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Top-Rezensenten Übersicht

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Ute54
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Tostedt

Bewertungen

Insgesamt 82 Bewertungen
Bewertung vom 18.12.2022
Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Der große Coup des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.1


ausgezeichnet

Liebenswerte Gauner

Ein bereicherndes Werk für Südfrankreichkenner und solche, die es werden wollen. Das Lokalkolorit wir perfekt dargestellt, besonders,da die Kleinkriminellen im krassen Gegensatz zu den Reichen leben, die in Port Grimaud, wie auch an vielen anderen Orten der südfranzösischen Mittelmeerküste, ihre luxuriösen Sommersitze haben und mit ihrem tollem Lebensstil angeben. Das erzeugt natürlich Neid bei der ärmlichen, ständig dort lebenden Bevölkerung und führt zu Gaunereien, die von den Reichen, welche die meiste Zeit des Jahres abwesend sind, nicht bemerkt werden.
So träumt der Hausmeister Lipaire vom großen Coup, um am viel Geld zu kommen, damit er auch so ein luxuriöses Leben führen kann. Da er in einer Villa eine Leiche gefunden hat, wittert er seine Chance.
Leider führt er sein Vorhaben aber so dilettantisch durch, dass das Werk eher an eine Komödie erinnert. Es gibt viele Zufälle, was manchmal dazu führt, dass der Roman etwas unglaubwürdig wirkt. Der Protagonist geht so unvorsichtig vor, dass sich nach und nach 5 weitere Ortskundige dazugesellen, die auch vom großen Geld träumen. Ihr stümperhaftes Verhalten hat mich oft schmunzeln lassen, und natürlich hätte Louis de Funès noch gut dazu gepasst. Man könnte perfekt einen Film vo dem Buch drehen. Besonders dämlich wir der Priester dargestellt, der sich „angeblich“ immer hinters Licht führen lässt, aber wer weiß...
Lizzi, die 84- jährige Lebedame, wird sehr lebensnah dargestellt und hat mir besonders gut gefallen. Aber auch die ganze „Gurkentruppe“ ist sehr individuell, wenn auch teilweise klischeehaft, portraitiert.
Der Schreibstil ist flüssig und leicht zu lesen, was durch die kurzen Kapitel unterstützt wird. Gut ist auch das Register zur Erklärung französischer Termini am Ende.
Das Cover ist ein toller Hingucker. Sofort wird Urlaubsatmosphäre evoziert durch den meeresblauen Hintergrund, die Palmen und das Meer. Aber der Clou ist die Hand im Zentrum in den französischen Nationalfarben und Glanzoptik. Ebenso sind die 3 Lesebändchen in den Nationalfarben.
Dieser Roman ist als Auftakt zu einer Buchreihe geplant, und ich bin schon gespannt auf die Folgewerke.
Mir hat das Werk gut gefallen, denn es ist kein klassischer Krimi mit Mord und Totschlag, sondern ein sanfter Gaunerroman.
Ich freue mich schon darauf, mehr von den Unverbesserlichen lesen zu dürfen.

Bewertung vom 01.11.2022
Shorty
Maurer, Jörg

Shorty


ausgezeichnet

Wer glaubt an den Weltuntergang?
Das sehr minimalistische Cover gibt Rätsel auf, denn es wird ein Roman in einer Konservendose im Zentrum auf schwarzem Hintergrund präsentiert. Dazu der Name des Autors und des Protagonisten Shorty in riesigem grellen Weiß. Wer den Roman gelesen hat, weiß allerdings, was es damit auf sich haben könnte!
Der Autor, Jörg Maurer, war mir bisher unbekannt, umso mehr war ich von seinen ganz unüblichen erzählerischen Regeln und seinem hintergründigen Witz begeistert. Natürlich kann man davon ausgehen, dass seine Rolle als Kabarettist ihn dazu angespornt hat.
Wir haben hier also ein völlig neuartiges Werk vor uns liegen. Besonders gefallen mir die Faktenchecks zwischendurch und die sehr originelle Idee, die einzelnen Kapitel mit Weltuntergangsszenarien von bekannten Personen oder auch aus bedeutenden Schriften einzuleiten. Somit wird der Leser immer wieder mit der Nase darauf gestoßen, welches die zugrundeliegende Problematik ist, allerdings mit einem Augenzwinkern.
Der Protagonist Shorty ist in beruflicher wie privater Hinsicht ein Loser. Der Autor hat ihn sehr gut und individuell charakterisiert. Als er den Auftrag erhält, Sabotage zu begehen, um die Welt zu retten, hinterfragt er die Aktion nicht, fühlt sich geschmeichelt und ist beleidigt, dass man ihn für die gefährliche, gescheiterte Aktion verantwortlich macht. Er ist äußerst naiv, lässt sich fremdsteuern und bleibt ein völlig unbedeutendes Rädchen in einer riesigen Maschinerie. Schließlich landet er in unbekannten Universen und erhält einen völlig anderen Blick auf unsere Welt, unsere Gesellschaft. Somit wird aktuelle Gesellschaftskritik mitverarbeitet, was mich begeistert hat.
Es gibt aber auch andere gut gezeichnete Charaktere, zwar rätselhaft, aber in sich stimmig und glaubwürdig.
Spannung wird dadurch erzeugt, dass nach und nach die Informationen zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Der Leser bleibt also gerne am Ball! Dieses Werk ist sehr fantasievoll, unterhaltsam, aber auch etwas aberwitzig. Es kann dem Bereich Fantasy zugeordnet werden.
Ich konnte mich mit dem angenehmen, spritzigen Schreibstil und dem sehr speziellen Witz sehr schnell anfreunden und habe das Werk in kürzester Zeit verschlungen.
Eine absolute Leseempfehlung von mir für die Leserinnen und Leser, die auch einmal das Andersartige und Besondere ausprobieren wollen.

Bewertung vom 31.10.2022
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


ausgezeichnet

Manipulation, Individuum und Politik.
Nachdem ich im Urlaub den letzten “Schätzing” mit 727 Seiten gelesen hatte und häufig unbekannte technische Termini nachgoogeln mußte, erschien mir “ Lektionen” von Ian McEwan unkompliziert, obwohl dieses Werk mit über 700 Seiten, eines mir bis dahin unbekannten Autors, durchaus eine Herausforderung darstellt.
Das Cover spielt wohl auf die Klavierstunden mit seiner Lehrerin, Miriam Cornell, an, die große Auswirkungen auf sein späteres Leben haben. Das Cover in schreienden Farben ist sehr passend zur Lektüre gewählt, also ein Hingucker.
Dieser Roman beschreibt die komplette Lebensgeschichte des Roland Baines, eines fiktiven Charakters, dessen privates Leben mit seinem häufigen Auf und Ab dem Leser dargelegt wird. Dabei nimmt der Autor auf das politische und gesellschaftliche Leben der letzten 80 Jahre Bezug. Das hat mir an diesem Roman besonders gut gefallen, denn ich mag Werke mit realhistorischen Bezügen, deren Rekapitulation einen wertvollen Bildungswert enthalten.
Roland Baines strebt als Erwachsener einen Idealzustand, ein unbeschreibliches Glücksgefühl, an, dass er durch Miriam kennengelernt hatte, und jetzt wieder erreichen will. Jedoch scheitert er immer wieder, bis er durch die Heirat mit Alissa am Ziel seiner Träume zu sein glaubt. Aber es folgt wieder eine Enttäuschung, da sie ihn verlässt und ihn mit dem gemeinsamen Baby zurücklässt, denn sie strebt nach beruflicher Selbstverwirklichung. McEwan verarbeitet hiermit auch das Motiv in der moralischen Verwerflichkeit eines Individuums aus persönlichen, egoistischen Lebenszielen.
Als Charakter wird Roland Bains sehr vielschichtig dargestellt. Der Leser erlebt seine Entwicklung in Rückblenden, die uns sein “Problem” und die daraus seine resultierende Zerrissenheit darlegen, welches im Verlauf der Geschichte immer mehr beschrieben wird. Sein innerer Bewußtwerdungsprozeß wird verdeutlicht und seine Selbstreflexionen über seinen psychischen Zustand.
Die Sprache ist sehr abwechslungsreich. Es wechseln sich Passagen mit philosophisch anmutenden Betrachtungen auf hohem intellektuellem Niveau mit einfacher Narration und Dialogen ab.
Dieses Werk hat mir gut gefallen. Es wendet sich an anspruchsvolle Leserinnen und Leser, die ein wenig literarische Vorbildung haben sollten, denn es wird häufig auf Schriftsteller, besonders aus dem englischen / irischen Sprachraum, Bezug genommen.

Bewertung vom 05.10.2022
Die Welt kippt
Tschischwitz, Heiko von

Die Welt kippt


ausgezeichnet

Ist die Welt noch zu retten?
Der erste Roman von Heiko von Tschischwitz ist realitätsnah mit höchst interessanten und beängstigenden politischen Hintergründen, welche die sehr unterschiedlichen Interessen des Westens und Chinas hinsichtlich der Klimakatastrophe deutlich machen.
Das Werk ist gut recherchiert und betrachtet die Umweltproblematik aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob alle ernsthaft versuchen, die Welt zu retten oder einige nur an ihren Profit denken.
Das tiefrote Cover stimmt perfekt mit seiner Farbwahl auf das Thema Hitze und Klimawandel ein. Ein Hingucker in jedem Buchladen!
Mal ganz abgesehen vom Inhalt ist dieser Text sprachlich überzeugend. Ein rasanter Start und ein tolles Ende! Der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufgebaut, man ist beim Lesen sofort dicht an den Figuren dran und kann sich mit manchen identifizieren. Einige Figuren sind allerdings etwas flach.
Die Dialoge sind lebendig und authentisch, der Text entwickelt einen unglaublich starken Sog, und man will unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Der Text ist nicht unnötig mit Nebensächlichkeiten aufgebläht, deshalb ist es leicht, am Ball zu bleiben.
Würze erhält dieser Roman durch plötzliche Wendungen, Überraschungseffekte und viel Unvorhergesehenes. Dieses brandaktuelle Thema hat mich in der hier ausgefertigten Fassung völlig überzeugt.

Bewertung vom 26.08.2022
Das Funkeln der Sehnsucht / New Hope Bd.4
Bloom, Rose

Das Funkeln der Sehnsucht / New Hope Bd.4


ausgezeichnet

Kleines Glück auf Umwegen
“ New Hope - Das Funkeln der Sehnsucht” ist Band 4 der “New Hope Reihe” der Autorin Rose Bloom.
Ich hatte schon viel von den Vorgängerbänden gehört, jedoch ist dieser gefühlvolle Liebesroman, gespickt mit Kritik am amerikanischen Schulsystem, das erste Werk, welches ich von dieser Autorin mit Begeisterung in kurzer Zeit verschlungen habe.
Das helle Blau des Covers wirkt beruhigend und die Haptik birgt einen Überraschungseffekt. Es passt perfekt zu dieser Handlung.
Das Setting ist die fiktive Kleinstadt New Hope in den USA, die gut vorstellbar beschrieben wurde.
Die Charaktere sind der Autorin prima gelungen.
Besonders in den Protagonisten Jackson, ein Arzt, konnte ich mich gut hineinversetzen. Während seiner Schulzeit war er ein Mobbingopfer und er hat den Ort verlassen. Jetzt ist er notgedrungenermaßen zurückgekehrt, da er dort von seiner Tante, bei der er aufgewachsen ist, eine kleine Pension in diesem Ort geerbt hat. Aber es überfallen ihn all die schlechten Erinnerungen an seine Schulzeit dort.
Die weibliche Protagonistin ist Cassie, die Jackson von früher kennt. Der Roman wird aus den Sichtweisen der beiden Hauptprotagonisten geschildert. Rückblenden dienen der besseren Beleuchtung des Seelenzustandes von Jackson, der Handlung generell. Diese Liebesgeschichte ist gespickt mit vielen Gefühlen und Emotionen, ohne kitschig zu wirken. Deshalb habe ich das Werk sehr gerne gelesen, zumal der locker zu lesende Schreibstil eine zügige Lektüre ermöglicht.
Ich habe große Lust, auch die 3 Vorgängerbände zu lesen. Generell leichte Sommerlektüre, aber auch mit Tiefgang, die ich jeder romantisch angehauchten Leserin empfehlen kann.

Bewertung vom 20.08.2022
Die Rückkehr der Kraniche
Fölck, Romy

Die Rückkehr der Kraniche


ausgezeichnet

Natur in der Elbmarsch
Dieser Familienroman mit seiner norddeutschen Atmosphäre hat alle meine Erwartungen erfüllt. Bereits das Cover vermittelt eine entschleunigende Atmosphäre voller Romantik und Melancholie. Die wunderschön beschriebene Natur im Hamburger Elbumland, mit allen dort lebenden Tieren, lässt den Leser in eine fremde Welt eintauchen. So ist auch die Dorfatmosphäre, die jeden diskreiminiert, der sich nicht genau spurgenau verhält, sehr realistisch beschrieben.
Das alte Haus inmitten der Elbmarsch ist das Zuhause der 50-jährigen Vogelwartin Greta und Wilhelmine, Wilhelmine, ihrer sehr herrischen, alten, Mutter die immer schwächer wird. Ihre Schwester Freya, die sich dem bedrückenden Dorfleben entziehen konnte und Karriere in Berlin gemacht hat, kommt zu Besuch, ebenso wie Anne, ihre in Bremen dauerstudierende Tochter. Sie wollen Wilhelmine in ihrer vermutlich letzten Zeit beistehen.
Alle Frauen hatten völlig verschiedene Lebensentwürfe, teils gewählt, teils aus der Not heraus geboren. Sie werden sehr authentisch beschrieben. Besonders gut gefällt mir die Beschreibung von Wilhelmine, die ihre Töchter allein durchbringen musste. Sie steht für viele Frauen auf dem Lande in der Nachkriegszeit, die niemals die Chance hatten, sich selbst zu verwirklichen, geschweige denn ihr Dorf zu verlassen. Zu Arbeit von früh bis spät waren sie verdammt.
Der Perspektivwechsel gibt einen guten Einblick in das jeweilige Seelenleben der vier Hansen - Frauen. Wird Greta noch ungelebte Träume verwirklichen können? Auch sie hat immer in dem abgeschiedenen Dorf gelebt und hat den Resthof in Schuss gehalten. Die Themen sind auch das Älterwerden, der unerfüllte Kinderwunsch, ein unterdrücktes Liebesleben, das Verlassenwerden und Neuorientierung.
In allen Frauen stecken viele Geheimnisse. Aber werden sie ihr Leben verändern können, zumal das Reden miteinander schwerfällt?
Allen ist auf ihre jeweilige Weise die Natur wichtig Grete als Vogelwartin, Freya verkauft grüne nachhaltige Produkte, Anne studiert Umweltfragen, Wilhelmine ist nur in dieser grünen Landschaft glücklich.
Der ruhige sehr bildhafte Erzählstil ist Balsam für die Seele, ohne langweilig zu sein, denn man ist immer auf den Fortgang der Erzählung gespannt und wartet auf die sich sehr langsam anbahnende emotionale Annäherung der Frauen, die teilweise unnahbar wirken. Also typisch norddeutsch?
Ich kann dieses Werk Jedem empfehlen, der an komplizierten Familiengeschichten interessiert ist und einen Einblick in die Natur der norddeutschen Elbmarsch schätzt. Mich hat dieser Roman sehr begeistert, daher 5 Punkte

Bewertung vom 02.08.2022
Susanna
Capus, Alex

Susanna


sehr gut

Ich lebe wie es mir gefällt
“Susanna” ist mein erstes Werk von Alex Capus. Da es sich bei ihm um einen Schweizer handelt, entsprechen etliche Ausdrücke nicht dem Hochdeutschen, können aber aus dem Zusammenhang entschlüsselt werden.
Das Cover gefällt mir gut, denn die dargestellte Brooklyn Bridge symbolisiert den Fortschritt in der Neuen Welt. Neben Dampfmaschinen und Glühbirnen wird die maschinelle Industrialisierung als Motor für das veränderte Leben der Bevölkerung dargestellt. Die “First Nations” jedoch kämpfen ums Überleben, werden ihrer Kultur beraubt und leben in Reservaten. Auflehnung ist kaum machbar, da die Kavallerie zur Unterdrückung bereitsteht. Die Rechtmäßigkeit dieses Verhaltens wird aber nirgendwo im Roman hinterfragt.
Capus zeichnet die Lebensgeschichte von Susanna Carolina Faesch, die als Malerin Caroline Weldon bekannt wurde, allerdings werden erst Fakt und Fiktion zu diesem Werk.
Als Kind einer wohlhabenden Familie kann sich die Protagonistin des Romans bereits stark durchsetzen. Ihre Mutter bedrückt die kleinbürgerliche Enge ihrer Ehe, und sie beschließt nach New York zu Karl Valentiny auszuwandern, in den sie bereits vorher verliebt war. Dort wächst Susanna in Brooklyn auf, kann bereits als Jugendliche ihr künstlerisches Talent entwickeln und eigenes Geld durch Portraitmalerei verdienen. Sie heiratet einen Arztkollegen ihres Stiefvaters, aber die Ehe bleibt kinderlos. Nach einer Affäre wird sie schwanger, jedoch verlässt sie ihr Ehemann daraufhin.Sowohl Christy, ihr Sohn, als auch Susanna sind fasziniert von den Ureinwohnern. Auch er ist sehr durchsetzungsstark. So fahren Mutter und Sohn, als er 13 Jahre alt ist, zu Sitting Bull im Dakota Territorium. Aber im Anschluss an diese Begegnung endet das Buch unvermittelt, was mich sehr verwundert und enttäuscht hat.
Es wird deutlich, dass Susanna, aufgrund einer Erbschaft, ihrem Leben freien Lauf lassen kann. Auch kann der Leser verfolgen, wie sie, aufgrund ihres sehr unabhängigen Lebensstils, in Brooklyn nicht diskriminiert wird. Wir haben immerhin die erzkonservative Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts!
Die Protagonistin ist sehr detailliert und individuell gezeichnet und somit als außergewöhnlich dargestellt. Aber auch die meisten anderen Figuren sind authentisch und gut beschrieben. Dieser Stoff ist mal etwas Anderes!
Die gewählte Erzählweise ist flüssig, sehr bildhaft und fördert den Lesefluss. Allerdings gibt Capus oft eine zu detaillierte Beschreibung der Personen und besonders der Landschaft, dem Setting generell. Bei “schlüpfrigen” Themen hingegen macht er nur Andeutungen.
Er liefert einen guten Einblick in die damalige Zeit, jedoch sind die die Detailbeschreibungen, besonders im ersten Teil, für mich zu langatmig. Das geht zu Ungunsten der Handlung. Daher ein Punkteabzug.

Bewertung vom 16.07.2022
Violeta
Allende, Isabel

Violeta


ausgezeichnet

Violetas Leben
Das Cover mit der wunderschönen Violeta im Profil und den exotischen Blumen passt perfekt zu dem südamerikanischen Setting und stimmt auf den Roman ein.
Dieses ist mein erstes Werk von Isabel Allende, und ich bin von der Thematik und dem anschaulichen, leicht verständlichen und atmosphärischen Schreibstil begeistert.
Allende liefert einen mitreißenden Rückblick auf Violetas hundertjähriges Leben, angefangen von ihrer Geburt während der Spanischen Grippe bis zu ihrem Lebensende zu Beginn der Corona- Pandemie.
Violeta wird in der Hauptstadt in einer vermögenden Familie als einziges Mädchen nach 5 Söhnen in die Familie del Valle geboren.
Von Anfang an versteht sie es, ihren sehr starken Willen durchzusetzen. Sie wird sehr verwöhnt und kann sowohl von ihrer Mutter als auch von ihren beiden Tanten nicht gebändigt werden. Das schafft erst ihr irisches Kindermädchen, Josephine Taylor, die ihr eine lebenslange Freundin bleibt.
Ihr ist bewusst, welch ein außergewöhnliches Leben sie geführt hat. Somit ist die Erzählung aus Violetas Sicht aufgebaut, und sie schreibt Ihrem Enkel, den sie direkt anspricht, jedes Detail ohne Scham. Ihr Leben hat viele Höhen und Tiefen, in beruflicher wie in privater Hinsicht. Sie beschreibt ihre innersten Gefühle und unterwirft sich gerade in Liebesdingen in keinerlei Hinsicht. Etliche ihrer Beziehungen sind sehr sexuell bestimmt. Dabei kommt ihre Ehrlichkeit zutage, indem sie angibt, auch deswegen ihre Kinder vernachlässigt zu haben.
Als Frau in ihrem sehr konservativen Heimatland gelingt es ihr, finanziell sehr erfolgreich zu sein, so dass sie ihr Leben nach ihren, für die damalige Zeit sehr ungewöhnlichen, Vorstellungen leben kann.
Besonders interessant finde ich die Exkurse auf die politische Situation in ihrem Heimatland, aber auch weltweit. Gerne habe ich diverse Fakten gegoogelt, um einen weitgefächerten Überblick zu erhalten.
Sie beschreibt, wie in Südamerika Unterdrückung und die Verfolgung politischer Gegner an der Tagesordnung sind. Indigene sind oftmals rechtlos. Die gesellschaftliche Rolle der Frau wird beleuchtet und hinterfragt, ebenso Homosexualität und gesellschaftspolitische Themen.
Im Verlauf ihres Lebens helfen ihr immer wieder Freunde aus einem Tief, aber auch Familienangehörige.
Diese Figuren wirken sehr authentisch und sind exakt beschrieben.
Interesse am Weiterlesen wird erzeugt durch Vorgriff auf folgende Kapitel, in denen die Problematik näher erläutert wird.
Ich habe dieses ungewöhnliche Buch immer wieder aus der Hand gelegt, um die angesprochene Situation zu reflektieren. Dabei habe ich viele interessante Denkanstöße bekommen und kann es nur wärmstens weiterempfehlen.

Bewertung vom 03.06.2022
Schlaflos auf Sylt
Thesenfitz, Claudia

Schlaflos auf Sylt


ausgezeichnet

Überraschungsparty zum 50. Geburtstag
Das Cover gefällt mir sowohl von den dargestellten fröhlichen Frauen her als auch von der typischen Nordseelandschaft sehr gut.
Die Protagonistin Merle wird 50 Jahre alt und möchte diesen Tag in Ruhe mit ihren Eltern in der Sansibar auf Sylt verbringen. Jedoch haben ihre Schwestern eine überdimensionale Geburtstagsfeier organisiert, zu der 50 Überraschungsgäste geladen sind, darunter ehemalige Affären, Lebensgefährten, eine Lehrerin, eine alte Chefin, Freunde aus der Kindheit. Also auch etliche Personen an die sie schmerzvolle Erinnerungen hat und die sie sich niemals eingeladen hätte. So kommt es auch zu vielen peinlichen Momenten.
Merle bezeichnet sich selbst als “normal”, ohne exaltierte Hobbys und ohne ehrgeizige Lebens- und Karriereziele. Sie hat sich immer angepasst, wurde trotzdem von ihrem Lebensgefährten verlassen. Es können sich sicherlich viele Frauen mit ihr identifizieren. Ich nicht. Aber es gibt etliche Rückblenden auf ihr früheres Leben, die auch mich zum Nachdenken veranlasst haben.
Das Werk ist ein Glücksroman, und so erörtert sie auch mit etlichen Gästen, was für diese jeweils Glück bedeutet. Dabei kommen sehr unterschiedliche Lebensentwürfe zutage.
Wir haben einen sehr lockeren Schreibstil mit einer Anhäufung urkomischer Situationen und sehr zum Schmunzeln anregenden Wortschöpfungen. Völlig absurde Situationen werden dargestellt, immer mit einem Augenzwinkern der Autorin. Ausgewählte Figuren sind sehr individuell gezeichnet. Es soll ein spaßiges Lesevergnügen sein mit schon Slapstick artigen Einlagen. Das Ganze lässt mich stark an “Renate Bergmann” denken. Wer also ein Durcheinander auf einer Party für Wohlhabende mit vielen nervigen Momenten und Peinlichkeiten schätzt, der findet hier seine perfekte Urlaubslektüre, denn die Action ist abwechslungsreich und humorvoll. Wer allerdings viel Tiefgang erwartet, der kommt kaum auf seine Kosten.

Bewertung vom 24.05.2022
Schmelzpunkt
Harlander, Wolf

Schmelzpunkt


ausgezeichnet

Umweltkatastrophe in der Arktis
Das Cover mit dem schmelzenden Eis in schreienden Grün - Blautönen führt perfekt in die Problematik ein.
Harlander verbindet in seinem Thriller höchst aktuelle Themen mit einer sehr spannenden fiktionalen Katastrophe. Aber der Realitätsgehalt ist äußerst alarmierend denn, durch die geostrategische Lage der Arktis und die dort vorkommenden Rohstoffe,, hat bereits jetzt ein Kampf der Russen, der Chinesen und diverser anderer Nationen um das Territorium eingesetzt. Durch das Schmelzen des Packeises werden neue Seewege möglich, und die Nordostpassage gewinnt an Bedeutung. Tatsächlich hat ein Institut aus Bremen bereits dort Fuß gefasst.
Der Klimawandel ist eines der bedrohlichen Themen unserer Jetztzeit. Ist die Umweltkatastrophe in der Arktis noch aufzuhalten? Die Gletscher schmelzen unumkehrbar, denn die Erwärmung des Nordpols ist real. Diese Situation wird den Menschen in Europa immer mehr Extremwetter bescheren: Stürme, Dauerregen, Überschwemmungen und Dürreperioden.
Wie in “Systemfehler” treten die BND - Mitarbeiter, Dijana und Nelson, auf welche verdeckt am Polarkreis ermitteln sollen. Die unterschiedlichen Perspektiven werden auch aus der Sicht des Touristenführers Nanoq und der Biologin Hanna beleuchtet.
In einem schnörkellosen, eingängigen, leicht verständlichen Schreibstil wird der Leser geführt. Harlander bedient sich der Technik des “Cliffhangers”, indem er im Wechsel die Ereignisse um Nelson und Diana darlegt, dann aber die Vorgehensweise Dr. Jordans beziehungsweise Nanoqs erläutert. Somit muss man einfach weiterlesen! Tolle Naturbeschreibungen runden das Bild ab.
Inhaltlich findet der Inuit Nanoq auf Grönland zahllose verendete Fische und Vögel, jedoch ohne äußere Verletzungen. Die Biologin, Dr. Hanna Jordan, kommt nach der Untersuchung der Tiere einer erschreckenden Wahrheit auf die Spur, die sie zwischen die Fronten der Großmächte katapultiert.
Die befreundeten Geheimdienste werden aktiv, Verfolgungsjagden finden statt. Spionagetätigkeiten werden hervorgekehrt, und Forschungstätigkeiten werden unterbunden. Gefährliche Söldnergruppen attackieren die Protagonisten, die individuell und authentisch gezeichnet sind. Natürlich darf auch ein Einblick in deren amouröses Leben nicht fehlen.
Ein rundum mitreißender Thriller, der mir viele Probleme der Arktis nähergebracht hat.