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Havers
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Vaihingen an der Enz
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 181 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2025
Desolation Hill
Disher, Garry

Desolation Hill


sehr gut

3,5 (aufgerundet)

In „Desolation Hill“, dem vierten Band der Hirschhausen Reihe, sitzen wir einmal mehr auf dem Beifahrersitz des klapprigen Hilux und begleiten „Hirsch“ auf den Patrouillenfahrten durch seinen dünnbesiedelten Zuständigkeitsbereich im australischen Weizen- und Wollland. Die Fälle, um die sich der in Ungnade gefallene Senior Constable kümmern muss, sind üblicherweise auf den ersten Blick unspektakulär. Ein erschossener Schafbock, Online Mobbing, gefakte Sperrmüllsammlungen, das in den Boden gefräste Symbol der Ureinwohner, die schießwütige Frau eines Großgrundbesitzers und freilaufende Hunde. Doch dann ist da noch das verschwundene Backpackerpärchen und die Leiche mit ungeklärter Identität im Koffer. Wie wir es von Disher kennen, werden sich im Lauf der Story Zusammenhänge ergeben, Verbindungen sichtbar werden.

So weit, so gut und so erwartet. Zwei Dinge haben mich diesmal allerdings massiv gestört. Da ist der erhobene Zeigefinger, der immer wieder zwischen den Zeilen zum 1.) Thema Corona aufgetaucht ist. Desolation Hill (= Originaltitel Day’s End) ist 2023 erschienen, also zu einem Zeitpunkt, in dem das Thema Corona in aller Munde war. Und dass die Australier besonders rigide mit Lockdowns sowie Masken- und Impfpflicht waren, drang auch bis zu uns durch. Disher war wohl von den Maßnahmen überzeugt, lässt Hirsch zum Sprachrohr der offiziellen Linie werden und bezeichnet diejenigen, die den offiziellen Verlautbarungen misstrauen, als Covidioten. Zur Handlung tragen diese Bemerkung allerdings überhaupt nichts bei. 2.) Ähnlich ist es mit diesem Adlersymbol. Natürlich gilt es die Kultur der Ureinwohner zu respektieren, in diesem Punkt sind wir uns alle einig, aber muss die Thematik der kulturellen Aneignung hier auch untergebracht werden? Und 3.) war es wirklich notwendig, die Story mit diesem Showdown abzuschließen, der eher an eine amerikanische Actionserie erinnert und so überhaupt nicht zur Stimmung des Buches passt?

Der zweite Punkt ist die Übersetzung, die stark von dem abweicht, was man von Peter Torberg üblicherweise gewohnt ist. Beispiele gefällig? Was ist „ein besiegt wirkendes schmiedeisernes Tor“? Was sind „Schrumpffolienschenkel“? Und wie „installiert“ man sich auf den Rücksitz? Tut mir leid, aber das klingt noch nicht einmal wörtlich übersetzt, sondern wirkt einfach nur unpassend und schludrig.

Es kann nur besser werden, denn auch wenn das Buch mit Sicherheit auf den vorderen Plätzen der Krimibestenliste auftauchen wird, fällt es meiner Meinung nach im Vergleich mit den Vorgängern deutlich ab, wirkt zumindest im letzten Drittel lieblos zusammengeschustert, eher so, als hätte sich der Autor mangels eigenen Ideen an Schlagzeilen entlang gehangelt. Schade.

Bewertung vom 25.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


gut

Die Bankiersfamilie Van Laar veranstaltet jedes Jahr ein Sommercamp für Jugendliche auf ihrem Waldgelände in den Adirondacks. Aber an einem Tag im August 1975 ist plötzlich alles anders als zuvor. Barbara, die Tochter der Van Laars, ist weg, spurlos verschwunden wie schon ihr Bruder Bear vor vielen Jahren. Ein Verlust, der tiefe Wunden in der Familie hinterlassen hat und bis zu diesem Tag nicht hinreichend geklärt werden konnte. Es gab zwar Vermutungen, Erklärungen und die entsprechenden Aktionen von offizieller Stelle, aber dennoch blieben Zweifel.

Was ist mit Barbara geschen? Keine Hinweise, keine Spuren. Ist sie aus eigenem Antrieb verschwunden? Hat ihre erste Liebe sie dazu veranlasst? Wurde sie entführt? Oder gibt es etwa einen Zusammenhang mit dem Ausbruch des verurteilten Mörders Jacob Sluiter aus dem Gefängnis? Wiederholen sich die Ereignisse um das Verschwinden Bears? Und wie kann die Famile den erneuten Verlust eines Kindes verkraften und damit umgehen?

Gerüchte und Vermutungen brechen sich Bahn, verändern den Blick der Außenwelt auf die Familie. Als eine groß angelegte Suchaktion kein Ergebnis bringt, muss an von dem Schlimmsten ausgehen und die Ermittlungen in die Hände der Polizei geben. Aber auch Judyta Luptack, die junge Inspektorin, verantwortlich in diesem Fall, steht vor einem Rätsel und kommt nicht weiter, was allerdings auch dem Umstand geschuldet ist, dass kein Vertrauen in sie gesetzt und sie massiv bei ihren Nachforschungen behindert wird.

Nun könnte man meinen, Liz Moore hätte einen Kriminalroman geschrieben. Weit gefehlt. Sie nutzt zwar das Verschwinden eines Teenagers als Ausgangspunkt, aber ihr eigentliches Thema ist die Milieustudie einer dysfunktionalen Familie im Allgemeinen und die verhängnisvollen Auswirkungen psychischer Misshandlung in den Beziehungen im Besonderen.

Durch den multiperspektivischen Aufbau ihres Romans führt sie uns die dunklen Abgründe, allmählich Risse und deren Auswirkungen vor Augen, die bei genauerem Hinschauen in den Beziehungen sichtbar werden. Die Geringschätzung, die Vernachlässigung, die psychische Gewalt – all das lauert um die Ecke und ist nicht nur im Familiengefüge der Van Laars zu finden.

Familiengeschichten, ein Thema, das schon oft in der Literatur beackert wurde und auch bei Moore kaum Neues zu bieten hat. Über weite Strecken habe ich mich als außenstehender, unbeteiligter Beobachter gefühlt, bar jeglicher Emotionen, die ich beim Lesen von „Long Bright River“ empfunden habe, was meiner Meinung nach an dem riesigen Personentableau lag plus den ausführlichen und sich teilweise wiederholenden Schilderungen alltäglicher Handlungen, beides für ein gleichmäßiges Dahinplätschern auf mittlerem Niveau, ohne große Höhen oder Tiefen, verantwortlich. Weit entfernt von dem Vorgänger, der mein Buch des Jahres 2021 war. Schade.

Bewertung vom 23.02.2025
Berchtesgaden
Otto, Carolin

Berchtesgaden


ausgezeichnet

Mai 1945. Der Krieg ist vorbei, aber die Wunden, die er geschlagen hat, sind noch offen. Die Amerikaner haben den Wettlauf gegen die Franzosen gewonnen und die Verwaltung übernommen. In Berchtesgaden herrscht Aufbruchstimmung. Die öffentlichen Ämter müssen neu besetzt werden, was sich als einigermaßen schwieriges Unterfangen herausstellt. Parteimitglieder, Mitläufer, Regimegegner, Kriegsheimkehrer und Überlebende, die dem Kriegsende ihre Freiheit verdanken. Alle benötigen den Persilschein, müssen sich deshalb einer Befragung unterziehen, aber nur wenige haben tatsächlich eine blütenweiße Weste.

An Einzelschicksalen sehen wir die Wunden, die der Krieg im Kleinen und Großen geschlagen hat. Frank, vor Kriegsausbruch gerade noch mit seiner jüdischen Familie nach Amerika geflüchtet, ausgebildet in Verhörtechniken in Camp Richtie, der die Befragungen der Einheimischen durchführt. Sophie, die naive junge Frau, die dessen Interviews protokolliert und sich in einen schwarzen GI verliebt. Rudolf Kriss (historisch verbürgt), von einem Nachbarn denunziert, was Konzentrationslager und Todesurteil zur Folge hatte. Nach der Befreiung Berchtesgadens Bürgermeister. Max, Sophies Bruder, Angehöriger der Waffen-SS, aus Angst vor Konsequenzen in die Berge geflohen…und…und.

Carolin Otto ist Drehbuchautorin (Polizeiruf, Tatort), und auch dieser Stoff hätte eigentlich eine TV-Serie zum 80. Jahrestag des Kriegsendes werden sollen. Aber da sich das Projekt zerschlagen hat, hat sie die Rechercheergebnisse zu ihrem Roman „Berchtesgaden“ verarbeitet. Zum Glück, kann ich da nur sagen.

Sie hat sich bei ihrer Recherche intensiv mit der Nachkriegsgeschichte Berchtesgadens auseinandergesetzt, thematisiert aber nicht nur die Probleme, sondern auch die Chancen, die sich (nicht nur) für die Einheimischen durch die Ankunft der Amerikaner ergeben. Jede/r der Protagonisten hat eine persönliche Geschichte, eine Vergangenheit, aber auch eine Zukunft. Ist Teil einer Gemeinschaft, die sich neu orientieren muss.

Und ja, man merkt die Drehbuchautorin. Ganz gleich, ob Personen, ihre Handlungen oder die Landschaft, alles wird sehr bildhaft und eindrücklich geschildert, vermittelt das Gefühl, man sähe es direkt vor sich. Und auch die Cliffhanger am Ende der aus wechselnder Sicht erzählten Kapitel sind perfekt gesetzt, so dass man unbedingt wissen möchte, wie sich die jeweilige Geschichte entwickelt und in das große Ganze eingebettet ist.

Ein gelungener historischer Roman, in dem die Einzelschicksale eng mit dieser besonderen Zeitspanne der unmittelbaren Nachkriegszeit verknüpft sind. Sehr informativ, aber auch spannend und einfühlsam erzählt. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 22.02.2025
What I eat in a day
Franssen, Sarah

What I eat in a day


weniger gut

Ich bin grundsätzlich skeptisch, wenn mir Laien etwas von gesunder Ernährung erzählen wollen. Noch misstrauischer werde ich, wenn dies von Influencerinnen und/oder ContentCreatorinnen kommt. Tja, was soll ich sagen? Meine Vorurteile wurden wieder einmal bestätigt, denn der Fokus der Autorin liegt weniger auf gesunden Mahlzeiten als vielmehr auf solchen, die der Gewichtsreduktion dienen.

Bunte Bilder, in denen sich die Autorin mit knappen Oberteilen in Szene setzt, unzählige Seiten, die den Eindruck vermitteln sollen, dass hier ein Profi schreibt, aber unterm Strich nur Allgemeinplätze zum Thema wiederkäuen, die man schon tausendfach gehört hat. Und ein 14-Tage-Plan, bei dem man sich weitestgehend aus der Schüssel, pardon, der Bowl, ernährt. Und auch die weiteren „Mahlzeiten“ sind nichts Besonderes: Pastagerichte, Salate, Smoothies – sorry, aber dafür braucht selbst ein absoluter Kochanfänger keine Rezepte.

Für diejenigen, die sich, wenn auch nur ansatzweise schon einmal mit dem beschäftigt haben, was bei ihnen auf den Teller kommt, ist dieser „Ratgeber“ komplett überflüssig.

Bewertung vom 17.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

107 Stunden, und die Uhr tickt. Knapp fünf Tage, und dann ist die Welt Geschichte. Die Welt, die nur noch aus 122 Menschen auf einer kleinen griechischen Insel mitten im Meer besteht, und eine Geschichte, die niemand mehr hören kann…

Wissenschaftler, die nicht nur das tägliche Leben sondern auch die Gedanken kontrollieren. Ein diffiziles Abwehrsystem, das vor dem schädlichen externen Einfluss schützt, der alles Leben auslöschen wird. Ein Mord, der genau dieses Abwehrsystem außer Kraft setzt und dem tödlichen Nebel Zugang gewähren wird. Und der verzweifelte Versuch, zu retten, was zu retten ist.

Ich bin kein Fan von Sci-Fi, und auch mit Dystopien kann man mich üblicherweise nicht hinter dem Ofen vorlocken. Aber Turtons neuem Roman gelingt es, was einmal mehr dem Genre-Mix geschuldet ist, den der Autor so perfekt beherrscht. Seine Bücher werden zwar durchgängig mit dem Etikett Kriminalroman versehen, lassen sich aber durch die Komplexität, die sie auszeichnet, diesem Genre nicht eindeutig zuordnen.

Eine spannende, über weite Strecken unvorhersehbare Lektüre, die zum Nachdenken anregt. Lesen!

Bewertung vom 15.02.2025
America Fantastica
O'Brien, Tim

America Fantastica


gut

Boyd Halverson, einst Pulitzer-Kandidat, nun nur noch ein Journalist unter vielen, hadert mit dem Leben. Verantwortlich für seine missliche Lage macht er seinen Ex-Schwiegervater Jim und will sich an ihm rächen. Um das Vorhaben zu finanzieren, raubt er eine Bank aus und nimmt die Kassiererin Angie als Geisel. Gemeinsam mit ihr macht er sich zumindest anfangs relativ unbehelligt auf den Weg, um mit Jim abzurechnen. Interessanterweise sind es (aus Gründen) keine Gesetzeshüter, die die Verfolgung aufnehmen, sondern diverse zwielichtige Gestalten, angefangen bei Angies Freund und noch anderen Schlägertrupps. Während der Fahrt entspannt sich das Verhältnis zwischen Geisel und Geiselnehmer zunehmend, und so versorgt Boyd seine Mitfahrerin in einem nicht versiegenden Redestrom mit sämtlichen Informationen darüber, was wie und warum in Amerika aktuell schief läuft. Zu Beginn ist das stellenweise noch ganz interessant, aber im Verlauf nutzt es sich recht schnell ab und wird ermüdend.

Tim O’Brien hat den Kanal voll. Anders kann ich mir seinen Roman „America Fantastica“ nicht erklären, in dem er sich an der Realität (s)eines Landes während der ersten Amtszeit Trumps abarbeitet. Einer Zeit, in der Lügengespinsten die Wahrheit verdrängen, die schon längst keine Gültigkeit mehr hat. Während dieses aberwitzigen Roadtrips schildert er die gesellschaftlichen Veränderungen. Ein Versuch, die amerikanischen Mythen zu demaskieren, der mal mehr, mal weniger gut gelingt. Über weite Strecken kommt das zum einen durch die verwendeten Stereotypen leider viel zu stark überzeichnet daher und vermittelt zum anderen an vielen Stellen den Eindruck, dass hier jemand schreibt, der meint, den absoluten Durchblick zu haben und sich nach Zeiten zurück sehnt, die längst vergangen sind. So wird aus einem Roman mit Noir-Ansätzen eher eine Mischung aus Groteske, persönlichem Bekenntnis und Weltsicht, dessen Botschaft dadurch an Bedeutung verliert.

Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 13.02.2025
Das kalte Schweigen der See
Audic, Morgan

Das kalte Schweigen der See


ausgezeichnet

Belugas, Orcas und Eisbären. Schneidende Kälte, Schnee und Dunkelheit. Polarnacht in dieser menschenleeren Weite im Norden Norwegens. Ein tödlicher Eisbärangriff, ein Selbstmord. Verstümmelte Wal-Kadaver und zwei Todesfälle, tausend Kilometer voneinander entfernt.

In Longyearbyen wird neben einem gestrandeten Pottwal, dessen massiger Körper mit Runensymbolen übersät ist, die grässlich zugerichtete Leiche einer Studentin der arktischen Biologie gefunden. Ihr Körper zerfetzt, übersät von Biss- und Kratzspuren. Offenbar Opfer eines Bärenangriffs. Früher eher unüblich auf Spitzbergen. Aber durch den Rückgang der Robbenpopulation suchen die Bären nach alternativen Futterquellen. Warum hat sie sich nicht an die Vorschriften gehalten und war ohne Gewehr unterwegs? Und warum beschleicht die mit der Untersuchung beauftragte Polizistin Lottie Sandvik, ehemals bei der Osloer Polizei tätig, aber nach einer Versetzung wieder zurück und zuständig für Spitzbergen und die Lofoten, ein solch unbehagliches Gefühl?

Fast zeitgleich trifft auf den Nils Madsen auf den Lofoten ein, da dessen Ex-Freundin und ehemalige Kollegin Åsa angeblich Selbstmord begangen haben soll. Die beiden haben eine gemeinsame Vergangenheit, beruflich und privat, waren Kriegsreporter, jahrelang in Krisengebieten unterwegs. Madsen kennt sie als psychisch stabile Persönlichkeit, bezweifelt die Selbstmord-Theorie. Hat die engagierte Umweltaktivistin Åsa, die mit ihren Walbeobachtungstouren Touristen sensibilisieren wollte, diejenigen verärgert, die noch immer skrupellos Wale abschlachten? Musste sie deshalb sterben?

Außerordentlich gut gelungen sind dem Autor die Beschreibung dieser außergewöhnlichen Natur, der bereits nicht nur durch den professionellen Walfang sondern auch durch die (mittlerweile eingestellte) Ausbeutung der Bodenschätze in der Vergangenheit irreversible Schäden zugefügt wurden. Und natürlich werden auch die Interessen der verschiedenen Nationen thematisiert, die sich in diesem Landstrich nicht nur aus wirtschaftlichen sondern auch aus militärischen Gründen tummeln.

Zwei Todesfälle, die Audic sauber getrennt auffächert, die aber ihre Ursachen in einem gemeinsamen Nenner haben, nämlich dem verantwortungslosen Umgang mit den Meeressäugern. Über Dreiviertel der Handlung begleiten wir sowohl Lottie Sandvik als auch Nils Madsen, jede/r für sich bemüht, Licht ins Dunkel der beiden Todesfälle zu bringen. Und das, obwohl beide mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen haben, was aber glücklicherweise nicht sonderlich viel Raum einnimmt.

Im letzten Viertel wird es noch einmal richtig hektisch, denn hier laufen die beiden Handlungsstränge zusammen und verschränken sich. Die Kapitel werden kürzer, das Tempo zieht merklich an, peu à peu werden die offenen Fragen beantwortet, die beiden Todesfälle aufgeklärt, die Schuldigen entlarvt und zumindest teilweise bestraft. Es endet wie in der Realität, denn hier wie dort bleiben die Hintermänner im Dunkeln.

Ein gelungener Thriller zu einem wichtigen Thema, spannend und atmosphärisch aufbereitet, dessen Botschaft auch ohne den erhobenen Zeigefinger ankommt. Ohne Einschränkung Daumen hoch. Lesen!

Bewertung vom 08.02.2025
Kohle, Stahl und Mord: Das 13. Opfer
Conrath, Martin

Kohle, Stahl und Mord: Das 13. Opfer


gut

Im Oktober 1988 ereignet sich ein tragisches Unglück in der (fiktiven) Zeche Ludwig. Es gibt Überlebende und Verletzte, aber zwölf Kumpel können nicht geborgen werden, sind unter den Trümmern verschüttet und bleiben den Überlebenden als das „Wandernde Dutzend“ in Erinnerung.

Die Zeche wurde in der Zwischenzeit stillgelegt und soll zu einem Besucherbergwerk umgebaut werden. Als eine Gruppe Bergmänner, unter ihnen auch Werner, einer der Überlebenden der damaligen Katastrophe, in die Grube einfährt, um Kontrollarbeiten zu erledigen, bebt die Erde und löst einen Wassereinbruch aus, der neben Geröll auch jede Menge Knochen in den Stollen spült. Könnte es sich um die Überreste des „wandernden Dutzend“ handeln? Natürlich, aber da ist ja noch der dreizehnte Schädel mit dem Einschussloch…

Ein Fall für ein Team der Kripo Essen unter Leitung von KHK Elin Akay, die zur Unterstützung ihre Freundin aus Kindertagen, die Forensikerin Jana Fäller hinzuzieht. Deren inzwischen verstorbener Vater gehörte wie Werner zu den Überlebenden des Unglücks von 1988. Und es gibt noch einen dritten Kumpel, der überlebt hat. Torben Repsen, damals wegen einer mutigen Tat als Held gefeiert und mittlerweile Bürgermeister von Essen, ein Politiker mit Saubermann-Image. Aber hält das einer Überprüfung stand? Das soll Tim Harms, investigativer Journalist, auf Anweisung seines Chefs herausfinden.

Zwei Handlungsebenen und eine Leiche im Keller, ähm, im Stollen. Auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich, wäre da nicht das Setting. Ich habe schon einige Krimis und Romane gelesen, deren Handlung im Ruhrgebiet verortet war, den Bergbau aber nur am Rand erwähnt haben. Das ist hier etwas anders, denn gerade zu Beginn gibt es eine Fülle von detaillierten Informationen zum Thema Bergbau. Für den Einstieg in die Handlung empfand ich diese Unterbrechungen aber eher störend, da sie den Lesefluss gehemmt haben. Einfach etwas zu viel des Guten und nicht unbedingt notwendig.

Die beiden Hauptfiguren Elin und Jana konnten mich nicht vollends überzeugen. Deren Charakterisierung bleibt an der Oberfläche und bedient sich zahlreicher Klischees wie Rivalitäten in der SoKo, unüberlegte Alleingänge etc. Kompetenz sieht anders aus. Aber vielleicht erschöpft sich ihre Funktion auch darin, Möglichkeiten für die eine oder andere Side Story, wie hier mit Janas Stalker, zu bieten. Völlig überflüssig und ohne Relevanz für die Handlung. Tim hingegen kommt als Vertreter der schreibenden und schnüffelnden Zunft ziemlich realistisch rüber, aber er hat ja auch den Vorteil, dass für ihn und seinen Berufsstand keine Grenzen gelten.

Schaut man sich die Zusammensetzung dieses Dreierteams an, bietet das leider auch wenig Neues: Eine KHK mit Migrationshintergrund in offizieller Funktion (momentan eher die Regel als die Ausnahme), deren Freundin ohne Auftrag als externe Unterstützerin (auch nicht neu) und der Journalist, der einen Kommunalpolitiker im Visier hat und im Zuge seine Recherche auf Informationen stößt, die für den Fall von Interesse sind (wird gerade auch gerne genommen, siehe Alex Rahn). Hat man so oder so ähnlich schon oft gelesen

Ein holpriger Reihenauftakt, der neben dem interessanten Setting wenig Neues bietet und noch deutlich Luft nach oben hat.

Bewertung vom 01.02.2025
Sing mir vom Tod
Pochoda, Ivy

Sing mir vom Tod


ausgezeichnet

Ich bin ein großer Fan der Autorin, habe alles von ihr gelesen, was bisher in der Übersetzung erschienen ist, „Visitation Street“, „Wonder Valley“, „Diese Frauen“, und war begeistert. Mit „Sing mir vom Tod“ aber übertrifft Ivy Pochoda aber sämtliche Erwartungen und schlägt ein neues Kapitel auf.

„Sie weiß, dass es Menschen geben wird, die (…) ihren Verbrechen eine Bedeutsamkeit zumessen werden, die sie nicht hatten. Sie werden analysieren und forschen, dem Unsinnigen einen Sinn zuerkennen, bis sie zu einer mundgerechten Entschuldigung für ihre Verbrechen gelangen. (…) Sollen sie sämtliche Entschuldigungen für ihre Taten finden und nur den einen Punkt außer Acht lassen: wer sie wirklich ist. Eine gewalttätige Frau. Kein Unterschied zu einem gewalttätigen Mann.“

Es ist diese Aussage, die die Besonderheit dieses Thrillers ausmacht. Frauen, die Opfer von physischer oder psychischer Gewalt sind und deshalb gewalttätig, auch zu Mörderinnen werden, sind in der Kriminalliteratur zahlreich vertreten. Über rohe Brutalität, die von Frauen ausgeht und nicht reaktiv ist, sondern quasi in deren Natur liegt, liest man selten. Eine Leerstelle, die Pochoda gefüllt hat.

Ein überbelegtes Frauengefängnis in Arizona. Unter den Insassen Florence „Florida“, Tochter aus gutem Hause und nach eigener Aussage unschuldig verurteilt, und Diosmary „Dios“, aufgewachsen in prekären Verhältnissen, hochintelligente Stipendiatin an einem renommierten College, verurteilt wegen schwerer Körperverletzung, besessen, warum auch immer, von dem Verlangen, Florida zu demaskieren, ihre wahre Natur zum Vorschein zu bringen. Kommentiert werden die Ereignisse von Kace. Sie spricht mit den Toten, ist mittendrin, beobachtet genau, was um sie herum geschieht und kommentiert dies so, wie wir es von dem Chor der griechischen Klassiker kennen.

Während der Pandemie wird der Platz knapp, also gibt es vorzeitige Entlassungen, das heißt zweiwöchige Quarantäne mit diversen Auflagen in einem schmuddeligen Motel in the middle of nowhere. Dios heftet sich auf Floridas Spuren, stöbert sie auf. Letztere hat bereits gegn jede Vernunft beschlossen, das Motel zu verlassen und mit einem illegalen Bus Shuttle in ihre Heimatstadt Los Angeles zurück zu kehren. Einem Bus, den auch Dios nimmt und verantwortlich dafür zeichnet, dass die Gewaltspirale kein Ende nimmt. Und hier kommt die Dritte in Gestalt von Lobos ins Spiel, die mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hat.

Wir folgen diesen drei Frauen durch Gegenden in Los Angeles, insbesondere Koreatown und Skid Row, die wir bereits aus „Wonder Valley“ kennen. Die Obdachlosigkeit hat sich mittlerweile verschärft, die Zeltstadt kratzt bereits an Downtown, hat etwas Apokalyptisches. Pochodas Beschreibungen sowohl der Umgebung als auch der Personen sind subtil, tauchen in das Innerste ein und schaffen so eine Atmosphäre, der man sich kaum entziehen kann. Wütend, kraftvoll, lebendig und sensibel. Man klebt gebannt an den Seiten, wartet auf die nächste Eskalation bis zum dunklen Ende, dem unvermeidlichen Showdown, zu dem es schließlich, wie vorhergesagt, an der Ecke Olympic und Western in Koreatown kommen wird.

Eine Reise in die Dunkelheit, außergewöhnlich und provokativ. Pochoda at her best. Lesen!

Bewertung vom 29.01.2025
Cheap Land Colorado
Conover, Ted

Cheap Land Colorado


ausgezeichnet

Ted Conover ist ein amerikanischer Journalist, der bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht und dafür mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Seine Sozialreportagen sind etwas Besonderes, weil sich sein Blick nicht darauf beschränkt, von außen mit entsprechender auf die Menschen zu schauen, sondern in deren Alltag eintaucht, deren Leben über einen längeren Zeitraum teilt und davon ohne zu werten berichtet. So war er mit Hobos auf den Schienen quer durch Amerika unterwegs, hat als Wärter im Hochsicherheitsgefängnis Sing-Sing gearbeitet und Einwanderer auf ihrem Weg in die USA begleitet.

In „Cheap Land Colorado“, seiner neuesten Veröffentlichung, hat es ihn nach San Luis Valley in den südlichen Rocky Mountains verschlagen, eine Region, die für ihr billiges Land bekannt und deshalb ein bevorzugtes Ziel für Aussteiger ist, in den US als Off-Gridder bezeichnet. Für kleines Geld kann man sich dort eine Parzelle Land kaufen und den amerikanischen Traum von Freiheit leben. Sie kommen aus allen Landesteilen, politisch eher dem Trump-Lager zuzuordnen, sind meist arm. Manche sind mit dem Gesetz in Konflikt geraten, andere können sich das Leben in den Städten nicht mehr leisten oder suchen nach alternativen Formen des Miteinander, wollen raus aus dem Hamsterrad. Und dann gibt es auch noch diejenigen, die die Abgeschiedenheit der Prärie genießen, weil sie einfach nur ihre Ruhe haben und nach ihren eigenen Regeln leben wollen.

Um einen Fuß in die Tür zu bekommen schließt sich Conover La Puente an, einer Hilfsorganisation, die die Menschen dort mit dem Nötigsten, Essen, Brennholz, medizinischer Versorgung etc. versorgt, später kauft er einen Trailer und teilt immer wieder über größere Zeiträume den oftmals harten Alltag. Er schätzt die Gemeinschaft, lebt mit seinen Nachbarn, findet Freunde, wird einer von ihnen, was sogar so weit geht, dass er dort ein Stück Land kauft und ein Haus baut.

Conovers Reportage bietet einen interessanten Einblick in eine Region und deren Bewohner, die frei und autark ihren amerikanischen Traum leben wollen. Absolut lesenswert, auch wenn wir diese Werte nicht teilen. Er gewährt uns Einblicke, weckt Verständnis, erzählt ihre Geschichten. Einfühlsam, nicht wertend und mit jeder Menge Sympathie und Akzeptanz. Lesen!