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Benutzername: 
Micki
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 40 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2020
Ein Sonntag mit Elena
Geda, Fabio

Ein Sonntag mit Elena


sehr gut

Nettes Geschichtchen
Der pensionierte Ingenieur – der im ganzen Roman namenlos bleibt – führt ein einsames Leben. Erst vor acht Monaten starb seine Frau mit Mitte 60 völlig überraschend und nun ist er alleine in seiner großen Wohnung: Der Kontakt zu seinen drei Kindern ist recht sporadisch, sowohl aufgrund von Distanz und unausgesprochenen Differenzen. Auch wenn er sich wünscht, mehr am Leben seiner Kinder und Enkel teilzunehmen, ist die Distanz sowohl emotional als auch physisch groß. Als an einem Tag seine älteste Tochter aufgrund eines kleinen Unfalls das lang geplante Mittagessen absagt, fühlt sich „Papa“ noch einsamer als sonst. Doch dann begegnet er Elena und ihrem Sohn, die dem ältere Mann einen wunderschönen Tag schenken.
Erzählt wird das Leben des Witwers aus der Sicht seiner zweitältesten Tochter Giulia, die seit dem Tod der Mutter Marcella keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater hat. Grund dafür ist nicht ein großer Streit oder eine Auseinandersetzung, stattdessen haben beide durch den Tod die gemeinsame Verbindung verloren. Dabei verfolgt die Handlung zwei Erzählstränge: In dem einen berichtet Giulia von ihrer Jugend und Kindheit. Deutlich wird dabei, dass der Vater (nicht nur) durch seinen Beruf als weitreisender Architekt häufig abwesend war. Stattdessen war Marcella immer ihre Bezugsperson, die sie in allem unterstützt hat. Der andere Erzählstrang ist eine Nacherzählung des Sonntags mit Elena – ungewöhnlicherweise auch aus der Sicht der Tochter, die ihn einige Jahre später nacherzählt bekommt. Die Umsetzung dieser Perspektive fand ich clever gemacht, weil sie dem Erzählten nochmal eine ganz andere Bedeutung gibt. Allerdings berichtet Giulia auch von Dingen, die sie gar nicht wissen kann und die wahrscheinlich eher ihrer Fantasie als Bühnenautorin zuzuschreiben sind.
Generell hat mir die Geschichte recht gut gefallen. Der Wechsel zwischen den einzelnen Erzählsträngen belebt die Geschichte, sodass der Leser die Familie immer ein wenig besser kennenlernt und auch die Beziehungen von Vater und Kindern besser nachvollziehen kann. Die Sprache ist leicht und angenehm zu lesen, obwohl ich mich hin und wieder an einigen Formulierungen gestoßen haben, die jedoch auch der Übersetzung zuzuschreiben sind. So wird über den geistig eingeschränkten Nachbarsjungen gesagt, er „benahm sich wie fünf“, eine doch recht oberflächliche Wortwahl für eine Behinderung.
Eigentlich wollte ich dem Buch nur 3 Sterne geben, weil vieles – vermutlich auch aufgrund der Länge von nur 230 Seiten – mir zu oberflächlich wirkt. Das schöne und berührende Ende hat mich jedoch noch einmal mit dem Roman versöhnt. Ich kann Ein Sonntag mit Elena jedem empfehlen, der auf der Suche nach einer netten Geschichte ohne großen literarischen Anspruch ist, die man gemütlich in ein bis zwei Tagen durchlesen kann.

Bewertung vom 23.07.2020
Eine Reise durch Deutschland in 100 ungewöhnlichen Bildern und Geschichten
Rössig, Wolfgang

Eine Reise durch Deutschland in 100 ungewöhnlichen Bildern und Geschichten


sehr gut

Ein toller Bildband
100 beeindruckende und außergewöhnliche Bilder und Orte in Deutschland – das verspricht dieser Bildband. Den ersten Aspekt erfüllt dieser schöne Bildband auf jeden Fall, alle gezeigten Orte sind wirklich beeindrucken und machen direkt Lust, ins Auto zu steigen und loszufahren. Allerdings sind nicht alle der gezeigten Orte und Sehenswürdigkeiten außergewöhnlich – so muss beispielsweise der Kölner Dom (auch wenn im Bildband explizit das Richter Fenster vorgestellt wird) eher als klassischste Sehenswürdigkeit bezeichnet werden. Im Großen und Ganzen bin ich jedoch sehr zufrieden mit der Auswahl der Orte, weil sie nicht die bekannten Highlights in den Fokus stellen, sondern auch eher kleinere und unbekanntere thematisieren.
Auch die gesamte Gestaltung des Bildbandes ist sehr ansprechend. Die Fotos sind toll und die Farben dabei trotzdem natürlich gehalten. Man hat nicht den Eindruck, dass da etwas mit Photoshop nachgeholfen wurde, wie es leider hin und wieder bei Bildbänden der Fall ist. Auch das Layout ist übersichtlich gestaltet, trotz des recht umfangreichen Textanteiles wird man nicht mit Infos erschlagen. Stattdessen konzentriert sich der Text auf das Wesentliche und nennt auch gleich noch praktische Tipps wie Übernachtungsmöglichkeiten und Restauranttipps. Das finde ich klasse, weil „Eine Reise durch Deutschland“ dadurch kein reiner Bildband ist, sondern auch etwas von einem Reiseführer bekommt.
Auch die Aufteilung der Sehenswürdigkeiten in Nord, Ost, Süd und West finde ich sehr gut. Es macht den Bildband übersichtlich und man kann in dem Abschnitt zu seiner Region stöbern, um vielleicht ein cooles Reiseziel für einen Tagestrip zu finden.

Bewertung vom 29.06.2020
Kostbare Tage
Haruf, Kent

Kostbare Tage


sehr gut

Ein sehr trauriges Buch
Dad Lewis wird sterben. Etwa einen Monat geben ihm die Ärzte noch – doch er ist nicht allein. Seine Frau und seine Tochter kümmern sich rührend um ihn und auch die Nachbarschaft unterstützt ihn, wo sie kann. Doch seinen Sohn Frank, den er wegen seiner Homosexualität verstoßen hat und zu dem seit vielen Jahren kein Kontakt mehr besteht, wird er vermutlich nie wieder sehen.
Zwar steht Dad Lewis, seine Familie und wie alle drei mit dem nahenden Tod umgehen im Mittelpunkt der Handlung, doch Nebenstränge beleuchten das (traurige) Schicksal vieler weiterer Einwohner. Die Handlung von Kostbare Tage ist im fiktiven Örtchen Holt angesiedelt. Holt liegt weit ab vom Schuss, sehr ländlich zwischen trockenen, landwirtschaftlich betrieben Feldern. Denver als nächstliegende Großstadt ist mehr als zwei Autostunden entfernt, sodass die Bewohner Holts eine eingeschlossene Gemeinschaft bilden – teils mit sehr konservativen Ansichten. Das muss auch Pfarrer Lyle erfahren, der mit seiner Familie aufgrund eines Zwischenfalls von der Großstadt nach Holt versetzt wird. Mit seinen modernen Ansichten, auch in Bezug zu Homosexualität, eckt er bei vielen Bewohnern an. Auch das Schicksal von Mutter und Tochter Johanson und das der kleinen Alice ist bewegend.
Kurzum: Kostbare Tage ist ein unheimlich trauriges Buch und nichts für Zartbesaitete, die nach Wohlfühlunterhaltung suchen. Hoffnungsschimmer gibt es wenige, nahezu jede Person hat einen Verlust erlitten und leidet auf ihre Art und Weise. So thematisiert Kent Holt nicht nur Themen wie Krebs, Homosexualität und das Verlassenwerden, sondern auch den Verlust eines Kindes, das Scheitern von Beziehungen und Selbstmord. Die Sprache ist dabei sehr einfühlsam und passt gut zu dem Erzählten.
Generell hat mir das Buch sehr gut gefallen, es berührt einen wirklich und die Atmosphäre ist nah und lebensecht. Dennoch bleiben mir die Figuren zu oberflächlich, insbesondere wenn sie miteinander sprechen. Die Dialoge sind oft sehr simpel aufgebaut und erlauben selten Einblick in die Person selber. Abfolgen sinngemäß etwa wie: „Wie geht’s es dir?“ – „Ich komme zurecht.“ – „Sag bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“ kommen mehrfach vor und sind mir einfach zu platt. Auch finde ich, dass der Autor seinen Figuren teilweise ein zu hartes Schicksal zugeordnet hat – ein glückliches Leben führt keine von ihnen.
Trotz dieser kleinen Kritikpunkte kann ich den Roman aber empfehlen.

Bewertung vom 29.06.2020
Ich bleibe hier
Balzano, Marco

Ich bleibe hier


sehr gut

Ein kleines Stück italienischer Geschichte

Trina möchte nicht weg. Obwohl sie nicht als Lehrerin arbeiten darf und fast alle ihre Freunde das südtirolische Dorf Graun verlassen haben, beschließt sie: Ich bleibe hier. Der Roman erzählt den teilweise ausweglosen Kampf Trinas (und ihres Mannes) von knapp 1920 bis 1949 – der Kampf gegen den Faschismus durch Mussolini, gegen die Nazis und am Ende gegen einen großen Konzern. Dabei bringt der Autor dem Leser ein Stück italienischer Geschichte bei, die bisher kaum literarisch behandelt wurden und somit den meisten völlig unbekannt sein wird.

Der Aufbau des Romans ist dreiteilig: Im ersten Teil wird die Zeit zwischen den ersten und dem zweiten Weltkrieg behandelt. Der Leser erfährt mehr über Trina und ihre Familie, die Ausgrenzung der Deutschen, nachdem Südtirol nach dem Krieg italienisches Gebiet wurde und wie viele das Land aufgrund dessen verlassen. Im zweiten Teil des Romans geht es um den zweiten Weltkrieg. Trina und ihre Familie halten sich aus Angst vor den Faschisten und Nazis versteckt. Der letzte Teil thematisiert den Kampf gegen einen Energiekonzern, die einen Staudamm bauen wollen, der das ganze Dorf vermutlich überfluten und unbewohnbar machen wird. Der Einstieg in den Roman ist mir nicht ganz leicht gefallen, ich wurde mir Trina und den anderen Personen nicht richtig warm. Nach etwa 100 Seiten jedoch wendet sich das Blatt: Mit Abstand am spannendsten ist der zweite Teil, indem es um Leben und Tod geht. Leider wird der Roman gegen Ende hin wieder etwas schwächer, weil sich doch sehr viel wiederholt.

Alle drei Teile behandeln einen komplexen Teil der italienischen Geschichte, die sehr spannend ist. Durch die Kürze des Romans bleiben die Geschehnisse leider oftmals ein wenig oberflächlich – es gelingt kaum, wirklich tief in die Geschichte einzutauchen. Um alles zu überblicken, hilft nur eine weitere, eigenständige Recherche zur Geschichte Südtirols. Dennoch hat mir das Buch – insbesondere der zweite Teil – gut gefallen. Balzanos Sprache ist klar und präzise und man erkennt eindeutig literarisches Talent. Ich finde es immer etwas schade, wenn Autoren komplexe geschichtliche Ereignisse auf nicht mal 300 Zeiten zusammenquetschen – ich

Bewertung vom 17.04.2020
Das Reich der Grasländer 1 / Der letzte König von Osten Ard Bd.3
Williams, Tad

Das Reich der Grasländer 1 / Der letzte König von Osten Ard Bd.3


gut

Gut geschrieben, vermisse jedoch die Spannung
„Das Reich der Grasländer Bd. 1“ ist der dritte Teil einer neuen (vermutlich?) vierbändigen Reihe rund um die in den 90er Jahren erstmals erschienen Bücher „Die Saga von Osten Ard“, die ich vor einigen Jahren mit großer Begeisterung entdeckt habe. Die Handlung ist etwa 30 Jahre nach den letzten Ereignissen des „Engelsturms“ angesiedelt.
Wer zum ersten Mal ein Buch dieser Reihe in die Hand nimmt, wird wohl aufgrund der fast unzähligen, teils kaum merkbaren Namen und Orte leicht überfordert sein. Hier zeigt sich jedoch Tad Williams großes Erzähltalent: Durch kurze Einschübe, die auch den Leser mit Vorwissen nicht stören, gelingt es ihm, dass der Leser einen guten Überblick darüber behält, wer mit wem verwandt/befreundet/verfeindet ist. Und im Notfall hilft auch das praktische Verzeichnis am Ende des Buches.
Die ganze Welt Osten Ard und demensprechend die Handlung im „Das Reich der Grasländer“ ist sehr vielfältig und komplex, sodass ich hier gar nicht näher auf die Geschehnisse eingehen möchte. Durch die kurzen Kapitel gelingt es jedoch, einen Überblick zu behalten. Trotz des großen Umfangs an Seiten sind es eher Nebengeschichten, die jedoch alles in allem keine durchgehende Spannung aufkommen lassen. Dieses Hinarbeiten auf ein großes Ereignis – vermutlich der Krieg gegen die Nornen und ihre Königin – ist zwar toll erzählt und stellenweise auch recht fesselnd (insbesondere die Story rund um Morgan hat mir gut gefallen), reicht mir jedoch für einen solchen Roman nicht aus. Ich vermisse hier eine eindeutig Haupthandlung. Der gesamte Roman wirkt deswegen auf mich wie eine Art Vorgeplänkel und konnte mich deswegen nicht völlig überzeugen. Band 4 werde ich vermutlich trotzdem in der Hoffnung auf ein spannendes Finale lesen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.03.2020
Hannah Arendt
Sánchez Vegara, María Isabel

Hannah Arendt


sehr gut

Schöne Zusammenfassung für Eltern und Kinder
Die Kinderbuchreihe Little People, BIG DREAMS beschäftigt sich in kindgerechter Art und Weise mit historischen oder berühmten Personen aus allen Lebensbereichen wie Musik, Kunst, Politik oder auch Philosophie – wie beispielsweise Hannah Arendt. Hannah Arendt war eine bedeutende Philosophin, die sich beispielsweise mit Publikationen wie „Eichmann in Jerusalem“ einen Namen gemacht hat. Auch kämpfte sie als Jüdin Zeit ihres Lebens gegen Ausgrenzung und Antisemitismus.
Die Darstellung von Hannahs Leben, welches natürlich in einem Kinderbuch nicht vollumfassend dargestellt werden kann, ist kurz und knapp gehalten und damit sehr kindgerecht. Trotz der nur ca. 30 Seiten können so alle wichtigen „Stationen“ ihres Lebens thematisiert werden – angefangen von Hannahs Liebe zur Literatur, die sie schon in jungen Jahren entdeckt, über ihre Ausgrenzung als Jüdin und bis hin zu der Flucht nach Amerika.
Gerade vor dem Hintergrund zunehmenden Fremdenhasses, finde ich es unheimlich wichtig, dass Kinder so früh wie möglich mit der deutschen Vergangenheit und Antisemitismus konfrontiert werden. Auch wenn die Zeichnungen sehr kindgerecht sind (auch wenn mir der Zeichenstil in anderen Little People Büchern wesentlich besser gefällt), finde ich die Wortwahl manchmal etwas schwierig: Die Altersangabe finde ich mit 4 Jahre etwas zu jung angesetzt. Ich denke, 6 Jahre wäre hier das geeignetere Alter. Schön finde ich auch die kurze Zusammenfassung für Eltern, sodass auch Rückfragen seitens der Kinder genauer eingegangen werden kann.
Fazit: Das Buch ist sehr liebevoll gestaltet und fasst alle wichtigen Aspekte perfekt zusammen. Auch Hannah Arendt als thematische Figur finde ich sehr wichtig und höchstaktuell. Dennoch weiß ich nicht, in wie weit 4-jährige den Inhalt wirklich verstehen können – meiner Meinung nach ist das Buch eher für etwas ältere Kinder geeignet.

Bewertung vom 16.03.2020
Dankbarkeiten
Vigan, Delphine

Dankbarkeiten


gut

De Vigans bislang schwächstes Buch
Michka verliert jeden Tag: Wörter, aber nicht ihre Erinnerung. Auch in körperlicher Hinsicht macht ihr das Alter zu schaffen – ebenso wie die Einsamkeit, die auch die junge Marie – eine Art Ziehtochter – nicht völlig vertreiben kann. Abwechslung bildet der Besuch des Logopäden Jeromé, der Michka so gut es geht dabei hilft, dass der Sprachverlust so langsam wie möglich vonstattengeht.
Dankbarkeiten schont den Leser nicht mit schweren Themen: Altern, Demenz, Nationalsozialismus, Verlassenwerden, Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit – all das bringt Delphine de Vigan auf nur etwa 160 Seiten zum Ausdruck. Insgesamt ist die Stimmung des Romans sehr traurig, selbst die eigentlich erfreulichen Dinge wie Schwangerschaft bekommen einen düsteren Unterton.
Gut hat mir bei dem Roman die feine, klare Sprache gefallen. Mit nur wenigen Worten gelingt es dem Leser so, die Emotionen und die körperliche Verfassung der Protagonisten nachzuvollziehen. Auch fand ich es sehr beeindruckend, wie gekonnt die Autorin die zunehmende Aphasie von Michka sprachlich dargestellt hat.
Trotz der sprachlichen Feinheit und der an sich sehr interessanten Hauptstory, könnte mich der Roman jedoch nicht völlig überzeugen: Ich bin eine großer Fan von Delphine de Vigans Romanen: Trotz der geringen Seitenanzahl gelingt es ihr, dass der Leser tief in die Geschichte eintaucht und für kurze Zeit völlig mit den handelnden Personen „mitlebt“ und diese intensiv begleitet. Das ist leider bei Dankbarkeiten nicht der Fall: Die Perspektiven wechseln viel zu schnell, die ganze Handlung bleibt trotz des ernsten Themas irgendwie sehr oberflächlich. Auch die Geschichte mit dem Ehepaar, die Michka als Kind bei sich aufnahmen und deren plötzliches Wiederfinden, ist sehr konstruiert und wirkt etwas gewollt. So ist beispielsweise Loyalitäten um Welten besser!

Bewertung vom 16.03.2020
Die Geheimnisse meiner Mutter
Burton, Jessie

Die Geheimnisse meiner Mutter


sehr gut

Ein fesselnder Roman – nicht vom kitschigen Cover täuschen lassen
Die 35-jährige Rose ist ohne Mutter aufgewachsen. Seit ihrer Kindheit begleitet sie das Gefühl, dass ihr dadurch etwas fehlt. Als Rose Vater ihr erzählt, dass ihre Mutter kurz vor der Geburt mit der berühmten Schriftstellerin Connie Holden zusammen war, macht sie sich auf der Suche nach ihr, um mehr über das Verschwinden ihrer Mutter Elise zu erfahren.
In „Die Geheimnisse meiner Mutter“ werden in zwei Erzählsträngen die Geschichte von Rosie und Connie im Jahr 2018 sowie die Ereignisse im Jahr 1982/83 erzählt. Rose ist dabei eine unfassbar starke, lebendige und sehr sympathische Protagonistin, die alles daran setzt, mehr über ihre Mutter zu erfahren, und für den Leser sehr greifbar wird. Parallel dazu wird die Geschichte von Elise und Connie erzählt: Im Vergleich zu Rose wirkt Elise jedoch eher schwach und ist vollständig abhängig von ihren Mitmenschen. Teilweise hat mich die Teilnahmslosigkeit wirklich wütend gemacht. Die Person, die beide Stränge miteinander verbindet, ist Connie, die leider als Figur etwas blass bleibt.
Dabei ist der Roman unglaublich fesselnd, sodass die Seiten nur so davonfliegen. Der Autorin gelingt dabei etwas, was äußerst selten ist: Beide Erzählstränge sind gleichermaßen spannend, sodass sich zwar zunächst eine kurze Enttäuschung einstellt, wenn das Kapitel endet, man jedoch bereits nach einigen Sätzen wieder in der anderen Erzählstory drin ist. Dabei entzieht sich der Roman jeder Klassifizierung – er ist sowohl Familiengeschichte und Entwicklungsroman, zeigt jedoch auch einige Elemente eines Krimis.
Die Story ist interessant und auch plausibel, ein kleiner Kritikpunkt für mich ist jedoch das Ende, das ein wenig zu kitschig geworden ist. Außerdem finde ich leider das Cover sehr unglücklich: Im Buchladen hätte ich wohl kaum zu dem Roman gegriffen, weil es optisch eher an einen gewöhnlichen Liebesroman erinnert und nicht zeigt, dass im Roman eine tiefgehende Geschichte steckt.

Bewertung vom 03.03.2020
Ein wenig Glaube
Butler, Nickolas

Ein wenig Glaube


ausgezeichnet

Ein eindringlicher Familienroman der etwas anderen Art
Das Ehepaar Lyle und Peg ist überglücklich, dass ihre einzige Tochter und ihr fünfjähriges Enkelkind Isaak so viel Zeit mit ihnen verbringen. Sie fühlen sich wieder jung und es lässt sie teilweise die Problem vergessen, die mit dem Altwerden im Allgemeinen verbunden sind. Doch schnell trübt sich das familiäre Glück, denn es wird klar: Die Glaubensgemeinschaft, der sich Tochter Shiloh verbunden fühlt, ist radikaler als Lyle und Peg dachten.
„Ein wenig Glaube“ beginnt wie ein typischer Familienroman, der auf dem Land spielt: Der Leser lernt den alternden Lyle, den lebensfrohen Isaak, den religiösen Charlie und den sturren Hood kennen. Die Idylle der kleinen Apfelbaumfarm, des Pfarrhauses und des kleinen Gartens der Eheleute zieht einen sehr schnell in den Bann und versetzt einen direkt in die Handlung mit rein. Doch schnell wird klar: irgendetwas stimmt nicht. Der Roman steuert dabei sehr subtil und ohne es direkt anzusprechen, auf eine große Katastrophe zu, wodurch die Erzählung sehr spannend wird – ohne, dass überhaupt viel passiert. Stattdessen schwebt die Bedrohung immer über dem Alltagsgeschehen – was auch sprachlich sehr gut von Butler umgesetzt wird. Zunächst noch Kleinigkeiten, werden die Anzeichen immer deutlicher.
Dabei folgt der Leser in erster Linie Lyle und seinen Gedanken, auch die anderen Personen werden in erster Linie aus seiner Sicht geschildert. Konfliktpotentiale ergeben sich auch daraus, dass Lyle überhaupt nicht glaubt: Während Peg noch versucht, ihre Tochter zu unterstützen, auch wenn sie einige Aspekte nicht gut heißt, zieht sich Lyle durch seine ablehnende Haltung immer weiter von Shiloh zurück.
Auch wenn die Beschäftigung mit dem Glauben Shilohs im Mittelpunkt steht, thematisiert der Roman auch viele weitere alltägliche Probleme und Nebengeschichten, wie christlicher Glaube, Krankheit und Tod. Besonders gut hat mir dabei die atmosphärische Sprache gefallen, sodass man fast das Gefühl hat, mit Lyle auf der Apfelplantage zu arbeiten. Auch die Story – und insbesondere das Ende –, welche zudem auch auf einer wahren Geschichte basiert, ist trotz der teilweise mageren Handlung wirklich fesselnd.

Bewertung vom 27.02.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


sehr gut

Ein Teil russischer Zeitgeschichte
Der 30-jährige Alexander hat einen schweren Schicksalsschlag hinter sich und zieht, um zu vergessen und Abstand zu gewinnen, mit seiner kleinen Tochter in eine neue Wohnung. Bereits am ersten Tag des Einzuges wird er von seiner an Alzheimer leidenden Nachbarin Tatjana mit deren Lebensgeschichte bedrängt. Zunächst entnervt, dann immer neugieriger, hört er ihr schließlich zu und lernt immer mehr über das Leben der alten Frau.
Rote Kreuze befasst sich mit einem Stück Zeitgeschichte, über die noch heute nur wenig gesprochen und viel mehr geschwiegen wird: Der Umgang mit russischen Kriegsgefangenen während des zweiten Weltkrieges. Wer dem Feind in die Hände fiel, galt automatisch als „Kriegsverbrecher“ und wurde von der Sowjetunion zurückgelassen. Auch die Familie galt automatisch als Landesverräter und wurde in Heime und Arbeitslager deportiert. Auf nur wenigen Seiten beschreibt der Autor diese Unglaublichkeit anhand des Schicksals der Familie von Tatjana. Besonders gelungen fand ich hier die Verknüpfung von historischen Zeitdokumenten in Form von Briefen – auch wenn hier ein paar weniger durchaus ausreichend gewesen wären – in Verbindung mit Tatjanas Vergangenheit und Alexanders Leben. Hinzu kommt die Beschreibung kleiner Alltagsschwierigkeiten, die durch den Fortlauf von Tatjanas Krankheit entstehen. Dadurch wird der Roman an keiner Stelle langweilig.
Trotz des großen Altersunterschiedes sind sich Tatjana und Alexander sehr ähnlich. Beide haben in ihrem Leben etwas sehr unterschiedlich Fruchtbares erlebt und versuchten, damit fertigzuwerden. Die Stärke von Tatjana hilft Alexander, mit seinem Schicksal umzugeben. Besonders gelungen ist dem Autor die Einbindung des Motiv des Kreuzes, welches nicht nur titelgebend ist: (Rote) Kreuze ziehen sich durch den ganzen Roman – sie kennzeichnen Gräber und Haustüren und stehen demnach nicht nur für den Tod, sondern auch gleichzeitig für die Erinnerung. Dabei handelt es sich nicht nur um die ganz persönliche Erinnerung von Tatjana, sondern auch um eine kollektive: Sasha Filipenko schreibt in Rote Kreuze ganz eindringlich gegen das Vergessen – bis heute wurde dieser Teil der Vergangenheit in keiner Art und Weise öffentlich aufgearbeitet, sondern wird bis heute verschwiegen.
Zunächst fiel es mir schwer, in den Roman reinzukommen: Sprachlich überzeugte mich der Roman erst wenig, da ich den Schreibstil als leicht flapsig und oberflächlich empfand. Mit der fortlaufenden Geschichte störte das jedoch immer weniger, da die das Spannende die Seiten nur so dahinfliegen lässt. Ein spannendes und unglaubliches Stück Zeitgeschichte!