Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ikatzhorse2005

Bewertungen

Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2022
Engel des Todes / Paul Stainer Bd.3
Ziebula, Thomas

Engel des Todes / Paul Stainer Bd.3


ausgezeichnet

Engel des Todes ein historischer Kriminalroman und 3. Band der Paul Stainer-Reihe von Thomas Ziebula (Wunderlich)
„Etwa eine Dienstreise nach Dresden?“ Valerie biss sich auf die Unterlippe.
Er schüttelte den Kopf und faltete die Briefbögen zusammen.
„Sag, dass du nicht fortmusst!“ Beinahe flehend schaute sie zu ihm auf.
„Schlimmer.“
„Randalieren etwa die Arbeiter wieder?“
„Noch schlimmer.“ Er atmete tief.
„Was denn?!“ Sie zerrte an seinem Arm. „Nun sag doch endlich, Gustl!“
„Bürgerkrieg.“
S.24
Thomas Ziebula lässt seinen Protagonisten 1920 in Leipzig zur Zeit des Kapp-Putsches agieren. Bürgerkriegsähnliche Zustände und Auseinandersetzungen an der Streikfront lassen Vergangenes in Stainers Erinnerungen aufflammen. Ein Mörder nutzt die Gelegenheit und lässt sich zu einer Serie grausamster Morde hinreißen. Er hat eine Liste erstellt und arbeitet diese gnadenlos ab. Die Spurensuche für Kriminalinspektor Paul Stainer und seine Mitarbeiter ist erschwert und sie ermitteln unter schwierigsten Bedingungen. Dank der historischen Straßenkarte von Leipzig 1920 im Inneneinband kann man die Aktivitäten verfolgen und gut einordnen.
Im dritten Band der historischen Reihe treffen wir auf altbekannte Figuren, Paul, Junghans, Vera Sonntag, Josephine und Mona König. Schnell ist man wieder ein Teil diese kleinen Gemeinschaft. Mit Blick auf dieses persönliche Milieu laufen die Ermittlungen nach dem Täter, der hintergründige Einblicke in seine Motive und Vorgehensweise zulässt. Unter den Einfluss historischer Aspekte liest man eine spannende und höchst interessant konstruierte Geschichte.
Der Einstieg in den neuen Stainer gestaltet sich höchst politisch. Doch sollte man sich davon nicht abschrecken lassen. Ich habe denn Anlass genutzt und weitere Informationen zu den historischen Gegebenheiten eingeholt. Thomas Ziebulas Romane sind immer ein Ausflug in die Geschichte und man kann einiges Wissenswertes dazulernen. An den fünftägigen Ausnahmezustand des Putschversuchs im März 1920 lehnt der Autor seine Kriminalgeschichte an. Dies gestaltet er mit Hilfe weiterer gekonnt stilistisch korrekter Mittel äußerst abwechslungsreich und spannungsreich. Besonders hat mir das Gedicht von Rainer Maria Rilke am Anfang gefallen. Auch weiß der Leser immer, in wessen Gedankengängen er sich beim Lesen gerade befindet. Mich hat der wunderbare Schreibstil von Thomas Ziebula wieder einmal beeindruckt, wobei ich mich in der ganzen Geschichte sehr gut zurechtgefunden habe. Ein fulminanter, rasanter Showdown in dem alle Fäden schlüssig zusammenlaufen, krönen das Ende dieser Erzählung, doch hoffentlich nicht das Ende dieser Reihe.
Mir hat das Lesen viele spannungsgeladene und aufschlussreiche Stunden beschert. Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen mit Paul Stainer und Co. Ich empfehle zum Verständnis diese Reichenfolge: „Der rote Judas“, „Abels Auferstehung“, „Engel des Todes“.

Bewertung vom 13.03.2022
Für immer und noch ein bisschen länger
Leciejewski, Barbara

Für immer und noch ein bisschen länger


ausgezeichnet

Für immer und noch ein bisschen länger ein Roman von Barbara Leciejewski
Lächelnd, die Hände vor ihrem gazellengleichen Körper übereinandergelegt, beobachtete die alte Dame ihren Gast.
„Man munkelt, die Geliebte eines bedeutenden Mannes soll hier gewohnt haben“, erklärte sie,...
„Ich bin Guinella Wohlgemuth.“
„Anna Trost“ erwiderte Anna... S.53
Dieses Kennenlernen ist der ausschlaggebende Wendepunkt im Leben der Hauptprotagonisten. Gemeinsam schaffen sie es, sich von ihrer Einsamkeit und ihrer Trauer zu lösen. Dabei zeigen die Charaktere all ihre Seiten und bestechen durch Individualität und Liebreiz. Die Autorin kratzt nicht nur an der Oberfläche, sondern geht tiefer und dringt in die vielschichtigen Facetten jedes Einzelnen ein. Die gewählte Lokation München und das behagliche WG-Ambiente begleiten die stimmungsvolle Atmosphäre. Man möchte ein Stück dazu gehören und Teil dieser illustren Gemeinschaft sein.
Der Schreibstil von Barbara Leciejewski ist besonders. Leicht und gleichzeitig intensiv lesen sich die rührenden Zeilen. Warmherzig, traurig und umfangreich beschreibt sie die unterschiedlichsten Gefühle und Situationen. Trotzdem wirkt der begleitend melancholische Unterton nie überladen, sondern wird durch harmonisch kokette Dialoge aufgelockert.
Der Roman liest sich wie eine Geschichte aus dem Leben selbst mit allen Höhen und Tiefen. Vielleicht ist man deshalb so nah dran und fühlt sich tief berührt, als aus dem Nebeneinander ein Miteinander wird!
Wie es Anna schafft über den Verlust ihres Mannes hinwegzukommen sowie Gunilla, Rose, Anders, Kurt und Michel ihre Probleme und Unsicherheiten in den Griff bekommen, beschreibt die Autorin in dieser zarten Liebes- und Lebensgeschichte.
Fazit: Ein leises Buch das das Herz berührt. Wer empfindsame und gefühlsbetonte Geschichten mag, der ist hier gut bedient. Ich lese die Romane der Autorin immer wieder gern.

Bewertung vom 13.03.2022
Offen für alles
Blank, Lilly

Offen für alles


ausgezeichnet

Offen für alles von Lilly Blank (Fischer Verlag)
Viviane drehte sich halb zu ihrer Freundin um. „Würdest du es etwa gut finden, wenn Diego mit einer anderen Frau ins Bett ginge?“ „Was meinst du damit? Ich finde es gut.“ S.17
Treffpunkt sonntags Rumford - Denkmal im Englischen Garten nahe der Eisbachwelle in München: Während einer lockeren Jogging-Runde entlang der Isar offenbart Claudia ihrer Mittvierziger-Freundin Viviane, dass sich ihr Mann ab und an mit anderen Frauen vergnügt. Über die Gelassenheit ihrer Vertrauten ist Viviane entsetzt.
Die Erkenntnis, dass es in ihrem eigenen Ehebett ähnlich flau zugeht, trifft sie wie ein Schlag. Nicht prickelnd und feurig sondern eher eingeschlafen! Doch bisher war Vivianes Leben eigentlich in Ordnung aber diese aufschlussreichen Diskussion hat in Vivis Gedanken so manche Überlegung ins Rollen gebracht.
Viviane ist jetzt angestachelt ihrem Liebesleben einen neuen Kick zu geben. Darüber hinaus sollten die Bedürfnisse ihres Mannes Karl nicht zu kurz kommen. Sie stürzen sich in ein prickelndes Abenteuer mit ungeahnten Folgen.
Und Claudia? Sie geht ihren eigenen Weg, manchmal mehr als Diego lieb sein dürfte. Aber ist sie wirklich so taff, oder tut sie einfach nur so?
Dann taucht noch Elena auf. Sie ist schwanger und möchte trotzdem unabhängig bleiben. Beziehungen engen sie ein. Dabei fragt sie sich, ob sie überhaupt einen Mann braucht, um ihr Kind großzuziehen?
Lilly Blank lässt ihre Figuren rasant über die Bühne tanzen. Dabei stolpern sie über herausfordernde Situationen, die das Leben so mit sich bringen. Verzwickte Beziehungen und gefühlvolle Momente geben sich die Klinke in die Hand. Die Charaktere glänzen durch Individualität und ihre liebenswerten Marotten. Der unterhaltsame Roman besticht durch treffsichere Dialoge, spontane Wendungen und überspitzte Umstände. Dabei ist die ganze Geschichte so wenig vorhersehbar und behält einen positiven Grundton bei. Wie sich die Wege von Viviane, Claudia und Elena letztendlich kreuzen beschreibt Lilly Blank in dieser charmanten Geschichte, die mitten ins Herz trifft.
Fazit: Seit langer Zeit habe ich keinen so gutes und unbeschwertes Buch gelesen. Dieser Roman ist ein wahrer Genuss! Ich liebe ihn! Die herrlich lockeren Dialoge fügen sich wunderbar in die leicht schlüpfrigen Stellen des Romans ein. Ich habe mich köstlich amüsiert und großartig unterhalten gefühlt! Ein Lesehighlight und unbedingt empfehlenswert!

Bewertung vom 12.03.2022
Flüchtiges Glück
Mothes, Ulla

Flüchtiges Glück


ausgezeichnet

Flüchtiges Glück von Ulla Mothes (Bastei Lübbe Verlag)
Getrieben von den Schatten der eigenen Vergangenheit versucht Navid reinen Tisch zu machen, bevor er Milla sein Ja-Wort gibt. Ungereimtheiten und Geheimnisse lasten auf ihrer Familie, verdrängt vom jahrelangen Schweigen einzelner Generationen. Navid fahndet nach der Schuld, die den Protagonisten durch verheerende Umstände der Geschichte auferlegt wurden. Er sucht Erlösung und Frieden für seine zukünftige Familie. Seine Fragen bringen etwas ins Rollen und sorgen für Spannungen zwischen den Familienmitgliedern.
Diese Grundstimmung nutzt Ulla Mothes und strickt eine interessante, generationsübergreifende Familiengeschichtegeschichte. Sie baut Brücken durch aufschlussreiche Rückblicke und perfekt getaktete Zeitsprünge. Zusammen mit den geschichtlichen Hintergründen der DDR-, Wende- und Nachwendezeit baut sie ein tragendes Gerüst auf der Suche nach den Wurzeln einer Familie.
Im Fokus steht die Region Bitterfeld Wolfen und die desaströse Umweltverschmutzung der Industrieanlagen der ehemaligen DDR. Die Regierung mitsamt der Stasi versuchten das Ausmaß der verheerende Umweltsünden geheim zu halten, denn die Industrieanlagen der ORWO sind der wichtigste Chemiestandort und das Standbein der Wirtschaft der DDR. Zwischen die Fronten gerät die junge Ärztin Renate, die versucht auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Sie sammelt Patientendaten und begibt sich somit in die Schusslinie des Diktatur-Staates.
Damit ist Ulla Mothes Flüchtiges Glück ist ein erstklassiges Portrait der damaligen Zeit. Dieser spannende historische Roman liest sich wie ein atmosphärischer Krimi zeitgenössischer Literatur. Der Schreibstil und die Figuren sind so lebendig, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte. Besonders gut hat mir gefallen, dass die Autorin auf die Empfindungen der Protagonisten aus dem Ostteil Deutschlands zur Wendezeit eingeht. Die Hoffnungen, Ängste und enttäuschten Erwartungen werden an verschiedenen Lebenswegen dieser Figuren ausgezeichnet dargestellt.
Die Autorin spannt durch verschiedene Themen und bereichernde stilistische Mittel einen Spannungsbogen, der sich am Ende zu einem schlüssigen Ganzen entlädt.
Fazit: Ein großartiges Buch, welches begeistert und wunderbar unterhält!

Bewertung vom 15.02.2022
Im Schatten der Wende
Goldammer, Frank

Im Schatten der Wende


ausgezeichnet

Im Schatten der Wende ein Kriminalroman von Frank Goldammer (dtv)

Er hatte so etwas noch nie gespürt. Und es brauchte eine Weile, bis er verstand, was es war. Es war die Angst vor dem Morgen. Was kam jetzt auf sie zu? Was sollte aus aus ihnen werden, aus ihnen allen? Plötzlich war die Zukunft offen, aber auch ungewiss. Plötzlich schien nichts mehr sicher. S.140

Tobias Falck ist Obermeister der Volkspolizei in Dresden. Kurz vor seinem Abschluss zum Leutnant in Aschersleben 1989 werden die Grenzen zwischen Ost und West geöffnet und die Mauer fällt. Falck versucht zu verstehen, was gerade passiert und versucht seinen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Ein klein wenig Hoffnung aber auch ein schaler Nachgeschmack sowie Zukunftsangst mischen sich in seine Gedanken.
Im Winter 1989 beginnt er seinen Dienst beim Kriminaldauerdienst (KDD). Zum Team gehören Hauptmann Schmidt und Stefanie Bach, Bekannte eines alten Falls aus Vorwendezeiten.

„Der Witz ist nur, die meisten haben kaum Zeit, Es hat einige Veränderungen gegeben. Der Kader ist geschrumpft. Keiner fühlt sich mehr richtig zuständig. Außerdem werden Sie sehr schnell eines erkennen: Die Zeiten haben sich geändert. Also auch, was die Kriminalität betrifft. Man könnte meinen, sie sind alle verrückt geworden.“ S.150

Zur Abteilung gesellt sich Hauptkommissarin der Kriminalpolizei Frankfurt am Main Sybille Suderberg. Gleich mehrere Fälle gibt es zu lösen. Die grenzübergreifenden Ermittlungsarbeit des KDD-Teams laufen auf Hochtouren. Dabei gestaltet sich die Polizeiarbeit nicht nur durch die unterschiedlichen Ermittlungsmethoden schwierig.
Auch treffen die Protagonisten auf einige Vorurteile und Annahmen, basierend auf Missverständnissen und Unwissenheit, gegenüber dem Leben im jeweilig anderen Teil Deutschlands. Ost trifft West, eine absolut gelungenes Portrait dieser Zeit! Der Autor greift somit das Bild tiefgreifender Veränderungen authentisch auf. Der Titel trifft es auf den Punkt und passt hervorragend zu der Geschichte.

Frank Goldammer setzt mit Tobias Falck einen intelligenten und feinsinnigen Protagonisten in Szene. Er selbst und sein Weg haben mir besonders gut gefallen. Anfangs erscheint er mir jugendlich naiv, zutiefst menschlich und immer sympathisch. Doch diese scheinbar hörige Naivität wandelt sich, als er losgebunden von stattlichen Zwängen, sein Denken und Handeln aktiviert. Das Ergebnis sind scharfsinnige Schlussfolgerungen und eine brillante Polizeiarbeit. Auch in privaten Angelegenheiten reift er und stellt somit die Weichen für seine Zukunft. Ich bin gespannt, welche Entscheidungen er in folgenden Bänden treffen wird. Ich bin jedenfalls gern dabei!
Falcks Kollegen sind ebenfalls charakterstark und gut gezeichnet. Gern würde ich von ihnen noch mehr erfahren. Es gibt sicher noch einiges zu erzählen und ich hoffe, Frank Goldammer gibt zukünftig einige Einblicke in das Leben der Ermittler.

Fazit: Im Schatten der Wende ist ein sehr gelungener Auftakt der neuer Krimi-Reihe rund um das KDD-Team Ost-West. Die Kombination aus Kriminalfällen, die damit verbundenen Ermittlungen, die interessanten Charaktere, eine glaubwürdige Darstellung der geschichtlichen Ereignisse und Einblicke in Alltäglichkeiten dieser Zeit haben mich begeistern und überzeugen können. Frank Goldammer weiß, wovon er schreibt. Und er schreibt gut, mitreißend und ehrlich. Das macht den Roman so lesenswert!

Bewertung vom 29.01.2022
Über Angst
The School of Life

Über Angst


ausgezeichnet

Über Angst: Meditationen über ein Gefühl unserer Zeit The School of Life (mvg Verlag)

„Grundvertrauen“ ist das beste Mittel gegen Angst. (S.14)

Dieser wundervoll aufgemachte Ratgeber blickt philosophisch, soziologisch und psychologisch auf dieses große Thema Angst. Neben der Ursachenforschung beschäftigen sich die Experten mit den verschiedensten Formen der Angst und geben schlussendliche Hinweise und Tipps für ein ideales Leben. Aber letztendlich tut dieses Buch einfach gut. Es bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück, lässt den Leser einige Zeit innehalten und über grundsätzliche Dinge nachdenken. Es geht auch darum, ehrlich mit sich zu sein und bestimmte Unwegsamkeiten zu akzeptieren.

Aber dann stellt sich heraus, dass das Leben für einige von uns, und auf einer bestimmten Ebene für alle, andere Pläne gemacht hat. (S. 63)

Ängste gab es schon immer, doch die äußeren Umstände und Einflüsse ändern die Art und vielleicht auch das Ausmaß dieser Empfindung. Heute habe ich andere Sorgen als vor 100 Jahren. Die multimediale 24h Verfügbarkeit Informationen jeglicher Art abrufen zu können und die Breitmachung verschiedenster Meinungen und deren teils unfreiwillige Konfrontation steigern unseren täglichen Stress zusätzlich. Ein Zuviel kann schaden und wir täten unseren psychischen Gesundheit einen guten Dienst, unser Leben zu vereinfachen.
Auch ein Zuviel am Denken und fortwährend die Gedanken kreisen zu lassen, ist hinderlich. Einfach mal loslassen und sich bewusst werden, was dem Menschen an sich gut tut.

Fazit: Ohne erhobenen Zeigefinger habe ich neue Aspekte aus der Lektüre ziehen können. Das Aufgreifen und die Betrachten philosophischer Aspekte hat mir gefallen. Mit Ästhetik und zahlreichen Denkanstößen gelingt hier ein liegevoll gestalteter Mutmacher und Ratgeber.
Ein wahrer Schatz und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 29.01.2022
Das große Buch der Collagen
Rivans, Maria

Das große Buch der Collagen


ausgezeichnet

Das große Buch der Collagen von Maria Rivans (Midas Verlag)

Das Zeitaufwendigste bei Collagen ist zweifelslos die Suche nach den Bildern: Manchmal kann es Wochen dauern, bis das richtige Bild gefunden ist. (S.5)

So lange braucht der Leser und bastelfreudige Collagenersteller nicht suchen, denn Maria Rivans hat hier eine Fülle an Inspirationen in diesem großartigen Buch zusammengestellt. Einzig die Schere fehlt noch und schon kann es losgehen!
Zuerst macht uns die Künstlerin mit einleitenden Worten und grundlegenden Dingen bei der Collagenfertigung bekannt, Anleitungen und Ideen sowie Abbildungen und Erläuterungen ihrer eigenen Werke und Collagen anderer Künstler bereichern ihre Lektüre. Ihre Collagen und Bilder wurden in renommierten Galerien auf der ganzen Welt ausgestellt. Ihre ästhetische Kunst findet sich an Hotelwänden und als limitierte Drucke für jedermann. Sie weiß also, wovon sie spricht.
Um seiner Kreativität freien Lauf lassen zu können, füllt dieses Buch unzählige Motive und einige Hintergrundbilder. Über 1500 Bilder! Eine beachtliche Quelle kreativer Möglichkeiten! Besonders Retro-Vintage-Elemente mit Bezug zu Film und Fernsehen liegen der britischen Künstlerin am Herzen. Details und Bilder von Menschen, Natur und Tieren, Bauwerken und Technik sowie Kunst und Kultur finden sich unter den zahlreichen Möglichkeiten zum Entspinnen eigener bizarrer Stücke.
Dies ist eine wunderbare Möglichkeit abseits der berieselnden Medien etwas Kreatives zu erschaffen und sich endlich wieder mit sich und seiner Fantasie zu beschäftigen. Ein großartiges und inspirierendes Buch!

Seien Sie darauf vorbereitet, stundenlang abzutauchen und selbst zum Teil dieser vielfältigen und spannenden Kunstform zu werden.
Ihre Collagen warten auf Sie … (S. 5)

Bewertung vom 29.01.2022
Eure Leben, lebt sie alle
Hein, Sybille

Eure Leben, lebt sie alle


ausgezeichnet

Eure Leben, lebt sie alle ein Roman von Sybille Hein (dtv)

Man kann sich die Vergangenheit nicht schöner wünschen. Aber hin und wieder ereignen sich Dinge, mit denen man sie heller ausleuchten kann. Je mehr Menschen ihre bunten Glühbirnen an die Leine hängen, desto besser. S.302

Genau das beschreibt diesen Roman schon ganz gut. Dann gibt es da noch einen fast unsichtbaren Faden, der sich durch das Leben der fünf Frauen zieht und sie somit auf schicksalhafte Weise miteinander verbindet. Ein Teil jeder Geschichte ist Jonas, Mariannes Sohn, der vor fast zwanzig Jahren ums Leben kam. Er lässt seine Mutter und vier Freundinnen zurück. Marianne, Ellen, Freddy, Luise und Johanna.
In sechs Runden, ähnlich einer Theateraufführung, erzählt Sybille Hein episodenhaft aus dem Leben jeder einzelnen Frau. Jede, bis auf Johanna, erzählt ihre Geschichte selbst. Innere Monologe, Selbstzweifel, Geheimnisse und Gedanken, Wünsche, Träume, Erkenntnisse oder auch nicht... So gewinnt man einen intensiven Einblick in das Leben und die Gefühlswelt der Figuren. Um diese Eindrücke zu schildern, bedient sich die Autorin einer wunderbar lebhaften Sprache.

Mit Ende zwanzig kann man mit ungebügelten Hemden aus dem Haus rennen, aber in seinem Alter sollte man darauf achten, zumindest die Verpackung knitterfrei zu halten. Klaus ist zweiundfünfzig. Er ist ein alter Mann. Und riecht nach Kohlrabi. (S.25)

Ein schnieker Dreiteiler: Hose, Weste. Sakko mit großen Schulterpolstern. Die Schaumstoffeinlagen überspielen kunstvoll, das man Böhms schrumpelkleinen Körper in einem solchen Kleidungsstück inzwischen suchen muss. (S.133)

Seit dem Gespräch mit Ellen fühlt es sich an, als würde ich Geschenkpapier aufreißen, wenn ich den Staub von den alten Sachen puste. (S.243)

Mr. Spock drückt seine Schnauze in einen der verbliebenen Jutesäcke. Auch er hat einen Wunsch an den Lefzen kleben, ich kann es ihm ansehen: Möge sich dieser Beutel öffnen wie Alibabas Höhle und die herausquellenden Wurstwaren den ganzen Dielenboden überspülen. (S.298)

Man hat das Gefühl selbst dabei zu sein. Und während des Lesens findet man ein wenig Marianne, oft Ellen, mehr Freddy, naja Luise und weniger Johanna in sich selbst. So habe ich es jedenfalls empfunden. Manche Situationen finden Zustimmung, über andere überdrehte Momente schüttelt man den Kopf. Doch so ist das Leben nun mal.
Letztendlich geht es nicht nur um Älterwerden. Diese Geschichte erzählt so viel mehr und ist eine einzigartige Hommage an die Freundschaft und das Zusammensein. Klare Leseempfehlung für diesen besonderen Roman!

Bewertung vom 09.01.2022
Der Palast
Doehnert, Rodica

Der Palast


ausgezeichnet

Selbst Genossen können ein Zwillingsherz nicht teilen!

Der Palast ein Roman von Rodica Doehnert (Lago)

Georg starrte auf die geschlossene Tür, hinter der Chris verschwunden war. Gab es das überhaupt, wonach er suchte? Gab es eine Wahrheit über dem ideologischen Müllberg, die für alle Menschen galt und mit der es zu leben lohnte? S.127

Scheinbar unüberwindbare Differenzen überschatten die Liebe eines jungen Paares. Die Erziehung, die Erwartungen und die politische Prägung kollidieren mit den Träumen und Zielen der beiden Protagonisten. Das Regime der DDR nimmt beiden die Entscheidungsfindung auf dramatische Weise ab. Im August. 1961 riegeln Sicherheitskräfte der DDR Ost-Berlin ab. Stacheldraht wird gezogen und somit der Übergang von Ost nach West versperrt. Mit dem Bau der Berliner Mauer will die Führung der DDR die Abwanderung ihre Bürger in den Westen stoppen und so den „Sozialismus retten“. Die Mauer trennt Berlin und die deutsche Bevölkerung 28 Jahre lang in Ost und West.

Das Ausmaß des Schadens kann man überhaupt nicht in Worte fassen. Diese Regierung maßt sich an, ihren Bürgern ihre Ideologien aufzuzwingen, reglementiert und bestraft nicht regierungstreue Bürger. Jeder muss mit allen erdenklichen Mitteln auf Linie gehalten werden! In diesem System stehen Kontrollen und Überwachung an oberster Stelle, gedeckelt durch die sozialistische Fürsorge des Staates.
Im Gegensatz dazu steht der westlichen Teil Deutschlands unter einer kapitalistisch-demokratischen Führung.
Die Autorin erzählt von einer ost-westdeutschen Familie anhand der Schicksale von Christine und Marlene vor dem Hintergrund der deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Zwei Schwestern treffen sich nach 28 Jahren wieder und versuchen zusammenzufinden und mit allen erdenklichen mitteln die Geheimnisse ihrer Familie zu lüften.
In Ostberlin entfaltet sich mit der Protagonistin Christine Steffen die schillernd bunte Welt des Friedrichstadt-Palastes im krassen Gegensatz zum strukturierten Alltag. Das Vorzeigeobjekt mit seinen grandiosen Shows dient im Buch als perfektes Setting, welches Privilegierte besuchen durften.
Im westlichen Teil Deutschlands ist Marlene Wenninger fest in das alteingesessene Familienunternehmen eingebunden. Sie setzt sich mit den an sie gestellten Anforderungen und Erwartungen auseinander. Konfrontationen sind unvermeidbar, gerade als immer mehr lang verschwiegene Geheimnisse ans Licht kommen.
Wie die beiden Zwillingsschwestern zueinanderfinden, erzählt die Autorin in einem fesselnden Schreibstil. Die Darlegung der emotionalen Passagen und Dramaturgie, das Lebensgefühl sowie der Lebendigkeit der damaligen Verhältnisse sind wunderbar gelungen erzählt. Mir hat diese Lektüre intensive Lesestunden geschenkt. Nach dem Beenden des Buches, habe ich mir die Verfilmung angeschaut. Ich empfehle dies unbedingt in dieser Reihenfolge zu tun, da die Spannung des Buches durch das visuell Erlebte verloren gehen könnte. Auch weicht das Geschriebene etwas von der Verfilmung ab, was der Geschichte an sich keinen Nachteil verschafft.

Der Rom ist liebevoll gestaltet. Kurze vorangestellte Kapitel-Zusammenfassungen machen neugierig auf den folgenden Lesestoff. Der Epilog erzählt die Geschichte weiter, die es im Film nicht zu sehen gibt. Ein Glossar und ein Familienstammbaum runden das Ganze ab. Ergänzend finden sich ein Nachwort und eine Danksagung der Autorin.

Fazit: Rodica Doehnert steht für erlebbare Geschichte. Mit „Das Adlon“, „Das Sacher“ und jetzt mit „Der Palast“ hat sie wunderbare Unterhaltung erschaffen. Ich hoffe auf weitere Projekte von ihr und empfehle ihre Werke daher uneingeschränkt!

Bewertung vom 04.01.2022
In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10
Neuhaus, Nele

In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10


ausgezeichnet

In ewiger Freundschaft Taunus Krimi Band 10 von Nele Neuhaus (Ullstein Verlag)
„Wir feiern zusammen, wir arbeiten zusammen, und wir stehen uns gegenseitig bei, wenn es einem von uns nicht gutgeht“, bekräftigte Dorothea. „Deshalb sind wir heute auch alle hier.
„Das ist wirklich eine sehr schöne Geste“, sagte Pia... S.237
Eine vermisste Programmleiterin des renommierten Buchverlags Winterscheid in Frankfurt wurde nach über dreißig Jahren gekündigt. Sie scheint sich an einem ihrer Autoren rächen zu wollen, indem sie ihn des Plagiats bezichtigt. Zeitnah werden Leichen gefunden und die Ermittlungen laufen weit bis in die Vergangenheit der Opf­er hinein. ­
Nele Neuhaus liefert hier einen richtig spannenden Plot. Der Fall und die Einblicke rund um das Verlagshaus Winterscheid und deren Autorenwelt sind höchst interessant. Die Geheimnisse, Reibereien und internen Spielchen gehen wohl nicht spurlos an allen Mitarbeitern vorbei.
In ihrem neuen Fall legt die Autorin einige Spuren, verschachtelt einzelne Geschichten und strickt die Fäden zu einem komplexen Ganzen zusammen. Vielleicht wirkt das Geschriebene nicht ganz so spektakulär und der Spannungsbogen wird von Zeit zu Zeit etwas überdehnt, doch an Emotionalität fehlt es dem Roman nicht. Die Einblicke in das Privatleben der Ermittler sowie die zahlreichen Nebengeschichten gestalten den Krimi abwechslungsreich. Man fiebert mit den Figuren mit. Gerade Oliver von Bodensteins Geschichte berührt das Herz. Da man die Protagonisten über einen langen Zeitraum begleitet und deren Geschichten verfolgt hat, entsteht eine gewisse Bindung. Man kann sich sehr gut in die Figuren hineinversetzen. Da diese zahlreich auftreten, war ich sehr erfreut über das vorangestellte Personenregister.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Authentizität mit der die Autorin ihre Protagonisten agieren lässt. Lebensnah und mit einem vielfältigem Hintergrundwissen werden Situationen und Dialoge präsentiert.
Einflechtungen und Rückblicke auf bereits erzählten Stoff erschienener Bände passen wunderbar zu dieser Jubiläumsausgabe. Das hat Nele Neuhaus gekonnt inszeniert. Eine schöne Idee, in kleinen Spitzen einen Blick zurückzuwerfen.
Das packende und wendungsreiche Finale konnte mich durchweg überzeugen. Ich bin gespannt auf weitere Geschichten rund um das K11 in Hofheim und empfehle „In ewiger Freundschaft“ gern weiter!