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Insgesamt 93 Bewertungen
Bewertung vom 06.10.2025
Berenz, Björn

Knäckeblut / Mörderisches Småland Bd.3


gut

*Charmanter schwedischer Hygge-Krimi mit kleineren Schwächen*

„Knäckeblut“ von Björn Berenz ist bereits der dritte Band seiner in Schweden angesiedelten Hygge-Krimireihe rund um den schwedischen Kommissar Lars und die resolute deutsche Buchhändlerin und Hobbydetektivin Ina, die ihren Lebensmittelpunkt ins idyllische Småland auf den idyllischen Tingsmålahof verlegt hat.
Mit seinem lebendigen, humorvollen Erzählstil und stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen versteht es Berenz, das winterliche Småland in all seiner verschneiten Pracht lebendig werden lassen und eine idyllische Atmosphäre zu schaffen, die zum Wohlfühlen einlädt. So gelingt es mühelos, in die hyggelige Stimmung dieses Wohlfühlkrimis einzutauchen.
Mit einem charmanten Augenzwinkern bedient Berenz in seinem Schwedenkrimi alle gängigen Klischees, die man als Deutscher über Schweden so im Kopf hat. Besonders gelungen sind hierbei auch die kleinen „Schwedisch für Anfänger“-Einschübe, die humorvoll schwedische Sprachkenntnisse vermitteln und geschickt das Schweden-Flair unterstreichen.
Der packende, beklemmende Prolog wirft gleich von Beginn an einen dunklen Schatten über die friedliche Szenerie. Die unheilvolle Vorahnung hängt schwer über der malerischen Landschaft und erzeugt gekonnt ein spannungsvolles Wechselspiel zwischen der behaglichen Winteridylle und dem drohenden düsteren Ereignis, dessen Eintreten zunächst zeitlich unbestimmt bleibt.
Mitten im sonst so ruhigen Treiben des Kunsthandwerkermarkts sorgt das rätselhafte, spurlose Verschwinden des jungen Glasbläsers für Aufregung. Zusätzlich erregen anonyme Drohbriefe, die verschiedene Umweltvergehen anklagen, weiteres Aufsehen. Als passionierte Krimileserin und versierte Hobbyermittlerin fühlt sich Ina natürlich herausgefordert, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen; insbesondere da ihr Schwiegersohn in spe, Kommissar Lars, die Ermittlungen nur halbherzig vorantreibt und sichtlich von privaten Problemen eingenommen ist.
Inas Ermittlungen ziehen sich jedoch in die Länge, und ihre beharrliche Einmischung wird von der örtlichen Polizei eher mit Missmut betrachtet. Trotz Inas unermüdlichen und mitunter unbequemen Engagements vergeht viel Zeit, bevor das bewährte Ermittlerduo letztlich gemeinsam tätig wird und die entscheidenden Spuren entdeckt.
Der vielversprechende Kriminalfall entfaltet sich leider nur sehr zäh, da immer wieder private Verstrickungen der Figuren in den Vordergrund treten und die eigentlichen Ermittlungen in den Hintergrund rücken. Dies beeinträchtigt den kontinuierlichen Spannungsbogen erheblich, wodurch der Krimi an Dynamik verliert und die angestrebte fesselnde Atmosphäre nur bedingt zustande kommt. Zusätzlich trüben logische Brüche und Inkonsistenzen im Handlungsverlauf etwas das Lesevergnügen.
Dieser Wohlfühlkrimi überzeugt vor allem durch seinen lebendigen Humor, spritzigen Wortwitz und flotte Dialoge, die für eine herrlich unterhaltsame Dynamik sorgen. Zudem lockert eine gehörige Portion Situationskomik das Geschehen immer wieder angenehm auf.
Berenz gelingt es besonders, seine Charaktere lebendig und facettenreich zu zeichnen, wodurch sie mit ihren Eigenheiten, Geheimnissen und Hintergründen für viel Abwechslung sorgen. Im Mittelpunkt steht die energische und etwas eigensinnige Ina, deren gelegentlich überhebliche Art und impulsiver Aktionismus nicht immer Sympathien weckt. Gerade diese Ecken und Kanten machen es jedoch spannend und unterhaltsam, ihre oft unkonventionellen Ermittlungen zu verfolgen. Einzig bei einigen der skurrilen Nebenfiguren vermisst man etwas mehr Präsenz in der Handlung, da diese durchaus mehr Potenzial für eine tiefgründigere Rolle gehabt hätten.
Es macht aber großen Spaß, eigene Theorien über Täter und Motive zu entwickeln, die durch überraschende Wendungen stets wieder überdacht werden müssen. Nach zahlreichen falschen Fährten und einer dramatischen Zuspitzung überrascht uns Berenz am Ende mit einem gelungenen Plottwist und einem packenden Finale, in dem die verschiedenen Handlungsstränge schließlich zu einer stimmigen und überraschenden Auflösung zusammengeführt werden.

FAZIT
Unterhaltsamer Wohlfühlkrimi, der mit seinem humorvollen Erzählstil und hyggeliger Atmosphäre punktet. Wer über nur mäßige Spannung sowie einige Ungereimtheiten und Logikschwächen hinwegsehen kann, findet dennoch einen kurzweiligen Cosy Crime vor der winterlichen Kulisse Smålands.

Bewertung vom 05.10.2025
Horncastle, Mona

Peggy Guggenheim


ausgezeichnet

*Jenseits des Mythos - Beeindruckende Biografie*
Mona Horncastle ist mit ihrer faszinierenden Biografie „Peggy Guggenheim – Freigeist, Mäzenin, Femme fatale“ ein facettenreiches Porträt eine der schillerndsten und vielleicht auch widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Kunstwelt des 20. Jahrhunderts gelungen. Mit ihrem prägnanten, lebendigen Erzählstil nimmt sie uns mit auf eine fesselnde Entdeckungsreise, die nicht nur bemerkenswerten Aspekte der berühmten Kunstförderin, sondern auch ihre inneren Brüche sichtbar macht.
Ihre Biografie über Peggy Guggenheim bietet einen tiefgründigen und erfreulich vorurteilsfreien Einblick in das Leben und die außergewöhnlichen Leistungen der berühmten Mäzenin, Kunstsammlerin und Förderin moderner Kunst und präsentiert uns vor allem den Menschen hinter dem Mythos. Zum Vorschein kommt eine beeindruckende Frau sowie eine visionäre und couragierte Kämpferin für die Kunst, die zeitlebens mit Humor, Ironie und beeindruckender Selbstreflexion gegen Vorurteile und Klischees ankämpfte.

Bewusst verzichtet die Autorin die Darstellung von Peggys skandalisiertem Privatleben und oberflächlichen Klatschgeschichten über ihre zahlreichen Affären mit berühmten Persönlichkeiten, sondern konzentriert sich auf eine nuancierte Betrachtung ihrer vielschichtigen Persönlichkeit und ihres Lebenswerks. Besonders eindrucksvoll gelingt Horncastle der Balanceakt zwischen dem glamourösen Image der Kosmopolitin und den psychologischen Abgründen hinter der Fassade – ihren wechselvollen Liebesbeziehungen, seelischer Krisen und den oft widersprüchlichen Entscheidungen ihres Lebens. Berührend beschreibt Horncastle auch die zerrissenen familiären Beziehungen, insbesondere Peggys komplizierte Rolle als Mutter, ohne jedoch von ihrem Hauptanliegen abzuschweifen. Gerade in diesem Spannungsfeld zwischen ihrer Verletzlichkeit und ihres mutigen Engagements für die Moderne Kunst zeigt sich die faszinierende Komplexität dieser Frau.
orncastle widmet sich insbesondere auch der Frage, wie Guggenheims Lebensleistung losgelöst von Geschlechterklischees beurteilt würde. Sie macht eindrucksvoll deutlich, dass viele Anfeindungen und Vorurteile gegenüber Peggy auf ihr Frausein und ihre Rolle in einer männlich dominierten Kunstwelt zurückzuführen sind. Anschaulich porträtiert sie Peggy als emanzipierte Frau, die sich gegen die vorherrschenden Zwänge ihrer Epoche durchsetzte und unbeirrbar ihren Weg ging. Die Autorin legt großen Wert auf eine wissenschaftlich fundierte Einbindung der Biografie in die komplexen kulturhistorischen und gesellschaftlichen Kontexte der jeweiligen Epoche, insbesondere der Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gekonnt lässt sie dabei Peggys Leben in verschiedenen Episoden lebendig werden. So folgen wir ihren Spuren von den privilegierten Ursprüngen in der New Yorker Guggenheim-Dynastie über die ersten Schritten als junge Frau in der kosmopolitischen Pariser Avantgarde der 1920er Jahre. Zudem erfahren wir über ihren mutigen Einsatz als Fluchthelferin zur Rettung vieler Künstler und ihrer Werke vor dem Zugriff den Nazis. ihrer prägenden Rolle als Förderin und Impulsgeberin moderner Kunst in New York sowie schließlich dem Aufbau ihres kulturellen Vermächtnisses mit ihrem Museum in Venedig. Eindrucksvoll arbeitet Horncastle auch weniger bekannte Aspekte heraus. So unterstützte Guggenheim nicht nur avantgardistische Kunstschaffenden wie Marcel Duchamp, Max Ernst oder Jackson Pollock sondern förderte auch Künstlerinnen wie Leonora Carrington. Ihr außergewöhnliches Gespür für innovative Strömungen und ihre Risikobereitschaft prägten die moderne Kunst maßgeblich.

Mit beeindruckender Faktenfülle, zahlreichen Briefzitaten und einer Vielzahl präzise eingebundener Namen gelingt Mona Horncastle eine außergewöhnlich dichte Dokumentation von Peggy Guggenheims facettenreichem Leben und Wirken. Ihre umfassende, packend erzählte Biografie weckt Neugier auf weitere Entdeckungen rund um diese widersprüchliche und inspirierende Frau, die verletzlich und couragiert, visionär wie exzentrisch war – und deren kompromissloses Engagement die Kunstwelt auch heute noch enorm inspirierend ist.

FAZIT
Eine rundum gelungene Biografie mit einem differenzierten, eindrucksvollen Porträt von Peggy Guggenheim als faszinierende komplexe Persönlichkeit und außergewöhnliche Kunstmäzenin.
Eine anregende und bereichernde Lektüre für alle, die sich für Kunst, Kulturgeschichte und besonders für die Rolle starker Frauen in der Modernen Kunst interessieren.

Bewertung vom 05.10.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan (MP3-Download)


sehr gut

*Ein vielversprechendes Debüt*
Anne Sauers Debütroman „Im Leben nebenan“ entfaltet ein faszinierendes, vielschichtiges Gedankenexperiment über die Kraft unterschiedlicher Lebensentwürfe und deren Einfluss auf unser persönliches Glück und Selbstverständnis. Eindrucksvoll beleuchtet sie das bedeutsame Thema Mutterschaft und Selbstbestimmung sowie die verschiedenen Facetten des Frauseins in einer Gesellschaft, die immer noch klare und teilweise widersprüchliche Erwartungen an Frauen stellt.
Im Mittelpunkt steht die 30-jährige Toni, die in einer langjährigen Beziehung lebt und ein scheinbar erfülltes Großstadtleben führt – wäre da nicht der fortwährende Schatten eines unerfüllten Kinderwunsches, der ihren Alltag zunehmend trübt. Eines Morgens findet sie sich jedoch nicht mehr in ihrer gewohnten Realität wieder, sondern im „Leben nebenan“ in einer anderen Version ihrer selbst. Als Antonia lebt sie in ihrem Heimatdorf, ist mit ihrer Jugendliebe Adam verheiratet und Mutter eines Neugeborenen - jedoch ohne Erinnerung an ihr früheres Leben.
Sauer erzählt in parallelen, sich abwechselnden Handlungssträngen von Toni und ihrer alternativen Lebensversion Antonia, lässt uns schrittweise in zwei Welten eintauchen und schafft so atmosphärisch dichte Einblicke in die vielfältigen Herausforderungen beider Lebensrealitäten. Dabei gelingt ihr eine differenzierte und glaubwürdige Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, Krisen, Wünschen und Zwängen von Mutterschaft und Kinderlosigkeit, traditionellen Rollenbildern und modernen Partnerschaften – stets frei von Verklärung oder Überdramatisierung. Dabei rückt der Roman zugleich universelle Fragen nach Identität, Entscheidungsfreiheit und Selbstakzeptanz in den Fokus. Durch die gelungene Gegenüberstellung von zwei Lebensentwürfen ohne eine Wertung wird die Kluft zwischen dem realen und dem möglichen Leben zum Spiegel, in dem Wunsch und Wirklichkeit, Herausforderungen und schöne Momente auf eindrückliche Weise miteinander konkurrieren.
Die Autorin hat mit Toni und Antonia zwei glaubwürdige und, lebensnahe Charakteren geschaffen.
Sauer gelingt es hervorragend, die inneren Konflikte und ambivalenten Emotionen der Protagonistinnen lebendig werden zu lassen. Indem sie uns tief in die Gedankenwelt der beiden Frauen eintauchen lässt, macht sie ihren Alltag im Spannungsfeld von Erschöpfung, Überforderung und tiefer Verunsicherung sehr nachvollziehbar. So erhalten wir bewegende und tiefgründige Einblicke in weibliche Lebenswirklichkeiten.
Mit Feingefühl erkundet Sauer außerdem den oft unterschwelligen Druck gesellschaftlicher Normen und wirft behutsam die Frage auf, wie sehr sich persönliches Glück von den Vorstellungen anderer unterscheiden kann.
ZUM HÖRBUCH
Die Hörbuchfassung wird gelesen von Sprecherin und Schauspielerin Chantal Busse. Durch ihre klare, junge und einfühlsame Stimme gelingt es ihr, die vielschichtigen Nuancen der Protagonistinnen und ihre inneren Konflikte lebendig und glaubwürdig zu transportieren. Jede Figur erhält durch die einfühlsame Interpretation eine authentische Persönlichkeit, indem sie ihre Emotionen, Erinnerungen und Verletzlichkeiten fein herausgearbeitet werden.
Dank der dynamischen, abwechslungsreichen Vortragsweise versteht es Busse, die unterschiedlichen Perspektiven klar voneinander abzugrenzen und die Geschichte besonders intensiv erlebbar zu machen.
Insgesamt bietet diese Hörbuchfassung aber eine sehr gelungene, atmosphärische Umsetzung, die sich durch die exzellente Sprecherleistung auszeichnet.
FAZIT
Ein vielschichtiger und berührender Debüt-Roman, der zum Nachdenken über die Komplexität von Lebensentscheidungen und die Vielschichtigkeit von Mutterschaft anregt und dazu ermuntert, das individuelle Glück jenseits gesellschaftlicher Schablonen zu suchen.

Bewertung vom 05.10.2025
Meyrick, Denzil

Der Tote im Kamin


ausgezeichnet

Brillanter Auftakt mit viel britischem Flair
„Der Tote im Kamin“ von Denzil Meyrick ist ein atmosphärisch dichter, etwas skurriler Spannungsroman mit viel britischem Humor, der den gelungenen Auftakt zu einer historischen Krimi Reihe um den sympathischen Ermittler Inspector Frank Grasby bildet.
Gekonnt entführt uns Meyrick in das verschneite Winteridyll von Elderby, einem abgeschiedenen Dorf in den North York Moors, mitten im Dezember 1952.
Im Mittelpunkt steht Inspector Frank Grasby, der nach einem fatalen Missgeschick in das beschauliche Dörfchen Elderby strafversetzt wird, um dort eine Einbruchserie aufzuklären. Als dem Inspector bei seinen Befragungen zu einem Einbruchsversuch im adligen Herrensitz Holly House eine Leiche aus dem Kamin entgegenstürzt, muss Grasby schon am ersten Tag in einem komplexen Mordfall ermitteln. Doch schon bald erschüttert ein neues rätselhaftes Verbrechen den scheinbar friedlichen Alltag in Elderby. Mit einer weiteren unerwarteten Wendung verwandeln sich Grasbys Ermittlungen immer mehr in ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, bei dem niemand mehr wirklich vertrauenswürdig erscheint.

Angelegt ist die Geschichte aus Grasbys retrospektiver Perspektive als „Memoiren eines Ermittlers“, in die bisweilen Polizeiberichte, Zeugenaussagen und Tagebucheinträge als neutrale Perspektiven eingeschoben sind.
Die klug konstruierte Handlung entfaltet sich zunächst in der verschneiten Winterkulisse der North York Moors und nimmt dann allmählich Fahrt auf. Die Spannung baut sich behutsam auf und wird von einem feinen Geflecht aus Verdächtigungen, Täuschungen, dunklen Dorfgeheimnissen und unheilvollen Verwicklungen getragen.
Meyrick gelingt es mit seinen eindrucksvollen Schilderungen hervorragend, ein überzeugendes und teils melancholisches Lokalkolorit einzufangen. Dabei werden nicht nur die unterschiedlichen Schauplätze und die winterliche Atmosphäre der North York Moors lebendig und fesselnd dargestellt, sondern auch das Setting der ländlichen Nachkriegsprovinz wird authentisch und atmosphärisch dicht geschildert. Darüber hinaus versteht er es, ein stimmiges Zeitkolorit sowie ein facettenreiches Gesellschaftsporträt zu zeichnen. Durch detailreiche Beschreibungen wird die eigentümlich angespannte Stimmung der frühen 1950er Jahre greifbar, wobei gesellschaftliche Konventionen, Vorurteile, Klassenbewusstsein, Nahrungsmittelrationierungen und die Sehnsucht nach Stabilität in präzisen Alltagsbeobachtungen und pointierten Darstellungen anschaulich vermittelt werden.
Beeindruckend ist zudem Meyricks Erzählstil, der den Zeitgeist der frühen 1950er Jahre gekonnt einfängt.
Besonders facettenreich und lebensnah ist Meyricks Figurenzeichnung, insbesondere die des vielschichtigen Protagonisten Inspector Frank Grasby. Der etwas unbeholfene, liebenswert-exzentrische Ermittler besticht trotz einiger Schwächen durch britisches Understatement, beeindruckende Entschlossenheit und seinen Charme. Seine Interaktionen mit den eigenwilligen Dorfbewohnern und Zusammenarbeit mit dem narkoleptischen Sergeant Bleaking und der attraktiven Praktikantin Deedee, einer amerikanischen Kriminologie-Studentin, sorgt für so manches humorvolle Missverständnis.
Daneben überzeugen auch die gut ausgearbeiteten, schillernden Nebenfiguren, die mit einer gehörigen Portion schrulligem Charme ausgestattet sind. Neben Grasbys kauziger Vermieterin Mrs. Gaunt und ihrem Raben sorgen auch seine Polizeikollegen sowie eine Vielzahl kurioser Dorfbewohner für humorvolle Momente und spritzige Situationskomik. Ein besonderes Highlight ist der ironische, schwarz-humorige Erzählstil, gepaart mit typisch britischem Understatement und witzigen Dialogen, die immer wieder für zahlreiche Momente zum Schmunzeln bieten.
Was zunächst als klassischer britischer Whodunnit vor nostalgischer Kulisse mit charmantem Cosy-Crime-Flair beginnt, entwickelt sich zunehmend zu einem wendungsreichen Agententhriller im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Die Handlung gewinnt an Komplexität und Tiefe, während sich hinter den idyllischen Fassaden politische Intrigen und gefährliche Verschwörungen von weitreichender Dimension verbergen.
Der komplexe Kriminalfall rund um Inspector Frank Grasby lädt nicht nur zum Miträtseln ein, sondern hält dank zahlreicher raffinierter Wendungen den Spannungsbogen durchgängig hoch. Immer neue, verwirrende Enthüllungen führen uns geschickt an der Nase herum und halten uns bis zur letzten Seite in Atem, bis uns schließlich der Autor mit einer vollkommen unerwarteten, aber stimmigen Auflösung überrascht.
Ein wirklich besonderes Leseerlebnis, das Lust auf weitere Fälle mit Inspector Grasby macht.
FAZIT
Ein fesselnder, historischer Spannungsroman, der ein faszinierendes Gesellschaftspanorama der frühen 1950er Jahre zeichnet - voller britischem Witz, faszinierenden Charakteren verblüffenden Twists und stimmigem Zeitgeist.
Ein empfehlenswerter Lesegenuss für Freunde historischer Spannung!

Bewertung vom 25.09.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri (eBook, ePUB)


sehr gut

*Zwischen den Welten – Eine berührende Familiengeschichte*
Yuko Kuhns beeindruckender Debütroman „Onigiri“ erzählt die bewegende Geschichte einer deutsch-japanischen Familie.
Im Mittelpunkt steht die Ich-Erzählerin Aki, die nach dem Tod der in Japan lebenden Großmutter mit ihrer an fortschreitender Demenz erkrankten Mutter Keiko eine letzte Reise in deren Heimatstadt nach Kobe unternimmt. Diese Reise bildet den erzählerischen Rahmen für eine emotionale Spurensuche, die uns behutsam in eine zerrissene Familiengeschichte eintauchen lässt und die kulturellen Unterschiede eindrucksvoll sichtbar macht. Gekonnt lässt Kuhn gegenwärtige Geschehnisse und die Vergangenheit in fragmentarischen Rückblenden und persönlichen Erinnerungen ineinanderfließen.
Kuhns Erzählstil zeichnet sich durch eine bewusst zurückhaltende und offene Gestaltung aus, bei dem wichtige Momente oft nur angedeutet werden und dem nicht Ausgesprochenen viel Raum gelassen wird. Trotz prägnanter, minimalistischer Sprache gelingt es ihr hervorragend, die feinen Facetten und leisen Gesten ihrer Figuren einzufangen. Es entfaltet sich eine atmosphärisch dichte, bisweilen melancholische Stimmung, die uns allmählich tief in die Welt ihrer Protagonisten zieht.
Frei von Klischees und mit großem Einfühlungsvermögen gelingt Kuhn eine differenzierte Darstellung der deutschen und japanischen Mentalitäten, eine komplexe Melange zwischen deutscher Strenge und japanischer Zurückhaltung. Die Handlung kreist um das Aufwachsen und Leben zwischen zwei Kulturen und legt ein besonderes Augenmerk auf die inneren Konflikte, kulturellen Spannungen in der Familie und das Gefühl des Andersseins. Feinfühlig zeigt Kuhn auf, wie Aki sich trotz kultureller und persönlicher Brüche um Verständigung bemüht und zugleich auf einer kontinuierlichen Suche nach eigener Identität ist.
Ein besonderes Highlight ist die einfühlsame und zugleich realistische Darstellung von Keikos Demenz, die mit all ihren Herausforderungen, Veränderungen und kleinen Hoffnungsschimmern den Alltag prägt. Kuhn zeichnet ein authentisches Bild der komplexen Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die rasch zwischen Zuneigung, Fürsorge, Überforderung und Unverständnis schwankt. Besonders die kleinen Beobachtungen wie etwa beim Essen, im alltäglichen Umgang miteinander oder beim Suchen nach passenden Worten, machen den Roman lebendig und glaubwürdig. Trotz des fortschreitenden Verfalls des Gedächtnisses erleben wir Keiko stets als eine vielschichtige, eigenständige Persönlichkeit, deren schwankende Erinnerungsfähigkeit auch für neue Formen von Nähe und Verbundenheit eröffnen.
Besonders eindrucksvoll ist auch das wiederkehrende Motiv des „Onigiri“, ein kunstvoll geformtes japanisches Reisbällchens, das nicht nur die tiefe Verbindung zwischen Mutter und Tochter symbolisiert sondern auch Geborgenheit, familiäre Wärme und kulturelle Identität. Inmitten beständigen Wechsels von Verlust und Nähe erhält das einfache, alltägliche Ritual des Kochens und Essens für sie eine stille, kraftvolle Bedeutung, die auch ohne Worte wirkt.
Die raschen Perspektivwechsel, die detailreichen Schilderungen sowie der fragmentarische Erzählstil erfordern jedoch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und aktivem Mitdenken. Diese Erzählweise bildet gekonnt das zentrale Thema von Erinnerung, Vergessen und Widersprüchlichkeiten des Erinnerns ab, wobei die Bruchstücke und das Unausgesprochene ureigener Bestandteil jeder Familiengeschichte sind. Gekonnt zeigt sie auf, dass Fragmente, Leerstellen und stille Momente mehr als jedes ausgesprochene Wort die Komplexität familiärer Beziehungen erfahrbar machen. Obwohl ein klassischer Spannungsbogen fehlt, ist der Autorin eine feinfühlige, bewegende Annäherung an eine Familie gelungen, deren Geschichte von Verlusten, Entwurzelung und generationsübergreifender Verletzlichkeit geprägt ist.
FAZIT
Ein sehr einfühlsamer, tiefgründiger Roman, der eine berührende deutsch-japanische Familiengeschichte und über das Leben zwischen zwei Kulturen erzählt. Eine durch den fragmentarischen Erzählstil recht anspruchsvolle, aber tief bewegende Lektüre, die uns über Krankheit, Verlust, Nähe und das leise Band familiärer Verbundenheit sowie die Fragilität von Erinnerung und Identität nachdenken lässt.

Bewertung vom 25.09.2025
Sußebach, Henning

Anna oder: Was von einem Leben bleibt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

*Eine berührende Spurensuche*
Mit seinem biografischen Essay „Anna oder: was von einem Leben bleibt“ begibt sich der Journalist Henning Sußebach auf eine faszinierende Spurensuche nach dem Leben seiner Urgroßmutter Anna, das für ihn lange nur aus spärlichen anekdotischen Überlieferungen fast vollständig im Dunkeln lag, deren Lebensgeschichte für die damalige Zeit aber alles andere als gewöhnlich war.
Anhand nur weniger persönlicher Erinnerungsstücke, wie Fotos, Briefen, einem Poesiealbum, Verlobungsring und einigen Alltagsgegenständen, bemüht sich Sußebach ihre Biografie zu rekonstruieren und bedeutsame Episoden ihres Lebens nachzuzeichnen.
Mit großem Feingefühl und viel Empathie entwirft er das berührende und lebendige Portrait einer außergewöhnlich resilienten, eigenwilligen und selbstbestimmten Frau, die in ihrem Leben neben einigen Höhen auch tragische Verluste gemeistert hat.
Geschickt verwebt Sußebach die persönlichen Spuren von Annas Lebensweg mit dem zeitgeschichtlichen Kontext, den er sorgsam recherchiert und umfangreich zusammengetragen hat. So entsteht allmählich ein facettenreiches Bild, das nicht nur Annas individuelle Biografie zeigt, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert eindrucksvoll greifbar macht.
Anna Kalthoff (1866 – 1932) lebte in einer bewegten Epoche voller einschneidender Krisen und Entwicklungen, die ihren Lebensalltag stark prägten und in der Frauen strengen gesellschaftlichen Regeln und Einschränkungen unterworfen waren. So erlebte sie politische Umwälzungen, Kriege, Inflation, Industrialisierung, den beginnenden technischen Fortschritt, aber auch vielfältige soziale Umbrüche und sich wandelnde Rollenbilder.
Im Jahr 1887 trat Anna eine Stelle als 20jährige Lehrerin im kleinen Dorf Cobbenrode im Sauerland an. Als junge Frau musste sie sich in einer von Männern dominierten Welt zurechtfinden, die ihr viele enge Grenzen setzte, kaum Rechte und wenig Selbstbestimmung zubilligte. Sußebach zeigt eindrücklich, wie Anna diese widersprüchlichen Welten erlebte und sich darin behauptete. Nach dem tragischen Unfalltod ihres Ehemanns baute sie sich eine neue Existenz auf, wurde Gastwirtin, Unternehmerin und leitete das Postamt ihres Dorfs. Mutig und selbstbestimmt gelang es ihr als junge Mutter und Witwe, die Herausforderungen ihrer Zeit zu meistern und ihren eigenen Lebensweg zu verfolgen. Sie scheint sich vielen gängigen Konventionen widersetzt zu haben, nicht zuletzt indem sie Eigenständigkeit, Liebe und beruflichen Ehrgeiz selbstbewusst vertrat.
Sußebach präsentiert uns jedoch keine klassische, chronologisch erzählte Biografie, sondern vielmehr eine facettenreiche Mischung aus akribischer historischer Recherche, biografischer Spurensuche, Spekulationen und imaginierten Lebensmomenten, die uns eindrucksvoll ein authentisches Bild jener Zeit vermittelt. Äußerst nuanciert und glaubhaft zeichnet er ihren Charakter mit all ihren Widersprüchen und Schwächen und verzichtet bewusst auf eine Idealisierung ihrer Stärken.
Immer wieder pausiert er seine Erzählung zum Reflektieren und legt uns offen die Unwägbarkeiten und Leerstellen seiner Recherche dar, die stets nur eine vage Annäherung an die Persönlichkeit von seiner Urgroßmutter sein kann. Mit viel Feingefühl fügt er Annas Lebensgeschichte auch plausible fiktive Elemente hinzu, um ein möglichst lebendiges Bild entstehen zu lassen, wobei er stets eine respektvolle Haltung zu wahren versteht.
Gekonnt entführt er uns so auch in die längst vergangene Welt unserer Vorfahren, deren Lebenswirklichkeit aus heutiger Sicht bisweilen fremd und ungewohnt erscheint. So regt er uns dazu an, über das fragile Gleichgewicht von Erinnerung und Vergessen nachzudenken sowie über die Bedeutung persönlicher Geschichten vor dem Hintergrund großer historischer Geschehnisse. So verdeutlicht er uns, dass in jeder Familie vielleicht eine unsichtbare Heldin wie Anna zu finden ist, eine widerstandsfähige und selbstbestimmte Frau, die sich von den Herausforderungen ihrer Zeit nicht hat brechen lassen und deren beeindruckende Lebensgeschichte inzwischen in Vergessenheit geraten ist.
Über die individuelle Erinnerung hinaus regt Sußebach zur Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte an. Dieses Buch ist somit nicht nur eine liebevolle Hommage an eine außergewöhnliche Vorfahrin, sondern auch eine Einladung, den vergessenen Lebenswegen unserer Vorfahren nachzuspüren. Abgerundet wird das Buch durch zahlreiche eingefügte Schwarz-Weiß-Fotografien, die vor allem aus dem Familienbesitz stammen, sowie einer kurzen Danksagung und einem Nachwort des Autor.
FAZIT
Eine einfühlsame Hommage an eine zu Unrecht vergessene Urgroßmutter und zugleich ein bewegendes Plädoyer für die Bedeutung von Erinnerungskultur! Es erinnert daran, wie wichtig es ist, persönliche Geschichten zu bewahren und dadurch das kollektive Gedächtnis lebendig zu halten.

Bewertung vom 22.09.2025
Aichner, Bernhard

Man sieht nur mit der Schnauze gut


ausgezeichnet

*Humorvolle Abenteuer mit unserem Freund und Helfer Aspro*
Mit seinem höchst unterhaltsamen Werk „Man sieht nur mit der Schnauze gut“ zeigt sich der bekannte Thrillerautor Bernhard Aichner von einer gänzlich neuen, humorvollen Seite und überrascht mit einem originellen Perspektivwechsel. Erzählt wird aus Sicht seines Protagonisten Aspro, einem liebenswerten Mischlingshund mit einem untrüglichen Gespür für Recht und Ordnung. In insgesamt 26 kurzen, amüsanten Episoden begleiten wir den aufgeweckten Vierbeiner auf seinen kriminalistischen Streifzügen. Mit lockerem Ton, feiner Ironie und einer ordentlichen Portion Sprachwitz lässt uns Aichner in Aspros aufregende Welt eintauchen. Nach einem missglückten Apportier-Manöver, bei dem Aspro sein Herrchen verliert, findet er  bei einer couragierten Polizistin ein neues Zuhause und wird liebevoll in ihre wachsende Familie aufgenommen. Schon bald darf er seine Chefin dank seiner untrüglichen Spürnase und seinen beeindruckenden Talenten als „Undercover-Profi“ im Streifendienst begleiten. Ob Aspro nun bei seinen Einsätzen Diebe entlarvt, dubiose Charaktere durchschaut, Drogen aufspürt , Menschen aus brenzligen Situationen rettet oder mit seinem großen mitfühlenden Hundeherz bisweilen sogar als Seelentröster einspringt – Aspro meistert fast jede Herausforderung mit Spürsinn, Witz und echtem Hundeverstand. Mit gewohntem Charme und einem kräftigen Schuss Augenzwinkern lässt Aichner seinen tierischen Erzähler die Menschenwelt mal erstaunt und  mal entlarvend betrachten. Dabei macht er sich nicht selten erstaunlich tiefgründige Gedanken über ihre kuriosen Eigenheiten, Widersprüche und allzu menschlichen Marotten. Natürlich schlagen zwischendurch immer mal wieder Aspros Instinkte und seine Hundeseele durch. Sein unersättlicher Magen und seine feine Spürnase bringen ihn zuverlässig in die eine oder andere missliche Lage bringen. Aspro ist und bleibt ein verschlafener Genießer mit großem Appetit, beeindruckendem Selbstbewusstsein und einer erstaunlich sensiblen Seite – ein rundum liebenswerter Vierbeiner, den man nur ins Herz schließen kann.
Aichner versteht es hervorragend, Aspros Gedankenwelt glaubhaft und berührend zu vermitteln. Seine Begeisterung, Zuneigung und unerschütterliche Loyalität kommen ebenso lebendig zum Ausdruck wie Momente der Enttäuschung und des Schmerzes, die durchaus zum Nachdenken über die sensible Hundeseele anregen.
Die unterhaltsamen Abenteuer aus der Hundeperspektive werden so authentisch geschildert, dass man als Hundefreund viele vertraute Eigenschaften wiedererkennt und mit einem Schmunzeln und einer gewissen Nachsicht an die kleinen Eskapaden der eigenen Vierbeiner erinnert wird.

FAZIT
Eine gelungene Zusammenstellung von kurzweiliger Krimimalgeschichten aus Hundeperspektive- warmherzig, mit viel Humor und tollem österreichischem Charme erzählt!
Nicht nur Hundeliebhaber werden an Aspros Abenteuern und seiner liebenswerten Sicht auf die Welt viel Freude haben.

Bewertung vom 10.09.2025
Graw, Theresia

In uns der Ozean (MP3-Download)


ausgezeichnet

*Die Stimme der Natur — Ein faszinierendes Porträt einer mutigen Frau*
In ihrer fesselnden Romanbiografie „In uns der Ozean“ erzählt Theresia Graw die beeindruckende Lebensgeschichte der US-amerikanischen Zoologin, Meeresbiologin und Schriftstellerin Rachel Louise Carson (1907–1964), deren Name untrennbar mit dem Beginn der modernen Umweltbewegung verbunden ist.
Eindrucksvoll zeichnet Graw das Bild einer mutigen Frau, die als Wissenschaftlerin und Naturliebhaberin das enge Korsett gesellschaftlicher Erwartungen ihrer Zeit sprengte und sowohl beruflich als auch in ihren persönlichen Beziehungen ganz eigene Wege ging.
Früh sah sie sich gezwungen, aus finanziellen Gründen ihre akademischen Ambitionen und den Traum einer Promotion aufzugeben und stattdessen Verantwortung für ihre Mutter und Schwestern sowie weitere Familienmitglieder zu übernehmen. Dennoch gelang es ihr trotz aller Widrigkeiten, ihr umfangreiches Wissen sowie ihre tiefe Liebe und Achtung für die Natur einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Die Romanbiografie begleiten Carson auf ihrem faszinierenden Lebensweg von der engagierten, zurückgezogenen Forscherin über ihre bedeutende Rolle als kreative Wissenschaftsautorin bis hin zur unerschrockenen Aktivistin, die mit großer Leidenschaft für den Naturschutz zur Ikone wurde und eine ganze Bewegung prägte.
Mit wohlüberlegter fiktiver Episoden und geschickt eingeflochtenen historischen Fakten zeichnet die Autorin ein vielschichtiges, authentisches und tiefgründiges Porträt dieser beeindruckenden Persönlichkeit. Im angehängten Nachwort gibt Graw zudem aufschlussreiche Einblicke in die belegten historischen Fakten und spekulativen Aspekte von Carsons Leben.
Graws Erzählweise ist lebhaft und abwechslungsreich, sodass man bald von der mitreißend erzählten Geschichte gefesselt wird und tief in die faszinierende Welt von Rachel Carson eintauchen kann.
Dabei werden nicht nur ihr Werdegang und der wissenschaftliche Kontext kompetent und zugleich gut verständlich vermittelt, sondern auch die gesellschaftlichen Umbrüche der späten 1920er und 1930er Jahre sowie die politischen Debatten um Fortschritt, Chemie und Landwirtschaft sind äußerst anschaulich und lebendig eingefangen.
Besonders beeindruckend sind die detailreichen, eindrucksvollen Beschreibungen der Pflanzen- und Tierwelt sowie die poetischen Naturbetrachtungen aus Rachels Perspektive, durch die ihr besonderes Verhältnis zur Umwelt und ihre Faszination für die Schönheit der Natur sehr greifbar und nachvollziehbar werden.
Von ihren Anfängen als Meeresforscherin über ihre journalistischen Radiobeiträge, die Laien für die Wunder der Natur begeisterte bis hin zu bahnbrechenden wissenschaftlichen Sachbüchern wie „The Sea Around Us“ erfährt der Leser eindrücklich, mit wie viel Enthusiasmus und sprachlichem Talent Carson komplexe ökologische Zusammenhänge zu vermitteln wusste. Dabei bleiben auch die Widerstände und Spannungen nicht unerwähnt, denen sie als Frau ohne Doktortitel trotz finanziellem Erfolg und wachsender Anerkennung in ihrem Umfeld und in der Wissenschaft begegnete – sei es durch Neid, Intrigen oder eine Gesellschaft, die unverheirateten Frauen nur begrenzte berufliche Erfolge einräumte.
Der Roman macht die Erfolge, privaten Schwierigkeiten und Rückschläge dieser ehrgeizigen, bewundernswerten Persönlichkeit ebenso greifbar wie auch ihre innere Haltung, ihre menschlichen Seiten und kleinen Schwächen.
Besonders spannend ist die Schilderung, wie sie schließlich in ihrem legendären Buch „Silent Spring“ die fatalen Folgen des ungezügelten Einsatzes von DDT, einem als harmloses Wundermittel propagierten Insektizids, offenlegte und sich als entschiedene Kämpferin für Umweltfragen mutig mit den Chemiekonzernen anlegte.
UM HÖRBUCH
Der Schauspielerin und Sprecherin Elke Schützhold gelingt es mit ihrer warmen, sensiblen Stimme hervorragend, Rachel Carson lebendig werden zu lassen. Sie fängt sowohl ihre innere Zerrissenheit als auch die tiefe Leidenschaft und ihr Engagement für die Natur mit einer überzeugenden Authentizität ein. Durch ihre nuancierte Betonung und ein fein abgestimmtes Sprechtempo gelingt es ihr, die verschiedenen Stimmungen und emotionalen Wendungen des Romans facettenreich und mit einer natürlichen Lebendigkeit zu vermitteln.
Auf diese Weise gelingt sie es ihr nicht nur, eine fesselnde Spannung aufzubauen, sondern auch mit stimmungsvollen Nuancen in den eindrucksvollen Naturbeschreibungen und poetischen Passagen einen Raum zum Nachdenken und Verweilen zu schaffen. Die Hörfassung wird so zu einem unterhaltsamen und berührenden Hörerlebnis für alle, die Rachel Carsons Biografie und ihr Wirken neu entdecken wollen.
FAZIT
Eine fesselnde und einfühlsame Romanbiografie, die Rachel Carsons Leben und Werk in all ihrer Vielschichtigkeit lebendig werden lässt.
Für alle, die sich für Frauen in der Wissenschaft und Geschichte interessieren, sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 30.08.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


sehr gut

*Ein berührender Roman voller Musik*
In seinem neusten Roman „Strandgut“ erzählt der mehrfach ausgezeichnete britische Autor Benjamin Myers eine herzerwärmende, humorvolle und zugleich tiefgründige Geschichte über ungewöhnliche Freundschaften, Schicksalsschläge, das Älterwerden und zweite Chancen selbst in späten Lebensjahren.
Zugleich hat der Autor mit seinem feinfühlig erzählten Roman eine beeindruckende Hommage an die Magie und heilende Kraft von Musik verfasst.
Im Mittelpunkt der berührenden Geschichte steht Earlon „Bucky“ Bronco, ein über siebzigjähriger, vom Leben gezeichneter Soulsänger aus Chicago, der als Teenager zwei Soul-Hits für eine lächerlich geringe Einmalzahlung aufgenommen hat und dem durch tragische Umstände eine Musikkarriere verwehrt blieb. Nach dem kürzlichen Tod seiner geliebten Frau Maybellene ist er in Apathie versunken und hält seine Schmerzen mit Opioiden in Schach. Völlig unerwartet erhält Bucky eine Einladung zu einem Soul-Festival im nordenglischen Badeort Scarborough, wo er ein Comeback-Konzert geben soll.
Was er nicht ahnt, ist, dass seine alten Songs unter Großbritanniens Soul-Fangemeinde inzwischen Kultstatus genießen.

Gleich zu Beginn haben mich die faszinierende, beinahe nostalgisch angehauchte Atmosphäre dieser Erzählung und ihre subtile Melancholie in ihren Bann gezogen. Mit seinem entschleunigten, sehr poetischen Schreibstil ist Myers ein Meister der leisen Töne und feinen Nuancen. Mit detailreichen Schilderungen fängt er nicht nur gekonnt die raue Schönheit der nordenglischen Küstenlandschaft und Natur ein, sondern auch das komplexe Innenleben seiner Charaktere.
Myers versteht es hervorragend, seine Figuren und ihre Lebenswege mit wenigen Strichen lebendig und glaubwürdig zu zeichnen. Ihm gelingt es, die Gefühle und Stimmungen seiner Figuren und ihre innere Entwicklung authentisch und einfühlsam zu vermitteln. Ob nun Bucky in seiner beklemmenden Verlorenheit und Drogenmissbrauch, dessen tragische Vergangenheit erst nach und nach enthüllt wird, oder Dinah, einer vom Leben ebenfalls völlig desillusionierten Supermarktkassiererin und großem Fan von Buckys Songs, - sie alle sind vielschichtige Persönlichkeiten, die mit ihrer Herzlichkeit, ihrem feinsinnigen Humor und ihren Dämonen gleichermaßen berühren und dem Roman eine besondere emotionale Tiefe verleihen.

Beeindruckend ist es mitzuerleben, wie Buckys Begegnung mit Dinah sich allmählich zu einem Wendepunkt für beide entwickelt: Sie schenken einander Halt und schöpfen neue Hoffnung. Myers gelingt es dabei, ihre bedrückende Einsamkeit eindrucksvoll zu vermitteln und das Gefühl, am Rand der Gesellschaft gestrandet zu sein, für uns sehr greifbar zu machen.
Besonders gefallen hat mir, wie einfühlsam und detailreich Myers die faszinierende Welt des Northern Soul und ihre leidenschaftliche Fangemeinde porträtiert – eine Subkultur, die mir zuvor völlig fremd war. Seine Verbundenheit und Begeisterung für die Musik sind auf jeder Seite spürbar.

Mit großer Sensibilität zeigt Myers in seiner bewegenden und nachdenklich stimmenden Geschichte, wie Musik, Freundschaft und wertvolle Erinnerungen dabei helfen können, die dunklen Seiten des Lebens und den grauen Alltag zu überwinden. Er schließt den Roman mit der ermutigenden Botschaft, dass es niemals zu spät ist, einen Neuanfang zu wagen.

Bewertung vom 28.08.2025
Leciejewski, Barbara

Am Meer ist es schön


ausgezeichnet

*Ein Meer voller Narben – ein bewegender Roman*
Mit ihrem neuen Roman „Am Meer ist es schön“ widmet sich Barbara Leciejewski einem bislang verdrängten und wenig beachteten Kapitel der deutschen Nachkriegszeit und rückt das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder eindrucksvoll in den Mittelpunkt. Unter dem harmlos anmutenden Deckmantel einer „Gesundungskur“ mussten zahllose Kinder seelische und körperliche Misshandlungen erdulden.
Mit feinem Gespür für Sprache und Psychologie gelingt der Autorin eine authentische und berührende Aufarbeitung dieses erschütternden Themas und setzt ein kraftvolles Zeichen gegen das Vergessen.
Die Handlung ist geschickt auf zwei miteinander verwobenen Zeitebenen angelegt und pendelt zwischen der Kindheit und der Gegenwart der Protagonistin Susanne. Im Rückblick begegnen wir der achtjährigen Susanne, die im Sommer 1969 von ihren Eltern zur vermeintlichen Erholung ins Kinderkurheim „Haus Morgentau“ an die Nordsee geschickt wird.
Aus der kindlichen Perspektive schildert die Autorin eindringlich das vermeintliche Ferienidyll und lässt uns hautnah miterleben, wie der Aufenthalt am Meer in einen realen Albtraum umschlägt. Sie macht den Alltag der Kinder im Heim unter den strengen, oft willkürlichen Regeln ebenso erfahrbar wie die beständige Bedrohung durch Einschüchterungen und harte Strafen durch die autoritären Erzieherinnen. Die unerträgliche Atmosphäre der Angst und Ohnmacht wird dabei ebenso fassbar wie das Gefühl des Ausgeliefertseins unter der rigiden „schwarzen Pädagogik“ der sogenannten „Tanten“.
Mit ihrem lebendigen, einfühlsamen Schreibstil entwirft sie ein vielschichtiges, erschütterndes Porträt alltäglicher Demütigungen und Grausamkeiten, und macht eindrücklich sichtbar, wie systematische Misshandlungen tiefe Spuren auf der kindlichen Seele hinterlassen.
Ihr gelingt es hervorragend, das Gefühl der Hilflosigkeit und das Leiden unter der allgegenwärtigen Angst so authentisch und ergreifend darzustellen, dass man sich dem Sog der Geschichte kaum entziehen kann. Äußerst anschaulich zeigt Leciejewski in vielen kleinen Alltagsszenen, wie Freundschaft, Solidarität und Mitgefühl zwischen den Kindern wachsen und zum wertvollen Schutzraum werden. Inmitten der traumatischen Erlebnisse gelingt es den jungen Protagonisten, sich gegenseitig Hoffnung und Halt zu schenken und auf diese Weise den beklemmenden Alltag zu überstehen, ja sogar zarten Widerstand gegen die Willkür der Erwachsenen zu formen. Mit schonungsloser Offenheit zeigt Leciejewski das kollektive Versagen von damaligen Institutionen aber auch Erwachsenen auf, die mit ihrem Schweigen die Kinder in ihrem Schmerz und ihren lebenslangen Traumata alleingelassen haben.
Gekonnt hat Leciejewski Susannes berührende Lebensgeschichte so angelegt, dass sie in kreisförmigen Bewegungen immer wieder zu den prägenden Wendepunkten und Verletzungen ihrer Kindheit zurückkehrt. So entsteht ein vielschichtiges Bild, in dem Vergangenheit und Gegenwart geschickt miteinander verwoben sind und für viel Spannung und emotionale Intensität sorgen.
Im Erzählstrang des Jahres 2018 begegnen wir Susanne am Sterbebett ihrer Mutter im Pflegeheim. Viele Jahrzehnte nach den Ereignissen ihrer Kindheit ringt sie gemeinsam mit ihrer eigenen Tochter darum, sich dem alten Trauma zu stellen und Antworten zu finden. Leciejewski versteht es hervorragend, einen Bogen zur Gegenwart zu spannen und faszinierende Parallelen im Umgang mit Abhängigkeit, Kontrolle und dem Verlust von Würde am Beispiel der heutigen Pflegeheime zu beleuchten. Eindrucksvoll gelingt es ihr, eine Auseinandersetzung darüber anzuregen, wie vergangene Verletzungen bis ins Jetzt hineinwirken und weitere Generationen berühren.
FAZIT
Ein bewegender Roman über das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder, der mit viel Empathie und schonungsloser Offenheit ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte ans Licht bringt. Ein wichtiger literarischer Beitrag – eindringlich, vielschichtig und zutiefst berührend!