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Ruth Justen
Wohnort: 
Leipzig
Über mich: 
Ich lese für mein Leben gern. Daraus ist "Ruth liest", ein Blog mit kurzen und prägnanten Büchertipps einer leidenschaftlichen Leserin, entstanden. Das Webtagebuch möchte anderen Bücherfreunden Orientierung im riesigen Reich der Belletristik geben. Interessierte können daher nicht nur nach Autoren, sondern auch nach Ländern und Schlagwörtern suchen.

Bewertungen

Insgesamt 64 Bewertungen
Bewertung vom 25.11.2011
Kriegspack
Ha Jin

Kriegspack


ausgezeichnet

Ha Jin führt den Leser in seinem Werk "Kriegspack" mitten hinein in den Koreakrieg und in die gesellschaftspolitischen Konflikte der jungen Volksrepublik China.

Der Held der Geschichte - Yu Yuan - wird 1951 von der Volksrepublik China nach Korea geschickt um die Nordkoreaner gegen die Südkoreaner zu unterstützen. Die Südkoreaner wurden ihrerseits von den USA mit Truppen und Ausrüstung bestückt. Die chinesischen Truppen sind im Vergleich zu den Südkoreanern und ihren Verbündeten schlecht ausgebildet und technisch rückständig.

Schnell gerät Yu Yuan wie Tausende andere Chinesen in Gefangenschaft. Die Gefangenschaft gilt als Schande, hatten doch alle Soldaten vor ihrem Abmarsch geschworen, bis zum Tod für den Sieg des Kommunismus zu kämpfen.

Wie wird das neue kommunistische Regime mit ihnen umgehen? Begnügt es sich mit der Erniedrigung der Überlebenden oder verhängt die Regierung gar die Todesstrafe für die Rückkehrer? Die Angst geht um unter den Gefangenen. Eine Angst, die noch verstärkt wird durch die auch in den Kriegsgefangenenlagern ungebrochene Macht der kommunistischen und nationalistischen Anführer.

Beide Funktionärsgruppen kämpfen um jeden einzelnen Gefangenen, setzen sie nicht selten mit roher Gewalt unter Druck. Die einen wollen die kommunistische Regierung vor der Schmach bewahren, dass nur eine Minderheit der chinesischen Soldaten in ihre Heimat zurück gehen wollen. Die Nationalisten hingegen möchten die Soldaten dazu bewegen, nach Taiwan auszureisen, um dort eine antikommunistische Armee zu gründen.

Yu Yuan steht zwischen Baum und Borke. Er ist kein Kommunist, aber er liebt seine Verlobte und seine Mutter und will daher zurück nach China. Geht er nach Taiwan, was ihm politisch eher entsprechen würde, gefährdert er sehr wahrscheinlich das Leben seiner Lieben. Zudem gilt er als belastet, weil er vor der Gründung der Volksrepublik Kadett in einer Militärakademie der Nationalisten war. Wie immer er sich entscheidet, er wird einen hohen Preis bezahlen.

Ha Jin schildert in seinem Roman ungemein bewegend das Schicksal des Soldaten Yu Yuan. Er erzählt hier nicht nur vom grausigen Kriegsgeschehen, sondern auch von Freundschaft, Solidarität und Liebe in Zeiten des Terrors. Unbedingt lesenswert!

Deutscher Taschenbuch Verlag 2005

Bewertung vom 25.11.2011
Leidenschaft
Némirovsky, Irène

Leidenschaft


ausgezeichnet

In dem schmalen Bändchen erzählt Némirovsky von zwei Affären. Die junge Colette, frisch verheiratet mit Jean, hat eine heftige Affäre mit Marc. Dann kommt Jean unter mysteriösen Umständen ums Leben und Colette schämt sich ihrer Leidenschaft für Marc. Die Geschichte wird begleitet von den moralischen Kommentaren ihrer Eltern und des Cousins ihrer Mutter, Silvio. Gegen Ende erfährt der Leser, dass ausgerechnet Colettes Mutter und ihr Vetter Silvio eine Liason hatten. Die gemeinsame Tochter wurde nach der Geburt "abgeschoben", damit der Fehltritt in der Gesellschaft nich bekannt wurde.

Irène Némirovsky prangert hier die Doppelmoral ihrer Elterngeneration an. Sicher vieles hat sich verändert. In manchen Belangen sind wir heute toleranter. Ein uneheliches Kind ist keine Schande mehr. Es ist ein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft. Dennoch urteilen wir täglich über andere, obwohl wir selbst eine Menge Schuld oder Verantwortung mit uns herum tragen. Das Buch ist damit aktuell wie eh und je!

Knaus Verlag Verlagsgruppe Random House Bertelsmann 2009

Bewertung vom 25.11.2011
Ist schon in Ordnung
Petterson, Per

Ist schon in Ordnung


sehr gut

Immer ein wenig traurig, hochsensibel und sprachlich ausdifferenziert gehört Per Petterson zu meinen Lieblingsautoren. Vielleicht liegt es an meiner Erwartungshaltung, dass mich Petterson auch diese Mal nicht enttäuscht.

Die Hauptfigur des Romans "Ist schon in Ordnung" ist der 13-jährige Audun. Traumatisiert von seinem Vater, der im Alkohohlrausch die Familie verprügelt hat, lebt sich der Junge nur schwer in die neue Umgebung ein. Die Freundschaft zu seinem Klassenkameraden Arvid hilft ihm, sein Leben irgendwie zu "meistern". Oft er steht er am Rande des Abgrundes und möchte alles aufgeben. Aber am Ende hält er durch, macht seinen Schulabschluss und ist innerlich so gefestigt, dass er trotz der psychischen und physischen Folgen seiner missglückten Kindheit Liebe und Glück empfindet.

Pettersen ist erneut eine leise Geschichte über das alltägliche Glück und Unglück gelungen.

Carl Hanser Verlag 2011

Bewertung vom 25.11.2011
Ein weißes Land
Fatah, Sherko

Ein weißes Land


ausgezeichnet

Wie macht Fatah das nur? Er führt seine Leser durch düstere Zeiten voller Gewalt, Tod und Schuld und dennoch will ich das Buch nicht zur Seite legen, folge ich dem Autoren und seiner Hauptfigur Anwar bis ans bittere Ende.

Der Roman beginnt mit der Jugend von Anwar im Bagdad der 30iger Jahre. Die Briten hatten in Folge des 1. Weltkrieges eine probritische Regierung im Irak installiert. Dagegen wuchs in den 30iger Jahren der Widerstand. Die Deutschen unterstützten diesen Widerstand stark, der zum Sturz der probritischen Regierung 1941 führte. Nicht zuletzt mit ihrer antisemitischen Politik gewannen die Deutschen Partner im arabischen Raum. Dazu gehörte der Mufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini.

Mitten drin in diesem historischen Kampf steckt der junge Anwar. Er mischt zugleich hinter den politischen Kulissen im Kampf um Armut und Reichtum, um gesellschaftliche Stellung mit. Er wird Dieb, Mörder und schließlich ein Parteigänger des Muftis. Da er ein treuer Diener ist, folgt Anwar dem Mufti nach Berlin. Von Berlin aus schickt Amin al-Husseini Anwar zu den muslimischen Einheiten der Waffen-SS nach Osteuropa.

Er beteiligt sich dort an den Morden. Anwar spürt den Wahnsinn des Massenmordes mehr als das er ihn reflektiert. Als einzig Überlebender seiner Truppe kehrt er beladen mit Schuldgefühlen nach Bagdad zurück. Weder lebt er noch will er sterben, am liebsten ist er unsichtbar für alle anderen. Doch das bleibt ein frommer Wunsch. Der koruppte irakische Offizier, der ihn schon in der Vorkriegszeit als Spitzel benutzt hat, lässt Anwar keine Ruhe.

Das Buch entlässt mich dem Gefühl, dass alles weiter geht. Die gleichen zwielichtigen Gestalten werden die gleichen kaputten Menschen benutzen, um Unrecht zu säen, zu plündern und zu morden.

Definitiv düster, aber ungemein sensibel und vielschichtig erzählt Sherko Fatah seine Geschichte von Schuld und Mitschuld.

Luchterhand Literaturverlag 2011

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2011
Karte und Gebiet
Houellebecq, Michel

Karte und Gebiet


sehr gut

Eigentlich sind es zwei Romane in einem, die der französische Schriftsteller Michel Houellebecq mit seinem jüngsten Werk "Karte und Gebiet" vorlegt.

In der Hauptgeschichte trifft der einsame Künstler Jed Martin den kauzigen Schriftsteller Michel Houellebecq. Gemeinsam ist ihnen die Bindungslosigkeit gegenüber Familie und Freunden sowie die Ablehnung der aufgeblasenen Kunstszene - ja der Gesellschaft im Allgemeinen. Grandios beschreibt der französische Meister diese beiden klugen und sensiblen Einzelgänger.

Gleichzeitig seziert er regelrecht die bessere französische Gesellschaft. Daran schließt auch der in den Roman eingeschobene Krimi an. Als Leser stoplert man über den Genrewechsel und über das Mordopfer. Das ist kein Geringerer als der Autor selbst, der im Buch bestialisch ermordet wird. Der Künstler liefert den entscheidenen Hinweis zur Überführung des Täters. Der Roman begleitet Jed Martin bis zu seinem Tode im Jahr 2035 und zeichnet ein düsteres Zukunftsbild.

Was bleibt? Nichts. Denn: "Die Vegetation trägt den endgültigen Sieg davon", so Houellebecq.

Dem Autor ist ein tiefgründiges und lesenswertes Buch gelungen.

DuMont Buchverlag 2011

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2011
Kriegsbraut
Kurbjuweit, Dirk

Kriegsbraut


sehr gut

Was treibt Menschen in eine Armee? Warum ziehen Frauen zunehmend Uniformen an? Ich weiß es nicht - ehrlich nicht. Das Buch "Kriegsbraut" lässt mich in dieser Frage ratlos zurück.
Kurbjuweits beschreibt in seinem jüngsten Roman den Weg einer jungen Frau - Esther - zur Bundeswehr. Von Berlin nach Afghanistan folgt der Leser ihren Spuren. Von Einsamkeit zur Kameradschaft könnte man sagen.

Zum Bundeswehreinsatz gehört aber nicht nur Kameradschaft und der Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte. Vor allem gehört die Angst vor den Taliban dazu. Die Angst, nicht zu wissen, wer der "Feind" ist. Jeder Kochtopf am Rande eines Feldes wird zur tatsächlichen oder möglichen Bedrohung.

Und dann folgt die Liebe. Eine "unmögliche" Liebe ist es wohlgemerkt. Sie wird gestört durch die blutige Spuren, die die Taliban und die westlichen Armeen durch das Land ziehen.

Mit jeder Lektüreseite wächst die Beklemmung. Am liebsten würde man Esther zurufen: "Schmeiß den Kram hin". Treffend lässt Kurbjuweit seine afghanische Hauptfigur Mesud sagen, dass wer immer das Land betritt, sich schuldig macht. Aber, wer immer das Land verlässt, macht sich auch schuldig am Elend in der Region.

Kriegsbraut ist ein ganz starkes Buch. Es fesselt auch nicht primär an politischen Fragen interessierte Leser.

Rowohlt Berlin 2011

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2011
Sieben Seiten der Wahrheit
Perlman, Elliot

Sieben Seiten der Wahrheit


sehr gut

Seit drei Jahren schleiche ich um dieses Buch herum. Warum? Ganz einfach, es hat 859 Seiten. Ist ein so dickes Buch gut, bist du tagelang für niemanden erreichbar. Ist es schlecht, quält es dich verdammt lange.

Also, was tun mit diesem Werk? Es unbedingt lesen! Ich war zwei Tage lang völlig eingesogen von dem Roman. Von der ersten bis zur letzten Seite schafft der australische Autor es, den Leser zu fesseln.

Er schildert sieben Menschen, die miteinander verbunden sind. Unerfüllte Liebe kennzeichnet das Dasein der Protagonisten. Und so erzählt Perlmann sieben Versionen von der Wahrheit über die verzweifelte Liebe zwischen Paaren, Ex-Paaren, Vätern und Söhnen, Vätern und Töchtern. Schonungslos rechnet hier jeder mit jedem ab und doch empfindet der Leser Empathie für alle beteiligten Personen.

Nebenbei skizziert der Autor gesellschaftliche Missstände in Australien. Ob Finanzmarkt, Gesundheitswesen oder Justiz - der Roman spielt zwar in Australien - er greift aber Themen auf, die überall relevant sind.

Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) 2008

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2011
Tochter und Vater
Roggenkamp, Viola

Tochter und Vater


ausgezeichnet

Viola Roggenkamp setzt mit diesem Werk ihrem Vater ein Denkmal. Ein verdientes Denkmal, denn ihr Vater hielt während der Nazizeit zu ihrer jüdischen Mutter und Großmutter. Er riskierte sein Leben für seine Frau und die gemeinsame Tochter. Wie viele Menschen können das schon von sich sagen?

Das Buch ist nicht nur historisch interessant. Es gelingt der Autorin auch literarisch zu punkten. Gerade bei autobiografisch motivierten Büchern besteht ja die Gefahr, in Kitsch und Pathos abzugleiten. Nichts dergleichen verkleistert diese Geschichte.

Gleichzeitig erzählt Roggenkamp hier feinfühlig die Suche der Kinder nach ihrer Identität und schildert das Verhältnis der Tochter zu ihren Eltern.

"Tochter und Vater" ist ein ernster Familienroman in leichtfüßiger Verpackung.

S. Fischer Verlag 2011

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.