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Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 07.04.2025
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


ausgezeichnet

*Ein fesselnder Spannungsroman über Kunst und Obsession*
"Die blaue Stunde" von der britischen Autorin Paula Hawkins ist ein fesselnder psychologischer Spannungsroman, der uns auf eine abgelegene schottische Gezeiteninsel entführt.
In ihrer sehr atmosphärischen Geschichte erzählt sie über künstlerisches Vermächtnis, Vereinsamung und unheilvolle Geheimnisse und beleuchtet zudem gekonnt die Komplexität menschlicher Beziehungen sowie die labilen Grenzen zwischen Realität, Wahrnehmung und Obsession.
Hawkins' ansprechende Erzählweise und ihr Talent, komplexe Charaktere zu erschaffen, sorgen nicht nur für ein spannendes Leseerlebnis, sondern regen mit der gelungenen tiefgründigen Erforschung der Abgründe der menschlichen Psyche auch zum Nachdenken an.
Die Geschichte kreist um die verstorbene, enigmatische Künstlerin Vanessa Chapman, deren Werke nach ihrem Tod zu großem Ruhm gelangt sind. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der promovierte Kunsthistoriker und Kurator der Fairburn-Stiftung James Becker, der die bemerkenswerte Kunstsammlung mit den Werken von Vanessa Chapman betreut. Chapman war nicht nur für ihr außergewöhnliches Talent und ihre glamouröse Persönlichkeit bekannt, sondern auch für ihr geheimnisumwobenes Leben auf der abgelegenen schottischen Gezeiteninsel Eris.
Als bei einer Ausstellung in einer von Chapmans berühmten Skulpturen ein mutmaßlich menschlicher Knochen entdeckt wird, gilt es einen möglichen Skandal abzuwenden. Dieser Fund droht nicht nur Chapmans Vermächtnis zu beschädigen, sondern könnte auch die Reputation der Stiftung in Misskredit bringen und sogar Beckers Karriere beenden. Um den Hintergründen auf die Spur zu kommen und Licht ins Dunkel zu bringen, reist Becker kurzentschlossen nach Eris Island, wo Chapmans ehemalige Freundin und Pflegerin Grace Haswell noch lebt und eine Hüterin der letzten Geheimnisse der Künstlerin zu sein scheint. Noch ahnt Becker nicht, auf welche heikle Spurensuche er sich begeben hat und welche fatale Ereigniskaskade er in Gang gesetzt hat.
Gekonnt erschafft Hawkins eine dichte, geheimnisvolle Atmosphäre und lässt uns immer tiefer in eine unheilvolle Welt voller Geheimnisse und dunkler Wahrheiten eintauchen.
Geschickt hat sie die komplexe Handlung auf verschiedenen Zeitebenen angelegt und sorgt dafür, dass wir immer tiefer in den Sog der Ereignisse hineingezogen werden. Hawkins versteht es, Vergangenheit und Gegenwart kunstvoll miteinander zu verweben und erzählt die vielschichtige Geschichte rund um Vanessa Chapman aus wechselnden Perspektiven. Dies ermöglicht es uns, nicht nur die Geschehnisse aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, sondern auch immer tiefer in Vanessas Kunst und ihr Lebensumfeld einzutauchen. Nach und nach enthüllen wir die dunklen Geheimnisse um ihre Person und ergründen ein komplexes Geflecht aus Intrigen und Emotionen, das die Geschichte zunehmend in eine düstere Stimmung taucht.
Hawkins' besondere Stärke sind ihre vielschichtigen, tiefgründigen Charaktere. Insbesondere die pensionierte Ärztin Grace Haswell ist sehr faszinierend gezeichnet. Sie entwickelt sich im Laufe des Romans von einer einsamen, bemitleidenswerten Figur zu einer Frau mit überraschenden Facetten. Langsam wird ihre komplexe Persönlichkeit enthüllt, die neben großem Mitgefühl auch erschreckend dunkle Seiten ihrer Seele erkennen lässt. Vanessa Chapman, wir nur durch rückblickende Erinnerungen und Tagebucheinträge kennen lernen, ist eine facettenreiche Figur, deren schillernde Persönlichkeit in ihrem künstlerischen Schaffen, ihren Affären und eigenen Geheimnissen spürbar wird. Ebenfalls ein interessanter Charakter ist James Becker, der zunächst ein glühender Verehrer der Künstlerin im Laufe seiner Nachforschungen zunehmend seine Bewunderung verliert und ihrer geheimnisvollen Persönlichkeit schließlich ernüchtert gegenübersteht.

In ihrem Roman erforscht die Autorin Obsession in ihren vielfältigen Formen und hinterfragt die Natur der Kunst, den Preis des Ruhms und die Grenzen, die Menschen zum Schutz ihres Vermächtnisses zu überschreiten bereit sind.
Hervorragend gelungen sind die lebendigen, eindrucksvollen Beschreibungen von Vanessas Kunstwerken, so dass man sich wünscht, diese fiktiven Stücke mit eigenen Augen zu sehen. Die Autorin fängt die Essenz kreativer Leidenschaft sehr anschaulich ein und lässt uns sehr unmittelbar an der Begeisterung, Frustration und Besessenheit als künstlerischer Antriebsfeder teilhaben.
Hawkins schafft es, uns im lange Zeit Ungewissen zu lassen, bis man schließlich ahnt, worauf alles hinausläuft. Durch einige unvorhersehbare Wendungen bleibt der Spannungsbogen bis zum packenden Finale hoch.
Trotz gelegentlicher Längen im Mittelteil und einiger etwas blasser Nebenfiguren ist der Roman ein beeindruckendes und fesselndes Werk, das zum Nachdenken anregt.
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Bewertung vom 24.03.2025
Nowoczin, Kristina

The Modern Taste of Ayurveda


ausgezeichnet

*Inspirierendes Ayurveda-Kochbuch für Einsteiger*
In ihrem inspirierenden, kürzlich beim ZU-Verlag erschienenen Kochbuch „The Modern Taste of Ayurveda – Wohltuende Rezepte im Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten“ präsentiert uns Kristina Nowoczin - eine zertifizierte Ayurveda-Ernährungsberaterin und Gründerin von "Masala Love"- ihre eigene moderne Interpretation der ayurvedischen Ernährungsweise.
Sie lädt uns nicht nur ein diese einzigartige Kochkunst zu entdecken, sondern auch im bewussten, jahreszeitlichen Einklang mit der Natur zu leben und mehr Vitalität und Ausgeglichenheit in unseren Alltag zu bringen.
Basierend auf umfangreichem Wissen und vielfältigem Erfahrungsschatz vermittelt die Autorin in ihrem Buch eine gelungene Mischung aus theoretischem Hintergrundwissen inklusive der spirituellen und gesundheitlichen Grundlagen und praktischen Aspekten der modernen Ayurveda-Küche. Wichtig ist ihr vor allem die Einfachheit und Alltagstauglichkeit ihrer Gerichte, die unabhängig von der individuellen Dosha-Konstitution sind, und hierdurch auch für Einsteiger geeignet sind.
In dem kurzen, aber informativen Einleitungsteil AYURVEDA BASICS erhalten wir eine übersichtliche und anschauliche Einführung in die Grundprinzipien der ayurvedischen Lehre und Ernährung. Nowoczin gelingt es sehr gut, die komplexen ayurvedischen Konzepte und ihre Bedeutung für die Gesundheit verständlich darzustellen, so dass auch Neueinsteiger ohne große Vorkenntnisse einen guten Einstieg finden.
Danach schließt sich der eigentliche Hauptteil REZEPTE IM JAHRESVERLAUF an, der zunächst mit einer kurzen Zusammenstellung von Grundrezepten beginnt. Mit über 90 vegetarischen und veganen Gerichten findet sich eine beeindruckende Vielfalt an leckeren, alltagstauglichen Rezepten, die auf saisonale Zutaten abgestimmt sind und zeigen, dass gesunde ayurvedische Ernährung weder langweilig noch aufwendig sein muss.
Die abwechslungsreiche Rezeptsammlung folgt einem saisonalen Ansatz und ist in die vier Jahreszeiten gegliedert, die dann entsprechend der Tageszeiten in die Abschnitte Frühstück, Mittag, Abend sowie Sweets & Getränke unterteilt sind. Von Frühstücksideen wie kreative Porridge-Variationen über sättigende Suppen und Salate, leckere Gemüsegerichte zum Abend bis hin zu Snacks und süßen Gaumenfreuden.
Die sehr übersichtliche Gliederung der Rezepte erleichtert den Zugang zur ayurvedischen Küche und die ansprechenden Gerichte machen Lust aufs Nachkochen – da fällt die Entscheidung, welches der köstlichen Rezepte man zuerst ausprobieren möchte, gar nicht so leicht. Zudem findet man saisonale Masala-Kompositionen, die speziell auf jede Jahreszeit abgestimmt sind und zu kreativen Küchenabenteuern inspirieren.
Die Rezepte sind so konzipiert, dass sie für alle Dosha-Typen geeignet sind, so dass eine individuelle Anpassung an spezifische gesundheitliche Bedürfnisse oder Dosha-Ungleichgewichte hier nicht thematisiert wird.
Das Buch richtet sich daher primär an Einsteiger ohne spezifische Ayurveda-Kenntnisse und weniger an fortgeschrittene Ayurveda-Köche, die tiefere Einblicke suchen.
Für alle Rezepte werden hauptsächlich frische, unverarbeitete Lebens- und Grundnahrungsmittel verwendet, die viel Prana (Lebensenergie) enthalten und somit das Wohlbefinden fördern. Einige eher ungewöhnliche Zutaten könnten allerdings etwas schwer erhältlich sein – hier wären alternative Vorschläge wünschenswert gewesen.
Zu jedem Rezept findet sich eine übersichtliche Zutatenliste (in der Regel für 2 Portionen), verständlich beschriebene Zubereitungsschritte und hilfreiche Tipps für Serviervorschläge. Abgerundet wird es durch ein ganzseitiges, sehr appetitanregendes Foto vom Gericht. Die Zubereitung der kulinarischen Köstlichkeiten ist in der Regel nicht allzu aufwändig, erfordert aber teilweise schon gewisse Kochkenntnisse, was für absolute Anfänger eine Herausforderung darstellen könnte..
Die gelungene Gestaltung des Buchs besticht durch ihre Übersichtlichkeit und optische Attraktivität. Besonders hervorzuheben ist das sehr ansprechende Food-Design. Die Autorin selbst hat die Bebilderung mit meist ganzseitigen, natürlich wirkenden und appetitanregenden Fotografien übernommen. Diese hochwertige visuelle Präsentation unterstreicht eindrucksvoll den Inhalt.
Am Ende des Buchs findet sich noch ein übersichtliches alphabetisches Sach- und Rezeptregister, das einem das Auffinden der Rezepte, aber auch der Zutaten und vieler im Text erwähnten Begriffe erleichtert.

FAZIT
Ein inspirierendes und informatives Kochbuch, das die ayurvedische Ernährung auf moderne und alltagstaugliche Weise interpretiert - mit verständlichen Erklärungen der ayurvedischer Prinzipien und köstlichen, abwechslungsreichen Rezeptideen, die sich an den Rhythmen der Tages- und Jahreszeiten orientieren!
Sehr empfehlenswert für alle, die sich für die alte Heilkunst Ayurveda sowie ganzheitliche Ernährung interessieren!

Bewertung vom 27.02.2025
Frost, Jesse

Das große Boden-Handbuch


ausgezeichnet

*Ein beeindruckender Leitfaden für nachhaltiges Gärtnern*
In seinem neuen Buch „Das große Bodenhandbuch“ mit dem Untertitel "Regeneratives Gärtnern und ökologischer Gemüseanbau – auch ohne Umgraben" stellt der Autor Jesse Frost eine faszinierende, effektive Methode für den ökologischen Gemüseanbau ohne den Einsatz von Chemikalien oder aufwendige Bodenbearbeitung vor.
Der versierte Landwirt, Biogärtner und Bodenexperte Frost versteht es, sein umfangreiches Fachwissen auf eine verständliche und inspirierende Weise zu vermitteln, so dass gleichermaßen Neulinge und erfahrene Gärtner davon profitieren. Vom Hobbygärtner bis zum professionellen Landwirt – jeder wird hier sicher wertvolle Einsichten und praktische Tipps erhalten.
Er präsentiert uns eine umfassende Anleitung zur nachhaltigen Bodenbewirtschaftung und stellt dabei die Kernprinzipien der regenerativen Landwirtschaft in den Mittelpunkt. Die Basis seiner No-Till-Methode, die den Boden als lebendiges Ökosystem betrachtet, seine natürliche Struktur verbessert und Biodiversität fördert, liegt in drei einfachen, aber wirkungsvollen Grundsätzen: 1. minimale Bodenbearbeitung, 2. maximale Bodenbedeckung und 3. kontinuierliche Bepflanzung.
Durch die Anwendung dieser drei, im Umgang mit Böden zentralen Prinzipien wird ein gesundes Bodenumfeld geschaffen, das Pflanzen auf natürliche Weise vor Krankheiten und Schädlingen schützt und dadurch langfristig für gesunde Ernten und ökologische Stabilität sorgt.
In seiner Einführung stellt uns Frost die faszinierende Welt der Bodenökologie vor. Sehr verständlich und anschaulich erläutert er die wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mikroorganismen, Pflanzen und Nährstoffen. Frost vermittelt nicht nur fundiertes Wissen zur Bodenökologie, sondern auch ein ganzheitliches Verständnis des Bodens als lebendiges Ökosystem. Dabei zeigt er auf, wie auch unsere tägliche Gartenarbeit in größere ökologische Zusammenhänge eingebettet ist.
Äußerst hilfreich sind vor allem die detaillierten Anleitungen zur praktischen Umsetzung der No-Till-Methode.
Schritt für Schritt erläutert Frost die effektive Verwendung verschiedener Mulchmaterialien wie Stroh, Holzschnitzel oder Gründüngung sowie die richtige Herstellung und korrekte Anwendung von hochwertigem Kompost, um die Bodenfruchtbarkeit zu steigern. Zusätzlich werden Themen wie Mischkultur, erfolgreiche Direktsaat und effiziente Fruchtwechsel ohne Umgraben behandelt. Strategien zur Kombination verschiedener Pflanzenarten werden vorgestellt, um Synergien zu nutzen und Schädlingsbefall zu minimieren. Ausführlich erklärt er auch die Bedeutung von Zwischenfrüchten und die optimale Nutzung der Gründüngung.
Das Buch gibt auch Einblicke in die besten Werkzeuge und Techniken für diese Anbaumethode sowie detaillierte Anleitungen für den Anbau verschiedener Gemüsesorten. Obwohl man sich auf sieben Hauptgemüsesorten konzentriert hat, sind die vorgestellten Prinzipien und Techniken natürlich auf eine Vielzahl von Anbausystemen übertragbar.
Außerdem findet man noch viele Tipps und Tricks zum ersten Anlegen von No-Till-Beeten und eine praktische Übersicht, welche Pflanzen nebeneinander gut gedeihen.
Sehr gefallen hat mir Frosts sympathische, ehrliche Art, die dem Buch eine ganz persönliche und sehr authentische Note verleiht. Offen erzählt er in seinen Geschichten über seine eigenen Erfahrungen und Erfolge, aber er auch seine Fehler und Misserfolge.
Trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse über Bodengesundheit warnt er vor einer allzu dogmatischen Herangehensweise und plädiert für eher pragmatische Ansätze.
Frost ermutigt uns, die bodenschonende Anbaumethoden an lokale Gegebenheiten anzupassen, selbst zu experimentieren und aus eigenen Erfahrungen zu lernen. Wichtig auf dem Weg zu gesunden und ertragreichen Ernten ist ein kontinuierlicher Lernprozess im Einklang mit der Natur und nicht das Streben nach Perfektion.
Das Buch besticht durch seine gelungene visuelle Gestaltung, die zum wiederholten Durchblättern einlädt.
Ein besonderer Blickfang sind die ansprechenden Fotografien und stimmungsvollen Momentaufnahmen von Frost, die den Inhalt hervorragend veranschaulichen. Auch die wunderschönen Illustrationen seiner Partnerin Hanna Crabtree untermalen perfekt den Text und die darin vorgestellten Konzepte.
Abgerundet wird das Werk in den Anmerkungen im Anhang mit Quellenverweisen, ein kurzes Autorenportrait sowie Verweise auf weitere Lesetipps zur Thematik.

FAZIT
Ein umfassender Ratgeber für alle, die sich für regenerative Landwirtschaft und ökologisches Gärtnern interessieren. Mit einer gelungenen Mischung aus fundiertem Wissen zur Bodenökologie und praxisnahen Anleitungen bietet es eine inspirierende Vision für einen respektvollen und nachhaltigen Umgang mit dem Boden. Ein unverzichtbares Werk für jeden, der einen Beitrag zur Verbesserung der Boden- und Wasserqualität, zur Förderung der Biodiversität und zum Klimaschutz leisten möchte.

Bewertung vom 23.02.2025
Goby , Valentine

Über allen Bergen


sehr gut

*Beeindruckender, sehr atmosphärischer Roman*
Der tiefgründige, sehr atmosphärische historische Roman "Über allen Bergen“ von der französischen Autorin Valentine Goby ist ein beeindruckendes Werk, das uns in die majestätische Welt der französischen Alpen entführt.
Die Autorin erzählt eine zutiefst menschliche, berührende Geschichte rund um den jungen jüdischen Flüchling Vadim während des Zweiten Weltkriegs. Zugleich ist es aber auch eine wundervolle Hommage an die faszinierende Kraft der Natur und die menschliche Widerstandsfähigkeit..

Angesiedelt in einer historisch bedeutsamen Zeit im Jahr 1943 folgen wir dem Schicksal des zwölfjährigen jüdischen Protagonisten Vadim aus dem besetzten Paris. Sowohl zur Verbesserung seines Asthmas als auch aus Sorge vor der Verfolgung durch die Nazis wird er mitten im Winter in ein kleines Dorf in einer entlegenen Bergregion bei Chamonix geschickt. Fernab der Zivilisation und des grausamen Kriegs findet Vadim, der in seiner neuen Heimat vorsorglich den Namen Vincent trägt, Zuflucht und kann ein neues Leben in Sicherheit beginnen. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebt er inmitten der unwirtlichen, winterlichen Bergwelt die überwältigende Präsenz der Berge. Anschaulich und sehr beeindruckend fängt die Autorin die Einzigartigkeit der alpinen Landschaft ein und lässt uns an seinem Staunen über die die Stille und Klarheit der Bergwelt und der Ehrfurcht vor den Gewalten der Natur teilhaben. Goby beschreibt sehr einfühlsam seine allmähliche Anpassung an diese karge und raue Umgebung, den neuen arbeitsreichen Lebensalltag und das Einleben in sein neues Zuhause, einer einfachen, aber sehr warmherzigen Bauernfamilie.
Gekonnt präsentiert Goby die Bergwelt als nährenden, Trost spendenden und schützenden Raum, der für Vadim trotz der harten Bedingungen zu einem Zufluchtsort wird und ihm ermöglicht allmählich eine neue Identität anzunehmen. Zugleich beschwört sie subtil geschickt ein unheilvolles Spannungsfeld herauf, indem sie die bedrohlichen Gefahren durch den Krieg allmählich selbst die friedliche Bergwelt erreichen lässt, bis schließlich die harte Realität Vincent einholt.
Hervorragend hat mir die sympathische Hauptfigur Vincent und seine beeindruckende persönliche Entwicklung gefallen, die sehr vielschichtig und lebensnah portraitiert ist. Einfühlsam schildert Goby, wie es ihm gelingt, nicht nur körperlich und seelisch zu heilen, sondern auch seine Erinnerungen an sein früheres Leben zeitweise zu vergessen und schließlich seine traumatische Entwurzelung zu überwinden.
Allerdings erscheinen mir einige seiner tiefgründigen Betrachtungen für einen Jungen seines Alters eher unglaubwürdig. Auch ihre faszinierenden Nebenfiguren hat Goby sehr lebendig angelegt, so dass sie das harte Leben im Bergdorf authentisch zum Leben erwecken.
Ob nun seine herzensgute Ersatzmutter Blache, die junge Moinette, die Vincent die Alltagsverrichtungen und die pragmatische Lebensweise in den Bergen näherbringt oder der blinde Martin, der die Welt lediglich durch Geräusche, Gerüche und Berührungen wahrnimmt – all diese Charaktere tragen dazu bei, ein facettenreiches Bild der dörflichen Gemeinschaft zu zeichnen.

Gobys Schreibstil ist außergewöhnlich einfühlsam, bildhaft und atmosphärisch.
Ein besonderes Highlight des Romans sind die eindrücklichen Naturbeschreibungen und ausgezeichneten Schilderungen der sich wandelnden Jahreszeiten in den Bergen. Wortgewaltig und mit poetischen Nuancen fängt sie den Zauber der Berge sowie die Schönheit und Härte der alpinen Natur ein. So fühlte ich mich unmittelbar in die unwirtliche Bergwelt hinein versetzt, konnte die schneidende Winterkälte spüren, den herrlichen Duft der Frühlingsblumen riechen und die Wärme der Sommersonne auf der Haut fühlen. und die Kraft der Natur im Wechsel der Jahreszeiten förmlich spüren.

Obwohl die Geschichte in den 1940er Jahren während des Zweiten Weltkriegs spielt, behandelt der Roman mit der heilenden Kraft der Natur, der Widerstandskraft des menschlichen Geistes und der Fähigkeit, selbst unter schwierigsten Umständen Geborgenheit, Schönheit und Hoffnung zu finden, auch zeitlose Themen, die heute noch relevant sind.

Bewertung vom 19.02.2025
Rademacher, Cay

Nacht der Ruinen


ausgezeichnet

*Gelungene Geschichtsvermittlung im Krimigewand*
"Nacht der Ruinen" ist ein fesselnder historischer Kriminalroman von Cay Rademacher, der uns in die apokalyptische Welt des zerbombten Kölns in den letzten Kriegstagen des März 1945 entführt.
Rademacher verwebt geschickt seinen spannenden Kriminalfall mit dem beeindruckenden Porträt einer völlig zerstörten Stadt, in der eine gezeichnete und demoralisierte Bevölkerung in Trümmern haust und auf bessere Zeiten hofft.
Es entfaltet sich eine eindrucksvolle Geschichte mit Einblicken in eine durch die Nazi-Diktatur und den Krieg gezeichnete Metropole und einer Gesellschaft am Abgrund.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der junge US-amerikanische Soldat Joe Salmon, der in seine Geburtsstadt Köln zurückkehrt, aus der er 1938 aufgrund seiner jüdischen Wurzeln fliehen musste. Sein offizieller Auftrag, den Mord an einem über der Stadt abgeschossenen amerikanischen Piloten aufzuklären, bildet den Ausgangspunkt für seine Ermittlungen. Gleichzeitig versucht Joe heimlich, das Schicksal seiner einstigen Jugendfreunde - seiner heimlichen Liebe Hilda und seinem jüdischen Freundes Jabuk – zu ergründen, die er bei seiner Flucht aus Deutschland zurückgelassen hatte.
Mit seinem bildhaften, lebendigen Schreibstil gelingt es Rademacher hervorragend, ein stimmiges, authentisches Bild der zerstörten Schauplätze und erschütternden damaligen Zustände zu vermitteln. Eindrucksvoll führt er uns nicht nur die Schrecken des Krieges vor Augen, sondern auch den Zusammenbruch einer ganzen Gesellschaft. Sehr anschaulich portraitiert er die Stadt in Trümmern, geprägt von Hunger, unfassbarem Leid, unmenschliche Lebensbedingungen, florierende Schwarzmarktgeschäfte und Willkürakten. Geschickt fängt er die ambivalente Stimmungslage der verzweifelten Menschen im Überlebenskampf ein – während die einen trotz gemischter Gefühle einem Neubeginn hoffnungsvoll entgegensehen, begegnen wir anderen, die den alten Werten und NS-Gedankengut immer noch nachhängen und den Krieg längst nicht verloren sehen.
Rademachers Figuren sind sehr vielschichtig und lebensnah ausgearbeitet. Entsprechend ihrer Rollen verkörpern sie sehr glaubwürdig die verschiedenen Facetten der damaligen Nachkriegsgesellschaft -von Widerstandskämpfern und Zwangsarbeitern über Mitläufer bis hin zu überzeugten Nazis. Jeder Charakter trägt dazu bei, ein vielschichtiges Bild der menschlichen Verhaltensweisen in jener bewegten Zeit zu zeichnen. Sehr gelungen sind die Darstellungen der inneren Konflikte und ambivalenten Beweggründe der Charaktere, die zwischen Überlebenswillen, Verdrängung, Schuld, Verantwortung und ihrer Sehnsucht nach Normalität hin- und hergerissen sind. Besonders überzeugend ist auch der facettenreich ausgearbeitete Charakter von Joe, der als Ermittler zwischen militärischer Pflicht und privater Vergangenheitsbewältigung zuweilen moralisch fragwürdige Entscheidungen trifft.
Ein besonderes Highlight ist die Einbettung realer, historischer Persönlichkeiten wie der Kriegsreporter George Orwell, die Schriftstellerin Irmgard Keun sowie der berühmte Politiker Konrad Adenauer, die der eine zusätzliche authentische Note verleihen.
Gekonnt beleuchtet Rademacher in seinem Krimi existenzielle Themen und ergründet die Abgründe menschlicher Moral, die Vielschichtigkeit von Verrat und die Last der Schuld. Einfühlsam thematisiert er zudem die Herausforderungen der Vergangenheitsbewältigung, Aufarbeitung begangenen Unrechts sowie Vergebung und Wiedergutmachung in einer in ihren Grundfesten erschütterten Welt.
Joes vielschichtige Ermittlungen bleiben lange Zeit rätselhaft und undurchsichtig, was die Spannung neben geschickt platzierten Twists und unerwarteten Verwicklungen zusätzlich erhöht. Die Krimihandlung, die gekonnt in den historischen Kontext eingebettet ist, tritt zwar gelegentlich hinter den eindringlichen Schilderungen des Nachkriegsalltags zurück, doch gelingt es dem Autor hervorragend, mit der fesselnden historischen Atmosphäre und kriminalistischer Spannung bis zur letzten Seite zu fesseln. Am Ende fügen sich in der Auflösung alle Puzzleteilchen zu einem schlüssigen und überzeugenden Gesamtbild zusammen.
FAZIT
Ein gelungener historischer Kriminalroman – mit spannender Mordermittlung, authentischem Portrait des zerstörten Kölns und tiefen Einblicken in menschliche Abgründe.
Ein packendes Leseerlebnis, das Geschichte lebendig werden lässt und zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 14.02.2025
Naumann, Kati

Fernwehland


ausgezeichnet

*Eine fesselnde Zeitreise auf den Wellen der Geschichte*
In ihrem fesselnden historischen Roman "Fernwehland" entführt uns Kati Naumann auf eine faszinierende Reise durch die Zeit und nimmt uns mit an Bord der "Astoria -des ältesten noch seetüchtigen Kreuzfahrtschiffs der Welt, das unter wechselnden Namen über siebzig Jahre lang Menschen über die Meere befördert hat.
Gekonnt verwebt die Autorin die Geschichte des Schiffs sowie bedeutsame historische Ereignisse mit den persönlichen Schicksalen seiner Passagiere und Besatzungsmitglieder zu einem vielschichtigen Panorama deutsch-deutscher Vergangenheit, das uns von der Nachkriegszeit über die Teilung Deutschlands und den Kalten Krieg bis in die Gegenwart führt.
So erzählt Naumann nicht nur eine bewegende Familiengeschichte, sondern auch eine beeindruckende Geschichte von Fernweh, Verbundenheit und Heimat, von Einschränkungen, Enttäuschungen und verpassten Chancen.
Die Handlung des Romans ist geschickt auf verschiedenen Zeitebenen angelegt. Im Mittelpunkt der in der Gegenwart angesiedelten Haupthandlung stehen die Stewardess Simone und der Matrose Henri, die eine Kreuzfahrt mit der "Astoria" unternehmen – dem Schiff, auf dem sie sich vor vielen Jahren kennenlernten. Dabei begegnen sie auch der betagten Schwedin Frida, die bereits als Kind die Schiffstaufe miterlebt hat und deren Schicksal ebenfalls eng mit dem Schiff verwoben ist. Parallel zu ihrer spannenden Reise in ihre eigene Vergangenheit und entfaltet sich in Rückblenden auch die faszinierende, bis in die 1940er Jahre zurückreichende Geschichte des Schiffes.
Dank ihres atmosphärisch dichten, sehr bildhaften Schreibstils gelingt es Naumann, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen und uns mitten in das Geschehen hineinversetzen.
Ein besonderes Highlight ist die vielschichtige und liebevolle Charakterzeichnung der Figuren, die sich als komplexe Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten präsentieren, so dass man sich gut in sie hineinversetzen kann. Ob nun die schwedische Zeitzeugin Frida, Simone und Henri oder auch Henris Großmutter Dora – sie alle sind sehr lebensnah und facettenreich angelegte Charaktere, deren persönliche Entwicklung glaubwürdig dargestellt wird. Sehr einfühlsam beleuchtet Naumann die persönlichen Erfahrungen ihrer Protagonisten und spürt ihren vielfältigen Emotionen nach.
So erfahren wir von ihren Sehnsüchten, Träumen und Hoffnungen, die mit dem Schiff verbunden waren, aber auch von den Enttäuschungen und Herausforderungen. Somit wird es auch zum Sinnbild für das Leben selbst – ständig in Bewegung, mal in ruhigen, mal in stürmischen Gewässern.
Äußerst beeindruckend ist Naumanns sorgfältige Recherche der zahlreichen historischen Hintergründe und technischen Details, die geschickt in die Handlung eingeflochten werden und für besondere Authentizität sorgen. Ob nun die anschaulichen Schilderungen der Inneneinrichtung der Astoria, der Kleidermode in den verschiedenen Epochen oder politischer Spannungen während des Kalten Krieges – alles wirkt äußerst greifbar und authentisch, so dass die Szenen mühelos vor dem inneren Auge lebendig werden.
Besonders interessant sind die Einblicke in das Alltagsleben in der DDR und die Bedeutung der Kreuzfahrten für die Bürger des Ostblocks. Naumann zeigt feinfühlig, wie diese Reisen sowohl eine Flucht aus dem Alltag als auch eine Konfrontation mit den Grenzen des politischen Systems darstellten, die teilweise fatalen Auswirkungen auf das persönliche Leben hatten.
Zudem gewährt uns Naumann aufschlussreiche Einblicke in den Wandel der Geschlechterrollen im Laufe der Jahrzehnte.
Durch den geschickten Wechsel zwischen verschiedenen Zeitebenen und Erzählperspektiven sowie gekonnt platzierten Cliffhangern gelingt es Naumann, durchgehend Spannung aufzubauen und die Leser bis zur letzten Seite in ihren Bann zu ziehen

FAZIT
Ein hervorragend komponierter historischer Roman, der zutiefst menschliche Geschichte von Sehnsucht, Freiheit und Verbundenheit erzählt und ein nuancenreiches Bild der deutsch-deutschen Vergangenheit zeichnet.
Ein fesselndes Leseerlebnis, das Geschichte erlebbar macht und zum Nachdenken anregt!

Bewertung vom 14.02.2025
Knöppler, Florian

Kronsnest


ausgezeichnet

*Ein starkes, bewegendes Debüt*
Der historische Roman "Kronsnest" von Florian Knöppler ist ein beeindruckendes literarisches Debüt, das uns vielschichtige Einblicke in die bewegte Zeit der Weimarer Republik während der späten 1920er Jahre gewährt und uns in den faszinierenden Mikrokosmos des holsteinischen Dorfs Kronsnest entführt.
Eindrucksvoll bettet Knöppler das persönliche Schicksal seines jungen Protagonisten Hannes in einen größeren historischen Kontext ein und verwebt es mit den politischen Spannungen und gesellschaftlichen Umwälzungen jener Zeit. Mit viel Feingefühl zeichnet er ein facettenreiches und sehr bewegendes Portrait eines Jungen, der während einer unheilvollen Epoche der deutschen Geschichte zwischen der harten Realität des Landlebens und seinen Träumen gefangen ist.
Im Mittelpunkt der im Jahr 1928 beginnenden Geschichte steht der sensible Bauernjunge Hannes, dessen Leben von den Herausforderungen des bäuerlichen Alltags auf dem kleinen elterlichen Hof in der Elbmarsch geprägt ist, und der sehr unter seinem gewalttätigen Vater und den Schikanen seiner Mitschüler zu leiden hat. Die Handlung erleben wir hauptsächlich aus der Erzählperspektive von Hannes, so dass wir die Geschehnisse und den Wandel seiner kleinen Welt unmittelbar durch den unvoreingenommen Blick des heranwachsenden Jungen erleben können.
Durch gekonnt eingestreute Rückblenden erfahren wir mehr über die Vorgeschichte der Charaktere und die Entwicklung von Kronsnest, wodurch die Handlungen und Beweggründe der Figuren besser nachzuvollziehen sind.
Besonders eindrucksvoll ist Knöpplers bildhafter Schreibstil, der die launischen Kapriolen des Wetters, die raue Schönheit der Landschaft, die landwirtschaftliche Arbeit sowie die Härte des bäuerlichen Alltags lebendig werden lässt.
Die detaillierten Beschreibungen der landwirtschaftlichen Arbeiten, der politischen Entwicklungen und der sozialen Strukturen zeugen von einer ausgezeichneten, akribischen Recherche Knöpplers. Geschickt lässt er das allmählich aufkommende nationalsozialistische Gedankengut in den Köpfen einiger Dorfbewohner in die Handlung einfließen und führt uns anschaulich die alltäglichen Auswirkungen des stärker werdenden Nationalsozialismus im Dorf und in der ländlichen Region Schleswig-Holsteins vor Augen.
Die Schilderung der Landvolkbewegung und der zunehmenden Radikalisierung der bäuerlichen Bevölkerung aufgrund der Weltwirtschaftskrise und der sich verschärfenden Agrarkrise ist äußerst aufschlussreich und historisch fundiert. Dem Autor gelingt es hervorragend, die komplexen sozioökonomischen Faktoren und politischen Spannungen dieser Epoche authentisch und detailgetreu zu vermitteln. Gekonnt beleuchtet der Autor soziale Ungleichheit und Klassenunterschiede im Dorf, die durch die wirtschaftliche Krise immer mehr verschärft werden und zu Spaltungen führen.
Nicht nur bei seinem faszinierenden Protagonisten Hannes, sondern auch bei den Nebenfiguren ist Knöppler eine äußerst tiefgründige Charakterzeichnung gelungen - sie alle sind sehr facettenreich und lebensnah angelegt. Sie durchlaufen im Laufe der Geschichte bemerkenswerte persönliche Entwicklungen und gewinnen mit ihren Hintergrundgeschichten zunehmend an Tiefe. Während Hannes Vater als autoritäre, oftmals gewalttätige und unberechenbare Figur auftritt, bemüht sich die Mutter stets vermittelnd, die familiären Spannungen abzumildern. Äußerst gelungen ist die einfühlsame Darstellung der komplexen Familiendynamik und des schwelenden Generationenkonflikts zwischen Vater und Sohn. Faszinierend ist es mitzuerleben, wie der wissensdurstige Hannes mit der traditionellen bäuerlichen Lebensweise und der Enge des Dorflebens hadert und sein Schicksal meistert.
Eine zentrale Rolle nimmt auch die Freundschaft zwischen Hannes und Mara, der eigenwilligen Tochter eines Gutsherrn ein. Ihre sich langsam entwickelnde Beziehung wird sehr glaubwürdig geschildert und ist geprägt von den sozialen Konventionen der Zeit sowie den persönlichen Problemen der beiden Jugendlichen.
FAZIT
Ein beeindruckender, sehr bewegender historischer Roman und ein bemerkenswertes Debüt, das nicht nur zum Nachdenken über den Stellenwert von Familie, Identität, Selbstbestimmung und Freiheit, sondern auch über eine unheilvolle Epoche der deutschen Geschichte und ihre Relevanz für die Gegenwart anregt.
Sehr lesenswert für historisch interessierte Leser als auch Liebhaber anspruchsvoller Literatur!

Bewertung vom 14.02.2025
Min, Juli

Shanghai Story


gut

*Rückwärts durch die Zeit: Eine Familie im Wandel*
In ihrem interessanten Debütroman „Shanghai Story" erzählt Juli Min die facettenreiche Geschichte einer multikulturellen Familie in Shanghai und beleuchtet dabei die faszinierende Familiendynamik und Herausforderungen, die sie über einen Zeitraum von 26 Jahren prägen. Die Autorin greift zu einem innovativen Kunstgriff, indem sie die Handlung rückwärts erzählt. Diese unkonventionelle Erzählweise sorgt für einen ungewöhnlichen Spannungsaufbau, der uns auf eine fesselnde Reise von der Zukunft im Jahr 2040 zurück durch die Jahrzehnte zu den Anfängen der Beziehung zwischen Leo Yang, einem erfolgreichen Immobilieninvestor, und seiner japanisch-französischen Frau Eko im Jahr 2014 mitnimmt.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Familie Yang mit ihren drei Töchtern Yumi, Yoko und Kiko. Mit jedem neuen Kapitel führt uns Min weiter in die Vergangenheit und enthüllt nach und nach ihr komplexes Familienleben voller Höhen und Tiefen, Verluste und Geheimnisse, die das Schicksal dieser Familie über die Jahre hinweg geformt haben. Neben den Perspektivwechseln zwischen den einzelnen Familienmitgliedern kommen vereinzelt auch einige Figuren aus ihrem Umfeld zu Wort, wie der Chauffeur oder das Kindermädchen.
Mins subtile, aber scharfsinnige Beobachtungen eröffnen eindrucksvolle Einblicke in das herausfordernde Alltagsleben der Yangs und die Entwicklung ihrer Charaktere. Dabei eröffnet sie auch faszinierende Perspektiven auf die verborgenen Dynamiken und komplexen Realitäten ehelicher und zwischenmenschlicher Beziehungen. Mit feinem Gespür beuchtet sie daneben auch allgemeingültige Themen wie kulturelle Identität, die vielschichtige Natur der Liebe sowie Herausforderungen und Ungerechtigkeiten des Lebens. Zudem widmet sie sich den starken familiären Bindungen, die durch gemeinsame Geheimnisse, Sehnsüchte und Verletzungen entstehen.
Trotz sorgsamer Charakterzeichnung bleiben die Hauptfiguren jedoch seltsam fremd und oft schwer greifbar. Ihre Unfähigkeit zur Kommunikation, ihr unsympathisches Auftreten und ihr bisweilen unverständliches Handeln erschweren es, eine emotionale Bindung zu ihnen aufzubauen. Leo, der charismatische Patriarch der Familie mit tief sitzenden Ängsten und der Sorge um die Zukunft seiner Töchter, Eko, die begabte Künstlerin mit ihrer kulturellen Entwurzelung, sowie die drei Töchter, die ihren Platz in in einer globalisierten Welt suchen – alle kämpfen hinter der Fassade einer wohlhabenden Vorzeigefamilie mit ihren eigenen Sehnsüchten, Hoffnungen und Verletzungen.
Zwischen den drei Schwestern und den Ehepartnern Leo und Eko entwirft Min ein hochkomplexes Beziehungsgeflecht voller unausgesprochener Konflikte und emotionaler Barrieren. Doch selbst retrospektiv bleiben die Gründe für viele dieser Spannungen und der familiären Entfremdung nur teilweise nachvollziehbar. Eindrucksvoll gelingt es Min dennoch, ein psychologisch vielschichtiges Porträt moderner, dysfunktionaler Familienstrukturen.
Während einige Passagen durch poetische Qualität bestechen, leidet der Roman insgesamt unter einem überwiegend nüchternen und stellenweise holprigen Schreibstil, der den Lesefluss hemmt. Dies erschwert es mitunter, sich in die Szenen hineinzuversetzen oder diese lebendig vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Es bleibt unklar, ob diese sprachlichen Schwierigkeiten auf eine möglicherweise mangelhafte Übersetzung zurückzuführen sind.
Trotz der faszinierenden, innovativen Erzählstruktur hinterlässt der Roman bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Er bietet zwar interessante Einblicke in die Beziehungsdynamik einer multikulturellen Familie sowie spannende Enthüllungen familiärer Geheimnisse, doch fehlt ihm ein klarer roter Faden oder ein übergreifender Spannungsbogen. Die Erwartungen auf eine zentrale Enthüllung oder ein prägendes Ereignis, das den Zustand der Familie im Jahr 2040 erklärt, werden leider nicht erfüllt. Stattdessen wirkt der Roman wie eine lose Sammlung von etwas beliebigen Episoden und Anekdoten Familienleben der Yangs über mehrere Jahrzehnte hinweg. Einzelne Geschichten sind durchaus fesselnd, können jedoch nicht vollständig über Schwächen in der Charakterzeichnung und dem Spannungsaufbau hinwegtrösten.

FAZIT
Ein ambitioniertes Debüt mit einer innovativen Erzählstruktur und faszinierenden Einblicken in das Leben einer multikulturellen Familie. Trotz beeindruckender Themenvielfalt und psychologischer Tiefe fehlt es dem Roman jedoch an emotionaler Zugänglichkeit und einem klaren Spannungsbogen.
Ein interessanter Roman für Fans von komplexen Familiengeschichten – wenn auch nicht ohne Schwächen.

Bewertung vom 02.02.2025
Meyer, Kai

Das Haus der Bücher und Schatten


ausgezeichnet

*Ein fesselnder Kriminalroman im Graphischen Viertel*
Mit „Das Haus der Bücher und Schatten“ setzt der deutsche Bestsellerautor Kai Meyer seine faszinierende Reihe über die Geheimnisse des Graphischen Viertels in Leipzig fort. Dieser fesselnde historische Roman ist eine beeindruckende Hommage an die Welt der Bücher, geschickt eingebettet ist in die historische Kulisse der Bücherstadt Leipzig.
Obwohl es sich hierbei bereits um den dritten Band handelt, lässt sich der Roman auch ohne Vorkenntnisse lesen, da jeder der Romane in sich abgeschlossen ist. Für Kenner der Reihe bietet er immer wieder subtile Querverbindungen zu Schauplätzen und Charakteren aus den vorherigen Bänden.
In seinem sehr atmosphärischen und mitreißend erzählten Roman verwebt Meyer gekonnt einen packenden Kriminalfall mit mystischen Elementen und einer bibliophilen Schauergeschichte. Darüber hinaus werden diese gekonnt in einen interessanten, gut recherchierten historischen Kontext eingebettet.
Die vielschichtige Handlung ist diesmal auf zwei Zeitebenen angesiedelt. Sie spielt zum einen 1913 im Baltikum kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 1933 in Leipzig im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung.
Im Mittelpunkt der Leipziger Handlung steht Kommissar Cornelius Frey, der in einem rätselhaften Doppelmord an seinem Polizeikollegen und einem Mädchen, das er die Nacht zuvor vor einem Suizid gerettet hatte, ermittelt. Immer tiefer führen ihn seine Ermittlungen in ein undurchsichtiges Netz aus Okkultisten, Freimaurern und skrupellosen Verschwörern. Die Rückblenden ins Jahr 1913 folgen der jungen Lektorin Paula Engel, die gemeinsam mit ihrem Verlobten Jonathan ins Baltikum reist, um für ihren Verlag das Manuskript eines exzentrischen Schriftstellers abzuholen. Doch schon bald wird klar, dass hinter den alten Mauern des Herrenhauses unheilvolle Geheimnisse lauern.
Meyers lebendiger, bildhafter Schreibstil erschafft eine geheimnisvolle, unterschwellig bedrohliche Atmosphäre, die uns unweigerlich von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht. Auf faszinierende Weise lässt Meyer in seiner atmosphärisch dichten Geschichte Realität und mystische Geschehnisse ineinanderfließen.
Er zeichnet nicht nur ein lebendiges Bild des Leipziger Graphischen Viertels und seiner Bewohner während der Weimarer Republik, sondern vermittelt auch eindringliche Einblicke in jene düstere Zeitepoche des aufkommenden Nationalsozialismus. Besonders beeindruckend sind die detaillierten Beschreibungen der baltischen Winterlandschaft und der beinahe greifbaren, unheimlichen Atmosphäre des dortigen, prächtigen, Herrenhauses. In diesem mysteriösen Ambiente entfaltet Meyer eine packende Geschichte voller verborgener Geheimnisse und rätselhafter Ereignisse, die für enorme Spannung sorgt.
Meyer versteht es hervorragend, seine faszinierenden Hauptfiguren facettenreich und lebendig zu zeichnen. Fesselnd ist Kommissar Freys Kampf, sich trotz Widerstände aus höchsten Positionen in seinen Dienstgrad zurückzukämpfen und die Mordermittlungen zu leiten. Als mutiger, zu allem entschlossener Ermittler ist er bereit, für die Aufdeckung der Wahrheit große Risiken einzugehen.
Sehr gelungen ist ebenfalls die Darstellung der vielen Nebenfiguren, die mit ihren eigenen Geheimnissen zur Komplexität der Handlung beitragen.

Ein besonderes Highlight des Romans ist die Art und Weise, wie Meyer immer wieder die Themen Literatur, Bibliotheken und die magische Macht der Bücher in die geschickt konstruierte Geschichte einwebt.
Die Handlung ist temporeich und packend, wobei sich die Hintergründe der in den zwei Handlungssträngen miteinander verwobenen Ereignisse nur schrittweise erschließen.
Meyer versteht es, durch geschickte Perspektivwechsel und überraschende Wendungen die Spannung aufrecht zu halten. Die fesselnde und sehr mystische Geschichte findet schließlich ein stimmiges Ende, das zum Nachdenken anregt und Raum für weiterführende Gedanken lässt.

FAZIT
Ein faszinierender, vielschichtiger Roman, der Kriminalfall, historische Geschehnisse, Mystik und die Liebe zur Literatur gekonnt verbindet
Ein fesselndes Leseerlebnis mit einer beeindruckend dichten Atmosphäre, das allen Bücherliebhabern wärmstens empfohlen werden kann.

Bewertung vom 02.02.2025
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


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*Ein faszinierender historischer Krimi *
In seinem faszinierenden historischen Kriminalroman »Gefährliche Betrachtungen« entführt uns der deutsch-schweizerische Verleger und Autor Tilo Eckardt in den Sommer 1930 nach Nidden, ein malerisches Fischerdorf auf der Kurischen Nehrung.
Mit der originellen Ausgangsidee für seine unterhaltsame Geschichte und einer reizvollen Mischung aus historischem Roman, Kriminalfall und humorvollen Episoden zudem gewürzt mit herrlich amüsanter Situationskomik begeistert er von der ersten Seite an.
Eckhardt hat mit dem berühmten Schriftsteller Thomas Mann eine historische Persönlichkeit als Hauptfigur auserkoren und lässt ihn gemeinsam mit einer fiktiven Figur, dem litauischen Übersetzer Zydrunas Miuleris in einem mysteriösen Kriminalfall ermitteln. Geschickt verwebt er sorgsam recherchierte historische Fakten mit fiktiven Elementen zu einer fesselnden Geschichte.
Dieser vielschichtige Roman ist jedoch weit mehr als ein spannender historischer Krimi, sondern auch eine wundervolle Hommage an Thomas Mann und sein umfassendes Werk sowie eine tiefgründige Erzählung über Freundschaft, Courage und Zuversicht in Zeiten heraufziehender Gefahren und bedrückender, politischer Umbrüche.
Im Mittelpunkt der zunächst sich bedächtig anlassenden Handlung steht der berühmte Schriftsteller und frisch gebackene Nobelpreisträger Thomas Mann, der mit seiner Familie das neu errichtete Sommerhaus bezieht, und dort im Geheimen an einer bedeutsamen Rede arbeitet, mit der der besorgte Dichter das deutsche Volk vor dem aufkommenden Nationalsozialismus und seinen Gefahren warnen möchte. Ein weiterer Protagonist ist der junge litauische Übersetzer Žydrūnas Miuleris, der ein großer Bewunderer Manns ist und seine Werke ins Litauische übersetzen möchte. Durch eine Verkettung von unglücklichen Verwicklungen verliert Miuleris versehentlich eine von ihm heimlich angefertigte Abschrift des höchst heiklen Redeentwurfs des Schriftstellers. In falschen Händen könnten diese den Dichter in große Schwierigkeiten bringen. So nehmen die Geschehnisse ihren Lauf und der verzweifelte Miuleris beginnt gemeinsam mit Thomas Mann weiteren rätselhaften Ereignissen auf den Grund zu gehen.
Äußerst reizvoll und amüsant sind die eingeschobenen Kommentierungen des über 100-jährigen Ich-Erzählers Miuleris, der rückblickend die damaligen Geschehnisse einordnet und sich mit seinen launigen Anmerkungen direkt an uns Leser richtet.
Sehr gelungen ist der eindringliche, etwas antiquiert wirkende und humorvolle Schreibstil, der zwar etwas anspruchsvoll aber sehr ansprechend ist und uns sprachlich ins ausgehende 19. Jahrhundert zurückversetzt.
Eckardt gelingt es meisterhaft, die besondere Atmosphäre des Sommers 1930 in dem idyllischen ostpreußischen Fischerdorf Nidden einzufangen. Gekonnt werden sorgsam recherchierte Fakten zur Geschichte sowie Ereignisse aus Politik und Kunst ins Geschehen eingewoben. Auch die angespannte politische Stimmung der nach der Auflösung des Reichstags im Umbruch befindlichen Weimarer Republik vermittelt er sehr anschaulich und lässt die beginnende Zeit des Nationalsozialismus auf eindrucksvolle Weise lebendig werden. Der Autor zeichnet ein lebendiges, sehr stimmiges Bild der beliebten Sommerfrische und örtlichen Künstlerkolonie.
Hervorragend haben mir zudem die stimmungsvollen Beschreibungen der einzigartigen Landschaft der Kurischen Nehrung mit den Wanderdünen, dem ursprünglichen Wald, der Ostsee und dem vermeintlich friedlichen Haff gefallen.
Die Geschichte lebt vor allem von ihren vielschichtig angelegten und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeiteten Figuren. Hervorragend hat mir neben der sympathische Hauptfigur des jungen Übersetzers Miuleris die facettenreiche Darstellung des weltberühmten Schriftstellers Thomas Mann mit seiner komplexen Persönlichkeit und in seiner Rolle als unfreiwilliger Hobbydetektiv gefallen. Trotz seiner oftmals etwas „weltfremden“ Art offenbart er einen warmherzigen, offenen und humorvollen Charakter. Tief beunruhigt zeigt sich über die politische Lage in Deutschland und die Auswirkungen des aufkommenden Nationalsozialismus auf die Region, die schließlich seine politische Positionierung erfordern.
Die Nebenfiguren sind mit großer Sorgfalt gezeichnet und tragen wesentlich zur Authentizität der Erzählung bei. Von exzentrischen Künstlern, neugierigen Kurgästen, begeisterten Nazisympathisanten über die ortsansässigen Fischern und bis zu den historischen Persönlichkeiten wie die Maler Ernst Mollenhauer und Max Pechstein oder den Fotografen Paul Isenfels – jede Figur fügt der Geschichte eine zusätzliche Nuance hinzu und sorgt für überraschende, oft humorvolle Momente.
Abgerundet wird der Roman durch ein kurzes, aber aufschlussreiches Nachwort, in dem Eckardt die Grenzen zwischen Wahrheit, Fiktion und dichterischer Freiheit erläutert, interessante Hintergrundinformationen zu seinem Roman ausführt sowie gewisse Parallelen zur aktuellen politischen Lage aufzeigt. Zudem schließt sich ein Quellen- und Literaturverzeichnis an.