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Erfurt

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Insgesamt 41 Bewertungen
Bewertung vom 26.02.2025
Klüpfel, Volker

»Wenn Ende gut, dann alles« / Svetlana und Tommi ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Amüsantes Duo

Während Schriftsteller Tommi krampfhaft versucht endlich seinen Thriller zu schreiben, ordnet Putzfrau Svetlana seinen Haushalt im Wohnmobil. Dabei fällt ihr am Waldrand ein kleines einsames Mädchen auf, doch auch für die Polizei bleibt die Mutter unauffindbar.
Svetlanas Instinkt ist sofort geweckt und auf ihre Initiative hin setzen Tommi und sie alle Hebel in Bewegung, um dem Mädchen zu helfen.

"Wenn Ende gut, dann alles" ist das Solo-Debüt von Erfolgsautor Volker Klüpfel. Mit Tommi und Svetlana ist ihm ein Ermittlerduo mit Charme, Humor, Intelligenz und Wiedererkennungswert gelungen. Das ist kein Krimi wie jeder andere, sondern er überzeugt von Anfang bis Ende durch seine gut durchdachten und authentischen Figuren, die sich in ihre Umgebung einfügen und den Leser mitnehmen. Obwohl ernste Themen angesprochen werden, gibt es reichlich Momente zum Lachen, ohne dabei sämtliche Klischees zu bedienen. Ich hatte etwas Sorge, dass Svetlanas Akzent, der ausgesprochen gut und konsequent versprachlicht wurde, irgendwann anstrengend zu Lesen werden könnte. Aber im Gegenteil, es hat den Text aufgelockert und echt gemacht.
Ich hoffe auf noch viele weitere Fälle für diese liebgewonnenen Ermittler.

Bewertung vom 19.02.2025
Anders, Florentine

Die Allee


ausgezeichnet

Familiengeschichte

Irene von Bamberg, genannt Isi, ist noch nicht volljährig als sie ihren späteren Ehemann Hermann Henselmann, einen ambitionierten Architekten, kennen lernt. Hermann unterstützt die zehn Jahre jüngere Isi, deren Traum es ist selber auch Architektin zu werden. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg kommt das erste Kind zur Welt. Insgesamt werden die Henselmanns acht Kinder gemeinsam haben. Eins davon ist die zarte gebrechliche Isa, die von allen Kindern wohl am meisten unter dem ehrgeizigen und cholerischen Vater gelitten hat.
Während Hermann nach dem Krieg in der DDR Karriere macht, zunächst als Direktor der Staatlichen Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar, später als Chefarchitekt Ost-Berlins, bleibt die Selbstverwirklichung seiner Frau zunehmend auf der Strecke.

Autorin Florentine Anders ist die Tochter von Isa Henselmann, Enkelin von Hermann und Isi Henselmann. Sie erzählt in chronologischer Reihenfolge die Geschichte ihrer Großeltern, ihrer Mutter, Tanten und Onkels, ihrer ganzen Familie eigentlich. Was zunächst wie eine bloße Aufzählung der wichtigsten Ereignisse und Stationen im Leben ihrer Vorfahren erscheint, entfaltet bald seine volle Tragweite. Hermann Henselmann kann nicht nur charmant, weltgewandt und verschwenderisch sein, sondern auch jähzornig und cholerisch. Das lässt er am meisten an seinen Kindern Isa und Andreas aus. Mutter Isi kann oder will die Kinder nicht vor den Wutanfällen des Vaters schützen.
Hermann Henselmann war ein großer Architekt. Aus seiner Feder stammen u.a. die Entwürfe für das City-Hochhaus in Leipzig, den Jentower in Jena und den Berliner Fernsehturm. Doch für mich werden aus diesem Buch eher die negativen Aspekte dieses Menschen hängen bleiben, die psychische und physische Gewalt gegenüber seinen Kindern, der Betrug an seiner Frau.
Mit Spannung, Unverständnis und großem Interesse habe ich die Entwicklung dieser Großfamilie über die Jahrzehnte verfolgt, die von Ruhm, Schmerz und Leid geprägt war. Florentine Anders ist damit ein großes Stück Zeitgeschichte und ein Blick hinter die sprichwörtliche Fassade gelungen.

Bewertung vom 17.02.2025
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

Identität

Dmitrij ist in Kiew geboren. Gemeinsam mit seinen Eltern ist er als Kind nach Leipzig gezogen. Die Eltern verkaufen dort in ihrem "Magasin" russische Spezialitäten aller Art. Dmitrij ist unzufrieden damit, dass ihm nicht alle russischen Wörter so leicht über die Lippen kommen, er nicht immer die richtige Bedeutung weiß. Seit dem Angriffskrieg in der Ukraine ist es aber noch schwieriger mit der sprachlichen Identität als vorher. Dafür sorgt unter anderem auch seine Mutter, die gerne der russischen Fernsehpropaganda lauscht und für eine objektive Wahrheit nicht zugänglich zu sein scheint.

Dmitrij Kapitelman schreibt eindrucksvoll über ein sehr aktuelles und brisantes Thema. Und dabei kommt einmal mehr zum Ausdruck, es gibt kein reines Schwarz oder Weiß, kein nur Gut und nur Böse.
Für mich war es nicht immer einfach die eingeflochtenen russischen Wörter auseinander zu halten, da mir diese Sprache sehr fremd ist. Aber umso mehr lässt sich dadurch verdeutlichen wie wichtig Sprache ist, um Identität und damit Heimat zu vermitteln und dass dieses Element Fluch und Segen zugleich sein kann.
Dieses Buch ist mir sehr zu Herzen gegangen, weil es explizit die Zerrissenheit zwischen russisch-ukrainischen Familien und Freunden dargestellt hat, weil es die Utopie auf beiden Seiten der Propaganda aufzeigt und weil es ein Appell für den Frieden ist.

Bewertung vom 12.02.2025
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


ausgezeichnet

Persönliches Sommermärchen

Solingen 2006, das Jahr der Fußball-WM im eigenen Land, der heißeste Sommer seit Jahren und der Beginn der großen Ferien. Christoph Kramer ist 15 Jahre alt. Seine Welt dreht sich um Fußball und um die Liebe. Er ist verliebt in Debbie, das schönste Mädchen der Schule - für ihn scheint sie so unerreichbar wie der Mond. Doch da gelingt es seinem besten Freund Johnny und ihm auf die Party zu kommen, wo Debbie auch sein wird. Ob wohl endlich sein größter Traum in Erfüllung gehen wird und er Debbie näher kommen kann?

Christoph Kramer ist im Fußball ein großer Name. Und genau dieser Christoph Kramer ist auch der Autor dieses einfühlsamen und bewegenden Romans. In mir hat dieses Buch das Gefühl von Sommer, großen Träumen, der ersten Liebe, erwarteter Enttäuschung und unendlicher Freiheit aufkommen lassen. Die Tatsache, dass der Protagonist im Buch auch Christoph Kramer heißt, hat mir teilweise das Gefühl eines Voyeurs gegeben. Aber man hatte somit auch den Eindruck unmittelbar zwischen den Emotionen des Teenagers gefangen zu sein und in die eigene Jugend zurück versetzt zu werden.
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen und in seiner Tiefgründigkeit positiv überrascht.

Bewertung vom 27.01.2025
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Abschied nehmen

Wie konnte er ihr das antun? Natürlich war Rolf krank, er derjenige, der körperlich leiden würde, aber warum lässt er Marlene alleine und nimmt sie nicht mit in seinen Freitod?
All das sind Fragen, die Marlene sich nicht nur während der Trauerfeier, sondern vor allem auch davor und danach stellt. Ihr Mann Rolf war krank. Ein Hirntumor. Gestorben ist der berentete Arzt allerdings an einer Überdosis Medikamente, die er selbst bewusst eingenommen hat. Und Marlene sitzt jetzt da, in ihrer Trauer, lebensunfähig und mit kaputter Dusche. Welch Zufall, dass der herbeigerufene Klempner Jack einmal Marlenes Schüler war. Und er scheint sie mindestens genauso zu brauchen, wie sie ihn.

"Von hier aus weiter" vereint alle Stimmungen, die man sich im Dunstkreis von Trauer und Abschied vorstellen kann. Es ist ein poetisches Buch, das Fragen stellt und dabei nicht die Wahrheit verschönt. Es ist anklagend und mahnend zugleich und trotzdem gibt es Hoffnung auf das was danach kommt, nicht auf einen Neuanfang, nicht auf ein Weitermachen, sondern auf ein Integrieren und Anpassen an neue Situationen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, genau so ein Werk braucht es, um einen Verlust verarbeiten zu können und weiterzuleben. Die an manchen Stellen eingeflochtenen Ereignisse, die sich unserem Verstand zu entziehen scheinen, sind für mich dabei das Salz in der Suppe. Ein absolut lesenswertes Buch in jeder Lebenslage!

Bewertung vom 27.01.2025
Prödel, Kurt

Klapper


ausgezeichnet

Berührend

Thomas ist 15 Jahre alt. In seiner Klasse ist er der Außenseiter. Alle nennen ihn nur "Klapper", weil seine Gelenke bei nahezu jeder Bewegung klappern. Er ist ein Einzelgänger, keine Freunde, kein Sitznachbar. Bis Vivi auftaucht. Sie ist größer als die anderen Schüler, stark und selbstbewusst. Zielstrebig setzt sie sich auf den freien Platz neben Klapper. Auch Vivi wird anders genannt, einfach nur Bär. Aber im Gegensatz zu Klapper, hat sie sich diesen Namen selbst ausgesucht.

"Klapper" erzählt die Geschichte eines Teenagers, der mit sich, seinen Eltern, seinen Mitschülern und der ganzen Welt hadert. Auf den ersten Blick scheint das nichts neues zu sein, auf den zweiten schon. In den kurzen Kapiteln kommt die Monotonie des Alltags eines einsamen, traurigen und perspektivlosen Jungen zum Ausdruck, dessen ganze Motivation plötzlich von einer Person abhängt. Man ist Zuschauer in diesem Drama und würde so gerne helfen, den Jugendlichen die Augen öffnen und den Eltern auch! Doch am Ende steht für Klapper der tragische Verlust und die Trauer, keineswegs die Hilfe.
Mich hat dieses Buch sehr berührt. Es zeigt schonungslos und emotionsgewaltig, wie hinter der bürgerlichen Fassade die Probleme versteckt werden.

Bewertung vom 14.01.2025
Glattauer, Daniel

In einem Zug


ausgezeichnet

Ein Dialog über Liebe

In einem Zug von Wien nach München sitzen sich in einer Vierersitzgruppe ein Mann und eine Frau gegenüber: der Autor Eduard Brünhofer und Physio- und Psychotherapeutin Catrin Meyr. Nach einem raschen Vorstoß der Frau kommen die beiden ins Gespräch. Ein Gespräch, was man so zwischen zwei sich eigentlich fremden Personen nicht erwartet hätte. Ein Gespräch mit intimen Fragen, über das Leben, über Alkohol und als zentralen Punkt ein Gespräch über die Liebe.

"In einem Zug" war für mich von Beginn an ein sehr ungewöhnliches Buch. Es ist ein durchgehender Dialog mit den eingeschobenen Gedanken einer der beiden Personen. So erfährt man sehr viel über Brünhofer, über Catrin Meyr dagegen sehr wenig. Allerdings bleibt damit auch Raum für die große Überraschung am Ende der Geschichte, die ich so nicht erwartet hätte und einen interessanten Abschluss gebildet hat.
Daniel Glattauer ist ein sehr ehrliches Buch gelungen. Nichts wirkt gestellt oder übertrieben. Man bekommt beim Lesen das Gefühl, es könnte sich genauso zugetragen haben und spürt die Atmosphäre zwischen den Akteuren. Während für mich Brünhofer ein Sympathieträger war, weil Catrin ihn zusehends verbal in die Enge getrieben hat, wurde sie mir mehr und mehr unsympathisch mit den vielen dreisten und direkten Fragen. Aber auch das ist eine Kunst, die negativen Emotionen derart treffend im Text zu transportieren.
Wer Lust auf knackige Dialoge mit philosophischen Hintergrund hat, ist bei diesem Buch genau richtig!

Bewertung vom 10.01.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Faszinierende Erzähltechnik

Franz Eschers Steckdose hat einen Wackelkontakt. Deshalb wartet er auf den Elektriker, der eine neue Steckdose einbauen soll. Eschers Leidenschaft sind Puzzles. Doch auch das Puzzeln ist ihm heute nur ein unzureichender Zeitvertreib.  Um die lange Wartezeit zu überbrücken greift er zu seiner zweitliebsten Beschäftigung, einem Buch über die Mafia und beginnt die Geschichte des Kronzeugen Elio Russo zu lesen.
Auch Elio Russo wartet. Er wartet darauf aus dem Gefängnis frei zu kommen. Sein Zeitvertreib ist ebenso ein Buch. Es handelt von Franz Escher, der ein Problem mit seiner Küchensteckdose hat.
Und dann begeht Escher einen Fehler, der dem Elektriker das Leben kostet.

"Wackelkontakt" ist ein grandioses Buch mit einer faszinierenden, wenn auch eigentlich simplen Erzähltechnik.
In einem fließenden Text werden die Geschichten der beiden Männer erzählt, die man jeweils aus dem Buch des anderen erfährt.
Für mich hat es eine Weile gedauert, bis ich die Zusammenhänge durchschaut hatte, was die Geschichte nicht minder spannend gemacht hat. Will man das Konstrukt durchdenken, stellt sich automatisch im übertragenen Sinne die Frage wer war zuerst da? Henne oder Ei?
Auch der zunächst etwas verschroben wirkende Escher, ist mir nach und nach sympathisch geworden. Es wird eine sehr komplexe Geschichte erzählt, ohne Widersprüche einzubauen und vor allem auch ohne unnötige Umschweife zu machen, die zu keinem Zeitpunkt ihre Spannung verliert.

Bewertung vom 31.12.2024
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


ausgezeichnet

Absolutes Lesevergnügen

Nina ist fast 50, geschieden und hat zwei erwachsene Kinder. Ihr Ex-Mann Phil hat mit Möchtegern-Influencerin Lulu Zwillinge bekommen. Ihre Schwester Lena lebt ihren persönlichen Traum der heilen Welt und freut sich im oberen Drittel der Berliner Vorstadtfamilien angekommen zu sein. Und Ninas Mutter sprengt mit ihrer Anwesenheit oftmals den Rahmen, nicht nur erst wenn sie zum Alkohol greift.
Als auf einer Geburtstagsfeier dann der 20 Jahre jüngere David in ihr Leben tritt, fühlt Nina sich erstmals wieder lebendig, was aber natürlich nicht ohne Hindernisse bleibt.

"Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben" ist ein herzlich ehrliches Buch über Menschen, die man im Setting jeder Großstadt finden könnte. Menschen mit ganz alltäglichen Problemen, Wünschen und Gefühlen. Autorin Anika Decker schreibt mit viel Witz und Augenzwinkern, ohne dabei zu dick aufzutragen oder zum Kitsch abzurutschen. In den beiden Schwestern Nina und Lena kann sich fast jede Frau wiederfinden und mitfühlen. Dabei wird außerdem noch das wichtige Thema der Metoo-Bewegung aufgegriffen und damit den Frauen gerade im Schauspielbereich eine Stimme gegeben.
Für mich ein außergewöhnliches Buch, dass nicht nur sehr unterhaltsam, sondern auch gehaltvoll ist!

Bewertung vom 16.12.2024
Paulsen, Annemarie

Alles büddn wild


ausgezeichnet

Wiedererkennungswert

Annemarie Paulsen ist studierte Landwirtin, Mutter, Socialmedia-Gesicht, Landmädchen und noch vieles mehr - aber vor allem ist sie authentisch. Und das ist genau das, was ihr Buch "Alles büddn wild" ausmacht.
Sie schreibt darin autobiografisch, in ihrem eigenen "Schnack", wie sie selbst vielleicht sagen würde. Aber trotzdem handelt es sich keineswegs um eine normale Autobiografie in chronologischer Reihenfolge, diese würde Annemarie Paulsen auch gar nicht gerecht werden. Vielmehr werden das Landleben und ihr eigener Werdegang in Form von Anekdoten wiedergegeben. Das zentrale Element ist dabei Humor, aber man muss die Autorin kennen, sie auf ihrem Socialmedia-Account erlebt oder eben ihr Buch gelesen haben, um zu verstehen was ihre Art so witzig macht. Es ist keine Parodie auf Bauern, kein sich lustig machen, sondern die große Kunst über sich selbst und andere lachen zu können, ohne dabei jemanden auszulachen.
Annemarie Paulsen wurde Anfang der 1990er Jahre geboren, als jüngste Tochter der Familie Heuer. Sie hat eine ältere Schwester und sechs ältere Brüder. Das Behaupten in einer Männerdomäne wie der Landwirtschaft wurde ihr also sprichwörtlich in die Wiege gelegt.
Ihre Stärken sind schnelles Sprechen, Billardspielen und zweifelsohne Melken.
Aber es geht in "Alles büddn wild" um viel mehr als nur ein bisschen Landromantik.
Das Buch und seine Autorin haben etwas, was selten ist in der digitalen Welt der Blogger, nämlich Authentizität und Wiedererkennungswert.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!
Denn Annemarie Paulsen schreibt nicht nur für Landwirte, Influencer, Stadtmenschen, Landmenschen oder Follower, sondern ausnahmslos für alle!