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Taina
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Berlin

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Insgesamt 22 Bewertungen
Bewertung vom 03.04.2024
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


gut

Ein Roman, in dessen Mittelpunkt drei Frauenschicksale stehen, die miteinander auf eine Art verwoben sind, die erst nach und nach enthüllt wird. Der Roman beginnt 20 Jahre nach der Beerdigung von zwei Personen, dem Vater und der Lehrerin der Protagonistin Hélène. Nun kehrt Hélène in die Bretagne zurück, die sie damals verlassen hat, um nach Paris zu gehen. Eine Bretagne, wie sie wenigen bekannt ist: ein abgelegenes Dorf im Landesinnern, nicht die touristische Region am Meer. Hier ist das Klima rau, jeder kennt jeden, das Leben verläuft in den vorherbestimmten Bahnen. Paris ist einerseits der Ort, dessen Einwohner um ihr Leben beneidet werden, andererseits wird die Regierung dort von einigen als Unterdrücker des bretonischen Volkes gesehen. Die Lehrerin aus Paris brachte das Gefüge ins Wanken, sie ist die Tote. Es wird offenbar, dass die Geschehnisse weiter zurückreichen, in das Jahr 1940, in dem für die junge Odette die behütete Kindheit beendet ist. 1944 muss sie nach dem Tod ihrer Eltern das Dorf verlassen und nach Paris gehen. Als sie später zurückkehrt, ahnt niemand, dass sie ein Geheimnis hütet, das sie niemandem anvertrauen kann. Ihr Schmerz und ihre Ablehnung alles dessen, was aus Paris kommt, setzen die Katastrophe in Gang. Die Autorin zeigt die bretonische Heimat der Frauen – von der eine nur spürt, dass hier ihre Wurzeln liegen – und die Schicksale, die damit verknüpft sind. Sie zeigt jedoch auch die zerstörerische Kraft, die entsteht, wenn eine Versöhnung nicht möglich scheint. Hélène jedoch weiß, dass ihre Wurzeln ihr die Stärke geben, die sie zum Leben befähigt.

Bewertung vom 13.02.2024
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


sehr gut

Ein bedrückender Roman. Anlässlich eines Erbschaftsstreits um zwei Ferienhütten auf der Insel Hvaler entfaltet die Erzählerin nach und nach eine Lebensgeschichte, die geprägt ist von einem fast pathologischen Graben in der eigenen Kindheit, von einem Leid, das zum Bruch mit der Familie geführt hat – und doch ist da die uneingestandene Sehnsucht, zu denen zu gehören, von denen sie sich bewusst entfernt hat. Die Hütten auf Hvaler würden ihr die Zugehörigkeit sichern, sind jedoch den Schwestern überschrieben worden. Deren Verhalten und das der Mutter empfindet sie als Verrat, als Nicht-Anerkennung ihrer Geschichte. Immer wieder werden die ‚Hütten auf Hvaler‘ erwähnt, sie stehen symbolisch für das Ausgegrenztsein und die subjektiv empfundene Ungerechtigkeit.
Mit ihren fast sechzig Jahren ist die Erzählerin unfähig, sich von den Ereignissen ihrer Kindheit zu lösen, sie überschatten ihre Beziehungen bis zum Zeitpunkt des aktuellen Geschehens. Die Leser/innen werden hineingezogen in dieses Leben, durch Rückblenden wird die Jetztzeit ergänzt – schmerzhaft oft und mit selbstzerstörerischer Kraft kreisen die Gedanken der Erzählerin um die immer gleichen Begebenheiten und deren Spuren in ihrem Leben. Und trotz allem fragt sie sich, ob sie nicht doch nur ihre Narben streichelt, wie sie es nennt. Sie ist jedoch unfähig, etwas zu ändern.
In konzentrischen Kreisen, soghaft, mit präziser Syntax, Windungen, Wiederholungen, wird nach und nach offenbart, was die Erzählerin quält – so langsam und obsessiv, dass die Seelennot auf die Leser/innen übertragen, die Qual beim Lesen spürbar wird.