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gabiliest
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Wien

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Insgesamt 87 Bewertungen
Bewertung vom 07.07.2025
Nils, König; Ole, König

Kleine Redner, große Worte


sehr gut

Mit “Kleine Redner, große Worte” haben Ole und Nils König ein Buch vorgelegt, das es Kindern erleichtern soll, bei Reden und Präsentationen zu glänzen. Interessant ist, dass Ole König selbst erst dreizehn Jahre alt ist, aber als Co-Autor dieses Leitfadens für Kinder zwischen acht und dreizehn Jahren genannt wird. Schon am fröhlich bunten Cover wird der Aufbau des Buches sichtbar. Drei Kinder haben unterschiedliche Präsentationen bzw. Reden vorzubereiten. An deren Aufgabenstellung orientiert sich die Systematik des Buches.

Nele bereitet eine Präsentation über das Schnabeltier vor, Mats feilt an seiner Wahlkampfrede zum Klassensprecher und Ava möchte eine Fotoausstellung präsentieren. Durch das ganze Buch ziehen sich hilfreiche praktische Tipps für alle drei Aufgabenstellungen. Sehr gut beschrieben ist, wie ein Thema festgelegt werden kann und worauf bei der Vorbereitung der Präsentation geachtet werden soll. Dazu gibt es auch eine hilfreiche Präsentationskarte. Wenn das Thema gefunden ist, geht es um die Faktenfindung, auch hier finden sich gute Beispiele im Buch, ebenso zur Erstellung einer Mindmap, um eine bessere und strukturierte Übersicht zu bekommen. Ganz wichtig ist es, sich zu überlegen, vor wem man spricht, welches Ziel eine Rede verfolgt und wie sie aufgebaut werden soll. Auch dazu gibt es hilfreiche Ausführungen, alle Themen werden durch gelungene Illustrationen aufgelockert.

Immer wieder wird darauf hingewiesen, wie wichtig ein zündender Einstieg, aber auch ein guter Schluss jeder Präsentation ist, denn vom Inhalt einer Präsentation bleibt dem Publikum leider nur ein Bruchteil im Gedächtnis. Doch je spannender die Geschichte ist, die man erzählt, umso mehr Aufmerksamkeit wird man erhalten. Ebenso ist es wichtig, über die Erstellung von Präsentationsunterlagen Bescheid zu wissen, das Buch bietet dafür zahlreiche Beispiele. Allerdings würde ich hier eine einheitlichere Gestaltung der Folien empfehlen.

Das Kapitel über Körpersprache, Gestik und Mimik ist ausführlich, allerdings fehlen mir hier ein paar grundlegende praktische Tipps. Doch das fällt in der Gesamtschau des Buches nicht ins Gewicht.

“Kleine Redner, große Worte” bietet vor allem für Eltern, Lehrkräfte und alle Personen, die Kinder unterstützen möchten, eine gelungene Zusammenfassung, wie reden und präsentieren Spaß machen kann.
Vor allem jüngere Kinder werden sich mit der Text- und Stofffülle schwer tun, obwohl die Gestaltung abwechslungsreich ist. Außerdem finden sich im Internet weitere unterstützende Materialien. Auch der Spaß sollte nicht zu kurz kommen, daher empfiehlt das Buch Spiele, die die Phantasie anregen und die Ausdrucksfähigkeit verbessern.

Letztlich sind die Empfehlungen der Autoren auch für ältere Kinder geeignet, die die guten Tipps des Buches schon selbst studieren können.
Das Buch beginnt mit einem Zitat von William Shakespeare: “Die ganze Welt ist eine Bühne”. Daher: Vorhang auf! Ich kann diesen kompakten und praxisnahen Leitfaden gerne empfehlen.

Bewertung vom 04.07.2025
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


ausgezeichnet

Liebe und andere Katastrohen

Die vielfach preisgekrönte Autorin Doris Knecht hat mit ihrem Roman “Ja, nein, vielleicht” Bilanz gezogen über das Leben einer Frau, die bereits weit über fünfzig Jahre alt ist. Das bunte Hardcover passt hervorragend zum ländlichen Ambiente, das die Autorin beschreibt, dennoch ist das kein Roman, der einen Rosengarten verspricht. Mit Witz, Charme aber auch Resignation erzählt Doris Knecht, wie Leben verlaufen kann und wie Liebe manchmal - oder auch öfter- schmerzt.

Zuerst gibt es eine Hiobsbotschaft, ein Zahn muss gezogen werden. Eigentlich nicht schlimm, aber doch ein Zeichen für den beginnenden Verfall des Körpers, dafür, dass nicht mehr alles reparabel ist. Dafür, dass Leben endlich ist. Hat man genug geliebt oder bleiben als Saldo der Beziehungen Schmerz und Verrat? Und vor allem- sollte man noch einmal einem Mann eine Chance geben?

Doris Knecht beleuchtet beide Seiten: Die negativen Erfahrungen mit schwierigen Beziehungen der Ich- Erzählerin, den Wunsch, als Ich ein Teil eines Wir zu werden. So freut sie sich, ihren Jugendfreund Ferdinand zufällig wieder zu treffen, mit ihm zusammen hat sie das Millennium Feuerwerk in New York fast nicht gesehen - die Beiden waren zu sehr miteinander beschäftigt. Aber das ist fünfundzwanzig Jahre her. Ist Ferdinand noch derselbe Mann? Hat sich die Ich- Erzählerin nicht auch verändert?

Doris Knecht thematisiert immer wieder die Rolle der Frau und die Sicht der Gesellschaft auf Alleinerziehende und Alleinstehende. Frauen mit Kindern, aber ohne Partner leiden oft an Überforderung und Geldnot. Wird man als Frau ab einem gewissen Alter nicht mehr gesehen? Ist es ein Makel, allein bei einem Abendessen zu erscheinen, bei dem sonst nur Pärchen teilnehmen? Soll Frau der Liebe noch einmal vertrauen oder hat das Leben sie gelehrt, dass die romantische Liebe nur Einbildung ist, die von der Realität bald eingeholt wird?

Der Verstand der Ich- Erzählerin sagt, sie solle nicht auf die Nachricht eines Mannes warten, nicht mehr erlauben, dass sie von einem Anderen so abhängig wird, ihre Gefühle nicht mehr durch seine Gefühle definieren. Und vor allem sich selbst nicht durch die Augen des Mannes sehen in der Angst, nicht zu genügen. Das Herz versteht leider die Sprache des Verstandes nicht. Wieder ist sie unglücklich und verwirrt, weil Ferdinand sich nicht meldet und erst im Moment der Not nimmt sie zur Kenntnis, dass hier schon längst eine rote Flagge weht.

Neben diesem Thema findet sich eine witzige Geschichte, als die Schwester der Ich-Erzählerin, Paula, ihre Wohnung okkupiert, um
ihr Leben neu zu ordnen. Asyl bekommt die Ausgesperrte bei ihrer besten Freundin Therese, die im Begriff ist zu heiraten und die positiven Seiten der späten Liebe verkörpert.

Ein ganz wichtiger Charakter ist der Hund. Der treu begleitet, der für Fitness sorgt, Fremde verbellt und dessen Erziehung besser sein könnte.
Ebenso wichtig sind die mittlerweile erwachsenen Kinder und die vielen Freunde, die wie selbstverständlich zur Stelle sind, als Hochwasser das Haus im Waldviertel bedroht. Alle Charaktere erscheinen lebensecht und könnten direkt aus der Realität ins Buch eingezogen sein. Mit großartiger, leichter und trotzdem nachdenklich machender Schreibweise zieht die Ich- Erzählerin, die leider keinen Namen hat, Bilanz. ”Ja, nein, vielleicht” ist ein absolut gelungenes Beispiel für autofiktionales Schreiben, und wer würde sich anmaßen, zu wissen, was in diesem großartigen Buch Realität ist und was Fiktion?

Mein Fazit:
Ich mag den Schreibstil von Doris Knecht sehr, das leichte, manchmal ironische Beschreiben auch von großen Katastrophen und Gefühlen, dieses Schelmische und Ehrliche, dieses Lebensnahe und Ungeschminkte.
“Ja, nein vielleicht” ist ein kluger Roman, der dazu einlädt, selbst Rückschau zu halten. Gerne würde man mit der Protagonistin die großen und inhaltsschweren Fragen diskutieren, sich bei ihrem Haus im Waldviertel unter einen Baum setzen und die Fuße in den kalten Fluss tauchen. So bleibt mir nur, diesen absolut lesenswerten Roman zu empfehlen und ihm die verdienten fünf Sterne zu geben.

Bewertung vom 30.06.2025
McConaghy, Charlotte

Die Rettung


ausgezeichnet

Mit “Die Rettung” hat die bekannte Autorin Charlotte McConaghy einen einfühlsamen, zum Nachdenken anregenden Roman geschrieben, in dem sie die Schönheit und Unerbittlichkeit der Natur hervorhebt. Das Motiv auf dem Schutzumschlag des gelungenen Hardcover, die Wucht der Wellen, stimmt ein auf die Handlung, die auf einer einsamen Insel, Shearwater, spielt. Die dort befindliche Forschungsstation hat bereits das Meer geholt.

Shearwater liegt zwischen Australien und der Antarktis, jedes Festland ist tageweit entfernt. Die Insel ist fast menschenleer, denn die Forscher wurden evakuiert. Das Meer droht alles zu verschlingen. Vier Menschen sind zurückgeblieben, Dominic Salt mit seinen drei Kindern. Da ist Raff, der den Gesang der Wale liebt, seinen Liebsten verloren hat und Geige spielt. Fen liebt die Robben und Seeelefanten und lebt unter ihnen in einer kleinen Bootshütte. Raff und Fen sind Teenager, Orly aber erst neun Jahre alt. Er liebt die Flora und ist begeistert von dem Saatgutbunker, einem Schatz der Menschheit, der sich auf der Insel befindet. Dominic liebt seine Kinder und tut alles, um sie zu beschützen, denn die Mutter ist verstorben.

Während eines Sturmes wird eine Frau, Rowan, an den Strand gespült, halb ertrunken, schwer verletzt. Was will sie hier, was sucht sie? Unterstützung vom Festland ist nicht zu erwarten, denn das Funkgerät wurde zerstört. Doch auch Rowan ist misstrauisch, ein Hilferuf hat sie hier hergeführt. Welches Geheimnis verbirgt die Familie Salt?

Charlotte Mc Conaghy hat mit ihrem Roman “Die Rettung” der Natur ein Denkmal gesetzt und. Das Meer droht die Insel zu verschlingen, auch die wertvollen Samen, doch obwohl das Eiland dem Untergang geweiht ist, ist es doch wunderschön. Die Beschreibungen der Autorin bringen den Lesenden Flora und Fauna dieser entlegenen Insel nahe und man begreift, wie bedroht die Natur und ihre Lebewesen sind. Auch hat der Mensch früher Tiere, die heute wieder auf der Insel ihre Kolonien haben, rücksichtslos gejagt und abgeschlachtet.

In diesem Szenario der sturmumtosten Insel spielt sich ein Drama ab, denn Rowan erkennt, dass ihr Mann, nach dem sie sucht, verschwunden ist. Auch wenn die Familie Salt alles daran setzt, ihr Geheimnis zu wahren, findet Rowan die Wahrheit heraus und erfährt Dinge, die sie fragen lassen, ob sie ihren Mann je gekannt hat. Parallel dazu entwickelt sich jedoch eine Liebesgeschichte, und Rowan, die nie Kinder wollte, erkennt, wie sehr man fremde Kinder lieben kann.

Mit großer Tiefe sind die Charaktere der Protagonisten ausgearbeitet.
Dominic versucht, trotz des Wütens des Meeres Equipment und Gebäude instand zu halten. Auch soll er mit den Kindern einen Teil der Samen aus dem Bunker bergen, bevor dieser vom Meer überspült wird. Den Tod seiner Frau hat er noch nicht verarbeitet, wenn er mit ihr Zwiesprache hält, bleibt er doch allein. Er ist ein starker, unbeugsamer Charakter, den Herausforderungen der Natur gewachsen. Seine Kinder jedoch geben ihm manchmal Rätsel auf.

Raff ist ein Junge, der seine Gefühle nicht immer beherrschen kann, der jedoch spürt, wenn seine Geschwister ihn brauchen. Fen hat sich von der Familie abgewandt und lebt lieber mit Tieren als mit Menschen. Doch alle drei Kinder, denen die Mutter fehlt, beginnen Rowan zu mögen.

Rowan, eine begabte Handwerkerin, ist lange misstrauisch, doch als sie soweit genesen ist, tut sie alles, um Dominic und die Kinder zu unterstützen. In einem fast apokalyptischen Szenario muss sie entscheiden, welchen Preis sie aus Liebe zu den Kindern zu zahlen bereit ist.

Diesen Roman möchte man nicht mehr aus der Hand legen. Der Schreibstil der Autorin liest sich flüssig, sehr eindringlich und bildhaft. Kurze Kapitel, die jeweils den Namen einer Figur tragen, beleuchten die unterschiedlichen Sichtweisen. Durch das Thema, menschliche Abgründe und aufopfernde Liebe, hält der Roman seinen Spannungsbogen bis zum Schluss. “Die Rettung” ist ein eindringliches Plädoyer, die Natur zu schützen, denn nur auf diese Weise können auch die Menschen geschützt werden. Ich möchte dieses Werk allen Lesefreunden ans Herz legen, nie war das Thema aktueller als jetzt. Mich hat dieses Buch sehr beeindruckt und ich bewerte es mit verdienten fünf Sternen.

Bewertung vom 27.06.2025
Pierre, Marie

Der Weg der Frauen / Das Pensionat an der Mosel Bd.3


ausgezeichnet

Mit “Der Weg der Frauen- Das Pensionat an der Mosel” schließt die bekannte Autorin und Homer Preisträgerin Marie Pierre aka Maria W. Peter ihre Trilogie über das Mädchenpensionat ab. Schon das gelungene Cover zeigt fröhliche Schülerinnen, die dabei sind, ihren Weg ins Leben zu gehen, auch die Skyline des Stadtchens Diedenhofen- Thionville im Jahr 1912 im Reichsland Elsass-Lothringen stimmt auf den Schauplatz des Geschehens ein. Diedenhofen ist damals eine preußisch bayrische Garnisonsstadt, die im Jahr 1871 ebenso wie Elsass- Lothringen an das deutsche Kaiserreich gefallen ist.

Doch Pauline Martin, Leiterin des Pensionats an der Mosel und Lehrerin aus Berufung, bemüht sich, ihren Schülerinnen die französische Sprache und Lebensart zu vermitteln. Ebenso ist es ihr wichtig, die Mädchen zu selbständigem Denken und eigenständigem Handeln zu erziehen. Obwohl sie aus diesem Grund den Lehrplan eher locker auslegt, ist sie doch an die Konventionen der Zeit gebunden. So werden berufstätige Frauen nicht ernst genommen und für unfähig im Wirtschaftsleben gehalten. Gesellschaftlich ist der Mann bzw. Vater das Oberhaupt der Familie, normalerweise trifft er alle Entscheidungen. Aus diesem Grund hat Pauline auch die Leitung des Pensionats dem Eheleben vorgezogen.

Doch selbst Pauline kommen Zweifel an ihrer Kompetenz und ihren Möglichkeiten, als ihre Schülerin Sophie verhaftet wird, weil sie an einer Demonstration für Frauenrechte teilgenommen hat. Sophies Vater, der die Tochter nach Luxemburg nach Hause holt, reagiert entsetzlich, das Mädchen wird geprügelt und erhält ein Medikament gegen ihre Aufsässigkeit. Noch weiß niemand, welchen Schaden diese Medizin bewirken wird. Sophies Mutter wird sich erst nach langer Zeit gegen ihren Mann auflehnen und der Tochter beistehen.

Auch im persönlichen Umgang ist Pauline bedacht, den Ruf ihres Pensionats nicht zu gefährden. Zwar fühlt sie sich zu dem preußischen Offizier Erich von Pliesnitz hingezogen, doch mehr als nur zufällig erfolgte Treffen erlauben die Konventionen nicht. Neben dieser zarten Liebesgeschichte, die keine Aussicht auf Erfüllung zu haben scheint, macht auch Paulines ehemaliger Verlobter ihr wieder den Hof. Mittlerweile verwitwet und Vater eines kleinen Sohnes, hofft er Pauline zurück zu gewinnen.

Doch gerade jetzt scheint das Pensionat in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu stecken. Verleumdungen machen die Runde, Schülerinnen werden abgemeldet. Doch die meisten Mädchen im Pensionat stehen hinter Pauline. Wird es gelingen, diese Anschuldigungen zu entkräften?

Besonders hervorzuheben sind auch die exzellent gezeichneten Charaktere der Schülerinnen, des Hauspersonals und der Lehrkräfte, wobei Pauline erstmals einen Mann als Lehrer beschäftigt, dessen Überheblichkeit aber sehr schnell von Respekt für Paulines Leistung abgelöst wird. Natürlich wird auf soziale Probleme eingegangen, arm steht neben reich, der preußische Wunsch nach Ordnung schlägt sich manchmal mit dem savoir vivre. Das Schicksal unehelicher Kinder wird ebenso beleuchtet wie die medizinischen Verhältnisse der damaligen Zeit, die oftmals mehr Schaden als Nutzen anrichteten. Besonders ist der Autorin aber daran gelegen, das historische Schulwesen, die gesellschaftlichen Strukturen und die Lebensumstände im Jahr 1912 zu beschreiben.

Mit “Der Weg der Frauen- Das Pensionat an der Mosel” hat Marie Pierre einen angenehm zu lesenden historischen Roman geschrieben, der vor allem durch die eindringliche Schilderung der menschlichen Schicksale berührt. Dadurch wird auch die Spannung gehalten, denn natürlich möchte man wissen, wie die Protagonisten alle Herausforderungen meistern. Das im Anhang befindliche umfangreiche Quellenverzeichnis zeugt von historischer Detailgenauigkeit und profunder Recherche.

Obwohl ich die ersten beiden Bände der Reihe nicht kenne, bin ich ohne Schwierigkeiten in die Geschichte eingetaucht, zur besseren Übersicht gibt es am Anfang des Buches ein Personenverzeichnis. Auf der Innenseite des vorderen Buchumschlages findet man eine Landkarte des Bezirks Lothringen, ebenso aus 1912, und für die Lesenden, die gerne auf historischen Spuren wandeln, gibt es im Anhang Reise- und Stöbertipps. Ich empfehle diesen interessanten und gelungenen Roman gerne weiter und bewerte ihn mit verdienten fünf Sternen.

Bewertung vom 22.06.2025
Söhner, Lea

Wie sehr ich dich finde


sehr gut

Schweigen und Schuld/ Trauma und Lust

“Wie sehr ich Dich finde” der Autorin Lea Söhner ist ein nachdenklich machender Roman, der verdient, dass sich die Lesenden Zeit zur Reflexion nehmen. Er umfasst nicht nur drei Generationen und ihre teils furchtbaren Schicksale, sondern stellt dem Glauben und dem Hadern mit Gott immer wieder das weibliche Prinzip der Mutter und Geliebten gegenüber, in deren warmen Armen die Protagonisten des Buches Zuflucht suchen.

Die Handlung wird getragen von zwei Stammelternpaaren, die beide den Krieg und die Nachkriegszeit erlebt haben, einem Elternpaar und deren Tochter, die langsam ihren Wurzeln auf den Grund gehen:

Das erste Stammelternpaar: Paul und Helene/ Sohn: Wolfgang
Das Buch beleuchtet das Schicksal von Helene, einem halbjüdischen Mädchen, das im Jahr 1942 gerade noch vor den Nazis in die Schweiz in Sicherheit gebracht werden kann. Doch die Eltern kommen nicht wie versprochen nach, die Sechsjährige, versehen mit neuer Schweizer Identität, verstummt. Ihr Schicksal wendet sich erst, als sie zu singen beginnt, ihr Traum, Opernsängerin zu werden geht in Erfüllung. Auch ihre Ehe mit Paul, einem Arzt und dem gemeinsamen Sohn Wolfgang scheint glücklich, doch Paul kennt ihre wahre Identität nicht. Helene öffnet sich erstmals, findet Briefe der Eltern, doch das Schicksal erlaubt keine Bewältigung.
Wolfgang leidet unter dem Tod der Mutter und liebt seine Großeltern. Doch hier gibt es dunkle Verbrechen, die Paul seinen Eltern entfremden. Erst spät wird Paul Wolfgang über die Gräueltaten seines Opas aufklären,

Das zweite Stammelternpaar: Hanna und Hans/ Tochter: Bettina
Hans hat die Gräueltaten des Krieges und die Brutalität seines Vaters erlebt. Ihm ist klar geworden, dass für ihn Gewalt und Lust eng verbunden sind. Doch gibt er Gott das Versprechen, nie jemandem zu schaden. Er heiratet Hannah, die tief gläubig ihr Leben und ihre lang ersehnte Tochter Bettina Gott weiht.

Das Elternpaar: Bettina und Wolfgang/ Tochter: Sarah
Bettina, eine Mathematikerin, aber eher schüchtern und farblos, heiratet Wolfgang, den Frauenhelden und bekannten Pianisten. Ihre Ehe ist geprägt von den Seitensprüngen Wolfgangs. Die gemeinsame Tochter Sarah leidet darunter, dass sich die Mutter der Familie immer wieder entzieht. Trotz schwerer Schicksalsschläge scheint die Beziehung zwischen Wolfgang und Bettina unverbrüchlich. Tochter Sarah, angehende Dirigentin, jedoch hadert lange mit ihrem Schicksal, besonders mit der Mutter, und erkennt erst durch Yvonne, dass jeder selbst für sein Liebesleben verantwortlich ist.

Versöhnlich und als Prinzip des Weiblichen wird Yvonne beschrieben, eine ehemalige Edelprostituierte, die Wolfgang zum Mann und Paul zum Ehemann gemacht hat. Yvonnes Klugheit und Gespür für menschliche Abgründe ermöglichen langsam Heilung.

Dieser von der Kriegszeit bis in die Gegenwart reichende Roman zeichnet Lebenswege und Schicksalsschläge nach, die als Traumata in den Figuren bis in die Jetztzeit fortwirken. Der Widerstreit zwischen Glauben und Lust ist ebenso Thema wie Inzest, sexuelle und psychische Gewalt und das schnelle Entstehen von Liebe und Beziehungen. “Wie sehr ich dich finde” ist ein kluger und menschlicher Roman. Auch wenn die Schicksale der Protagonisten einander gleichen, muss doch jeder die Frage nach individueller Schuld stellen. Doch steht am Ende Versöhnung und Verzeihen.

Der Schreibstil von Lea Söhner ist manchmal poetisch, manchmal unerwartet und direkt, immer jedoch lebendig und gut lesbar. Dazu trägt auch das Personenverzeichnis am Buchanfang bei. Außerdem steht am Beginn jedes Kapitels, das einer Person zugeordnet ist, ein Schlagwort, das den Inhalt des Geschriebenen charakterisiert. Auch wenn das Buch menschliche Abgründe behandelt, bietet es doch einen positiven Schluss. Lesenden, die Interesse an Zeitgeschichte und dem Nachwirken des Lebens der Vorfahren in der eigenen Geschichte haben, möchte ich dieses Buch besonders empfehlen. Oft sind es, wie in der Musik, die leisen Töne, die überzeugen.

Bewertung vom 06.06.2025
Janssen, Jaane

Der Ruf des Horizonts


ausgezeichnet

Hartes Leben, raue See: Ein mitreißender historischer Roman

Mit “Der Ruf des Horizonts” hat die Bestseller-Autorin Jaane Jansen den zweiten Band ihrer Ostfriesland Saga vorgelegt. Auf dem Cover ist Sventje abgebildet, der Hauptcharakter des Romans, die sich heimlich überlegt, ob ihr Leben vielleicht in anderen Bahnen und in der Ferne verlaufen könnte.

Die Geschichte beginnt in Borkum im Jahr 1780. Sventje, Mutter von vier Kindern und mit Lian, einem Walfänger, verheiratet, ist glücklich. Ihr Mann, der sonst für Jahre zur See gefahren ist, ist zu Hause, sie kann den Unterhalt der Familie als Seifensiederin bestreiten. Nur Tammo, ihr ältester Sohn, kann seine Beine nicht bewegen, ohne dass eine Ursache bekannt wäre. Trotzdem, Sventje ahnt, dass das Glück nicht ewig dauern wird. Tatsächlich nützt der Bader des Dorfes den Aberglauben der Menschen aus, denn er bezeichnet es als Teufelszeug, sich zu waschen. Was Sventje am Anfang nicht ernst nimmt, soll ihr fast zum Verhängnis werden.

Im Rückblick auf das Jahr 1749 wird der Grund offenbar, wieso Sventje, das ehemalige Findelkind, und Lian so innig verbunden sind. Lian hat als Kind Sventje gefunden, aufgezogen wurde sie von Schwester Johanna, einer Nonne. Doch in Sventjes Kindheit gab es noch einen Freund, Valentin von Halversberg, der seit Langem Sventje heimlich und hoffnungslos liebt. Auch hat er ihr und ihrer Familie schon oft geholfen, ohne dass Sventje davon wusste. Durch Schwester Johanna kommt ein lange gehütetes Familiengeheimnis ans Licht, Lian und der Gutsherr haben eine besondere Verbindung. Und Valentin wird alles tun, um Sventje weiter zu helfen.

Tatsächlich kommt das Unglück, wie es Sventje geahnt hat. Sie wird von den Dörflern verfolgt, Lian ist auf See und gerät im Laufe des inzwischen ausgebrochenen Krieges zwischen England und Holland in Kriegsgefangenschaft. Wieder gelingt es Valentin mit einer List, Lian zu befreien und Sventje und ihrer Familie Unterschlupf auf seinem Gut zu gewähren. Doch ruft in der Ferne nicht schon der Horizont?

Besonders hervorheben muss man, dass Jaane Jansen ihren Charakteren wirklich Tiefe gibt. Die Schicksale der einzelnen Figuren sind nicht nur in historische Zusammenhänge gebettet, sondern auch die Persönlichkeiten und Charakterzüge hervorragend ausgearbeitet. So ist es leicht, in die Lebenswelt der damaligen Zeit einzutauchen und sich den Menschen verbunden zu fühlen. Alle genannten Protagonisten bestechen durch Stärke und Menschlichkeit, ohne jedoch ihrem Schicksal, das viele Prüfungen bereit hält, entrinnen zu können. Sventje tut alles für ihre Familie, unterstützt wird sie dabei von ihrer Freundin Fenna, einer Hebamme. Trotzdem ist die Zeit nicht reif für neue Ideen. Lian ist ein liebender Ehemann, der in seinen Logbüchern jeden Tag einen Brief an Sventje schreibt und ihr von seinen Gedanken und Gefühlen berichtet. Valentin von Halversberg hat sich beinahe damit abgefunden, sein Leben allein und kinderlos zu verbringen, denn seine Liebe zu Sventje kann unmöglich erfüllt werden.

Mit “Der Ruf des Horizonts” hat Jaane Jansen einen beeindruckenden historischen Roman vorgelegt. Sie ist eine großartige Erzählerin, die ihre Geschichten rund um akribisch recherchierte historische Fakten baut. Das Buch ist angenehm zu lesen und schildert das Geschehen so eindrücklich, dass Kopfkino beim Lesen entsteht. Auch ohne Band eins der Ostfriesland Saga zu kennen, kann man das Buch gut lesen und kommt problemlos in die Geschichte hinein. Eine große Hilfe ist das Personenverzeichnis, das dem eigentlichen Text vorangesetzt ist. Wer jedoch die früheren Zusammenhänge und Schicksale der Protagonisten kennen lernen will, dem sei Band eins wärmstens ans Herz gelegt. Im Nachwort zu Band zwei legt die Autorin die geschichtlichen Zusammenhänge offen, mein Tipp wäre, dieses noch vor dem eigentlichen Text zu lesen. “Der Ruf des Horizonts” ist nach meiner Meinung einer der besten Romane, die das ausgehende achtzehnte Jahrhundert zum Thema haben. Daher eine absolute Leseempfehlung von mir und verdiente fünf Sterne.

Bewertung vom 03.06.2025
Adler, Sarah

Maybe this is how it starts


ausgezeichnet

Genial witzig und manchmal traurig: Ein Roadtrip der Gefühle

Mit “Maybe this is how it starts” hat die bekannte Autorin Sarah Adler eine Romcom geschrieben, in der man nicht nur einen Roadtrip durch die USA, sondern auch durch viele Gefühlsfacetten erlebt.

Diese auf zwei Zeitebenen erzählte Geschichte behandelt eigentlich ein ernstes Thema, das aber durch die komischen Seiten dieser Reise in den Hintergrund tritt. Millie, einst ein Kinderstar und auch heute noch bekannt, will von Washington DC nach Miami fliegen. In ihrem Rucksack: Drei Löffelchen Asche ihrer Freundin Rose, die im Alter von achtundneunzig Jahren verstorben ist und die erst kurz vor ihrem Tod von ihrer großen Liebe Elsie erzählt hat. Das ist achtzig Jahre her, aber Millie will Elsie finden und sie mit Rose vereinen- Liebe, die den Tod überdauert. Denn daran glaubt die Romantikerin Millie ganz fest, auch wenn sie in ihrer früheren Beziehung mit Josh ausgenutzt wurde. Als Millies Flug gestrichen wird, steigt sie zu Hollis ins Auto, einem zynischen und verschlossenen Schriftsteller, der seine Schreibblockade mit einer Woche Sex in Miami beenden möchte. Nun folgt ein von Pannen begleiteter Roadtrip quer durch die USA, wobei Millie erkennt, dass Hollis versucht, die Fassade des unbeteiligten Egoisten aufrecht zu erhalten, aber beginnt, Gefühle in Millie zu investieren. Obwohl er Millie bei ihrem Vorhaben unterstützt, Rose und Elsie zu vereinen, hält er Beziehungen und die ewige Liebe für ein Gerücht, würde er sich nicht immer mehr zu Millie hingezogen fühlen.

Sarah Adler lässt Millie in der Gegenwart und der Ich-Form ihre Geschichte erzählen. Sie ist eine junge Frau, die fast naiv immer das Beste von den Menschen annimmt, fest an die ewige Liebe glaubt und es daher als ihre Mission betrachtet, Rose und Elsie, die sich während des Krieges innig geliebt haben, zusammen zu bringen. Während der Fahrt beginnt sie, Gefühle für Hollis zu entwickeln, ist sich aber unklar, welche das sind. Ist “mögen” denn auch “lieben”? Und was ist dann Freundschaft? Trotzdem kommen sich Millie und Hollis sehr nah, einige Szenen im Buch sind very spicy. Für junge Leser und Leserinnen werden aber auch die Regeln für Sex klar definiert: Es ist immer in Ordnung “nein” zu sagen. Das Buch ist für Lesende ab sechzehn Jahren empfohlen.

Hollis ist der anfangs abweisende und oberflächlich wirkende Typ, der sich aber während der Reise als freundlicher Helfer herausstellt und Millie in ihrem Anliegen nach Kräften unterstützt. So entsteht erst langsam das Bild eines einfühlsamen Mannes, der sich lange Zeit weigert, zu seinen Gefühlen zu stehen.

“Maybe this is how it starts” ist ein manchmal schräger, manchmal tiefsinniger Liebesroman, der humorvoll erzählt, wie sich die Protagonisten Millie und Hollis im Lauf der Reise verändern. Neben spritzigen und witzigen Dialogen steht natürlich die Frage im Vordergrund: “Gibt es die ewige Liebe, die den Tod überdauert?” Die Story bietet gelungene Unterhaltung und ist durchaus spannend, denn man möchte es Millie gönnen, dass ihr Roadtrip, um Elsie zu finden, nicht vergebens war. Und da Millie und Hollis ausgeprägte Charaktere sind, finden sich neben mancher skurrilen Szene immer wieder berührende Gedanken und tiefe Gefühle.

Das Buch ist angenehm und leicht zu lesen, der Schreibstil flüssig und abwechslungsreich. Gute Unterhaltung bieten die erfrischend frechen Dialoge. Manchmal spricht Millie die Lesenden direkt an, das macht es leicht, in das Geschehen einzutauchen und die Gefühle und Handlungen der Protagonisten nachzuvollziehen. Damit hat Sarah Adler einen sehr gelungenen und unterhaltsamen Roman geschrieben, den ich gerne weiterempfehle und der fünf Sterne wirklich verdient hat.

Bewertung vom 01.06.2025
Keys, Tarah

Paperweight Hearts / Literally Love Bd.3


ausgezeichnet

Spicy words and burning hearts
“Hass oder Liebe, oder geht beides”?
Diese Frage werden sich die Lesenden von “Paperweigt Hearts”, dem dritten Band der Literally Love Trilogie stellen. Die Autorin Tarah Keys hat mit ihrer New-Adult Romance wieder ein tolles Buch vorgelegt, das nicht nur Witz und hintergründige Dialoge bietet, sondern immer auch über den schmalen Grat zwischen Wahrheit und Lüge, Zuneigung und Rivalität balanciert.

Schon das Cover und der farbig illustrierte Buchschnitt machen das Buch zu einem Eyecatcher. Das ist besonders gelungen, da die Verlagsbranche, aber auch die Arbeit von Literaturagenturen immer wieder Thema sind und Tarah Keys der Kunstgriff gelungen ist, ein Buch im Buch zu schreiben. Die Geschichte hat es in sich: Chelsea, Programmdirektorin beim Verlag Plots&Pieces ist eine toughe Geschäftsfrau, Nolan Rowes ein erfolgreicher Literaturagent. Ihre gegenseitige Abneigung sitzt tief, Chelsea hat Nolan den Job weggeschnappt. Und obwohl die Beiden dauernd streiten, können sie einander im Literaturbetrieb nicht aus dem Weg gehen. Um dieses zwiespältige Verhältnis auf die Spitze zu treiben, schließen sie eine Wette ab: Kann Fake Dating zu echten Gefühlen führen? Verloren hat, wer sich zuerst in den Anderen verliebt. Wer wird hier in Verlangen entbrennen, so heftig, dass er oder sie die Wette verloren gibt? Die Nominierung für den selben Literaturpreis stachelt ihre Rivalität zusätzlich an.

In Paperweight Hearts hat die Autorin Tarah Keys zwei beeindruckende Hauptcharaktere geschaffen, die einander anfänglich in Zynismus und Schlagfertigkeit in nichts nachstehen. Doch mit der Zeit- ohne dass Nolan und Chelsea es wahrhaben oder einander zugestehen wollen- tritt echtes Begehren in ihre Beziehung. Einige spicy Szenen lassen erahnen, wie schwer es ist, Begehren zu verleugnen und sich doch so stark zum Anderen hingezogen zu fühlen. Doch immer, wenn man glaubt, dass echte Romance im Spiel ist, versuchen Chelsea und Nolan, Distanz zu schaffen. Denn keiner will die Wette verlieren.

Dieser mit Witz und Charme geschriebene Roman bietet durch kurze Kapitel wirkliches Lesevergnügen. Besonders gelungen sind die humorvollen Kapitelüberschriften, die darauf Bezug nehmen, dass sie aus dem Kapitelplan zu Paperweight Hearts von Tarah Keys entstammen. Auch in anderen Szenen wird die Verlagsbranche mit Augenzwinkern dargestellt, aber junge Leser*innen ab 16 Jahren werden über diese zusätzlichen Einblicke in den Literaturbetrieb sicher begeistert sein. Diese Workplace-Romance bietet einfach von Allem etwas: Ein erfrischend freches, ungewöhnliches Setting, witzige und hitzige Wortgefechte und natürlich sympathische Protagonisten, über deren Beziehungsverhalten sich Reflexion sicher lohnt. Denn auch in den einzelnen Kapiteln erzählen die Figuren aus der Ich-Perspektive, wie sich ihr Konkurrenzkampf, aber auch ihre Gefühle füreinander entwickeln. Hier lebt man richtig mit, denn dieser flüssige Schreistil lässt echtes Kopfkino entstehen.

So bietet “Paperweight Hearts” kurzweilige Unterhaltung, aber auch Romantik, Spannung und Humor. Ein Buch, das man wirklich lesen sollte, das ich daher gerne weiterempfehle und das fünf Sterne wirklich verdient.

Bewertung vom 31.05.2025
Whyte, Nicola

Marchfield Square


ausgezeichnet

Nachbarn und andere Mörder


Mit ihrem Romandebüt “Marchfield Square” steht Autorin Nicola White in der guten Tradition der britischen Cosy Crimes. Schon das Cover dieses Buches ist ein echter Eyecatcher, der erhabene Druck und der Farbschnitt vervollständigen die hochwertige Ausstattung. Und auf der Rückseite der Buchdeckel gibt es einen Plan des eleganten Londoner Gebäudeensembles, wobei jede Wohnung dem jeweiligen Mieter zugeordnet wird. Das macht es leicht, sich in die Szenerie zu versetzen und hilft beim Mitraten und Miträtseln.

Denn als Lesende*r ist man genau so neugierig wie Celeste, die auf dem Buchcover abgebildet ist, eine reiche alte Dame, die “Menschen sammelt”. Sie ist Eigentümerin des Marchfield Square, sucht sich ihre Mieter nach eigenen Kriterien aus und beobachtet sie in ihren Wohnungen. Doch einmal hat sich Celeste bei der Auswahl geirrt, und genau dieser Mieter, Richard Glead, liegt jetzt tot in Wohnung Nummer zehn. Celeste ruft nicht die Polizei, seine Frau Linda, gegen die er gewalttätig war, wird die Leiche schon finden. Als die Polizei ermittelt, ist der Hintergrund des Verbrechens unklar. War es Linda? Oder war Richard in kriminelle Machenschaften verstrickt?

Da Celeste der Polizei nicht vertraut, gründet sie ein eigenes Ermittlerteam. Da ist Audrey, ihre Putzfrau, mit hellem Verstand, guter Menschenkenntnis und extrovertiert. Sie soll mit dem sozial unbegabten Schriftsteller Lewis, der gerade an einer Schreibblockade leidet, Licht in den Fall bringen. Diese beiden ungleichen Partner konzentrieren sich vorerst auf die Nachbarn. Und siehe da, jeder hat ein Geheimnis. Doch damit nicht genug, es gibt noch zwei weitere Leichen. Wie ist hier der Zusammenhang? Oder gibt es doch mehrere Täter?

In bester Agatha Christie Manier kümmern sich Audrey und Lewis um die Aufklärung des Falles. Dabei ergänzen sich die Beiden mit der Zeit immer besser, aber welches Spiel spielt Celeste? Gibt sie wirklich alle Informationen Preis?

Neben den zwei Hauptcharakteren sind die Nachbarn, die in diesem noblen Haus wohnen, hervorragend dargestellt. Neben schrulligen Charakteren und unerwarteten -auch kriminellen- Eigenschaften ergibt sich ein Tatbild, in dem auch die Lesenden zu Ermittlern werden, denn es gibt so viele Geheimnisse und Möglichkeiten, wer würde da nicht miträtseln. Und doch, kaum glaubt man, den Täter oder die Täterin zu kennen, nehmen die Fälle eine unerwartete Wendung, an der auch Miss Marple oder Hercule Poirot einiges aufzulösen hätten.

So ist Marchfield Square nicht nur ein gelungenes Debüt der Autorin Nicola White, sondern ein spannungsreicher, flüssig geschriebener und erzählerisch gelungener Cosy Crime Roman. Durch einprägsame Schilderungen verfolgt man einerseits die Bemühungen des Ermittlerduos Audrey und Lewis, andererseits entwickelt man selbst immer wieder Szenarien, die die Autorin geschickt wieder zu Fall bringt. Nicht zu kurz kommen der britische Humor, das Schmunzeln über skurrile Charaktere und der Charme des british way of life. Der Roman bietet erstklassige Unterhaltung, daher kann ich dieses gelungene Romandebüt gerne weiterempfehlen und bewerte es mit verdienten fünf Sternen.

Bewertung vom 26.05.2025
Deya, Claire

Eine Welt nur für uns


ausgezeichnet

Vom Grauen des Krieges und der Kraft der Liebe

Das Romandebüt von Claire Deya “Eine Welt nur für uns” lässt, auch durch das idyllische Hardcover, einen Liebesroman vermuten. Natürlich kommt Liebe vor, unendlich, tief und besitzergreifend. Doch der Schauplatz der Geschichte und die Protagonisten sind ganz anders.

Die Strände der Cote d´ Azur sind vermint, es ist kurz vor Kriegsende. Vincent, ein Franzose, der aus deutscher Kriegsgefangenschaft geflohen ist, kehrt zurück, besessen nur von einem Gedanken: Er muss seine Geliebte Ariane wiederfinden, die seit zwei Jahren verschwunden ist und zuletzt auf einem Fest der deutschen Feinde gearbeitet hat. Daher braucht er Kontakt zum Kriegsgefangenenlager, in dem Deutsche interniert sind. Vincent schließt sich dem Trupp von Minenräumern an, neben Franzosen müssen Deutsche hier Zwangsarbeit leisten. Vincent ist sicher, von ihnen etwas über Arianes Schicksal erfahren zu können und besessen von dem Gedanken, Rache zu nehmen, wenn ihr etwas zugestoßen ist. Doch die Deutschen sind verhasst und jeder Kontakt mit ihnen kann gefährlich sein, genau wie das sorgsame Aufspüren und Entschärfen der Minen. Nichts jedoch wird Vincent von seinem Vorhaben abbringen.

Claire Deya beschreibt in ihrem Roman, der ein Aufschrei gegen die Unmenschlichkeit des Krieges ist, alle Menschentypen, die dieses Wüten hervorgebracht hat. Da sind die Gaffer, wenn die Minenräumer ihrer lebensgefährlichen Arbeit nachgehen, die Menschen, die nur verharmlosen und vergessen wollen, die sich nach einem normalen Leben sehnen und die Denunzianten, die jüdische Familien um ihr Hab und Gut und oftmals auch um ihr Leben gebracht haben.

Einer der Hauptcharaktere des Buches ist Saskia, die aus einem deutschen Konzentrationslager entkommen ist und feststellen muss, dass ihr Haus von einer fremden Familie bewohnt wird. Freundlich empfangen wird sie nicht, bei den Behörden wird sie vertröstet. Doch sie begegnet Vincent, der sie einlädt, in seinem Haus zu wohnen. Saskia, traumatisiert und in ständiger Panik, nimmt das Angebot an. Doch sie sucht jeden kleinen Hinweis auf ihre Familie, die im Konzentrationslager umgekommen ist. Wer hat sie damals denunziert?

Claire Deya beschreibt in dieser aufrüttelnden und berührenden Geschichte, dass der Krieg mit der Kapitulation der Deutschen noch längst nicht vorbei war, die Franzosen hassten die deutschen Zwangsarbeiter weiterhin. Erst langsam gelingt es, den Menschen im Feind zu erkennen.

In der bildhaften Sprache der Autorin entsteht im Kopf der Lesenden eine Szenerie aus Mut und Verzweiflung. Mut, das Lager überleben zu wollen, was nur gelingen kann, wenn man dem Leben trotzdem einen Sinn abgewinnt. Verzweiflung, wenn man über das Schicksal der Angehörigen nicht Bescheid weiß, monatelang keine Post bekommt und unter Hunger, Gewalt und Demütigungen leidet. Der Gedanke an Flucht ist bei den Kriegsgefangenen allgegenwärtig, besonders bei Lukas, einem feinsinnigen Deutschen, der eigentlich in Paris eine Buchhandlung eröffnen wollte. Und Vincent ist überzeugt, dass Lukas etwas über den Aufenthaltsort von Ariane weiß.

Dieser Roman von Claire Deya ist mit erzählerischer Konzentration geschrieben und bietet keine einfachen Wendungen. Die subtile Schilderung der einzelnen Charaktere lässt die Lesenden mitfühlen und mitleben, froh, dieses Grauen nicht selbst erleben zu müssen. Entsetzen und Unverständnis entsteht, wenn man beobachtet, dass Menschen ungeheuer niederträchtig und grausam sein können, andererseits aber auch liebende Familienväter, die abends nichts dabei finden, ihre Fröhlichkeit im Umkreis der Zerstörung und Verzweiflung auszuleben.
Ich kann der Autorin nur zustimmen, wenn sie schreibt, dass man den Frieden planen müsse, um den Krieg zu vermeiden. Man merkt, dass die Autorin akribisch recherchiert hat, im Anhang des Buches findet sich ein Quellenverzeichnis. Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt, ich empfehle es gerne weiter und bewerte es mit verdienten fünf Sternen.