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buchverrückt

Bewertungen

Insgesamt 85 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


sehr gut

Erwartet habe ich einen seichten Sommerroman. Bekommen habe ich so viel mehr.
Der eine Sommer, der alles verändert. Wir alle kennen ihn, wir alle vermissen ihn. Ich bin gespannt, welche Geschichte hinter diesem Sommer steckt.
Zuerst gefällt mir das Cover, aber vor allem das Miniinterview im Buchumschlag mit Kristina Pfister, es macht direkt Lust auf Urlaub und sonne und bringt den Leser direkt in die richtige Stimmung das Buch einer so sympathischen Autorin zu lesen.
Weglaufen, um anzukommen.
Weglaufen, um sich selbst zu finden.
Das Gefühl, wenn einem alles zu viel wird und man einfach mal raus muss. Die sprichwörtliche Decke, die einem auf den Kopf fällt, kennt wohl jeder zu gut.
Das Buch hat mir gezeigt, dass sich Verlust immer anders anfühlen kann. Er kann drastisch sein, wie der Tod eines geliebten Menschen oder sich leise in ein vermeintlich perfektes Leben schleichen. Lale verlässt ihr altes Leben, reißt aus und landet ausgerechnet auf einem Campingplatz in einem 300-Seelen-Kaff, betrieben von Gustav, einem mürrischen pensionierten Lehrer und erlebt dort den Sommer ihres Lebens.
Jeder auf dem Campingplatz lenkt sich auf seine Art und Weise ab und die handwerklichen Tätigkeiten, egal welcher Natur, lenken den Geist für einen Moment ab und bringen ihn zur Ruhe. Die Protagonisten verbindet alle die Suche nach etwas. Sie verlassen dafür ihre Komfortzone und wachsen über sich hinaus. Ich glaube an Schicksal und das sich Menschen aus einem bestimmten Grund zu einem bestimmten Zeitpunkt treffen. Dieses Buch ist der beste Beweis dafür.
Vermutet habe ich einen leichten Sommerroman, bekommen habe ich eine ergreifende Geschichte mit Tiefgang. Man möchte mit Lale, Chris, James, Gustav und Flo am Lagerfeuer sitzen und singen, sich ihre Geschichten anhören und ihre Tränen trocknen.
Ein philosophischer Sommerroman, der einen zum Träumen und Nachdenken bringt. Wunderschön wie eine laue Sommernacht voller Sterne. Man spürt die Wärme und die Kälte, man leidet mit. Dieses Buch zauberte mir im Hochsommer eine Gefühls-Gänsehaut.

Bewertung vom 07.07.2022
Bekenntnisse eines Betrügers
Raina, Rahul

Bekenntnisse eines Betrügers


sehr gut

Das Cover ist witzig und auffällig, allein schon durch die gelbe Farbe. Der Klappentext weckt das Gefühl dieses sarkastische Werk direkt beginnen zu müssen und was soll ich sagen: wenn der Rest des Buches so witzig und ironisch ist, wie das erste Kapitel, dann hat Raina alles richtig gemacht und ich bin an einem Tag mit dem Buch durch. Man schüttelt sich vor Lachen über den Selbstwitz gepaart mit durchaus ernst zu nehmender Gesellschaftskritik, ich amüsiere mich köstlich und bin selten so gut unterhalten worden.
Der Schreibstil ist sehr sarkastisch, aber dennoch beschönigt er nichts und webt geschickt Kritik an Indien ein, fast beiläufig, aber äußerst klar und scharf. Die Sätze sind intelligent, die Vergleiche göttlich, man möchte Ramesh stundenlang zuhören / lesen. Sein Prüfungsbetrug ist ein richtiges Business und es gibt allerlei zu planen und man versteht schnell warum Ramesh ein Meister seines Faches ist. Und als der dicke Rudi als Bester abschneidet, nimmt die Geschichte erst so richtig Fahrt auf.
Achtung: nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln lesen, man läuft Gefahr die anderen zu erschrecken, wenn man laut loslacht bei Sätzen wie „ Wir wären miteinander und aneinander gewachsen, hätten die Stärken und Schwächend es anderen kennen gelernt und sonstigen westlichen Unsinn“. So bissig die Texte auch sind, so liebevoll werden die Menschen beschrieben, die Ramesh am Herzen liegen. Die Mischung wühlt auf und geht ans Herz. Eindringliche Themen wie Rassismus, Denken in Schichten und Gewalt und Armut werden thematisiert und das ohne Witz und gesellschaftliche Probleme so wirkungsvoll kombiniert. Schön und grausam zugleich, meinen höchsten Respekt vor Rahul Raina ein wahrer Wortkünstler.
Es wird nur noch witziger als er mit seinem neureichen „Kunden“ Rudi zusammen wohnt, der einfach das volle Klischee eines Papa-Sohnes bedient und so gar keinen Plan vom Leben hat. Von einem anderen Satz, wird es auf einmal wieder unfassbar tief: Glück, Sehnsucht, das Gefühl nicht genug zu sein  der Wechsel nimmt den Leser völlig gefangen. Man durchlebt die gesamte Palette der Gefühle innerhalb von ein paar Seiten. Nicht nur witzig, sondern auch spannend, ein Genuss dem Handlungsverlauf zu folgen. Der zweite Teil ist genauso intelligent, flüssig und fesselnd wie der erste Teil. So zieht es sich bis zum Ende durch Danke für diese tolle Lektüre.

Bewertung vom 08.06.2022
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


sehr gut

Das Thema interessiert und berührt mich sehr, da mich Identitätsdiebstahl sehr interessiert, egal ob im Internet oder in der Realität. Japanische Autoren sind in meinem Bücherregal eher spärlich vertreten, daher war ich umso gespannter. Das Cover ist geheimnisvoll und eher unauffällig, passt aber wunderbar zum Inhalt des Buches. Die Einführung stimmt den Leser bereits sehr gut ein und erzeugt die notwendige Spannung. Das Buch beginnt mit Ries tragischer Lebensgeschichte und obwohl man weiß, dass Daisuke tot ist, fragt man sich was vorgefallen ist und hat zig offene Fragen und Gedanken im Kopf. Der Schreibstil ist sehr gut, sehr fesselnd und die Seiten sind spannungsgeladen. Als wäre der Tod ihres geliebten Mannes nicht bereits schlimm genug, wird ihr der Boden unter den Füßen weggezogen, als sie erfährt, dass ihr Mann niemals der Mann war, für den sie ihn gehalten hat. Immer wieder fragt man sich, wie jemand so eine Lebenslüge verkraftet? Wie schließt man Frieden, wenn man keine direkte Antwort mehr von der betroffenen Person erhält? Wie erzählt man seinen Kindern eine Geschichte, die man ja selbst nicht einmal annähernd versteht? Der Anwalt Kido findet schnell am eigenen Leib heraus, wie einfach und schnell man sich eine neue Identität aneignen kann und wie viel Spaß und Spannung das Spiel mit der Lüge machen kann. Das Vorspielen falscher Tatsachen ist so einfach und doch so voller Faszination. Es wird sehr gut beschrieben, wie schnell man in so einer Situation die Kontrolle verliert, besonders wenn das Umfeld, in diesem Fall Kidos Ehe, eher instabil ist.
Die japanische Geschichte und die dramatische Erdbebensituation werden gekonnt in die Handlung eingebunden und sind äußerst interessant, da für mich völlig unbekannt.
Das Buch erzeugt kontinuierlich Spannung. Immer wenn man glaubt, man hat eine Spur, liegt man falsch und die Spannung ist kaum aushaltbar. Das liegt wohl auch an dem speziellen Thema und an dem gekonnten Wechsel zwischen akribischer Recherche und Zufalls-Spuren, auf die Kido sich begibt.
Und immer wieder im Hintergrund die Frage, wie schlimm das eigene Leben sein muss, dass man bereit ist seine eigene Identität aufzugeben.
Es ist schwer über dieses Buch nicht zu viel zu verraten, nur so viel: es ist voller Überraschungen und uneingeschränkt lesenswert für alle, die in eine neue Geschichte eintauchen wollen und spannungsgeladene Seiten suchen.

Bewertung vom 25.05.2022
Verheizte Herzen
Crossan, Sarah

Verheizte Herzen


gut

Das Cover ist Geschmackssache, ich bin kein Fan großer Blumen, aber es fällt auf jeden Fall auf. Der Titel ist äußerst passend und der Klappentext vielversprechend. Als Erstes kam mir in den Sinn, dass das Thema wirklich mal neu ist. Persönlich habe ich keine Bezugspunkte dazu, da ich noch nie Geliebte war

Bewertung vom 18.05.2022
Die sieben Schalen des Zorns
Thiele, Markus

Die sieben Schalen des Zorns


ausgezeichnet

Das Cover des Buches wirkt im ersten Moment wie ein 08/15 Krimi, der Titel weckt bei mir keine Assoziationen, ergibt nach der Lektüre aber durchaus Sinn.
Der Klappentext ist kurz, aber aussagekräftig. Er erinnert mich an Gott von Ferdinand von Schirach, daher war ich sehr gespannt und hatte hohe Erwartungen im Hinblick auf Spannung und gute Unterhaltung an das Buch.
Nicht nur der Schutzumschlag, auch das Buch ist schön gestaltet, der schwarze Einband ist ein toller Kontrast und passt super zum Thema. Das Thema ist mir nicht unbekannt, da ich bereits einiges über Sterbehilfe gelesen haben, daher war der persönliche Einstieg ins Thema sofort gegeben. Tatsächlich ist dies ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Angst vorm Sterben habe ich nicht, aber davor, dass ich mein Leben voller Schmerzen beenden will, aber es nicht mehr selbst kann. Dieses sensible Thema greift Thiele sehr gut auf und trifft damit einen Nerv. Hier muss Deutschland seine Gesetze wirklich überarbeiten und die Bedürfnisse der Gesellschaft neu denken.
Ich habe bereits „Das Echo des Schweigens“ gelesen und war restlos begeistert. Thielen ist ein sehr guter Jurist und ein noch besserer Autor.
Die Charaktere werden langsam eingeführt, jeder mit seiner eigenen starken Seite und seiner persönlichen Geschichte. Zu Beginn hatte ich Sorge, dass mich der Plot zu sehr an Schirach erinnert, aber auch wenn Thiele sehr sachlich schildert, hat er doch einen ganz anderen, überzeugenden Erzählstil. Er schreibt sehr eindringlich und ansprechend ohne zu werten oder aufdringlich zu sein.
So sehr es auch fesselt, si schwer ist es an einigen Stellen zu lesen. Max Kindheitserinnerungen ließen mir die Tränen übers Gesicht laufen und ich war so erschüttert, dass ich das Buch sogar kurz weglegen musste.
Mit leisen Worten zeigt Thiele dem Leser unauffällig zwischen der Handlung, worauf es wirklich ankommt, was man bereut, wenn es zu spät ist und was im Leben wirklich zählt. Man trägt das Buch im Herzen, aber auch im Kopf. Nie habe ich ein Buch gelesen, dass die Bedürfnisse von Herz und Kopf so treffend auf den Punkt bringt, ohne belehrend daher zu kommen. Die Kapitel springen in der Zeit, aber ich bin noch nie so schnell und tief in das jeweilige Jahrzehnt eingetaucht und habe die Handlung um mich herum vergessen.
Das Buch geht so viel tiefer, als zu Anfang erwartet. Sterbehilfe ist nur eine der vielen existenziellen Fragen, um die es in diesem Roman geht. Man hinterfragt alles: die verschiedenen Blickwinkel der Protagonisten, aber auch seine eigene Meinung zum Thema.
Beim lesen traut man keinem mehr, was einen riesen Spannungsaufbau erzeugt. Ein überaus gelungenes Buch, dass mich aus so vielen Gründen gefesselt hat. Eine ganz klare Leseempfehlung für ein Buch mit Tiefgang, das auch nach dem Lesen noch in einem arbeitet.

Bewertung vom 07.04.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


ausgezeichnet

Öfter mal etwas Neues probieren war mein Motto für dieses Buch. Daher widme ich mich diesmal einem Sachbuch zur deutschen Geschichte, genauer gesagt zum Jahr 1923, obwohl ich Geschichtsbüchern seit der Schulzeit bewusst aus dem Weg gehe. Das Cover spricht mich nicht direkt an, was aber wie gesagt an meiner offenkundigen (früheren) Abneigung gegenüber Geschichtsbüchern liegt. Dafür bin ich absoluter Fan der goldenen Zwanziger und um es vorweg zu nehmen: jetzt auch von Geschichtsbüchern, wenn sie so geschrieben sind wie dieses hier.
Die Aufteilung des Buches nach Kalendermonaten spricht mich direkt an und passt hervorragend zur restlichen sehr guten Strukturierung dieser Lektüre. Die Schwarzweiß-Fotos zu Beginn der Kapitel sind mit einer liebevollen und informativen Bildbeschreibung versehen und heben sich auf schwarzem Hintergrund sehr schön ab.
Wie bereits erwähnt bin ich im Geschichtsbereich wirklich nicht bewandert, daher war ich umso gespannter, ob dieses Buch mich zu fesseln vermag. Die kurzen Einführungen in kursiver Schrift vor jedem Monat und die prägnanten Erklärungen sind auch für Geschichtslaien verständlich formuliert. Mit einer Prise Humor und Sarkasmus kommen die kurzen, intelligent formulierten Sätze daher.
Vielleicht ist es sogar von Vorteil, dass ich einige Personen nicht kenne, so hat man eine vorurteilsfreie Sicht auf die Geschehnisse. Das Buch ist voller schöner Sätze wie „wer die Welt von unten kennt, kennt die Sehnsucht nach ganz oben!“. Treffende Formulierungen, die wunderbar in die damalige Zeit passen. Das Buch bietet Informationen wie am Fließband, ohne auch nur einmal überladen zu wirken, im Gegenteil, es ist äußerst fesselnd. Die Übergänge sind fließend, eine Formulierung ist gekonnter, als die andere.
Es macht absolut Lust auf deutsche Geschichte, immer wieder habe ich es zur Seite gelegt, um noch mehr Hintergründe zu recherchieren. Bereits im Monat Februar war ich überwältigt davon, was in einem Jahr alles geschehen kann. Die Inflation wird immer wieder eingebracht und steht für die Schnelligkeit und den Verfall der Werte.
Während des Lesens musste ich immer wieder an meine verstorbene Oma denken, die 1925 geboren ist. Wenn es ein Buch schafft, dass man sich herbeisehnt mit seiner Verwandtschaft nochmal über die Zeit zu sprechen und Fragen zu stellen, hat man als Autor alles richtig gemacht.
Jeder Bereich, sei es Literatur, Unterhalten, Landwirtschaft oder Kunst, ist unfassbar spannend erzählt. Da ich aus dem Ruhrgebiet komme ist der Bezug dazu ebenfalls ein weiterer interessanter Punkt.
In der aktuellen Situation ist es durchaus beklemmend über die grausamen Zustände zu lesen, gerade die Knappheit der Lebensmittel und die Inflation lesen sich wie ein worst case Szenario unserer baldigen Zukunft. Dennoch ist das Buch uneingeschränkt empfehlenswert und die Kurzbiografien und weiteren Werdegänge der deutschen Persönlichkeiten am Ende des Buches runden dieses großartige Buch erfolgreich ab.

Bewertung vom 30.03.2022
Mongo
Darer, Harald

Mongo


ausgezeichnet

Im Roman „Mongo“ von Harald Darer geht es um eine junge Familie, die sich mit der Angst auseinandersetzen muss, dass ihr Kind mit dem Downsyndrom zur Welt kommen könnte, ähnlich wie der Bruder der schwangeren Frau. Es behandelt die Gedanken und Ängste, die sich in dieser ungewöhnlichen Situation entwickeln und findet Antworten auf zahlreiche Fragen.
Der Picus Verlag aus Wien ist super und hat mich schon mit einigen literarischen Überraschungen versorgt. Das Zitat in Anlehnung an Watzlawick fand ich etwas drüber, aber das ist selbstredend Geschmackssache und auf jeden Fall kreativ.
Meine Erwartung an das Buch war ein besserer Zugang zum Thema und „Insiderwissen“, da ich bis dato keinerlei Berührungspunkte zu Menschen mit Trisomie 21 hatte. Allerdings wurde mir direkt zu Beginn bewusst, wie häufig ich das Wort „Mongo“ bereits als Schimpfwort bzw. Beleidigung benutzt hatte, ohne einen Gedanken darüber zu verschwenden. Die zwei Blickwinkel und Erzählweisen führen bereits am Anfang dazu, dass man sehr schnell ins Buch findet und sich direkt eigene Fragen zum Thema stellt. Dadurch wird eine hohe Identifikation mit dem Thema geschaffen.
Katja erlebt in ihrer und in Markus Kindheit alle Emotionen, die man sich nur vorstellen kann. Angst, Verzweiflung, Wut und das schlechte Gewissen ihren behinderten Bruder nicht immer verteidigt zu haben sind die Gefährten ihres Alltags. Diese Situationen sind eindringlich beschrieben, ohne zu aufgesetzt und übertrieben zu wirken. Dennoch prägt es ihr gesamtes Leben, bis hin zu ihrer eigenen Schwangerschaft und den damit verbundenen Ängsten.
Es werden schonungslos alle Varianten beschrieben: Mobbing, Mitleid, Ignorieren, das behinderte Kind vor der Öffentlichkeit verstecken. Die Beschreibung des Umgangs mit einem behinderten Menschen sind äußerst treffend, präzise und vielschichtig beschrieben und häufig findet man sich in der ein oder anderen Situation auch persönlich wieder oder verbindet sie mit eigenen gemachten Erfahrungen. Besonders spricht mich die reflektierte Sicht der Kindheitserinnerungen als Erwachsener an.
Ich mag Bücher, die einen schon nach kurzer Zeit selbst zum Grübeln bringen und feststellen lassen, dass die eigene Sicht doch sehr einseitig und vorurteilsbehaftet ist. Das Buch zeigt, dass man immer voneinander lernen kann. Mit Sätzen wie „wer kann schon genau drei Dinge nennen, die einen glücklich machen und die ausreichend sind (Katzen, Essen, Tageszeitung)“ zeigen dem Leser die positiven Aspekte auf. Von Menschen, die Schicksale ertragen müssen oder mit Einschränkungen leben müssen können wir weit mehr über das Leben und das Glücklichsein lernen.
Gerade die Erzählungen von Markus Mutter, die Feststellungen bei den ersten Arztbesuchen etc. haben mich fasziniert und wirklich berührt, denn immer schwebt im Hintergrund die Frage nach einer Abtreibung.
Stilistisch ist die Abhebung Markus Gedanken in Großbuchstaben gut gelungen. Dieses Buch beschreibt mit klaren, eindrucksvollen Worten wie das Leben mit Trisomie 21 wirklich ist und es sollte von jedem gelesen werden, egal ob man betroffen ist oder nicht. Es geht ums Verliebtsein, es geht ums Leben, um Sex, um einfach alles, dass das Leben ausmacht.
Dieses Buch ist ein Appell daran andere Menschen weder zu ignorieren, noch zu verurteilen, weil sie anders sind. Denn wer von uns ist schon normal?

Bewertung vom 15.02.2020
Sweet Sorrow
Nicholls, David

Sweet Sorrow


gut

Da ich bereits von "Zwei an einem Tag" begeistert war, hatte ich mich sehr auf den neuen Roman von Nicholls gefreut. Vorab schon einmal: das ist das schönste Buch, das ich in den Händen gehalten habe. Die Idee keinen Schutzumschlag zu verwenden, sondern ein glänzendes, hochwertiges und absolut liebevoll gestaltetes Cover hat mich optisch komplett überzeugt.
Man beginnt das Buch mit gemischten Gefühlen, da man automatisch an die eigene erste Liebe denkt, man schwelgt in schönen Erinnerungen. Die witzige und selbstironische Einführung von Chrles Lewis, dem nach seinem Schulabschluss die Welt offensteht, hat mich überzeugt. Er ist ein typisch unsichtbarer Junge, der erst nach der Schulzeit zu sich selbst findet. Die Sprache ist herrlich bildhaft, gerade wenn es um Sachen wie den ersten Kuss geht. Dann begegenet Charlie endlich Fran Fischer und erst kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass auch den beiden ein Paar wird.
Dies ist kein reiner Liebesroman, es geht ums Erwachsen werden, um die Trennung der eigenen Eltern, um Freunde , um Depressionen, um Familie und eben auch um die Liebe. Die Geschichte ist sehr realistisch erzählt, nichts wird verklärt, dramatisiert oder ramtischer beschrieben als es ist. Ein toller sachlicher Stil, der mich sehr beeindruckt hat.
Charlie ist nicht nostalgisch und verschwendet nicht viele Gedanken an seine Vergangenheit, aber ausgerechnet dann holt sie ihn wieder ein. Man wartet mit Spannung darauf, ob es zu einem Wiedersehen zwischen ihm und Fran kommt. Die Überleitungen sind intelligent gewählt, sodass man immer wieder Neues über Charlies Familie und ihre Entwicklung erfährt. Zwischendurch zieht sich die Geschichte allerdings etwas, die Theaterproben sind für meinen Geschmack nicht besonders spannend.
Dennoch ist dies endlich mal ein authentisches Buch über die erste Liebe, kein Hollywoodkitsch, sondern eine Geschichte mit langsamer Annäherung und großer AUfregung. Man erinnert sich daran, wie unbeholfen man selbst damals war, wie die Beziehung langsam wächst und eventuell auch auseinander geht. Ein schönes Buch mit einem realistische Ende, kein klassisches, aber dennoch ein Happy End. Es kommt allerdings nicht an die anderen Romane von Nicholls heran.

Bewertung vom 15.02.2020
Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6
Slupetzky, Stefan

Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6


ausgezeichnet

Das Cover und der Klappentext von "Im Netz der Lemminge" sind bereits sehr vielversprechend. Die Ausgangssituation ist die, dass sich ein Junge in Wien im Beisein von Protagonist Leopold Wallisch vor einen Zug wirft. Es folgen schonungslose und brutal klare Worte, bereits das erste Kapitel zeigt, was der Autor sprachlich kann. Es wird dem Leser schnell bewusst, wie grausam social media ist und wie feige die Menschen sind, die sich in dieser Welt verstecken. Wallisch ist sehr sympathisch, es ist ziemlich witzig wie naiv er in Bezug auf das Internet und die Technik ist, so als hätte er die letzten hundert Jahre technische Entwicklung verschlafen.
Der blumige Sprachstil und die Metaphern des Autors hätte man so nicht erwartet, gepaart mit der Jugendsprache eines Teenager, die ich mittlerweile selbst schon nicht mehr verstehe. Die Auszüge aus dem Internet bringen die nötige Abwechslung ins Buch.
Die virtuelle Spurensuche zweier Neu-Arbeitslose, die vogelfrei sind und auf Schritt und Tritt verfolgt werden- klasse Idee!.
Es wird einem bei dieser Lektüre immer wieder bewusst welche negative und gefährliche Wirkung das Internet trotz aller Vorzüge hat. Man spürt den Schmerz und den Verlust deutlich. Die Beschreibung des gezielten Mobbings geht einem ungewöhnlich nahe. Zwischendurch dann dieser trockene Humor, es macht Spaß das ungleiche Duo auf seinen Ermittlungen auf eigene Faust zu begleiten. Dennoch geht der Ernst dieses Themas nie verloren. SOcial mobbing zerstört ganze Existenzen und Leben.
Das Buch lebt von Spannung, Witz und zwischendurch ein wenig Wiener Geschichte. Für mich als WIen-Fan könnte es nicht besser sein. Es ist fesselnd und trifft ganz meinen Humor. Zum Ende wird etwas philosophisch und regt auf den letzten Seiten noch zum Nachdenken an. Wallisch ist ein ANtiheld, der mir sehr ans Herz gewachsen ist und den ich hoffentlich bei seinem nächsten Fall wieder begleiten darf.

Bewertung vom 15.02.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

An dieses Buch hatte ich vorab schon einen hohen Anspruch, da bereits der Klappentext mir Gänsehaut bereitet hat. Die Erwartungen waren also hoch und um das vorweg zu nehmen: ich wurde nicht enttäuscht!

Der erste Satz hat bereits so eine Schlagkraft, dass man weiß, dieses Buch wird man am Ende nicht einfach so weglegen können und es wird noch lange nachwirken. Man möchte fast jeden Satz im Buch markieren,w eil er einem so bedeutend erscheint und so tief geht. Jeder von uns trauert anders und jeden schließt man mit seiner eigenen "Nach Mattias-Geschichte" ins Herz.
Ich liebe Geschichten, in denen alles eine Verbindung hat und sich die Wege der Einzelnen kreuzen.
Trauer hat, so wie Liebe, viele verschiedene Seiten, jede Seite lässt einem beim Lesen manchmal den Atem stocken. Eine sehr gute Leistung von Peter Zantingh, man kann es nicht anders sagen. Zantingh schafft es, dass man wirklich eine Verbindung zu den Personen spürt, er teilt die Trauer mit den Lesern. Jede Geschichte berührt mich. Sie weckt ein klemmendes Gefühl und zwingt einen dazu über sein Leben nachzudenken. Genau so etwas sollen Bücher bewirken! Wenn all das durch einen Roman hervorgebracht wird, dann hat der AUtor Großes vollbracht.
Spannung wird dadurch erzeugt, dass man nicht sofort weiß, in welcher Beziehung der Erzählende zu Mattias gestanden hat. Mattias Mutter Kristianne hat mich am meisten berührt, ihr Kapitel habe ich gelesen ohne einmal Luft zu holen.
Am Ende überrascht Zantingh mit einer Verbindung, mit der niemand gerechnet hat. Auch die Playlist und das Interview am Ende des Buches sind ein absoluter Mehrwert. Das Buch hat mich zutiefst berührt, besonders das folgende Zitat: "Was bleibt von einem, wenn man nicht mehr da ist? Welche Leerräume entstehen in Raum und Zeit, und wer oder was wird diese wieder füllen!"