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Der Medienblogger
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- Alles rund um Medien Für alle Serienjunkies, Leseratten, Kinoliebhaber, Eurovisionfans und Lautaufdreher genau das Richtige. Website: http://medienblogger.wixsite.com/jstreb.

Bewertungen

Insgesamt 132 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2020
Find Me Finde mich
Aciman, André

Find Me Finde mich


sehr gut

Begeben wir uns auf die Reise in das Italien der 1980er-Jahre. Frisches Obst, kühles Meerwasser, selbstgepresster Aprikosensaft, warme Eier zum Frühstück, idyllische Plätze in der Natur, Worte auf Pergament, Noten auf Linien, Kunst im Kopf und im Herzen, Liebe in der Brust, Sommer im Nacken. Der Jugendliche Elio genießt tagtäglich die Trägheit des Sommers, die Anwesenheit seiner Familie, die Musik in seinen Adern. Aber er weiß nicht, wer er selbst ist. Was er möchte, was nicht.

Er trifft auf Oliver, der die Begeisterung für Kunst teilt, und denkt, in ihm das verborgene Teil seiner selbst gefunden zu haben, das letzte Puzzlestück, das letzte Buchkapitel, die letzte Abzweigung auf dem Pfad zu sich selbst. Zunächst stößt er aber auf Abweisung, Distanziertheit, Kühle.

„Find me“. Sie finden sich, vereinigen sich, eng umschlungen, ineinander, füreinander, miteinander, gegeneinander, übereinander, aber einander. Sie finden sich, denn Gleiches zieht sich an, die Sehnsucht ist gestillt, wie ein knurrender Magen nach einer Schale Obstsalat. Was gesehnt, ist neben, über, in dir, was gesucht, gefunden. Und doch ist es ein ewiges Spiel des Festhaltens, Nichtloslassenkönnens und der ewigen Suche. Und der Bedeutungslosigkeit der Gegenwart, wenn man selbst Zeuge einer größeren Magie, einer größeren Leidenschaft war und ich selbst mehr ich selbst bin als alleine. Man muss sich nicht nur finden, sondern festhalten und nicht loslassen.


Die Erwartungshaltung gegenüber dem vorliegenden Werk ist unwahrscheinlich hoch, erreicht sein Vorgänger "Call Me By Your Name" für mich fast schon den Status eines zeitgenössischen Klassikers. Das Buch und der dazugehörige Film erweckt mit seinen poetischen Tönen eine Uremotion ganz tief in meiner selbst, die sonst im Verborgenen bleibt. Es ermutigt mich, homosexuelle Erotik zu lesen, die nicht billig, sondern mit jedem seiner Worte sinnlich und ehrlich ist.

Mit "Find Me" kann das Lesepublikum wieder in die Grundhandlung eintauchen und die Fortsetzung ist dabei glücklicherweise eigenständig genug, um nicht überflüssig zu erscheinen. Wir treffen wieder auf bekannte Figuren und vertraute Orte, wechseln aber häufiger die Perspektive und können so über den Tellerrand eines "Call Me By Your Name" hinweg schauen.

Der Schreibstil ist nach wie vor atemberaubend und transportiert authentisch die Liebe für die Musik, die Kunst, den Menschen, den Körper und den Moment. Oft trifft das Werk den zeitlosen Ton, die spannenden philosophischen Ansätze und die erzählerische Ruhe, die für Aciman so charakteristisch sind. Dem Ende wohnt ebenfalls diese Intensität, die Stimmung und süße Melancholie inne, die diese Geschichte so magisch machen.

Mit seinen gerade einmal knapp dreihundert Seiten ist "Find Me" erstaunlich kurzweilig. Durch den novellen- bzw. kurzgeschichtartigen Charakter wird das erzähltechnisch flotte Tempo noch befeuert. Das Buch ist in vier Teile aufgesplittet, die sich einer vertrauten Figur widmen, die neue Menschen kennenlernen, neue Beziehungen eingehen, neue Orte für sich entdecken, innerlich aber noch immer ähnliche Sehnsüchte, Hoffnungen und Verlangen wie all die Jahre zuvor besitzen. Immer wieder entstehen dabei anregende und besondere Dialoge zwischen Personen, die ungleicher nicht sein könnten. Somit sympathisiert sich der Autor mit allen "Liebe ist Liebe"-Slogans, entgegen aller gesellschaftlichen Vorstellungen und Konfessionen.

Insgesamt ist der Handlungsverlauf jedoch über weite Strecken nur wenig überraschend. Die Entwicklung der Familie wird etwas vernachlässigt; die Frage, wieso genau sie auseinanderbricht, bleibt ungeklärt. Die Möglichkeit, zum ersten Mal auch aus der Ich-Perspektive von Oliver zu berichten, lässt leider ungenutztes Potenzial liegen. Somit erreicht das vorliegende Werk oftmals nicht die emotionale Tiefe von "Call Me By Your Name".


«Find Me»
ist eine selbstständige und überzeugende Fortsetzung zum Sommerbuchs des Jahres – wer Elio und Oliver liebt

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.07.2020
Call Me by Your Name, Ruf mich bei deinem Namen
Aciman, André

Call Me by Your Name, Ruf mich bei deinem Namen


ausgezeichnet

Gibt es die eine wahre Liebe? Viele halten diese Vorstellung längst für überholt, kein Mensch binde sich ein Leben lang ohne Reue an einen anderen. Die Scheidungsrate ist über die letzten Jahrzehnte stark angestiegen; einige Liebespaare heiraten heutzutage nicht mal mehr, da sie eine Partnerschaft ohne steuerliche Vorteile als den größeren Beweis der Aufopferung füreinander erachten. Der US-amerikanische Schriftsteller André Aciman legt mit «Call Me By Your Name» ein beeindruckendes Plädoyer vor, in dem er das genaue Gegenteil beweist: Zwischen Elio und Oliver entwickelt sich eine besondere Beziehung, die die die beiden noch über ihren gemeinsamen Sommer in Italien hinaus fesseln wird.

Der Roman ist in einem herausragenden, wunderschönen Schreibstil wiedergegeben, der wahrhaftig romanisch ist, ohne zugleich kitschig zu sein. Über poetisch anmutende Formulierungen transportiert er die Liebe zur Musik, zur Literatur, der Kunst, aber auch zu sich selbst und anderen gegenüber; er stellt erholsame Sinnlichkeit und erzählerische Ruhe über klischeebehaftete Motive und Ideen. Es finden sich so tiefgründige Ansätze zwischen den Zeilen, dass man das Buch zwei-, drei-, viermal lesen müsste, um den vollständigen Umfang des Werkes zu erfassen.

Das Italien der 1980er ist ein atemberaubendes Szenario, das einen Kopfkino-Effekt auslöst und zum Träumen einlädt. Aciman erzählt so langsam und bedächtig, dass er sich wirklich Zeit für seine Charaktere nehmen und ihnen Profil geben kann. In der Ausarbeitung der Feinheiten beweist er, wie filigran er Beobachtungen darstellt. Er präsentiert zwei authentische Hauptfiguren, deren Verlangen nacheinander spürbar ist und die schnell einen Platz in meinem Herzen erobern konnten.

Dabei ist «Ruf mich bei deinem Namen» in jeder Faser ein progressiver Schritt in die richtige Richtung: Dieser homosexueller erotischer Roman kann als notwendiges Pendant zu dem ganzen heteronormativen New-Adult-Einheitsbrei gesehen werden, der zurzeit den Büchermarkt überschwemmt. Der Umgang von Elio mit seiner eigenen Sexualität ist inspirierend; er legt sich selbst kein Label auf, denn Liebe ist Liebe, und sexuelles Verlangen ist seit jeher unabhängig von Geschlechtern nur eins: ein von Grund auf menschliches Bedürfnis.

Die allmähliche Handlung verläuft in ein melancholisches, qualvoll langsames Ende, das wahrlich unter die Haut geht und die Leserschaft bedrückt und herzzerrissen zurücklässt. Durch die fehlenden Ortsbezeichnungen, nur eine Handvoll Bezüge zur technisch fortentwickelten Gesellschaft von heute und treffende Rückbezüge auf antike Werke erhält der vorliegende Roman einen zeitlosen Charakter. Ich möchte diesen Roman wirklich jedem ans Herz legen; es ist ein langsames, meditatives Buch, das sich als tiefgreifende und besondere Sommerlektüre begreifen und dich in emotionalem Chaos zurück lässt.


«Call Me By Your Name»
ist ein melancholischer Roman, der Sommer in meiner Brust auslöst und mich an die wahre Liebe glauben lässt. Ich kann mir gut vorstellen und wünsche mir, dass er in nur wenigen Jahren bereits als Literaturklassiker gilt.

Bewertung vom 13.07.2020
Verity
Hoover, Colleen

Verity


gut

Die US-amerikanische Autorin Colleen Hoover löst mit ihren New Adult-Romanen regelmäßig ein Ticket für die weltweiten Bestsellerlisten. Ihre Wohlfühlromane mit ihrem gewohnt lockeren Schreibstil, authentischen Protagonisten und wichtigen zentralen Thematiken erfreuen sich auch hierzulande großer Beliebtheit. Mit dem neu erschienenen "Verity" schlägt sie für sich selbst einen ganz neuen Weg ein, denn obwohl man es hinter dem Cover nicht vermuten würde, verbirgt sich zwischen den Buchdeckeln ein Psychothriller. Wie gut ihr dieser genretechnische Exkurs meiner Meinung nach gelingt, das erfährst du in der folgenden Rezension.


Mit ihrem gewohnt gut zu lesenden, flotten Schreibstil ermöglicht Hoover ihren Leser*innen einen rasanten Einstieg in die Geschichte. Sie kreiert bereits ab der ersten Seite ein mitreißendes Erzähltempo, sodass für mich dieser Roman seit Langem mal wieder einen richtigen Suchtfaktor auslösen konnte. Das klassische "Ok, nur noch ein Kapitel"-Phänomen trat hier häufig auf; nicht selten beschäftigte ich mich auch in meiner Freizeit geistig mit der Handlung und rätselriet über mögliche Zusammenhänge.


Durch die reduzierte Figurenanzahl, die Begrenzung auf einen Standort und wenige Ausbrüche in Nebenhandlungen tritt ein kammerspielartiger Charme auf, der mich ein wenig an Theaterstücke von Agatha Christie erinnerte. Durch einige düstere, erschreckende Szenen und die dichte, teils leicht gruselige Atmosphäre schlug mein Herz oftmals erwartungsvoll höher. Dieser starke Kopfkino- und Miträtsel-Effekt gewährleistet ein tiefgründiges Eintauchen in die Handlung, aus deren Fängen man sich nicht so schnell befreien kann.


Die Geschichte wird aus der Sicht der Protagonistin Lowen wiedergegeben, die ihre glaubwürdige Sicht schildert und oftmals authentisch auf die bizarrsten Situationen reagiert. Mit ihrer wenig hysterischen, zunächst etwas sozial distanzierten Art war sie eine durchweg angenehme Figur, mit der ich mich gut identifizieren konnte. Ihre persönlichen Ängste und Traumata werden nur kurz angerissen – hier hätten gerne noch mehr Hintergrundinformationen über ihre Vergangenheit sein können und dürfen, um eine noch engere emotionale Verknüpfung mit ihr zu ermöglichen.


Die Geschehnisse verdichten sich langsam, aber stetig zu einem Finale, von dem die gesamte Glaubwürdigkeit der Handlung abhängt. Leider ließ das Ende mich als Leser völlig unbefriedigt zurück und begründet den faden Beigeschmack, der sich auf meiner Zunge ausbreitet, wenn ich an "Verity" zurückdenke. Die letztendliche Wendung fühlt sich unnatürlich, zu gewollt und zu konstruiert an. Sie möchte einschlagen wie eine Bombe, aber hinterlässt bei diesem Versuch nur ein Trümmerfeld voller Logiklöcher und ungeklärten offenen Fragen. Die Autorin möchte ihre Leserschaft spürbar spalten und zu verschiedenen Theorien über den Ausgang der Geschichte anheizen; ich hingegen empfand dabei plötzlich nur noch Belanglosigkeit und Desinteresse gegenüber dem Roman, und das obwohl er mich zuvor so in seinen Bann geschlagen konnte.


Ich möchte aufgrund der dichten Atmosphäre, des großen Suchtfaktors und der glaubwürdigen Charaktere an dieser Stelle dennoch eine Leseempfehlung aussprechen. Das Ende spaltet, und das konnte ich im direkten Austausch mit einigen Bloggern am eigenen Leib erfahren, die Gemüter und wird sicherlich nicht jedem gefallen. Daher würde ich die Erwartungshaltung etwas senken.



"Verity"
ist ein atmosphärisch dichter Roman, der mich bis zum Ende packen konnte – oder, besser gesagt, bis auf das Ende.

Bewertung vom 07.07.2020
NSA - Nationales Sicherheits-Amt
Eschbach, Andreas

NSA - Nationales Sicherheits-Amt


sehr gut

Die Entwicklung von mobilen Endgeräten und dem Zugang zum Internet bringt eine schier unendliche Fülle an Möglichkeiten mit sich: der sekundenschnelle Zugriff auf Informationen, die Weiterleitung von Daten, die mögliche Kommunikation untereinander, die globale Vernetzung und die damit einhergehende Sensibilisierung für andere Kulturen, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch wo es Licht gibt, dort herrscht auch Schatten: Der Datenschutz für alle Benutzer ist schon längst nicht mehr gewährleistet und wer an dieses Wissen gelangt, erreicht Macht. Andreas Eschbach wagt das fesselnde Gedankenexperiment: Was, wenn diese totale Überwachung schon im Dritten Reich möglich gewesen wäre?

Das Szenario ist ab der ersten Seite packend und provozierend. Der Autor hinterfragt hier kritisch die heutige Medienlandschaft mitsamt ihren zweischneidigen Fortschritten und bezieht sie auf eine der schrecklichsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Somit konstruiert er eine erschreckende Vision, in der die Nationalsozialisten dieses Kontingent für ihre Ideologien zweckentfremden.

Das vorliegende Werk gibt einen umfassenden Einblick in das Leben zweier Hauptfiguren, die eigene Ecken und Kanten besitzen. Aufgrund der großen charakterlichen Unterschiede bleibt die Handlung durchweg abwechslungsreich, obwohl diese beiden Stränge oft nahe beieinander liegen. Leider thematisiert "NSA" häufiger den Einsatz der Überwachungstechnik für deren persönliche Zwecke, anstatt die Verwendung für das totalitäre System näher zu beleuchten, was für mich den Reiz an dem Gedankenspiel ausmacht. Wirkliche Propaganda, durch die die rechtsradikale Partei NSDAP ja so stark an öffentlicher Bedeutung gewinnen konnte, wird über die sozialen Netzwerke nicht betrieben, wie man es hätte erwarten können.

Trotz seines starken Umfangs von knapp achthundert Seiten bleibt der Roman beinahe durchweg kurzweilig und mitreißend. Das liegt vor allem an dem überzeugenden Schreibstil, der sich gut lesen lässt und das Lesepublikum einen flüssigen Einstieg in die Geschichte ermöglicht. Gut, vor allem in der zweiten Hälfte gibt es doch einige erzähltechnische Längen und überflüssige Schlenker in der Handlung, die es wahrlich nicht gebraucht hätte, aber sie trüben den Unterhaltungswert von "NSA" nur unmerklich.

Andreas Eschbach vermischt geschickt historisch belegte Fakten und die fiktiven Auswirkungen des technischen Fortschritts auf den Erfolg der antisemitischen Politik. Somit erzeugt er eine vermeintlich vertrauenswürdige Ebene als Basis, die sein Erzählen authentischer erscheinen lassen, als der Wahrheitsgehalt es erlaubt. Die Handlung verdichtet sich zunehmend zu einem atmosphärischen, fesselnden Ende, das die Leser*innen schockiert zurücklässt: Die starken Parallelen zu George Orwells drastischem "1984", dessen Befürchtungen heutzutage teilweise schon eingetreten sind, sind wohl nicht unabsichtlich!

Jedoch gehe ich als Leser insofern nicht ganz mit, was die Naivität der Protagonistin Helene Bodenkamp anbelangt: Dass sie als Miterzeugerin eines technisch überlegenen Programms überrascht davon ist, dass sich die Technik auch gegen sie wenden kann, erscheint in dem Kontext vollkommen unglaubwürdig. Insgesamt hat mich Andreas Eschbach mit seinem Werk "NSA" trotz kleiner Mängel stark überzeugen können. Es ist ein vielschichtiges Werk mit einem unvergleichlichen Szenario, das seinesgleichen sucht und sofort fesselt. Daher eine große Leseempfehlung von mir!



"NSA: Nationales Sicherheits-Amt" ist ein provozierendes, schockierendes Werk über die fiktiven Auswirkungen von Internet auf die Politik im Dritten Reich.

Bewertung vom 06.07.2020
Queer Heroes (dt.)
Sicardi, Arabelle

Queer Heroes (dt.)


sehr gut

In der heutigen Gesellschaft ist es glücklicherweise oftmals keine große Sache mehr, sich öffentlich als etwas zu outen, was von Heterosexualität abweicht. Noch immer sind nicht alle Barrieren beseitigt, die queeren Menschen das sorglose Ausleben ihrer eigenen Sexualität ermöglicht. Aber es wurden die richtigen Weichen gelegt: in der Vergangenheit gab es bereits zahlreiche Mutige, die sich nicht selten unter Einsatz ihres Lebens für die Gleichheit aller Menschen einsetzten, was Liebe und Geschlecht betrifft, und heutzutage zu Idolen der Toleranz herangereift sind. In "Queer Heroes" stellt die US-amerikanische Autorin Arabelle Sicardi eine Auswahl dieser Held*innen vor, um ihnen für ihren Verdienst zu danken und anderen LGBTQ-Mitgliedern die nötige Kraft zu schenken, bunt zu sein. Und zu sich selbst zu stehen.

In einem inspirierenden Einstieg zeigt die Autorin ihre Motive, aus denen sie das vorliegende Werk verfasst hat, und stellt somit einen berührenden persönlichen Bezug zu ihr her. Sie stellt hier insgesamt dreiundfünfzig Persönlichkeiten vor. Die Wahl fällt augenscheinlich jedoch etwas willkürlich aus, denn der Bezug zur LGBTQ-Community ist teilweise nicht klar erkennbar. Falls es sich hierbei um eigene Idole handelt, mit denen sie etwas verbindet, wäre eine Erklärung wünschenswert gewesen, was sie an ihrem Handeln so anregend empfindet und weshalb genau sie eine Stelle in dieser Sammlung verdient haben.

Die Gestaltung von "Queer Heroes" ist in allen Hinsichten ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal: Die jederzeit kunterbunten Illustrationen von Sarah Tanat-Jones sprühen voller Freude an der kulturellen Diversität dieser Welt und machen beim Zusehen richtig Freude. Sie haben eine motivierende Wirkung, die mir ein Lächeln auf das Gesicht zaubert: Es ist schön, bunt zu sein!

Die präsentierten Kurzbiographien haben einen passenden Umfang, der einen Einsatz des Buchs bereits im Grundschulunterricht denkbar macht. Für junge Leser*innen ist "Queer Heroes" durch die prägnanten, knapp formulierten Texte und großen Bilder besonders gut geeignet. Sie können somit schon früh ein Bewusstsein entwickeln, sich selbst ausleben zu können und Stolz auf das eigene Menschsein zu empfinden. Und das ist eine wahrhaftig beflügelnde Botschaft.

Für mich wäre ein Resümee am Ende des Werks wünschenswert gewesen, das den Leser*innen Anreize für die Umsetzung im eigenen alltäglichen Umfeld gibt und die Wichtigkeit, füreinander da zu sein und sich gegenseitig zu akzeptieren, nochmals unterstreicht. Insgesamt kann ich hier dennoch eine definitive Leseempfehlung aussprechen, denn man kann mit diesem Buch seine helle Freude haben. Es ist eine sehr wichtige Lektüre, die v.a. einem jungen Publikum wichtige Werte vermitteln und somit dem Hass gegenüber Neuartigem präventiv entgegenwirken kann.



"Queer Heroes: 53 LGBTQ-Held*innen von Sappho bis Freddie Mercury und Ellen DeGeneres" ist ein buntes, liebevoll gestaltetes Buch, das zu gegenseitiger Toleranz und gemeinsamem Buntsein ermutigt.

Bewertung vom 04.07.2020
Väterland
Léon, Christophe

Väterland


ausgezeichnet

Vor nur wenigen Jahrzehnten stand die Welt auf Kopf: Menschen wurden aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Sexualität und ihrem körperlichen Zustand öffentlich ausgegrenzt und bekämpft. Mehrere Millionen Menschen mussten eine starre Ideologie, die kulturelle Vielfalt missbilligte und eine genaue Vorstellung darüber hatte, wie ein Deutscher zu sein hat und wie nicht, mit ihrem Leben bezahlen. Nur, weil sie dem Ideal nicht entsprachen.

Der algerische Autor Christophe Léon denkt die Ansätze der Nationalsozialisten konsequent weiter: Er entwirft das erschreckende Bild einer Gesellschaft, die sich offen gegenüber Homosexualität ausspricht. Sie müssen in eigenen Vierteln in der Stadt leben und werden öffentlich denunziert. Dieses Szenario packt die Leser*innen ab der ersten Seite hinein in eine Menschheit, in der Hass die Oberhand gewinnt. Ein binäres System, in dem es nur Richtig und Falsch gibt – und Schwule und Lesen sind definitiv falsch.

Es ist ein Lachen jenseits alles Lächerlichen. Meine Eltern freuen sich in genau diesem Augenblick, dass sie leben, und sie lachen über die Farce, in ein Getto eingesperrt zu werden, nur weil sie sich lieben.

Dabei wird das Geschehen mit einem nüchternen Schreibstil geschildert, der auf die wesentlichen Informationen reduziert ist und keine sprachlichen Schnörkel und Verzierungen eingeht. Der Autor wählt geschickt ein junges Mädchen, aus dessen Sicht er in erster Person Singular erzählt: Gabrielle blickt aus Kinderaugen, in Froschperspektive auf die Umgebung und hinterfragt fassungslos die vermittelten Werte. Dies eröffnet eine neue Ebene der bitteren Realität, die umso sinnfreier erscheint. Denn: Selbst ein kleines Kind durchschaut die offensichtliche Ungerechtigkeit.

Die hingebungsvolle Liebe und die Zuneigung zueinander in der Familie sind für die Leser*in förmlich greifbar. George und Phil, die fürsorglichen Väter, treten im vorliegenden Werk als sehr starke Persönlichkeiten auf, die sich unentwegt in ihrem Handeln und der Kunst für die richtigen Werte einsetzen. Sie sind wahre Hoffnungsträger und können mich mit ihrem Tun inspirieren.

"Menschlich ist das einzige Geschlecht, das ich gelten lasse", sagt Phil zwischen zwei Gabeln Kartoffelpüree.

Durch den knappen Umfang von gerade einmal hundertzwanzig Seiten erhält "Väterland" einen novellenartigen Charakter. Die Geschichte endet daher auch in einem sehr offenen Ende, das das Publikum hier jedoch vollkommen unbefriedigt und enttäuscht zurücklässt. Da der Ausgang der Handlung für die Leser*innen so ungewiss ist, erzielt das Buch leider keine nachhaltige Wirkung. Es wirkt eher so, als wäre das Buch nicht zu Ende geschrieben worden.

Die Intoleranz ist bereits zu Beginn fest in die Geisteshaltung der Menschen eingegliedert. Ich persönlich hätte mir aber ein wenig mehr Hintergrundinformationen über den Wandel bzw. die Entwicklung der Gesellschaft hin zu öffentlicher Homophobie und der Denunziation von Minderheiten gewünscht. Das hätte dem Gedankenexperiment zusätzliche Tiefe verschafft.

Dennoch möchte ich jedem zu diesem Werk raten. Es regt eine sehr interessante Debatte an: Kommt das Coming-out, das heutzutage von der Umgebung erwartet wird, nicht rosa Rauten gleich? Ist dieses Label, das man sich selbst auferlegen muss, ob man denn "schwul", "lesbisch", "transsexuell", "bisexuell" etc. ist (weil dazwischen gibt es ja nichts), nicht auch eine Art Denunziation? Dass man nach außen zeigen muss, auf welches Geschlecht man steht?

"Väterland"
ist ein anregendes Gedankenexperiment, das noch mehr Tiefe vertragen hätte können.

Wertung: 6 von 10 Punkten
★★★☆☆

Ich vergebe daher drei von fünf möglichen Sternen.

Bewertung vom 02.07.2020
Wenn die Dunkelheit endet
Sayers, Constance

Wenn die Dunkelheit endet


gut

Nein, bei dem vorliegenden Buch handelt es sich nicht um einen neuen Band der "Twilight"-Reihe, wie man bei dem Titel vermuten könnte. Eigentlich hat er mit der Geschichte, die sich hinter dem Buchdeckel verbirgt, nicht wirklich viel zu tun. Vielmehr erwartet die Leser*innen ein spannendes Szenario, das trotz deutlicher Ähnlichkeiten zu "Und täglich grüßt das Murmeltier" eine beängstigende Vision von unerfüllter Liebe kreiert, die die Epochen überschreitet.

Somit gewährt uns die Autorin einen interessanten Einblick in vier Zeitebenen, die sich in ihren gesellschaftlichen Wertesystemen, Traditionen und Ansichten bedeutend voneinander unterscheiden. Die Idee, dass die verfluchte Hauptfigur ihr emotionales Leiden mehrfach in mannigfaltigen Körpern wieder und wieder durchleben muss und über die Erfahrungen ihrer Vorgänger verfügt, erzeugt eine stark beklemmende Wirkung und zugleich eine spannende zeitliche Beziehung zwischen den Jahren. Denn es gilt das Motto: alles gehört irgendwie zusammen.

Dieser bunte Mix aus verschiedenen Genres ist zweifelsohne ein gewagtes Vorhaben; und genau an dieser Stelle nimmt sich die Autorin zu viel vor. Sie beschreibt hierfür einige bizarre Szenen, die sich einfach nicht in die restliche Handlung einfügen möchten. Es scheint, als seien hier zwei vollkommen unabhängige Geschichten stümperhaft aneinandergekleistert worden. Der Fantasy-Anteil wird nie ausreichend ausgeführt und wirkt somit unausgereift, ja, wie ein Störfaktor.

Zudem findet das Buch seinen Rhythmus nicht. Das Erzähltempo schwankt so stark, dass die Handlung immer wieder ihre Dynamik verliert: Es gibt einige Zeitsprünge innerhalb weniger Zeilen, die ganze Jahre und Jahrzehnte umfassen, gleichzeitig aber werden einige Momente, die dem Fortschritt der Geschichte nichts Essenzielles hinzufügen, szenisch ausgeführt. Der Schreibstil fühlt sich zu blutleer und fad an, um die Leser*innen wirklich mitzureißen. Obwohl einige dramatische Wendungen, wie ein tödlicher Unfall beispielsweise, klarer Bestandteil des Romans sind, fühlte ich mich davon oftmals unbeeindruckt - und das darf nicht sein.

Die Hauptfigur verhält sich an zahlreichen Stellen unlogisch, so, als würde sie ihrer eigenen Situation kein ehrliches Interesse entgegenbringen. Sie wirkte somit häufig nur wenig authentisch. Die ersten zweihundert Seiten passierte im vorliegenden Roman so wenig, dass ich beinahe mit dem Gedanken spielte, das Buch abzubrechen. In die letzten fünfzig Seiten hingegen wurde viel zu viel Handlung hineingepresst und die Leser*innen durch mehrere unklar bleibende Zusammenhänge verwirrt zurücklässt.

Diese erzähltechnische Flaute bekommt die Autorin zwischenzeitlich aber schnell wieder in den Griff und begeistert mit ihren beflügelten Schilderungen von dem Hollywood der 30er-Jahre oder auch einer aufsteigenden Band der 1980er auf ihrem Weg zum Debütalbum. Zunehmend fühlte ich mich als Leser vertraut in dem Szenario und den repetitiven Abläufen. Zwar wurde das Karussell für meinen persönlichen Geschmack eine Runde zu lange gedreht, und dem Buch hätten hundertfünfzig Seiten weniger sicherlich gut getan, wirklich gelangweilt fühlte ich in der zweiten Hälfte allerdings nicht mehr.

Mit einer Leseempfehlung tue ich mich in dieser Besprechung ziemlich schwer. In dem vorliegenden Werk gehen langatmige Phasen und überzeugende Momente Hand in Hand. Wer also überzeugt von dem Klappentext und ein vor allem in seiner zweiten Hälfte unterhaltsames Werk lesen möchte, kann hier durchaus seine Freude mit haben. Die Erwartungshaltung würde ich aber deutlich senken.


"Wenn die Dunkelheit endet"
ist ein unterhaltsamer Genre-Mix, der einige interessante Ansätze hat, sein Potenzial aber nicht voll ausschöpft.

Bewertung vom 30.06.2020
Wie geht eigentlich Demokratie? #FragFloid
LeFloid;Lanig, Jonas

Wie geht eigentlich Demokratie? #FragFloid


weniger gut

In Vorbereitung auf meine mündliche Abiturprüfung im Kombifach Geschichte/ Sozialkunde fiel mir ein Buch in die Hand, das schon lange in meinem Regal verweilt, es aber noch nie den Weg in meine Hand gefunden hat: eine klassische SuB-Leiche! Also nutzte ich die Gelegenheit, und gab dem Sachbuch eine Chance. LeFloid, der v.a. durch sein oftmals politisch informierendes Wirken auf YouTube bekannt wurde, das sich an eine jugendliche Zielgruppe richtet, setzt sich darin mit der Frage auseinander, wie Demokratie eigentlich funktioniert.


Das Publikum, an das sich der prominente Autor wendet, wird bereits ab dem ersten Kapitel klar dargestellt: Er möchte junge Erwachsene, die keine große Überschneidungsfläche mit dem politischen Geschehen hierzulande haben und ihm auch kein Interesse entgegenbringen, dazu aufrufen, sich an Wahlen zu beteiligen, in der Politik zu engagieren oder zumindest ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. An sich ist dies ein sehr löbliches Vorhaben - aber ist er letztendlich damit auch erfolgreich?


Für mich lautet die klare Antwort: nein. Zwar erfüllt das vorliegende Werk seinen Zweck und gibt einen breiten Überblick über die Funktionsweise der einzelnen Abgeordneten bzw. Institutionen und kann zusätzlich mit einem zugegeben ziemlich überzeugenden Design auftrumpfen, aber: Es liest sich mehr wie ein Werbeprospekt der Bundesregierung, die junge Menschen zur Beteiligung an den Wahlen überreden möchte, als ein Buch, das seine Leser*innen ernst nimmt.


Meinungen sind wie Arschlöcher - jeder hat eins. Und im Internet kann auch jedes Arschloch seine Meinung einfach rauspupsen und damit die Luft verpesten.

Der Schreibstil ist gezeichnet von einigen auffällig holprigen Formulierungen, die gekünstelt jugendlich wirken und dabei lächerlich hölzern klingen. "Wie geht eigentlich Demokratie?" liest sich sehr trocken und schafft es somit nicht, das Interesse an bzw. die Motivation zur Beteiligung in Politik zu wecken.


Die Interviews mit einzelnen Abgeordneten, die einen großen Anteil der deutschen Parteienlandschaft abdecken, bleiben mit den lahmen Fragen oftmals an der Oberfläche und geraten langweilig, ja sogar ermüdend. Die groß angekündigten "Fun Facts" stellen sich als nichtssagend heraus und der Funke möchte nie überspringen. Es fehlt eine persönliche Note von LeFloid: Woher nimmt er denn seine Begeisterung? Ein wenig mehr politischer Mut, die Leser*innen auch mal auf subjektive Gedankenspaziergänge mitzunehmen, wäre für das Buch wünschenswert gewesen, Herr Mundt!


Letztendlich bleibt ein halbgares Sachbuch übrig, das sich für eine Vorbereitung auf die nächste Sozialkunde-Schulaufgabe lohnt, bei dem aber weder LeFloid-Fans noch interessierte Leser*innen auf ihre Kosten kommen. Dafür ist das Buch zu aufgesetzt, zu unpersönlich und zu langatmig. Von mir gibt es daher heute leider keine Leseempfehlung.



"Wie geht eigentlich Demokratie? #fragfloid"
ist ein trockenes Sachbuch für jugendliche Leser*innen, bei dem der Funke durch den gekünstelten Schreibstil nicht überspringen möchte.

Bewertung vom 25.06.2020
Das Gegenteil von Hasen
Freytag, Anne

Das Gegenteil von Hasen


sehr gut

Als ich vor knapp drei Jahren im Urlaub "Den Mund voll ungesagter Dinge" beendet habe, beschrieb ich es in der dazugehörigen Rezension als "einfach schön". Anne Freytag hat darin bereits eindrucksvoll bewiesen, dass sie charmante Charaktere entwerfen kann, die aus dem echten Leben zu stammen scheinen. Das sommerliche Gefühl, das meine Brust erfüllt, wenn ich an das Buch zurückdenke, war Auslöser für meine hohe Erwartungshaltung gegenüber "Das Gegenteil von Hasen".


Der Schreibstil der Autorin ist ab der ersten Seite wieder sehr flüssig und lässt sich gut lesen. Bis zum letzten Kapitel kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, so groß ist der Suchtfaktor. Sie entwirft ein spannendes Szenario, das neben seinem Unterhaltungswert auch noch einen Miträtsel-Effekt kreiert, der das Lesepublikum in den Bann schlägt.


Die auftretenden Figuren sind authentisch ausgearbeitet und vielseitig. Es bereitet richtig Freude, sie auf den vierhundert Seiten zu begleiten. In der vorliegenden Geschichte verblassen die Grenzen, die klassisch "gute" Figuren von den "bösen" trennen, vielmehr erkennt man - wie im wahren Alltagsleben - unterschiedliche Motive wie Rache, Selbstschutz oder Treue hinter den Aktionen der Mitmenschen. Der Buchtitel ist dafür eine schöne Metapher.


Die Autorin bedient sich dabei auf geschickte Art und Weise eines Perspektivwechsels, durch den das Lesepublikum einen Überblick über das Innenleben zahlreicher Charaktere erhält. Das weiß bis auf die Szenen, die den Bewusstseinsstrom der Schulleiterin wiedergeben, durchaus zu begeistern; diese sind für den Handlungsfortschritt nur wenig ergiebig. Dass ich mich mit den meisten Figuren selbst gut identifizieren konnte, ermöglicht ein völliges Eintauchen in die Geschichte.


Zudem gefällt mir die bunte Bandbreite an Werten, die Freytag ihren Leser*innen mit auf den Weg gibt. Ihr lauter Aufruf zu gegenseitiger Toleranz und gemeinsamer Solidarität und gegen soziale Ausgrenzung aller Art ist eine starke Botschaft für die jugendliche Zielgruppe. Die angesprochenen Thematiken haben einen großen Alltagsbezug, wodurch die Autorin ihr Feingefühl für die heutige Generation unter Beweis stellt. Denn: sie veralbert sie nicht in von Klischees triefenden Parodien, sondern nimmt die Jugendlichen und mitsamt ihren Ängsten, Sorgen und Problemen ernst.


Der großartige Miträtsel-Effekt, der das hohe Erzähltempo mit sich zieht, wird leider etwas gemildert durch das etwas ernüchternde Ende. Ich möchte nicht sagen, dass mir das Ende nicht gefallen hat, denn es kam definitiv unerwartet. Aber leider ist es etwas hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben und konnte somit nicht mit der Qualität des restlichen Romans mithalten. Eine langfristige Wirkung bleibt bei der vorliegenden Lektüre aus, denn dadurch geht die Handlung nicht genügend in die emotionale Tiefe. Dennoch liegt hier ein leicht zu lesendes, amüsantes Jugendbuch vor, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann.



"Das Gegenteil von Hasen"
ist ein flottes Jugendbuch mit großem Suchtfaktor und authentischen Charakteren, das auf seinen vierhundert Seiten durchweg zu unterhalten weiß.

Bewertung vom 27.05.2020
Fantastische Queerwesen
Anschein, Ella;Blanke, Annika;Bock-Springer, Suse

Fantastische Queerwesen


gut

"No matter gay, straight, or bi, lesbian, transgendered life, I'm on the right track baby: I was born to survive!"
Mit diesen ergreifenden Worten singt die US-amerikanische Sängerin Lady Gaga eine Ode an die Selbstliebe und die bunt gemischte menschliche Diversität. Im alltäglichen Leben gibt es dennoch oft die Momente, in denen es nicht einfach ist, zu sich selbst zu stehen, wenn man nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, und auf Dauer ermüdend, stets um die Akzeptanz von Mitmenschen zu kämpfen. Woher soll man diese Kraft nehmen, warum möchte einen niemand so haben, wie man ist, wer bin ich selbst überhaupt? Über all diese dringlichen Fragen nach Toleranz, Identität und der Suche nach dem richtigen Partner zerbrechen sich 36 junge Poetry Slammer*innen in der bunt durchmischten Anthologie "Fantastische Queerwesen und wie sie sich finden" den Kopf.


Der Titel ist ziemlich klug gewählt; er verbindet die sofortige Assoziation zu Harry Potter mit dem unbedingten Wunsch nach gesellschaftlichem Anklang und gleichgesinnten Gesprächspartnern, den sicherlich jedes LGBTIQ*-Mitglied bereits verspürt hat. Auch das Cover ist sehr ansprechend gestaltet; es zog auch in meinem Bekanntenkreis viele neugierige Blicke auf sich. Soweit hat das Buch alles richtig gemacht.

In Gesamtheit liegt hier ein vielschichtiger und abwechslungsreicher Mutmacher für all die queeren, bunten Menschen dort draußen vor, die sich unsicher, unverstanden und einsam fühlen. Die Texte kreieren ein Gefühl der Gemeinschaft, die man während des Lesens verspürt. Man fühlt sich weniger allein, sogar als etwas besonderes, wenn man sich mit den mutigen Schreiber*innen dieser Sammlung identifizieren kann und mit ihren plakativen Aussagen im Einklang steht.


Dabei versammelt das vorliegende Werk einige sehr starke Poetry Slams, die mich persönlich wirklich berühren und die Hoffnung auf eine etwaige tolerante Gesellschaft schüren konnten. Einige subjektiven Eindrücke schockieren, lassen dich fassungslos zurück über die Ignoranz der breiten Masse. Die Kapitel "Händchen halten, Fäuste ballen" und "In unserer Haut" sind dabei mit Abstand die stärksten und konnten einen positiven Eindruck in mir hinterlassen.


Die sprachliche Qualität der einzelnen Texte schwankt während dieser knapp hundertachtzig Seiten gewaltig; so auch der Unterhaltungswert und der damit verbundene Spaßfaktor des Buchs. Bei all den starken Poetry Slams, die "Fantastische Queerwesen" zweifelsohne beinhaltet, gibt es aber auch nicht wenige, die langweilig und nichtssagend sind, ja, insgesamt sehr austauschbar wirken. Oftmals ist dort der Bezug zur Grundthematik nicht klar erkennbar oder die wahre Botschaft bleibt hinter einer verschlüsselten Ausdrucksweise verborgen. Somit fühlte ich mich leider auch häufig nicht gut unterhalten, da diese beiden Arten der Geschichten in etwa die Waage halten.


All den bunten, queeren Menschen dort draußen möchte ich das Buch dennoch weiterempfehlen. Nur halt unter der Prämisse, die Erwartungshaltung etwas zurückzuschreiben, da die Sammlung nicht jederzeit ihr hohes Niveau beibehalten kann.


Meine persönlichen Favoriten habe ich auf einem kleinen Zettel notiert. Die Namen der betreffenden Texte seien hier noch kurz genannt: "Sie sind hier falsch"; "Ich hab da so 'nen Freund"; "Kotzen im Strahl"; "Zigaretten nach dem Sex"; "Ein, zwei Dinge noch"; "Händchen halten"; "Kein Bock"; "TDB"; "Wutbürgerhobby"; "Swimming"; "Gaylord 3000"; "Das Kleid"; "Was ist dir heilig?"; "Wir sind Dichter_innen".



"Fantastische Queerwesen und wie sie sich finden"
ist ein vielschichtiger Mutmacher für alle queeren Menschen, dessen einzelne Beiträge qualitativ stark schwanken.

Daher vergebe ich insgesamt drei von fünf möglichen Sternen.