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AnnBee

Bewertungen

Insgesamt 29 Bewertungen
Bewertung vom 21.09.2018
Der Narr und seine Maschine / Tabor Süden Bd.21
Ani, Friedrich

Der Narr und seine Maschine / Tabor Süden Bd.21


sehr gut

Zwei Verirrte

Mein erster Gedanke, als ich das Buch zugeklappt habe: Puh, ein Buch wie ein Sack Steine. Düster, schwer, ohne Hoffnung. So wie hier:

„In Wahrheit waren um ihn Stein und Staub und schwarze Zeit. Und schwarze Zeit und Staub und Stein waren in Wahrheit in ihm, keine Kindheit, bloß Knochen eines vor Schmerzen sich windenden, verendenden Mannes.“

Dann habe ich darüber noch zwei Tage nachgedacht – und denke nun, man muss es nicht so düster interpretieren. Die Storyline ist schnell erzählt: Ein alternder, ehemals erfolgreicher Autor ist verschwunden, der Selbstmordverdacht steht klar im Raum. Ein Detektiv mit Wunden, die nicht heilen, und der ebenfalls gerade dabei ist, zu verschwinden, macht sich auf die Suche nach ihm. Es gibt kein klassisches Happyend und nichts zu lachen. Der Autor versteht es, Charaktere zu zeichnen und auf wenigen Seiten viel Atmosphäre zu schaffen, er schreibt ohne Schnickschnack – passt zum Buch.

Also schon düster, aber das Leben ist auch manchmal düster. Aber ich denke, es geht dem Autor nicht darum, puren Pessimismus zu verbreiten. Vielmehr geht es um Selbstbestimmung angesichts des Elends, und um zwei Heimatlose, die viele Gemeinsamkeiten und ein Verständnis teilen, das nicht viele Worte braucht – und darum, den Einsamen, Verlorenen eine Hand zu reichen.

„Ich bin der einzige Mensch, der ihn nach solchen Dingen fragt. Man muss fragen. Man muss Menschen, die einem nah sind, in das Leben mit einbeziehen, man darf sie nicht machen lassen, dann verirren sie sich.“ (S. 80)

Man muss sie begleiten, und manchmal vielleicht auch gehen lassen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2018
Mexikoring / Chas Riley Bd.8
Buchholz, Simone

Mexikoring / Chas Riley Bd.8


gut

Hart aber herzlich

In Hamburg werden Autos abgefackelt, in einem sitzt noch jemand drin – Nouri, ein junger Mann, der in Bremen in einer kriminellen Familie aufgewachsen ist, mit dieser jedoch gebrochen hat. Versuchen die Bremer Clans, in Hamburg Fuß zu fassen? Oder hat ein Familienmitglied Nouris „Verrat“ gerächt? Und wer ist die Frau mit den roten Locken, die den Tatort beobachtet hat?

Staatsanwältin Chastity Riley (was für ein fürchterlicher Name) und ihre Hamburger Kollegen machen sich nach Bremen auf, erschrecken über die Strukturen und Gewalt der Clans aus dem Nahen Osten, obwohl sie doch alle stets so tun, als könnte sie nichts mehr erschrecken. Außerdem ist Chastitys Privatleben, trotz ihres Namens, in ziemlicher Unordnung (da steigt man wahrscheinlich besser durch, wenn man die vorherigen Teile auch gelesen hat). Ansonsten wird viel getrunken, noch mehr geraucht, und die Fixierung auf Kaffee ist beachtlich. Die Hauptfigur beklagt sich denn auch mehrfach, dass ihr ein bisschen schlecht wird, oder fast ein bisschen schlecht, oder übel. Joah, so is dat.

Die ersten 50 Seiten etwa war ich von der schnoddrigen Sprache ziemlich genervt; ich fand es auch irgendwie unwahrscheinlich und aufgesetzt, dass eine Staatsanwältin Mitte 40, die ja immerhin mal Jura studiert haben wird, Leute mit „Alter“ oder gar „Digger“ anredet, St. Pauli hin oder her.

Danach nimmt das Buch allerdings ordentlich Fahrt auf, langsam konnte ich mich auch für die Figuren mehr erwärmen und bin mehr und mehr in einen richtigen Sog geraten. Definitiv kein 08/15-Krimi, etwas gewöhnungsbedürftig, aber zum Ende hin dann richtig gut. Ein etwas sorgfältigeres Lektorat hätte allerdings nicht geschadet, um ein paar stilistische Unsauberkeiten oder Kommafehler auszumerzen. 3,5 Sterne.

Bewertung vom 15.09.2018
Das Vogelhaus
Meijer, Eva

Das Vogelhaus


ausgezeichnet

Von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren

Eva Meijer erzählt in diesem Roman die außergewöhnliche Lebensgeschichte der britischen Vogelforscherin Len Howard. Sie vermischt dabei gekonnt biografische Fakten mit der fiktiven Erzählung von Lens Lebensweg. Gleichzeitig vermittelt sie auf faszinierende Weise Lens Zusammenleben mit den Vögeln, ihre Forschungsmethoden und -ergebnisse.

Howard wächst zunächst um die Jahrhundertwende in einer wohlhabenden Familie mit mehreren Geschwistern auf. Vor allem ihr Vater prägt sie, der seine Liebe zu Vögeln an seine Tochter weitergibt. Das Anwesen der Howards dient zudem als kultureller Salon – Malerei, Dichtung, Musik spielen eine große Rolle im Leben der Familie. Früh zeigt sich, dass Len ihren eigenen Weg geht. Statt sich einen passenden Ehemann zu suchen, zieht sie volljährig nach London um in einem Orchester Geige zu spielen. Ein mutiger Schritt für eine Frau ihrer Zeit, den ihr zudem vor allem ihre Mutter und Schwester übelnehmen. Mit den Jahren findet Len dann jedoch immer weniger Erfüllung in der Musik und der lauten Großstadt. Noch einmal krempelt sie ihr Leben komplett um und kauft sich ein Cottage in einer einsamen Gegend Südenglands – das berühmte Vogelhaus, in dem sie bei Wind und Wetter Fenster offenlässt, so dass die Vögel hereinkommen können, im Haus spielen, nisten, mit ihr schmusen.

Diese sehr besondere Wohnsituation und die entstehende enge Beziehung zu den Tieren ermöglicht ihr einzigartige Einblicke in die Fähigkeiten von Vögeln. In einer durch den Behaviorismus geprägten Zeit, in der Verhaltensforschung vorwiegend aus Reiz-Reaktions-Tests im Labor bestand, war dies eine revolutionäre Herangehensweise.

Mehr und mehr wird Len dabei jedoch zu einer menschenscheuen Einsiedlerin. Ihre gefiederten Freunde stehen für sie an erster Stelle, die immer viel zu lauten Menschen nimmt sie nur mehr als Störung wahr. Meijer beschreibt diesen Prozess so empathisch, dass er für mich nachvollziehbar war. Die Autorin bewertet auch nicht, konstruiert Lens Lebensweg also nicht etwa in der Art, dass sie für die Vogelforschung ihre Chance auf eine Familie geopfert hätte. Len geht ihren Weg, der sicher nicht für jedermann geeignet ist – aber es ist eben ihr Weg. Mich hat beeindruckt, wie dieses Buch die Individualität menschlicher wie nicht-menschlicher Tiere vermittelt. Auch passt der Schreibstil sehr gut zum Inhalt des Buchs – eine ruhige, behutsame Sprache, die Lens Umgang mit den Vögeln widerspiegelt.

Bewertung vom 04.09.2018
Ins Dunkel
Harper, Jane

Ins Dunkel


sehr gut

Verloren in der Wildnis

Eine Firma veranstaltet eine Teambuilding-Maßnahme: je fünf Frauen und Männer, tätig auf unterschiedlichen Hierarchieebenen, wandern mehrere Tage durch den australischen Wald. Das geht gehörig schief: Die Frauengruppe verläuft sich und kommt schließlich nur zu viert zurück. Was ist passiert, und wo ist Alice Russell?
Die Erzählung findet dabei auf zwei verschiedenen Zeitebenen statt: Zum einen die Suche nach Alice, an der Aaron Falk und seine Partnerin beteiligt sind. Hat Alice Verschwinden vielleicht etwas mit den Unterlagen zu tun, die sie den Ermittlern geben wollte – und die die Firma schwer belasten? Oder vielleicht sogar mit dem Sohn eines Serienmörders, der in der Gegend vor Jahren sein Unwesen trieb?
Gleichzeitig gibt es immer abwechselnd mit den Kapiteln, die die Suche nach Alice schildern, Rückblenden zur Wanderung der Frauen. Diese Kapitel haben mir sehr gut gefallen. Die Autorin versteht es, ein immer komplexeres Bild der Charaktere und ihrer Beziehungen zueinander zu zeichnen. Der Thriller bietet hier ein großartiges Psychogramm einer Gruppe, die mehr und mehr unter Stress gerät, bis die Masken fallen und die Emotionen hoch kochen.
Die Erzählung dieser Wanderung fand ich wahnsinnig spannend, auch ganz ohne Schockeffekte. Allerdings wird man durch die Struktur der abwechselnden Zeitebenen immer wieder aus dem Geschehen herausgerissen. Die Story der Ermittlung wiederum, und auch die Ermittler selbst, blieben für mich etwas farblos. Dennoch ein Pageturner – 3,5 Sterne.

Bewertung vom 22.08.2018
Wie ich fälschte, log und Gutes tat
Klupp, Thomas

Wie ich fälschte, log und Gutes tat


sehr gut

Jung, frisch, knackig

Klupps Roman erzählt aus der Perspektive von Benedikt Jäger in Tagebuchformat aus dessen Leben. Benedikt lebt in einer Kleinstadt als Sohn wohlhabender Eltern, spielt erfolgreich Tennis, feiert so heimlich wie wild mit seinen Freunden – und fälscht im großen Stil seine Noten. Der Vater ist kaum anwesend, der Mutter geht es vorwiegend um den äußeren Schein; solange Benedikt nach außen zu funktionieren scheint, ist alles gut und wird auch gar nicht weiter nachgefragt.
Die Sprache ist an den Jugendslang angepasst und trifft diesen auch ganz gut. Das kommt nicht bemüht rüber, sondern sehr frisch und dynamisch. Das Buch liest sich fix weg, ist oft sehr lustig und erinnerte mich daran, wie man sich als Teenager so fühlt. Der Protagonist war mir – wider Erwarten – sehr sympathisch. Was fehlt, ist eine Entwicklung des Protagonisten oder ein richtiger Plot, der sich durch das Buch durchzieht. Andererseits: so ist das Leben eben, es gibt keine Moral und kein befriedigendes Ende, alles geht einfach immer irgendwie weiter. Für mich ein Buch über Freundschaft und die Absurditäten und Verlogenheiten des gesellschaftlichen Lebens, glaubhaft und humorvoll aus der Perspektive eines Jugendlichen geschildert.

Bewertung vom 20.08.2018
Manhattan Beach
Egan, Jennifer

Manhattan Beach


gut

Manchmal ist weniger mehr

New York während des zweiten Weltkriegs. Die junge Anna begleitet ihren Vater auf seinen Botengängen für Gewerkschaftsbosse; dabei trifft sie unter anderem auf den erfolgreichen Gangster Dexter Styles. Der Roman erzählt die Geschichte dieser drei Personen während der Kriegsjahre. Ihre Lebenswege kreuzen sich immer wieder auf unverhofften Wegen und mit einschneidenden Konsequenzen.
Im Zentrum steht dabei Anna, die sich gemeinsam mit ihrer Mutter um ihre behinderte Schwester Lydia kümmert. Gleichzeitig fängt sie als Arbeiterin in der Werft an, wo aufgrund des Männermangels nun auch Frauen beschäftigt werden. Anna aber möchte noch mehr, nämlich als erste Frau als Taucherin arbeiten.
Anna ist meistens sympathisch, gibt nicht schnell auf und geht zielstrebig ihren Weg, auch wenn dieser steinig ist. Die Autorin schildert das New York dieser Zeit überzeugend als Panorama, in der sich althergebrachte Traditionen verschieben, Gewissheiten auflösen und dadurch – bei aller Grausamkeit und Tragik des Krieges – neue Möglichkeiten der Lebensführung entstehen, alte Grenzen teilweise aufgebrochen werden. Das liest sich meistens recht flüssig und die Erzählstränge zu Anna und ihrem Vater haben mir gut gefallen. Leider wird es aber durch den dritten Strang um den Gangsterboss etwas überladen, zumal ich mich für diesen auch weder erwärmen noch groß interessieren konnte. Dadurch entstehen Längen, die mich wiederum auch von den anderen Protagonisten immer wieder etwas entfremdet haben. Hier wäre meines Erachtens weniger mehr gewesen. Wenn es schon ein dritter Erzählstrang sein soll, dann wäre meine Wahl definitiv auf Annas Mutter gefallen, die für eine Frau ihrer Zeit ein sehr bewegtes und spannendes Leben geführt hat.

Bewertung vom 13.08.2018
Die Tote im Wannsee / Kommissar Wolf Heller Bd.1
Kellerhoff, Lutz W.

Die Tote im Wannsee / Kommissar Wolf Heller Bd.1


sehr gut

Mordermittlung mit politischer Sprengkraft

1968 im geteilten Berlin, die Stimmung ist aufgeheizt, die Atmosphäre der Stadt gleicht einem politischen Dampfkessel. Im Osten die DDR, in Westberlin Studenten, deren Positionen und Proteste sich immer mehr radikalisieren, und ehemalige Nazis im Staatsdienst, deren Kriegsverbrechen unter den Teppich gekehrt werden. Dazwischen das ganz normale Leben...
Als die offensichtlich brutal ermordete Leiche einer Frau aus dem Wannsee auftaucht, gehört der junge Kommissar Wolf Heller zum Ermittlerteam. Heller ist ein sympathischer Zeitgenosse, der bei einer alleinerziehenden Mutter zur Untermiete wohnt, ihren Kindern Radfahren beibringt, und der für eine große Karriere wohl einfach zu ehrlich ist. So kann er den Fall der Toten im Wannsee nicht ruhen lassen, auch wenn alles so aussieht – oder aussehen soll – als handele es sich um eine gewöhnliche Beziehungstat. Heller bohrt auf eigene Faust tiefer und stößt dabei auf einen Sumpf politischer Verschwörungen und Lügen. Parallel dazu gibt es einen weiteren Erzählstrang um Louise Mackenzie, eine junge Studentin, die in einer Kommune lebt und mit der zunehmenden Gewalt ihrer Mitstreiter ringt. Mehrfach kreuzt ihr Weg dabei den von Heller.
Das Buch ist wirklich spannend und gut geschrieben, wenn auch für meinen Geschmack etwas sehr sachlich und schnörkellos. Die Einbettung in den zeitgenössischen Kontext gelingt den Autoren sehr gut, vor allem ist dieser hier nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern integraler Bestandteil der Geschichte. Auch die Darstellung der Perspektive der Studenten ist gelungen. Andererseits sind dieser Erzählstrang und derjenige um Heller meines Erachtens zu lose verknüpft. Auch die Passagen aus Hellers Privatleben hätten mehr Potential gehabt, so blieb die Person mir doch relativ fremd. Das gilt auch für die Frauenfiguren, die sich irgendwie sämtlich leicht irrational verhalten. Positiv zu erwähnen ist diesbezüglich allerdings, dass die Beweggründe der Feministinnen dieser Zeit keineswegs als irrational dargestellt werden, sondern chauvinistische Strukturen und Verhaltensweisen, nicht zuletzt auch der jungen Revoluzzer, beschrieben werden.
Am Ende des Buchs findet sich noch ein Glossar, in welchem Begriffe wie „Stasi“ oder „reaktionär“ erläutert werden – da fühle ich mich als Leserin nicht hinreichend ernstgenommen. Alles in allem aber ein sehr lesenswerter Polit-Krimi!

Bewertung vom 21.07.2018
Kampfsterne
Hennig von Lange, Alexa

Kampfsterne


ausgezeichnet

Wie man sein Leben zum Gefängnis macht

„Kampfsterne“ erzählt aus einer ganzen Reihe verschiedener Perspektiven von drei Familien in einer Wohnsiedlung der 1980er. Die Ehemänner verdienen gut, die Ehefrauen kümmern sich um Haus, Kinder und darum, die Nachbarn möglichst vor Neid erblassen zu lassen. Jeder ist allein in seinem perfekten Familienwohnzimmer, seinem eingezäunten Garten, eingesperrt in seine eigene Fassade. Dazu passt auch das graphische Cover mit seinen klaren Linien oder Grenzen sehr gut.

Von Lange erzählt überzeugend von der Innenperspektive solcher Leben, in denen es vor allem um die Außenperspektive geht – und davon, dass das in den Menschen nicht das Beste zum Vorschein bringt oder fördert. Sie erzählt von Frauen, die lächeln, auch wenn ihr Mann sie schlägt oder betrügt; Frauen, deren Lebensumfeld sich weitgehend auf die Familie und Nachbarschaft beschränkt und die gleichzeitig unter enormen Perfektionsdruck stehen. Sie glauben, das Leben sei ihnen das große Glück schuldig – und wenn das nicht eintritt, soll es doch bitte wenigstens so aussehen. Diesen Perfektionsdruck geben sie weiter an ihre Männer und Kinder. Noch sind die Stimmen der Kinder voller Kraft und zeugen von einem unverstellten Blick auf das Leben und ihre Eltern; man fragt sich jedoch beim Lesen ständig, ob sie die Fehler ihrer Eltern wiederholen oder es schaffen werden, auszubrechen aus dem schönen Schein.

Der Autorin ist es von Anfang an gelungen, mich zu fesseln. Die Charaktere sind teilweise etwas überspitzt und einige Dinge (wie etwa die Fokussierung auf eine angebliche Hochbegabung der eigenen Kinder) scheinen mir zumindest anachronistisch und eher in die heutige Zeit gehörend. Das wird jedoch durch den flüssigen Schreibstil locker wettgemacht, der sehr modern, frisch und dynamisch ist. Ein Buch, das trotz seiner Kürze viel Wahres enthält.

Bewertung vom 17.07.2018
Ida
Adler, Katharina

Ida


sehr gut

Eine eigenwillige Frau

Katharina Adler erzählt in diesem Buch die Lebensgeschichte ihrer Urgroßmutter Ida, die Ruhm erlangte als vorgeblich hysterische Patientin von Sigmund Freud. Sie schildert Ida als eine eigenwillige, manchmal eigennützige, aber eben darum auch starke Frau, deren Leben durch die politischen Ereignisse und Katastrophen des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet ist. Nachdem Ida zunächst sehr wohlhabend und behütet aufwächst, kämpft sie später mit Armut und Hunger, überlebt zwei Weltkriege, schlägt sich als Witwe tapfer durch und emigriert in den 1940ern in aller letzter Minute in die USA. Auch wenn sie dabei nicht immer sympathisch wirkt, ist es doch bewundernswert, wie viel Kampfgeist in ihr steckt.
Das Buch hat einige Längen, ist insgesamt aber fesselnd und mit feinem Witz geschrieben. Die unfairen Argumentationsmuster der Psychoanalyse und das problematische Machtverhältnis von Therapeut und Patientin werden sehr treffend dargestellt. Hier hätte mich allerdings doch interessiert, was eigentlich aus Idas Beschwerden wurde! Dadurch, dass diese später kaum noch erwähnt werden, ergibt sich fast der Eindruck, die Autorin schließe sich der (misogynistisch geprägten) Interpretation eines „Hysterie“-falls an.
Gefallen hat mir auch der Wechsel zwischen verschiedenen Zeiten – dadurch wurde Idas Charakter in seinem Werden und Gewordensein sehr schön beleuchtet. Allerdings bleibt die Autorin ihrer Protagonistin gegenüber teilweise etwas zu distanziert für mein Empfinden. Als etwas unmotiviert und störend habe ich auch die zwischenzeitlichen Perspektivwechsel empfunden. Alles in allem jedoch ein gelungenes Buch!