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R.E.R.

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Insgesamt 283 Bewertungen
Bewertung vom 02.01.2014
Ein Date mit Bissverständnis / Die Vampirschwestern Bd.10
Gehm, Franziska

Ein Date mit Bissverständnis / Die Vampirschwestern Bd.10


ausgezeichnet

“Die Vögel” von Alfred Hitchcock ist ein Gruselschocker der Extraklasse. Finde ich. Meine zwölfjährige Tochter, mit der wir uns den Film im letzten Jahr angesehen haben, fand das nicht. “Wann wird es denn nun endlich unheimlich?” fragte sie gelangweilt, als die Kinder mit ihrer Lehrerin vor den angreifenden Möwen flüchten. Eine Reaktion wie in Franziska Gehms “Date mit Bissverständnis” haben wir jedenfalls nicht erlebt. Die Vampirschwestern und ihre Freunde Helene und Ludo können sich vor Angst beim ansehen des Filmes kaum beherrschen. Selbst Dakaria flopst es vor lauter Spannung direkt auf Ludos Schoß, was beide sehr irritiert. Einig waren meine Tochter und ich uns jedoch, dass das zehnte Abenteuer der beiden Tepes Schwestern sehr gut gelungen ist. Wir haben uns beim Lesen bestens amüsiert. Beide!

Helene Steinbrück ist vor Freude ganz aus dem Häuschen. Die Band Krypton Krax kommt nach Bindburg. Und mit ihr natürlich auch ihr Schwarm, der Leadsänger Murdo. Silvania und Dakaria freuen sich mit ihrer Freundin, sind aber auch besorgt. Die Mitteilungen die der attraktive Vampir ihrer Freundin im Vampnet in den Sargdeckel ritzt, klingen in ihren Ohren nicht ganz eindeutig. Dass er Helene “zum anbeißen” findet, kann auch alles andere als harmlos gemeint sein. Und so bleiben die beiden wachsam, während sie alles für den Auftritt der Musiker vorbereiten. So entgeht ihrer Aufmerksamkeit jedoch, dass ihr umtriebiger Nachbar Dirk van Kombast sich schon wieder etwas neues ausgedacht hat, mit dem er die unliebsamen Nachbarn loswerden kann. Tauben stehen im Mittelpunkt seines teuflischen Planes, hat er doch in Erfahrung gebracht, dass die Mädchen panische Angst vor diesen Vögeln haben. Und auch zwischen ihren Eltern kriselt es. Mutter Elvira ist plötzlich nicht nur extrem launisch sondern auch sehr stark, wie ihr Mann Mihai und die Kühlschranktür schmerzlich erfahren müssen.

In “Date mit Bissverständnis” kehrt Franziska Gehm zu den starken Ursprüngen der Reihe zurück. Sie kombiniert ihre phantasievollen Einfälle mit viel Sprachwitz und Sinn für Situationskomik. Die Handlung greift flüssig ineinander und steuert zielsicher auf ein atemberaubendes Finale zu, dass mit den oben erwähnten Tauben zu tun hat. Es ist sehr eindrucksvoll und hat mir besonders gefallen, wie Franziska Gehm hier die Hitchcock Vorlage “zweitverwertet”. Am Ende ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild und des Rätsels Lösung um Mutter Elviras neue Fähigkeiten, lässt auf weitere “bissfeste” Abenteuer hoffen.

Bewertung vom 29.12.2013
Dieses Leben, das wir haben
Shriver, Lionel

Dieses Leben, das wir haben


ausgezeichnet

Das Jenseits bezeichnet den Ort außerhalb der Welt, in den man nach dem Tod eintritt. Als gläubiger Christ sagt man auch Himmelreich dazu. Für Shep Knacker ist das Himmelreich der Ort wo er den Rest seines Lebens verbringen will. Er hat sparsam gelebt, seine Firma mit Gewinn verkauft und jahrelang “Recherchereisen” unternommen um das richtige “Jenseits” zu finden. Mit Pemba, einer Insel vor der afrikanischen Küste von Sansibar, scheint er endlich fündig geworden zu sein. Die Tickets sind gebucht, die Koffer gepackt, der Job gekündigt als seine Frau ihn mit einer tragischen Diagnose konfrontiert.

Ich bin durch einen Tipp aus der Süddeutschen Zeitung auf das Buch gestoßen. Auf einer Doppelseite empfahlen SZ Autoren Weihnachtsgeschenke. Der kurz skizzierte Inhalt machte mich neugierig. In “Das Leben das wir haben” geht es um zwei Paare, die auf ganz unterschiedliche Weise mit Krankheit und Tod konfrontiert werden. Dazu kam, dass ich die Autorin bereits von ihrem beeindruckenden Roman “Wir müssen über Kevin reden” kannte.

Shep hat durch den Verkauf seiner Firma ein Vermögenskonto angelegt, dessen Wert sich am Anfang der Geschichte auf knapp 800.000 Dollar beläuft. Der Krankheitsverlauf seiner Frau wird anhand der sinkenden Zahlen auf diesem Konto verdeutlicht. Sheppard ist zwar durch seinen Arbeitgeber, vor dem er zu Kreuze kriecht um seinen Job wieder zu bekommen, krankenversichert. Allerdings ist die Versicherung eine “jener Albträume” bei denen nur die notwendigste Grundversorgung abgedeckt ist und jede Sonderbehandlung zuzahlungspflichtig. In Glynis Fall einer äußerst seltenen und schwer behandelbaren Krebsform, kommt dies dem persönlichen Ruin gleich.

Carol und Jackson, die Freunde von Shep und Glynis, haben ein unheilbar krankes Kind. Ihre Tochter Flicka ist an familiärer Dysautonomie erkrankt. Hauptmerkmale dieser seltenen Gen-Erkrankung sind extreme Blutdruckschwankungen, fehlende Tränenflüssigkeit und die mangelnde Koordination des Verdauungssystems. Dazu kommen das Fehlen von Heiß-, Kalt und Schmerzempfinden, Kleinwuchs, Unterentwicklung und Sprachschwierigkeiten. Die Pflege der Tochter hat Mutter Carol übernommen, die dafür ihren eigentlichen Beruf als Gartenarchitektin aufgegeben hat und für die Computerfirma IBM von zu Hause aus arbeitet. Der Hauptgrund war auch hier die Krankenversicherung.

Obwohl naheliegend zeichnet das Buch anhand der Krankengeschichten kein exemplarisches Bild der Ungerechtigkeit des amerikanischen Gesundheitssystems. Beide Familien können sich die medizinische Versorgung leisten, ohne (zunächst) größere persönliche Einbußen in Kauf nehmen zu müssen. Man möchte sich nicht vorstellen, wie es den beiden Patientinnen ergehen würde, wenn sie nicht durch Eltern oder Ehemann abgesichert wären.

Das Buch ist in jedem Fall nichts für schwache Nerven. Die Drastik mit der Shriver den Verfall von Glynis beschreibt, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Von Haarausfall bis Appetitlosigkeit und vom körperlichem Verfall bis zum kompletten Aussetzen der Vitalfunktionen. Glynis ist dennoch keine Figur mit der man Mitleid hat. Vielleicht das stärkste Argument für dieses Buch. Die ungeschönte Wirklichkeit einer Sterbenden zu begleiten.

“So much for that” heißt das Buch im Original. Ein passender Titel für ein Werk, dass einen trotz des ernsten und (oft) wenig schönen Inhalts hoffnungsvoll stimmt. “Soviel dazu” ist das unprätentiöse Grundmotto, das sich einem, neben den Figuren, nachhaltig einprägt. Am Ende kommt es nicht darauf an, große Worte zu machen. Es sind die kleinen Gesten die bleiben. Und die darüber entscheiden wie man lebt hat und wie man stirbt. Eindringlicher habe ich das noch nie gelesen.

Bewertung vom 08.12.2013
Ein ganzes halbes Jahr
Moyes, Jojo

Ein ganzes halbes Jahr


ausgezeichnet

Louisa Clark braucht dringend einen neuen Job. Als Qualifikation bringt die sechsundzwanzigjährige jedoch nicht viel mehr als ihr freundliches Wesen und ihre kommunikative Art mit. Gelernt hat sie nichts. Das Angebot von Camilla Traynor ihren behinderten Sohn Will zu betreuen, kommt ihr daher mehr als gelegen. Die körperliche und medizinische Versorgung obliegt dem Pfleger Nathan. Louisa soll den Patienten lediglich etwas “aufheitern“. Aber schon der erste Arbeitstag bringt sie an den Rand der Kündigung. Will, ein Tetraplegiker, scheint sie zu hassen. Er quält sie mit seinem Sarkasmus oder verweigert sich ihr demonstrativ mit Schweigen. Louisa, die den Verdienst dringend zur finanziellen Unterstützung ihrer Eltern braucht, beisst die Zähne zusammen. Sie wurde schließlich nur für ein halbes Jahr eingestellt. Und sechs Monate sind schnell vorbei!

Zu Beginn des Buches beschlich mich der Verdacht, dass ich es hier nur mit einem Aufguss des erfolgreichen Films “Ziemlich beste Freunde” nach der Autobiographie des Tetraplegikers Philippe Pozzo di Borgo zu tun habe. Diesmal im gemischten Doppel, mit weiblicher Besetzung. Ich merkte bald, dass dieser Vergleich nicht nur hinkt sondern ganz fehl am Platz ist. In “ziemlich beste Freunde” entwickelt sich zwischen den beiden Protagonisten eine besondere Freundschaft, die dem behinderten Mann Lebensmut und Freude am Leben wiedergibt. Louisa kommt dahinter, dass sie den lebensmüden Will nur vom nächsten Selbstmord abhalten soll. Dieser wesentliche Unterschied erklärt sich auch in der Grundkonstellation. Pozzo die Borgo sucht sich seinen Pfleger selber aus. Louisa wird Will von dessen Mutter vor die Nase gesetzt.

Also eine romantische Liebesgeschichte, war mein nächster Gedanke. Aus anfänglicher Abneigung wird allmählich Zuneigung, dann Liebe und am Ende natürlich alles Gut. Aber auch diese Vermutung war nicht richtig. Sobald klar ist, warum Louisa nur für ein halbes Jahr eingestellt wird, weiß man dass es hier noch um etwas ganz anderes geht.

Die Lektüre entwickelt sich zu einem spannenden Rennen gegen die Zeit. Moyes wechselt federleicht zwischen Romantik, Tragik und Komik. Die Stelle als Louisa nach dem ersten, völlig verunglückten, Ausflug mit Will feststellt, dass direkt neben der Schlammwiese auf der sie geparkt hat, ein betonierter Behindertenparkplatz gewesen wäre, ließ mich laut auflachen. Momente wie jener, in der Louisa das Preisetikett im Hemd in Wills Nacken mit den Zähnen durchbeißt oder die Tanzeinlage der beiden auf der Hochzeit von Wills Freunden sind an zärtlicher Romantik kaum zu überbieten. Und manche Sätze legen sich wie Balsam auf die Seele oder lassen einen einfach zur Ruhe kommen.

Der natürliche Plauderton der Ich-Erzählerin Louisa lässt einen unkompliziert durch die Seiten gleiten, hilft aber auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Das Leben mit einem behinderten Menschen, angefangen von Körperpflege, über Medikation und Therapiemöglichkeiten bis hin zu den Tücken des Alltags, in die man als NB (Nichtbehinderter) gerne tappt und die zu peinlichen Situationen führen, die man leicht verhindern könnte. Ein wenig Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen reichen schon aus, wie Louisa schnell und eindrucksvoll lernt.

Dynamik zieht der Roman auch aus der gegensätzlichen Stellung der beiden Hauptfiguren. Hier, wie auch im oben genannten Film, kommen die beiden aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Hier der schwerreiche, hochintelligente Erfolgsunternehmer. Dort die ungebildete Arbeitertochter aus der Sozialsiedlung. Es ist bemerkenswert unterhaltsam zu lesen, wie beide voneinander lernen und profitieren. Am Ende ist das halbe Jahr schneller vorbei, als es Louisa oder dem Leser lieb sein können.

17 von 23 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.11.2013
Angerichtet
Koch, Herman

Angerichtet


sehr gut

Durch eine Reportage der Süddeutschen Zeitung wurde ich auf den Schriftsteller Herman Koch aufmerksam. Im November widmete “die Seite Drei” dem niederländischen Bestsellerautor einen längeren Artikel. Anlass war die geplante Verfilmung seines Bestsellers “Angerichtet” aus dem Jahr 2009. Hervorgehoben wurde seine Gabe des genauen Beobachtens sowie das Talent das Beobachtete sprachlich umzusetzen. Der Artikel machte mich neugierig auf diesen “Tiefseeltaucher”.

„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich“. Dieses Zitat aus Lev Tolstois Roman Anna Karenina stellt der Ich-Erzähler Paul Lohman seiner Geschichte voran. Seine Familie, mit ihm, seiner Frau Claire und dem fünfzehnjährigen Sohn Michel ist glücklich, wie er meint. Ganz anders die Familie bzw. die Ehe seines Bruders Serge: „Ich könnte dem Zitat höchstens noch hinzufügen, dass die unglücklichen Familien, insbesondere die Ehepaare, nie alleine damit fertigwerden. Unglück ist immer auf er Suche nach Gesellschaft. Je mehr Zeugen, desto besser. Also lächelten Claire und ich uns an, im Bewusstsein, dass wir gleich den ganzen Abend in Gesellschaft des Ehepaares Lohmann verbringen würden. Das hier würde der schönste Moment des Abends werden, danach konnte es nur noch bergab gehen.„

Aus Sicht des Lesers geht es, was Spannung und Nervenkitzel betrifft, steil bergauf. Zwei Ehepaare treffen sich zum Essen um ein heikles Problem, die beiden gleichaltrigen Söhne betreffend, zu lösen. Anders als in dem gefeierten Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza, dass eine ähnliche Grundkonstellation aufweist, weiß man bei Koch allerdings nicht um was für eine Art von Problem es sich handelt. Und so tappt man auf der Suche nach Gut und Böse im Dunkeln. Man begleitet Paul auf einer wahren Achterbahn der Gefühle durch den Abend und bekommt im Lauf der Fahr das beklemmende Gefühl, das das Glück nicht nur bei der einen Familie gewaltig in Schieflage geraten ist.

Im Klappentext zu dem Buch heißt es, dass es in dem Familiendrama um die Frage geht, wie weit Elternliebe gehen darf? Ein Punkt, der mich ob seiner Umsetzung brennend interessierte. So sehr mich das Buch sonst auch begeisterte, in dieser Hinsicht wurde ich enttäuscht. Denn Koch täuscht dem Leser eine Normalität vor, die es nie gab. Anders als im oben genannten Bühnenstück, enthüllt Koch dem Leser wichtige Informationen zu seinen Protagonisten (inklusive der Tat der Jungen) erst sehr spät.

Während Reza alle Fakten von Anfang an auf den Tisch legt und allein aus der situativen Entwicklung die Spannung aufbaut, erzielt Koch die Spannung durch den alten Trick der „plötzlich auftauchenden Hand„ wenn man sich vermeintlich schon in Sicherheit wiegt. Das Drama entwickelt sich keineswegs in dem Lokal, in dem die beiden Elternpaare ihr Essen einnehmen. Dieser Ort dient Koch lediglich dazu, sein deskriptives Talent unter Beweis zu stellen. Der Weg ins Lokal, die verspätete Ankunft des Bruders, eines erfolgreichen Politikers, die Speisenauswahl, die Anmerkungen des Maitre-d‘Hotel. Alles wird detailiert beschrieben und analysiert.

Das Drama aber spielt sich in Pauls Gedanken ab, die während des Essens schweifen. Episoden aus der Vergangenheit fügen sich zu einem Bild zusammen, das einen Grausen lässt, ohne dass davon am Restauranttisch etwas zu spüren ist. Hier zeigen sich zwar offenkundig Spannungen zwischen den Paaren, vor allem unter den beiden Brüdern, aber nichts was auf tiefere Abgründe hinzuweisen scheint.

„Tiefseeltaucher“ titelte die SZ in dem oben genannten Artikel. Ein schönes Wortspiel, dass (wie ich finde) jedoch nicht ganz passt. Koch blickt nicht unter die Oberfläche seiner Figuren. Die einzige Seele mit der er sich wirklich befasst, ist die seines Erzählers Paul. Aber er taucht nicht ein, er beschreibt und analysiert die Abgründe. Sprachlich präzise und anschaulich. Für mich ist Koch eher ein “Seelenerklärer”.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2013
Die schrecklichsten Mütter der Welt
Ludwig, Sabine

Die schrecklichsten Mütter der Welt


sehr gut

Manchmal weiß man erst, was man an einem Menschen hat, wenn man ihn verliert. So geht es auch Bruno, Sofia und Emily. Alle drei haben es mit ihren Müttern nicht leicht. Der unmusikalische Bruno muss Klavierstunden nehmen, weil seine Mutter möchte, dass aus ihm ein gefeierter Pianist wird. Sofias Mutter hätschelt und verzieht des kleinen Bruder Niklas und ist zur großen Tochter oft ungerecht. Und Emily hat alle Hände voll zu tun, ihrer chaotischen Mutter durchs Leben zu helfen. Sei es, dass diese wieder ohne Geld im Supermarkt an der Kasse oder ohne Benzin im Tank mitten auf der Straße steht.

Im Internet entdecken die Kinder eines Tages ein Gewinnspiel. Als erster Preis im Wettbewerb um “die schrecklichste Mutter” winkt ein vierwöchiger Urlaub auf einer “Insel ohne Mütter”. Alle drei nehmen begeistert teil. Kurz darauf sind ihre Mütter verschwunden und eine übertrieben freundliche “Tante Anna” steht vor der Tür. Zunächst macht es Spaß, sich von ihr alle Wünsche von den Augen ablesen zu lassen. Mit der Zeit werden die Kinder jedoch misstrauisch, denn die Tanten verhalten sich alles andere als normal. Und ob die eigenen Mütter wirklich zur Kur gereist sind ohne sich zu verabschieden? Emily, Bruno und Sofia machen sich auf die Suche und geraten dabei in große Gefahr.

Sabine Ludwig hat für Ihre Kinderbücher schon einige Preise erhalten. Für “die schrecklichsten Mütter der Welt” erhielt Sie die “Nordstemmer Zuckerrübe“. Diese Auszeichnung wird von einer Grundschule im Landkreis Hildesheim verliehen. Das Besondere: Eine Jury aus Schülern wählt klassenübergreifend ein Lieblingsbuch, das in einer Literatur AG gelesen wird. Das Ziel des Projektes, Kinder mit Spaß ans Buch und zum Lesen zu bringen, hat Sabine Ludwigs Roman aus dem Jahr 2009 dabei sicher erfüllt.

Sabine Ludwig trifft den richtigen Ton, den sowohl Kinder als auch Erwachsene gut und mit Spannung lesen können. So wie sich in den Kindern und ihrer Situation bestimmt einige junge Leser wiederfinden können, gibt es sicher auch die eine oder andere Mutter, die bestimmte Verhaltensmuster wieder erkennt. Bei der rasant inszenierten und verwickelten Geschichte rätselt man auf jeden Fall von Beginn an mit.

Was hat es mit der geheimnisvollen Nordseeinsel auf sich, auf der die alte Spielzeugfabrik der Familie Wohlfahrt im Märchenschlaf liegt? Was für eine geheimnisvolle Kur machen die Mütter? Und wer ist Tante Anna wirklich? Das Verhalten von Kindern und Müttern hat einen realistischen Ansatz, die Handlung dagegen ist rein phantastisch. Sie bringt die Einbildungskraft auf Touren und die Nerven zum Flattern. Am Ende geht alles Gut aus und sowohl Kinder als auch Mütter haben einiges dazu gelernt. Auch wenn es, wie Emilys Mutter seufzend zugibt, in ihrem Fall nicht viel genutzt hat. Das Buch zu Lesen nutzt in jedem Fall ( nicht nur Kindern ab etwa zehn Jahren).

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2013
Zu viel Glück
Munro, Alice

Zu viel Glück


ausgezeichnet

“Wie sollen wir leben” ist eine Sammlung von Erzählungen, kein Roman. Schon die erste Enttäuschung. Das scheint das Gewicht des Buches zu verringern, als sei seine Verfasserin jemand, der sich nur an die Pforten der Literatur klammert, statt sich in ihr sicher niedergelassen zu haben.”

“Zu viel Glück” ist eine Sammlung von Erzählungen der diesjährigen Nobelpreisträgerin für Literatur. Die eingangs zitierte Stelle stammt aus der Geschichte “Erzählungen” aus eben jener Sammlung. Sie schien mir als Einstieg passend, weil das Buch (obwohl es kein Roman ist) sich nicht nur nicht an die “Pforten der Literatur klammert” sondern im Gegenteil diese weit aufstößt um die ganze Magie gut erzählter Geschichten zu verströmen.

Ich habe bisher ungern Kurzgeschichten gelesen. Nicht weil ich, wie im Zitat erwähnt, der Meinung bin dies sei keine richtige Literatur. Vielmehr geht es mir beim Lesen so, dass ich bei liebgewordenen Charakteren gerne länger verweile, als es in Kurzgeschichten gestattet wird. Bei Alice Munro ist es anders. In der Kürze und der Einfachheit liegt das Besondere. Ihre Geschichten gehen unter die Haut.

Doree “muss drei Bussen nehmen” um ihren Mann zu besuchen. Munro braucht nur wenige Sätze um ein junges Zimmermädchen zu skizzieren, dessen Schicksal einen brennend interessiert. Warum hat sie ihr Aussehen radikal verändert? Warum verschließt sie sich vor der Welt? Und vor allem, in was für einer Art Anstalt sitzt ihr Mann? Alle Fragen werden geklärt und die “Dimension” (so auch der Name der Geschichte) der Antworten sind tragisch. Munro aber nimmt dem Schrecken ohne viele Worte das Grauen. Sie spielt das Unglück nicht hinunter, sie zeigt nur dessen Alltäglichkeit.

In jeder Geschichte gab es so etwas wie eine “Schlüsselstelle” die mich tief Atem holen ließ. Einen Moment, in dem mir klar wurde, wie banal und gleichzeitig bedeutend Situationen sein können. In “Erzählungen” war es der Moment als Joyce begreift, dass die bekannte Schriftstellerin einst eine ihrer Musikschülerinnen war, die nur aus Verehrung zu ihr, ein Instrument lernte. In “Der Grat von Wenlock” ist es der Laut den nackte Haut beim Aufstehen von einem Stuhl macht. Die “schmatzenden Pobacken” sind inmitten einer “skandalösen” Situation, das einzig normale. In “Tieflöcher” ist es die Erkenntnis, dass es manchmal schon etwas ist, “den Tag überstanden zu haben, ohne dass er zur absoluten Katastrophe” gerät.

Jede einzelne Geschichte in diesem Band beweist, das Alice Munro sich nicht nur in der Literatur sicher niedergelassen hat. Sie scheint auch sicher im Leben zu stehen. Vielleicht mit ein Grund warum man ihr den Nobelpreis zuerkannt hat. Vielleicht der beste Grund überhaupt.

22 von 37 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2013
Dinner for one, Murder for two / Pippa Bolle Bd.2
Auerbach & Keller

Dinner for one, Murder for two / Pippa Bolle Bd.2


ausgezeichnet

Auf Youtube gibt es einen wunderbaren Sketch aus dem Jahr 1989: “Shakespeare and Hamlet” mit Rowan Atkinson und Hugh Laurie (heute besser bekannt als Mr. Bean und Dr. House). Rowan Atkinson feilscht als Theaterproduzent mit seinem Starautor Shakespeare. Hamlet sei zwar eine Wucht. Aber fünf Stunden auf Holzsitzen ohne Toiletten diesseits der Themse seien niemandem zuzumuten! Atkinson schlägt also vor, einige überflüssige Textstellen “abzuholzen”. So erlebt man den Ursprung eines der berühmtesten Theaterzitate “Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage” als geniale Lachnummer. Vielleicht war es Anno 1601 tatsächlich so. In jedem Fall ist es eine Möglichkeit auch heute noch Interesse und Begeisterung für Shakespeare zu wecken. Wie notwendig das ist, habe ich kürzlich erlebt.

Eine der Krimiserien, die ich derzeit gerne lese, sind die Fälle um die rothaarige Pippa Bolle. Der zweite Band der Reihe “Dinner for one, Murder for two” spielt in der Nähe von Stratfort, dem Geburtsort Shakespeares. In der Nähe wohnt Pippas Großmutter. Und während diese ihre Tochter in Berlin besucht, hütet Enkelin Pippa das Cottage. Nebenbei betreut sie noch eine internationale Theatergruppe, die gerade “Hamlet” für das jährliche Shakespeare Festival einstudiert.

Zum Krimi sei nur gesagt, dass sich wie immer raffinierte Morde mit interessanten Charakteren und einer spannenden Rahmenhandlung verbinden. Das ganze garniert mit authentischem Lokalkolorit und (für alle Leser mit schwachen Nerven) wohltuend unblutigen Aktionen. Hier spielen Psyche und zwischenmenschliche Töne die Hauptrolle.

Was mich aber, neben dem Krimivergnügen, immer wieder begeistert sind die literarischen Bezüge. Im vorliegenden Fall wird man ganz nebenbei neugierig auf “Hamlet”. Denn während geliebt, gestritten und gemordet wird, üben die Figuren das Theaterstück ein. Und nicht wenige Textstellen finden Eingang in die Kriminalhandlung. Das ist so interessant verknüpft, dass ich mir am Ende der Lektüre sofort den “Hamlet” gekauft habe. Und zwar in der Ausgabe des Verlages Hamburger Lesehefte, die ich an dieser Stelle gerne empfehle. Die Lesehefte sind günstiger als die vergleichbaren Reclam Ausgaben. Darüber hinaus sind sie wesentlich schöner aufgemacht und leichter zu lesen, weil das Heftformat etwas größer ist und die Schrift daher nicht so unleserlich klein.

Mit diesem “Hamlet” Exemplar saß ich einige Zeit später, in die Lektüre vertieft, im Zug, als mich ein junges Mädchen ansprach. Sie sagte: “Sie lesen freiwillig etwas, dass wir in der Schule lesen müssen”. Wir kamen ins Gespräch. Die angehende Abiturientin erzählte vom Lehrplan und den Werken die in der Oberstufe unter Zeitdruck gelesen werden müssen. Ich erfuhr, dass die Jugendlichen die Stücke alleine zu Hause lesen, um dann das gelesene in Form einer Hausarbeit wiederzugeben. Lesen in verteilten Rollen in der Klasse, das Gespräch über einzelne Sätze, die Interpretation des Gelesenen in angeregter Diskussion: Fehlanzeige. Wie arm sind unsere Schulen geworden? Kein Lehrer hat heute mehr Zeit in den Schülern die Liebe zur Literatur zu wecken!

Ich habe meiner sympathischen Zugbekanntschaft erzählt, wie ich dazu kam “Hamlet” freiwillig zu lesen. Einfach aus Neugier auf Dichter und Stück, entfacht durch die Lektüre eines Krimis. Shakespeare war früher nichts anderes als heute: ein Bestsellerautor. Das sein sprachliches und dichterisches Genie die Jahrhunderte überstehen würde, konnten die Menschen zu seinen Lebzeiten noch nicht ahnen. Sie wollten gut unterhalten werden, nichts weiter. So schließt sich auch der Kreis zum eingangs erwähnten Sketch. Damit könnte man in der Schule doch schon einmal anfangen, das Interesse an Shakespeare zu wecken. Mit guter Unterhaltungsgarantie.

Bewertung vom 19.10.2013
Der Tod kommt nach Pemberley
James, P. D.

Der Tod kommt nach Pemberley


gut

Derbyshire, England 1803. Sechs Jahre sind vergangen, seit Elizabeth Bennet ihren Mr. Darcy und ihre Schwester Jane Mr. Bingley geheiratet haben. Beide Ehen sind glücklich und mit Kindern gesegnet. Die Bingleys haben sich ganz in der Nähe von Pemberley, dem Wohnsitz der Darcys angesiedelt. Das Leben fließt ruhig und beschaulich dahin. Am Vorabend des alljährlichen Balles zu Ehren von Darcys verstorbener Mutter wird die Idylle brutal gestört. Völlig unerwartet kommt in sturmzersauster Nacht Lydia Wickham, die missratene Schwester Elizabeths, ins Haus und behauptet ihr Gatte sei soeben im Wald nahe dem Herrenhaus ermordet worden.

P.D. James, die erfolgreiche britische Kriminalautorin entschuldigt sich schon im Vorwort bei ihrem literarischen Idol, “dass ich ihre geliebte Elizabeth in das Grauen einer Mordermittlung hineingezogen habe”. Wer die Romanvorlage kennt, weiß das das Auftauchen von Lydia im Haus der Darcys allein schon jede Menge Zündstoff birgt. Warum das so ist, beschreibt James in einem Vorwort, indem sie den Austen Roman kurz, präzise und humorvoll zusammenfasst.

Danach teilt James ihren Roman in fünf Teile, die sich mit dem Vorabend des Balles, der Mordnacht, der Voruntersuchung, dem Gerichtsprozess und den Auswirkungen des Urteils beschäftigen. Wirkliche Krimispannung, die man von James sonstigen Werken gewohnt ist, kommt nicht auf. Zuviel Augenmerk richtet sie auf die sprachliche und charakteristische Authentizität die, so der Eindruck, den Figuren aus der Romanvorlage möglichst nahe kommen soll. Die Dialoge wirken trotz oder vielleicht gerade wegen des antiquierten Tons gekünstelt und sind meist zu lang. Austen Fans werden die gute Absicht anerkennen, Krimi Fans sich langweilen.

Die Langeweile setzt sich fort, durch lange Passagen, die nichts mit dem Tathergang oder der Aufklärung des Falles zu tun haben. Die Haushaltführung eines englischen Landsitzes samt Lebensumständen der Herrschaft und der Dienstboten sind durch Fernsehserien wie “Downton Abbey” einer breiten Öffentlichkeit bekannt. James schreibt dennoch seitenlang zum Beispiel über das Seelenleben des einstigen Kutschers der nun durch Silberputzen sein Gnadenbrot verdient.

Den Nebenfiguren wird überhaupt viel Raum gegeben, während die “alten Helden” wie Elizabeth, Jane oder Mr. Bingley zu Statisten degradiert werden. Einzig Mr. Darcy erfährt mehr Aufmerksamkeit. Er hat das Amt des Friedensrichters inne und muss sich pflichtgemäß um die Aufklärung des Falles kümmern. Dies war für mich das spannendste am ganzen Roman. Die sachliche Beschreibung, wie ein Mordfall Anfang des 19. Jahrhunderts in England gelöst wurde. Hier gibt es für Interessierte einiges zu entdecken.

Alexandra Ripley hat 1991 den Wunsch vieler Leser rund um die Welt erfüllt, die Scarlett und Rhett endlich vereint wissen wollten. Jane Austen hat ihren Lesern diesen Wunsch bereits zu Lebzeiten erfüllt.
Warum also einen Krimi erfinden, der keine neuen Erkenntnisse bringt? Vielleicht wollte P.D.James einfach die nervige Lydia und Mr. Wickham aus der Romanvorlage loswerden. Das ist ihr sehr elegant gelungen. Austen Fans werden die gute Absicht anerkennen. Krimi Fans sich verständnislos langweilen.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.10.2013
Gute Geister
Stockett, Kathryn

Gute Geister


ausgezeichnet

“Mein Sohn Treelore und ich haben immer so ein Spiel gespielt, wo ich ein normales Wort gesagt hab, und er musst dann ein hochvornehmes dafür finden. Ich sag Hauskatze, er sagt domestizierte Felide, ich sag Mixer, und er sagt motorisierte Rotunde. Eines Tags sag ich Crisco. Er kratzt sich am Kopf. Kann’s nicht fassen, dass ich mit so was Simplem wie Crisco Pflanzenfett gewonnen hab. Das war von da an so eine Art Geheimwitz von uns, ein Wort für was, was man nicht vornehmer machen kann, als es ist, auch wenn man sich noch so viel Müh gibt. Wir nannten seinen Daddy Crisco, weil man’s nicht schönreden kann, wenn ein Mann einfach seine Familie sitzen lässt. Und er außerdem der nichtsnutzigste Schmierlappen ist, den die Welt je gesehen hat.”

Als Aibileen diese Episode erzählt, ist ihr Sohn bereits tot. Gestorben bei einem tragischen Arbeitsunfall, als er sich das Geld für sein Studium verdienen wollte. Für seine Mutter, ist es neben aller Trauer ein Zeichen, dass sich etwas ändern muss. Etwas, das Jahre zuvor schon Rosa Parks gespürt hat, als sie im Dezember 1955 auf dem Heimweg von der Arbeit ihren Sitzplatz im Bus nicht für einen Weißen räumen wollte. Erst im März dieses Jahres hatte US-Präsident Obama ihr zu Ehren ein Denkmal im Weißen Haus mit den Worten “In einem einzigen Augenblick hat sie mit der einfachsten aller Gesten geholfen, Amerika zu verändern” enthüllt. Rosa Parks ist das Vorbild, dass den Heldinnen aus “Gute Geister” Mut einflösst. Und Mut brauchen sie, denn das Zeichen das sie setzen ist keineswegs klein.

Jackson, Mississippi Anfang der 1960er Jahre. Skeeter, die Tochter eines reichen Baumwollfarmers kommt nach dem College in ihren Heimatort zurück. Ihr Wunsch Schriftstellerin zu werden läuft dem Bestreben ihrer Mutter, die Tochter möglichst bald unter die Haube zu bringen entgegen. Aber noch etwas beschäftigt die junge Frau. Ihre Freundinnen erregen ihr Unverständnis. Während sie ihren farbigen Hausangestellten zwar das Wohl für Haus, Familie und vor allem ihrer Kinder in die Hände legen, weigern sie sich diese wertvollen “guten Geister” als gleichwertige Menschen anzuerkennen. Skeeter, die derartige Vorurteile nicht kennt, beschließt ein Buch über die Lage der Hausangestellten zu schreiben. Ein aussichtsloses Unterfangen, so scheint es. Denn welches farbige Dienstmädchen würde es wagen private Details ihres Arbeitsverhältnisses auszuplaudern? Aibileen und ihre Freundin Minnie erklären sich bereit. Heimlich nimmt ein revolutionäres Projekt Gestalt an.

Die Autorin schreibt in ihrem Nachwort, dass es einen Satz gibt der ihr besonders am Herzen liegt: “War das nicht der Sinn des Buches? Dass Frauen erkennen: Wir sind einfach nur Menschen. Uns trennt gar nicht so viel”. Eingebettet ist dieser Satz in einen sechshundert Seiten starken Roman, der aus Sicht von drei Ich-Erzählerinnen den täglichen Dienst der farbigen Frauen in den weißen Haushalten der frühen 60er Jahre aber auch die Zwänge einer weißen Oberschicht, die sich dem Wandel der Zeit verschließt schildert. Die Herzlosigkeit mit der Frauen wie Aibileen oder Minnie behandelt werden schnürt einem oft die Kehle zu. So zum Beispiel bei der “Initiative für Hauspersonal-Sanitäranlagen” von Skeeter kurz und verächtlich die “Toilettengeschichte” genannt. Aibileens Schützling Mae Mobley wird von ihrer Mutter einmal verprügelt, als diese sieht, dass das Kind die “Farbigentoilette” benutzt.

Was mir, neben der Tatsache, dass es sich bei “gute Geister” um einen unwiderstehlichen Schmöker handelt, am wichtigsten scheint wird durch den eingangs erwähnten Absatz deutlich. Kathryn Stockett redet nichts schön und macht nichts vornehmer als es ist. Und so versteht man: “Wir sind einfach nur Menschen. Uns trennt gar nicht so viel”. Schon gar nicht eine Hautfarbe!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.