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Lymon

Bewertungen

Insgesamt 32 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2025
Wauters, Wendy

Die Gerüche der Kathedrale


sehr gut

„Die Gerüche der Kathedrale“ heißt dieses Sachbuch, das den Leser in die mittelalterliche Kathedrale von Antwerpen versetzt. Wie ein roter Faden wird das Spotlight auf besondere Ereignisse in chronologischer Reihenfolge zwischen dem ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert bis zum großen Bildersturm im Jahr 1566 gerichtet, bei dem die etwa siebzig Altäre, Altaraufbauten, Bilder, liturgische Geräte etc. zerstört oder geraubt wurden.
Sehr anschaulich wird das alltägliche Treiben in der Kathedrale geschildert, das sich doch sehr von dem Kirchenbild, das heute lebende Menschen gewohnt sind, unterscheidet. Im Mittelalter hatte sich ein regelrechter Wettbewerb zwischen den Zünften, Gilden und Bruderschaften herausgebildet: Jede Vereinigung strebte danach einen eigenen Altar zu besitzen, an dem ein eigens angestellter Kaplan tägliche Messen hielt; dabei galt es, sich an Ausstattung, Prunk und Schmuck deutlich von der Konkurrenz abzusetzen. Ausschlaggebend war nämlich nicht nur Frömmigkeit und die Sorge um das eigene Seelenheil, sondern durchaus auch ganz weltliche Motive, Macht und Prestige zu demonstrieren.

Bewertung vom 11.03.2025
Krems, David

Haus Waldesruh


ausgezeichnet

„Haus Waldesruh“ heißt dieser Krimi, der auf dem Klappentext sehr treffend als Kammerspiel bezeichnet wird. Den Verlauf des Wochenendes, das vier Freunde nach jahrelanger Funkstille wieder in einer einsamen Jägerhütte zusammenbringt, um über die Vorfälle zu ihrer Schulzeit zu sprechen, die einen ihrer Freunde in den Selbstmord getrieben haben, kann man sich auch gut auf einer Theaterbühne vorstellen.
Jeder der Freunde hat seine Geheimnisse und unterschiedliche Motive, die nach und nach ans Licht kommen. Dann gibt es noch einen zusätzlichen Besucher, der sich unter die Freunde von einst mischt. Doch irgendetwas scheint seltsam an diesem. Und auch die Location scheint ihre düsteren Geheimnisse zu haben. Schließlich gerät alles außer Kontrolle.
Ein Roman, dessen Spannung sich stetig aufbaut, einige überraschende Wendungen bereithält und bis zur letzten Seite den Leser mitreißt.

Bewertung vom 02.03.2025
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


ausgezeichnet

„Die Summe unserer Teile“ heißt dieser starke Roman, der drei starke Frauen dreier Generationen - Großmutter Lyudmila, Tochter Daria und Enkelin Luzy - miteinander verbindet. In den Mutter-Tochter-Verbindungen scheint sich das Trauma des Sich-nicht-wirklich-geliebt-Fühlens zu wiederholen.
Wie kann das sein? Schwört sich doch Tochter Daria, bei ihrer eigenen Tochter alles anders zu machen, als ihre eigene Mutter.
Lange bleibt Daria zum Beispiel ein Rätsel, warum ihre Mutter sie an ein Kindermädchen abgegeben hat. War ihr ihre Karriere so viel wichtiger als ihre kleine Tochter?
Luzy wird Jahrzehnte später zwar nicht einer Nanny anvertraut, trotzdem empfindet diese eine zunehmend bedrückende Nähe zu ihrer Mutter, bis sie beschließt, mehr über ihre Großmutter in Erfahrung zu bringen, denn das Wenige, was sie über ihre Mutter erfährt, reicht ihr nicht.
Was ihre Reise nach Sopot in Polen auslöst und ans Licht bringt, reißt alte Wunden auf, ermöglicht aber auch Wege aufeinanderzu.
Ein sehr bewegender und sprachlich feinfühliger Roman von enormer Intensität.

Bewertung vom 25.02.2025
Lindell, Elin

Der süßeste Bruder der Welt und andere Irrtümer


ausgezeichnet

„Der süßeste Bruder der Welt“ heißt dieser Comic-Roman für Teenager. Der Comic ist als sehr gelungen zu bezeichnen, da die Handlung sehr originell und witzig ins Bild gesetzt wird. Beispielsweise wird die Annäherung und Familienzusammenführung von Mutter und Björn mit ihren Kindern durch Spaziergänge mit stets gleichen Floskeln in allen vier Jahreszeiten durchexerziert, um die Einigkeit der Erwachsenen zu demonstrieren, dem die Kinder nichts entgegensetzen können. Die anfangs starke Abneigung der Kinder weicht mit der Zeit: beide entwickeln ein gewisses Verständnis füreinander, sodass der gegenseitige Respekt und auch Hilfe und Unterstützung eintreten.
Das Buch ist vor allem für Kinder in Patchwork-Familien eine geeignete Lektüre, die dabei helfen kann mit Schwierigkeiten und Ängsten rund um das Einlassen auf neue Menschen, aber auch das Zurücklassen von gewohnten Lebensumgebungen und Freunden klarzukommen.

Bewertung vom 24.02.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

„Heimweh ins Paradies“ heißt dieser Roman, der die Exilsituation Thomas Manns, seiner Familie und vieler weiterer Künstler, Musiker und Philosophen in der deutschen Enklave Los Angeles während des zweiten Weltkriegs beleuchtet. Mit feinem Humor wird dargestellt, auf welche Weise berühmte Personen wie Feuchtwanger, Werfel, Döblin, Horkheimer, Adorno und Co die NS-Zeit fern der Heimat unter der kalifornischen Sonne in relativem Wohlstand gestalteten. Neben der literarischen Tätigkeit wird auf sehr anschauliche Weise Thomas Manns Charakter und innere Zerrissenheit herausgestellt und wie die unterschiedlichen Geistesgrößen ihre kleinen Seitenhiebe im Konkurrenzkampf um Anerkennung gegeneinander austeilen. Der Roman liefert einen sehr eindrücklichen Einblick in die charakterliche innere Befindlichkeit Thomas Manns und auch in die Wahrnehmung seiner Person seines Umfeldes.

Bewertung vom 16.02.2025
Wagner, Tobias

Death in Brachstedt


ausgezeichnet

„Death in Brachstedt“ heißt dieser Jugendroman, der das Potenzial hat, Jugendliche zu begeistern und der in Zukunft vielleicht auch im Deutschunterricht vermehrt als Klassenlektüre behandelt werden könnte. Es weist einige Anklänge an Herrndorfs „Tschick“ auf, auch hier erleben zwei sehr unterschiedliche Jugendliche eine schicksalhafte Ausnahmezeit, die sie wachsen und reifen lässt, die sie näher zusammenbringt und ihnen auch hilft, Gleichaltrige zu beeindrucken. Vor allem Leo muss damit zurecht kommen, dass sein bisher geregeltes Leben durch die schleichende Demenz seines Vaters aus dem Gleichgewicht geraten ist. Durch die Freundschaft mit dem begeistert filmenden Henri erfährt er den dringend benötigten Rückhalt, seine eigene beängstigende Situation zu meistern.
Eine Lektüre, die trotz des ernsten Themas aufgrund ihrer schrägen Handlung, vieler „verrückter“ Begebenheiten, Figuren und Querverweise eine gewisse Leichtigkeit und Zuversicht ausstrahlt, dass alles gut wird.

Bewertung vom 09.02.2025

ICONS Glaubensheld*innen aus der Bibel und heute


gut

„Icon“ heißt dieses Buch, das als Anregung über den Glauben nachzudenken und darüber ins Gespräch zu kommen, gedacht ist. Das Konzept hat mich auf den ersten Blick sehr angesprochen und ich war sehr gespannt auf das Buch. Gut gelungen ist das Konzept von der Anlage her. So ist die Ich-Perspektive der biblischen Glaubenshelden sehr ansprechend gewählt, um die biblische Figur den Lesern näherzubringen. Auch die theologischen Erklärungen zur Einordnung gefallen mir gut. Die Wahl der sogenannten „Glaubenshelden“ finde ich jedoch nicht so ansprechend. Das Genderthema mit den zahlreichen Gendersternchen etc. ist überrepräsentiert. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, warum die überwiegend unbekannten ausgewählten Personen, die über ihre Glaubensbiografien zu Wort kommen, Helden sind, zum anderen sind einige Lebenswege sehr besonders; da sie aber nur angerissen werden und viele Krisen aufscheinen, bieten sie zwar eine Gesprächsgrundlage, aber wenig hilfreiche Impulse zur Bewältigung der Probleme im eigenen Leben.
Das Thema der Diversität wirkt oft übertrieben, die Lektüre gestaltet sich mühsam und die Auswahl der dargestellten Biografien vermittelt den irritierenden Eindruck, dass junge Leute sich in ihrem Sosein kaum mehr akzeptiert fühlen.

Bewertung vom 09.02.2025
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


ausgezeichnet

„Bis die Sonne scheint“ heißt dieser Roman mit autobiografischen Zügen. Der Protagonistin schildert im Roman sein Aufwachsen in einer Familie, die sich ihren Weg zum Wohlstand hart erkämpft, sich mühsam immer weiter hocharbeitet, dabei auch durchaus erfolgreich und geschickt ist. Leider können die Eltern jedoch schlecht mit Geld umgehen, so dass das Erworbene mit vollen Händen gleich auch wieder in kleine oder auch größere Anschaffungen gesteckt wird. Die Devise lautet, keiner soll merken, wie es wirklich aussieht. So werden allerhand Vorkehrungen getroffen, dass beispielsweise die Großeltern nichts davon erfahren, wie es wirklich aussieht. Wird es einen Konfirmationsanzug nach Wunsch geben und lässt sich die drohende Zwangsversteigerung des Hauses umgehen? Ein manchmal trauriges, aber oft auch sehr komisches Stück Familiengeschichte, in der neben dem Gesellschaftsbild der achtziger Jahre auch die Kriegs- und Nachkriegszeit Beachtung findet.

Bewertung vom 09.02.2025
Liepold, Annegret

Unter Grund


ausgezeichnet

„Unter Grund“ heißt dieser Roman, der am Beispiel der Protagonistin Franka verdeutlicht, wie leicht Jugendliche in ein gefährliches Fahrwasser der rechten Gesinnung geraten können. Vielfältig sind die Zusammenhänge, die alle dazu beitragen, dieses Abrutschen in rechtsextremistische Kreise zu begünstigen. Da ist einerseits die Perspektivlosigkeit, das Gefühl von Einsamkeit und nicht verstanden werden, aber auch die Suche nach dem eigenen Weg, der in der provinziellen Heimat nicht leicht fällt.
Sehr gelungen ist die Verschränkung der Erzählfäden, die unterschiedliche Zeiten mit den Lebenswegen der verschiedenen Familienmitglieder immer wieder aufgreift. Vor dem Auge des Lesers entsteht so erst nach und nach ein zusammenhängendes Verstehen und Begreifen der tief in der Vergangenheit sitzenden Wurzeln für bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen. Erschreckend wird einem bewusst, wie nah die Protagonistin einer ähnlichen Karriere wie der Zschäpes, deren Prozess die jungen Referendarin Franka Zimmermann beiwohnt, geraten ist.

Bewertung vom 26.01.2025
Kirakosian, Racha

Berauscht der Sinne beraubt


ausgezeichnet

„Berauscht der Sinne beraubt“ heißt dieses Sachbuch, das in fünf großen Kapiteln der Geschichte der Ekstase auf den Grund geht. Im ersten Kapitel erfährt der Leser viel über die inspirierende Kraft, die durch Flow-Erlebnisse freigesetzt wird, ob mit oder ohne substanzgenerierte Bewusstseinserweiterungen. Im zweiten Kapitel wendet sich die Verfasserin vor allem religiösen Phänomenen in der Geschichte zu, wie den visionären Erlebnissen großer Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen oder Theresa von Avila. Es wird über ganz unterschiedliche Auslegungen ekstatischer Zustände berichtet, die ohne Wertung nebeneinander gestellt werden. So ließe sich die Mystikerin Anna Katharina von Emmerick aus medizinisch-pathologischer Sicht auch als magersüchtige Hysterikerin lesen. In einem weiteren Kapitel wird auf die Kraft des Tanzes in kultischen Riten, aber auch in profanen Zusammenhängen wie der Loveparade und der Technoszene eingegangen. Zum Abschluss informiert die Autorin über ekstatische Massenphänomene, wobei sie insbesondere auch die NS-Vergangenheit in den Blick nimmt, die mit ihren politischen Massenkundgebungen die Menschen manipulieren und verblenden konnte.