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Max Gutbrod
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Berlin

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Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 09.09.2023
Zender, Hans

Denken hören - Hören denken


gut

Unter den vielen Schriften Zenders mag meine Besprechung den falschen Band treffen, mir ist, als hieße die Essaysammlung, die ich meine und die mir abhandengekommen ist, „Die Sinne denken“, bessere Sucher mögen auch diese auf diesem Site finden.

Das Buch zeichnet Karriere, partielle Klugheit und eine sympathische Offenheit aus. Berührend der Nachruf über Fortner, obwohl er sich nach eigenem Bekenntnis von ihm „schon früh“ „abseilte“. Im Rückblick kaum mehr verständlich, dennoch aber wohl sehr charakteristisch für Musik in der BRD nach 1945 sind die berichteten Reaktionen auf Henze und Paik.
Nachdenkens Wert ist Zenders Bericht über die Musikpolitik in Hamburg.
Scelsis Prinzip ist eigentlich nicht beschrieben, aber ein Urteil darüber abgeben, was es nicht ist.
Freundlich ist Zender zu Brendel, offenbar mehr Persönlichkeit und Stellung wegen.
Erzählerisch und für Bewunderer Celibidaches wie mich außerorderntlich ist der Bericht von einem von H. Schiff veranlassten Video-Tagen mit Celibidache. Zwar sitzt Zender dem von Celibidache ja selbst gepflegten Bild des antimodernen Pultlöwen auf. Dabei könnte Celibidache durchaus unterschiedlicherer jeweils zeitgenössische Werke aufgeführt haben, als viele andere seiner Kollegen, genannt seien Genzmer, Hamel, Lidholm, Bekh, Shostakovich und Prokofiev, die Celibidache früh im Westen aufgeführt hat. Begeisterung
Insgesamt wirkt Zender angenehm und vielfältig, wie etwa auch seine Rekonstruktion der Winterreise voller Farben, aber mit nicht immer eindeutigem Neuigkeitswert.
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Bewertung vom 09.09.2023
Neunzig, Hans A.

Dietrich Fischer-Dieskau


weniger gut

Wie vielleicht typisch für einen Künstler seine Bedeutung sind Fischer Dieskaus Biographien typischerweise so unbefriedigend wie dieses Buch. Über einen sein Privatleben so Abschottenden und so rastlos Tätigen kann kaum ohne seine Zustimmung portraitiert werden, und diese scheint hier besonders an die Wiedergabe eines Selbstbildes gebunden gewesen zu sein, das ohne Zweifel vieles Richtige, aber auch manches Problematische enthält, jedenfalls aber bei weitem die Bedeutung des Künstlers nicht zu erfassen fähig ist. So kommt etwa die Rolle als Falstaff, die Fischer-Dieskau zu so wichtig war, dass er sie außer in Berlin und München in Japan, London und Wien vorstellte, kommt eher als Arabeske, nach dem Motto vor, Komik habe der eher ernste Sänger auch gekonnt. Dabei hat er gerade in ihr eine ans Übermenschliche grenzende, jedenfalls ungewöhnliche Kombination von schauspielerischer und sängerischer Beherrschung des Details geboten, die Komik als das eben nur beinahe Richtige völlig jenseits des Üblich-Klamaukhaften verkörpert. Fischer-Dieskaus Darstellung des Gebrochen-Bürgerlichen durch seinen Mandryka (dass die Arabella in München, Berlin und London auf den Spielplan kam wird auch seiner Bereitschaft zum Auftritt zu verdanken sein), mit den schwierigen Intervallen des Barak ins Magische hinüberspielend (vom dem – außer Lear - einzigen Bühnenauftritt, in dem ich ihn, schon nahe am Ende seiner Bühnenkarriere, life sah, ist mir vor allem seine Natürlichkeit, die Fähigkeit in Erinnerung, ein Arbeiter zu sein) wird ebenso wenig gewürdigt wie die Amalgamation des Unheimlich-Dämonisch-Komisch-Schlüpfrigen durch seine Auftritte Giovanni, Figaro und Cosi. Sein Zögern beim Aufbrechen der Rollengrenzen (ich erinnere mich an eine Vorlesung in Paris, bei der seine Übernahme des Rheingold-Wotan als Zeichen eines neuen Wagner-Bilds gewertet wurde) kommt nur indirekt, im Zusammenhang mit seinem Zögern mit der Übernahme der Sachs-Rolle vor. Ganz fehlt die Faszination, die er mit seinen regelmäßigen Lieder-Tourneen ausüben konnte, große Säle etwa für die auch musikalischen Eigenarten der Schubert‘schen Zyklen oder die Aufweichung des Bürgerlichen bei Wolf-Mörike begeisternd.
Grotesk wird die Fehleinschätzung, wenn die eher zweifelhafte schriftstellerische Tätigkeit Fischer-Dieskaus uneingeschränkt gewürdigt wird, dabei aber seine gemeinsame Herausgeberschaft der Schubert-Lieder mit dem großartigen Elmar Budde nicht erwähnt wird. Mit Elmar Budde hat Fischer-Dieskau auch in der Wolf-Akademie v. a. zu Ehren Schuberts interessant zusammen gearbeitet, von Elmar Budde hat ein aufschlussreiches Interview mit Fischer-Dieskau darüber geführt, wie sich Fischer-Dieskaus wandelnde Sicht auf die Winterreise in den Aufnahmen wiederspiegelt. Budde kommt in dem Band aber nur (auf S. 202) als Klavierpartner vor, obwohl er vielleicht Fischer-Dieskaus wichtigster musikalisch-intellektueller Freund war. Grotesk und traurig ist zudem, dass selbst im Rückblick nach Jahrzehnten weder Fischer-Dieskau, noch der Autor, noch der Verlag gemerkt zu haben scheinen, dass ein Brief an die noch kleinen Söhne, in dem Fischer-Dieskau (bemüht scherzhaft oder einfach nur (pädagogisch) unsensibel?) eine Reihe berühmter, Fischer-Dieskau anhimmelnden Künstler aufführt, vielleicht für Fischer-Dieskaus gute Organisation, aber auch für den hohen Preis des Ruhms spricht.

Bewertung vom 09.09.2023
Nono-Schoenberg, Nuria

Arnold Schönberg


ausgezeichnet

Als dieses Buch herauskam, wurde es als eher bemühter Versuch der Tochter wahrgenommen, an dem Ruhm des Vaters teilzunehmen. Es ist aber eher eine beeindruckende, soweit ich weiß einmalige Zusammenfassung des Nachlasses zu einer Art Auto-Fremdbiographie. Eindrucksvoll sind insbesondere die bedrängten Umstände in der Jugend, die, anders etwas als bei Th. Manns Faustus, erst vergleichsweise spät strukturiertes Musiklernen möglich machten, wie organisch sich daraus eine mögliche Erklärung für den Versuch des spät, eben nicht als Wunderkind in die Öffentlichkeit tretenden, sich durch Umstrittenes, aber auch durch die eher die (musikalische) Allgemeinheit ansprechende, eindrucksvoll gerade die (musikalische) Vergangenheit zusammenfassende Harmonielehre zu behaupten. Durch ein exzellentes Sichtwortverzeichnis unterstützt erlaubt das exzellent bebilderte und gedruckte Buch, auch durch Schönbergs intellektuelles Leben zu streifen, etwa schnell pointierte Äußerungen zu Bach und Mozart zu finden.

Bewertung vom 06.09.2023
Ryschkow, Nikolai

Mein Chef Gorbatschow (eBook, ePUB)


weniger gut

Ryschkow geht es fast ausschließlich darum, Verantwortung auf Gorbatschow abzuwälzen. So wird Gorbatschows berühmte Reise nach England als ein Trick bewertet, sich durch Popularität im Ausland für den Posten des Generalsekretärs ins Spiel zu kommen. Warum ein solcher Trick Aussischt auf Erfolg haben konnte, dass die sowjetische Führungsstruktur nicht sehr leistungsfähig gewesen sein kann, wenn ein solcher Trick wirkte, wird nicht behandelt.
Ryschkows eigenes Feld, wegen dem er wohl in einer Art Notoperation zu Amt und Würden kam, die Wirtschaft, bespricht er nicht umfassend. Es mag wohl sein, dass die sowjetische Wirtschaft nicht mehr reformierbar war. Dennoch hätte ein wenig diesbezügliches Verantwortungsbewusstsein gefreut.
In Anatoli Kowaljows Memoiren wird im übrigen ein viel freundlicheres Bild von Ryschow gezeichnet, als er selbst nahe legt: Als gebildeter, nachdenklicher Verantwortungsträger, der sich für Menschenrechte wirksam einzusetzen wusste.

Bewertung vom 06.09.2023

Rußland / Deutsche Geschichte im Osten Europas


gut

Dieser Band ist am ehesten, was der Titel verspricht, nämlich ein Nachspüren der Wirkung Deutscher. Es werden z. B. akribisch deutsche Schulen, Kirchengemeinden, Vereine und Krankenhäuser aufgeführt. Gleichzeitig zeigt er, wie schwer das Thema zu fassen ist: Wirklich gegenseitige Einflüsse darzustellen kann kaum umfassend gelingen. Jedenfalls entsteht hier nicht, wie in anderen Bänden, der allgemeine Eindruck, eine wirtschaftlich und kulturell überlegene Schicht habe die Ureinwohne dominiert. Manches gerät denn auch schief: So etwa die Darstellung der deutsch-sowjetischen kulturellen Bezüge, die sehr an – interessanten - Einzelheiten haften bleibt. Heutzutage würde auch Odessa (oder Odesa) nicht mehr als russische Stadt bezeichnet werden können. Diese eher kritischen Anmerkungen weisen eigentlich darauf hin, wie wichtig ein derartiges Unterfangen, eine Fortsetzung wäre.

Bewertung vom 06.09.2023
Spitzemberg, Hildegard Baronin

Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg, geb. Freiin v. Varnbüler


ausgezeichnet

In vielen wissenschaftlichen Werken, so bei Röhls Wilhelm II-Biographie oder bei Pflanzes Bismarck-Biographie findet man viele Verweise auf Spitzemberg, und doch ist sie viel erhellender, in ihrem knappen, besorgten, sichtbar Anteil nehmenden Stil viel leichter fähig, Charakterbilder zu zeichnen, Probleme zuzuspitzen und die Tragödie des Kaiserreichs vorauszuahnen. Gerade deshalb sei ein Gedankenspiel gewagt: Die Nachwelt scheint die Zweifel an Wilhelm II und seinen Freunden, etwa dem unseligen Eulenburg, vertieft zu haben. Viel interessanter wäre aber doch wohl gewesen, diese Zweifel zu hinterfragen, den jeweils Handelnden ihr eigenes Recht zu geben. Wilhelm II wäre dann vielleicht von einem ja nicht wirklich geplantem, und Bismarcks Übermacht notwendig einseitig angelegten Apparat notwendig überfordert und daher auch immer der Allgemeinheit unbefriedigend erschienen, was sich durch erratische Fluchtbewegungen gesteigert haben könnte.
Auch hinsichtlich allgemein Zeitgeschichtlichem wird man immer wieder reich beschenkt, so zu Theaterbesuchen der „Meininger“, Ausstellungen von Wereschagin.

Bewertung vom 06.09.2023
Gromyko, Andrej

Erinnerungen


weniger gut

Nicht ganz untypisch für Memoiren von Spitzenpolitiker ist, dass bei der Reflexion nicht viel anderes herauskommen kann, als während der Karriere, dass diese wiedergekäut wird. Besonders ärgerlich ist dies hier bei der Bewertung der jeweiligen Opponenten, so etwa H. Schmidt. Anregend sind die Details zur Potsdamer Konferenz, einige Striche zu einem – überraschend positiven – Porträt Stalins, ein wenig zu Interna der 50-iger Jahre und zur Potsdamer Konferenz.

Bewertung vom 04.09.2023
Eschenburg, Theodor

Das Jahrhundert der Verbände


ausgezeichnet

Man spürt, dass ein Zeitzeuge berichtet, der viel erlebt, eine eigene Sicht des Vorgefallenen hat, die durchaus eigenwillig ist, teilweise vorurteilsbehaftet wirkt, aber dabei immer interessant bleibt. Der eigentlich viel engere Titel mag auch dem Versuch geschuldet sein, sich Angriffen insbesondere zur Machtergreifung zu entziehen – Eschenburgs Verhalten im Nationalsozialismus legte ja Kritik nahe. Besonders erhellend fand ich die Darstellung der Gewerkschaften in der Nachkriegszeit.

Ein kleiner Fund: Über die Literaturliste wurde ich auf Rüstow aufmerksam und dessen Schrift über "Versagen des Liberalismus" aufmerksam, bisher kannte ich nur Eucken, Böhm und (natürlich) Erhard.

Bewertung vom 28.08.2023
Minetti, Bernhard

Erinnerungen eines Schauspielers


sehr gut

Lange stand das Buch in meinem Regal. Ich hatte den „Minetti“ in Suttgart, anderes von Bernhard mit ihm im Fernsehen gesehenen und ein Bild von ihm als Faust im Kopf, war eher pflichtschuldig angetan, aber wusste eigentlich nicht viel mit dem Buch anzufangen. Eine Passage über Bilder, die er bei Vorstellungen herstellte, fand ich eher eitel, seine Vorlieben bezüglich Maler belanglos, so wie auch die Bemerkungen zur jungen Generation auch die zu seiner Schauspielkunst inspirieren nicht wirklich. Dann begann ich meiner Bibliothek nach einem Besuch in dem so anregenden Meiningen zu durchsuchen, als Erbeserbe könnte es ja erwähnt sein. Natürlich war da wenig, auch zu Brahm als wesentlichem Nachfolger nichts. Plötzlich fielen meine Blicke aber auf andere Themen, die mir wichtig sind, so die Bemerkungen über den doch wohl einflussreichen Kritiker Schulze-Vellinghausen, über den man sonst wenig finden kann, Hinweise darauf, wie die Zusammenarbeit des Regisseurs Sellner mit dem Maler (und Bühnenbildner!) Baumeister bewertet wurde. Danach kam ich darauf, wie bedacht und selbstkritisch er seine Rollen beleuchtet, etwa den Prospero, die verschiedenen Beckett-Rollen, die Herausforderungen der Bernhard-Stücke, wie er in der Zusammenarbeit mit anderen Schauspielern wie Bergner lernt. Erfreulich ist die Urteilsfreude, die mehrere Generationen Regisseure und Schauspieler betraf, wie etwa en passant Corinna Kirchhoff gelobt wird, Gedanken, die doch oft Farbe haben, also nicht einfach lobend oder abwertend sind. Wenn man daher etwas über Lietzaus Schwierigkeiten in Berlin liest, hofft man fast, auch seine – von der Politik wohl töricht bestimmte – Nachfolge behandelt zu finden, Peyman, Zadek und Grüber werden sowohl als die Anleiter gewürdigt, die ein Schauspieler braucht, als auch in ihrer Bedeutung als Theaterermöglicher. Wer mehr über das Theater in der Nazi-Zeit wüsste als ich könnte sicher auch vieles Erhellende auch über die Nachkriegszeit finden.
Natürlich hat auch diese Urteilsfreude Grenzen. Das scheint in einer schon wieder interessanten Weise partiell Stein zu treffen. Da fragt sich Minetti denn auch selbst, ob er als Schauspieler oder Kritiker zuschaut, und scheint letzterem weniger Wert beizumessen. In der Tat scheint seine Bewertung der Stein-schen Möwe mehr als in anderen Fällen ein Bild des Stückes vorauszusetzen, der Bericht über den Besuch einer Probe, den er ewig hätte fortsetzen können und die er doch hurtig sich genötigt fühlte zu verlassen, auf ein Außerordentliches zu deuten, das ihn beschäftigte, aber doch verschlossen blieb.
Wie auch immer, so viel vorwärtsdrängender Enthusiasmus wie in diesem Buch wirkte auf mich anregend, ich begann, über Thomas Bernhard nachzudenken, meine Botho Strauß Bücher und Programme zu lesen….
Rühles Rolle dürfte weit über die einfache Redaktion hinaus gehen, aber zu einer gewissen Distanz vom Ego beitragen – man liest die Texte sozusagen durch das Filter eines klugen Betrachters.

Bewertung vom 21.12.2019
Fassbaender, Brigitte

'Komm' aus dem Staunen nicht heraus'


gut

Man spürt die Bemühung der Art von steter Hochleistung, wie sie viele Spitzensänger erbringen müssen auch darin, anders Memoiren schreiben zu wollen. Viele werden gut bewertet, so etwa Mödl, Fischer-Dieskau und Hotter. Über das Spezifische ihrer Kunst erfährt man aber wenig. Über Böhm und Celibidache hört man, wie gnadenlos sie waren, die Grossartigkeit gerade der Aufnahme mit Celibidache scheint an Fassbaender aber vorbei gegangen zu sein.
Ob Fassbaender gut daran tut, sich sozusagen mit dem Octavian zu identifizieren, wäre eine gesonderte Betrachtung wert - mich hat eine Aufnahme als Dalila viel mehr als ihr Hänsel und Grete, Rosenkavailier und Fledermaus beeindruckt.