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leseleucht
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Alfter

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Insgesamt 172 Bewertungen
Bewertung vom 13.02.2025
Die Tochter der Drachenkrone
Qunaj, Sabrina

Die Tochter der Drachenkrone


sehr gut

Episch
Der epische historische Roman „Die Tochter der Drachenkrone“ zeigt das Schicksal der Fürstentochter Gwenllian, die nach dem Tod zwischen die Fronten der um die Herrschaft rivalisierenden Brüder gerät. Als Frau bleibt ihr zur damaligen Zeit nur ein Mittel der Wahl,
Einfluss zu nehmen: die Heirat mit einem anderen Herrscher. Dabei ist aber nicht nur taktierendes Kalkül im Spiel, sondern zunehmend auch Gefühle.
Der Roman öffnet den Blick auf die rauen Zeiten im 12. Jahrhundert in Wales. Irren und Wirren von Kriegen, Intrigen und Liebe nehmen den Leser mit sich. Gwenllian ist sicherlich keine typische Frau der damaligen Zeit, sie versucht, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, nicht nur für sich selbst, sondern auch in der Suche nach Frieden für ihr Volk. Spannend, bisweilen aber auch ein wenig lang, und gefühlvoll, bisweilen aber auch ein wenig gefühlsselig schildert die Autorin Sabrina Qunaj, die Expertin für historische Schmöker ist, das Schicksal einer besonderen Frau in unruhigen Zeiten in einer männerdominierten Gesellschaft.

Bewertung vom 09.02.2025
Fernwehland
Naumann, Kati

Fernwehland


ausgezeichnet

Schwimmende Freiheit
Die „Völkerfreundschaft“ ist ein schicksalsträchtiges Schiff, das im Roman das Leben der drei Protagonist:Innen verbindet. Die kleine Frieda erlebt die Schiffstaufe im schwedischen Göteborg; da hieß es noch „Astoria“. Später trifft sie auf ihrer ersten Reise auf dem Schiff ihren zukünftigen Mann.
Henri, dessen Vater schon von der Seefahrt träumte, überwindet als Matrose auf der „Völkerfreundschaft“ die Grenzen der DDR. Und auch für die Stewardess Simone wird auf dem Schiff der Traum von der großen Freiheit war, besonders als sie für eine schwedische Reederei fahren und somit auch Westhäfen anfahren.
Viele Jahre später begegnen sich alle drei auf der ehemaligen „Völkerfreundschaft“. Das Schicksal hat sie auf sehr unterschiedliche Wege geführt, aber was sie verbindet ist ihre gemeinsame Liebe zu dem alten Schiff. Und aus Nostalgie fahren sie noch einmal auf die Reise.
Auf drei manchmal vier (Zeit)ebenen spielt die Handlung des Romans. Sehr anschaulich lässt die Autorin die drei Leben am Auge des Lesers vorüberziehen. Sie erschafft eine kleine Welt sympathischer Figuren, deren Wege sich immer wieder einmal kreuzen, anfänglich ohne dass die drei davon Notiz nähmen. Was der Roman auf jeden Fall sehr gut vermittelt ist die Sehnsucht nach Freiheit, aber auch Zugehörigkeit zur Familie, aber auch zur Crew auf der „Völkerfreundschaft“. Bei allen Einschränkungen gelingt es den Figuren immer wieder, das Beste aus ihrem Schicksal zu machen und das Glück, wenn es sich denn zeigt, auch zu genießen. Der Leser geht gerne

Bewertung vom 09.02.2025
Wohin treibt Russland?
Siegert, Jens

Wohin treibt Russland?


ausgezeichnet

Der Blick nach vorn geht nur über den Blick zurück
Die Frage, ob Russland überhaupt demokratiefähig und die russische Bevölkerung demokratiewillig ist, beantwortet der Autor Jens Siegert mit einem Blick in die jüngere und die länger zurückliegende Vergangenheit Russlands. Die Herrschaftsfolge seit der Stabilisierung im Zarenreich, russische Revolution und stalinistische Diktatur haben das Selbst- und Politikverständnis des russischen Volkes und ihr Verhältnis zum Westen geprägt, genau wie die Öffnung in den 90er Jahren und die daraus resultierenden Enttäuschungen, die mit dem Ende des Kalten Krieges auch das Ende einer russischen Weltmachtstellung brachten. Dies wiederum bereitete den Nährboden für eine neue diktatorische Herrschaft unter Putin, in dem viele der Russen den Hersteller der alten Größe und Bedeutung des russischen Reiches sehen, wofür sie auch empfindliche Einschränkungen im Hinblick auf persönliche Freiheit und große Opferbereitschaft in Kauf zu nehmen bereit sind. Aber auch jetzt gibt es immer noch Gruppierungen im Land, die unter hohen Kosten Widerstand zu leisten bereit sind und damit Keim der Hoffnung auf eine demokratische Zukunft jenseits Putin.
Sehr kurz und kompakt gibt Siegert einen Überblick über russische Geschichte und trägt viel zum Verständnis russischer Denkweise heute bei. Er vermittelt ein realistisches Bild der politischen Lage in Russland. Er bezieht schon eine klare Position, aber ohne Polemik oder Schuldzuweisung. Er zeigt auf, wie Demokratie in Russland wieder erstarken könnte und auf wem die Hoffnung ruht. Ein aktuelles Buch, dass die notwendigen Informationen vermittelt, um Russlands Weg heute zu verstehen und Möglichkeiten seiner zukünftigen Entwicklung aufzuzeigen, und damit den Diskurs um die aktuelle russische Politik und die Haltung des Westen dazu bereichert.

Bewertung vom 04.02.2025
Das Geheimnis der Rosen / Die Glücksfrauen Bd.3
Claire, Anna

Das Geheimnis der Rosen / Die Glücksfrauen Bd.3


weniger gut

Schwaches Finale
Im dritten Teil der „Glücksfrauen“ von Anna Claire wartet der Leser gespannt auf die Auflösung der Rätsel um die drei Freundinnen Luise, Maria und Anni. Während es in den ersten beiden Bänden um Luise ging, die mit dem Geld der Freundinnen in New York ein Café eröffnen wollte, wohin sie vor den Nazis geflohen war, und um die Jüdin Maria, die im letzten Moment auf einer abenteuerlichen Fluchtroute den Nazis entkommen konnte, so geht es im letzten Band um Anni. Sie ist eigentlich glücklich liiert mit Siegfried. Der allerdings arbeitet für die Gestapo, und im Laufe der Zeit wird Anni immer misstrauischer den Zielen der Nazis gegenüber und auch gegenüber Siegfried, der sich nicht so für das Gute einzusetzen scheint, wie er vorgibt. Ein drastisches Erlebnis und ein Verrat durch Siegfried veranlassen Anni zu einer spontanen Flucht nach England, wo sie als Agentin gegen die Deutschen arbeitet. Später dann verschlägt es sie nach Tansania, wo sie eine Rosenfarm gründet, auf der die Enkelinnen von Luise und Maria dann auch Annis Enkelin finden, damit sie gemeinsam den letzten Teil des Rätsels lösen. Dabei geht es auch um die Enkelinnen, ihre Lebensentscheidungen und natürlich um die Liebe.
Schon die ersten beiden Bände zeigen Schwächen bei der Umsetzung einer interessanten Idee mit interessanten Figuren. Aber der dritte Teil übertrifft diese, wie ich finde, bei weitem. Er ist ein mehr als unbefriedigendes Ende einer Buchreihe, die vor allem wegen der Suche nach der Lösung des Geheimnisses von Luise lesenswert erscheint. Allerdings ist diese Lösung wenig plausibel und passt nicht in den Handlungsverlauf. Man fragt sich unwillkürlich, ob man etwas Wichtiges überlesen hat. So geht es an anderen Stellen auch recht unlogisch zu. Und der Stil ist sehr hölzern und schlicht. Die Figur der Anni ist in sich schon nicht stimmig angelegt. Dem naiven Mädchen, die dem Erzählstil eine Kleinmädchenausdrucksweise verleiht, ist eine Karriere als Agentin nicht wirklich zuzutrauen. Das Konzept geht leider gar nicht auf. Sehr schade, denn die Geschichte hätte auf jeden Fall Potential für mehr gehabt. Und auch das Schicksal der Spioninnen im 2. Weltkrieg ist sicherlich ein dankbarer Plot für ein spannendes Buch. Aber Anni kann diesen Erwartungen nicht gerecht werden.

Bewertung vom 02.02.2025
Digitale Diagnosen
Wiesböck, Laura

Digitale Diagnosen


ausgezeichnet

Bist du noch gesund oder diagnostizierst du schon?

Erschreckend sind die ganzen selbsternannten Heiler und Therapeuten, aber auch die echten, die auf Social-Media-Kanälen wie TikTok oder Instagram Geld mit der vermeintlichen Krankheit anderer Leute machen. Und dabei liefern sie selbst erst einmal die Definitionen, mit Hilfe derer sich unsichere, überforderte, in dieser großen, weiten Welt orientierungslose Menschen eine Krankheit diagnostizieren, deren Lösung dann wieder in der Ratsuche auf eben jenem Kanal besteht, der einem die Diagnose bescherte. Ein Teufelskreis, wie es scheint!
In ihrem Buch „Digitale Diagnosen“ erklärt Laura Wiesböck sehr klug und weitsichtig die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Definitionen von Gesundheit und Krankheit und darauf basierenden Heilsversprechen des Internets. Dabei zeigt sie stets Respekt für alle medizinisch diagnostizierten psychischen Erkrankungen und verneint auch nicht die Errungenschaften moderner digitaler Kommunikation, die für die Betroffenen Möglichkeit des Austausches mit Leidensgenoss:Innen sein kann, Enttabuisierung bestimmter Krankheitsbilder möglich macht und den Erkrankten eine Plattform bietet, sich anonym öffnen zu können. Insbesondere auch dann, wenn professionelle Hilfe nicht erreichbar oder finanzierbar ist. Gleichzeitig zeigt sie aber auch sehr deutlich, welches Schindluder auf allen Seiten mit diesem Trend betrieben wird: Da sind zum einen die, die es besser wissen müssten: die ausgebildeten professionellen Therapeuten, die auf einen Trend aufspringen, um an den großen finanziellen Gewinnmöglichkeiten beteiligt zu sein. Da sind die Influencer:Innen, die ohne Vorbildung und oft ohne Kenntnis, Bilder von dem entwerfen, was einen gesunden Menschen ausmacht, oder sich zu einem ästhetischen Bild des leidenden Kranken stilisieren, das sich gut vermarkten lässt, gestützt auf eine ganze Industrie von Selfcare-Produkten und Angeboten, mit denen man Menschen auf der Suche nach einem Sinn im werte- und traditionsleeren Leben ködern kann. Und dann sind dann zum Schluss eben diese Menschen, die häufig nach medizinischen Standards vielleicht gar nicht krank sind, sondern gerade eine miese Zeit haben, ein Tief oder eine schlechte Erfahrung gemacht haben, die zum menschlichen Leben dazugehört wie die Sonnenseiten. Diese nutzen dann die angebotenen Diagnoseverfahren, die ihnen ermöglichen, sich ein Krankheitsbild anzueignen, das sie von jeder Selbstverantwortung, das Leben wieder auf die Reihe zu kriegen, entbindet oder für das es im Netz zahlreiche „Therapiemöglichkeiten“ gibt, die der Selbstoptimierung mit dem Versprechen der Heilung dienen.
In Anbetracht eines zunehmenden Trends, die Sinnleere des eigenen Lebens mit Achtsamkeits-, Meditations-, Yoga oder sonstigen Lifestyle-Retreats zu füllen, ist dies ein wichtiges Buch, das eine ganze Industrie hinter diesem Trend entlarvt und der Gesellschaft den Spiegel vorhält, die das, was gesund ist, zu wenig schätzt und diejenigen, die wirklich krank sind, nicht genügend ernst nimmt, wenn sie glaubt, Krankheit mit einem Videotutorial oder frei verkäuflichen Gesundheitspräparaten welcher Art auch immer begegnen zu können.

Bewertung vom 23.01.2025
Ginsterburg
Frank, Arno

Ginsterburg


sehr gut

"und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen"
Ginsterburg ist eine kleine Stadt mit historischem Kern (n)irgendwo in Deutschland. Mosaikartig entfalten sich vor des Lesers Augen Lebensausschnitte unterschiedlicher Bewohner. Anhand von drei Stichproben aus der Zeit des 1000jährigen Reiches: Aufstieg 1935, Höhpunkt 1940 und Fall 1945 zeigt Arno Frank, wie es den Bewohnern ergeht: aus den Kindern werden Kriegshelden oder -opfer, aus den Politikern und Industriellen werden Profiteure und Kriegsgewinnler, denen aber private Tragödien nicht erspart bleiben, manch einer macht Karriere im Reich, andere verlieren ihre Existenz oder auch ihr Leben. Schon in der scheinbaren Idylle im Jahre 1935, als alles noch ganz harmlos schien und es so langsam wieder aufwärts ging mit dem von Ersten Weltkrieg gebeugten Deutschen Reiches, tauchen Vorahnung auf das bevorstehenden Grauen in einzelnen lakonischen Sätzen auf. Auch 1940 ist der Krieg wenig präsent in Ginsterburg. Er dringt eher in Form von Meldungen über Heldentaten an die Bewohner. Auch wenn der Held dann auch den Heldentod gestorben ist. Die Verbrechen, die den Aufstieg des Deutschen Reiches begleiten, werden mehr angedeutet als ausgeführt. Ab und an schleicht sich ein leiser Zweifel ein bei dem ein oder anderen, wird aber nicht lauter. Und 1945 geht dann alles ganz schnell. Die einen feiern noch die letzten Orgien vor dem Fall und dann schreitet Gott mit lautem „Bumbumbum“ durch das Paradies Ginsterburg auf der Suche nach den sündigen Menschen, die sich versteckt haben, weil sie etwas Verbotenes getan haben. Auch Ginsterburg geht unter wie der Rest des Reiches. Und wie im Rest des Reiches sterben auch die Unschuldigen und die Opfer und überleben die Schuldigen.
Arno Frank erzählt in gewohnt begeistertem Stil, der den Leser leicht durch Schweres und Tiefgehendes führt. Franks Figuren sind menschlich, keiner ist gut, schillernder Held, oder widerwärtig und böse, der reine Antagonist. Menschlich, allzu menschlich sind die Figuren. Und die Menschen sind eben gut und böse, die einen mehr, die anderen weniger. Gerade hinter dem Menschlichen verbirgt sich auf die Unmenschlichkeit, der Abgrund, der sich in Franks Erzählung zwischen den Zeilen manchmal auftut und in einzelnen Sätzen. Sein leises, feines Erzählen kommt ohne gewaltige Bilder, übermächtiges Grauen und große Gebärde aus. Dafür bleibt es lange im Kopf, lässt lange die Gedanken über das Gelesene nachdenken. Und doch nicht so ganz begreifen. In dem Figurenmosaik fällt es bisweilen schwer, den Faden der einzelnen Figuren zu verfolgen.Viele Fragen bleiben am Ende offen.Am Modell, quasi en miniature, zeigt Frank ein beeindruckendes Bild des Gesamtdeutschen Reichs in seinen drei Etappen, des 1000jährigen Reichs, das innerhalb von 12 Jahren Aufstieg, Höhepunkt und Untergang hingelegt hat und dabei ganz unterschiedliche Gesichter seiner Bewohner zum Vorschein gebracht hat. Es geht mehr um das Schildern und das Beobachten von Entwicklungen, von Schicksal, Fügung, Glück und Unglück, von Plänen und Zufällen, weniger um das Bewerten und Urteilen von Gut und Böse. Am Ende nach gefallenem Vorhang sieht sich der Leser mit vielen offenen Fragen, ohne tragischen Helden und ohne Moral von der Geschicht.

Bewertung vom 04.01.2025
Triebwasser
Altmann, Sandra

Triebwasser


sehr gut

Düster und wenig fortschrittlich
„Triebwasser“ – so der Name des Romans von Sandra Altmann – ist das Wasser, das in einem Elektrizitätswerk das Wasser zur Stromgewinnung antreibt, vereinfacht erklärt. Um den Bau eines solchen geht es in dem Roman. Dieser sorgt unter den Einwohnern des kleinen Dörfchens am Wallersee für Konflikte. Da sind die, die am Fortschritt teil- und Nutzen von ihm haben wollen. Und da sind die anderen, die darin eine Gefährdung ihres Bestandes sehen. Allerdings geht es beiden Seiten weniger um den Nutzen, den der Fortschritt im Allgemeinen für die Gemeinschaft haben könnte, oder dessen Schaden. In der Regel geht es um persönliche Belange, um Gewinnsucht, Existenzangst, durchmischt von Aberglauben, der auch zur Erhaltung des Status quo und zur Erziehung eingesetzt wird. Schon die Kinder lassen sich in ihren Handlungen vom Aberglauben leiten, beschwören Naturgötter zur Heilung der kranken Mutter, sehen in Naturgewalten das Wirken von Naturgeistern. In der Regel zur Strafe für vermeintliche Sünden. Schon dadurch entsteht ein lastender Druck auf der Gemeinschaft. Liebe und Eifersucht, Neid und Missgunst, Trunksucht und Grobheit tun ihr übriges die Dynamiken im Dorf aufs äußerte zu spannen, bis sich in einem unerwarteten Ende die Spannung auf tragisch-komische Weise entläd. Jeweils abwechselnd wird die Handlung in einem Kapitel pro Monat entfaltet und dann in Anlehnung daraus eine der Figuren aus dem Dorf: sieben Männer, drei Frauen und sechs Kinder aus drei Familien vorgestellt, indem die Autorin sie aus ihrer eigenen Perspektive heraus erzählen lässt. So ergibt sich ein interessanter multiperspektivischer Blick auf die Geschehnisse. Dabei verleiht sie jeder Figur eine authentische Sprache, mit Hilfe der diese ungeschönt ihre Gedanken verrät. Dabei geht es häufig derb und lieblos zu, was schon eine gewisse abschreckende Wirkung auf den Leser hat. Die Kinder wirken häufig dumm, zänkisch oder auch vom Aberglauben hysterisch. Die Frauen sind verhärmt vom Schicksal, häufig gefühlskalt oder gar bösartig. Die Männer, die gerne über den Durst trinken, sind grob, lieblos, triebgesteuert oder auch von hinterlistiger Schläue. Es gibt kaum eine Figur, die den Leser zur Identifikation einläd. Man kann sich schon vorstellen, dass ein hartes, der Natur abgerungenes Lebens als Fischer oder Holzbauer Menschen so werden lässt, aber eigentlich möchte man sich das so gar nicht so gerne vorstellen. Dass es der Fortschritt schwer hat bei solchen Menschen, ist offensichtlich. Auch der Lehrer, der sich immer mehr der Dorfgemeinschaft assimiliert, vermag kaum, einen rationaleren oder humaneren Standpunkt zu vermitteln. Die Geschichte verliert sich immer mehr in der Atmosphäre eines düsteren Heimatromans à la Andrea Maria Schenkel oder Franz Xaver Krötz und verliert den Anbruch einer neuen Zeit zunehmend aus den Augen.
Eine nicht unspannende, düstere, allerdings wenig erbauliche Lektüre!

Bewertung vom 04.01.2025
Berlin war meine Stadt
Mann, Klaus

Berlin war meine Stadt


ausgezeichnet

Toll zusammengestellte Auswahl
In dem Bändchen „Berlin war meine Stadt“ hat der Herausgeber und Vorsitzende der Klaus Mann Initiative Berlin e. V. aus verschiedenen Werken Klaus Manns Texte zusammengestellt, die die Affinität des Schriftstellers zum Berlin der wilden 20er Jahre zum Ausdruck bringen. Dezent eingeleitet, kann auch der Nicht-Kenner der Gesamtwerke direkt folgen, und es entsteht ihm nicht nur ein Bild Berlins, sondern auch des Autors Klaus Mann von seinen Jugendjahren bis hinein ins Exil. Die ausgewählten Texte sind nicht nur autobiographisches Zeugnis, in denen sich die Faszination und gleichzeitige Orientierungslosigkeit der Jugend in der haltlosen Zeit nach Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kaiserreiches spiegeln. In diesen Ausschnitten äußert sich auch der politische Klaus Mann. Dabei geht es nicht nur um die historisch bedingte Kritik am Nationalismus und Nationalsozialismus, die ihn konsequent ins Exil trieben. Dies wird im eindrucksvollen Schlusskapitel, das auch literaturhistorisch spannend ist, lebendig geschildert. Klaus Mann vermag es, seine und die Position der emigrierten Schriftsteller als absolut klar, keineswegs opportun und notwendig deutlich zu machen. Darüber hinaus ergeben sich aus seiner liberalen, europäisch ausgerichteten Geisteshaltung manch Gedanken, die auch heute noch von absoluter Aktualität sind: „Wenn Europa liebenswert und groß gewesen ist, diesem zweifachen Erbe dankt es seinen Glanz. Golgatha und die Akropolis sind die Garanten europäischer Zivilisation, europäischen Lebens. Der Kontinent setzt seine Würde, ja seine Existenz aufs Spiel, sobald er diese doppelte Basis und Verpflichtung – Hellas plus Christentum – verleugnet und vergisst.“ (S.82). Vielleicht können solche Sätze in Zeiten neuer Orientierungslosigkeit Perspektive und Maßstab verleihen!
Die kleine Anthologie zeigt auf jeden Fall ein Bild von Klaus Mann, der bei aller Unstetheit, Nonkonformität, Todessehnsucht und Morphiumabhängigkeit ein scharfgesichtiger Denker und meisterhafter Schreiber ist, der sich nicht hinter seinem großen Vater zu verstecken muss. Auf jeden Fall bekommt man Lust, die Werke Klaus Manns wieder oder neu zu lesen.

Bewertung vom 31.12.2024
Über allen Bergen
Goby , Valentine

Über allen Bergen


gut

Imposante Beschreibungen, bisweilen aber sehr langatmig
Vadim ist Sohn eines jüdisch-russischen Emigranten in Paris. Sein Vater muss abtauchen, als die Deutschen Paris besetzen und die Restriktionen gegen Juden immer mehr zunehmen. Seine Mutter bringt Vadim in einem abgelegenen französischen Bergdorf unter. Als Vincent erlebt er dort einen langen, kalten weißen Winter, einen sich zögerlich durchsetzenden grünenden Frühling und einen heißen, gelben Sommer. Nur den Herbst darf er dort nicht mehr erleben, als die Deutschen immer näher rücken und damit sein Leben bedrohen.
Die Autorin Valentine Goby beschreibt das urtümliche Leben im Dorf und auf den umgebenden Almen im Laufe der Jahreszeiten sehr detailliert und anschaulich. Neben den alltäglichen Verrichtungen der Bewohner liegt auf den Farben und Erscheinungsformen der Natur ein besonderer Augenmerk. Durch Vincents unverstellten Blick, der die Berge, die Schneemassen, die Blumen, die Vögel und Insekten alle zum ersten Mal wahrnimmt, sieht auch der Leser die Bergwelt im Wandel der Zeiten. Den Gestus des Staunens und Starrens betreibt die Autorin allerdings mit wahrer Obsession. Teils mikroskopisch seziert werden die Lebewesen und die unbelebte Natur. Vincent hatte schon als Kind die Angewohnheit, die Dinge, die er zeichnet, in ihre kleinsten Linien, Schattierungen, Formen zu zergliedern. Er sieht beim Klang der Wörter Farben und hat Visionen von den Dingen, die er nicht oder noch nicht sehen kann, wie der Zukunft oder der Beschaffenheit des Tales unter dem Schnee. Bis in die Betrachtung der letzten Poren verlieren sich bisweilen die Beschreibungen, und zwischendurch wird das Lesen zur mühsamen Geduldsprobe. Ähnlich wie der Frühling im Tal mehr als 20fach vom wieder einsetzenden Winter verdrängt wird, so wird die Handlung immer wieder von Beschreibungen, Farbvisionen und Bildern unterbrochen. Dabei ist der Plot des vor den Deutschen geflohenen Jungen, der in dem engen Bergdorf, in dem sich alle genauestens kennen und dem es keine Geheimnisse zu geben scheint, seine Identität verbergen muss, ein sehr spannender. Allerdings gerät dieser Teil der Geschichte immer wieder in Vergessenheit. Die Geschichte ist zu wenig entschlossen zwischen modernem Heimatroman, historischem Roman, Künstlerroman und Coming-of-Age-Geschichte.

Bewertung vom 28.12.2024
Wir leben unsere Träume / Himmelsstürmerinnen Bd.2
Lark, Sarah

Wir leben unsere Träume / Himmelsstürmerinnen Bd.2


ausgezeichnet

Eine phantastische Erzählerin
Sarah Lark ist bekannt für ihre epischen Familiensagas auf unterschiedlichen Kontinenten mit unterschiedlichen historischen Backgroundgeschichten. Und nie wird es langweilig. Das ist schon eine hohe Kunst bei der Vielzahl an Seiten, die da im Laufe ihres Schriftstellerinnenlebens zusammengekommen sind.
Da macht der zweite Band der „Himmelsstürmerinnen“ keine Ausnahme. Ihr Ansinnen, wenig bekannten Episoden aus der Geschichte in ihren Romanen Gehör zu verleihen, hat sie auch hier vollumfänglich erfüllt.
Die Himmelsstürmerinnen gehen in die nächste Generation. Es beginnt mit der jungen Mary Ann, deren Odyssee von einem New Yorker Waisenhaus nach Frankreich in ein Lazarett des 1 Weltkrieges und von dort nach Chicago in den Schoß der verloren geglaubten Familie führt. Dort arbeitet sie im Hull House, einer Organisation für benachteiligte Frauen aus den Einwandererfamilien.
Das Schicksal verschlägt Ailis, bekannt aus Band 1, nach Südafrika, um die Sterne des Südhimmels zu beobachten. Wir erfahren von den Burenkriegen und der Beulenpest, die Ailis zwei Adoptivtöchter beschert. Ihr Sohn reist zu seinen schottischen Wurzeln und von dort zurück nach Chicago, wo er als Anwalt gegen das Bandenwesen in den Zeiten der Prohibition antritt.
Donella, ebenso bekannt aus Band 1, und ihr Mann spielen in der Luftfahrt des ersten Weltkrieges eine große Rolle mit ihren fliegenden Luftschiffen. Dabei riskieren sie mehr als einmal ihr Leben.
Auch die Söhne ihrer Schwester Emily, die mit einem Schwarzen verheiratet ist, müssen in den Krieg. An ihrem Beispielen erfahren wir die Ressentiments gegenüber Schwarzen in der Armee. Auch die Rassenunruhen in Chicago werden zum Thema in diesem so vielseitigen, wie spannenden Buch.
Eine großartige Lektüre, unterhaltsam, fesselnd, lehrreich und interessant, inspirierend sich mit den hier angerissenen, so vielfältigen Themen weiter zu beschäftigen, mit sympathischen Charakteren, deren Schicksal Anlass zum Mitfiebern gibt, nie langatmig, nie schwülstig, sonst mit einem guten Gespür für das rechte Maß an Emotionen, das die Figuren brauchen, um lebendig zu wirken.
Ich hoffe stark auf eine Fortsetzung mit 3. Band!!