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Insgesamt 69 Bewertungen
Bewertung vom 24.05.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

*Ein vielschichtiges Porträt von Thomas Mann im Exil*
In seinem neuen Buch „Heimweh im Paradies“ entfaltet Martin Mittelmeier ein vielschichtiges Panorama deutscher Emigrantenkultur in Kalifornien während der 1940er-Jahre. Das Werk präsentiert sich als facettenreiche Darstellung, die das geistige Vermächtnis des berühmten Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann würdigt und zugleich als faszinierendes Zeitdokument die politischen und literarischen Diskurse jener Epoche lebendig einfängt.
"Heimweh im Paradies" ist eine äußerst gelungene Mischform zwischen informativem Sachbuch und unterhaltsamen Roman. Mittelmeier gelingt es hervorragend, historische Fakten, fiktionale Dialoge und biografische Einblicke miteinander zu verflechten. Geschickt wechselt er zwischen knappen, fast protokollartigen Schilderungen und stimmungsvollen Beschreibungen und verwebt gekonnt historische Zitate aus Korrespondenzen mit fiktiven Szenen.
So erhalten wir einen vielschichtigen Einblick nicht nur in das Leben deutschsprachiger Intellektueller im Exil, sondern auch der multinationalen kulturschaffenden Community, die sich rund um den ambivalenten Sehnsuchtsort Los Angeles nieder gelassen hat.

Anschaulich beschreibt Mittelmeier das vermeintliche Paradies an der Pazifikküste als Ort vieler Widersprüche: Neue Inspirationen und künstlerische Freiheit, die kreative Kräfte freisetzen, stehen traumatischen Erinnerungen, beunruhigenden Nachrichten aus Europa gegenüber, aber auch sprachliche Barrieren, finanzielle Herausforderungen und kulturelle Entwurzelung manch lassen einen resignieren. Eindrucksvoll zeichnet er nach, wie Thomas Manns Villa in Pacific Palisades einerseits ein sicherer Rückzugsort wird und andererseits ein Schauplatz intensiver Selbstreflexion und Rückbesinnung. Thomas Manns berühmter Satz "Wo ich bin, ist Deutschland" wird somit zur programmatischen wie melancholischen Aussage. Nuanciert beleuchtet Mittelmeier in verschiedenen Episoden Heimatverlust, die Suche nach Identität im Exil, intellektuelle Differenzen und politische Verantwortung.
Der Autor versteht es hervorragend, das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen prominenten Exilanten wie beispielsweise Arnold Schönberg, Bertolt Brecht oder Theodor W. Adorno, deren unterschiedliche Weltanschauungen bei privaten Zusammenkünften häufig zu politischen und persönlichen Konflikten führten. Besonders eindrücklich ist die lebendige Darstellung von ideologischen Grabenkämpfen gelungen, bei denen sich bei der Frage nach Deutschlands Zukunft nach Hitler und einer neuen demokratischen Weltordnung heftige Rivalitäten und unüberwindliche Differenzen zeigen.
Mittelmeier zeichnet eindrucksvoll Thomas Manns Entwicklung vom gefeierten Literaturnobelpreisträger zur einflussreichen Symbolfigur nach. Anschaulich zeigt Mittelmeier Manns faszinierende Gegensätzlichkeiten auf – einerseits galt er als ein gesellschaftlicher Mittelpunkt und Führerpersönlichkeit, andererseits hatte er wie viele Emigranten mit starken Selbstzweifeln und kultureller Entfremdung zu kämpfen.
Eine zentrale Rolle spielt auch die Entstehung des bedeutenden Werks "Doktor Faustus", in dem Mann versucht, die tief in der deutschen Kultur verwurzelten Ursachen des Nationalsozialismus offen zu legen. Mittelmeier zeigt, wie Mann durch die Arbeit an dem Roman sich nicht nur mit der deutschen Vergangenheit und Geschichte im Exil auseinandersetzt, sondern immer wieder seine persönliche Identität als Künstler und Exilant kritisch hinterfragt.

Obwohl die Fülle an Details und der Wechsel der unterschiedlichen Perspektiven bisweilen sehr herausfordernd ist, bietet das Buch insgesamt aber eine fesselnde und sehr facettenreiche Darstellung von Thomas Manns kalifornischem Exil, die zu weitergehenden Studien anregt.

FAZIT
Ein fesselnder und sehr informativer Beitrag zur Würdigung von Thomas Mann anlässlich seines 150. Geburtstags, der interessante Einblicke auf einen bedeutenden Abschnitt seines Lebens und Schaffens bietet. Eine grandiose, empfehlenswerte Zeitreise und eine gelungene Mischung aus historischer Genauigkeit und literarischer Freiheiten!

Bewertung vom 22.05.2025
Schroeder, Steffen

Der ewige Tanz


sehr gut

*Fesselndes Porträt von Anita Berger - Ein Leben wie ein Tanz auf dem Vulkan*
In seiner Romanbiografie „Der ewige Tanz“ portraitiert Autor und Schauspieler Steffen Schroeder das kurze, bewegte Leben der für ihre innovativen Tanzperformances berühmte Tänzerin Anita Berber (1899–1928) an, die als eine sehr ikonische und polarisierende Figur der Weimarer Republik gilt.
Anita Berbers provokante Erscheinung und skandalträchtige Lebensweise sorgte für Aufsehen und machte sie zu einer Symbolfigur des rebellischen Zeitgeists und einer Epoche des Umbruchs. Ihr Leben war geprägt von Höhen und Tiefen, von Exzessen und Tabubrüchen. Ihr unkonventioneller, androgyner Look, ihre Nackttänze, exzessiver Drogenkonsum und offen gelebte Bisexualität brachen mit den damaligen gesellschaftlichen Normen und machten sie zu einer Vorreiterin ihrer Zeit, indem sie stets die Grenzen der Kunst und Moralvorstellungen herausforderte.
Der Roman verwebt historische verbürgte Begebenheiten und Fakten mit erzählerischer Freiheit, um das Porträt dieser ebenso faszinierenden wie innerlich zerrissenen Persönlichkeit zu zeichnen.
Die Handlung, die im Juli 1928 einsetzt, als Berber von der Schwindsucht schwer gezeichnet im Berliner Bethanien-Krankenhaus liegt, entfaltet sich in verschiedenen episodischen Rückblenden als ein vielschichtiges Mosaik aus Erinnerungssplittern. Die sprunghafte Chronologie kann mitunter anstrengend und verwirrend wirken, was den Lesefluss insgesamt etwas beeinträchtigt.
Mit seinem ansprechenden, bildhaften Schreibstil gelingt es Steffen Schroeder rasch, uns auf eine faszinierende Zeitreise in die Welt der Goldenen Zwanziger Jahre mitzunehmen – eine widersprüchliche Epoche im ständigen Wandel, die einerseits zwischen Armut, gesellschaftlichen Umbrüchen, ungezügeltem Vergnügen und Dekadenz taumelte und auf andererseits rasantem Fortschritt, beispielloser kultureller Aufbruchsstimmung und Innovation.
Wie einzelne Puzzleteile fügen sich die Bruchstücke von Berbers Vergangenheit und ihrer einzigartigen Karriere nach und nach zu einem lebendigen, vielschichtigen Porträt der Künstlerin und ihrer Epoche zusammen. Ob nun kurze Episoden zu ihrer Kindheit bei ihrer geliebten Großmutter Lu, ihren künstlerischen Triumphe oder selbstzerstörerischen Exzesse - diese fragmentarische Erzählweise spiegelt nicht nur eindrucksvoll die Komplexität von Berbers Kreativität und ihrem chaotischen Lebenswandel wider, sondern gewährt uns zudem schlaglichtartig aufschlussreiche Einblicke in die turbulente Atmosphäre der Weimarer Republik. Einfühlsam und facettenreich fängt er nicht nur deren Magie ein, sondern zeigt auch schonungslos ihre Abgründe und dunklen Seiten auf.

Sehr gründlich hat Schroeder das kulturgeschichtliche Umfeld sowie das historische Geschehen jener Zeit recherchiert und anschaulich in die Handlung eingeflochten Er versteht es hervorragend die besondere Ästhetik der wilden Goldenen Zwanziger im pulsierenden Berlin oder Wien einzufangen und ein faszinierendes Panorama der avantgardistischen, künstlerischen Kreise zu entwerfen. Wie kaum eine andere verkörperte Berber durch ihre Kunst, ihren avantgardistischen Stil und ihr exzentrisches Leben den Zeitgeist einer Generation, die traditionelle Moralvorstellungen durch provokative ästhetische Auflehnungen infrage stellte und bei der Tanz als Medium gesellschaftlicher Befreiung fungierte. Hervorragend haben mir vor allem die äußerst plastischen und eindringlichen Schilderungen von Bergers außergewöhnlichen, oft bis an die Grenze zur Nacktheit gehenden Tanzchoreografien gefallen, die ihr leidenschaftliches, künstlerisches Credo wiedergeben und deutlich zeigen, dass sie ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht sogar voraus war. Bergers bahnbrechende Choreografien und sinnliche Darbietungen eröffneten eine innovative Dimension des Tanzes. Ihre künstlerische Vision prägte maßgeblich die Entwicklung des modernen Tanzes und etablierte sie als wegweisende Figur in dieser Kunstform. Ein faszinierendes Highlight ist die mitreißende Darstellung ihres Skandalstücks „Kokain“, bei der Sprache und ekstatische Bewegung zu einer gelungenen Einheit verschmelzen.
Trotz atmosphärischer Dichte bleibt Anita Berber leider als Hauptfigur merkwürdig distanziert und ihre Beweggründe wenig greifbar. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass von Berber selbst wenig persönliches Material überliefert ist, aus dem man mehr über ihre Innenwelt erfahren könnte. Gerne hätte ich noch mehr über ihre inneren Dämonen und die psychologischen Hintergründe für ihre obsessive Hingabe an die Kunst und selbstzerstörerischen Drogenexzesse erfahren.
Durch umfassende Recherchearbeit insbesondere zu bekannten Personen in ihrem Umfeld ist es Schroeder dennoch gelungen, ihre schillernde Persönlichkeit mit ihrer mutigen, provokanten Art aber auch mit all ihren Ängsten und Nöten als gefeierte Künstlerin jener Zeit lebendig und authentisch darzustellen.

Bewertung vom 22.05.2025
Dor, Milo;Federmann, Reinhard

Internationale Zone


sehr gut

*Faszinierendes literarisches Zeitdokument*
In ihrem bemerkenswerten, bereits 1953 erschienenen Roman „Internationale Zone“ zeichnen die beiden Autoren Milo Dor und Reinhard Federmann ein packendes Portrait des Nachkriegs-Wiens. Wir erhalten spannende und wenig bekannte Einblicke in eine noch von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gezeichnete, massiv zerstörte Stadt, die von 1945 bis 1955 stark unter dem Einfluss der internationalen Besatzungsmächte stand. Der Alltag der Bevölkerung, die mit Lebensmittelknappheit und anderen Mangelerscheinungen zu kämpfen hatte, wurde durch die Aufteilung in vier streng voneinander getrennte Besatzungszonen erheblich erschwert.
Der vielschichtige Roman ist ganz im Stil amerikanischer "hard-boiled"-Literatur a la Raymond Chandler verfasst, die sich durch eine desillusionierte, düstere Atmosphäre auszeichnen und in urbanen Großstadtmilieus spielen, die von sozialem Verfall, Gewalt und Kriminalität durchzogen sind. In dieser verkommenen, moralisch ambivalenten Welt gibt es keine klaren Grenzen zwischen Gut und Böse, sondern viele Graubereiche. Auch wenn wir in „Internationale Zone“ keinem zynischen Privatdetektive wie Philip Marlowe begegnen, der ein Verbrechen am Rande der Legalität aufklärt, so treffen wir doch auf einige moralisch fragwürdige Antihelden.
In der Tradition von Chandlers Romanen verknüpfen die Autoren gekonnt eine fesselnde Handlung mit scharfsinniger Gesellschaftskritik und enthüllen dabei ungeschönt die politischen Machenschaften und sozialen Verwerfungen der Besatzungszeit in Wien. Durch detaillierte Beschreibungen tauchen wir allmählich in eine turbulente und herausfordernde Epoche ein, in der chaotische Verhältnisse, Korruption, Kriminalität und moralische Abgründe ihren Höhepunkt erreichten.
Durch diesen ungeschminkten Einblick in die Nachkriegsrealität gelingt es ihnen, nicht nur zu unterhalten, sondern auch ein eindringliches und authentisches Zeitporträt zu zeichnen, das zum Nachdenken anregt.

Die in der sogenannten "Internationalen Zone" im Herzen Wiens angesiedelte Handlung wird nicht chronologisch erzählt, sondern wechselt immer wieder zwischen verschiedenen Zeitenebenen und Perspektiven.
Im Mittelpunkt steht der ehemalige Tierarzt und Kleinkriminelle Boris Kostoff, der nach seiner Haftentlassung versucht, seine alten, zwielichtigen Kontakte in Wien aufzuspüren. In Rückblicken erfahren wir allmählich mehr über seine Verstrickung in allerlei illegale Geschäfte, in deren Fokus der rumänische Schwarzhändler Georges Maine steht, der vom Zigarettenschmuggel bis hin zum Menschenhandel involviert war.
Skrupellose Schwarzmarkthändler, Unterweltler und Spione lavieren geschickt zwischen den Interessenskonflikten der verschiedenen Besatzungsmächte und verstricken sich dabei in ein undurchsichtiges Netz aus illegalen Aktivitäten und Spionage. Auch die westlichen Alliierten und die sowjetischen Truppen sind in die korrupten und kriminellen Machenschaften verwickelt und schlagen Profit aus den illegalen Geschäften. Unglaublich packend ist es mitzuverfolgen, wie das skrupellose Vorgehen der Gruppe zwielichtiger Akteure schließlich zum Verhängnis wird, sie sich in ihren eigenen Intrigen verfangen und schließlich zu Opfern ihrer eigenen Machenschaften und moralischen Verkommenheit werden.
Die Autoren erschaffen ein lebendiges, ungeschöntes Bild von Wien, so dass man sich beinahe körperlich in die zerstörte Stadt und den desolaten Alltag versetzt fühlt.
Die fesselnde Kraft des Romans entfaltet sich vor allem in seiner eindrucksvollen Schilderung der düsteren, beklemmenden Stimmung der Nachkriegszeit; insbesondere die schonungslos realistische Darstellung des Lebens in seiner ganzen Härte und Unbarmherzigkeit ist äußerst glaubwürdig und geht mit seiner Intensität unter die Haut.
Die komplexe und teils zerfaserte Erzählstruktur erschwert es mitunter, der Handlung vollständig zu folgen. Zwar mangelt es den Figuren an emotionaler Tiefe, doch die Autoren nutzen ihre Hintergrundgeschichten geschickt, um die moralischen Herausforderungen in einer Zeit des bloßen Überlebenskampfes eindringlich darzustellen. Allerdings bleibt die Charakterzeichnung etwas schablonenhaft, was es schwierig macht, sich wirklich in die inneren Konflikte der Figuren hineinzuversetzen.
Abgerundet wird der Roman durch ein sehr lesenswertes Nachwort von Günther Stocker, in dem er ausführlich eine interessante historische Einordnung vornimmt und zudem Bezug auf Graham Greenes Der dritte Mann nimmt.

FAZIT
Ein vielschichtiger Roman, der ein düsteres, atmosphärisch dichtes Bild des Nachkriegs-Wiens zeichnet. Mit Anleihen an die „hard-boiled“-Literatur gelingt den Autoren eine spannende Verbindung aus packender Handlung und scharfsinniger Gesellschaftskritik. Die realistische Darstellung von Korruption, Kriminalität und moralischen Abgründen macht den Roman zu einem eindringlichen Zeitporträt, das zum Nachdenken anregt und auch heute noch lesenswert ist.

Bewertung vom 10.05.2025
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

*Schicksale im Schatten des Kanals der Träume*
In ihrem beeindruckenden historischen Roman Der große Riss entführt Cristina Henríquez die Leser in den unberechenbaren Dschungel Panamas zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wo ein gigantisches Bauprojekt nicht nur die Geografie, sondern auch das Leben unzähliger Menschen für immer veränderte.
Vor dem Hintergrund des Baus des legendären Panamakanals, eines der ehrgeizigsten Ingenieursprojekte seiner Zeit, widmet sich Henríquez den Schicksalen jener Menschen, die in den Geschichtsbüchern oft übersehen werden: Arbeiter aus der Karibik, einheimische Fischer und Wahrsagerinnen, Frauen aus Barbados und amerikanische Ärzte.
Die vielschichtige Handlung ist im Jahr 1907 angesiedelt. Mit einem multiperspektivischen Erzählstil gelingt es der Autorin, die persönlichen Schicksale ihrer zahlreichen Charaktere zu einem bewegenden Mosaik zu verweben und zugleich ein facettenreiches gesellschaftliches Panorama zu zeichnen.
Ob nun Francisco, ein panamaischer Fischer, der dem Kanalprojekt kritisch gegenübersteht, und sein Sohn Omar, der sich wegen seiner Arbeit beim Kanalbau mit ihm entzweit, die jungen Ada aus Barbados, die in Panama Arbeit sucht, um das Leben ihrer kranken Schwester zu retten, sowie das amerikanische Ehepaar John und Marian Oswald, die nach Panama kommen um sich der Bekämpfung von Malaria zu widmen oder schließlich der Fischhändler Joaquin, der sich mit seiner Frau einer Protestbewegung gegen die Zwangsumsiedlungen anschließt – ihr Leben wird unweigerlich durch dieses gigantische Infrastrukturprojekt nachhaltig beeinflusst. Der Autorin gelingt es hervorragend, ihren faszinierenden Charakteren eine unverwechselbare Stimme zu verleihen und ihre individuellen Geschichten eindrucksvoll zu einem bewegenden Mosaik zusammen zu fügen.
Schrittweise erhalten wir facettenreiche Einblicke in die damalige multikulturelle Gesellschaft insbesondere in die Schicksale derjenigen, die damals zum Bau kamen, jener, die Widerstand leisteten, sowie derer, die versuchten, das zu bewahren, was rechtmäßig ihnen gehörte.
Mit ihrem lebendigen, detailreichen Schreibstil gelingt es Henríquez hervorragend, die Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts in Panama einzufangen. Dabei verwebt sie nicht nur historische Details rund um den Kanalbau mit den fiktiven Elementen, sondern auch sorgsam recherchierte Fakten über technische Herausforderungen während des Kanalbaus, gesundheitliche Risiken sowie politische Verwicklungen.
Aus den unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet die Autorin die komplexen kulturellen und sozialen Spannungen zwischen Einheimischen und Zuwanderern, die dieses Projekt begleiteten, ebenso wie die Rolle von Frauen in der damals von Männern dominierten Welt sowie die Auswirkungen des Kolonialismus und Imperialismus.
Besonders eindringlich zeigt sie auf, wie wirtschaftliche und geopolitische Interessen sowie das Streben nach technologischem Fortschritt auf Kosten menschlicher Leben und sozialer Gerechtigkeit realisiert wurden.
Henríquez gibt jenen eine Stimme, die im Getriebe bedeutsamer historischer Ereignisse oft ungehört bleiben. Mit großem Feingefühl erzählt sie von den alltäglichen Kämpfen und ihren vergessenen Geschichten,

Die gelungene Verbindung aus sorgfältig recherchierten historischen Fakten, ergreifenden persönlichen Schicksalen und der eindringlichen Darstellung gesellschaftlicher Umbrüche macht den Roman nicht nur unterhaltsam, sondern regt zugleich zum Nachdenken an. Henríquez gelingt es, die komplexen Verflechtungen von Politik, wirtschaftlichen Interessen, Ausbeutung und den dunklen Seiten der menschlichen Natur auf beeindruckende Weise zu beleuchten.

FAZIT
Ein beeindruckender historischer Roman, der Geschichte lebendig werden lässt.

Bewertung vom 10.05.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

*Eine musikalische Liebesgeschichte, die das Herz berührt*
Takis Würgers neuester Roman "Für Polina" ist eine berührende und sehr stimmungsvolle Liebesgeschichte, die uns mit ihrer beinahe märchenhaft anmutenden Atmosphäre auf Anhieb in ihren Bann zu ziehen versteht.
Dieser bewegende Roman erzählt nicht nur eine zarte und tiefgründige Geschichte über Liebe, tragische Verluste, die ungebrochene Hoffnung, die uns auch durch schwere Zeiten trägt, und die heilende Kraft der Musik. Dennoch versteht es Takis Würger, seine Geschichte der großen Gefühle auf eine höchst erfrischende und originelle Art zu erzählen. Ihm ist eine beeindruckende poetische Erzählung über das Leben selbst gelungen, die trotz all ihrer Dramatik durch ihre leisen Töne und die Authentizität ihrer Figuren geradezu spürbar wird und zu überzeugen weiß.
Er hat ein wundervolles literarisches Werk geschaffen, das sich wie eine Melodie in Herz und Verstand einnistet und und nicht mehr loslässt.
Im Mittelpunkt stehen Hannes und Polina, die am selben Tag geboren wurden und deren Leben durch die besondere Freundschaft ihrer Mütter von Geburt an miteinander verbunden sind. Gekonnt lässt uns Würger in eine faszinierende, nostalgisch angehauchte Welt eintauchen, die ein wenig entrückt zu sein scheint.
Die Geschichte beginnt mit der ungewöhnlichen Kindheit von Hannes, der sorglos in einer Villa im Moor aufwächst. Schon früh zeigt sich bei dem eher zurückhaltenden und in sich gekehrten Jungen eine außergewöhnliche musikalische Begabung. Mit 14 Jahren komponiert er als Ausdruck seiner stillen Liebe für Polina eine Sonate, in der er nicht nur seine Gefühle für sie musikalisch zum Ausdruck bringt, sondern ihr ganzes Wesen einfängt. Als Hannes’ Mutter bei einem tragischen Unfall stirbt, wird Hannes nicht nur aus seiner vertrauten Welt im Moor gerissen, sondern verliert auch den Kontakt zu Polina. Der schicksalhafte Verlust wirft Hannes völlig aus der Bahn und lähmt ihn emotional und musikalisch. Erst Jahre später tritt Hannes seine Reise an, zurück zu sich selbst, zur Musik und begibt sich auf die bewegende Suche nach seiner geliebten Polina.
Die Stärke des Romans liegt in seinen wundervollen, faszinierenden Figuren. Würger zeichnet seine Charaktere mit ihren interessanten Ecken und Kanten äußerst tiefgründig und vielschichtig. Sie wirken so authentisch und lebendig, dass man sie förmlich vor sich sehen und beinahe hören und fühlen kann.
Mit seiner stillen, nachdenklichen Art und seiner außergewöhnlichen Inselbegabung ist Hannes ein faszinierender Protagonist, der tief empfindet, aber seine Gefühle selten zeigen, sondern nur in Musik ausdrücken kannn. Hingegen ist die extrovertierte, etwas rätselhafte Polina mit ihrem quirligen, energiegeladenen Auftreten und ihrer ungestillten Neugier auf die weite Welt das genaue Gegenteil von Hannes, was die enge Verbindung zwischen den so unterschiedlichen Charakteren so außergewöhnlich macht.
Ob nun der eigensinnige, aber herzensgute alte Hildebrand, der Hannes in seiner Jugend Halt gibt, sein großherziger Arbeitskollege Bosch mit türkischen Wurzeln oder seine etwas exzentrische, liebevolle Mutter – sie alle sind bemerkenswerte, nahbare Nebenfiguren, die in Hannes' Leben eine wichtige Rolle spielen, und mit ihren Eigenheiten und ihrer Menschlichkeit nachhaltig beeindrucken. Jeder dieser facettenreichen Figutren hat sein eigenes Päckchen zu tragen, macht Fehler und wächst an seinem tragischen Schicksal. Äußerst fesselnd und berührend ist es, sie alle auf ihrer emotionalen Reise zu begleiten.
Mit seinem prägnanten und ausdrucksstarken Schreibstil gelingt es Würger hervorragend, stets den richtigen Ton zu treffen und die vielfältigen Emotionen und Sehnsüchte seiner Figuren mit beeindruckender Intensität und großem Feingefühl einzufangen. Er versteht es hervorragend, Stimmungen wie ein Komponist mit all ihren Zwischentönen einzufangen – mal eindringlich, melancholisch leise und mal humorvoll leicht – und so Hannes' Leben und die Welt der klassischen Musik lebendig werden lassen.
Sehr beeindruckend ist es, wie unglaublich einfühlsam es Würger gelingt, Musik in Worte zu kleiden, so dass man auch ohne besonderes musikalisches Vorwissen die Melodien zwischen den Zeilen erklingen hört.
Im Roman spielt die Musik eine bedeutsame Rolle, die nicht nur das herausragende Talent von Hannes ausmacht. Sie ist vielmehr auch ein zentrales Symbol, das die Charaktere über Zeit und Raum hinweg zu verbinden versteht, ohne Worte auskommt und ihnen als ein universelles Kommunikationsmittel eine Sprache für Unsagbares gibt.

FAZIT
Eine bewegende und ungewöhnliche Lebensgeschichte, die mit viel Feingefühl erzählt wird und dabei auch noch einen faszinierenden musikalischen Zauber entfaltet.
Ein wundervoller Roman zum Genießen und Nachklingenlassen!

Bewertung vom 10.05.2025
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

*Ein humorvoller Blick auf kulturelle Wurzeln und politische Gräben*
Mit seinem neuen beeindruckenden Roman "Russische Spezialitäten" beweist Dmitrij Kapitelman erneut sein Talent, bewegende persönliche und schwierige politische Themen unterhaltsam und höchst humorvoll zu vermitteln.
Eindringlich beleuchtet er aktuelle, vielschichtige Themen wie Familie, Zugehörigkeit, Herausforderungen des Lebens zwischen Kulturen und Entwurzelung sowie politische Spaltung in den angespannten Zeiten des Krieges.
Der 1986 in Kiew geborene Autor, der als Kind mit seiner Familie als jüdische Einwanderer nach Deutschland kam, greift erneut auf Erlebnisse und Erfahrungen aus seiner eigenen Lebensgeschichte zurück und lässt diese in seinen stark autobiografisch geprägten Roman einfließen.

Im Mittelpunkt der zweigeteilten Geschichte steht der junge Protagonist und Ich-Erzähler Dima, dessen ukrainischstämmige Familie in Leipzig einen Laden für russische Spezialitäten betreibt. Seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine befindet sich Dima als explizierter Putin-Gegner in einem unlösbaren Dilemma, denn während er sich mit seiner ukrainischen Heimatstadt Kiew verbunden fühlt, schlägt das Herz seiner geliebten Mutter unverändert für Russland. Der schwelende innerfamiliäre Konflikt führt zu einer wachsenden Kluft zwischen Dima und seiner Mutter, die sich seiner Meinung nach zuviel von russischer Propaganda beeinflussen lässt. In die Rahmenhandlung hat Kapitelman geschickt rückblickende Episoden mit unterhaltsamen Erlebnissen rund um den Laden seiner Eltern eingeflochten.
Im zweiten, deutlich ernsteren und beklemmenderen Teil begleiten wir den Protagonisten auf einer emotional aufreibenden Reise in seine Heimatstadt Kiew, wo er mitten im Kriegsgebiet die entsetzlichen Auswirkungen des Krieges hautnah miterlebt.

Kapitelmans faszinierender Schreibstil zeichnet sich durch eine einzigartige Mischung aus Warmherzigkeit, charakteristischem Humor und originellen Wortschöpfungen aus. Insbesondere seine witzigen Wortspiele und ungewöhnlichen Formulierungen sind Zeichen seiner sprachlichen Kreativität und verleihen seiner Geschichte eine unverwechselbare, lebendige Note.
Trotz der ernsten, nachdenklich stimmenden Thematik gelingt es ihm, tragische Situationen mit urkomischen Elementen zu durchsetzen, und der Geschichte eine angenehme Leichtigkeit zuverleihen, die uns immer wieder schmunzeln lässt.
Der Autor beschreibt einfühlsam die komplexen Familienbeziehungen und Herausforderungen der Migration sowie den alltäglichen Schwierigkeiten, in einem neuen Land fernab der Heimat Wurzeln zu schlagen. Eindringlich widmet er sich der Frage nach kultureller Identität und Zugehörigkeit in einer labilen Welt voller Konflikte, Abgrenzung und Spaltung. Kapitelman gelingt es hervorragend, insbesondere die innere Zerrissenheit vieler Menschen mit multikulturellem Hintergrund authentisch und facettenreich darzustellen. Durch geschickte Perspektivwechsel und eingeschobene innere Monologe fällt es nicht schwer, die Gedankenwelt der Figuren und ihre inneren Konflikte nachzuvollziehen.
Kapitelman zeichnet ein vielschichtiges Bild der komplexen Auswirkungen des russisch-ukrainischen Konflikts auf familiäre Beziehungen. Er veranschaulicht eindringlich, wie politische Ideologien und Propaganda bis in den engsten Familienkreis vordringen und tiefe Gräben zwischen den Familienmitgliedern schaffen können. Am Beispiel des verhärteten Konflikts zwischen Mutter und Sohn gelingt es ihm hervorragend, die schmerzhafte Realität gespaltener Loyalitäten und stark belasteten Familienzusammenhalts in Zeiten geopolitischer Krisen greifbar zu machen.
Zugleich ist es aber auch eine berührende Geschichte über Generationskonflikte und eine Liebeserklärung an die desillusionierten und alternden Eltern, die bei ihrer hoffnungsvollen Suche nach neuer Heimat doch nie ganz angekommen sind. Trotz aller Differenzen unterstreicht Kapitelman sehr gelungen die Bedeutung von Liebe und Verständnis über kulturelle und generationelle Grenzen hinweg.
FAZIT
Ein ebenso bewegender wie unterhaltsamer Roman, der aktuelle politische und persönliche Themen mit Humor und Tiefgang behandelt.
Eine klare Leseempfehlung für alle, die nach einer Geschichte suchen, die zum Nachdenken anregt und gleichzeitig das Herz berührt!

Bewertung vom 10.05.2025
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

*Faszinierendes Portrait einer Kleinstadt im Schatten des Nationalsozialismus*
Mit seinem historischer Roman "Ginsterburg" ist Arno Frank eine eindrucksvolle Darstellung der düsteren Ära des Nationalsozialismus in Deutschland gelungen. Der Autor bietet eine feinfühlige und vielschichtige Erkundung der menschlichen Natur in Zeiten extremer Herausforderungen, schwindender Menschlichkeit und wachsender Skrupellosigkeit in einer von Angst, Opportunismus und ideologischer Verblendung geprägten Gesellschaft.
Der Roman ist geschickt in drei Teile gegliedert, die als Momentaufnahmen aufschlussreiche Einblicke in die Jahre 1935, 1940 und 1945 gewähren.
Angesiedelt in der fiktiven Kleinstadt Ginsterburg zeichnet Frank ein nuanciertes Bild der Gesellschaft unter dem NS-Regime und in den Kriegszeiten über einen Zeitraum von 1935 bis 1945. Durch atmosphärische und detailreiche Schilderung des Alltags in Ginsterburg versteht es Frank hervorragend, eine beklemmende Authentizität zu schaffen, die unter die Haut geht. Eindringlich beleuchtet er die komplexe Realität jener Epoche, die von tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen und vielfältigen moralischen Verstrickungen geprägt war. Aus wechselnden Erzählperspektiven wird die dramatische Entwicklung der Geschehnisse facettenreich dargestellt. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die verwitwete Buchhändlerin Merle, die dem politischen Wandel und neuen Regime sehr skeptisch gegenübersteht, und hilflos zusehen muss, wie die Flugbegeisterung ihren jugendlichen Sohn Lothar in die Fänge der Hitlerjugend treibt.
Eindrücklich zeigt Frank auf, wie der Nationalsozialismus allmählich in alle Lebensbereiche eindringt, die Meinungsfreiheit zunehmend eingeschränkt wird und sich eine neue Ordnung mit einem veränderten Wertekompass etabliert.
Mit beeindruckender Detailgenauigkeit und psychologischem Feingefühl verknüpft Frank die persönlichen Schicksale seiner Charaktere - ihre Träume, Ängste und moralischen Kämpfe - mit den größeren gesellschaftlichen Umwälzungen und verleiht dem historischen Kontext eine zutiefst menschliche Dimension.
Gekonnt portraitiert der Autor die schleichende Veränderung des Alltags, Spaltung des gesellschaftlichen Gefüges, die allmähliche Erosion ethischer Grenzen sowie die unter der vermeintlichen Normalität lauernden Abgründe.
Eine besondere Stärke des Romans liegt in der einfühlsamen Darstellung der faszinierenden Charaktere, die in mit ihren komplexen Persönlichkeiten und Widersprüchlichkeiten sorgfältig und überzeugend ausgearbeitet sind. Hautnah erleben wir die persönlichen Konflikte und moralischen Dilemmata der Figuren mit. Anschaulich füht uns Frank die ganze Bandbreite des Umgangs der Bevölkerung mit den neuen Gegebenheiten in Ginsterburg vor Augen. Diese reicht von opportuner Macht- und Profitgier, über ohnmächtigen Rückzug bis hin zum verzweifeltem Versuch vieler, sich entgegen ihren Überzeugungen anzupassen und Überlebensstrategien in dem gnadenlosen totalitären System zu entwickeln.
Ob nun der opportunistische Blumenhändler Gürckel, der geschickt die Gunst der Stunde für seine Karriere nutzt, der Fabrikant und Kriegsgewinnler Jungheinrich oder der skrupellose Arzt Hansemann – sie alle zählen zu den Profiteuren der NS-Zeit, deren moralischer Kompass durch die Naziideologie rasch ins Wanken gerät.
Besonders bewegend ist die Entwicklung des idealistischen Lothar, der mit seinem jugendlichen Enthusiasmus leicht zu indoktrinieren ist und sein Traum vom Fliegen auf tragische Weise von den Nazis missbraucht wird. Es wäre allerdings hilfreich gewesen, wenn der Autor in einem Nachwort darauf hingewiesen hätte, dass es sich bei Lothar Sieber nicht um eine fiktive Figur sondern um eine reale historische Persönlichkeit handelt, was ich erst durch eigene Recherchen erfahren habe.
Die eingeschobenen Textpassagen mit Korrespondenzen, die zunächst nicht zuzuordnen sind, klären sich erst zum Ende des Romans auf und runden die Geschichte ab. Die offenen Enden einiger Handlungsstränge regen zum Nachdenken über den Ausgang und das mögliche Schicksal der Charaktere an.
"Ginsterburg" ist ein Roman, der durch seine nuancierte Darstellung verschiedener Grautöne des menschlichen Verhaltens überzeugt. Geschickt wirft er bedeutsame, universelle Fragen nach moralischen Werten, Verantwortung, Grenzen der Anpassung, Widerstandskraft und Schuld auf und regt zum Nachdenken an.

Bewertung vom 06.05.2025
Hope, Anna

Wo wir uns treffen [ungekürzt] (MP3-Download)


sehr gut

*Zwischen Erbe und Zukunft - ein vielschichtiger Familienroman*
Mit „Wo wir uns treffen“ legt Anna Hope einen feinfühlig erzählten, tiefgründigen Familienroman vor, der sich auf differenzierte Weise mit Trauer, familiärem Erbe, Verantwortung und den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzt.
Geschickt verwebt die Autorin aktuelle gesellschaftliche Themen mit den individuellen Lebenswegen ihrer vielschichtigen Figuren zu einer bewegenden Geschichte.
Im Mittelpunkt steht das traditionsreiche Landgut der Familie Brooke im englischen Sussex. Nach dem Tod des Patriarchen Philip Brooke versammelt sich die zerrissene Familie, um im kleinen Kreis Abschied zu nehmen und sich mit dem materiellen sowie emotionalen Erbe auseinanderzusetzen. Die Handlung entfaltet sich über fünf Tage und wird aus der Perspektive der drei Geschwister Frannie, Milo und Isa sowie ihrer Mutter Grace erzählt.
Anna Hope gelingt es hervorragend, lebendige und tiefgründige Charaktere zu erschaffen und ein glaubwürdiges und vielschichtiges Familienporträt zu zeichnen. So tauchen wir tief in die komplexen Dynamiken und die subtilen Spannungen zwischen den Familienmitgliedern ein. Jeder von ihnen ringt auf seine eigene Weise mit der Bewältigung vergangener Konflikte, der Übernahme persönlicher Verantwortung und dem Umgang mit den belastenden Hinterlassenschaften des familiären Erbes.
Die Geschwister verbinden sehr verschiedene Vorstellungen über die Zukunft des Anwesens, geprägt von ihren individuellen Lebensentwürfen und Erfahrungen in der Vergangenheit. Während die älteste Tochter Frannie das gemeinsam mit ihrem Vater initiierte „Albion-Projekt“ fortführen möchte und eine Renaturierung des Landes zur Wiederherstellung des Ökosystems anstrebt, verfolgt der mittlere Sohn Milo mit der Idee eines exklusiven Retreats vor allem wirtschaftliche Interessen. Die jüngste Tochter Isa hingegen zeigt sich eher zurückhaltend und unentschlossen. Die Ankunft der von ihr eingeladenen Clara, der jungen, dunkelhäutigen Tochter der langjährigen Geliebten des Vaters aus den USA, bringt Unruhe in die Familie. Sie enthüllt unbequeme Wahrheiten über die Vergangenheit und den Ursprung des Familienvermögens, die schließlich das Gefüge der Familie erschüttern.
Besonders beeindruckend sind die Passagen, in denen Hope die atemberaubende Natur ins Zentrum rückt und die Flora und Fauna des Anwesens eindrucksvoll und lebendig schildert. Mit großer Feinfühligkeit verdeutlicht sie, wie eng die Schicksale der Menschen mit dem fragilen und schützenswerten Zustand der Natur verknüpft sind.
Die Vielzahl der Themen – von Natur- und Umweltschutz über die Suche nach einer lebenswerten Zukunft, Suchtproblematik bis hin zu Rassismus und Kolonialismus – wirkt stellenweise etwas überfrachtet, sodass die Handlung mitunter leicht konstruiert erscheint.
Die Autorin lässt ihren beeindruckenden Roman mit einem überraschend offenen und nachdenklich stimmenden Ende ausklingen, das viel Raum für eigene Interpretationen und Reflexionen bietet.
ZUM HÖRBUCH
Die ungekürzte Hörbuchfassung wird von Julia Meier abwechslungsreich und zugleich sehr einfühlsam interpretiert. Mit feinem Gespür fängt sie die nuancierten Charaktere und die dichte Atmosphäre der komplexen Familiengeschichte stimmlich ein, sodass man mühelos in die Welt der Brookes eintaucht. Ihre ruhige, angenehme Stimme führt souverän durch die verschiedenen Perspektiven und verleiht jeder Figur eine eigene, glaubwürdige Färbung. Besonders gelungen bringt sie die Verletzlichkeiten, Sehnsüchte und inneren Konflikte der Charaktere zum Ausdruck. In manchen Passagen hätte ich mir jedoch eine noch deutlichere stimmliche Abgrenzung zwischen den einzelnen Figuren gewünscht.
Dank ihrer stimmungsvollen und nuancierten Vortragsweise überzeugt Meier auch in den leisen, nachdenklichen Momenten sowie bei den eindrucksvollen Naturbeschreibungen des Romans. Aufgrund der Vielzahl an Figuren und Themen ist gelegentlich eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich, um den Überblick zu behalten. Insgesamt bietet diese Hörbuchumsetzung aber eine sehr gelungene und atmosphärische Interpretation der facettenreichen Familiengeschichte

FAZIT
Ein berührender und einfühlsam erzählter Familienroman, der mit einer sensiblen Auseinandersetzung mit Erbe, Verantwortung und familiären Konflikten und vielschichtigen Charakteren überzeugt. Trotz gelegentlicher Überfrachtung besticht die Geschichte durch ihre atmosphärische Dichte und lebendige Naturbeschreibungen!

Bewertung vom 05.05.2025
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


ausgezeichnet

*Vielschichtige Familiengeschichte*
In ihrem eindrucksvollen Debütroman „Die Summe unserer Teile“ zeichnet Paola Lopez ein nuancenreiches Porträt dreier Frauenschicksale, das sich über drei Generationen und über siebzig Jahre hinweg entfaltet. Sie entwirft eine vielschichtige, bewegende Familiengeschichte, die sich eingehend mit Fragen nach Herkunft, familiären Prägung, Verbundenheit und der Weitergabe von Traumata beschäftigt.
Im Mittelpunkt stehen die junge Informatikstudentin Lucy, ihre Mutter Daria und ihre Großmutter Lyudmiła, deren Leben nicht nur durch familiäre Bande, sondern auch durch ihre ausgeprägte Leidenschaft für die Wissenschaft verbunden sind- und dennoch durch Brüche und unausgesprochene Konflikte unwiderruflich voneinander entfremdet wurden.
Der auf mehreren Zeitebenen angelegte Roman wechselt geschickt zwischen den Perspektiven der drei Frauen, wodurch er aufschlussreiche Einblicke in ihre Lebensumstände, inneren Konflikte und verborgenen Geheimnisse gewährt. Die Handlung spannt einen Bogen von Polen über den Libanon bis nach Deutschland und veranschaulicht eindrücklich die unterschiedlichen Herausforderungen, denen sich die Frauen in verschiedenen Zeiten und kulturellen Kontexten stellen mussten. So erleben wir Lucy in der Gegenwart des Jahres 2014 in Berlin, die durch die überraschende Lieferung des alten Steinway-Flügels aus ihrer Kindheit in ihrer Berliner WG mit der eigenen Vergangenheit und den ungelösten Konflikten ihrer entfremdeten Familie konfrontiert wird und beschließt, sich auf eine Spurensuche zu den Wurzeln ihrer Großmutter nach Sopot in Polen zu begeben. In weiteren Episoden erfahren wir mehr über Darias Kindheit und Jugend in Beirut und ihr weiteres Leben in München als Studentin, Ehefrau, Mutter und Ärztin. Zudem erhalten wir in Rückblenden Einblicke in Lyudmiłas Flucht aus Polen in den Libanon und ihre kompromisslose Verfolgung einer wissenschaftlichen Karriere als eine der ersten Chemikerinnen im Libanon.
Ein besonderes Highlight des Romans sind die fein ausgearbeitete Figurenzeichnung und die gelungene Verflechtung der Zeitebenen.
Lopez entfaltet in ihrem Roman ein eindrucksvolles und überzeugendes Panorama komplexer Mutter-Tochter-Beziehungen. Aus wechselnden Perspektiven beleuchtet sie die vielschichtigen emotionalen Verbindungen, die von tiefer Nähe, ebenso geprägt sind wie von schwelenden Konflikten, Entfremdung und alten Wunden. Jede Frau ist in ihrer eigenen Zeit gefangen, jede kämpft mit den Erwartungen der anderen und den eigenen Verletzungen. Besonders Lucys Entwicklung und ihre Suche nach Zugehörigkeit sind authentisch und nachvollziehbar gestaltet.
Lopez thematisiert eindrucksvoll die Herausforderungen, denen Frauen in männerdominierten Berufsfeldern wie den Naturwissenschaften begegnen. Dabei macht sie gekonnt die alltäglichen Kämpfe und Kompromisse greifbar, die mit dem Versuch einhergehen, berufliche Ambitionen, traditionelle Rollenbilder und familiäre Verantwortung miteinander zu vereinbaren.
Besonders eindrücklich zeigt sie, wie nicht nur der Wunsch nach Selbstverwirklichung und die Sehnsucht nach familiärem Zusammenhalt und Nähe jede der Frauen in einen unauflösbaren Zwiespalt stürzt, sondern auch wie Enttäuschungen, hohe Erwartungen und unausgesprochene Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden. Immer wieder stehen Missverständnisse, Sprachlosigkeit und Verschweigen einer verständnisvollen Beziehung im Weg und sorgen für Konflikte, emotionale Distanz und einem Kontaktabbruch. Anschaulich zeigt Lopez auf, wie das Erbe der Mütter bewusst oder unbewusst das Leben der Töchter formt und ein Durchbrechen dieses fatalen Kreislaufs immer schwieriger wird.
Mit ihrem bildhaften, feinfühligen Erzählstil entwirft Lopez vielschichtige, lebendige Charaktere und detailreiche Lebenswelten, die eine dichte, intensive Atmosphäre entstehen lassen. Auch wenn eine gewisse Distanz zu ihnen vorherrscht und man ihre Verhaltensweisen nicht immer gutheißen kann, so wirken diese dennoch sehr authentisch und glaubhaft. Indem die Autorin bewusst manche Details offenlässt und, uns im Ungewissen lässt, fordert sie zur eigenen Reflexion heraus und eröffnet Raum für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Themen des Romans.

FAZIT
Ein bemerkenswerter und tiefgründiger Debütroman, der mit großer erzählerischer Kraft und psychologischer Tiefe drei Frauengenerationen in ihrem Ringen um Selbstbestimmung, Zugehörigkeit und familiäre Versöhnung porträtiert.
Eine bewegende Lektüre über das Erbe, das wir mit uns tragen – und über die Kraft, den eigenen Weg zu suchen und zu finden und ein lesenswerter Roman, der zum Nachdenken anregt und dazu einlädt, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen, um sich selbst besser verstehen zu lernen.

Bewertung vom 27.04.2025
Hagena, Katharina

Flusslinien


ausgezeichnet

*Im Strom der Erinnerungen – ein vielschichtiger Generationenroman*
In ihrem facettenreichen Roman „Flusslinien“ entfaltet Katharina Hagena die Lebenswege dreier Generationen, die sich - wie Strömungen eines Flusses - begegnen, kreuzen, auf subtile Weise miteinander verflechten, bevor sie schließlich neue Richtungen im großen Strom der Zeit einschlagen.
Hagena gelingt es in ihrem tiefgründigen Roman eindrucksvoll, ein facettenreiches Portrait der menschlichen Schicksale ihrer drei Protagonisten zu zeichnen. Trotz aller Unterschiede in Alter und Lebenserfahrung verbindet sie ihre eingehende Auseinandersetzung mit Erinnerungen, Verlust, Trauma, Schuld und der Suche nach Selbstbestimmung und Heilung. Mit feinem Gespür verwebt die Autorin ernste Themen mit literarischen und kulturellen Anspielungen - von griechischer Mythologie über Fantasywelten bis hin zur Gartenkunst - und regt zudem zum Nachdenken über die sich wandelnde Rolle der Frau in Vergangenheit und Gegenwart an.
Die Geschichte ist an der Elbe in Hamburg angesiedelt und erstreckt sich über zwölf Frühsommertage, die das Leben der Figuren nachhaltig prägen.
Im Mittelpunkt steht die 102-jährige, ehemalige Stimmtherapeutin und Atemtrainerin Margrit, die in einer Seniorenresidenz lebt und auf ein faszinierendes Leben zurückblicken kann. Ihre 18 jährige Enkelin Luzie befindet sich nach einem traumatischen Erlebnis in einer schwierigen Lebenssituation, die sie ihrer Oma verschweigt. Kurz vor dem Abitur hat sie die Schule abgebrochen, lebt vorübergehend in einer Hütte am Elbufer und möchte Tätowiererin werden. Der 24-jährige Arthur arbeitet als Fahrer für Margrits Seniorenresidenz, erfindet neue Sprachen und engagiert sich beim Nabu. Nach einem dramatischen persönlichen Verlust hat er mit starken Schuldgefühlen zu kämpfen und hofft auf einen Neuanfang.
Hagenas lebendiger, bildhafter Schreibstil durchzogen von feinem Humor ist individuell auf die verschiedenen Charaktere zugeschnitten, sodass wir gut in ihre persönlichen Lebensgeschichten eintauchen können. Die Autorin versteht es, die unterschiedlichen Generationen mit ihren jeweiligen Herausforderungen und Sichtweisen in Beziehung zu setzen.
Die Erzählperspektive wechselt zwischen den Hauptfiguren und gewährt aufschlussreiche Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt, so dass der Spannungsbogen allmählich wird gesteigert. Faszinierend sind die zahlreich eingestreuten Rückblenden, die uns vor allem bei Margrit in bewegte Vergangenheit zurückführen.
Ausgezeichnet ist der Autorin die einfühlsame, vielschichtige Charakterzeichung ihrer Protagonisten gelungen, die lebendig und authentisch wirken. Jede der Hauptfiguren ist mit ihren Eigenheiten, Sehnsüchten, Wünschen und Ängsten überzeugend dargestellt. Besonders überzeugend hat die Autorin die persönlichen Schicksale der Figuren mit übergeordneten gesellschaftlichen Themen verknüpft – etwa Umweltschutz, das Älterwerden in einer sich wandelnden Gesellschaft sowie den Kampf gegen patriarchale Strukturen und sexuelle Gewalt.
Die atmosphärisch dichten Naturbeschreibungen der Hamburger Elblandschaft und des Römischen Gartens schaffen eine ganz besondere Stimmung, die die seelische Verfassung der Charaktere subtil widerspiegelt.
ZUM HÖRBUCH
Das gekürzte Hörbuch besticht mit Ruth Reinecke, Chantal Busse, Julia Nachtmann und Jesse Grimm durch ein herausragendes Sprecherensemble, das jeder Figur mit ihrer lebendigen Lesung eine eigene, unverwechselbare Stimme verleiht. Die Besetzung der Rollen ist stimmig und die Interpretation von großer Dynamik und Einfühlungsvermögen.
Dank der nuancierten Vortragsweise gelingt es den Sprechern, die unterschiedlichen Charaktere klar voneinander abzugrenzen und ihre unterschiedlichen Lebensalter und Perspektiven glaubwürdig wiederzugeben. Jede Figur erhält durch die individuelle Interpretation eine authentische Persönlichkeit, indem sie ihre Emotionen, Erinnerungen und Verletzlichkeiten fein herausgearbeitet werden.
Die verschiedenen Stimmen bereichern das Hörerlebnis und machen es leicht, sich nicht nur auf die zahlreichen Stimmungswechsel einzulassen, sondern sich auch in die Beziehungen zwischen den Figuren hineinzuversetzen. Der komplexe Erzählstil erfordert allerdings erhöhte Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, sich auf die vielschichtige Geschichte mit den verschiedenen Zeitebenen einzulassen. Insgesamt bietet diese Hörbuchfassung aber eine gelungene, atmosphärische Umsetzung, die durch die exzellenten Sprecherleistungen besticht.

FAZIT
Ein eindrucksvoll komponierter, vielschichtiger Generationenroman, der mit großer erzählerischer Kraft und viel Feingefühl die Lebenswege dreier Menschen miteinander verwebt. Wer sich auf die ruhige Erzählweise und die tiefgründigen Charaktere einlässt, wird mit einer bewegenden, nachdenklich stimmenden Geschichte belohnt.