In diesem Band wird zudem noch deutlicher, dass John ein Getriebener und Gejagter ist, der sein Leben aufgrund seiner Situation als Einzelgänger fristet, sich kaum weder auf berufliche noch private Kontakte einlassen will und dessen Streben einzig und allein darauf ausgelegt ist nicht aufzufliegen.

Der eigentliche Fall um die tote Firmenchefin Stella ist einigermaßen komplex, die Lösung lässt sich aber durch die Informationen, die man als Leser durch Alicias Perspektive erhält, erahnen. Hierbei wird die zusätzliche Spannung durch die Erzählperspektive der „anderen Schwester“ Alicia befeuert sowie durch die Einschübe aus deren Erinnerungen – natürlich will man als Leser wissen, was damals geschah und wie sich dies in die Gegenwart auswirkt. Alicia ist ebenso eine Getriebene wie John, ich fand zwischen den beiden durchaus einige Parallelen. Beide sind einzelgängerische Charaktere mit schwierigen Persönlichkeiten, hochintelligent, aber mental angeschlagen, sie öffnen sich nur schwer, haben aber eine große Sehnsucht nach Nähe und Vertrauen. Sie sind weder Gegenspieler noch bewusste oder unbewusste Partner, und doch sind sie vereint in einem gegenseitigen Interesse Taten zu verschleiern. Sie sind auch bei weitem nicht die reinen Sympathieträger. Alicia handelt durch ihre psychische Labilität trotz hoher Intelligenz emotional und aus dem Affekt heraus, und ihre Taten sind nicht immer nachvollziehbar, aber durch den Drang zu überleben erklärbar. John andererseits ist kühl und analytisch und seinem Überlebensinstinkt ordnet er skrupellos alles unter, auch die Freundschaft mit Trevor. In dem Moment, in dem er sich für die Manipulation der Beweise entscheidet, verknüpfen sich seine Taten mit denen Alicias, verknüpfen sich ihrer beider Leben und die beiden Handlungsstränge, der des Mordes und der um Johns bedrohtes Leben im Zeugenschutzprogramm. Seine Handlungen und Entscheidungen konnte ich, auch wenn sie oftmals schockierend waren, doch nachvollziehen, ich fand sein strategisches und analytisches Planen genial und sein blitzschnelles Einstellen auf neue Situationen und Herausforderungen geradezu bewundernswert.

Fazit: Ebenso wie die Charaktere polarisieren tut es auch der Schluss. Dieser Thriller ist weniger Detektivgeschichte oder Gut gegen Böse als vielmehr Psychospiel und Charakterstudie. Von Schreibstil und Machart her bleibt man sich treu, der durchaus blutrünstige und reißerische Plot wird kompensiert durch die in meinen Augen hervorragende psychologische Spannung, die hier einmal durch Johns Situation als Verfolgter im Zeugenschutz und durch Alicias Zerrissenheit und Wut bei gleichzeitig großer Verletzlichkeit entsteht. Alles in allem ein sehr guter und spannender Band, den ich a

Bewertung vom 22.02.2022
Einatmen, ausrasten
Hall, Georgie

Einatmen, ausrasten


sehr gut

Eliza Finch, verheiratete Hollander, hat es nicht leicht. Ihre Ehe kriselt, ihre Kinder entfernen sich von ihr, als Schauspielerin ist sie sowieso gescheitert und finanziell steht es auch nicht zum Besten. Nun wird sie auch noch ein halbes Jahrhundert, steckt mitten in der Menopause und fragt sich, wozu diese Pause eigentlich gut sein soll, wenn man sie fast ausschließlich mit Hitzewallungen verbringt. Als sie auf eine Wette mit ihrem Bruder Miles eingeht, bei der es um den Verkauf des von ihrem Ehemann Paddy so heißgeliebten Kanalbootes geht, beginnt ein wahnwitziger Boattrip über die Kanäle und Flüsse rundum Stratford-upon-Avon, bei der Eliza nicht nur einen neuen Hund, sondern auch sich selbst findet.

Eliza Finch ist herrlich!! Emotional, weinerlich, launenhaft, chaotisch, dabei immer empathisch, hilfsbereit und britisch-höflich. Sie liebt ihre Kinder, ihre Eltern und grundsätzlich auch ihren Mann, wäre da nicht dieser vermaledeite Verlust ihrer Libido und die entsetzlichen Selbstzweifel. Mit Eliza hat die Autorin eine Heldin erschaffen, die stellvertretend für alle Frauen den Kampf gegen Hitzewallungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen aufnimmt und sich dem Wandel ihres Körpers und ihrer Bedürfnisse stellt. Das Buch, in der Ich-Form geschrieben, erzählt von einer langjährigen, vielleicht etwas eingefahrenen Ehe, von verlorener Jugend und vergebenen Chancen, gibt aber auch Ausblicke und Hoffnung auf die Zukunft, auf einen Wandel, der oftmals gerade in der Mitte des Lebens einsetzt. In diesem Sinne ist die Geschichte eine einzige Selbstreflektion Elizas, eine stete Aneinanderreihung ihrer Erlebnisse, Erfahrungen, Ängste und Wünsche. Schön fand ich, dass auch die anderen Figuren eine vielschichtige Persönlichkeit haben und sehr liebenswert sind. Besonders gefallen hat mir der Gegensatz der intellektuellen, kulturell und akademisch sehr gebildeten Familie Elizas – und damit Elizas eigener Hintergrund – und der gemütlichen, wortkargen und anpackenden Bodenständigkeit Paddys. Da sich alles doch sehr auf Eliza konzentriert, werden die Persönlichkeiten der anderen Protagonisten recht oberflächlich behandelt – Eliza selbst ist zu sehr auf sich konzentriert, als dass sie wirklich merken würde, was bei ihren Kindern und Geschwistern und nicht zuletzt bei ihrem Ehemann los ist - und demensprechend erfährt auch der Leser nur wenige Details. Dies wird aber durch den Wandel und die Selbstironie Elizas kompensiert. Sie schliddert durch diverse Fettnäpfchen und Katastrophen, wird jedoch zur kreativen Problemlöserin und gewinnt so deutlich an Selbstbewusstsein. Dadurch, dass sie sich wieder selbst lieben lernt, kann sie auch auf Paddy wieder richtig eingehen. Ihr Selbstfindungstrip wird wunderbar durch die äußerst treffsicher gewählten Überschriften wieder gespiegelt, die alle etwas mit Zeit zu tun haben – Zeit, die vergangen ist, die für uns ist, die uns noch bleibt. Alles in allem also eine sehr schöne Geschichte, in der sich sicherlich die eine oder andere Altersgenossin Elizas wiederfinden wird.

Fazit: Elizas vergnügliche Reise zu sich selbst ist in meinen Augen sehr gut gelungen. Sie lässt sich flüssig herunterlesen, hat wunderbare Figuren, ist unterhaltsam und mit einer gehörigen Prise zumeist britischen Humors. Manchmal waren es mir ein paar Hitzewallungen und Anspielungen auf britische Dramen und Serien zu viel, dennoch konnte man Elizas Weg doch gut nachvollziehen. Meines Erachtens gehört aber durchaus ein Schuss Selbstironie dazu, um die Geschichte gut zu finden, dann werden es Frauen in den mittleren Jahren lieben, die jüngeren sollten sich nicht abschrecken lassen – es gibt Hoffnung!

Bewertung vom 11.02.2022
Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar (eBook, ePUB)
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die 77jährige Judith Potts lebt ein zurückgezogenes, ruhiges Leben im malerischen Marlow mit abendlichem Nacktschwimmen in der Themse. Dieses Idyll wird empfindlich gestört, als sie bei einem ihrer Schwimmausflüge auf dem Nachbargrundstück einen Schuss hört und die Polizei ihr nicht glaubt, denn es gibt schließlich auch keine Leiche. Kurz entschlossen beginnt Judith selbst Nachforschungen anzustellen. Tatkräftig unterstützt wird sie dabei von der spießigen Pastorengattin Becks und der Hundesitterin Suzie. Die sehr ungleichen Frauen graben sich tief in die intimen Geheimnisse ihrer Mitbürger hinein und fördern Erstaunliches zutage. Dann geschieht ein zweiter Mord....

Das ist ein wunderbarer, typisch englischer Krimi mit geballter Frauenpower und einer gehörigen Prise Exzentrik und Humor. Die Hauptprotagonisten sind Frauen, allen voran natürlich unser Ermittlertrio, das herrlich ergänzt wird durch DS Tanika Malik. Die Männer stehen entweder unter dem Pantoffel, sind verdächtig oder ansonsten eher nichtsnutzig. Der Autor, bekannt durch die herrlichen Death in Paradise-Krimis, hat auch hier wieder skurril-liebenswerte Figuren erschaffen und sie ins reale Marlow versetzt - das Bilderbuch-Klischee einer englischen Kleinstadt, hinter dessen hübscher Fassade es ordentlich brodelt. Der super eingängige und ironisch-witzige Schreibstil macht es dem Leser leicht, in die Geschichte hineinzufinden, und der Fall selbst ist spannend genug, um am Ball zu bleiben. Die Tiefe der Geschichte wird einerseits durch die exzentrisch-neurotischen, aber doch sehr liebenswerten drei Frauen und deren Zusammenfinden und Interagieren hervorgerufen, andererseits aber auch durch deren eigene Schrullen und die Entwicklung, die sie in ihrer Persönlichkeit durchmachen. Die brillante Judith, Typ harmlose ältere Dame, die ihr Alleinsein genießt und ihre Exzentrik kultiviert hat, lernt, sich auf andere einzulassen und sich anzuvertrauen. Die zwanghafte Becks, Typ angepasstes Hausmütterchen, wirft ihre Prinzipien über Bord und wundert sich, wie leicht ihr Lügen über die Lippen kommen. Und die Hundesitterin Suzie, die nach außen hin wie eine fröhliche, kernige Landfrau wirkt, gesteht sich ihre Einsamkeit ein und entdeckt, dass man nicht nur tierische Kontakte im Leben braucht. Dies alles tritt nach und nach ans Licht in dem Maße, wie auch die Abgründe in Marlow und ihrer Bewohner offen gelegt werden. Judith ist dabei die treibende Kraft, denn sie will mit allen Mitteln herausfinden, was geschehen ist. Sie bringt Intelligenz und Kombinationsgabe mit, Suzie Mut und ihre Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten, und Becks nutzt ihre Kontakte und ihre – scheinbare – Harmlosigkeit, und zusammen ergänzen sie sich perfekt und werden zu dicken Freundinnen. Ich fand sehr schön, dass auch DS Malik hervorragend mit den Frauen interagiert hat, schließlich ihre Arbeit anerkennt und sie einbindet und dass man als Leser auch Einblicke in ihr Seelenleben erhalten hat. Bei einigen Figuren hätte ich mir ebenso tiefere Einblicke in ihr jeweiliges Umfeld gewünscht, einige, besonders die männlichen, kamen ein wenig zu kurz, wie auch die Lösung letztendlich zwar sehr schlüssig und spannend, die Persönlichkeit und Motive aber eher oberflächlich herausgearbeitet wurden.

Fazit: Alles im allem eine sehr gelungene Mixtur aus Lokalkolorit, exzentrischen Charakteren und spannendem Kriminalfall und ein guter Auftakt einer neuen Reihe, der Lust auf Mehr macht. Das Trio ist mir sehr ans Herz gewachsen, und ich sehe in Marlow noch weitaus tiefere Abgründe schlummern, die aufgedeckt werden wollen! Ich freue mich schon auf den nächsten Fall der wundervollen Mrs Potts und ihrem Mordclub!

Bewertung vom 03.02.2022
Der Mann, der zweimal starb / Die Mordclub-Serie Bd.2
Osman, Richard

Der Mann, der zweimal starb / Die Mordclub-Serie Bd.2


ausgezeichnet

Das Leben in Coopers Chase plätschert gerade so ein bisschen vor sich hin, als Elizabeth einen Brief von einem Toten erhält. Dem muss sie natürlich nachgehen und sieht sich ihrem Ex-Kollegen vom Geheimdienst gegenüber, der sich mächtig in Schwierigkeiten gebracht hat: Er hat nämlich Diamanten im Wert von 20 Millionen mitgehen lassen, die der New Yorker Mafia gehören, und die wollen die Steinchen dummerweise zurück, sonst droht Ungemach. Versteht sich von selbst, dass Elizabeth den Donnerstagsmordclub einschaltet, zusammen wird man das Ding schon schaukeln, da hält einen auch kein MI5 oder 6 ab. Man hat aber noch ein anderes Problem: Ibrahim vom Donnerstagsmordclub wurde überfallen und ist nicht ganz auf der Höhe, und dieser Schurke läuft ebenfalls noch frei herum...

Einfach herrlich, dieser zweite Fall für das Quartett! Je mehr ich über sie lese, desto weniger kann ich genug von diesen vier Senioren bekommen. Möglicherweise ist dieser zweite Fall als Krimi sogar noch besser, denn er ist recht komplex und es ist bei Weitem nicht immer so klar, ob das alles gut geht. Und dann ist da natürlich noch der zweite „Fall“, der Anschlag auf Ibrahim, der einen emotional weit mehr erschüttert. Es gibt auch ganz schön viel Geballere und jede Menge Leichen, ganz nach guter alter Mafia-Manier, also für zarte Gemüter ist es jetzt auch nichts. Der Autor bleibt sich und seinem Stil zum Glück treu und führt uns arme Leser auf falsche Fährten, verwirrt uns mit verschiedenen Erzählsträngen und Perspektiven, fügt zudem noch eine gute Prise Romantik dazu und garniert das Ganze mit seinem unverwechselbaren Humor. Ich habe mehr als einmal hell aufgelacht und debil gekichert, war betroffen und manchmal geschockt und manch lauten Kommentar konnte ich mir auch nicht verkneifen.

Die vier Musketiere halten zusammen wie Pech und Schwefel und jeder trägt seinen Teil zum Gelingen bei. Am meisten begeistert mich jedoch nach wie vor der Scharfsinn Elizabeths und die Miss Marple-Schläue von Joyce, die immer wieder für Überraschungen sorgen, vor allem natürlich, weil sie immer unterschätzt werden. Diesmal, so fand ich, kam das Zusammenspiel der vier und auch das mit ihren getreuen Helferlein sehr viel besser rüber. Die Charaktere und ihre sehr spezielle Persönlichkeit, ihre Eigenheiten und Stärken werden weiter ausgearbeitet und spielen eine große Rolle bei den Ermittlungen. Überhaupt liegt ein großer Fokus bei der Ermittlungsarbeit, es wird nichts dem Zufall überlassen, und das Ergebnis wird oft durch skurrile und nicht immer legale Methoden erreicht. Ein weiterer neuer Aspekt ist, dass die Handlung weiträumiger wird, heißt, die kriminellen Elemente sind nicht nur in der Nähe, und dementsprechend muss man eben auch öfter aus Coopers Chase hinaus.

Die Geschichte fliegt sehr rasant dahin, es gibt schnelle Wechsel, man erfährt immer neue Dinge aus verschiedenen Perspektiven und erst ein paar Leichen und Verhaftungen später entwirrt sich das Knäuel dann endgültig. Sehr schön fand ich auch den Ausbau der privaten Angelegenheiten, dies gibt den Figuren noch mehr menschlichen Tiefgang und Authentizität und bindet die Nebenfiguren – so es denn welche sind – stärker in das Geschehen ein. Es ist eben nicht nur der Fixstern Elizabeth, um den alle kreisen, auch wenn sie die Fäden in der Hand hält. Die Gliederung in drei Teile macht den Überschriften entsprechend durchaus Sinn, ist aber streng genommen nicht nötig, die Geschichte läuft in einem durch. Einschübe aus Joyces Tagebuch geben nötige Hintergrundinformation und verraten auch einiges über das eigentliche Geschehen hinaus.

Fazit: Mehr davon, und zwar schnell! Es ist einfach ungeheuer unterhaltsam, spannend, rührend, köstlich, wie die vier Senioren sich einmischen, ihre Fälle lösen und Gerechtigkeit walten lassen. Meiner Meinung nach hat sich der Autor sogar noch gesteigert, er baut seine Figuren und seine Handlung aus, wird politischer und international. Ich hoffe doch sehr, dass er sein Pulver noch ni

Bewertung vom 27.01.2022
Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.1
Frank, Sylvia

Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.1


ausgezeichnet

Großartiger, biografisch gefärbter Roman über das Kennenlernen und die intensiven zwei Anfangsjahre von Dalí und Gala Éluard und der Beginn ihrer sowohl kreativ als auch materiell sehr fruchtbaren Beziehung. Man hat das Gefühl, da haben sich zwei gefunden, die sich perfekt ergänzen, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite der aufgrund seiner Kindheit und Erziehung verklemmte und konservative Dalí, der irgendwo zwischen Pubertät und Erwachsensein stecken geblieben ist, auf der anderen die weltgewandte, sexuell befreite russischstämmige Lebedame, die das Luxusleben liebt und in der Pariser Künstlerwelt zu Hause ist. Dalí, der nur malen will und dem Geld und materieller und gesellschaftlicher Status nichts bedeuten, findet in Gala aufklärerische Geliebte, fürsorglich-mütterliche Ehefrau, inspirierende Muse und hart verhandelnde Managerin. Mit ihr und durch sie werden Dalí und seine Bilder weltberühmt.

Gala selbst kann man gar nicht genug bewundern. Auf Bildern wirkt sie gar nicht einmal wie eine Filmstarschönheit, aber sie muss immenses Charisma und eine große Sinnlichkeit besessen und auf Männer wie ein Magnet gewirkt haben. Im Buch wird sie als ein zwiespältiger und komplexer Charakter dargestellt, aufgewachsen und geprägt im zaristischen Russland, das sie weitgehend aus ihren Gedanken verbannt hat. Eine Frau, die sich voll und ganz ihren sexuellen Neigungen und dem ausschweifenden Künstlerleben hingibt und die dennoch als Muse und knallharte Geschäftsfrau alles für den kommerziellen Erfolg des Künstlers Dalí tut. Sie gibt für ihn ihr komfortables Leben an der Seite Éluards auf, weil sie spürt, dass Dalí ein von seiner Kunst Besessener ist, anders als bei ihrem Mann, für den sie nur Zeitvertreib zu sein schein – meines Erachtens ein Hauptgrund, warum es sie zu Dalí hinzieht. Dafür nimmt sie aufopferungsvoll in Kauf, von der Hand in den Mund, in einer armseligen Fischerhütte und in Paris in schäbigen Mietwohnungen zu leben, bei potenziellen Mäzenen Klinken zu putzen, ihren Schmuck zu versetzen und in der Welt der Reichen und Schönen unter Geheimhaltung ihrer eigenen prekären Lage Dalís Kunst bekannt zu machen. Mit ihrem Wesen und ihrer Lebensart steht sie außerdem in direktem Gegensatz zur strenggläubigen, konservativem und patriarchalisch dominierten Familie Dalís, vor allem zu seiner Schwester, die Dalí in – so wird angedeutet – nahe inzestuöser Liebe verbunden ist. Gala wird zur verruchten Hexe, die die Familie zerstört und den Sohn in ihrem Sumpf mit hinabzieht.

Formal ist das Buch in drei Teile aufgeteilt, die die Geschichte thematisch unterteilen, auch wenn sie chronologisch erzählt wird. Der erste Teil beendet die Phase des Kennenlernens mit der kurzzeitigen Trennung, Teil zwei erzählt das erneute Zueinanderfinden und der Versuch sich zu etablieren und Teil drei beschreibt den Beginn des Erfolges. Liegt in der ersten Hälfte des Buches der Fokus klar auf Gala und Dalís Liebe, so konzentriert sich das Geschehen mehr und mehr auf Dalís Kunst, bis der Leser zuletzt gar Zeuge bei der Schaffung eines von Dalís Meisterwerken wird. Auch wenn die Autoren im Nachwort zugeben, dass sie die eine oder andere Zeitangabe zugunsten der Geschichte ein wenig angepasst haben, hat man doch stark das Gefühl, wirklichen Begebenheiten beizuwohnen. Gala und Dalí, die uns abstrakt und weit weg erscheinen, werden zu realen Menschen mit Gefühlen, Zweifeln und großen (Zukunfts-)Ängsten. Die Autoren zeichnen nicht nur die Persönlichkeiten Galas und Dalís akkurat nach, sie setzen sie in den Kontext ihrer Herkunft und ihrer Zeit, die sie geprägt haben, sie zeigen auf, wie revolutionär ihre Ansichten, wie zukunftsweisend Dalís Kunst und wie wichtig Galas Rolle bei Dalís Entwicklung waren. Spritzige, aber auch tiefgründige Dialoge und ein ungeheuer eingängiger Erzählstil machen diese Geschichte zu einem ungeheuren Lesevergnügen, das nachhallt und das Lust macht, sich eingehender mit den beiden zu beschäftigen.

Fazit

Bewertung vom 20.12.2021
Ein Leben für die Freiheit der Frauen / Die Hafenärztin Bd.1
Engel, Henrike

Ein Leben für die Freiheit der Frauen / Die Hafenärztin Bd.1


ausgezeichnet

Packende Gesellschaftsstudie und Kriminalfall Anfang des 20. Jahrhunderts
Hamburg, 1910: Die Ärztin Anne Fitzpatrick muss London Hals über Kopf verlassen und kehrt zurück in ihre Heimatstadt Hamburg. Dort will sie ihre Arbeit als Ärztin für bedürftige und gefallene Frauen und deren Kinder sowie ihren Kampf für Frauenrechte fortsetzen. Bei der Eröffnung ihres Frauenhauses findet die Pastorentochter Helene eine Leiche im Wasser – bevor das Haus richtig öffnen kann, wird es schon wieder geschlossen. Der eigensinnige Ermittler Berthold Rheyd beginnt sich in den Fall zu verbeißen, auch wenn die Obrigkeit diesen als „Mord im Milieu“ abtun will. Als weitere tote Frauen gefunden werden, erkennt er schnell, dass mehr dahinter steckt und wittert außerdem, dass Anne etwas verbirgt. Anne indessen spürt, dass sie selbst in höchster Gefahr schwebt, denn der Mörder scheint seine Taten ganz gezielt in ihrem Umfeld zu begehen...

Sehr fesselnder, gut geschriebener Roman und packender Kriminalfall. Die Autorin versteht es ausgezeichnet, ihren Figuren Persönlichkeit zu verleihen und ihr Umfeld und ihre Geschichte anschaulich und bildhaft zu beschreiben. Geschickt verwebt sie außerdem den Kriminalfall mit aktuellen Themen der Zeit wie der Kampf um Frauenrechte, soziale Abgründe, das Klassensystem der damaligen Gesellschaft, aber auch die pulsierende Metropole Hamburg und den Aufbruch in eine neue Zeit. Hier stehen junge Menschen, die für Gleichberechtigung und einen sozialeren Staat kämpfen, die vom freien Willen überzeugt sind und dass jeder eine Chance verdient hat, den „alten“, konservativen, durchweg männlichen Mächtigen gegenüber. Letztere kämpfen mit aller Macht um den Erhalt der alten Ordnung und sind der festen Überzeugung, dass ein jeder da steht, wo er von Gottes Gnaden hingehört. Verkörpert wird dies besonders durch Helene und ihre Familie, ihren gestrengen Pastorenvater und die demütig gehorchende Mutter auf der einen, die aus der Enge des Patriarchats ausbrechenden Kinder auf der anderen Seite.

Aufgebaut ist die Geschichte um die drei Hauptfiguren Anne, Helene und Burkhard, aus deren Perspektiven jeweils erzählt wird. Nach und nach verknüpfen sich deren Leben immer mehr und damit auch deren Sichtweisen. Jeder von ihnen verkörpert eine soziale Schicht, Burkhard die Arbeiterklasse, Helene das konservative Bürgertum und Anne die reiche Oberschicht, wobei sich bei diesen jungen Menschen die Grenzen bereits verwischen. Alle drei haben ihre Päckchen zu tragen und Altlasten aus der Vergangenheit. Helene und Anne brechen aus und arbeiten für und mit den untersten sozialen Schichten, Burkhard als Arbeiterkind spielt in einem elitären Fußballverein und erarbeitet sich einen Status bei der Polizei. Alle drei eint ihr starker Wille und der Wunsch nach der Wahrheit, nach Aufklärung und ihren Kampf für die Schwachen. Es sind eigenwillige Charaktere, mit denen man sofort mit lebt und über die man gerne mehr erfahren möchte, zumal das Geheimnis von Anne um die Geschehnisse in London nicht komplett gelöst werden. Vor allem Helene macht meines Erachtens eine große Entwicklung durch, sie ist auch die jüngste und steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Sie reift durch die Ereignisse und findet einen klugen Kompromiss mit ihrem Vater bezüglich ihrer Berufswahl. Außerdem reflektiert sie viel und korrigiert ihr eigenes Verhalten. Ein weiterer wichtiger Mitspieler ist der Journalist und Sozialist Lauritzen, der damit ebenfalls für eine – damals verfolgte - Minderheit steht und der durch seine Artikel großen Einfluss auf die Öffentlichkeit ausübt. Auch er trägt einiges zur Aufklärung bei.

Der Fall selbst ist durchaus spannend und die Ermittlungsarbeit interessant erzählt. Besonders das Zusammenspiel der Truppe um Kommissar Rheydt, die ebenfalls erst zusammenfinden muss, ist spannend und glaubhaft erzählt. Die Geschichte lebt aber weitaus mehr von der unterschwelligen Bedrohung für Anne und ihre persönliche Involviertheit sowie ihre Arbeit für di

Bewertung vom 10.12.2021
Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1
Hector, Wolf

Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1


ausgezeichnet

Ein schlichtweg großartiger historischer Roman, der das Leserherz höherschlagen und keine Wünsche offenlässt. Für mich einer der besten historischen Romane des Jahres! Von der ersten Zeile an fesselnd, mit gut durchdachtem, klug strukturiertem Aufbau, vielschichtigen Charakteren und bildhafter und authentischer Darstellung des historischen Kontextes, in den die Geschichte aufs Trefflichste eingebettet ist. Der Autor versteht es meisterhaft, die Menschen und ihre Zeit lebendig werden zu lassen und bildet die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur wesensgetreu nach. Er gibt uns tiefe Einblicke in alle gesellschaftlichen Schichten wie Hochadel, Rittertum, Geistlichkeit, bürgerliche Handwerksleute, Marktweiber, Huren, pickt sich einzelne Vertreter heraus und spart auch nicht mit Extremen, wie den eifernden Mönch, die Sternendeuterin und die mordenden und vergewaltigenden Raubritter. Dadurch wird deutlich, dass dies eine Zeit im Umbruch und voller Gegensätze ist, einerseits das feudale Herrschaftssystem mit klar definierten Klassen und Rollen, mit großer Gottesfurcht und tiefem Aberglauben, aber auch mit wachsenden Städten und erstarkendem Bürgertum, mit hervorragenden und fortschrittlichen Meistern und Kaufleuten, die Dinge anpacken und voranbringen. Der Autor schafft es zudem, dass seine Figuren nicht nur schwarz oder weiß sind, sondern mit ihren nachvollziehbaren menschlichen Stärken und Schwächen, Zweifeln und Ängsten sind sie absolute Kinder ihrer Zeit, die er so lebendig auferstehen lässt, dass Jahrhunderte in Windeseile überbrückt werden.
Dabei erweist er sich als hervorragender Erzähler, der seine Geschichte übersichtlich strukturiert. Aufgeteilt in vier Bücher verläuft die Handlung keineswegs chronologisch. In Rückblenden erzählt Jan Otlin die Ereignisse, wobei er als allwissender Erzähler fungiert und in seinem Bericht auch aus anderen Perspektiven erzählt wird. Dadurch gewinnt der Leser natürlich viel bessere Einblicke in Tathergänge und Gedanken und Motive der Protagonisten, als wenn in der Ich-Form erzählt würde. Der Geschichte vorangestellt und als erstes Kapitel eines jeden Buches liegt immer die gegenwärtige Situation Jans und der Seinen, die dann im letzten Buch abgeschlossen wird. Die einzelnen Kapitel sind zudem mit treffenden Überschriften und Zeitangaben betitelt. Geschickt beendet er zudem fast jedes seiner Kapitel mit einem Cliffhanger, so dass man einfach weiterlesen muss. Schön und informativ sind auch Stadtplan des historischen Prag, Zeittafel, Personen- und Begriffsregister.
Nicht nur in historischer Genauigkeit und Authentizität überzeugt der Autor, auch seine Figuren sind herausragend und lassen einen jede Sekunde mit ihnen mitleben, und das nicht nur mit den mir als Leserin sympathischen, sondern auch mit den Gegenspielern. Dass über einigen historischen Ereignissen ein Schatten liegt, kam ihm dabei sehr zupass. In zunächst drei Haupthandlungssträngen werden die Erlebnisse Jans, Maria-Magdalenas und Jans Gegenspieler Rudolph erzählt und die Ereignisse aus deren Sichtweise näher umschrieben. Gut gelungen fand ich, dass man so auf unterschiedliche Weise Beschreibungen erhält, mal näher dran, mal weiter weg ist vom Geschehen, je nach dem ob sich die Akteure gerade gut kennen oder was sie miteinander zu tun hatten. Die Geschichte ist wie ein Netz aus zunächst mehreren losen Fäden, die sich nach und nach verknüpfen.
Von allen Figuren habe ich mit Maria-Magdalena am meisten mitgelitten, vielleicht auch weil sie ein junges Mädchen ist und damit am verwundbarsten, aber mehr noch weil sie so viel Leid erfährt in ihrem jungen Leben und dabei doch stark ist, niemals aufgibt und zur Liebe fähig. Sie macht die stärkste Entwicklung in ihrem Erwachsenwerden durch, pendelt zwischen Fatalismus und „das Glück in die eigene Hand nehmen“, zwischen Glaube und Zweifel, Lebensmut und Höllenqual, begeht Sünden und soll doch büßen für etwas, das sie nicht getan hat. Lange erkennt sie in einer unbegreiflichen Naivität nich

Bewertung vom 01.11.2021
Die Ullsteinfrauen und das Haus der Bücher
Rygiert, Beate

Die Ullsteinfrauen und das Haus der Bücher


ausgezeichnet

Gesellschaftsroman und Liebesgeschichte – Entgegen aller Konventionen und Widerstände
Berlin, 1928: Der Ullstein-Verlag in Berlin ist der größte und mächtigste Verlag in Deutschland. An der Spitze steht unangefochten Dr. Franz Ullstein, Generaldirektor, seine Brüder und einzelne Familienmitglieder bilden das Gremium. Als er die dreißig Jahre jüngere Dr. Rosalie Gräfenberg kennenlernt, ist es um ihn geschehen. Nur ein paar Wochen später macht er der erfolgreichen Journalistin einen Antrag und entgegen aller Widerstände seitens der Familie heiraten sie. Bald jedoch ziehen dunkle Gewitterwolken auf: Die Familie beschuldigt Rosalie eine Spionin zu sein und enthebt Dr. Franz seines Postens. Bald findet sich Rosalie vor Gericht wieder, die ganze Familie gegen sich….

Großartiger Gesellschaftsroman, Liebesgeschichte und Sittengemälde im Berlin der Goldenen 20er Jahre, der sehr wahrheitsgetreu die kurze Ehe von Dr. Franz Ullstein mit Dr. Rosalie Gräfenberg und den Prozess nachzeichnet. Die Autorin stützt sich, wie sie in ihrem Nachwort ausführt, neben vielen anderen Quellen, bei den Beschreibungen der Personen hauptsächlich auf den Ullsteinroman von Sten Nadolny und auf Rosalie Gräfenbergs Autobiografie, und auch wenn natürlich Dialoge erfunden und Handlungen gerafft wurden, so ist das Fundament doch historisch belegt und sehr akribisch recherchiert, und gerade das macht diesen Roman so detailgetreu, realistisch und seine Figuren so authentisch und überzeugend. Die Autorin versteht es zudem, ihren Figuren Leben einzuhauchen, sie als „echte“ Menschen darzustellen und ihre Persönlichkeit greifbar zu machen. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt, gewinnt man als Leser sowohl tiefe Einblicke in das gesellschaftliche Leben der Oberschicht, in deren Kreisen sich Rosalie und Dr. Franz bewegen, in die Ullstein-Familie und – als Gegenpart dazu – in die Arbeiterklasse. Der Roman ist eben nicht nur eine Liebesgeschichte, Themen wie die Geschlechterrollen und Klassenunterschiede, das Aufbegehren und der Kampf gegen diese werden ebenso thematisiert wie der beginnende Terror der Nationalsozialisten.

Mit Rosalie Gräfenberg hat sich die Autorin die perfekte Sympathieträgerin herausgesucht. Rosalie ist nicht nur schön, sondern auch weltgewandt, elegant, klug und gebildet, unabhängig, politisch und wirtschaftlich bewandert. Sie verkörpert alles, was man als Frau gerne sein möchte, ist dabei aber so reizend, dass man sie neidlos anerkennt und mit ihr befreundet sein will. Sie ist zudem herzlich, gefühlvoll und hilfsbereit und hat mit Vicki Baum eine eher burschikose Freundin an ihrer Seite, die unverbrüchlich zu ihr steht. Interessant ist die dritte im Bunde, Lilli Blume, das Arbeiterkind mit den großen Ambitionen, die aus dem Schattendasein heraustritt und ihren Weg geht. Die ungleichen Frauen helfen sich gegenseitig und sprengen durch ihre Taten einige gesellschaftliche Konventionen. Ich fand besonders großartig, wie die Autorin geschickt reale Ereignisse und Personen mit erfundenen verwebt, Lilli und ihre Familie, ihr Leben und Lieben sind eine ebenso wundervolle wie interessante Familie wie die Ullsteins, und man wünschte sich, mehr über sie zu erfahren. Lilli als Vicki Baums – vermeintlich unsichtbares - Tippfräulein steht stellvertretend für die Arbeiterschicht, hier gibt es dunkle Hinterhöfe, Kohlgeruch, Dialekt und keine Konzerte und Dienstmädchen. Hier gibt es aber auch unverbrüchliche Treue, eine große Würde und der Aufbruch in eine neue Zeit. Dies zeigt sich an Lillis und ihrer Schwester Gundis Ambitionen, beruflich etwas zu erreichen, und an ihrer Freundschaft mit Rosalie und Vicki Baum.

Fazit: Toller Roman, der viele Genres abdeckt und in seinem Stil und mit seinen herausragenden Figuren von der ersten Zeile an fesselt. Die Autorin bleibt bei ihren Darstellungen von Ereignissen immer nah an der Wahrheit, daher ist auch der Schluss kein reines Happy End, aber gerade dadurch nachvollziehbar und versöhnlich. Sie gibt sowohl historis

Bewertung vom 24.09.2021
Die letzte Tochter von Versailles
Stachniak, Eva

Die letzte Tochter von Versailles


ausgezeichnet

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer einen stringent erzählten historischen Liebes- und Abenteuerroman mit fortlaufender Handlung und einer starken Heldin als Identifikationsfigur, wie zum Beispiel bei den Hebamme- oder Wanderhure-Büchern, erwartet, wird eher enttäuscht werden. Natürlich gibt es diese Figuren, auf die sich die Handlung konzentriert, allen voran Véronique und Marie-Louise, doch diese sind immer stark eingebunden in die Geschehnisse ihrer Zeit, werden zum Spielball großer Mächte und der Umstände, und nicht immer geht alles gut aus. In meinen Augen ist der Autorin ein wirklich fulminanter, bewegender, bildhafter Historienroman gelungen, der den Wechsel Frankreichs vom Absolutismus zur Republik zum Leben erweckt, wobei sie sich einzelne Lebensumstände herauspickt und die Ereignisse an deren Beispiel erzählt. Dabei gelingt ihr eine überzeugende Darstellung des Alltags sowohl des Adels und des Königshauses als auch des einfachen Volkes und des Bürgertums. Genauso könnte es wirklich passiert sein, die Menschen und ihr Schicksal werden gerade dadurch, durch ihre Schwächen und Zweifel und durch die Tatsache, dass eben nicht alles immer glatt läuft, authentisch. Hierbei hat man als Leser das Gefühl, man nimmt lebhaft teil an deren Leben und ist selbst mittendrin in dieser Gesellschaft.

Für mich gliedert sich die Geschichte eigentlich in zwei Hauptteile (im Buch ist die Geschichte in mehrere Teile strukturiert), und zwar den ersten um Véronique und den zweiten um Marie-Louise. Der erste bricht dann relativ abrupt ab, und es bleibt lange unklar, was nun eigentlich mit Véronique geschehen ist. Als großartige Erzählerin hat die Autorin verschiedene Erzählstränge und Perspektiven verwendet, die sogar mit verschiedenen Stilen behaftet sind. Man merkt sofort (nicht nur an der Kursivschrift), dass hier Véronique erzählt, aus ihrer Erzählung spricht ihre mangelnde Bildung, ihre Unbedarftheit und Naivität, aber auch ihre Loyalität und ihre Liebe. In Rückblicken wird dann Marie-Louises Kindheit erzählt, und lange Zeit hört man von Véronique erst einmal nichts. Der rote Faden jedoch ist die Verbindung zwischen Mutter und Tochter, zunächst eine geistige, später auch eine reale - ein Faden, der nie abreißt. Beide fragen sich immer, wo die andere ist und ob es ihr gutgeht. Beiden ist gemein, dass sie keine schöne Kindheit hatten, sie werden Spielball der Mächtigen beziehungsweise der Männer, die sie lieben. Beide verkörpern jedoch auch genau ihre Zeit, Véronique die alte Epoche als Mätresse des absolutistischen Herrschers, Marie-Louise als Gattin eines Revolutionärs und Anhänger Dantons die neue, die Zeit der Aufklärung, des Umbruchs und der neuen Zeitrechnung. Marie-Louise stellt aber gleichzeitig das Bindeglied zwischen Monarchie und Republik dar. Anders als ihre Mutter hat Marie-Louise die Möglichkeit, aufgrund ihrer Hebammenausbildung einen Beruf zu ergreifen und ihr Einkommen zu sichern, sie ist also auch ohne Mann lebensfähig. Sehr bezeichnend ist außerdem, dass der Sohn Marie-Louises in eine andere, noch neuere Welt aufbricht – in das junge, gerade unabhängig gewordene Nordamerika. Er verkörpert also auch wieder eine neue Gesellschaftsordnung, ein von Mutterland losgelöster, unabhängiger Staat, in dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.