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Adelebooks
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Bremen

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Insgesamt 141 Bewertungen
Bewertung vom 04.12.2024
Böttger, Miriam

Aus dem Haus


gut

Über Familiensekten und andere Katastrophen oder: niemand ist freiwillig in Kassel

In Aus dem Haus blickt die Ich-Erzählerin ausgehend von einem Besuch am Grab ihres Vaters auf ihre Familiengeschichte zurück - das Aufwachsen in Weinheim an der Bergstraße, der Umzug nach Kassel und der Gipfel des Unglücks: der Bau des Hauses.

Unterhaltsam ist dabei nicht nur die Charakterisierung der Eltern, die modebewusste, attraktive Mutter stets mit Zeitproblemen, die aber deshalb nicht weniger stets an ihr eigenes Unglück glaubt und in Klage und Melancholie versinkt, der Vater, erfolgreich im Beruf, jedoch gleichsam an das eigene Unglück glaubend und im oft verzweifelten Versuch die eigene Frau zu verstehen, beide sich stets ausnutzend lassend, jedoch mit deutlichen Defiziten im Sozialverhalten.

Wirklich eingängig und überraschend ist auch der Stil in dem Miriam Böttger diese Geschichte erzählt. Klug, pointiert und oft bissig charakterisiert die Autorin nicht nur die Eltern, sondern auch Familienkonstellationen und - Dynamiken, die kulturellen und sprachlichen Eigenheiten und Unterschiede zwischen Weinheim an der Bergstraße und Kassel, die Idealisierung des Autofahrens und nicht weniger als die Gesellschaft und ihre sozialen Dynamiken als solches.

Dieser bissig-ironische Ton überdeckte dabei für mich jedoch oft die eigentliche Tragik der Geschichte. Die ständige Unzufriedenheit, Negativität und Depressionen, die das Leben der Eltern begleiteten und geprägt haben. Nie ist etwas gut genug, die anderen haben es immer besser und wenn das Unglück nicht da ist, redet man es herbei. Völlig in den Hintergrund gerät dabei auch, was dies für ein Kind bedeuten kann in solchen Dynamiken aufzuwachsen. Natürlich kann man damit reflektiert und mit ironischer Distanziertheit umgehen, wie die Ich-Erzählerin. Das Aufwachsen geprägt durch Negativität und Destruktivität kann jedoch auch andere Folgen haben und prägend für das weitere Leben sein.

Ich bin daher insgesamt etwas zwiegespalten in meinem Urteil. Der gesellschaftskritische, ironische Ton und die Analyse sozialer Dynamiken gefallen mir grundsätzlich sehr gut und ich habe nun auch einiges über die Unterschiede zwischen Kasseler, Kasselaner und Kasselener gelernt. Gleichzeitig hätte ich mir mit Blick auf die Figurenentwicklung etwas mehr Tiefgang und Einordnung, der doch nicht unerheblichen destruktiven Dynamiken gewünscht.

Bewertung vom 01.12.2024
Biringer, Eva

Unversehrt. Frauen und Schmerz


ausgezeichnet

Schmerzhaft zu lesen, ein unglaublich wichtiges Buch!

Unversehrt ist wirklich keine leichte Kost und macht unfassbar traurig und wütend. Ich musste mehrfach unterbrechen, weil die Geschichte von weiblichem Schmerz, die Eva Biringer hier erzählt so unfassbar und dramatisch ist und nicht zuletzt dramatisch alltäglich. Die Autorin betrachtet wie Frauen Schmerz zugefügt wird, ihr Schmerz bagatellisiert und nicht ernst genommen, an anderer Stelle fetischisiert wird - dies alles auch in und von einer in Vergangenheit und Gegenwart zutiefst androzentrischen Medizin, mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen jenseits des männlichen Ideals.

Vieles war für mich nicht komplett neu, doch Biringer beschreibt die Ursprünge, Ausbreitung und Persistenz von Misogynie und deren Verbindung zu weiblichem Schmerz in unserer Gesellschaft in Deutschland, Europa und weltweit so pointiert und eindringlich, dass es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen kann. Diese Eindringlichkeit erzeugt die Autorin nicht mit Effekten oder sprachlichen Raffinessen, nein, es sind die gut recherchierten harten, traurigen und in Ausmaß und Wirkung beinahe unglaublichen Fakten, die erschaudern lassen und einfach nur wütend machen, auf eine Welt, die noch immer maßgeblich durch patriarchale Strukturen geprägt ist und in der autoritär-patriarchale Muster zum Teil sogar eine Revision erfahren (siehe Trump, die Incel-Bewegung, etc.).

Als Betroffene einer der von der Autorin beschriebenen Autoimmunerkrankungen, die überproportional Frauen betreffen, war ich positiv angetan von den Ausführungen Biringers, die von einem tiefen Verständnis der Autorin für die Erkrankungen und Lebenswelt der Betroffenen zeugen. Dies ist nach meiner Erfahrung auch unter Journalist*innen alles andere als selbstverständlich.

Für mich waren Einleitung und Titelbild etwas irreführend. Letzteres finde ich recht plakativ. Zugang zum Thema verschafft sich die Autorin in der Einleitung über die Geschichte ihrer eigenen Großmutter, die ihr Leben lang an Schmerzen litt. Ich hatte daher ein wesentlich persönlicheres, eher feuilletonistisches Buch erwartet. Was auch ok gewesen wäre. Positiv überrascht bin ich dann jedoch von dem ausgezeichnet recherchierten, und einnehmend geschriebenen ebenso wie pointiert aufgebauten Sachbuch, dass mich erwartete. Für mich ist das Buch in Inhalt und seiner zeitgemäßen sprachlichen Darstellung ein echtes Must-Read und würde für mich fast zu einer zeitgemäßen Schullektüre taugen. Denn dass die darin von der Autorin präsentierten Inhalte so wenig Raum in der Öffentlichkeit einnehmen, ist unfassbar, besonders wenn man bedenkt, dass rund 50% der Menschheit von den negativen Auswirkungen von Misogynie und Sexismus in unserer Gesellschaft und insbesondere auch dem Gesundheitssystem betroffen sind! Unbedingt lesen!

Bewertung vom 29.11.2024
Brady, Fern

Strong Female Character


ausgezeichnet

Ein weiblicher Lebensweg zwischen Sexismus, Autismus und Klassismus

In ihrem Buch Strong Female Character gibt die erfolgreiche Comedian Fern Brady Einblicke in ihren Lebensweg als Frau mit Autismus und den langen und schmerzhaften Weg zu einer Diagnose, als Frau im Comedybusiness, als Frau mit Autismus aus der Arbeiterschicht an der Universität und als Frau in einem katholisch geprägten Milieu und entsprechender Erziehung. Das Gefühl „falsch“ zu sein, mag dabei nicht nur an ihrer Diagnose liegen, sondern, dass sie als selbstbewusste, junge Frau mit Autismus aus vielen der sie umgebenden Normen herausfällt, sei es in der Familie, dem Gesundheitssystem oder auch an der Universität. So bewegt sich die Autorin nicht nur zwischen Sexismus und Autismus, wie es der Titel suggeriert, sondern auch Sexismus im Autismus und dem Gesundheitssystem sowie Klassismus. Hier überlagern und verstärken sich Sexismus, Ableismus und Klassismus gegenseitig. Als weitere Ebene wirken, durchaus auch in Verflechtung, die starren Normen des Katholizismus.

Gerade durch ihre Erfahrungen im Gesundheitssystem wird für mich sehr deutlich, dass in unserer Gesellschaft und all ihren Teilbereichen ganz offensichtlich jede Abweichung von einer gesunden, männlichen Norm, mit Barrieren und massiven individuellen Nachteilen verbunden ist. Alles was davon abweicht, wird in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft als störend empfunden.

Aus meiner Sicht wird auch sehr deutlich wie bereichernd eine Perspektive wäre in der wir jenseits von oft hierarchisierenden Normvorstellungen, die in der Regel an patriarchale-kapitalistische Diskurse anknüpfen, echte Vielfalt in unserer Gesellschaft leben und anerkennen würden.

Der Stil der Autorin ist authentisch und für mich gut zu lesen. Ich persönlich mag die Unmittelbarkeit mit der die Autorin ihre Gedanken teilt, als ob man an ihrem Denken und ihrer Lebenswelt beim Lesen teilhat. Die Ereignisse sind dabei nicht durchgängig chronologisch, manchmal sprunghaft, wie es auch für sie selbst sein mag.

Ich habe den Eindruck und finde es bewundernswert, dass die Autorin eine gewisse Stärke aus ihren Erfahrungen gezogen hat und gleichzeitig empfinde ich es als unglaublich traurig und beschämend für unsere Gesellschaft, dass sie diese Erfahrungen machen musste. Das Gefühl „falsch“ zu sein, egal ob in einem weiteren gesellschaftlichen Kontext oder sogar innerhalb der Kernfamilie wird sehr gut beschrieben und ich kann mir nur im Ansatz vorstellen, was das für ein Kind und eine junge Frau bedeuten muss. Ich habe bei meinen Gefühlen während der Lektüre daher sehr zwischen Bewunderung für die Autorin, Mitgefühl, Traurigkeit und auch ganz viel Wut auf unsere Gesellschaft geschwankt, die Fern Brady diesen Weg hat gehen lassen. Für mich ein wichtiges Buch mit einer absoluten Empfehlung!

Bewertung vom 13.11.2024

Trinken wie ein Dichter


ausgezeichnet

Für Literaturliebhaber*innen und Genussmenschen

Trinken wie ein Dichter ist ein kurzweiliger Band, der Autor*innen und ihre Lieblingsgetränke in einen kulturhistorischen Kontext stellt. Ich hatte mir das Buch ehrlicherweise etwas banaler vorgestellt und bin ganz überrascht und hingerissen vom Inhalt. Mich begeistert besonders, dass das jeweilige Getränk in den historischen und literarischen Kontext gestellt und so darüber ganz nebenbei auch Kulturgeschichtliches aus der jeweiligen Epoche vermittelt wird. Super finde ich auch, dass es sich nicht ausschließlich um alkoholische Getränke handelt, sondern beispielsweise auch ein Grünteemix dabei ist!

Die Leserin taucht ein in die Zeit der Entstehung und des Genusses der Getränke und beleuchtet kurzweilig den jeweiligen kulturhistorischen Kontext. Dabei werden zuweilen auch typische Gerichte, wie die Kalbsfleischbrühe der Regency Ära näher betrachtet. Das jeweilige Rezept darf natürlich in jedem Abschnitt nicht fehlen.

Als Modell dient jeweils ein*e Literat*in, wobei sich das Buch vom Jahr 1564 bis in die Gegenwart, orientiert am Lebens- und Wirkungszeitraum der vorgestellten Person, vorarbeitet.

Sehr gut haben mir auch die kleinen Details zu Leben und Werk der vorgestellten Autor*innen gefallen, verknüpft mit dem jeweiligen Getränk.

Ein kleines Highlight waren für mich die lose eingestreuten Exkurse über wenige Seiten, in denen bestimmte Bars, Getränke oder auch Tipps für einen Literatursalon und gegen Kater kurzweilig vorgestellt wurden. So erfährt die interessierte Leserin beispielsweise, was es mit der grünen Stunde im Paris der Jahrhundertwende auf sich hatte.

Für mich ist das Buch eine echte kleine Überraschung. Ich wollte es als Coffeetable Book verschenken und habe mir nun noch ein eigenes Exemplar geholt. Für literaturinteressierte Genussmenschen ist Trinken wie ein Dichter ein tolles kleines Werk!

Bewertung vom 09.11.2024
Sydow, René

Die große Sehnsucht


sehr gut

ERWACHSENWERDEN UND TRÄUMEN IN DEN 90ERN AM BODENSEE

Rabe, Fete und Michi - drei junge Männer im letzten Jahr vor dem Abitur in der Mitte der 90er Jahre, aufgewachsen in einer Stadt am Bodensee. Hier siedelt René Sydow seinen Roman - Die große Sehnsucht - an. Die drei Protagonisten sind durchweg sympathisch, jeder mit seinen eigenen Charaktereigenschaften, individuellen Herausforderungen und Träumen: Rabe, der von einer großen Karriere als Filmregisseur träumt, Fete, der viel unsicherer ist, als viele ihn sehen, Michi, der bei einer alleinerziehenden Mutter aufwächst und plant ans andere Ende von Deutschland zu ziehen. So unterschiedlich die Drei sind, so sehr sind sie freundschaftlich verbunden und stehen sich gegenseitig bei. In der Freundschaft von Rabe, Michi und Fete fängt Sydow ein typisches Aufwachsen in den 90er Jahren ein und legt dabei den Fokus auf eine ganz besondere Lebensphase, kurz vor dem Schulabschluss, wenn alles möglich scheint und die Welt jungen Menschen offen steht, sie doch gleichzeitig noch stark geprägt von ihrer Herkunft und dem Elternhaus sind. Eine Mischung aus Bewahren des Vertrauten und Erwartung des Ungewissen, was das Leben bringen mag, angereichert mit allen Träumen, die in diese Zukunft gelegt werden. Die zeitliche Verortung in den 90er Jahren sorgt hier für einiges an Nostalgie. Dinge die heute einen Großteil unseres Alltags bestimmen, wie Handys, Smartphones oder PCs spielten noch keine, oder in der Masse eine völlig untergeordnete Rolle. Andere Aspekte des Alltags, wie Videos und Videotheken hingegen, die heute in Vergessenheit geraten sind, nahmen auch für Jugendliche viel Raum ein, als Freizeitbeschäftigung und Treffpunkt.

Neben der Perspektive der jungen Männer, beleuchtet Sydow stellenweise auch die der Eltern. Gerade davon hätte ich mir noch etwas mehr gewünscht und denke ein intergenerationaler Vergleich hätte den Roman bereichern können.

Stilistisch bin ich bis zum Schluss leider nicht ganz warm geworden mit der Erzählweise. Die Gedanken und Handlungen werden von einer Art alles wissendem Erzähler präsentiert, was mich ein bisschen an Kinderbücher erinnert hat, auch wenn der Inhalt natürlich ein ganz anderer ist. Für mich ging durch dieses Erzählen leider etwas Authentizität verloren und ein echtes Einfühlen in und Nähe zu den Protagonisten blieb für mich trotz einiger Parallelen zu meiner eigenen Biografie aus. Insgesamt war der Roman für mich eine nette Lektüre, die an die Besonderheiten einer Jugend in den 90ern erinnert, jedoch leider kein Werk, das sehr nachhallt.

Bewertung vom 21.10.2024
Rübben, Andrea

Die Geschichte vom zauberbunten Garten


ausgezeichnet

Herzerwärmende Geschichte über Trost und Freude der Blumen…

Die Geschichte vom zauberbunten Garten von Andrea Rübben und Stella Dreis ist wahrhaft eine zauberhafte Erzählung. Dabei überzeugt nicht nur die rührende Geschichte um eine alte Frau, die sich in einer grauen Stadt in ihrem eigenen Garten eine blühende Oase angelegt hat. Diese Schönheit und die Kraft der Pflanzen in die Stadt zu tragen, macht sie sich zur Aufgabe, steckt den Menschen die ihr begegnen Blumen zu und verbreitet so die Magie ihres Gartens in der ganzen Stadt. Die Hauptrolle spielen für mich jedoch die traumhaft schönen Zeichnungen, die die Geschichte illustrieren! Die Schattierungen und fast nebelartigen Skizzen erzeugen eine ganz eigene Stimmung, die vom Text fast nur noch ergänzt werden. Was daraus entsteht, erinnert an ein modernes Märchen. Das Buch zieht so trotz der Kürze jung und alt in einen Bann von Geschichte und zauberhaften Illustrationen. Durch hochwertige Umsetzung in Inhalt und Einband eignet sich das Buch auch wunderbar als Geschenk.

Bewertung vom 14.10.2024
Maguire, Roisin

Mitternachtsschwimmer


sehr gut

Nur die Irren und die Harten können ganzjährig in den Wässern schwimmen…

Ballybrady, ein abgelegener Ort am Meer an der irischen Küste. Hierhin hat es Evan nach einem Schicksalsschlag verschlagen, um zur Ruhe zu kommen, sich und sein Leben neu zu sortieren. Von seinem einsamen Cottage am Meer aus beginnt er die Umgebung und die Menschen im Ort zu entdecken, mit all ihren Eigenheiten und all der Schönheit und Kraft, die die Natur und das Meer ausstrahlen. Besonders hervor sticht seine Vermieterin Grace, die ein zurückgezogenes Leben führt und über die verschiedene Gerüchte im Dorf kursieren. Überraschend bricht über die Dorfgemeinde die Covid Pandemie mit all ihren Einschränkungen herein und dann kommt auch noch Evans tauber Sohn Luca zu Besuch und muss betreut werden. Grace wiederum bekommt unerwartete Gesellschaft von ihrer Nichte Abby. Und so erleben wir in Mitternachtsschwimmer verschiedene Menschen, die im Unerwarteten und Zwischenmenschlichen sich selbst finden, im Trost der rauen Schönheit des Meeres und der Küstenregion. Gleichzeitig ist der Roman auch das Porträt einer Dorfgesellschaft in einem abgelegenen Küstenort, geprägt von Charakteren mit oft liebenswerten Eigenheiten und einer ganz besonderen gemeinschaftlichen Dynamik.

Grace und Evan, so unterschiedlich diese beiden Menschen auf den ersten Blick scheinen, haben schwere Schicksalsschläge im Leben erlebt, zwei verwundete Seelen, die trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede und verschiedenen Erfahrungen den Schmerz des jeweils anderen vielleicht am besten verstehen und nach anfänglichen Vorbehalten eine Verbindung zueinander finden können. Doch da ist auch noch die schwierige Beziehung Evans zu Luca, zu dem Grace so spielend leicht und selbstverständlich einen Zugang zu finden scheint.

Die zwischenmenschlichen Beziehungen und persönlichen Schicksalsschläge sind sehr sensibel und authentisch beschrieben, dies oft mehr durch Auslassungen als konkrete Benennung und gerade dadurch intensiv. Dabei wird die Kraft der natürlichen Elemente in die Erzählung und emotionalen Zuständen der Charaktere immer wieder gekonnt eingewoben, spiegelt diese und bricht sie an anderer Stelle. Besonders gefallen haben mir auch die fast schon skurrilen, komischen Elemente, wie den Umgang von Grace mit ihrem Esel und dem Hund. Das Ende war für mich in einigen Aspekten und Dynamiken jedoch nicht vollständig stimmig.

Mitternachtsschwimmer ist eine sensible und raue Erzählung zugleich, die eingebettet in die Natur und Abgeschiedenheit der irischen Küste einfühlen lässt, wie man auch nach unbeschreiblichen Schicksalsschlägen, die das Leben bereithält, wieder zu sich selbst finden kann. Das Meer dabei stets als Trost und Symbol stetiger Hoffnung, sowie Quelle neuer Lebensenergie und Gelassenheit.

Bewertung vom 07.10.2024
Rooney, Sally

Intermezzo


sehr gut

Eine andere Sally Rooney oder auch nicht

Peter, Ivan, Margarete - drei Menschen, die auf je eigene Art vom Leben und dem Alltag herausgefordert werden. Peter und Ivan haben gerade ihren Vater verloren. Mit zehn Jahren Altersunterschied und völlig unterschiedlichen Charakteren standen sich die Brüder noch nie wirklich nah. Der Tod des Vaters beschäftigt jeden von ihnen anders. Peter tröstet sich in der losen, diffusen Beziehung zur viel jüngeren Naomi, während echte Verbundenheit für ihn noch immer mit seiner Ex Sylvia verbunden ist. Ivan ist zwar sehr begabt im Schachspiel, fühlt sich jedoch oft einsam und in sozialer Interaktion unsicher. Und so begegnet er auch der attraktiven 36 Jährigen Margarete bei einem Schachevent eher zurückhaltend und unbeholfen. Und trotzdem ist da eine unerwartete Verbundenheit zwischen diesen auf den ersten Blick so unterschiedlichen Menschen. Margaretes Routinen und Alltag, ihr ganzes Bild von sich, werden von der Begegnung mit Ivan, ohne dass sie dies möchte oder bewusst steuern könnte in Frage gestellt.

In die Handlung eingewoben hat die Autorin viele tiefgründige und philosophisch Gedanken, nicht nur zur Gestaltung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern beispielsweise auch der Bedeutung von Geld in diesen und der Gesellschaft. Intermezzo war für mich kein leichtes Buch, dass ich mal eben so weg lese. Dafür war es inhaltlich zu tiefgründig und sprachlich, mit der interessanten aber im Falle Peters manchmal schwer zu folgenden Stilanpassung an den jeweiligen Charakter, zu einnehmend und Konzentration fordernd. Die oft sprunghaften Gedanken in abgebrochenen Sätzen, die Peters Alltag prägen und eine innere Unruhe und Suche - nach nicht weniger als sich selbst - anschaulich verdeutlichen, finden sich auch in der Satzstruktur in Peters Kapiteln wieder und machen sein Erleben so fast zum Erleben der Leserin. Dies ist stilistisch gelungen, jedoch nicht immer einfach zu lesen.

Erneut taucht Rooney gekonnt tief in das Seelenleben und die Gefühlswelten ihrer Protagonist:innen ein. Was dabei zum Vorschein kommt ist oft traurig und schön zugleich, wie es auch das Leben ist. Für mich ist es das bisher reifste Buch von Sally Rooney, wobei ich noch mit den Passagen um Peter und ihrem schwer zu folgenden Stil hadere und das Buch deshalb als weniger zugänglich als ihre anderen Werke empfinde. Mir fehlte trotz der Gedankenschwere oft eine gewisse Leichtigkeit zwischen den Zeilen, die ich von Sally Rooney gewohnt bin. Dies wird jedoch auch in diesem Buch der Autorin mit vielen klugen Gedanken zu unserer Gesellschaft, dem Leben darin und unseren zwischenmenschlichen Beziehungen aufgewogen.

Bewertung vom 04.10.2024
Mustard, Jenny

Okaye Tage


ausgezeichnet

Wenn es Liebe ist… Eine authentische, wie zarte Erkundung des Kennen- und Liebenlernens in der Generation Z

Sam und Luc sind Ende 20 als sie auf einer Party in London aufeinandertreffen. Sam ist nur wenige Monate für ein Praktikum in der Stadt, und lebt eigentlich in Stockholm. Luc jobbt nach seinem Master vorübergehend in einer Boutique und sucht seinen Traumjob als Umweltingenieur. Die toughe, aktive Sam ist das Gegenteil der britischen Politeness, die Luc gewohnt ist, Luc wiederum begeistert Sam mit seinem Witz und seiner Sensibilität, die ihr ein Gefühl von zu Hause und Verstandenwerden vermitteln. So unterschiedlich diese beiden Menschen auf den ersten Blick sind, so nah sind sie sich in wesentlichen Aspekten und so beginnt eine der schönsten Geschichten, die ich in diesem Jahr gelesen habe.

Die Liebe, die wir hier begleiten, über das Kennerlernen und Verliebtsein, die Hürden dieses in einen gelungenen Alltag zu überführen, hat etwas Magisches und ganz Natürliches zugleich. Und da ist noch eine zweite Liebe: die zu London, als Sams Sehnsuchtsort und Wahlheimat, mit der ebenso die Beziehung nicht immer konflikt- und widerspruchsfrei ist.

Aus diesen Zutaten webt die Autorin eine wundervolle Erzählung, die tief in die Gefühlswelten von Luc und Sam eintauchen lässt und dabei auch weitere typische Gedanken und Herausforderungen einer Generation geschickt und authentisch integriert - von Klimaschutz über Karriere und Selbstverwirklichung im Job, sowie (nationale) Identität, Fremdheit und Zugehörigkeit in einer vernetzten Welt.

Ganz wundervoll sind die Unsicherheiten und das Gefallenwollen der ersten Verliebtheit bei Sam und Luc von Mustard eingefangen, ebenso wie später die ersten Konflikte. Die beiden Perspektiven erlauben der Autorin in einem feinen Wechselspiel Selbst- und Fremdwahrnehmung gekonnt zu kontrastieren. Dabei sind diese sensibel aufeinander abgestimmt. Beim Lesen gewinnt das Bild aus der ersten Perspektive im Anschluss immer wieder und abwechselnd eine neue Dimension und erfährt zum Teil auch eine Revision. Dies hat mir unglaublich gut gefallen!

Gelungen und komplex sind auch die Hintergründe und Sozialisation der beiden Protagonist:innen. Sams Vater stammt aus Bukarest und heiratete eine Schwedin, sodass sie selbst in Stockholm geboren wurde. Luc hat früh seine Mutter verloren. Die Dynamik der Erzählung lebt förmlich von den zwei alternierenden Perspektiven Sams und Lucs, die jeweils auch durch ihre Herkunft und Sozialisation geprägt sind. So erleben wir deren Innenleben, Kennenlernen und gleichzeitig Missverständnisse und Missdeutungen des Verhaltens des jeweils anderen. Wer kennt das nicht?

Ganz besonders gefällt mir die ehrliche und zugleich zarte Sprache von Jenny Mustard. Ich erkenne hier einen Stil, der bereits seit einiger Zeit die junge britische Literatur prägt und mir unglaublich gut gefällt, weil er die Stimmung einer Generation so authentisch einzufangen vermag.

Okaye Tage hat sich bereits nach den ersten Seiten zu einem meiner Lesehighlights in diesem Jahr entwickelt. Die Geschichte um Sam und Luc ist ein authentisches und zart gezeichnetes Porträt des Liebens und der Herausforderungen einer Generation, das mit sensiblen Einblicken in die Gefühlswelten der Protagonist:innen, wichtigen Gegenwartsthemen und viel Leichtigkeit zugleich überzeugt!

Bewertung vom 26.09.2024
Ramstedt, Frida

Das Möbel-Handbuch


ausgezeichnet

Informatives Handbuch und tolles Coffeetablebook zugleich!

In neun Kapiteln vermittelt Frida Ramstedt in Das Möbelhandbuch alles was man über Möbel, ihre Herstellung, Ergonomie, Materialen und Anordnung wissen muss. Das im Buch vermittelte Wissen ist dabei nicht nur informativ und bildend, sondern hat auch praktische Relevanz und gibt Hilfestellungen für die eigene Einrichtung und den Möbelkauf.

Die Möbel sind je Kapitel nach Arten untergliedert in Sitzmöbel, Tische, Stauraum (Schränke, Vitrinen, Regale, etc.) und Betten. Zu jedem Möbelstück gibt es Informationen zur Geschichte, Herstellung, Varianten und Kauftipps am Ende jedes Unterkapitels. So eignet sich das Buch nicht nur als informativer Leseband, sondern auch als Nachschlagewerk bei Neuanschaffungen.

Ganz besonders haben mir jedoch auch die „Rahmenkapitel“ zu Beginn und am Ende gefallen. Als Holzliebhaberin fand ich das Kapitel am Ende zu Materialen sehr informativ und aufschlussreich, hier werden u.a. Holzarten, ihr Aussehen und Eignung vorgestellt, aber natürlich auch viele weitere Materialen im Möbelbau, von Glas über Leder bis hin zu Textilien und Metallen. Zu Beginn vermittelt die Autorin Hintergründe und Herleitungen zum Möbeldesign im Kapitel „Der Mensch als Maßstab“. Ich fand es unglaublich spannend zu lesen, welche Überlegungen hinter einem gelungenen, ergonomischen Möbelstück stecken.

Ich äußere mich selten zum Einband, doch in diesem Fall muss es sein. Das Buch ist in einem wunderschön, wertigen Leineneinband eingefasst, sodass man ein bisschen das Gefühl bekommt Frida Ramstedts Fachkunde zu Möbeln, wurde auch bei der Gestaltung des Buchs umgesetzt. So macht das Handbuch gleich doppelt Spaß und eignet sich auch super als Geschenk oder dekoratives Coffetablebook.