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Sophia

Bewertungen

Insgesamt 72 Bewertungen
Bewertung vom 21.05.2025
Fallwickl, Mareike

Und alle so still


ausgezeichnet

An einem gewöhnlichen Sommertag passiert etwas Ungewöhnliches: Frauen liegen reglos auf der Straße, still und ohne Protest. Es ist der Beginn eines Widerstands, der immer größere Kreise ziehen wird. Vor diesem Hintergrund begegnen sich Nuri, Elin und Ruth. Nuri ist neunzehn Jahr alt, schlägt sich mit diversen Nebenjobs mehr schlecht als recht durch. Er hadert mit seiner Rolle als Mann und scheint dem gesellschaftlichen Druck nicht gewachsen zu sein. Elin ist Anfang zwanzig und Influencerin. Sie arbeitet im Hotel ihrer Mutter mit und erlebt dort Gewalt, die sie für mich selbst erstmal aufarbeiten muss. Ruth ist Mitte fünfzig und Pflegefachkraft im Krankenhaus. Sie opfert sich für all ihre Patienten auf, übernimmt Schichten ohne Ende, denkt dabei aber nie an sich selbst. Wird der Widerstand der Frauen auch etwas mit den drei Personen machen und werden sie das System ebenfalls infrage stellen?

Ich war sehr gespannt auf das neue Buch von Mareike Fallwickl, "Die Wut, die bleibt" hat mir sehr gut gefallen und gehört zu meinen Lesehighlights. Auch das Cover hier passt zum Thema: laut, auffällig und krass.
Bereits der Klappentext hat mich mitgenommen und ich war gespannt auf dieses Gedankenspiel: was passiert, wenn keine Frau mehr macht, was von ihr erwartet wird? Wenn sich keine mehr dem System beugt, wie lange kann es noch standhalten? Die Autorin hat hier einen wunderbaren Roman geschaffen mit Figuren, denen man gerne folgt und deren Entwicklung man mit Spannung verfolgt. Mich hat beeindruckt, mit welcher Gelassenheit die Frauen sich zusammen tun und leise protestieren. Wobei man es nicht als klassischen Protest bezeichnen kann, vielmehr zeigen sie, was tagtäglich von den Frauen überall auf der Welt erwartet wird: funktionieren, unbezahlte Care-Arbeit leisten, Aufopferung für andere und Gewalt über sich ergehen lassen. Oft hart zu lesen, lohnt es sich, die Geschichte zu lesen, weil deutlich wird, was in unserer Gesellschaft falsch läuft.
Sehr gut gefallen haben mir auch die kurzen, jedem Kapitel vorangehenden Einschübe, die aus der Sicht einer Pistole oder der Gebärmutter einer Frau geschrieben sind. Ungewöhnlich und traurig zugleich zeigen sie Fakten über die Frau in der Gesellschaft, die einen beim Lesern schaudern lassen und die zur Stimmung der Geschichte passen.
Besonders hervorzuheben ist sicherlich auch die Arbeit von Ruth, die Tag für Tag mehrere Schichten hintereinander übernimmt und immer für andere da ist. Man merkt beim Lesen schnell, dass sie sowohl psychisch als auch körperlich am Ende ist, ausgebeutet von einem System, dass nach der Corona-Pandemie eigentlich Besserung gelobt hat - die nie kam. Es hat mich erschreckt zu sehen, unter welchen Bedingungen tausende von Menschen jeden Tag die Maschinerie am Laufen erhalten müssen und über die man sich meist viel zu wenig Gedanken macht.
Interessant ist auch, wie das Patriarchat, die Politik und die Männer selbst auf diesen Widerstand reagieren: statt zuzuhören, nach einer Lösung zu suchen, wird der stille Widerstand mit (Polizei)Gewalt bekämpft und es werden Strafen verhängt.

Für mich der Roman ein neues Lesehighlight, das ich unbedingt jedem weiterempfehlen kann!

Bewertung vom 19.05.2025
Kracht, Christian

Faserland


schlecht

Der namenlose Ich-Erzähler reist durch Deutschland bis in die Schweiz, ohne Ziel oder Plan. Auf jeder seiner Stationen begegnet er alten Bekannten, es hält ihn jedoch nie lange an einem Ort. Zwischen Alkohol, Drogen und Parties lässt er seine Gedanken laufen. Er weiß nicht, was er vom Leben möchte, vielleicht Veränderung, Hauptsache raus aus den traditionellen, gesellschaftlichen Zwängen und Normen.

Das Buch wurde mir von einer Freundin empfohlen, die es als Lehrerin mit ihrer Oberstufenklasse gelesen hatte. Ich kann dem Buch jedoch nichts abgewinnen und bin froh, dass ich es nicht zu meiner Abiturzeit lesen musste.
Die Geschichte an sich hört sich erstmal spannend an, ich habe jedoch selten ein Buch mit einem so unsympathischen Erzähler gelesen. Es ist mir nicht wichtig, dass die Protagonisten allesamt sympathisch sind, das ist auch meist nicht möglich, aber hier hat es die Handlung massiv gestört. Die Handlung ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die der Erzähler oft unter Alkohol- und Drogeneinfluss erlebt. Zu Beginn trifft er auf Sylt eine alte Bekannte, bereits hier zeigt sich die ich-bezogene und arrogante Art des Erzählers. Er unterhält sich nur ungern mit ihr, nimmt jedoch die Einladung zu Drinks und Champagner gerne an. Lieber denkt er von oben herab über die Personen nach, denen er begegnet. Er betrachtet die Menschen eher als lose Bekanntschaften. Wahrscheinlich aus wohlhabendem Elternhaus stammend, scheint er auch keinem Beruf nachzugehen, denn er kann durch Deutschland reisen, wie er gerade Zeit und Lust hat.

Auf knapp 200 Seiten wird viel erzählt, aber irgendwie doch nichts, weil alles inhaltslos wirkt. Hätte das Buch mehr Seiten gehabt, hätte ich es abgebrochen, weil mir einfach die Handlung gefehlt hat. Vielleicht bietet das Buch als Schullektüre mehr Interpretationspotenzial, aber für mich war es leider gar nichts und ich kann es nicht weiterempfehlen.

Bewertung vom 17.05.2025
Hofmann, Madeleine

Trost


ausgezeichnet

Madeleine Hofmann ist Autorin und gerade Anfang dreißig, also mitten drin in der weiteren Lebensplanung, als sie die Schockdiagnose Brustkrebs bekommt. Ihr komplettes Leben wird von einer Minute auf die andere auf den Kopf gestellt und sie muss erstmal die Diagnose und die Reaktionen ihres Umfelds darauf verarbeiten. Sie merkt, dass es für die meisten Menschen unglaublich schwierig zu sein scheint, Trost zu spenden und auch für sie, Trost zu empfangen, anzunehmen und zu finden. Bewusst setzt sie sich mit diesem Thema weiter auseinander und hat dieses hervorragende Buch geschrieben, das viel mehr als ein Sachbuch oder ihre eigene Geschichte ist.

Emphatisch und unverblümt erzählt sie von ihrem Weg, angefangen mit der Diagnose bis zu der Zeit nach Chemotherapie und Reha. Nach den ersten Seiten hatte ich zunächst Sorge, dass es eine Geschichte wird, die sich ausschließlich um die Krankheit dreht und dadurch schwer und zu traurig wird, aber schnell findet man hinein in diese Geschichte.
Madeleine Hofmann setzt sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Trost auseinander: persönlich als Betroffene, aber auch als Trostspenderin selbst. Dabei beleuchtet sie verschiedenste Aspekte und Dinge, die anderen Menschen Trost geben können, z.B. die Verbundenheit zur Natur, zu anderen Menschen in Partnerschaften, Familie, Selbsthilfegruppen und der Kirche, der Umgang mit Tieren und Musik, Kunst und Kultur. Sie holt sich dazu auch Expertinnen und Fachleute an die Seite und untersucht so diese trostgebenden Dinge, erzählt aber auch aus ihrem persönlichen Umfeld. Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch, keine Universalanleitung, die für jeden Menschen gilt, so individuell jeder Mensch auf seine Weise ist, so individuell sind auch die Dinge, die einem Trost und Halt in schwierigen Situationen geben können. Jeder muss damit seinen eigenen Weg finden und dieses Buch ist eine unglaublich tolle Hilfestellung dafür.

Das Buch hat mich sehr zum Nachdenken angeregt und es wird noch lange in mir nachklingen. Ich werde mir das Buch sicherlich in einer ruhigen Minute nochmals vornehmen und achtsam und bewusst die verschiedenen Kapitel lesen. Für mich ein sehr lesenswertes Buch, das trotz des schwierigen Themas viele Anregungen und Ideen bereit hält, aus denen jeder etwas für sich mitnehmen kann.

Bewertung vom 12.05.2025
Rudolf, Emily

Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?


gut

Fünf Jahre ist es her, seit Maria auf einem Festival spurlos verschwand. Gemeinsam mit vier Freunden wollte sie dort eine unbeschwerte Zeit verbringen - und kehrte nie wieder nach Hause zurück. Heute sind die vier Freunde zerstritten, nur Jonathan und Lotta sind verheiratet und führen ein erfolgreiches Restaurant der gehobenen Klasse abgelegen mitten in der Natur. Dorthin lädt Lotta zum fünften Jahrestag die Freunde zu einem Krimi-Dinner ein. Die anderen folgen der Einladung eher widerwillig und es dauert nicht lange, bis nach und nach durchscheint, was damals wirklich passiert ist...

Ich hatte zuvor noch nichts von Emily Rudolf gelesen und war umso gespannter auf diesen Krimi. Das Cover finde ich sehr gut gestaltet und auch der Klappentext konnte mich sofort abholen. Die Idee eines Krimi-Dinners als Ausgangslage fand ich sehr spannend und voller Potenzial. Leider konnte mich die Geschichte dann nicht komplett überzeugen.
Im Umschlag des Buches sind die Personen mit Beschreibungen aufgeführt, was mir beim Lesen viel weitergeholfen hat. Zudem bekommt jeder, wie bei Krimi-Dinnern üblich, einen Namen und eine Rolle zugewiesen. Es gibt dann nicht mehr nur fünf Namen, sondern gleich noch vier Rollen, die man erstmal zuordnen muss. Das ist auch leider ein großer Kritikpunkt für mich, die Personen und Rollen sind schwer zuzuordnen und man kommt schnell durcheinander, wer denn nun wer ist.
Zudem wird kapitelweise abwechselnd aus einer anderen Perspektive erzählt. Dieser Schreibstil gefällt mir normalerweise immer sehr gut, hier jedoch hat es zu noch mehr Verwirrung geführt. Hinzu kommen noch die zwei Zeitebenen, die beleuchtet werden und irgendwann auch miteinander verschwimmen. Nachdem ich die Personen halbwegs zuordnen konnte, war ich von den Zeitebenen und Perspektivwechseln verwirrt.

Gut gefallen haben mir die vielen verschiedenen Fährten, die gelegt wurden und immer wenn ich dachte, ich habe die Handlung durchschaut und bin der Lösung nahe, lag ich wieder komplett falsch. Bis zur letzten Seite hält die Autorin die Spannung hoch und versteht es, den Leser in die Irre zu führen.

"Das Dinner" ist für mich leider hinter meinen Erwartungen zurück geblieben und mit weniger Personen, Rollen und Perspektivwechseln hätte das Buch mehr Sterne bekommen, denn die Ausgangslage und Idee sind nach wie vor toll gewählt.

Bewertung vom 09.05.2025
Logan, T.M.

The Catch - Sie sagt, er sei perfekt. Doch ich weiß, dass er lügt ...


gut

Als Ed den neuen Partner seiner Tochter Abbie kennenlernt, weiß er sofort: mit Ryan stimmt etwas nicht. Er scheint etwas zu verbergen, eine dunkle Seite zu haben. Außer ihm hat jedoch niemand diese Ahnung. Alle sind begeistert von Ryan und als Abbie und er dann auch noch eröffnen, so bald wie möglich heiraten zu wollen, freuen sich alle - nur Ed nicht. Er liebt Abbie über alles und so beginnt er, Nachforschungen über Ryan anzustellen. Er ahnt nicht, dass er sowohl sich als auch Abbie damit in große Gefahr bringt...

Ich hatte von T.M. Logan zuvor noch nichts gelesen und war umso gespannter auf diesen Thriller. Der Klappentext klingt vielversprechend, aber ich hätte mir mehr von der Geschichte erhofft.
Der Großteil der Geschichte wird aus Eds Sicht beschrieben. Das hat mir gut gefallen, weil man so vor allem bei seinen eigenmächtigen Ermittlungen live dabei ist. Auch wenn es vorrangig um Ed und Ryan geht, hat mir die Sicht von Ryan gefehlt, erst gegen Ende löst er Eds Perspektive ab.
Ebenso ein Großteil dreht sich um das Beschatten, Verfolgen und Ermitteln Eds, was an manchen Stellen einfach zu langatmig war. Gegen Ende gab es dann noch einen Plottwist, der zwar an der Stelle überraschend kam, den man aber schon zuvor hat kommen sehen. Generell hat mir leider die Spannung gefehlt, man fiebert die ganze Zeit auf die Hochzeit hin, aber die verstreicht relativ sang- und klanglos. Die Geschichte plätschert mehr vor sich hin als dass Spannung aufgebaut wird, das Rätsel um Ryan wird zu früh aufgelöst.

Für mich ein eher schwacher Thriller, der zu langatmig daherkommt und keine richtige Spannung aufbauen kann. Vielleicht werde ich mir noch ein weiteres Buch des Autors vornehmen zum Vergleich.

Bewertung vom 08.05.2025
Faber, Polly

Durch die ganze Nacht


ausgezeichnet

Ich war im Rahmen einer Weiterbildung als Grafikdesignerin auf der Suche nach Inspirationen für interessante Landschaften und Städtedarstellungen und bin bei diesem Buch hier fündig geworden.
Ein Mädchen macht sich abends fertig fürs Bett und winkt ihrer Mutter zu, die gerade zur Arbeit aufbricht. Ihre Mutter ist nämlich Busfahrerin, während der Vater zu Hause ist und Care-Arbeit leistet. Durch ihre Arbeit als Busfahrerin kennt sie alle, die ebenfalls nachts arbeiten: Ärzte, Bäcker, Polizisten, Taxifahrer, Reinigungskräfte, Gleisarbeiter und viele mehr. Die einzelnen Berufe werden auf jeweils einer Doppelseite kurz dargestellt.

Die Landschaften, Figuren und Details sind toll und vor allem bunt dargestellt. Gerade die Umgebung und Details sind schön und kindgerecht illustriert, es lohnt sich, sich länger damit zu beschäftigen, weil man immer etwas Neues entdeckt. Mir hat besonders gut gefallen, dass die Menschen so unterschiedlich dargestellt wurden wie ihre Berufe selbst sind: Frauen sind Gleisarbeiterinnen, Polizistinnen tragen Hijab. Das Buch stellt diese Berufe zwar nur kurz dar, aber diese kurzen Geschichten geben einen guten Einblick in eine Welt, die für die meisten von uns und gerade für Kinder verborgen bleibt und es ist spannend und wichtig zu sehen, was alles passiert, wenn wir schlafen.

Von mir gibt es eine Empfehlung für dieses tolle Kinderbuch, dass sich mit wichtigen Berufen auseinandersetzt.

Bewertung vom 07.05.2025
Canizales

Seltsam


ausgezeichnet

Für eine Aufgabe innerhalb einer Weiterbildung als Grafikdesignerin brauchte ich Inspiration für die Illustration von Kinderbuchfiguren - und bin hier fündig geworden!
Das Buch zeigt großflächig die Geschichte von Clemens, der als Einziger im Ort normal ist. Alle anderen Tiere haben z.B. einen großen Rüssel wie Rosa oder einen langen Hals wie Gustav. Als in der großen Villa neues Personal gesucht wird, ist sich Clemens sicher: er bekommt auf jeden Fall einen Job! Doch alle anderen Tiere werden sofort eingestellt, nur Clemens muss wieder nach Hause gehen. Er erkennt, dass alle eingestellt wurden, weil sie etwas Besonderes haben oder können - und dass das auch gut so ist.

Das Buch ist bunt und toll gestaltet, die Figuren sind allesamt kindgerecht illustriert und mit einfachen Formen gemalt. Die Themen Einzigartigkeit und Anders-Sein werden hier toll verarbeitet. Die Geschichte zeigt spielerisch, dass jeder etwas Besonderes ist und dass man das zeigen darf und sollte. Erst das macht uns und unser Miteinander lebendig.

"Seltsam" ist ein wunderbares Buch zum Träumen und Vorlesen, von mir gibt es eine große Empfehlung!

Bewertung vom 05.05.2025
Chambers, Essie

Swift River


gut

Worum es geht:
Die 16-jährige Diamond lebt im Jahr 1987 in Swift Rover, einer Kleinstadt in den USA. Sie ist die einzige Schwarze in der ganzen Stadt seitdem ihr Vater Pop vor sieben Jahren verschwand. Gemeinsam mit ihrer Mutter, die Weiß ist, lebt sie in einem heruntergekommenen Haus. Diamond ist stark übergewichtig und leidet unter alltäglichem Rassismus und Diskriminierung. Doch dann erhält sie ein Paket mit einem Brief einer Verwandten väterlicherseits und sie lernt nach und nach die Geschichte ihres Vaters und ihrer eigenen Familie kennen.

Meine Meinung:
Das Cover hat mich mit seinen kräftigen Farben angesprochen und auch der Klappentext verspricht eine emotionale und spannende Reise mit wichtigen und aktuellen Themen. Dieses Versprechen wurde für mich nur teilweise eingelöst. Die Leseprobe hat sich noch sehr spannend gelesen und ich wollte unbedingt erfahren, was es mit dem Brief von Auntie Lena auf sich hat. Welche Familiengeheimnisse wird Diamond aufdecken? Und was hat es mit Pops Verschwinden auf sich?
Leider wurde auf die groß angepriesene Suche vom Klappentext eher weniger im Verlauf der Handlung eingegangen. Viel mehr erzählt Diamond aus ihrer Sicht aus ihrem Alltag, der geprägt ist von Alltagsrassismus, ihrem Übergewicht und ihrem komplizierten Verhältnis zu ihrer Mutter. Man begleitet sie auf eine Reise, von der man als Leser gar nicht so wirklich weiß, wohin sie gehen soll oder was das Ziel ist. Diamond wächst auf jeden Fall über sich hinaus, wird selbstständiger und selbstbewusster und das hat mich als Leserin gefreut und weiter lesen lassen.
In Rückblenden erzählt sie aus ihrer Kindheit, in der sie noch mit beiden Elternteilen zusammen war. Auch hier zeigt sich die Zerrissenheit der kleinen Familie, es wird deutlich, dass Pop Probleme hatte und das Verhältnis zu Diamond zwiegespalten war. Auch das Verhältnis zu ihrer Mutter bleibt schwierig. Man merkt beim Lesen sofort, dass Annabel sich weder um sich selbst noch um Diamond wirklich kümmern kann. Stets hat man beim Lesen Mitleid mit Diamond und wünscht sich für sie, dass sie diesem toxischen Umfeld entkommen kann. Diamond war mir direkt zu Beginn sympathisch, mit den anderen Figuren konnte ich nicht wirklich warm werden, das ist von der Autorin wahrscheinlich auch so gewollt.
Sehr gut gefallen haben mir die abgedruckten Briefe von Lena, die sie Diamond schreibt und auch Briefe ab dem Jahr 1915 von einer noch älteren Verwandten. Auch wenn man der Familienkonstellation an vielen Stellen schlecht folgen konnte, zeigen gerade diese Briefe, dass der Alltagsrassismus und die Diskriminierung seit über hundert Jahren aktueller denn je sind. Es ist sehr spannend, von einer Familie zu lesen, die seit Generationen unterdrückt wurde und die trotzdem zusammengehalten hat.
Essie Chambers behandelt in ihrem Roman wichtige und aktuelle Themen wie Alltagsrassismus, Diskriminierung, Gewalt und Trauer. Mit Diamond gibt sie dem ganzen eine andere Note, nicht tragisch oder belehrend sondern vielmehr humorvoll nähert sie sich diesen Themen an und erzählt auf ganz eigene Weise, wie es sich als einzige Schwarze weit und breit anfühlt. An manchen Stellen wirkt Diamond fast abgestumpft und ich hatte oft einen Kloß im Hals beim Lesen, aber umso mehr hofft man, dass Diamond aus eigener Kraft den Absprung schafft. Die Sprache ist leicht und man folgt Diamond, die mit ihren ganz eigenen Gedanken und Erinnerungen auf die Dinge schaut.
Ein großer Kritikpunkt sind für mich die Längen, die das Buch hat. Oft habe ich mich beim Lesen auch gefragt, wo die Autorin mit ihrer Geschichte eigentlich hin möchte, die Handlung ist oft auf der Stelle getreten und auch die Suche nach ihrem Vater, die im Klappentext ein zentraler Punkt ist, hat mir gefehlt. Das Ende hat mich leider nicht voll überzeugt, es wurde auf einige Seiten herunter gebrochen, wovon ich mir mehr Tiefe und Details gewünscht hätte.

Mein Fazit:
Trotz einiger Schwächen hat Essie Chambers mit ihrem Debütroman eine tolle Geschichte verfasst mit wichtigen Themen. Von mir gibt es eine Empfehlung für alle, die sich mit Themen wie Rassismus und Diskriminierung auseinander setzen möchten und nebenbei auch noch etwas über die Schwarze Bevölkerung einer Kleinstadt in den USA lesen möchten.

3,5/5 Sternen

Bewertung vom 30.04.2025
Thomas, Ruth-Maria

Die schönste Version


ausgezeichnet

Ostdeutschland in den 2010er-Jahren: Jella ist Anfang zwanzig und wohnt mit ihrem Freund Yannick zusammen, es ist die erste große Liebe. Jella studiert, Yannick ist Künstler, muss aber noch zusätzlich auf Montage gehen um die Wohnung zu finanzieren. Die Beziehung hat mehr Tiefen als Höhen und so kommt es eines Tages zu einer heftigen Auseinandersetzung mit körperlicher Gewalt. Jella flüchtet zu ihrem Vater und erstattet Anzeige gegen Yannick bei der Polizei.

Ich kann nur sagen: Wow! Das Buch hat mich komplett in seinen Bann gezogen und ich habe es schon mehrmals weiterempfohlen. Das Cover gefällt mir sehr gut und hebt sich von der breiten Masse der sonstigen aktuellen Cover ab. Das Rosa lässt nicht erahnen, welche gewaltige Geschichte in dem Buch steckt.
Der Einstieg in die Geschichte fällt leicht, man begleitet Jella auf der Polizeistation als sie gerade die Anzeige aufgeben möchte. Das Buch ist komplett aus ihrer Perspektive geschrieben, was unglaublich gut die Gefühlslage widerspiegelt und die Sprache und Handlung authentisch macht.

In Rückblenden erinnert sich Jella an ihre frühe Jugend, sie möchte gefallen und begehrt werden, dazugehören und verstellt sich oft. Schonungslos und eindrücklich, aber auch authentisch erzählt sie in ihrer eigenen Weise von dem für sie damals normalen Alltag, der sich darum dreht, gerade der Männerwelt zu gefallen. Jella steht beispielhaft für die Sozialisierung von Mädchen und Frauen, die leider immer noch genau so passiert und normal ist. Da ihre Eltern getrennt leben und sie bei ihrem Vater lebt, kümmert sie sich mehr oder weniger früh um sich selbst. Sie lernt, wie sie sich verstellen muss, was sie anziehen muss, wie sie schauen muss um den Männern zu gefallen. Mit Yannick scheint sie endlich ihr Glück gefunden zu haben, doch auch in dieser Beziehung erkennt man beim Lesen nach und nach, dass es bereits früher gewalttätige Auseinandersetzungen gab und die Beziehung mehr als toxisch ist.

Ich habe mit Jella mehr oder weniger sympathisieren können, aber das spielt auch keine Rolle, denn sie erzählt ihre Geschichte so realistisch und echt. Man erlebt ihre Zerrissenheit und ihr Schwanken: war der Angriff von Yannick wirklich so schlimm? Muss nicht ich mich entschuldigen, ihn so provoziert zu haben? Und die wichtigste Frage: soll ich ihm verzeihen und die Anzeige zurück ziehen?
Der Autorin gelingt es hier grandios, so wichtige Themen wie toxische Beziehungen, häusliche Gewalt und die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft so eindrücklich und authentisch zu verpacken, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollte. Ja, es ist an einigen Stellen hart zu lesen und auch die Sprache bedient sich einiger Formulierungen und Beschreibungen, die an einigen Stellen heftig sind, aber gerade das macht die Geschichte aus.

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung für dieses aktuelle und wichtige Buch, für mich wäre hier auch der Buchpreis sehr verdient gewonnen gewesen.

Bewertung vom 16.04.2025
Frank, Rebekka

Stromlinien


sehr gut

Enna und Jale sind Zwillinge und siebzehn Jahre alt. Sie wohnen in den Elbmarschen bei ihrer Großmutter Ehmi. Ihre Mutter Alea sitzt seit 38 Jahren im nahegelegenen Gefängnis Hahnöfersand. Aufgrund dieser schwierigen Familiensituation sind Enna und Jale unzertrennlich - eigentlich, denn kurz vor der Haftentlassung Aleas verschwindet Jale spurlos. Auch Alea taucht nicht am vereinbarten Treffpunkt nach ihrer Haftentlassung auf. Enna begibt sich mit ihrem geliebten Boot "Sturmhöhe" auf die Suche nach den beiden. Vor allem Jales Verschwinden setzt ihr zu, denn sie fördert immer mehr Geheimnisse zutage, die nicht nur sie und Jale betreffen, sondern sich über mehrere Generationen spannen und bis in die Gegenwart reichen.

Alleine das Cover spricht für sich und fällt sofort ins Auge. Auf den Schutzumschlag sind außerdem die Linien erhaben gedruckt, was das Ganze sehr hochwertig und elegant wirken lässt.
Normalerweise bin ich kein großer Fan von Familienromanen, die sich dann auch noch über mehrere Genrationen spannen. "Stromlinien" jedoch hat mich auf eine ganz andere Ebene abgeholt und ist viel komplexer und tiefgründiger als die meisten Romane dieser Art, die ich bisher gelesen habe.
Der Einstieg in die Geschichte fällt leicht, man lernt Enna kennen, die sich wahnsinnig auf die Haftentlassung ihrer Mutter freut, gemeinsam mit Jale zählt sie die Stunden und Minuten bis dahin. Bereits in den ersten Kapiteln spürt man, dass es Geheimnisse in dieser Familie gibt und dass jedes Familienmitglied seine eigenen mit sich trägt. Das Besondere an der Erzählweise sind die vielen Zeitebenen, in denen die Geschichte spielt. Angefangen im Jahr 1915, spannt sich die Handlung über die Jahre 1978 und 1984 bis ins Jahr 2023. Zunächst brauchte ich etwas, um mich mit den verschiedenen Zeitebenen und Charakteren zurechtzufinden, weil sich auch zunächst viele Fragen ergeben, die immer nur häppchenweise im Verlauf der Handlung geklärt werden.
Die aktuelle Zeitebene ist aus Ennas Sicht geschrieben, sie bildet den Dreh- und Angelpunkt der Suche und der Aufklärung der Geheimnisse in der Gegenwart. Sie ist ein eigenwilliger Charakter und versteckt ihr sensibles Wesen unter einem dicken Panzer der Gleichgültigkeit. Gerade ihre Wandlung wird toll beschrieben, sie wächst über sich hinaus. Auch Aleas Charakter ist spannend, ebenso Ehmis und der von Ehmis Schwester Greetje. Die detaillierten Naturbeschreibungen der Pflanzen und Tiere runden die Handlung ab, man merkt, dass die Autorin viel Zeit und Mühe in die Recherche dazu investiert hat. Auch das Thema rund ums Bootfahren und der Elbe werden toll beschrieben. Beim Lesen kann man sich die Umgebung der Elbmarschen genau vorstellen und gewinnt so einen guten Eindruck von Ennas und Jales Zuhause.
"Stromlinien" ist viel mehr als ein Familienroman: er beschäftigt sich mit der Frage der Schuld und wie schwer und wie lange ein Geheimnis wiegt. Sehr emotional und eindrücklich beschreibt die Autorin hier eine über hundertjährige Familiengeschichte, die den Leser gleichsam fesselt und nachdenklich zurücklässt. Auch das Nachwort der Autorin erklärt nochmal Einiges an Fakten und interessanten Hintergrundinformationen.
Einzige Kritikpunkte sind für mich die an einigen Stellen zu konstruierte Handlung und die Längen, die das Buch im ersten Drittel hatte.

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung für diesen tollen und einfühlsamen Familienroman!
4,5/5 Sternen