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Dajobama

Bewertungen

Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2025
Frank, Rebekka

Stromlinien


ausgezeichnet

Stromlinien – Rebekka Frank
Eine schlechte Entscheidung, die die Lebenswege und Schicksale vieler Menschen noch Generationen später prägt und beeinflusst.
Die Zwillingsschwestern Enna und Jale wachsen bei der Großmutter in den Elbmarschen auf. Ihre Mutter Alea kennen sie kaum, denn diese sitzt im nahegelegenen Gefängnis auf der Halbinsel Hahnöfersand eine langjährige Haftstrafe ab. Als endlich der Tag ihrer Entlassung da ist, sind plötzlich sowohl Alea als auch Jale verschwunden. Enna macht sich auf die Suche nach den beiden durch das Alte Land und deckt nach und nach immer mehr langgehütete Geheimnisse auf.
Die wundervollen, detailreichen Beschreibungen von Natur und Tieren an der Elbe und ihren Nebenflüssen sind eine große Stärke dieses Romans. Enna und Jale sind, wie bereits die Generationen vor ihnen, mit ihrem Boot „Sturmhöhe“ ganz selbstverständlich in dieser faszinierenden Landschaft unterwegs. Die Autorin beschreibt diese Fahrten sehr bildreich und atmosphärisch.
So locker-leicht und wirklich ab der allerersten Seite fesselnd kommt dieser literarische Thriller daher, doch ist er extrem tiefgründig und teilweise auch schwere Kost. Es geht um schwere Themen und lebensentscheidende Weichenstellungen. Im Grunde ist dies eine tragische Geschichte und ein tieftrauriger Roman.
Die Geschichten der verschiedenen Generationen werden abwechselnd erzählt. Erst nach und nach stellen sich Zusammenhänge aus den weitverzweigten, über Jahrzehnte geflochtenen Verwicklungen heraus. Und schließlich müssen in der Gegenwart immer noch Jale und Alea gefunden werden.
Hochspannend und atmosphärisch – ein richtiger Schmöker, den ich kaum mehr aus der Hand legen konnte.
5 Sterne.

Bewertung vom 01.03.2025
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

Der große Riss – Cristina Henriquez
Ein schöner historischer Roman rund um den Bau des Panama-Kanals, der sich mit den Sorgen und Nöten der Bevölkerung quer durch alle Schichten befasst.
Um 1900 soll ein Kanal gebaut werden, der Atlantik und Pazifik für den Schiffverkehr miteinander verbindet. Ein gigantisches Projekt, durch das verschiedenste Personengruppen aufeinandertreffen. Zum Einen sind da natürlich die Anwohner, die der Großbaustelle eher kritisch gegenüberstehen. Zum Anderen kommen jede Menge Arbeiter, teils von weit her, die hoffen, hier Arbeit zu finden und das große Geld zu machen. Aber auch Ärzte und Forscher zieht es an den entstehenden Panama-Kanal. Insbesondere die Lebensumstände der einfachen Bevölkerung werden sehr authentisch und fesselnd geschildert. Fortschritt und Ausbeutung liegen hier nah beieinander. Denn ein tiefer Riss zieht sich nicht nur quer durch den Kontinent sondern auch durch die Gesellschaft. Gerade die Schicksale der Frauen spielen hier eine größere Rolle.
Ein wirklich spannender Roman mit vielen hochinteressanten Lebensläufen, die einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen sollen. Mir waren es allerdings fast ein wenig zu viele verschiedene Handlungsstränge, auch wenn diese geschickt miteinander verknüpft werden. Über den Panama-Kanal selbst erfährt man eigentlich recht wenig. Politik, Geographie etc. werden nur kurz angerissen.
Als Schmöker dennoch sehr unterhaltsam. 4 Sterne.

Bewertung vom 25.02.2025
Behm, Martina

Hier draußen


sehr gut

Hier draussen – Martina Behm
Das Thema Landleben ist seit einiger Zeit ja ziemlich in Mode. Nach der Lektüre dieses Romans kann man erstmal gar nicht so genau sagen, spricht Martina Behm nun für oder gegen das Landleben? Die Entscheidung muss jeder wohl selbst treffen, die Autorin liefert anhand ihrer Figuren aber sicherlich ein extrem realistisches Bild vom Leben auf dem Land – mit allen Vor- und Nachteilen. Als ehemaliges Dorfkind, das dort geblieben ist, kann ich das bestätigen.
Ingo und seine Frau hatten sich das Leben auf dem Dorf so angenehm vorgestellt. Idyllisch, jeder hilft jedem. Nun ist aber das Pendeln zum Job in die Großstadt anstrengend und zeitraubend, in der Ehe kriselt es plötzlich und die Dorfgemeinschaft fordert allerhand Beteiligung. Wegducken ist hier nicht. Und dann fährt Ingo auch noch eine weiße Hirschkuh an, die er und Jäger Uwe anschließend gemeinsam erschießen müssen. Ausgerechnet eine weiße! Hier auf dem Dorf glaubt man, dass, wer eine weiße Hirschkuh tötet, binnen eines Jahres ebenfalls stirbt. Die düstere Prophezeiung verfolgt Ingo und auch Uwe von nun an auf Schritt und Tritt.
Es ist ein sehr realistisches Bild auch von der Landwirtschaft, das man hier gezeichnet bekommt. Sehr viele Tiere. Auch das Schlachten spielt dabei eine große Rolle. Die Sorgen und Nöte der Landwirte – es muss schließlich auch noch irgendwo rentabel sein. Auch die Probleme heutzutage noch eine willige Bäuerin zu finden, die sich das wirklich alles antun will. Völlig veraltete und verkrustete Rollenbilder, die fest in den Köpfen verankert sind, so weit weg von der Stadt noch mehr als anderswo. Hier leben noch die Eltern im Altenteil und müssen ebenfalls versorgt werden. Die Arbeit muss gemacht werden und die Kinder laufen halt mit. Dazu kommen noch diverse soziale Zwänge, denen sich kaum jemand entziehen kann. Wenn man es recht bedenkt ist dies eine Parallelgesellschaft zur Großstadt – kein Wunder, dass manche sich damit schwer tun. Es ist erschreckend, es ist belustigend und vor allen Dingen ist es einfach wahr.
Und dann gibt es Probleme in den Ehen/Familien, die unabhängig von Stadt/Land/Schicht einfach immer wieder auftauchen und stets ähnlich ablaufen. Auch diese erzählt Behm punktgenau treffend.
Der rote Faden ist klar erkennbar, die weiße Hirschkuh. Ansonsten ist es eine recht ruhige Geschichte über die Leben vieler Einzelner und das Ankommen in einer eingeschweißten Gesellschaft, die manches Mal auch ein wenig dahinplätschert.
Auf jeden Fall ein unterhaltsamer, tiefgründiger Roman über das Landleben, von einer Autorin, die sich offensichtlich damit auskennt. 4 Sterne.

Bewertung vom 21.02.2025
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


gut

Der letzte Mord am Ende der Welt – Stuart Turton
Dieser furiose postapokalyptische Krimi ist mein erstes Buch von Turton. Das Setting ist auf jeden Fall ganz große Klasse. 122 Überlebende auf der letzten bewohnten Insel der Welt, umgeben von einem tödlichen Nebel, der nicht durchquert werden kann. Nur ein ausgeklügeltes Abwehrsystem verhindert, dass der Nebel auch diese letzte Insel mitsamt den letzten Überlebenden der Apokalypse verschlingt. Nun wird ausgerechnet die Wissenschaftlerin, die für dieses komplizierte Sicherheitssystem verantwortlich ist, ermordet. Es bleiben nur 107 Stunden um den Mörder zu finden und dem endgültigen Ende der Welt zu entgehen.
Eine wilde Story, deren Zusammenhänge ich ehrlicherweise nicht so ganz durchdrungen habe. Aber das ist vielleicht gar nicht so wichtig. Da ich generell eher keine Krimi-Leserin bin, wurde mir vor allem gegen Ende das Ermittlungsgeschehen fast ein wenig zu viel. Da werden panisch (schon klar, die Zeit läuft) irgendwelche Theorien entworfen und Schuldige vermutet, nur um das Ganze eine Seite später wieder komplett über den Haufen zu werfen. Jede Menge Geheimnisse werden gelüftet, die jeweils die möglichen Motive und Beweggründe wieder verändern und plötzlich neue Tatverdächtige auf den Plan rufen.
Mich hat vielmehr der doch recht spezielle Entwurf einer postapokalyptischen Gesellschaft fasziniert und begeistert. Es gibt eine strikte Hierarchieordnung zwischen den drei Ältesten, die das Sagen haben und der Vielzahl an Dorfbewohnern, die zum Großteil klaglos gehorchen. Diese erst fast gänzlich fehlende Dynamik verändert sich drastisch nach der Mordnacht.
Es sind durchaus spannende Charaktere, die aber gerne noch etwas nahbarer sein hätten dürfen. So richtig kann man kaum eine Figur einschätzen, geschweige denn sich damit identifizieren.
Auf jeden Fall eine interessante Lektüre, die im Gedächtnis bleiben dürfte, auch wenn sie mich nicht hundertprozentig überzeugen konnte.
3 Sterne

Bewertung vom 16.02.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Der Gott des Waldes – Liz Moore
Bereits das Debüt der Autorin „Long Bright River“ konnte mich sehr begeistern. Auf den ersten Blick könnte das Setting unterschiedlicher kaum sein. Während der erste Roman in der Großstadt Philadelphia, regelrecht im Drogensumpf, handelt, befinden wir uns hier nun in einem Sommercamp für Kinder, mitten im Wald in den Adirondack Mountains. Die Stärken beider Romane sind jedoch dieselben: die dunklen Geheimnisse, die tiefgründigen psychologischen Beziehungsgeflechte und der fesselnde Erzählstil.
Es ist Sommer 1975. Barbara Van Laar, Tochter der reichen Eigentümer des Camps und der umliegenden Wälder ist verschwunden. Eine großangelegte Suchaktion beginnt. Auffällig ist, dass ihr Bruder Bear vor 14 Jahren in ebendiesen Wäldern verschwunden ist und niemals wieder auftauchte. Ein Zufall?
Die Geschichte wird grob in zwei Handlungssträngen erzählt, 1961 und 1975. Es gibt diverse Parallelen zwischen den Vermisstenfällen, vor allen Dingen tun sich aber jede Menge Fragen auf. Die Familie Van Laar, aus der beide Kinder stammen, ist reich und unbeliebt. Voller dunkler Geheimnisse, die sie sehr gut zu verbergen wissen. Was ist wirklich passiert?
Vordergründig ist dies ein spannender Krimi. Doch dieser Roman ist noch soviel mehr. Beispielsweise eine Gesellschaftsstudie, die die Themen soziale Ungleichheit, Wohlstandsverwahrlosung, Machtmissbrauch und weibliche Selbstbestimmung behandelt. Umso genauer die Ermittler den Blick auf die Familie richten, desto größere Abgründe tun sich auf. Aber haben die Van Laars auch etwas mit dem Verschwinden der Kinder zu tun, oder ist hier doch eher der aus dem Gefängnis entflohene „Schlitzer“ verantwortlich?
Liz Moore schreibt packend und zugleich tiefgründig. Etliche der vielen Figuren werden detailliert und bildlich vorstellbar beschrieben. Psychologisch sehr fein. Das ist spannend. Wie aus unzähligen Puzzleteilen ergibt sich nach und nach ein Ganzes. Dabei muss man durchaus gut aufpassen, denn die Handlung springt zwischen den Strängen und damit auch den beiden Vermisstenfällen hin und her. Außerdem werden die Geschichten aus den unterschiedlichen Perspektiven mehrerer Figuren erzählt, die Dinge nicht immer gleich wahrnehmen.
Die Seiten fliegen nur so dahin und ich fühlte mich bestens unterhalten.
5 Sterne, eine tolle Autorin!

Bewertung vom 09.02.2025
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Von hier aus weiter – Susann Pasztor
Marlenes Mann Rolf hat sich nach dreißig Jahren Ehe umgebracht und stürzt seine Frau in tiefe Perspektivlosigkeit. Am liebsten würde sie ihm direkt folgen, bis der Klempner Jack vor ihrer Tür steht – und nicht mehr geht. Er ist der perfekte Mitbewohner und Trauerbegleiter. Er kocht für Marlene, hat immer ein offenes Ohr und holt sie Stück für Stück wieder ins Leben zurück.
Susann Pasztor hat einen unvergleichlichen Schreibstil. Sie schafft es, ein so ernstes Thema dermaßen locker rüberzubringen, dass es eine wahre Freude ist. Auch ihre Figuren sind einfach außergewöhnlich. Außergewöhnlich authentisch, da sie so viele Makel und Mängel haben, dass man sie einfach sofort sympathisch findet und sich in so vielem wiedererkennt.
Auf eine unglaublich direkte, unerschrockene Art und Weise nähert sich die Autorin durchaus schwierigen Themen wie Suizid und Tod. Im Verlaufe des Romans kann man an der Protagonistin Marlene wunderbar die verschiedenen Phasen der Trauerarbeit beobachten. Und dabei wird die Lektüre niemals zu schwer oder bedrückend. Im Gegenteil sogar hat man immer wieder ein Lächeln auf den Lippen, angesichts des trockenen Humors einerseits und der langsamen Fortschritte Marlenes andererseits. Es ist schon eine Kunst, ein derart negativ behaftetes Thema so empathisch und gleichzeitig humorvoll zu verarbeiten. Ein sehr leichter, lebensbejahender Roman, auch wenn der Klappentext anderes vermuten lässt.
Ein besonderes Leseerlebnis, bei dem die Seiten gerade so dahinfliegen.
5 Sterne.

Bewertung vom 07.02.2025
Crouch, Sarah

Middletide - Was die Gezeiten verbergen


sehr gut

Middletide – Was die Gezeiten verbergen – Sarah Crouch
Nach vielen Jahren kehrt Elijah Leiths zurück in die kleine Küstenstadt Point Orchards am Pazifik. Sein Traum als Schriftsteller erfolgreich zu werden, hat sich leider nicht erfüllt. Nun muss er erkennen, dass es ein Fehler war, damals seinen Vater und seine Jugendliebe Nakita zurückzulassen. Während er sich Nakita langsam wieder annähert, geschieht ein Mord, getarnt als Selbstmord. Es ist fast identisch die Situation aus Elijahs einzigem erschienenen Roman – Middletide. Und so ist es kein Wunder, dass er schnell in den Fokus der Ermittler gerät.
Ein unterhaltsamer Pageturner, der tatsächlich recht stark an den ein oder anderen Bestseller der vergangenen Jahre erinnert, allerdings leider ohne den literarischen Anspruch. Dafür ist dieses Werk sehr amerikanisch – das kann man mögen, muss man aber nicht. Wenn man es einfach als nette Unterhaltungsliteratur liest, ist es klasse. Mehr sollte man aber nicht davon erwarten.
Ich mochte diese Geschichte ganz gerne. Die Natur spielt eine große Rolle und schafft eine tolle Atmosphäre. Obwohl der Plot kaum Neues bereithält, habe ich mit dieser Entwicklung so nicht gerechnet. Gerade die Auflösung hat mich trotz aller Hinweise überrascht und nachdenklich gemacht.
Nakita ist Angehörige eines indigenen Stammes und lebt in einem Reservat. Eigentlich eine grandiose Vorlage sich näher mit deren Kultur, Hintergründen etc. zu beschäftigen. Leider wurde diese überhaupt nicht genutzt – wirklich schade.
Insgesamt eine leichte, spannende Lektüre. Dem Vergleich mit ähnlichen Romanen hält dieses Buch aber nicht stand.
4 Sterne

Bewertung vom 06.02.2025
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


gut

Achtzehnter Stock – Sara Gmuer
Wanda lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie im achtzehnten Stock einer Berliner Plattenbausiedlung. Die Lebenssituation wird sehr anschaulich beschrieben und wie ich als absolutes Landei mir das so vorstelle, auch sehr authentisch.
Gerade der Anfang konnte mich gleich fesseln, denn Karlie wird ernsthaft krank und muss ins Krankenhaus. Wanda findet sich wieder zwischen der Sorge um ihre Tochter und diversen Verpflichtungen, die sie nicht wahrnehmen kann, da sie bei Karlie bleiben muss. Das Geld ist knapp und die Aufträge als angehende Schauspielerin rar. Auch hier gerät sie ständig in die Zerreißprobe zwischen Mutterschaft und Job. Gerade auch die Schattenseiten der Medienwelt, der Reichen und Schönen, werden sehr gut dargestellt. Mir persönlich erschließt sich allerdings nicht, warum Wanda sich und ihre Tochter nicht zumindest übergangsweise mit einfachen Jobs über Wasser hält. Generell ist sie eine etwas blauäugige Person, die von ihren Träumen und der Hand im Mund lebt. Dass sie ihrer Selbstverwirklichung doch noch ein Stück näherkommt, hat viel mit Glück zu tun.
Die zeitliche Einordnung während der Corona-Pandemie mochte ich überhaupt nicht. Masken- wie Impffrage wurden meiner Meinung nach bereits genug diskutiert und werden auch eher unbefriedigend teilweise in Nebensätzen angerissen. Das hätte ich hier nicht gebraucht, insbesondere da es auch keinerlei Mehrwert bringt.
Der Erzählstil ist sehr eingängig und flüssig – der Plauderton einer jungen Frau und Mutter. Auf jeden Fall ist diese Geschichte sehr unterhaltsam, allerdings auch etwas oberflächlich. Viele plakative Sätze, die tatsächlich manchmal wunderbar sind. Dann aber auch wieder Allgemeinplätze, zum Augen verdrehen. („Kinder mögen…, Kinder wollen nicht…“)
Irgendwie soll diese Geschichte so etwas wie den American Dream verkörpern: auch im achtzehnten Stock eines Plattenbaus kann man am Ende noch entdeckt werden und die ganz große Karriere machen. Wanda ist mir da zu lahmarschig unterwegs – vom Ärmel hochkrempelnden Tellerwäscher ist da wenig zu spüren.
Insgesamt ein schnell lesbarer, unterhaltsamer Roman, der durchaus seine guten Momente hat, mich aber dennoch nicht ganz erreicht hat.
3 Sterne

Bewertung vom 02.02.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Für Polina – Takis Würger
Dieser Roman hat mich bereits ab der ersten Seite gefesselt und bis zum Ende nicht mehr losgelassen. Er beginnt ganz beim Anfang mit Hannes‘ Geburt und dessen Mutter Fritzi. Im Krankenhaus im Bett nebenan liegt Baby Polina mit ihrer Mutter. Dies ist der Beginn einer jahrzehntelangen innigen Freundschaft und später auch Liebe zwischen Polina und Hannes.
Es ist dieser ganz besondere Schreibstil des Autors, der diesen Roman so großartig macht – seine leichtfüßige Art zu erzählen - sein liebevoller und humorvoller Blick auf seine Figuren. Und davon gibt es einige extrem schrullige und liebenswerte in dieser Geschichte. Überhaupt scheint bei Würger niemand perfekt zu sein. Die auf den ersten Blick absonderlichsten, schrulligsten Charaktere, offenbaren auf den zweiten Blick das gutmütigste Innere.
Polina und Hannes sind von Anfang an ein recht ungleiches Paar. Während Polinas Intelligenz schnell offensichtlich wird, lässt sich Hannes Zeit mit seiner Entwicklung. Er ist langsam und schnell überfordert. Mit fremden Menschen kann er kaum etwas anfangen. Für ihn wird später die Musik sein großes Talent und sein Tor zur Welt. Die beiden Kindheitsfreunde verlieren sich immer wieder aus den Augen. Jeder muss für sich seinen eigenen Weg ins Leben finden und als Polina schon für ihn verloren scheint, erinnert sich Hannes wieder an die Macht seiner Musik.
Eine wunderbare traurig-schöne musikalische Liebesgeschichte. Einfach grandios geschrieben.
5 Sterne

Bewertung vom 31.01.2025
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Halbe Leben – Susanne Gregor
Was am Ende passiert, erfährt man gleich auf der allerersten Seite – die schwangere Klara verunglückt bei einer Wanderung tödlich. Bei ihr ist nur die slowakische Pflegerin ihrer alten Mutter Irene – Paulina. Dieser sehr ruhige und nachdenkliche Roman beschäftigt sich nun mit der Beziehung zwischen Paulina und ihrer österreichischen Arbeitgeberfamilie.
Was ist passiert zwischen dem ersten sympathischen Aufeinandertreffen und diesem verhängnisvollen „Unfall“? Klara und ihre Familie machen sich wenig Gedanken darüber, dass Paulina zuhause, in der Slowakei ebenfalls zwei Kinder hat, die sie immer wieder wochenlang bei der Schwiegermutter zurücklassen muss. Tatsächlich sind es sehr unterschiedliche Lebensbedingungen, denen sich Klara und Paulina gegenübersehen. Gegenseitiges Unverständnis führt zu einer schleichenden Verschlechterung ihrer Beziehung. Klara verwechselt Freundschaft mit finanzieller Abhängigkeit und macht mit diversen gönnerhaften Zuwendungen alles nur noch schlimmer. Im Grunde genommen ist es jedoch das gleiche Problem, das beide Frauen umtreibt: die Zerrissenheit zwischen Familie und Beruf.
Dieser Roman sollte vielen Frauen aus der Seele sprechen. Die praktische Unvereinbarkeit von Kindern und Karriere ist nach wie vor ein Problem in unserer Gesellschaft. Ebenso das verzweifelte Gefühl, allein gelassen zu werden. Die eine, Paulina, muss ihre Kinder zurücklassen um in der Fremde genug Geld für ihren Lebensunterhalt aufzubringen, indem sie sich um die Angehörigen einer anderen Frau kümmert. Die andere, Klara, hat hohe Ansprüche an ihre Karriere, was sie aber nicht mit der Betreuung ihrer Tochter und ihrer Mutter vereinbaren kann. Hier wie dort ist ein schlechtes Gewissen und das Bewusstsein, dass immer etwas zu kurz kommt, allgegenwärtig. Die Männer kommen nicht gut weg. Klaras Mann ist gutmütig und geduldig mit der „, sieht aber dennoch nicht, was seine Frau braucht und macht mit gutem Gewissen immer alles falsch. Der Vater von Paulinas Kindern hatte weniger Geduld und hat sich bereits vor Jahren eine Jüngere gesucht. Hier werden nun zusätzlich die Grenzen bzw. Nachteile einer bezahlten Pflegekraft aus dem Ausland thematisiert. Mit nicht einmal 200 Seiten ist dies eine eher kurze Geschichte, die jedoch alles sagt und mit Wucht einschlägt.
Das Werk fesselt mit seiner eingängigen Sprache und der Unfallsituation ganz am Anfang ab der ersten Seite. Auf eine sehr unaufgeregte eher psychologische Art und Weise ist dieser Roman extrem spannend, denn schnell wird klar, dass es sich hierbei um sehr komplexe und unterschwellige Zusammenhänge handelt. Die Autorin beobachtet genau und steigt psychologisch sehr tief in die Gedanken- und Gefühlswelt ihrer Figuren ein.
Hervorragend, 5 Sterne.